Noch mehr Fußball!

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Beckenbauers Berufung

Ab und an fragt man sich schon, wieso die Menschen heutzutage praktisch sämtliche Angelegenheiten des gewöhnlichen Lebens mit Leidenschaft abwickeln müssen. Ohne Leidenschaft geht offenbar nichts mehr. Es gibt, wie ein flüchtiger Blick ins Leitmedium Internet verrät, die »Leidenschaft für Sekt«, die »Leidenschaft für die Freiheit«, die »Leidenschaft für Qualität«, die »Leidenschaft für das Mittelmaß«, die »Leidenschaft für Gott«, die »Leidenschaft für Flammen«, die »Leidenschaft für Architektur«, die »Leidenschaft für Außenpolitik« und weitere achthundertvierundsiebzigtausend Leidenschaften. Nicht zu vergessen, daß die Deutsche Bank laut ihrem Werbeslogan »Leistung mit Leidenschaft« abliefert.

Bloß, was soll man sich eigentlich beispielsweise darunter vorstellen, Sekt mit Leidenschaft, mit Schwung und Elan zu trinken? Reicht es nicht, ihn einfach in sich hineinzuschütten? Muß ein solch banaler Akt Passionen wecken, mit etwaigem Sinn aufgeladen werden, an sportive Dynamik gemahnen?

Menschen, die Dinge leidenschaftlich verrichten, neigen oft zur Verblendung, bisweilen wähnen sie sich sogar erleuchtet. Oder sie attestieren in ihrem autoritären Bedürfnis nach leidenschaftlicher Bindung und Führung medial aufpolierten Witzfiguren, über die Fähigkeiten von sogenannten Lichtgestalten zu verfügen, die jene in die Lage versetzen, die Geschicke des Lebens positiv zu beeinflussen.

Ob sich des Deutschen Lieblingslichtgestalt, Franz Beckenbauer, als Auserwählter fühlt, weiß man nicht. Seine von ihm selbst hartnäckig beförderte Dauerpräsenz im öffentlichen, im medial deformierten Leben allerdings läßt vermuten, daß er an die auratische Größe, die ihm die Medien seit Jahrzehnten nimmermüd’ andichten, tatsächlich glaubt.

Franz Beckenbauer »leuchtet und wacht über den deutschen Fußball«, hat ein wahnsinniger Redakteur des Bayerischen Rundfunks mal psalmodiert, und jetzt hat man auch jenseits der Grenzen des dreifachen Fußballweltmeisters beschlossen, den Verstand endgültig in den Wind zu schießen und den Turbogolfer und Neusalzburger Franz Beckenbauer im Rahmen irgendeiner kreuzüberflüssigen »Golf- und Tennis-Mannschafts-Trophy« am Wolfgangsee zum sage und schreie »Botschafter der Leidenschaft« für die EM 2008 zu ernennen.

»Botschafter der Leidenschaft« – der hatte unserer leidenschaftstrunkenen, depperten Zeit noch gefehlt. Beckenbauer solle »mithelfen«, ist aus dem erlauchterleuchteten Österreich zu hören, »das Bewußtsein für die Fußball-EURO 2008 zu stärken«. Das Bewußtsein für eine EM stärken? Warum? Und wie? »Liebe Freunde des Fußballs, denken Sie jeden Tag ganz bewußt daran, daß nächstes Jahr in Österreich und der Schweiz eine Fußballeuropameisterschaft stattfinden wird« – wird es so oder so ähnlich in Bälde täglich aus des Beckenbauers gebenedeiten Munde strömen, und wir alle werden nicken und in uns gehen und uns sagen: »Ja, er hat recht, nächstes Jahr findet in Österreich und der Schweiz eine Fußball-EM statt, das muß ich mir jeden Tag aufs neue bewußtmachen«?

Der hehre Herr Beckenbauer hat die sagenhafte Ernennung zum »Botschafter der Leidenschaft« mit den Worten angenommen: »Die EURO 2008 ist eine einmalige Chance für Österreich, da braucht es Leidenschaft und Mut.« Äh – Mut? Den Mut, die EURO 2008 in neun Monaten dann auch durchzustehen und zu ertragen, mit einem unablässig auf allen Kanälen passioniert herumfranzelnden Heroenexperten und -botschafter, der einst als Trainer den unantastbaren Satz emittierte: »Das, was ich sage, ist richtig«?

Nicht eines Funken Mutes jedenfalls bedarf es, um schon heute leidenschaftslos zu konstatieren: Der Botschafter der Leidenschaft Franz Beckenbauer ist ein Botschafter, der Leiden schafft.

Kein Davonkommen mehr

Wie bitte? Eine Akademie für – Fußballkultur?

Eine Bekannte aus Frankreich staunt nicht schlecht, als sie von der Existenz der im Oktober 2004 in Nürnberg gegründeten Deutschen Akademie für Fußball-Kultur hört. Bei ihr zu Hause in Frankreich, sagt sie, unterhalte man Akademien für alles mögliche, was im engeren Sinne mit Kultur in Verbindung zu bringen sei, aber eine Akademie für – Fußballkultur? In Frankreich undenkbar, sagt sie.

In Deutschland indes, und daran ist die WM im vergangenen Jahr nicht schuldlos, besteht offensichtlich ein unvermindert wachsendes Bedürfnis, die Leitsportart Fußball durch allerlei kulturbetriebliche Aktivitäten medial zu veredeln. An die Spitze dieses nicht abreißenden Trends gesetzt hat sich, indem sie ihn zugleich quasi institutionalisiert, die von der Stadt Nürnberg in Kooperation mit dem Hochkulturblatt kicker und einer Bank getragene Akademie. Ihr Ziel ist, wie es heißt, als »neues Kompetenzzentrum« »eine zentrale Anspielstation auf dem Feld der Fußball-Kultur im ganzen Land« zu werden.

Der Begriff der Fußballkultur allerdings dünkt einem zumindest zweifelhaft, zwingt er doch zwei Dinge zusammen, die im landläufigen Verständnis wenig miteinander zu tun haben – Fußball und Kultur. Aber Akademiemitglied Stefan Erhardt, Redakteur des 1995 aus der Taufe gehobenen Fußballmagazins Der tödliche Paß, das in Kürze zum fünfzigsten Mal erscheint und sich seit der ersten Ausgabe kontinuierlich mit kulturellen Konnotationen des Fußballs beschäftigt, entkräftet solche Bedenken:

»Na, ich denke, die Begriffe ›Fußball‹ und ›Kultur‹ können schon zusammenkommen, wenn man das will und wenn man jetzt nicht künstlich versucht, da Beziehungen herzustellen, die per se dem Fußball nicht inhärent sind. Daß Fußball in Kulturen verankert ist, ist ja schon mal entwicklungsgeschichtlich etwas, was die letzten gut zweihundert Jahre auch zurückverfolgt werden kann. Was den Fußball auch mit der Kultur verbindet, jetzt im allgemeinsten Sinne, ist natürlich seine Organisation – Ligabetriebe, Wirtschaftsunternehmen, Spielerverträge, das ist so das, was die wirtschaftskulturelle Seite ausmacht –, und auf der anderen Seite aber ist es ein Bestandteil, ja, ich möcht’ schon fast sagen: der Folklore, jetzt im guten Sinne, also etwas, was das gemeine Volk zwangsläufig immer berührt, weil’s eine Sportart ist, die sich weltweit so verbreitet hat, daß eigentlich niemand mehr, sagen wir mal mit Ausnahme der USA, davonkommen kann.«

Es gibt kein Entrinnen mehr vor dem Fußball, vor dem, wie in der Selbstdarstellung der Deutschen Akademie für Fußball-Kultur betont wird, »populärsten Kult unserer Zeit«. Dem Kult – einer ritualisierten, blind beglaubigten Handlungsausprägung von Kultur – zu huldigen, ist jedoch keineswegs das Ansinnen der Akademie, in deren Beirat hochwürdige Körperschaften wie das Goethe-Institut, das Adolf-Grimme-Institut und der Bayerische Rundfunk vertreten sind. Man wolle die Manifestationen der Fußballkultur »in ihrer gesellschaftspolitischen Dimension« betrachten, unterstrich Akademie-Projektleiter Günter Joschko kürzlich auf dem Akademietreffen »Perspektiven 2008«, das im Anschluß an die Gala zur Verleihung des Deutschen Fußball-Kulturpreises stattfand, und Stefan Erhardt präzisiert, auf welchen Feldern die fußballkulturelle Reflexion unter dem Dach der Akademie vorangetrieben werden könnte:

»Ich glaube, die Akademie sollte sich nicht erschöpfen darin, jedes Jahr Preise zu vergeben und eine, ja, wie auch immer, gute oder schlechte Gala zu organisieren, sondern versuchen, Menschen zu ermöglichen, über Fußball nachzudenken, über Fußball zu forschen meinetwegen auch, oder eine Plattform sein, um über Fußball reden zu können, sich austauschen zu können – jenseits von den Stätten, wo Fußball sowieso schon stattfindet, also eben außerhalb des Stadions, außerhalb der Fußballkneipen. Und da sollte die Akademie auch wesentlich größere Unterstützung bekommen. Es muß jetzt nicht sein, daß man jetzt unbedingt das angestrebte Fußballmuseum hier in Nürnberg verwirklicht, das halte ich gar nicht mal für so wichtig. Museal gibt’s da ohnehin schon zu viele Dinge, die den Fußball einfach nur in eine Tradition stellen wollen. Aber Fußball ist eine sehr lebendige Angelegenheit, die sich auch tagtäglich weiterentwickelt. Und was die Akademie da leisten könnte, wäre eben wirklich, ja, ein Haus zu bieten, wo die unterschiedlichsten Veranstaltungen dann auch stattfinden könnten. Das kann bildende Kunst sein, das können tatsächlich Symposien sein, das kann aber auch ein Zentrum sein, wo man tatsächlich Forschung betreiben kann. Also, ich könnte mir zum Beispiel sehr gut vorstellen – etwas, was es in Deutschland meines Wissens noch nicht gibt –, daß man versucht, ein Archiv aller möglichen und unmöglichen Fußballzeitschriften – Magazine, Zeitungen – mal zusammenzustellen, so vollständig, wie das eben auch möglich sein kann. Oder ein anderer großer Bereich, der auch noch sehr lohnenswert wäre, da etwas hineinzuforschen, wäre Fußball so im Kinder- und Jugendbereich – also ganz konkret auch bei Kinderbüchern, Jugendbüchern, Bilderbüchern über die Jahre, Jahrzehnte, Jahrhunderte hinweg.«

Die Akademie hatte vor drei Jahren begonnen, durch Podiumsdiskussionen zwischen Otto Schily und Edmund Stoiber, Paul Breitner und Urban Priol oder Jürgen Klinsmann und Klaus Theweleit öffentliche Aufmerksamkeit zu mobilisieren. Mittlerweile habe sich, führt Günter Joschko aus, neben regelmäßigen Veranstaltungen aller Art die Website www.fussballkultur.org zum »Internetportal zu Fußball und Kultur schlechthin« gemausert, dessen Bedeutung sich etwa an den zahlreichen Linklisten sowie an den »Themen des Monats« ablesen lasse, seien dies Debattenbeiträge über die wuchernde Kommerzialisierung, den Rassismus auf den Rängen, die Entwicklung des Frauenfußballs, die zunehmende Zahl von Stadionverweisen – oder sei es auch mal eine Polemik gegen den FC Bayern.

Zentrales Thema der Akademie aber scheint vorerst die Frage zu sein, wie man mit dem Deutschen Fußball-Kulturpreis weiter verfährt, der dieses Jahr zum zweiten Mal ausgelobt worden war und sich als geeignetes Vehikel zur Generierung von Öffentlichkeit erwiesen hat. Unstrittig unter den zur Zeit dreiundsiebzig Akademiemitgliedern ist lediglich, die mit jeweils 5.000 Euro dotierten Sparten »Fußballbuch des Jahres« und »Lernanstoß – der Fußballbildungspreis des Jahres«, mit dem pädagogische Programme an Schulen und in Vereinen prämiert werden, sowie den doppelt so hoch dotierten »Walther-Bensemann-Sonderpreis« beizubehalten. Doch die Verleihung der letzteren Auszeichnung, die Persönlichkeiten des Fußballs ehren soll, die sich »mit Mut und Pioniergeist für mehr gesellschaftliche Verantwortung, Fair play und interkulturelle Verständigung« engagieren, im vergangenen Jahr an ausgerechnet Franz Beckenbauer und heuer an den millionenschweren Altweltstar Alfredo Di Stéfano rief bei etlichen Akademiemitgliedern im nachhinein regelrecht Empörung hervor. Der Sportwissenschaftler Dieter Jütting hätte post festum wohl am liebsten beide Entscheidungen annulliert, und Volker Goll von der Koordinationsstelle Fan-Projekte bei der Deutschen Sportjugend bekannte, während der Zeremonie »nah am Zwischenruf« gewesen zu sein.

 

Was Beckenbauer und Di Stéfano mit der wie auch immer umrissenen Kultur des Fußballs am Hut haben, bleibt ein Rätsel, auch wenn Jochen Hieber von der FAZ dafür plädierte, den »Fußballkulturbegriff« sehr, sehr weit zu fassen und den »Glamour- und Medienfaktor« nicht geringzuschätzen. Ob künftig, wie auf dem Akademietreffen erwogen, Preise für Fußballkurzfilme oder -jugendbücher vergeben werden, wird sich weisen. Daß man, versicherte Günter Joschko, auf keinen Fall »die beste Stadionbratwurst« als Beleg für eine erfreulich ziselierte Fußballbratwurstkultur dekorieren werde, beruhigt immerhin. Doch jenseits der Preisverleiherei bliebe gewissermaßen prinzipiell zu fragen, ob die Deutsche Akademie für Fußball-Kultur – neben der angeregten stärkeren Unterstützung klassisch-akademischer Forschungsprojekte – in den Fußball selbst zurückzuwirken und womöglich Tendenzen zu beeinflussen vermag, die im Sinne der Fußballkultur abträglich erscheinen. Stefan Erhardt ist da eher skeptisch:

»Ich fürchte: im Moment nicht. Dadurch, daß eben der, ja, jetzt gehen wir mal vom Populärfußball aus, sprich also vom Profifußball, daß der stark eingebunden ist und da auf absehbare Zeit auch so schnell nicht mehr rauskommen wird – eingebunden ist in die rein manchesterkapitalistischen Strukturen –, wird’s so sein, daß sich die Vereine eher vom Geld beeinflussen lassen als von einer Akademie. Wo die Akademie wirken könnte, wäre auf längere Sicht vielleicht, einen Gegentrend gegen diese Geldmaschine Fußball zu setzen – und das zu erreichen, was ja viele in England auch mit diesem ›Reclaim the game‹-Slogan vor Jahren schon ins Leben gerufen haben: nämlich ’ne Bewegung zurück zum eigentlichen Spiel, und da ein Bewußtsein zu schaffen.«

Das läßt im begrüßenswert altmodischen Sinne auf mehr Autonomie, auf Kritik und Aufklärung hoffen:

»Das ist ja, denk’ ich auch, meines Wissens und meines Verständnisses nach ’ne Aufgabe von einer Akademie, die ja unabhängig auch sein soll: Kritik im Sinne zu üben nicht, daß man Dinge schlechtmacht, sondern daß man Zusammenhänge aufzeigt, erhellt, daß man Abhängigkeiten verdeutlicht, die Zustände erklärt und dadurch auch versucht zu verbessern. Also, es ist schon ein, wenn man so will, aufklärerischer Anspruch, den ich zumindest mit ›Akademie für Fußballkultur‹ auch verbinde.«

Und der, der aufklärerische Anspruch, könnte sich vielleicht sogar an die Akademie selbst richten. Denn wenn man sieht, daß Ronny Blaschke, der mit seinem Reportagenband Im Schatten des Spiels – Rassismus und Randale im Fußball den Fußballbuchpreis 2007 gewann, einerseits Akademiemitglied ist, andererseits in der Jury für die Auszeichnung »Fangesang des Jahres« sitzt, in welcher zudem das Akademiemitglied Christoph Biermann hockt, der seinerseits den Silberplatz in Sachen Fußballbuch belegte; und daß, zum dritten, der dito untadelige FAZ-Mann Christian Eichler als Akademiemitglied neben anderen für die Nominierung des »Fußballspruchs des Jahres« geradestand und in dieser Funktion eine Sentenz von sich höchstselbst in die Finalrunde befördern mußte – dann möcht’ man sich schon mal drei, vier Sekunden lang die Augen reiben.

Und das sagt notabene jemand, der selber auf dem schmählichen dritten Buchrang gelandet und deshalb natürlich neidisch und zutiefst gekränkt ist.

Was denn noch?

Die Sklaverei wird abgeschafft? Man führt die allgemeinen Menschenrechte ein? Der Homo sapiens erobert den Mond?

Was für schäbige Marginalien im Vergleich zu der Tatsache, daß ab der kommenden Saison ein Mann das Cheftraineramt beim eingebildetsten Fußballklub Mitteleuropas bekleiden wird, der in der Welt des in Virilio-artigem Tempo hysterisierten Hochleistungssports bis dato zumal durch das Tragen ochsenteurer Anzüge, den im Neosprech der neoliberalen Gutsherren propagierten Einsatz von Strampelhosen und Gummibändern sowie die wissenschaftliche Auswertung von Strandspaziergängen auffällig zu werden vermochte. Und, natürlich, durch die von Sönke Wortmann in dem quarkigen Rührstück Deutschland – Ein Sommermärchen dokumentierten Spitzensportsmannparolen etwa dergestalt, man werde sich von den Polen, den alten Kartoffelsäcken, nicht »das Butter« (Edmund Stoiber) vom Brot nehmen lassen – oder so ähnlich.

Jürgen Klinsmann war, das hatte man dem Post-WM-Jahr 2007 hoch angerechnet, nach dem dritten Platz von der Bildfläche weitgehend verschwunden; hatte sich kurzzeitig als arena-Experte wieder blikken und hie und da, in England und in den USA und sonstwo, als Vereins- oder Nationaltrainer ins Spiel bringen lassen – jedoch selber vorbildlich gehandelt insofern, als er sämtliche Offerten abschlägig beschied und uns mit seinem widerwärtig weltverzaubernden Grinsen und seinem daueroptimistischen Automatengeplapper in Frieden ließ.

Aber jetzt – ist er eingetreten, der worst case. Ich muß das aus Sicht eines unverbrüchlichen FC-Bayern-Fans so sagen. Beinahe jeden hätten wir hingenommen, achselzuckend oder neugierig oder vielleicht sogar ein wenig erwartungsfroh: den im Grunde gutmütigen, leider allzuoft falschberatenen und irgendwie auch an seiner eigenen wackeligen Persönlichkeitsstruktur laborierenden Matthäus Lothar; den bisweilen zur Bubenmasche seiner selbst verkommenden Jürgen Klopp; das Monster Mourinho, den Rotzflegel Rijkaard (den eigentlich am allerliebsten), den italienischen Betonmischer Lippi, meinethalben selbst den nachgewiesenermaßen ziemlich unfähigen niederländischen Bondscoach Marco van Basten.

Doch Nachfolger des gentilen Ottmar Hitzfeld wird ausgerechnet Jürgen Klinsmann – jener Ex-Bayern-Profi, der schon von 1995 bis 1997 jedem halbwegs moralisch und geistig gerüsteten FCB-Anhänger mit seinem permanent stolz durch die Gegend getragenen Spießerrevoluzzertum auf den Senkel gegangen war und in seinem affig-egozentrischen Gebaren auf dem Platz jede humane Anmutung vermissen ließ.

Abgesehen davon, daß wir uns doch fragen, wer den neuen Jogi Löw an seiner Seite geben könnte (denn Klinsmann, das vergißt man gerne, ist gar kein Trainer, sondern ein Suppenverkäufer), erschaudern wir bereits jetzt angesichts der neuen Stufe, die die mediale Eskalation in München erklimmen wird. All den läppischen, zum Teil aufs würdeloseste inszenierten Krawall, den Hoeneß und der zerebral offenbar durchgebrutzelte Rummenigge anzetteln werden, sobald Klinsmanns Team »einmal in Folge« (Diego G. Buchwald) verloren haben wird, malen wir uns als Mischung aus Heavy-Metal-Musikantenstadl, Kegelvereinsjahreshauptversammlung, Gemeinderatssitzung in Dachau-Süd und vor allen Kameralinsen der Republik live ausgetragenem Kabinettszickenzoff im Stile Merkel contra Beckibär aus. Und moderieren darf den ganzen Schlamassel Dieter Bohlen.

Ich sitze gerade in Lissabon und lese Fernando Pessoa. »Im heutigen Leben gehört die Welt nur den Narren, den Grobschlächtigen und den Betriebsamen«, schrieb er im Buch der Unruhe. Was soll man denn noch sagen?

Kulturkwatsch oder: Der Straßenkehrer in mir

Nach einem mal wieder zu kühnsten Träumen Anlaß gebenden Sieg der Eintracht gammelten wir zu fünft vor der Gaststätte Kyklamino im Gallusviertel herum und rauchten.

Wir nahmen den Unfug der Raucherbekämpfung und -demütigung vergleichsweise gelassen, denn der Fußball, der laut einer These des Adorno-Schülers und Soziologen Dieter Bott die Herrschaftsunkultur der »Sportifizierung« sämtlicher Alltags- und Lebensbereiche in den vergangenen Jahren am nachdrücklichsten durchgesetzt hat, verkleistert die Sinne und den Verstand. Massenkultur homogenisiert nahezu stets und ist deshalb ein nie stockender Motor der Vernebelung und Formierung des Bewußtseins.

Wir plauderten, ergebnisbedingt zwischenzeitlich versöhnt mit der widrigen Wirklichkeit, über die Auspizien der Adler, da zog Heike ein paar Kärtchen aus der Jacke und verteilte sie. Rote Kärtchen. »Müll macht schlechte Laune«, stand auf der Vorderseite, und auf der Rückseite war zu lesen: »Wer seinen Mitmenschen Schmutz vor die Füße wirft, wird zukünftig zur Kasse gebeten. Da gibt es kein Pardon.«

Ich dachte kurz an die Zeitschrift pardon, aber hier handelte es sich nicht um einen Scherz. »Ausgeleerter Aschenbecher 35 €«, »Essensreste 35 €«, »Einwickelpapier 20 €«, »Zigarettenkippe 20 €«, »Handzettel 20 €« – Frankfurt, daran besteht kein Zweifel mehr, Frankfurt, die ehemalige Stadt der antiautoritären Revolte, mausert sich gerade zum Paradies für habituelle Blockwarte, und über die pestilenzialische Semiotik des Fußballs – die Rote Karte – wird uns diese segensreiche Entwicklung vor Augen geführt.

»Was kostet es, seinen ganz persönlichen Atommüll auf die Frankenallee zu pfeffern?« fragte Stefan. Heike wußte es nicht.

Das ist unsere Zeit, das ist von Frankfurts Tradition einer profunden Skepsis gegenüber den alltags- und politkulturellen Zumutungen geblieben. Der »progressive Alltag« (Chlodwig Poth) wird von sportiven Spießern, von engagierten Müllinspektoren und -sammlern beherrscht, deren Triebenergie sich darauf richtet, den Raum, der den Banken und Konzernen und ihren Handlangern gehört, sauberzuhalten, um den Schein von Zivilität zu wahren. Als zeigte die nicht weggeworfene Bierdose oder die nicht weggeschnippte Zigarettenkippe anderes an als den Triumph der Hörigkeit, des Straßenkehrers in mir.

Wahrscheinlich kriegen wir hier demnächst auch noch eine »Neue Müllkultur« verabreicht. Das wird überdauern von der Kritischen Theorie – via Habermasens »Neue Unübersichtlichkeits«-Diagnose. Sehr schön. Endlich Ordnung. Wie bei der Eintracht.