Recht im E-Commerce und Internet

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2. Geschäftsmodelle

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Durch die technische Entwicklung des Internet und seine Verbreitung haben sich unzählige neue Geschäftsmodelle entwickelt, die mehr oder weniger das Internet und die darin enthaltenen Dienste als Kommunikationsplattform zur Information, zum Vertragsschluss und unmittelbar zu Leistungsabwicklung (Vertragserfüllung) nutzen.

a) Werbung im Internet (One-to-One-Marketing)

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Das Internet wird in vielfältiger Weise zur Kundenansprache genutzt. Neben der Werbung per E-Mail oder Messenger werden insbesondere soziale Netzwerke und Websites als Werbeträger genutzt. Die Werbung im Netz weist dabei verschiedene Besonderheiten im Vergleich zu anderen Werbeträgern auf, die u.U. zu juristischen Problemen führen können (z.B. Keyword Advertising):

 – Die Werbung im Netz erfolgt weltweit. Ein Unternehmen kann so Kunden in vielen Ländern der Welt erreichen.

 – Die Unternehmenskommunikation im Netz kann multimedial erfolgen. Neben dem reinen Text können in der Werbung auch Bild, Ton oder Video enthalten sein.

 – Das Marketing kann individuell auf den Kunden zugeschnitten werden, z.B. dadurch, dass per Website Daten abgefragt werden oder aber, dass ohne Kenntnis des Kunden sein Verhalten auf der Website analysiert und für individualisierte Kundenansprache genutzt wird (One-to-One-Marketing).22

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Auf dieser ersten Stufe werden die Onlinedienste nur zur Werbung genutzt. Die weiteren Schritte (Vertragsschluss, Abwicklung) erfolgen auf herkömmlichem Wege. Anbieter beschränken sich auf derartige Werbung, wenn es um höchstpersönliche Leistungen mit individuellem Charakter geht oder Ziel der Werbung der Präsenzhandel vor Ort ist. Die Grenzen verschwimmen hier allerdings zusehends: Während etwa Leistungen von Rechtsanwälten und Handwerkern traditionell online nur beworben wurden, ist die unmittelbare digitale Beauftragung auf dem Weg zum Standard, wenn es um „Leistungen von der Stange“ oder niederschwellige Angebote geht, etwa die Durchsetzung von Fluggastrechten. Bei hochpreisigen Produkten, etwa einer Luxusuhr oder einem individuell konfigurierten Pkw, finden Vertragsschluss und Abwicklung häufig noch im realen Raum statt, auch hier ist jedoch eine Tendenz zumindest zum elektronischen Vertragsschluss deutlich erkennbar.

b) Elektronischer Vertragsschluss und herkömmliche Auslieferung

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Bei dieser Variante der Nutzung des Internet erfolgt die Leistungspräsentation per Website, im sozialen Netzwerk oder mittels einer App auf einem smarten Device (Smartphone, Tablet, Watch). Gleichzeitig bietet der Anbieter dem Kunden die Möglichkeit, unmittelbar aus der digitalen Präsentation heraus das Produkt oder die Dienstleistung seiner Wahl zu bestellen. Nach Eingabe der erforderlichen Daten schickt der Kunde die Bestellung ab. Die Bezahlung erfolgt über Kreditkarte, SEPA-Lastschrift oder einen speziellen Online-Zahlungsservice. Waren werden dann über einen Versandservice (Logistikunternehmen wie DHL, DPD, GLS, UPS oder Hermes) geliefert, Dienstleistungen nach Absprache erbracht.

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Typische Leistungsinhalte sind dabei materielle Waren wie Bücher, Hardware (Computer, Tablets, Smartphones), Software (soweit noch auf Datenträger bereitgestellt) oder Kleidung, zunehmend aber etwa auch Lebensmittel. Dienstleistungen werden vornehmlich dort angeboten, wo diese standardisiert erbracht werden können, z.B. das Aufziehen der neuen Reifen auf einen Pkw nach der Onlinebestellung der Reifen durch den ausliefernden Händler.

c) Vollständig elektronischer Vertrieb

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Beim vollständig elektronischen Vertrieb wird die gesamte Leistungsbeziehung vom Anbieter via Internet abgewickelt. Die Ware/Dienstleistung wird online präsentiert, der Vertragsschluss erfolgt online, und auch die Leistungserbringung, soweit sie die Lieferung der Ware/Dienstleistung betrifft, erfolgt per Internet. Schwerpunkte sind dabei immaterielle Waren und Dienstleistungen, da nur diese sich auch digital abbilden lassen. Typische Leistungsinhalte sind daher Datenbanken, z.B. juristische Datenbanken zur Urteilsrecherche, Software-Downloads, bei denen die Software mittels Internet auf den Kundenrechner überspielt wird, und die Erbringung von Cloud Services. Aber auch Dienstleistungen, die in das Umfeld der Software gehören, sind hier einzuordnen, so etwa Hotlines und die standardisierte Geltendmachung von Rechtsansprüchen (Erstattungsansprüche bei Verspätungen beispielsweise). Die elektronische Rechtsberatung fällt ebenfalls in diese Kategorie.23 Auch hier wird die Ware „Information“ elektronisch, zumeist per E-Mail oder über eine Onlineplattform, übertragen.

d) Neue Geschäftsmodelle

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Neben diesen drei Konzepten beim Einsatz des Internet im Rahmen der Werbung, der Vertragsanbahnung und ggf. der Vertragsabwicklung gibt es auch Geschäftsmodelle, welche die neuen Kommunikationsmöglichkeiten des Internet dazu nutzen, neue Konzepte zu verwirklichen. Zu nennen wären dabei zunächst Internetversteigerungen. Bei der Internetversteigerung handelt es sich nicht um eine Versteigerung i.S.d. § 156 BGB, bei der herkömmlich abgegebene Gebote auf einer Versteigerung nur durch eine elektronische Kommunikation ersetzt werden. Vielmehr erfolgt die Warenpräsentation auf einer Website, und nach Ablauf einer festgesetzten Angebotsdauer wird der Höchstbietende zum Erwerber der angebotenen Ware. Es handelt sich demnach um einen Kauf gegen Höchstgebot. Dabei wird das Prinzip der Auktion meist im Rahmen einer unternehmensübergreifenden Handelsplattform verwendet.24 Dieses ist die elektronische Abbildung eines Marktplatzes, auf dem Unternehmen Einkauf und Vertrieb abwickeln können (Einkaufsportale). Neben Auktionsmodulen werden auch weitere Dienstleistungen angeboten, z.B. Unterstützung bei der Warenlogistik.

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Auch andere Modelle haben sich etabliert: So z.B. die wegen der damit häufig einhergehenden Urheberrechtsverletzungen umstrittenen Tauschbörsen, auf denen beispielsweise Musikwerke getauscht werden können, oder aber auch das Application-Service-Providing (ASP) und das sog. Software as a Service (SaaS), bei dem nur die Softwarenutzung per Internet Vertragsgegenstand ist.

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Last not least sind noch die neuen Geschäftsmodelle des „Web 2.0“ zu erwähnen. Hinter dem Schlagwort des „Web 2.0“ verbergen sich unterschiedliche Geschäftsideen, deren Gemeinsamkeit in der Einbeziehung von Inhalten durch die Nutzer gesehen werden kann. Zu nennen sind hier insbesondere Plattformen wie z.B. YouTube oder aber soziale Netzwerke wie Facebook, Instagram und TikTok, bei denen die Diensteanbieter den Nutzern die Möglichkeit eröffnen, die Inhalte der Plattform im Rahmen des vom Anbieter verfolgten Zwecks mitzugestalten. Hier treten regelmäßig haftungsrechtliche Fragen, aber auch marken- und urheberrechtliche Problemstellungen auf.25

Fragen und Aufgaben

 1. Gibt es ein „Internet-Gesetzbuch“?

 2. Welche unterschiedlichen Gesetzesquellen bestehen? Nennen Sie jeweils ein Beispiel.

 3. Zwischen welchen drei Ebenen kann man in technischer Hinsicht differenzieren?

 4. Nennen Sie bitte einzelne Gesetze, die einen Bezug zum Internet aufweisen, und geben Sie jeweils ein Beispiel.

 5. Wo liegen die ökonomischen Vorteile des Internet?

 6. Was versteht man unter One-to-One-Marketing?

15 Grundlegend Seiler, Verbraucherschutz auf elektronischen Märkten, 2006. 16 Alternativ wird auch der Begriff Informations- und Kommunikationstechnik genutzt (abgekürzt „ITK“ oder „IuK“). 17 Vgl. Zerdick u.a., Internet-Ökonomie, 2001, S. 149ff. 18 Vgl. Beck/Prinz, Ökonomie, 1999, S. 50. 19 Ausführlich Zerdick u.a., Internet-Ökonomie, 2001, S. 157ff. 20 Vgl. Zerdick u.a., Internet-Ökonomie, 2001, S. 191ff. 21 Ausführlich dazu Golland, CR 2020, 186ff.; Künstner/Franz, K&R 2017, 688f. 22 Ausführlich dazu Kap. 7 und 8. 23 AG Hildesheim, Urt. v. 8.8.2014 – 84 C 9/14 m. Anm. Ernst, jurisPR-ITR 1/2015 Anm. 6; AG Offenbach, Urt. v. 9.10.2013 – 380 C 45/13 m. Anm. Spoenle, jurisPR-ITR 25/2013 Anm. 4; siehe auch Ernst, NJW 2014, 817, und zur Anwaltshotline auch Wendehorst, in: MüKo-BGB, 2019, § 312c Rn. 19. 24 Ausführlich zu Internet-Versteigerungen Kap. 2, Rn. 59ff.; dazu auch Kremer, in: Heidel/Hüßtege/Mansel/Noack, BGB, 2021, Anhang zu § 156 Rn. 1ff. 25 Zu Plattformen und den damit einhergehenden Haftungsfragen ausführlich Kap. 9.

Kapitel 2
Vertragsanbahnung und Vertragsschluss im Internet

Übersicht


Rn.
I. Vertragsanbahnung1
1. Elektronische Willenserklärungen und Computererklärungen3
a) Elektronische Willenserklärung4
b) Computererklärung5
c) Mausklick oder Fingertipp als Erklärungshandlung8
2. Formbedürftigkeit11
3. Arten der Vertragsanbahnungen14
II. Vertragsschluss im Internet18
1. Website oder App als Antrag oder invitatio ad offerendum19
a) Grundregel: Websites oder Apps als invitatio ad offerendum20
b) Ausnahme: Website oder App als Antrag24
c) Sonderfall: Internet-Versteigerungen26
2. Zugang des Antrags29
a) Zugang elektronischer Willenserklärungen unter Abwesenden oder Anwesenden30
b) Machtbereich des Empfängers und Möglichkeit zur Kenntnisnahme33
3. Annahme des Antrags35
4. Bestätigung des Zugangs37
III. Vertragsschluss per E-Mail39
1. Vertragsschluss per Massen-E-Mail oder individueller E-Mail40
2. Vertragsrechtliche Besonderheit: keine Bestellbestätigung42
IV. Vertragsschluss über Smart Devices, Apps und über App Stores43
1. Begriffsbestimmung App, Smart Device und App Store43
2. Technische Grundlagen von Apps und App Stores45
3. Anwendbares Recht beim Bezug von Apps46
4. Vertragsschluss bei der Vermarktung von Apps50
a) Apps von App Store-Betreibern50
b) Lizenz- oder Nutzungsvertrag zwischen Anbieter und Anwender56
V. Vertragsschluss bei Internet-Versteigerungen und Glücksspiel.59
1. Klassische Versteigerung gemäß § 156 BGB60
2. Formen von Internet-Versteigerungen61
3. Gewerberechtliche Zulässigkeit von Internet-Versteigerungen63
4. Wirksamkeit des Vertragsschlusses bei Internet-Versteigerungen68
a) Willenserklärung des Anbieters71
b) Willenserklärung des Käufers79
5. Löschung und Rücknahme von Angeboten und Geboten, Unwirksamkeit, Anfechtung82
6. Pflichten im elektronischen Geschäftsverkehr88
7. Preisangabenverordnung91
8. Der Sonderfall: Rückwärtsversteigerungen92
9. Der Sonderfall: Bietagenten94
10. Haftung bei Internet-Versteigerungen96
11. Glücksspiel98
VI. Anfechtung des Vertrages107
1. Irrtümer des Bestellers oder des Anbieters109
2. Fehler bei der Datenübertragung111
3. Computerfehler113
4. Rechtsfolgen115
5. Anfechtung bei Fernabsatzverträgen117
VII. Haftung für Handeln Dritter bei Missbrauch von Zugangsdaten122
1. Anscheinsvollmacht124
2. Voraussetzungen für eine Zurechnung127
3. Abgrenzung zur Halzband-Entscheidung128
4. Folgen für das Online-Banking129

I. Vertragsanbahnung

1

 

Der Vertragsschluss über das Internet, gleich ob per E-Mail, Website oder über Apps auf mobilen Endgeräten, insbesondere „Smart Devices“ wie Smartphones und Tablets, ist Alltag und wesentlicher Wirtschaftsfaktor weltweit. Dabei handelt es sich um Geschäfte von Unternehmern mit Verbrauchern (sog. Businessto-Consumer, kurz: B2C) sowie um Geschäfte zwischen Unternehmern (sog. Business-to-Business, kurz: B2B). Ein Sonderfall des B2B sind Geschäfte über die Nutzung von Plattformen zwischen deren Anbietern und den auf der Plattform agierenden Unternehmern (sog. Plattform-to-Business).1

2

Vertragsanbahnung und Vertragsschluss müssen daher im Hinblick auf die Nutzung von Fernkommunikationsmitteln i.S.d. § 312c Abs. 2 BGB auf ihre rechtlichen Besonderheiten sowohl im Bereich B2C als auch im Bereich B2B hin analysiert werden. Dies gilt ebenso für Sonderformen des Absatzes von Waren, Dienstleistungen und digitalen Inhalten, insbesondere über sog. Online-Auktionen oder Internet-Versteigerungen.

1. Elektronische Willenserklärungen und Computererklärungen

3

Besonderheiten ergeben sich bereits daraus, dass es sich bei Willenserklärungen im E-Commerce um elektronische Willenserklärungen handelt.

a) Elektronische Willenserklärung

4

Elektronische Willenserklärungen sind von einem Menschen über IT (Informationstechnologie) und Kommunikationsmittel (z.B. Internet) abgegebene oder übermittelte Erklärungen, die sich der Abgebende zurechnen lassen muss, wenn die Voraussetzungen einer wirksamen Willenserklärung gegeben sind.2 Diese Voraussetzungen sind subjektiv aus Sicht für den Erklärenden der Handlungswille (Gegensatz: Reflexe), das Erklärungsbewusstsein (Bewusstsein, eine rechtsgeschäftliche Erklärung abzugeben) und der Geschäftsbindungswille (die Absicht, einen bestimmten Erfolg herbeizuführen), während objektiv nach außen ein Rechtsbindungswille des Erklärenden sichtbar werden muss.

b) Computererklärung

5

Von der elektronischen Willenserklärung ist die automatisierte Willenserklärung als sog. Computererklärung abzugrenzen. Unter einer solchen automatisierten Willenserklärung versteht man eine Erklärung, die zum Zeitpunkt ihrer Herstellung und Abgabe keines aktiven menschlichen Handelns mehr bedarf.

In diesen Fällen wird eine Software eingesetzt, die beim Eintritt eines bestimmten Ereignisses die Abgabe der Erklärung bewirkt. Bei der Computererklärung handelt es sich dennoch um eine Willenserklärung im Rechtssinn, weil die Programmierung der Software und die Bestimmung ihrer Funktionen auf einem menschlichen Willen beruht.3

6

Dazu zählt allerdings nicht die automatisierte Zugangsbestätigung nach § 312i Abs. 1 Nr. 3 BGB. Demgemäß ist der Unternehmer als Empfänger eines Angebots auf Abschluss eines Vertrages via Telemedien verpflichtet, dem Kunden den Zugang seines Angebots zu bestätigen. Es handelt sich um ein standardisiertes Verfahren, wofür regelmäßig Automatismen geschaffen werden. Da es sich jedoch um eine gesetzliche Pflicht handelt, kann in die Bestätigung der Gehalt einer Willenserklärung in Form der Annahme des Angebots nicht hineingelesen werden. Es liegt eine Wissenserklärung, aber keine Willenserklärung vor, da es erkennbar am Rechtsbindungswillen fehlt.

 

7

Nicht geklärt ist bislang, wie von einer künstlichen Intelligenz (auch artifizielle Intelligenz, AI oder KI)4 abgekoppelt von jedem menschlichen Handeln abgegebene Erklärungen einzuordnen sind. Dort entscheidet ein Algorithmus oder ein künstliches neuronales Netz aufgrund eigener Lernerfahrungen (mittels Machine Learning oder Deep Learning) über Inhalt und Zeitpunkt einer Erklärung, ohne dass dies noch auf einen menschlichen Willen zurückgeführt werden könnte. Mit der Willenserklärungslehre ist dies nicht in Einklang zu bringen, sodass für derartige Erklärungen allenfalls eine deliktische Verantwortlichkeit des jeweiligen Anwenders in Betracht kommt, aber keine Rechtsgeschäfte begründet werden.5

c) Mausklick oder Fingertipp als Erklärungshandlung

8

Eine rechtliche Besonderheit der elektronischen Willenserklärungen besteht darin, dass sie zuweilen nur in einem schwachen Bezug zum Äußernden stehen. Oft bestehen die Erklärungen „nur“ aus einem Mausklick oder einem Fingertipp auf einem Touchscreen, sodass die Zuordnung der Erklärung zum Erklärenden nicht immer ohne Weiteres erfolgen kann. Dabei ist zu beachten, dass jeder Nutzer mit einer Vielzahl von Mausklicks oder Fingertipps durch Websites oder Anwendungen auf einem Smart Device navigiert; nur in einzelnen Fällen handelt es sich hierbei aber um rechtserhebliche Erklärungen.

9

Probleme können sich dabei daraus ergeben, dass im Internet, z.B. aus Unachtsamkeit oder wegen einer verwirrend gestalteten Website, versehentlich eine rechtserhebliche Erklärung abgegeben wird. Allerdings gelten hier dieselben Grundsätze wie in der Offline-Welt: Ob der Internet-Nutzer bei einem Mausklick das Bewusstsein hat, eine rechtserhebliche Erklärung abzugeben, ist nicht relevant, da das Erklärungsbewusstsein keine Voraussetzung für eine wirksame Willenserklärung ist.6 Ausreichend ist, dass die Willenserklärung dem Erklärenden zugerechnet werden kann.7 Zurechenbar ist eine Erklärung aber bereits dann, wenn der Erklärende bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen und vermeiden können, dass seine Erklärung oder sein Verhalten nach Treu und Glauben und mit Rücksicht auf die Verkehrssitte als Willenserklärung aufgefasst werden durfte.8

10

Klickt oder tippt ein Internet-Nutzer versehentlich einen Button, welcher einen rechtlich relevanten Vorgang wie eine Bestellung oder den Abschluss eines Nutzungsvertrags mit dem Betreiber einer Internet-Plattform auslöst, gilt demnach Folgendes: Hätte ein Internet-Nutzer durch die Gestaltung der Website erkennen können, dass er eine rechtserhebliche Handlung vollzieht, so ist diese ihm zurechenbar und stellt rechtlich eine ihn bindende Willenserklärung dar. Ist dies nicht der Fall, so liegt keine zurechenbare Willenserklärung vor.9

2. Formbedürftigkeit

11

Wenn nach den gesetzlichen Regeln für eine Willenserklärung keine bestimmte Form einzuhalten ist, so kann diese unproblematisch auch als elektronische Willenserklärung abgegeben werden.

12

Dort, wo gesetzlich eine bestimmte Form vorgeschrieben ist, wurden die gesetzlichen Regelungen mit dem Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften an die Erfordernisse des elektronischen Geschäftsverkehrs angepasst. So ist z.B. in § 126 Abs. 3 BGB bestimmt, dass grundsätzlich die gesetzliche Schriftform durch die elektronische Form gemäß § 126a BGB ersetzt werden kann.10 Gleichwohl ist für jeden Einzelfall zu prüfen, ob eine gesetzliche Form bei elektronischen Willenserklärungen durch ein elektronisches Pendant ersetzt werden darf. Der Ausschluss der Ersetzung ergibt sich entweder aus der jeweiligen Formvorschrift selbst oder aus dem Zweck- und Sachzusammenhang der Norm.11 So ist beispielsweise die schriftlich zu erklärende Kündigung eines Arbeitsverhältnisses in elektronischer Form wegen § 623 BGB unzulässig.12

13

Soweit Allgemeine Geschäftsbedingungen vertragliche oder sog. gewillkürte Schriftformerfordernisse i.S.d. § 127 BGB vorsehen,13 hat der BGH für elektronisch durchgeführte oder abgewickelte Vertragsverhältnisse entschieden, dass in diesen Fällen die Anordnung einer strengen Schriftform mit Papier und Unterschrift i.S.d. § 126 Abs. 1 BGB für Kündigungen von Verbrauchern unzulässig ist, weil hierdurch der Verbraucher gehindert wird, sich ebenso einfach von einem Internetvertrag zu lösen, wie er zuvor den Internetvertrag abgeschlossen hat.14

3. Arten der Vertragsanbahnungen

14

Die Vertragsanbahnung im Internet und E-Commerce erfolgt üblicherweise über Onlineshops.

15

Bei einem Onlineshop gestaltet jemand, der Waren, Dienste oder digitale Inhalte im Internet anbieten möchte, eine Website oder App so, dass seine Leistungen beschrieben werden und deren Bestellung ermöglicht wird. Um den Bestellvorgang zu automatisieren, wird meist ein virtueller Warenkorb integriert, in den der Besteller alle Waren, die er erwerben möchte, per Mausklick oder Fingertipp übernehmen kann. Hat er alle Waren ausgewählt, so muss er seine persönlichen Angaben (Name, Adresse, ggf. Kundennummer, Zahlungsform usw.) über eine Bildschirmmaske eingeben und per Mausklick oder Fingertipp die nunmehr vollständige Bestellung an den Anbieter abschicken.

16

Derartige Onlineshops werden zunehmend in soziale Netzwerke oder Informationsangebote im Internet integriert, z.B. in Themenportale. Solche Themenportale können von Anbietern oder Herstellern zur Kundenansprache mit dem Ziel vertrieblicher Abschlüsse betrieben werden, ebenso aber auch von selbstständigen Dritten, welche dort die themenbezogenen Informationen mit Erwerbsmöglichkeiten für passende Produkte oder Leistungen verknüpfen. Dabei kann der Vertragsschluss dadurch erleichtert werden, dass der Verbraucher keinen eigenen Account unter Eingabe persönlicher Daten mehr anlegen muss, sondern seine Daten aus einem Nutzerzugang etwa bei Amazon, Google, Apple oder PayPal übernehmen kann.

17

Früher gab es stattdessen die Anbahnung von Verträgen über E-Mail. Dabei wurden zwei Alternativen genutzt: Zum Teil versendete ein Anbieter eine E-Mail an E-Mail-Adressen aus Adresslisten, also eine Massen-E-Mail, vergleichbar einer entsprechenden Mailing-Aktion über Briefpost, oder aber er bot konkret einem Kunden seine Leistung per individueller E-Mail an. Heute werden E-Mails oder Massenansprachen in sozialen Netzwerken nur noch sehr selten zum individuellen Vertragsabschluss genutzt. Regelmäßig erfolgt von dort der Absprung in einen Onlineshop. Anders lassen sich die stetig wachsenden Anforderungen an den Verbraucherschutz im E-Commerce kaum sicher gewährleisten.15

1 Zur Regulierung der Plattformverträge durch die sog. P2B-Verordnung siehe Kap. 7, Rn. 7. 2 Zusammenfassend Paulus, JuS 2019, 960, 962f. 3 Glossner, in: Leupold/Glossner, MAH IT-Recht, 2013, Teil 2, Rn. 15; Säcker, in: MüKo-BGB, 2018, Einl. BGB AT Rn. 189; Spindler, in: Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, 2019, Vorb. §§ 116 BGB ff. Rn. 6. 4 Ausführlich zu technischen Grundlagen und aktuellen Entwicklungen von KI Pieper, InTeR 2016, 188, 189ff.; InTeR 2018, 9, 11ff.; aus Sicht des Datenschutzes siehe Datenschutzkonferenz (DSK), Positionspapier der DSK zu empfohlenen technischen und organisatorischen Maßnahmen bei der Entwicklung und dem Betrieb von KI-Systemen v. 6.11.2019, https://www.datenschutzkonferenz-online.de/media/en/20191106_positionspapier_kuenstliche_intelligenz.pdf. 5 Zum Diskussionsstand etwa Borges, NJW 2018, 977; Denga, CR 2018, 69. 6 Mit Beispielen Glossner, in: Leupold/Glossner, MAH IT-Recht, 2013, Teil 2, Rn. 20ff. 7 Vgl. BGH, Urt. v. 7.6.1984 – IX ZR 66/83; Kitz, in: Hoeren/Sieber/Holznagel, Multimedia-Recht, 2021, Kap. 13.1, Rn. 63ff. 8 Teilweise wird mit Blick auf die Vertragsautonomie aus Art. 2 I GG der Vertragsschluss durch nicht (erklärungs-)willensgetragenes, fahrlässiges Verhalten konzeptionell abgelehnt; einen Überblick dazu bietet Armbrüster, in: MüKo-BGB, 2018, § 119 Rn. 97. 9 Zu den Besonderheiten im elektronischen Geschäftsverkehr gemäß § 312j BGB Kap. 5 Rn. 188ff. 10 Zu Formvorschriften ausführlich Kap. 4. 11 Noack/Kremer, in: Heidel/Hüßtege/Mansel/Noack, BGB, 2016, § 126 Rn. 52. 12 Weitere ausdrückliche Ausschlüsse der Ersetzung finden sich in §§ 623 Hs. 2, 630 S. 3 (ggf. i.V.m. § 109 Abs. 3 GewO), 761 S. 2, 766 S. 2, 780 S. 2, 781 S. 2 BGB. 13 Zur Zulässigkeit der gewillkürten Schriftform und deren Anforderungen vgl. Noack/Kremer, in: Heidel/Hüßtege/Mansel/Noack, BGB, 2016, § 127 Rn. 1ff. 14 BGH, Urt. v. 14.7.2016 – III ZR 387/15, K&R 2016, 596f. m. Anm. Kremer/Garsztecki, jurisPR-ITR 20/2016 Anm. 5. 15 Ausführlich dazu Kap. 5 und Kap. 6.

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