Die magische Schwelle

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Heidi, die nicht klettern war, sondern die ganze Zeit in ihrem Zimmer verbracht hatte, schaute aus dem Fenster und beobachtete ihren Bruder, wie er etwas verwirrt im Kofferraum hockte und sich umguckte. Sie verdrehte die Augen und murmelte: »Der hat schon ’ne ganz schöne Macke, mein kleiner Bruder.«

Gleichzeitig kam Flo zu der befreienden Erkenntnis, dass er so eine Macke eben doch nicht hatte.


VERRÜCKT! EINDEUTIG VERRÜCKT!

»Ich bin also doch nicht verrückt?« Flo war erleichtert und zugleich auch ein kleines bisschen enttäuscht, dass es nur ein stinknormaler Kofferraum war. Wenigstens erschien ihm der alte Chevrolet jetzt nicht mehr ganz so unheimlich und über die nächsten Tage hinweg verlor der Wagen mehr und mehr seinen Schrecken. Trotzdem hielt er sich fürs Erste von ihm fern. Er hatte sich schließlich vorgenommen, sich mit realen Dingen zu beschäftigen und nicht mehr mit Kinderkram. Er übte Klavier.

»Wow, das könnte ja irgendwann sogar mal eine Melodie werden, wenn du so weitermachst«, spottete Heidi.

»Stör mich nicht, ich muss üben.«

»Stimmt, du musst sogar noch sehr viel üben. Aber ehrlich, so langsam nervts.«

»Dann hör halt weg.«

»Willst du nicht lieber wieder was lesen? Oder mit der Eisenbahn spielen oder im Chevrolet sitzen? Das ist irgendwie ruhiger.«

»Tut mir leid. Aus dem Alter bin ich raus.«

»Du bist zwölf!«

»Zwölfeinhalb«, verbesserte Flo.

»Ist doch kein Unterschied. Alle Jungs, die ich kenne, haben in dem Alter noch mit ihren Autos gespielt.«

Flo knallte den Klavierdeckel zu und ging genervt in sein Zimmer. Er schnappte sich Gullivers Reisen und blätterte lustlos darin herum. Radfahren fiel aus, weil es regnete.

Vielleicht hatte Heidi recht und er sollte noch mal eine Ausnahme machen, bevor er endgültig erwachsen wurde. Immerhin hatte er Klavier geübt, mindestens 20 Minuten. Er musste nicht besonders lange mit sich ringen, bis er sich entschloss, ein letztes Mal in die Kleine Freiheit zu gehen.

»Nur kurz, ausnahmsweise«, rechtfertigte sich der Spieltrieb.

Sicherheitshalber ließ Flo den Strom ausgeschaltet. Jedenfalls fast. Ein bisschen Beleuchtung musste schon sein. Die Anlage sah erst richtig schön aus, wenn es überall leuchtete und blinkte. Die Züge und Autos setzte er nicht in Bewegung. Stattdessen nahm er wieder den kleinen Chevi aus dem Regal und schob ihn sachte über die Straßen. Auf der prachtvollen Strandpromenade überlegte er anzuhalten, um den ewig ertrinkenden Nichtschwimmer zu retten. Zwecklos, denn die Rettungsschwimmer waren schon unterwegs. Wie immer natürlich. Im Slalom umfuhr er die stehenden Autos und bog dann ab auf die Straße in die Stadt. Mit seinem breiten Wagen musste er ganz besonders aufpassen, nichts kaputt zu machen. Wenn es zu eng wurde, drückte er ein Auge zu und hob den Wagen einfach über ein Hindernis hinweg. Vorbei an der Kirche gelangte er auf den Schotterplatz mit der Kirmes. Als er gerade über den Bahnhofsvorplatz fuhr, hörte er von unten seine Mutter rufen: »Flohooo. Jakob ist da!«

Flo schaltete das Licht auf der Anlage aus und ging nach unten.

Eine Weile warfen sie Pfeile auf Flos neue Dartscheibe in seinem Zimmer. Danach spielten sie im Keller ein paar Runden Kicker. Aber Flo war unschlagbar, sodass Jakob nach kurzer Zeit die Lust verlor. Und weil ihnen nichts anderes mehr einfiel, stiegen sie in den alten Chevrolet. Natürlich nur, um ihre Ruhe zu haben. Ganz nebenbei lieferten sie sich Verfolgungsjagden mit unsichtbaren Bösewichten. Worüber sie natürlich niemandem etwas erzählen würden, da waren sie sich einig.

Als Jakob nach Hause musste, blieb Flo eine Weile allein im Auto sitzen. Da war schließlich noch diese gefährliche Gangsterbande, die ihn verfolgte. Immer dichter kamen sie heran und würden bestimmt gleich schießen. Man musste den Gegner überraschen. Einen Trick anwenden, mit dem seine Verfolger sicher nicht rechnen würden. Flo schaltete den Tempomaten ein und richtete das Lenkrad aus. Während der Wagen also den schnurgeraden Wüsten-Highway entlangbrauste, kletterte er nach hinten, legte die Rückenlehne um und kroch in den Kofferraum. Von dort aus wollte er das Paket Schrauben auf der Straße auskippen. Die Reifen des gegnerischen Autos würden platzen, ihr Wagen ins Schleudern geraten und im Wüstenstaub stecken bleiben. Es kam auf das Überraschungsmoment an. Er musste sie möglichst nah herankommen lassen. Dann stieß Flo beherzt die Kofferraumklappe auf und …

Schon wieder! Natürlich erwartete er nicht, wirklich seine Verfolger zu sehen. Aber mit dem, was er nun erblickte, hatte er noch weniger gerechnet. Er war schon wieder in dieser fremden Welt, wenn auch an einem anderen Ort. Sein Blick fiel direkt auf einen Bahnhof. Passanten kamen aus dem Bahnhofsportal und liefen über den Vorplatz. Ein Leierkastenmann orgelte die immer gleiche Musik herunter. Eine Frau, bepackt mit drei prallvollen Einkaufstüten, schob genervt einen Kinderwagen, in dem ein Kind laut schreiend nach Keksen verlangte, während ihr Hund an der Leine in eine andere Richtung zerrte. Und der freundliche Herr dort war doch eindeutig Herr Müller! Genau wie die Figur, die Flo vor Kurzem repariert hatte, hob er seinen Hut zum Gruß. Aus der Nähe betrachtet wirkte sein Arm allerdings etwas verdreht … Von irgendwo tönten Kirmesgeräusche und Feuerwehrsirenen. Ein paar Bauarbeiter standen rund um eine Grube und gaben einem Kollegen kluge Ratschläge, wie er am besten zu schaufeln hatte. All das waren haargenau die Szenen, wie sie auf der Eisenbahnanlage stattfanden und wie Flo sie unzählige Male schon von oben herab betrachtet hatte.

Halb erschrocken, halb neugierig beobachtete Flo das bunte Treiben. Sollte er es wagen auszusteigen? Konnte man all das, was er da sah, auch anfassen? Den Boden betreten? Oder würde er ins Nichts fallen, weil alles nur Einbildung war?

Vorsichtig ertastete er mit der Fußspitze den Untergrund. Er war fest. Er stampfte mit dem gesamten Fuß kräftig auf. Der Boden hielt stand. Also wagte er es, mit zitternden Knien aus dem Kofferraum zu steigen.

›Ein kleiner Schritt für mich, aber ein großer in den Wahnsinn‹, ging es ihm durch den Kopf. Zögernd tat Flo einen ersten Schritt, dann noch einen und noch einen. Es fühlte sich vollkommen normal an. Dennoch traute er sich nicht zu weit von seinem Kofferraum weg. Rings um ihn herum gingen die Leute ihrer Wege. Die Sonne schien, die Temperatur war angenehm mild und die Menschen hatten gute Laune. Wieso wunderte sich niemand, dass er mitten auf dem großen Platz neben seinem Chevi stand und gerade aus dessen Kofferraum gestiegen war?

»Ihr seid alle Verräter!« tönte eine raue Stimme.

Flo erschrak. Der verwirrte Typ, der immer mit seinem Einkaufswagen auf dem Bahnhofsportal umherzog, kam direkt auf ihn zugeschlurft. Beim Spiel mit der Eisenbahnanlage hatte er das Plastikfigürchen zum Spaß Robbi getauft. Nur dass der jetzt kein Figürchen aus Plastik mehr war, sondern sich sehr real wie der echte Robbi verhielt.

»Geh zur Seite und lass mich in Ruhe«, schimpfte er mit leerem Blick und starrte direkt an Flo vorbei. »Du brauchst dich gar nicht so zu verstellen. Und ich soll hier durch den ganzen Dreck laufen. Kannste vergessen.«

Flo war immer noch nicht klar, ob dieser Robbi ihn meinte.

»Du Außerirdischer willst uns alle entführen!«

Flo machte automatisch ein paar Schritte zurück und purzelte rücklings in den Kofferraum.

»Plastik, überall Plastik. Du bist nicht echt.«

Flo hatte genug gesehen und gehört. Auch wenn er nicht gemeint war, fühlte er sich ertappt. Er zog die Heckklappe fest zu und tauchte ins Dunkel des Kofferraums. Wenn er jemandem erzählen würde, was er gerade gesehen hatte, käme er mit Sicherheit in die Psychiatrie.

Am Abend setzte er sich neben seine Mutter aufs Sofa und bemühte sich um einen möglichst beiläufigen Tonfall. »Mama, kommen eigentlich manchmal auch Verrückte zu dir in die Praxis?«

»Verrückte? Na klar, jede Menge. Beschweren sich, dass sie zu lange warten mussten. Andere beschimpfen mich, wenn ich sie nicht krankschreibe, oder …«

»Nee, ich meine so richtig Verrückte. Die im Kopf nicht ganz richtig sind.«

»Ach, du meinst Menschen mit psychischen Krankheiten? Eigentlich nicht. Es sei denn, sie haben körperliche Beschwerden. Manche sind vielleicht etwas altersverwirrt. Aber ich bin ja Ärztin für Allgemeinmedizin, da habe ich mit psychischen Krankheiten weniger zu tun. Wieso interessiert dich das?«

»Ich seh öfter diesen Typen, der immer nur mit jemand Unsichtbarem spricht.«

»Ich weiß, wen du meinst. Möglicherweise hat er Halluzinationen. Er sieht oder hört Dinge, die ihm sein Gehirn vorgaukelt. Für ihn erscheint das wahrscheinlich ganz real.«

»Wie kriegt man denn so etwas?«

»Da gibt es viele Ursachen, jemand hat etwas Schlimmes erlebt oder ein Geschwür beeinträchtigt seine Gehirnfunktionen. Oft sind auch Drogen die Ursache für solche Psychosen.« Tanja hielt kurz inne. Dann fuhr sie fort: »Vor Robbi brauchst du aber keine Angst zu haben. Ich weiß zwar nicht, was heute genau mit ihm los ist, aber früher war der ganz normal.«

»Du kennst ihn?«

»Ja, klar. Ich kann mich sogar noch erinnern, wie Robbi plötzlich in der Stadt aufgetaucht ist. Damals war er ein echt cooler Typ, fanden wir. Auch weil er immer mit einer dicken amerikanischen Limousine herumfuhr. Ein bisschen angeberisch war das natürlich schon. Mit der Zeit wurde sein Verhalten jedenfalls immer sonderbarer, er begann über Sachen zu reden, die keiner verstand. Schließlich bot er seinen Chevrolet zum Verkauf an – und rate mal, wo der jetzt steht …«

 

»Unser Chevi hat mal Robbi gehört?«, brach es ungläubig aus Flo heraus.

Tanja lachte und fuhr fort: »Du kennst ja deinen Vater, der konnte nicht widerstehen, Robbi wollte auch nicht viel Geld dafür. Und seitdem steht die Karre da unten und ist nie wieder gefahren … Wir haben damals gewitzelt, dass das Ding ohne Robbi einfach nicht mehr will. Den Carport hat dein Papa dann erst später gebaut, damit der Wagen nicht wegrostet. Mal sehen, ob er ihn irgendwann zum Laufen bringt. Jedenfalls rutschte Robbi danach immer mehr in seine eigenen Welten, die nur er sehen konnte.«

Das erinnerte Flo wieder daran, was er eigentlich von seiner Mutter erfahren wollte. »Ich hab auch schon mal mit meinem Teddy geredet, als ich jünger war. Und der hat mir geantwortet, ehrlich. Ich hab das wirklich gehört. Bin ich jetzt auch …?«

Tanja strich Flo sanft durch die Haare. »Kinder haben in einem gewissen Alter oft eine lebhafte Fantasie. Manchmal wird für sie ein Kuscheltier lebendig, so wie damals dein Hulziwuk für dich. Und manchmal ist es auch nur eine erdachte Figur, die zum unsichtbaren Freund wird. Aber deswegen ist man nicht gleich verrückt. Irgendwann verlässt einen dieser unsichtbare Freund wieder und das Leben geht ganz normal weiter.«

Flo ging in sein Zimmer und kauerte sich auf sein Bett. Er war kein kleines Kind mehr. Und dass Hulziwuk lebendig sei, daran glaubte er schon ewig nicht mehr. Aber in einer Miniaturwelt herumzulaufen, konnte eigentlich nur bedeuten, dass er komplett plemplem war.

Flo zog seinen alten Teddy unter der Bettdecke hervor und betrachtete ihn nachdenklich.

»Vielleicht ist irgendein schädliches Gas im Kofferraum des Chevrolets, durch das man Halluzinationen bekommt«, überlegte Hulziwuk laut.

»Nee, glaub ich nicht«, antwortete Flo. »Beim zweiten Mal ist alles ganz normal geblieben, als ich aus dem Kofferraum rausschaute. Und wenn man von außen hineinkrabbelt, passiert schließlich auch nichts.«

»Sicher?«, fragte Hulziwuk.

»Hab ich ausprobiert«, gestand Flo und schwieg einen Augenblick. »Mannomann, ich bin echt verrückt. Jetzt rede ich schon mit meinem Teddy.«

Selbstgespräche gingen viel einfacher, wenn man sie mit einem Teddy führte, und als er seinen Kuschelbären so ansah, kam ihm eine Idee.


DER TEDDY – TEST

Um sicher zu sein, dass er sich wirklich auf der Modellanlage befand, musste Flo einen Beweis haben. Einen unverwechselbaren Gegenstand vorfinden, den er selbst auf die Anlage gesetzt hatte und der vorher garantiert noch nicht da war. Wer würde sich dafür besser eignen als sein alter Kuschelteddy Hulziwuk?

Flo machte eine Notfall-Durchsage. »Achtung, Achtung. In wenigen Sekunden landet ein Außerirdischer vor dem Bahnhof. Wir kennen seine Absichten nicht. Begeben Sie sich unverzüglich in Sicherheit! Und keine Sorge, das Militär ist auf dem Weg.«

Flo konnte es nicht lassen, die Landung seines Teddys als kleines Abenteuer zu inszenieren. Er setzte die Plastikfiguren vom Bahnhofsvorplatz in alle möglichen Winkel und Verstecke und stellte sich vor, wie sie panisch schreiend davonrannten. Seinen Chevi brachte er ein paar Straßen weiter in Sicherheit und setzte dann sein Kuscheltier vorsichtig mitten auf den frei gewordenen Platz.

»Rette sich, wer kann! Ein Riesenmonster, es wird uns alle vernichten!«, riefen die kleinen Plastikfiguren.

Ein paar Polizeiautos und Polizisten gaben der Szene eine hübsche Dramatik. Sie errichteten eine Absperrung um Hulziwuk herum. Aber mit Polizisten alleine konnte man dieser intergalaktischen Teddy-Invasion nicht Herr werden. Also nahm Flo schnell eine Schachtel mit kleinen Soldatenfiguren aus dem Regal und stellte sie mit ihren schussbereiten Gewehren um das Monster auf. Rundherum beobachteten die Figuren aus ihren Verstecken heraus das Spektakel und lugten ängstlich bibbernd zum Monster-Teddy. Es störte Flo nicht weiter, dass sie nach wie vor in ihren Posen verharrten. Das verliebte Pärchen küsste sich, Herr Brettschneider war in seine Zeitung vertieft, andere schleckten genüsslich ein Eis.

»Hulziwuk, du bleibst da sitzen. Und mach nichts kaputt, verstanden?« Natürlich hatte er nichts verstanden. Wie sollte er auch, er war ein Plüschtier. Und weggehen konnte er ohnehin nicht. Flo betrachtete zufrieden seine neue Szene und rannte dann hinunter zum Chevrolet.

Ein paar Straßen abseits des Geschehens stieg Flo wieder aus dem Kofferraum. Es musste die Stelle sein, an der er den kleinen Chevi auf die Anlage gesetzt hatte.

»Kakerlaken kriechen aus allen Ritzen. Die wahren Herren der Welt. Vergiften alles!«, rief Robbi. Flo hatte wohl dessen Figürchen direkt neben dem Chevi aufgestellt. Wie immer hatte der seinen Einkaufswagen dabei, in dem er sein gesamtes Hab und Gut aufbewahrte. »Du bist auch so ein außerirdischer Vogel. Bleib da. Überall sind sie, sie beobachten uns. Sie spielen mit uns.«

›Genau wie der echte Robbi‹, dachte Flo.

»Außerirdische! Teddybären! Vor dem Bahnhof! Mein Platz ist futsch. Sie wollen mich holen!«

»Ein Teddy, sagst du? Wie groß ist er denn? Größer als normal?«, unterbrach ihn Flo.

»Wer weiß schon, wie groß Teddys normalerweise sind?« Anscheinend sprach Robbi doch nicht immer nur mit sich selbst.

»Der ist wegen mir gekommen, um mich zu befreien«, brabbelte Robbi weiter. »Als ob. Zermalmen wird er dich wie ’ne Ameise«, ließ Robbi seinen unsichtbaren Begleiter entgegnen. »Aufsteigen mit ihm in andere Welten, er ruft mich, ich höre es!«

Flo nutzte die Gelegenheit, dass Robbi wieder mit sich im Gespräch war und machte sich auf den Weg zum Bahnhof. Sich als kleiner Minimensch zurechtzufinden, war viel schwieriger, als wenn man von oben herab die gesamte Szenerie überblickte. Vorsichtig schlich er im Schatten der Häuserreihen durch ein paar Gärten und schaute dann um die Ecke eines Gebäudes, das ihm bisher den Blick versperrt hatte. Und dann sah er ihn.

»Auweh, der ist ja riesig!«

Hulziwuk, sein kleiner Teddy, überragte alles in der Umgebung. Er saß mitten auf dem Bahnhofsvorplatz. Die Polizei hatte bereits eine provisorische Absperrung errichtet. Soldaten belagerten den Eindringling, Fotografen und Kamerateams wagten sich bis zur Absperrung, um sensationelle Aufnahmen zu machen. Ein paar Waghalsige waren aus ihren Verstecken gekommen und machten Selfies mit dem Monster im Hintergrund.

Auch wenn er sie ursprünglich selbst dort hingesetzt hatte, schlotterten Flo beim Anblick der vielen Polizisten und Soldaten die Beine. Er hatte genug gesehen, nun war es bewiesen: Er befand sich wirklich in der Miniaturwelt und er war eindeutig verrückt! Nichts wie weg, er musste ganz schnell wieder da raus.

Doch dann dröhnte das Kommando des Hauptmanns: »Hebt an das Gewehr! Auf mein Kommando! Fünf, vier, drei, zwei …«

»Halt, nicht schießen, bitte!«, rief Flo mit zitternder Stimme. Er konnte doch nicht zulassen, dass sie Hulziwuk einfach erschossen. Die Soldaten blickten sich suchend nach dem vorlauten Zwischenrufer um. Ihre grimmigen Blicke lasteten schwer auf Flo und ihm schoss sofort das Blut in den Kopf.

»Das ist Behinderung einer Militäraktion, junger Mann«, brüllte der Hauptmann. »Überhaupt, was hast du Knirps hier zu suchen? Geh zurück zu deinen Eltern!«

»Das ist mein Teddy, der gehört mir, Herr Hauptmann.«

»Und ich bin der Kaiser von China«, spottete der und rief dann an seine Männer gewandt: »Schnappt ihn euch und schafft ihn von hier fort!«

»Bitte nicht. Ich kann alles erklären«, flehte Flo.

Doch ein paar Soldaten stürmten bereits auf ihn los. Flo drehte sich um und rannte unter der Absperrung hindurch vor ihnen davon.

»Achtung! Kommando zurück, nicht schießen! Der Junge ist innerhalb der Absperrung!«

Die Soldaten senkten murrend ihre Gewehre, während Flo auf sein Kuschelmonster zulief. »Hulziwuk? Du tust mir nichts, oder?«

Hulziwuk klimperte fröhlich mit den Augen, als er Flo entdeckte.

»Du lebst ja wirklich«, sagte Flo fassungslos.

Hulziwuk beugte sich tief hinunter und ehe Flo sichs versah, wurde er von einer großen Tatze ergriffen und in schwindelnde Höhe gehoben. Mit seinen glänzenden Augen betrachtete sein Teddy ihn aus der Nähe. »Brommm«, machte der Teddy und drückte Flo sanft an sich. So wie Flo es umgekehrt schon Tausende Male mit ihm, seinem Kuscheltier, gemacht hatte. Es fühlte sich aber gar nicht mehr so kuschelig an. Das Fell war grob und drahtig und aus der Nähe betrachtet ziemlich verschlissen. Er versank tief im muffigen Haar. Nur noch dumpf hörte er die entsetzten Schreie von weiter unten.

»Lass mich runter. Ich krieg keine Luft mehr«, quetschte Flo mit Not hervor. Mochte die Umarmung auch noch so zärtlich gemeint sein, war es ihm, als wäre er in einen Schraubstock eingespannt. Endlich ließ Hulziwuk locker und setzte Flo sanft auf dem Boden ab. So schnell er konnte rannte er hinter die Absperrung.

»Junge, bist du wahnsinnig? Der hätte dich fressen können!«, brüllte der Hauptmann und drehte sich dann zu seinen Soldaten. »Der Junge ist frei, bereit machen zum Schießen!«

»Nein, bitte nicht! Der tut nichts. Der will nur kuscheln!«

Doch der Hauptmann hörte ihm nicht mehr zu. Auf sein Kommando feuerten die Soldaten ihre Gewehre auf Hulziwuk ab. Doch die Kugeln zwickten den Teddy lediglich und konnten sein dichtes Fell nicht durchdringen. Gereizt holte der sonst so friedliche Hulziwuk nun zum Gegenschlag aus. Mit seinen riesigen Armen hieb er auf das Dach des Bahnhofs ein. Flo war entsetzt! Er rannte auf den riesigen Bären zu und rief: »Aus, Hulziwuk! Das darfst du nicht! Du bist doch mein Teddybär!«

Der Bär hielt einen Moment inne und sah Flo an.

»Flieg dahin zurück, wo du hingehörst!«

Der Bär klimperte mit den Augen, dann hob er langsam ab und verschwand mit einem »Brommm« in der intergalaktischen Unendlichkeit.

Als die Leute aus ihrer Schockstarre erwachten, verbeugten sie sich voller Ehrfurcht vor Flo. Der Hauptmann kam mit gesenktem Kopf zu ihm herüber und brüllte: »Junger Mann, im Namen des obersten Minimalgeneralissimo Admiral Piepenbrink spreche ich meinen Dank für diese Heldentat aus und befördere Sie hiermit zum Ehrenadmiral auf Lebenszeit.«

Unter dem Applaus der Menge begleitete ihn eine Ehrenformation auf dem Weg zurück zum Chevi. Und wieder störte sich niemand daran, dass er einfach im Kofferraum verschwand.

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