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Mission Moneten

Es ist ein Kreuz mit der christlichen Kirche. Ihre Vertreter, gleich ob protestantischer oder katholischer Konfession, können mahnen und predigen, wie sie wollen, die Schäfchen laufen weg oder bleiben der allein selig machenden Institution auf Erden von vornherein fern. Seit Jahren steigt die Zahl der Kirchenaustritte, und der Saulus-Paulus-Moment einer Umkehr dieses Trends steht in den Sternen.

Folglich bemüht man sich, neue, handfest diesseitige Möglichkeiten zu erschließen, um Kundschaft zu werben. Kirchentage mögen zwar Versuche sein, die Gemeinde zusammenzuhalten und die Anhängerschaft des Gottesglaubens zu mehren, doch als monumentale Propagandaveranstaltungen dienen sie wohl lediglich dem Zweck, die gesellschaftliche Schrumpfexistenz der Kirche zu verschleiern. Also sind Maßnahmen vonnöten, mit denen jenseits ritueller Versammlungen jene erreicht werden, denen die Lehre Jesu und die Heilige Schrift nicht am Herzen liegen.

Wenn Kirche und Religion keinen festen Sitz mehr im Alltag haben, dann könnten sie ihn im Urlaub (wieder-)finden, mutmaßen einige fortschrittlich gesinnte klerikale Kräfte, und seitens der Tourismusbranche erhalten sie nun Unterstützung. Zumindest wird inzwischen verstärkt über die touristischen Vermarktungspotentiale von Kirchen und Klöstern sinniert, und so war es an der Zeit, daß in der Lutherstadt Wittenberg eine Fachtagung stattfand, die das Deutsche Seminar für Tourismus Berlin (DSFT), die zentrale Weiterbildungseinrichtung der Tourismuswirtschaft, unter dem rhetorischen Titel »Religion, Kirchen und Klöster ›vermarkten‹?« anberaumt hatte.

»Wir wollen Thesen anschlagen!« klopfte DSFT-Seminarleiter Harald Hensel unweit der Schloßkirche, an deren Portal Martin Luther am 31. Oktober 1517 seine weltumwälzenden 95 Thesen geklebt hatte, die Marschrichtung fest und formulierte diverse ehrenwert hehre Ziele. Der »Dialog zwischen Kirche und Tourismus« solle befruchtet und die Kirche nicht länger »als musealer Raum« betrachtet werden – sondern als ökonomisches, erlebnisideologisches und praktisch-theologisches Feld, das es touristisch zu beackern gelte. Ja, die Frage, »ob und wie sich christlich-religiöse Einrichtungen oder Veranstaltungen zur kulturellen Positionierung sowie zur Vermarktung einer Region eignen und wie die Kooperation von Kirche und Tourismuswirtschaft gefördert werden kann«, das sei »ein spannendes Thema«, ein »Spannungsfeld« tue sich da auf, auf dem »viele Wege denkbar« seien.

Gangbar sind bereits heute etliche Wege, nach Rom und anderswohin. Christen z. B. scheinen kein schlechtes Gewissen beim und keine Scheu vor dem exzessiven Reisen zu hegen. Eine aktuelle DSFT-Erhebung kommt zum dem Ergebnis, daß Ausflüge und Wallfahrten, die Kirchengemeinden absolvieren, einen »Umsatz von zirka 500 Mio. Euro pro Jahr bewirken«. Die modernen Betreisen Richtung Ewiger Stadt, Fatima oder Santiago de Compostela indes genügen nicht. Die Tourismusbranche sucht neue Profitquellen und nennt Gotteshäuser und Klöster schmeichelnd »Highlights im Kultur- und Städtetourismus«, und publicity- und geldhörige Gottesmänner danken es den Fremdenverkehrsgurus, indem sie eine innovative »Angebotsgestaltung« bezüglich ihrer Glaubensstätten und -inhalte forcieren – mal sachte, mal forsch PR-lastig.

Touristen gezielt in sakrale Bauten zu locken könnte zu einem verlockenden, sagenhafte Wachstumsmargen garantierenden Geschäft werden. Wolfgang Isenberg von der Thomas-Morus-Akademie, Bensberg, bekräftigt die immense Bedeutung der »Sakralimmobilien« für »die regionale Wertschöpfung«. Der Zasterzug der Zeit: Früher gewährten Klöster Bettlern und Pilgerreisenden unentgeltlich Speis’ und Unterkunft, noch etwas früher schmiß Jesus die Händler aus dem Tempel, und heute fordern Vermarkter der »Premiummarke Kirche« (Isenberg) und der Papst: »Wir müssen die Menschen zum richtigen Gebrauch der Freizeit anleiten.«

Was könnte das heißen – unter Gesichtspunkten eines regio-und religionsspezifischen Marketings, das laut Marketingprophet P. D. Benett ein »Prozeß« sein müßte, »durch den eine Organisation«, und sei’s die Kirche, »auf kreative, produktive und gewinnbringende Weise eine Beziehung zum Markt herstellt«? Pfarrer Gerhard Köhnlein von der Projektstelle Offene Kirchen, Magdeburg (einer Abteilung des Evangelischen Arbeitskreises Freizeit – Erholung – Tourismus), wünscht eine breit angelegte »Grundausbildung für Kirchenführer/innen«, die z. B. in der mit attraktiven Gottesgebäuden gesegneten Kirchenprovinz Sachsen dem Touristen solche Räume technisch und geistig öffnen, »die einladen zu Besinnung und Gebet«. Zur Seite springt dem doppel- wie hintersinnigen Konzept einer pädagogisch inspirierten, »steinreichen Kirche« (Köhnlein) der konstruktiv marketingkritische Entwurf Matthias Zentners, der im Namen des Luther-Zentrums Wittenberg dafür plädiert, die »Eroberung des Kirchenraumes« voranzutreiben – und dergestalt »einen religiösen Ort durch die Art des Erlebens und Nahebringens spirituell erfahrbar« zu machen.

Wer bloß aus kunstgeschichtlichem Interesse etwa den Lucas-Cranach-Altar in der Wittenberger Stadtkirche besichtigt, dem mangelt es an allegorischer, sinnbergender Interpretation des kulturellen Gutes. »Wenig erlebnisorientiert«, so Zentner, sei ein solcher Zugang, und deshalb ziele »dialogische Vermittlungsarbeit« auf die »Schlüsselqualifikation« der Kirche, die: »Sinnstiftung«. »Wenn es gelingt, die Steine [und Kunstschätze] zum Sprechen zu bringen, gibt es einmalige Erlebnisse, die sich auch für den potentiellen Reiseveranstalter auszahlen«, menetekelt Zentner und betont die »Alleinstellungsmerkmale« des Christentums auf dem hart umkämpften »Markt der anderen Sinnstifter«: das Kreuz als »das weltweit bekannteste Markenzeichen«; die lange Tradition und hohe Kompetenz des kirchlichen Marketings, von der »Directmailing-Aktion« des Apostels Paulus bis zur »Pilgerreise« (oder bis zu den Kreuzzügen); das marktschreierische Glockengeläut, die Gottesdienste, die Kirchenkonzerte als Woodstock round about the Kirchenjahr.

Die verzweifelte Selbstbehauptung der Kirche gegen »zivilreligiöse Erscheinungen wie große Sport- und Musik-Events« und esoterische Trends jedweder Art zwingt zur Aufgabe der »alten Frontstellungen« und zur Hingabe an die herrschende Idee der »Absatzförderung«. Um jedoch der »feindlichen Übernahme unserer Ressourcen« zu wehren, ruft Zentner nach »sinnfälligen Kooperationen« zwischen Religionsausübung und Urlaubsverhalten. »Hier muß sich Kirche vermarkten«, gesteht er ein und folgert: »Im Rahmen der Kirche würde man wohl eher von Mission reden.«

Die Missionsarbeit gerät allerdings – neben den jüngsten Offensiven der EKD-Plakatkampagnen – zur sanften Gesprächsökumene. »Wir brauchen lokale und überregionale Runde Tische«, erklärt Zentner, »an denen Kirchenvertreter, Marketingexperten, Touristiker und Vertreter der Kommunen gemeinsame Konzepte erarbeiten.« Etwas handfester geht den »nachhaltigen Kirchentourismus« bereits die Bischofs-Eurocity Münster an. »Menschen auf der Suche nach Sinn und Orientierung« lotst man während des jährlichen Stadtfestes zwischen Varietégekasper und Monstermusikacts auf der Warsteiner-Bühne am Domplatz in die Klemenskirche, die mit Zustimmung der Oberen zur »Chill-Out-Zone« aufgepeppt wurde, oder sie goutieren »kirchenkulturelle Highlights am laufenden Band«: biblisches Puppentheater, religiösen Pop und Jazzen unterm gotischen Giebel.

Derartige »All-Inclusive-Pakete« inkl. herrlicher »Win-Win-Effekte« bezeichnet der Leiter von Münster Marketing, Hermann Meyersick, als »Idealkooperation«, denn die Kirche habe »heute Interesse, neue Kunden unter normalen Urlaubern zu akquirieren«. Traditionell katholisch sinnenumtost brummt die Synthese aus Sause und Spiritualität weiter südlich – zum einen in den bewährten Bierrauschversuchsanstalten Kloster Andechs und Kloster Aldersbach, zum anderen in den niederbayerischen Gauen, die unter den Fittichen des Kulturreferats und Fremdenverkehrsvereins Regensburg die Symbiose von Meditation, Maibock und musealer Erweckung zu sensationellen Erfolgshöhen führten. Nach sorgfältiger Vorbereitung und der vertraulichen Einbindung der Pfarreien wurde das Asam-Jahr, eine eventlastige Ehrung der barocken Klostermaler und Bildhauer Cosmas Damian und Egid Quirin Asam, zum Kombi-Angebotsschocker schlechthin, u. a. weil die Ware Religion mit der Ware Bier prächtig koalierte. Wie neuerlich anläßlich der Diözesefeiern 2002 priesen damals Hunderttausende Bierdeckel Ausstellungen und Spezialgottesdienste an, ganz im Sinne der Kirche, die »danach schreit, den christlichen Kern mit dem Angebot zu verbinden« (Klemens Unger, Kulturreferent).

Kunden finden und zufriedenstellen, »nicht renditeorientierte Dienstleistungen« (Unger) mit dem Dienst an der Rendite verbinden: So läuft heute produktpartnerschaftlich die Arche Noah des Non-Commercial- und des Commercial-Marketings vom Stapel. »Vieles, was wir uns heute gar nicht vorstellen können«, sei möglich, versicherte Hensel, und einen Vorgeschmack darauf bietet zuletzt und in schärfster Avantgardehaltung die 1999 gegründete Marketingplattform »Klösterreich«, die derzeit zwanzig Klöster, Orden und Stifte aus fünf Bundesländern Österreichs und aus Ungarn zusammenschweißt, auf daß sie der häßlichen Managermode des »Klosters auf Zeit« das Mäntelchen des »qualitativen Kultur- und Gesundheitserlebnisses« umhängt.

Orte der Einkehr und Besinnung sollen Klöster sein, und bei »abnehmenden religiösen, kirchlichen Bindungen« kommen sie jetzt der »zunehmenden Nachfrage nach sinnstiftenden Angeboten« entgegen. Aus der Karl Krausschen Wortspielhölle emporgestiegen, rangiert die kulturtouristische Abteien-Kooperative an der Spitze des neusten Bildungs- und Selbstfindungsgedröhns. Das Ende einer Entwicklung besiegelnd, die vom Sight-Seeing (70er) übers Life-Seeing (80er) und das Life-Styling (90er) zum nunmehrigen Life-Feeling führte, will man die »Orgel im Bauch spüren« (Hensel) und ein »Dach für die Seele« überm Kopf, derweil der Magen »edle Tropfen« aus den Klosterkellern und Heilkräuter aus den Klostergärten verlangt. Wie diese Ausgeburt an teuflischem Beherbergungstinnef als »innerlich bereicherndem Tourismus« und »organisierter Gastfreundschaft« zu promoten ist, erläutert Hermann Paschinger, der Medienoperator für die »Qualitätsvereinigung ›Klösterreich‹«: »Von Gästen bevorzugte Motivbündel wie ›Kultur und Geschichte erleben‹, ›Spiritualität‹ und ›Essen, Trinken, Kaufen‹ können von Stiften & Klöstern besonders gut abgedeckt werden. Das Motto lautet daher: ›Österreichs Stifte & Klöster – Ein Erlebnis für Leib & Seele‹.« Oder reichen wir, über das Kraut der »Themenwege« (»Klangreich – Orgel und Musik« etc.) und rauchende Rüben (»Kloster for Kids als Entdeckungsreise in das Stift Altenburg«) hinweg, dem Würdenträger Abt + Joachim F. Angerer, Stift Geras-Pernegg, die Kerze des Wortes: »Der Mensch also ist es, der zählt, und Menschlichkeit ist unsere Verständigung.«

 

Gegen diesen bigotten Kirchentourismusturbokapitalismus nimmt sich das Wittenberger Stadtfest »Luthers Hochzeit« wahrlich gottgefällig und fromm aus. Da wurde im »Rom der Protestanten« zum neunten Mal ein Laiendarstellerehepaar durch die Straßen geleitet, Martin L., dem Freund des gehorsamen, gebärfreudigen Weibes, zur Ehr’, und unter den profan-zeremoniellen Klängen der Spielleut’ und Landsknechte begann des Bürgermeisters Herz zu lachen – angesichts der vielen fröhlichen Gesichter und des sich füllenden Gemeindesäckels.

Wie sprach der Herr Zentner vom Luther-Zentrum? »Kirche vermarkten zu wollen ist ein sensibles Geschäft, auf das sich beide Parteien mit viel Leidenschaft einlassen müssen.« Und Herr Hensel echote: »Kirche und Tourismus sind ein schönes Paar.« Ob Gottes Segen auf ihm ruht?

Leise rieselt der Milzbrand

Es ist schon bizarr, ja zuweilen traumhaft dämlich, was die Werbewirtschaft so treibt – ein Gewerbe, das sich gerne selbst den Nimbus der überkreatürlich Kreativen verpaßt und behauptet, die wortgewandtesten, bildmächtigsten, ideenreichsten Kräfte zu beschäftigen. Dieses semimondäne Metier der, beim Lichte der arg außer Kurs geratenen Aufklärung besehen, windigen Trendsetter und -server bringt indes wenig anderes hervor als eine unendliche Menge an poliertem Müll, buckligen Metaphern und elenden Überredungsübungen.

Bereits ein kurzer Blick in ein beliebiges lokales Anzeigenblatt liefert stichhaltige Beweise genug. Der Metzger macht es nicht mehr unter »Superschnupperzuschnapppreisen«, und das Hi-Fi-Geschäft annonciert nicht bloß »Powerpreise«, nein: neuerdings sogar »Pauerpreise«. Was immer das beim Käufer erwirken mag, es wird so hingeschrieben. Ähnlich haltlos handelt etwa die deutsche Bierwirtschaft, wenn sie durch nahezu eine halbe Milliarde Euro jährlich neologistischen Nonsens und Kalauerkram wie »Harzhaft frischer Biergenuß« (Hasseröder Pils) oder »Einst steht fest: Ein Eichbaum« (Eichbaum Biere, Mannheim) alimentiert.

Trotz der offenkundigen Tatsache, daß in der Werbung generell der Flachsinn regiert, umtreibt Markus Voeth, Professor an der Duisburger Gerhard-Mercator-Universität und Inhaber des – doch, das muß es jetzt wirklich geben – »Lehrstuhls für Marketing«, die Sorge, die PR-Maßnahmen verlören deutschland- und weltweit jene Qualität oder Seriosität, die sie nie besaßen. Daher dürfen sich Interessierte und professionelle Werbewächter via Website (www.marketingflops.de) an der von Voeth initiierten Wahl zum »Goldenen Marketingflop« beteiligen. Der Preis wird verstanden als Ergänzung zu den zahllosen Ehrungen, die gelungene Anzeigen und Spots feiern, beispielsweise zur Cannes-Rolle.

Eine Art Ethikrat also, vergleichbar der Jury der Gesellschaft der deutschen Sprache, die das »Unwort des Jahres« auslobt? Zwanzig Kandidaten sind jedenfalls mit Unterstützung der Zeitschrift Absatzwirtschaft auserkoren worden, zwanzig Pappenheimer, die »gegen einfachste Marketingregeln verstoßen« (Voeth) und den armen Konsumenten irregeführt bzw. sich selbst ins Knie geschossen haben.

Den ersten Rang unter den »unfreiwillig amüsanten Mißgriffen« (Spiegel Online) sollten die Verantwortlichen des deutschen Netzbetreibers Quam ergattern. Im November 2001 enterte die Tochter der spanischen Telefonica und der finnischen Sonera den Mobilfunkmarkt, fackelte eine 50 Mio. Euro teure Kampagne ab und hatte es allerdings versäumt, für die Kompatibilität mit D1, D2 vodafone u. a. zu sorgen, so daß die potentiellen Kunden nicht zu erreichen gewesen wären. Konsequenz: Im Dezember verkündete Quam beleidigt, den Weihnachtsverkauf »aus Protest« zu stoppen. Parbleu!

Nicht minder gewitzt und gewieft hatte D2 vodafone noch Mitte Oktober auf ganzseitigen Zeitungsanzeigen herumposaunt: »Ab in die Sonne – telephonieren, was der Sommer hält.« Und: »Der Sommer wird heiß.« Telegate, Verona Feldbuschs Arbeitgeber, andererseits ließ sich nicht lumpen und den Asphalt der Düsseldorfer Neureicheneinkaufsmeile Königsallee durch den Schriftzug »Da werden Sie geholfen« veredeln. Die taufrische Farbe trugen der Kundinnen Stöckelschuhe in die piekfeinen Boutiquen, wo dann Schluß mit Kichern war. Ende des Liedes: eine fette Rechnung der Stadtreinigung.

Zwar nicht den Ort, aber den Zeitpunkt verfehlte ein Bravourstück der Marketingfachleute der französischen Wintersportregion Savoyen, als man im Oktober in Nantes 25.000 Päckchen mit Kunstschneeproben, die dem Buchungswillen auf die Sprünge helfen sollten, per Post unters Volk pfefferte und sofort Milzbrand-Panik auslöste. Ebensowenig gebrannt hatte das wiederum eher deutsche Volk auf ein angekündigtes VW-Modell namens »Phaeton«. Phaeton, Sohn des Helios, fuhr – in der griechischen Mythologie – den Sonnenwagen zu Bruch, stürzte auf die Erde hinunt’ und verkohlte, die Welt loderte. Bezeichnenderweise trug die Volkswagenkarre zugleich den Projektnamen »D1«.

Drollige Vorgänge, gewiß. Die blamable Imageanstrengung Rudolf Scharpings, der der BUNTEN mallorquinische Badeimpressionen mit Gräfin Pilati-Borggreve spendierte, während die Bundeswehr gen Mazedonien ausrückte, geriet genauso zum Komplettreinfall wie RTLs Aktion Anfang Januar 2002, einen Millionär bildschirmwirksam mit einer ihm Unbekannten zu vermählen. Wenige Tage nach der Ausstrahlung flog auf, daß Mogelaspirant Thomas Tepe lediglich seine Freundin in die Sendung gelotst hatte; was die Firma August Gerstner GmbH (Pforzheim) freilich nicht daran hinderte, ihren Twister-Ehering weiter mit Bezug auf die RTL-Braut zu beplärren.

Doch, Werbung darf, einem alten Tucholsky-Wort zufolge, offenbar einfach alles, ob auf Bauernschlauniveau oder auf Global-Player-Konzernstrategieebene. Werbung ist das Ferment des entfesselt freien Marktes – und die omnipräsente Belästigung. Sie kreiert konsumtive Wunschbilder, modelliert erbärmliche Lebensstile, sie manipuliert und lügt per se. »Die Werbung leugnet die Wahrheit beharrlich«, hieß es im Katalog zur Ausstellung »echt und falsch – Die Wahrheit im Medienzeitalter« (2000, Mainz, Gutenbergpavillon), und die Exposition »X für U – Bilder, die lügen« (1998/1999, Haus der Geschichte, Bonn) widmete sich den »kalkulierten Trugbildern« des Marketings direkt neben der faschistischen Medienmobilisierung und den Fernsehmythen des zweiten Golfkriegs.

Womöglich ballert man mit U-Boot-Kanonen auf Spatzen, erinnert man daran, daß Werbung, wie wir sie heute verstehen, aus den Methoden der Nazipropaganda und der US-amerikanischen »Rumor clinics« hervorging. Gezielt Legenden lancieren und Gerüchte streuen, bis sie für wahr gehalten wurden, das war die Politik der Verblendung, und 1946 tat die amerikanische Industrie zufrieden kund: »Die Kunst, die öffentliche Meinung zu steuern, hat ein hohes Maß an Vollkommenheit erreicht.«

Heute bedarf es jenes hohen Maßes an Vollkommenheit scheinbar weniger. Die deutsche Helena Verona Feldbusch, gewissermaßen das geschickte Pendant zum turtelnden Selbstvermarktungsgenie Scharping, preist Spinat und Telephonauskunftskünste gleichermaßen täppisch an, und das schert niemanden. Der Verbraucher hat die Masche längst durchschaut.

So lachhaft läuft’s, wo Dreistigkeit und Dummheit die Geschäftsgrundlage bilden. »Werbung verspricht, was sie nicht halten kann. Auf jeden Fall trägt sie zu dick auf«, erkannte der Kunsthistoriker Beat Wyss einst klingenscharf. Für eine solche Einsicht braucht es keinen Marketingwissenschaftler, der den Zeigefinger hebt (»Viele Unternehmen«, tadelt Voeth, »bauen Mist. Es ist Zeit, ihnen den Spiegel vorzuhalten«), geschweige denn einen Wettbewerb, der besonders dicke Klöpse aus der Welt des Schwindels anprangert. Den Job der Selbstentblödung erledigen die Marketingmanager in Politik, Wirtschaft und Sport immer noch selber am effektivsten.

Verschweinskopfung

4. März 2002, kurz vor 5.45 Uhr. Ein deutscher Journalist schreibt seine »erste Feldpost«. Franz Josef Wagner. Sie erscheint einen Tag später. In der Bild-Zeitung.

»Lieber kämpfender deutscher Soldat«, beginnt die »Post von Wagner«, »es liegt mir am Herzen, Ihnen heute zu schreiben.« Und das rapportiert Wagner: »Bei uns daheim im großen und ganzen alles o. k. Boris hat eine Neue, eine US-Perserin, heißt Patrice Farameh. Würdet ihr auch nicht aus dem Schlafsack stoßen. Die Bayern holen auf, unglaublich, nur noch drei Punkte hinter Leverkusen. Ja, und gestern. Die Zeitungen voll mit Formel 1. Ralf Schumacher krachte beim Start mit Barrichello zusammen und flog siebzig Meter mit seinem BMW durch die Luft ...«

Dann, nach exakt der Hälfte – Peripetie! »Plapper’ ich euch zuviel? Ja, ich plapper’ zuviel, weil ich mich darum drücke, über das Töten zu schreiben. Die pazifistischen Grünen und die verlogenen Friedens-PDSler schreien jetzt auf. Ja, ich wünsche euch, daß ihr den Gegner tötet, bevor er euch tötet.«

Nun ist der Rubikon überschritten. Die Post geht ab, es geht ihm einer ab. Jetzt, noch jenseits der Landser- und der Jünger-Prosa, geht alles. Die Presse wird, dem 5. März sei Dank, nie mehr sein, was sie mal war. Mit Franz Josef Wagners Epistel an die deutschen Sondersoldaten begann eine neue Epoche. Dergestalt:

»Über das US-Verteidigungsministerium, nicht über das deutsche, erfuhren wir, daß ihr, Soldaten der deutschen Elite-Einheit KSK, in den Bergen Afghanistans einen Mann-gegen-Mann-Krieg führt. Wenn es Nacht ist, ist euer Gesicht geschwärzt. Tagsüber ist euer Kampfanzug weiß wie Schnee. Ich stammle euch aus der Heimat: Habt Glück, paßt auf, schießt schneller. Herzlichst – Ihr F. J. Wagner«.

F. J. Straußens Verdikt über die »Schweinepresse« greift zu kurz; gleichfalls das – auf die angebliche Linke gemünzte – Gerhard Stoltenbergsche über die »Kampfpresse«. Mit FJW und seiner vollkommenen Verschweinskopfung, mit jener hochgradigsten Obszönität ist nicht mehr zu Rande zu kommen. Wir sind durchs Ziel.

Wie bekannt, sagte ein tschechischer Ministerpräsident vor nicht allzu langer Zeit: »Journalisten sind Dummköpfe, Dreck und Fäkalien.«