Anschwellendes Geschwätz

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Das ist symptomatisch. Das ist die gedämpfte braune Soße. Angefangen hat das mit Joachim Fests Hitler-Buch, obwohl das nicht schlecht ist. Es war dennoch eine Zäsur und der Startschuß für die Hitlerei. Diese historischen Medienevents sind Weichmacher. Dagegen sind die Glatzen unverhältnismäßig viel harmloser, wirkungsloser als die Pseudoobjektivierungen und -historisierungen. Das sind die Landserhefte unserer Tage.

Im Zusammenhang mit Kunkel macht die Süddeutsche Zeitung einen »neuen revanchistischen Mainstream« aus.

Da dürfte was dran sein. Und der Mann wollte einen Skandal. Du kannst heute ja nur noch mit Skandalen hohe Verkaufszahlen erreichen.

Und da bot sich die Hitlerei an?

Die paßt gut. Es existiert eine breite rechtsextreme Unterströmung. Wenn du hörst, wie halbwegs gebildete Leute heute argumentieren, dann glaube ich, daß mindestens die Hälfte der Bevölkerung sozusagen heimlich braun kontaminiert ist.

Der zähe, weitverbreitete Revanchismus und Antisemitismus, von dem im Siegfried oftmals die Rede ist ...

Und dieser Kunkel hat als Autor mit Nase ein ideales Thema gesucht. Erstens: Sex sells. Dann, zweitens, bemäntelst du das neu mit diesem Sachsenwaldquark. Das ist Pornographie als Ausdruck übelster reaktionärer Lumpengesinnung. Und man muß ja mal sagen, daß das einfach Scheiße ist, was der zusammengebaut hat.

Rowohlt-Chef Alexander Fest hat Kunkel mit einer feinen, deftigen Polemik rausgeschmissen, ihm »ein verschrobenes Geschichtsbild« attestiert, daß er »ein Rasender« und »völlig ahnungslos« sowie »die Wiedergeburt Parzifals als rechter Schläger« sei.

Gute Argumente, aber auch sehr gebildet. Das schmückt diesen Dreck eher noch – der zudem, wie fast jedes Buch heute, offenbar mehr oder weniger ungelesen und ungeprüft ins Programm gehievt worden war, wie bei Ted Honderich. In den Verlagen sitzen überwiegend Leute, die nicht gelernt haben, sorgfältig zu arbeiten, und statt dessen herumschwafeln. Marketing ist alles. Aus diesen schlichten, kühlen Gründen entstehen dann Skandale. Wer sich für die ernsthaft interessiert, hat ein Rad ab.

Lehrreich war im Fall Honderich, welch antisemitisches, verschwörungsparanoides Zeug z. B. im Leserforum der Frankfurter Rundschau verbreitet wurde, nachdem Suhrkamp das Traktat Nach dem Terror zurückgezogen hatte. Eine zionistische Mafia habe Habermas zum Einknicken gezwungen, die jüdische Zensur zugeschlagen usw. usf. – das trifft sich mit deinen Einschätzungen zum Normalbewußtsein hierzulande.

Red mal mit sog. anständigen Leuten aus dem Bekanntenkreis. Du brauchst bloß anzutippen, schon kommt die ganze braune Soße angeschwommen. Es ist ein Gesamtklima da, vor dem kann man sich nur fürchten. Das merken die Feuilletonisten natürlich als letzte, wenn diese Dumpfköpfe außerhalb ihrer Narrenwelt überhaupt was mitkriegen.

Langbärtigkeit

Was ein lächerlicher Quatsch. Was ein törichtes Gebabbel. Was ein faseliges Gespreize.

Dafür, für das am 23. Juni 2005 in der ZEIT zum Abdruck gekommene »Manifest für einen Relevanten Realismus«, reichte und langte, wie es die Tradition der Manifeste scheinbar unverbrüchlich gebietet, mal wieder kein einzelner Kopf. Nein, gleich Stücker vier Schädel mußten diesmal ran und sein, um einen derart verhaspelten Käse auszuspeien und auszuwalzen.

Vier Schriftsteller haben sich und uns da gefragt: »Was soll der Roman?« Folglich haben sie auch zu viert geantwortet: Martin R. Dean, Thomas Hettche, Michael Schindhelm und Matthias Politycki. Geantwortet haben sie als Vertreter der »mittleren Generation« (WELT).

Mit einem – wohl redaktionell verfügten – Ein-Wort-Satz beginnt dieser entsetzliche Stiefel an verquollener Pfeifenhaftigkeit und schwammigem Geschwätz: »Mitte.« Mitte, das ist, wo die vier sind. Oder hinwollen. Sie möchten »eine neue Mitte konstituieren«, und zwar eine neue Mitte für den Roman oder eine neue Stellungsmitte inmitten des Literaturbetriebs, wer weiß das schon genau, und zugleich haben sie, diese vier Romanracker, die besagte Mitte ja bereits selbst besetzt, altersbedingt und anderweitig gesehen. »Der diskrete Charme dieser Gruppe«, schlabbert es aus diesem wahrlich bitterlich ergreifenden Ausbund an Manifestgeprotze, »ist ihre Gelassenheit gegenüber der Macht, ihre Empfindlichkeit gegenüber allem Lauten, ihre hartnäckige Weigerung, die Hand nach dem Ruder des gesellschaftlichen Diskurses auszustrecken. Im Mittelfeld trifft man meist freundliche Menschen, die [...] einen gut begründeten Verdacht gegen politisches Engagement und öffentliche Intervention hegen.« Damit ist es oder soll es nun vorbei sein.

Gereift seien sie in den vergangenen fünfzehn Jahren, vernehmen wir, weshalb jetzt die »Erntearbeiten« beginnen könnten. »Vom Ich zum Wir« müsse es vorwärtsgehen, mit folgenden Maßnahmen: »die Zurückhaltung gegenüber den Machtinstrumenten des Betriebs aufgeben, parteiisch werden, eine inner- und außerbetriebliche Opposition gegenüber Verblödung und Depression aufbauen, die Waffe der Verschwörung nicht verschmähen.« Das legen Kracher vom Schlage eines Hettche oder eines Politycki nieder, die vom Literaturbetrieb bis dato schmählich mißachtet wurden und dessen Machtinstrumente noch keine Sekunde lang in Gebrauch genommen haben. Ist das alles vielleicht auch bloß ein recht miserabler Witz?

»Da ist etwas Langbärtiges [...] am Werk«, machte sich Bertolt Brecht vor bald siebzig Jahren im Zuge der sog. Expressionismus-Debatte über kunstrichterliche Besserwisser lustig. In einem weiteren Beitrag zur Auseinandersetzung zwischen Verfechtern des sog. Formalismus und jenen des sog. Realismus hielt er fest: »Alte Wunden brechen auf, neue werden geschlagen, verjährte Feind- und Freundseligkeiten werden ausgetragen, man schlägt sich und anderen in die Brust. Überzeugt scheint niemand zu werden, außer von seiner eigenen Auffassung.« Und die unserer romanrevolutionären Viererbande ist originell und attraktiv wie siedender Schwefel: oben und unten die Deppen, in der Mitten die Netten. »Vorn, ganz vorn«, steht in diesem Manifest am Anfang, ganz am Anfang geschrieben, »sind immer noch die großmäuligen Alten, die Deutungshoheiten mit und ohne Pfeife. Dicht gefolgt von den einst nicht minder lärmenden Damen und Herren um die sechzig, den Emanzipierten um jeden Preis, die sich in splendider Isolation eingerichtet haben und aus dieser von Zeit zu Zeit mit steiler Geste zu Wort melden. Hinten und deshalb auch wieder ganz vorn, sobald der Betrieb plötzlich kehrtum macht (hat er das nicht schon?), die Dienstleister gestriegelter Populärliteratur und die mehrheitlich TechnikerInnen einer unerschöpflichen Ästhetik der Erschöpfung.«

Der vorherrschenden »nostalgischen Erinnerungsmümmelei« sei mithin aus dem »adulten Mittelfeld« heraus entgegenzutreten, die »Epigonen des Familienromans« seien »auf ihren Platz am Rand« zu verweisen, die »Enkelromane aller Couleur« zu zerreißen usf. – um Platz zu schaffen für unsere vier Gesinnungskrakeeler in nichts als ureigener Sache. Nichts als Geschrei um noch und noch mehr Anerkennung, nichts als eitles Austeilen und Herumkeilen – und dann ein kacheldummes Plädoyer für eine Literatur, die »die zwar unbequeme, aber aufregende Gegenwart zum zentralen Ort des Erzählens« bestimmt und dieselbe zu »transzendieren« beauftragt wird.

Die aufregende Gegenwart wird sich gewiß umgucken, wenn sie spitzkriegt, was ihr da in Bälde blüht – eine Mixtur aus Sartreschem Engagementgewürge und Böll revisited womöglich. Denn das Manifest versichert festen Glaubens, »daß dem Roman heute eine gesellschaftliche Aufgabe zukommt«, und das, was sich an diese Confessio anschließt, muß man notgedrungen ungekürzt und zum Nichtgenießen zitieren: »Er muß die vergessenen und tabuisierten Fragen der Gegenwart zu seiner Sache machen, er muß die Problemfelder, ob in lokalem oder globalem Kontext, in eine verbindliche Darstellung bringen. Die Forderung nach mehr Relevanz leiten wir nicht nur aus unserem Alter ab, sondern auch aus dem Zustand einer ›unheimlich‹ gewordenen Welt. Ihre Bewohnbarkeit beizubehalten und weiter zu erschließen ist die Aufgabe des Romans. Dies setzt voraus, daß der Schreibende eine erkennbare Position bezieht, die moralische Valeurs mit ästhetischen Mitteln beglaubigt. [...] Die Aufgabe ist deshalb, Brücken zu bauen, in diesem Falle nicht nur zwischen Realität und Fiktion, sondern auch zwischen Moral und Ästhetik. Weil wir weder an den Tod des Autors glauben noch einfache Ich-Posen behaupten, sehen wir uns eher als Mittler zwischen Subjekt und Gesellschaft.«

»Ich arbeite nicht dafür, daß diese Gesellschaft sich auf die Füße stelle«, gab Andreas Maier, der auch keinen erträglichen Satz mehr zuwege bringt, in einer umgehend angeforderten Stellungnahme zu Protokoll, und Julie Zeh bekannte stante pede, erfreut zu sein, »daß sich ein paar Schriftstellerkollegen versammeln, um sich und andere am eigenen Zopf aus dem Lamento zu ziehen«. Bei Trost war dagegen Hans-Ulrich Treichel. »Der Roman muß eine bestimmte Länge haben. Mehr muß der Roman nicht«, ließ er sich vernehmen, und während Eckhard Fuhr in der WELT die erspähte »Mischung aus ausgeleiertem Politjargon und Literatur-Funktionärsdeutsch« bemängelte, hielt Iris Radisch die ganze Sache live aus Klagenfurt einfach für einen »ziemlichen Quark«.

Zumal für einen ziemlichen Sprachquark, hätte sie präzisieren können. Denn wie das gehen soll: Problemfelder in eine Darstellung zu bringen, darauf darf man ebenso gespannt sein wie auf den Versuch, die Bewohnbarkeit der Welt im Roman beizubehalten, oder das Unterfangen, zwischen Subjekt und Gesellschaft pädagogisch wertvolle Brücken der Vermittlung zu bauen. Doch davon trüben Auges abgesehen, ist ja immerhin nachvollziehbar, daß das »Erzählen die verkappte Äußerungsform des Moralisten« sei, »ausgeübt mit dem Pathos dessen, der darin nicht etwa nur der Lust zu fabulieren frönt«, sondern dabei auch »das Leben kennen« muß, »um es in den künstlerischen Werken wahrheitsgetreu darstellen zu können, nicht scholastisch, nicht tot« (Andrej Ždanov: »Die Sowjetliteratur, die ideenreichste und fortschrittlichste Literatur der Welt«, 1934), nein, so muß er es in die Darstellung bringen, daß der »weite Blick für neue Gruppierungen und globale Zwischenräume« zu Büchern anregt, »die uns ergreifen« und der »in der x-ten Potenz geschwächten Avantgarde« etwas äußert Wichtiges entgegenstellen: den »Standpunkt von jedem wesentlichen Buch«, vulgo »die ästhetischmoralische Verantwortung eines Schriftstellers, der alles Stoffliche arrangiert, um damit ein erzählerisches Ziel zu erreichen«.

 

Bricht nun also eine neue Zeit des »Tendenzromans« (Engels), der »Parteiliteratur« (Lenin) an? Mitnichten. Gewagteres scheint zu dräuen: »eine Gratwanderung zwischen dem, was als Erzählen aus der Mitte erlebten Lebens heraus seit je einzig angemessen, und dem, was von der einstigen Avantgarde als Kunstfertigkeit übriggeblieben ist«. »Daß die Wurzel der wirklichen Größe eines Schriftstellers in der Tiefe und im Reichtum seiner Beziehungen zur Wirklichkeit liegt« (Georg Lukács: Wider den mißverstandenen Realismus, Hamburg 1958), das wird endlich wieder anerkannt, und so folgt aus dem stilistischen ein ethischer Imperativ: »die beständige Sichtung unserer untergehenden Welt und das Ringen um neue Utopien«.

Bei diesem Ringen wollen wir jetzt gerade nicht weiter stören. Doch angesichts des kurz nach dem Manifest für einen neuen Relevanzismus durch Wolf Biermann, Klaus Harprecht, Günter Kunert, Hans Christoph Buch (der in den Siebzigern den Rowohlt-Band Parteilichkeit der Literatur oder Parteiliteratur? herausgegeben hatte) und andere lärmende Damen und Herren um die sechzig flugs verantworteten »Aufrufs gegen die neue Linkspartei« möchten wir die Frage »Was soll die Literatur?« noch schnell mal ganz persönlich beantworten: Gern haben soll sie mich mal, die gesamte Literatur, samt ihrem Schöpferpersonal.

Unser Luschigster

Das Milieu der Literaturkritik ist in großen Passagen eine Welt voller Qualligkeit und aufgespreizter Ödnis. Seit zwei Jahren ist es auch eine Welt, wie sie kaum jenem gefällt, der sich gern in die Pose des »derridaiden« (D. Diederichsen) und anderweitig veranlagten Schwadroneurs wirft.

Im Sommer 2002 kürte die Kundschaft des Internetshoppingtempels Amazon Alex Dengler aus der Oberpfalz zu ihrem »Toprezensenten«. Und weil es kein folgenreiches Unheil gibt, das es im worldwide Deppenhausen nicht gibt, stieg der kecke Parsberger Literaturauskenner umgehend zum Chefexeget der BamS in Sachen Buch und Buchstaben auf.

Seither ist es um die Literaturkritik endlich vollständig geschehen. Wir und unser gelobtes Land verfügen nämlich nicht nur über einen Literaturkritiker, der einem Diktum Eckhard Henscheids zufolge »Unser Lautester« ist; nun haben wir da alle miteinander auch einen Mann zu bestaunen, der laut BamS nichts weniger sein soll als »Deutschlands beliebtester Buchkritiker«.

Tatsächlich, als »Deutschlands beliebtester Buchkritiker« wird Alex Dengler allsonntäglich über seine Kolumne »Schon gelesen?« annonciert, und was wir da, in diesem von Deutschlands bestem Dengler zusammengedengelten Literaturbesprechungskästlein, schon alles bei voll ausgelasteten Verstandeskapazitäten haben zusammenlesen dürfen, das rechtfertigt das Urteil allemal, daß Deutschland einfach nicht mehr besser werden kann, Deutschland, das Goethe- und Reich-Ranicky-Country.

Denn Deutschland ist jetzt wirklich on top of the world der Literaturkritik angelangt, und zwar i. S. des Lebens- und Literaturbetrachtungsmottos unseres Luschigsten, des Alex Dengler, der dem Schweizer Tagesanzeiger verriet: »Ich wollte endlich über die Bücher schreiben, die ich gut fand, Romane, Thriller, Krimis, die dem Feuilleton keine Zeile wert sind.«

1.500 Seiten lese er pro Woche, klärt er uns des weiteren auf, und daß das nicht guttut und nicht gutgehen kann, lesen wir dann. Zum Glück braucht Deutschlands beliebtester Buchfex nicht allzu viele Worte, um uns haargenau über die »knackigen Plots«, die er so sehr schätzt, zu informieren, etwa dergestalt: »Nummer 5, ein normales Haus in Belfast. Doch die darin lebenden Personen haben Geschichten zu erzählen, die fesseln.«

Punkt. Das sitzt. Bong. Zuweilen pestet’s aber noch eine Spur fetziger: »1665. Eine große Liebe zu Zeiten der Pest. Ein historisches Highlight!« Mit Sicherheit. Obwohl uns schwanen mag, daß der Mann, der »jede Woche für BamS« liest, da in der Redaktion der BamS offensichtlich keiner mehr lesen kann, das ganze rare Zeug im Grunde gar nicht runter- und wegliest, es sei denn, das Lesen darf auf den Klappentext oder den Verlagsprospekt beschränkt bleiben. Da täte er es immerhin Reich-Ranicki gleich, der Bücher traktiert, ohne einen Blick in sie geworfen zu haben.

Hat nun aber Deutschlands beliebtester Buchkritiker eine Botschaft? Was will uns diese äußerst aufgeweckt dreinschauende »Kulturhummel« (Erwin Michenthaler), dieser »lesende Beckham« (Tagesanzeiger) sagen und verklickern? »Die Essenzen des Romans: Musik und Frauen«, heißt es z. B., was wohl heißt, daß schon auf der essentiellen Inhaltsebene in diesem Buchfall alles mehr oder weniger im Lot ist, eine Einschätzung, die sich andernorts zu einem bestechenden Empfehlungsurteil ausweitet: »Dr. Muo und die komplizierte Welt der Frauen. Bestseller-Autor Dai Sijie legt einen bestechenden zweiten Roman vor.«

Wenn das wahr ist, sollen Romane, verstehen wir Deutschlands beliebtesten Buchkritiker richtig, bestechen. Sie sollen »Beat, Leidenschaft, Charme, Witz« oder »Drive, Nervenkitzel, Gefühl« haben und auslösen, »vor Geheimnissen, Liebe, Abenteuern und Spannung knistern« (woraus folgt: »Der Roman hat Soul & Blues«) oder gleich vier Elemente auf einmal enthalten: »Wissenschaft, Horror, Action, Thriller. Das sind gleich vier Elemente auf einmal!« Darüber hinaus müssen sich »die Geschehnisse entfalten wie ein guter Wein«, damit »ein Roman mit viel Flair« rauskommt. Der Roman an und für sich, so macht es uns angeblich Barbara Wood vor, habe zudem »perfekt recherchiert« zu sein und »die Wucht von zwanzig Segelschiffen« zu besitzen oder abermals zu entfalten, auf daß uns Deutschlands beliebtester Buchkritiker ungetrübt unter die witternde Lesernase reiben kann: »Ein gehobener Kriminalroman mit hervorragenden Charakteren. Er verdient das Prädikat Spitze!«

Vorbei ist’s mit vielen Worten. Deutschlands beliebtester Buchkritiker hat die Literaturkritik in Deutschland revolutioniert. Und er weiß zu preisen – einen »deutschen Psycho-Krimi« etwa, »der internationale Vergleiche nicht zu scheuen braucht«, oder die den deutschen Worten zugehörigen deutschen Werte: »Nach ihrem spannenden ersten Fall [...] ermittelt Rechtsmedizinerin Leonie Simon nun endlich wieder. Sie ist eine deutsche Kay Scarpetta mit allen deutschen Tugenden. Als Ermittlerin geradlinig und ehrlich – ein ausgeprochener Sympathieträger.«

Nein, von Qualligkeit kann hier keine Rede mehr sein. Sondern zu konstatieren ist eine bis dato unerhörte Geradlinigkeit und Schmissigkeit in Sachen Buch und Buchstaben. Und das finden wir, mit einem Wort Alex Denglers, des beliebtesten Buchkritikers in Deutschland, nahezu und ehrlich: »Betörend!«

Im Gewöhnlichen

Unerheblich wie Herrn Außenminister Fischers Frankfurter Vandalenrandalenvergangenheit ist die Frage, welchen Anteil Raymond Carvers früher Lektor Gordon Lish an der mit höchstem – pressenden Überdruß erzeugendem – Feuilletoneinverständnis gepriesenen »Lakonie« des »minimalistischen Avantgardisten« (Frankfurter Rundschau, 18. November 2000) Raymond Carver hat. Oder hatte. Noch überflüssiger und entbehrlicher ist Ingo Schulzes vorwortliche Salbung des erstmals vollständig auf deutsch erschienenen zweiten Erzählungsbandes des »Minimalisten« (Klappentext), Wovon wir reden, wenn wir von Liebe reden (Berlin 2000). Und noch törichter plärrt der hiesige Verlag »die lähmende Ausweglosigkeit und innere Leere der Existenz« an, die Carvers Short stories so, wäre werbetechnisch nicht schlecht »gekommen«, »atemberaubend«, »schockierend« auf »den Leser«, arrrgh, »wirken lassen«.

Carver zählt, unabhängig von einstiger verlagsseitiger Einflußnahme und heutiger Verkaufspropaganda, zu den schon erschütternd zeitlos Lesenswerten. Und entgegen der wahrscheinlich wieder modischen kafkaiden Axtfunktion seiner »Texte« (Klaus N.) vermochte er im Ganzgewöhnlichen eine ruhige Anspannung auszumachen, die den Alltag adelt; zuungunsten des herrschenden Remmidemmis. Deshalb könnten, ohne gleich den Talar überzustreifen, die Exegeten vielleicht ausnahmsweise die Klappe halten. »Ich hab’ so einiges gesehen. Ich wollte zu meiner Mutter und ein paar Nächte bei ihr in der Wohnung bleiben. Aber als ich oben am Treppenabsatz ankam, guckte ich, und sie saß auf dem Sofa und küßte einen Mann. Es war Sommer. Die Tür stand offen. Der Fernseher lief. Das ist eine von den Sachen, die ich gesehen hab’«, beginnt Mr. Coffee und Mr. Fixit. Und darin liegt nicht nur eine Welt, sondern die Poetologie des Genauguckers Carver.

»Ich dachte einen Moment lang an die Welt außerhalb meines Hauses, und dann dachte ich gar nichts mehr, außer daß ich nun wirklich schlafen mußte«, schließt Ich konnte die kleinsten Dinge erkennen. Oder heimelt uns die wohlige Leere, die wohlige Wahrheit einer solchen Passage noch zarter an? »Er fuhr schneller durch die Straßen, als er hätte fahren sollen. Bisher war es ein gutes Leben gewesen. Er hatte Arbeit gehabt, war Vater geworden, hatte eine Familie. Der Mann war glücklich und zufrieden gewesen. Aber jetzt hatte er Angst und wollte ein Bad.«

Von deutschem Mund zu Mund

Daß es zum fünfundsiebzigsten Geburtstag eines nominell großen, nämlich nobelpreisprämierten Schriftstellers wie Günter Grass großspurige Ernstelfeuilletons regnet, ist standesgemäß. Daß aber renommierte Literaturbetrachter wie Wolfgang Thierse, Heinz Rudolf Kunze oder Otto Schily ihre Glückwunschadressen im virtuellen Gästebuch von Spiegel Online hinterlegen, statt dem Jubilar einfach privat zu gratulieren und es damit gut sein zu lassen, ist schon eher zum Lachen; wenn nicht ein erlesener Beleg für die maß- und nahtlose Eitelkeit der hiesigen Hochrepräsentanten, deren salbungsvolle Elogen gar die staatstragenden Episteln des Gepriesenen übertrumpfen, die in nicht abreißender Regelmäßigkeit über des Landes Lage Gericht halten.

Während der noch halbwegs befugte Fritz J. Raddatz eine Grass-spezifisch gedrechselte, mimetische Annäherung schnitzt und den Danziger belobigt für dessen »Schädeldecke«, die »sich öffnete für die Phantasie eines wortmächtigen Gaukelspiels, darin wir uns alle erkennen mochten in bucklichter Verzagtheit wie kühn scheiterndem Lebensentwurf«, hat Egon Bahr geringere Schwierigkeiten mit der gaukelhaften Grammatik und stellt klar: »Alle politischen Beurteilungsunterschiede schrumpfen gegenüber Deinem nachhaltigen Engagement für das Land und die Gesellschaft.«

Wo es keine Unterschiede mehr gibt, nimmt man Partei für eine Partei – Partei für einen, der seit Heinrich Bölls Tod die kulturbetriebliche Planstelle des ideellen deutschen Gesamtbedenkenträgers innehat und – so die völlig bedenkenlos verstreuten Worthülsen der Gratulanten – »streitbar« und »provozierend« zum Besten des Landes gewirkt habe und weiter wirken möge.

Ja, »streitbar«, meint die TV-Politologin Sabine Christiansen, sei Grass stets »geblieben«, trotz aller »Verunglimpfungen«. Grass ist zwar seit langem der weltweit geachtetste und am wenigsten geächtete Gegenwartsdichter, überschüttet mit sämtlichen erhältlichen Akademie-, Industrie- und Politikstiftungspreisen, doch wer dem Mythos vom »Unbequemen«, den Grass womöglich selbst frühzeitig lancierte, aufsitzt, quasselt eben fort, was einem so einfällt, wenn man keinen Einfall hat.

»In kichernder Selbstgewißheit den Sisyphus und seinen herunterrollenden Stein beobachtend, den er uns ins Gewissen polterte«: Das schreibt Raddatz, ohne daß ihn das Grammatikgewissen zwickt, über die standhafte Haltung des Lübeckers, und der Nationalrocker Heinz Rudolf Kunze poltert, Grass grotesk als »selbstverständlichen Verbündeten auf der Seite von Jimi Hendrix, von Bob Dylan, von den Stones« ehrend, der Gustav Mahler oder doch eher Dieter Bohlen der deutschen Literatur sei zudem der zweite – ja, wer oder was? Soll’n wir’s sagen? »Ja, sagen wir es ruhig: Thomas Mann.« Sagt Kunze.

 

Grass ist, gaukelt uns die Grußkolonne dem F. C. Delius zufolge vor, daneben allerdings ein »Koch« und »Skatspieler«, dessen »nimmermüder Geist«, versichert nun Bundesinnenminister Schily, ihn »den Stein des Sisyphos noch oft nach oben wälzen« läßt – und das, obwohl Grass laut Bundestagspräsident Thierse neben den Berufen des »Lyrikers und Dramatikers, Bildhauers und Malers« noch den fünften des »Literatur-Nobelpreisträgers« ausüben muß. Sabine Christiansens Zählung kommt derweil bloß auf vier Berufe. Der vierte sei, und da stimmt die Richtung wieder, »Ihre Berufung [...] des engagierten Bürgers«, der, um Bernhard Schlink vorlesen und -treten zu lassen, »beeindruckend und verpflichtend dafür steht, daß der Politik ein Gewissen schlagen muß«.

Wem die Geburtstagsstunde schlägt, dem schlagen diejenigen auf die Schulter, die man sich verdient hat – der Hans Geißendörfer z. B., der bekennt, Grass »vorbehaltlos zu lieben«; die PDS-Vorsitzende Gabi Zimmer, die messerscharf schließt: »Ist doch des Schriftstellers Tat vor allem das Wort. So viel festgestellte Wirklichkeit und vorausgesehene Wahrheit gab es selten in Deutschlands Prosa«; oder der Otto Schily, der den deutschen Prosamann Grass tätschelt, weil er »das Schicksal der Vertriebenen neu ins öffentliche Bewußtsein gerückt« und der deutschen Kunst gegen das entsetzlich zersetzende Gekrittel der Kritischen Theorie wieder eine deutsche Stimme gegeben habe: »Sie [brechen] mit dem geschriebenen Wort Verkrustungen der Erinnerung auf. Adornos Verdikt zum Trotz haben Sie nach Krieg und Holocaust eine eigene Sprache für Lyrik, Drama, Epos gewonnen und auch die Mundart in ihr Recht gesetzt.«

Die deutsche Mundart gratuliert zwar nicht, aber sie spricht via Klaus Wagenbach, Walter Kempowski oder Manfred Stolpe in vielerlei Zungen, die immer nur das eine zu belegen vermögen: Dank dem Vaterlandssänger Günter Grass! Dem Bundestagspräsidenten sei daher das parteiübergreifende Jubelschlußwort erteilt: »Ohne Dein unbestechliches kritisches politisches Engagement gerade auch durch Dein künstlerisches Wirken wäre Deutschlands Kulturlandschaft ein ganzes Stück ärmer.« Nämlich eine weite, dürre Steppe, in der durch Grass, Grass und noch mal Grass nichts als phraseologische Sumpfblüten ins Kraut schießen.

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