Begraben in Wuppertal

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Kapitel 5

Lars hatte vermutlich nicht wirklich damit gerechnet, Fiebig für seine Geschichte interessieren zu können. Dafür kannte er ihn inzwischen zu gut. Fiebig war ein brillanter Kriminalist, für Ideen, Vorschläge und Ratschläge anderer aber meistens unempfänglich. Irgendwie passte das nicht zusammen. Trotzdem hatte sein Kommissariat eine beeindruckende Aufklärungsquote vorzuweisen. Man konnte Fiebig ja vieles vorwerfen, aber in einem war er wirklich gut: Er nahm nur Kriminalisten in seinem Kommissariat auf, die Sachverstand und starke Persönlichkeit vereinten. Letztendlich verdankte er deshalb seinem Team viele seiner Erfolge. Allen voran Elke Fassbender, seiner inoffiziellen Stellvertreterin. Sie glich seine ruppige Art aus, vermittelte, glättete Streitigkeiten und war die Einzige, die Fiebig widersprechen durfte. Alles in allem: Das KK 11 arbeitete überaus erfolgreich und Fiebig avancierte damit zum Lieblingsdienstellenleiter seines Polizeipräsidenten.

Lars würde die Sache mit Kotthausen nicht auf sich beruhen lassen, da war Fiebig sicher. Doch der Journalist konnte nicht ahnen, dass er selbst beschlossen hatte, Nachforschungen anzustellen.

Nachdem Lars sich verabschiedet hatte, griff Fiebig zu seinem Handy und rief die KTU an.

»Fahrt mal zum Hardttunnel«, gab er ihnen auf. »Die Eingangstür ist nicht zu übersehen. Sie befindet sich einige Meter oberhalb des Hardtufers, etwa in Höhe der Schulen auf der anderen Wupperseite. In der Tür sollen sich angeblich Dellen von Einschüssen befinden. Wenn das so ist, dann sucht davor nach Projektilresten. Ich komme vielleicht später dazu.«

In Ruhe aß er den Rest seines Baguettes auf, rief nach der Bedienung und überreichte ihr großzügig die 20 Euro, die Lars zurückgelassen hatte. Damit war ein fettes Trinkgeld abgegolten, das die junge Frau mit einem bezauberten Lächeln quittierte. Fiebig lächelte, so gut er konnte, zurück und machte sich auf den Weg zu seinem Wagen.

Kaum saß er im Fond, rief ihn ein Funkspruch dringend ins Büro zurück.

Der Präsident persönlich erwartete ihn.

Die Müllabfuhr habe einen abgeschnittenen Kopf in einer Tonne entdeckt. Bevor das an die große Glocke gehängt und die Presse ihn wieder mit Fragen bedrängen würde, solle Fiebig sich das sofort einmal selbst anschauen, befahl der Polizeipräsident mit rotem Kopf. Mit seinem Blutdruck stand es nicht zum Besten.

Fiebig informierte Laura Conte, die zuständige Staatsanwältin. Er stellte ihr frei, zum Tatort zu kommen.

»Warum sollte ich nicht kommen?«, fragte sie schnippisch.

»Na ja«, murmelte Fiebig, »ich dachte, weil Sie ja …«

Er spielte auf zurückliegende Fälle an, an deren Tatorten sie keine Hilfe gewesen war.

»Fiebig, mach dir keine Sorgen. Ich halte das aus.«

Bevor er Einwände erheben konnte, hatte sie schon den Hörer aufgelegt.

Vor nicht allzu langer Zeit hatte Laura als noch unerfahrene Berufseinsteigerin einige Wochen in Fiebigs Kommissariat hospitiert. Wie es seine taktlose Art war, hatte er sie wie einen Lehrling behandelt, geduzt und verspottet. Irgendwann eskalierte das in grobe Beleidigungen ihrerseits. Seitdem siezte Fiebig sie demonstrativ, während sie ihn stattdessen duzte.

Es hatte sich zu einer spielerischen Kabbelei entwickelt, die nicht ganz ernst zu nehmen war. Jedenfalls kamen die beiden inzwischen ganz gut miteinander aus.

»Na denn«, sagte Fiebig mehr zu sich selbst, wählte die Nummer der KTU und orderte weitere Kriminaltechniker.

»Unser Personal ist begrenzt. Du legst das gesamte Kommissariat lahm«, murrte der Leiter.

»Dafür seid ihr doch schließlich da«, knurrte Fiebig zurück und legte auf.

»Na denn …«, wiederholte er sich, als mit Manni, einem alten Hasen der Technik, auch die junge Corinna, die für Fotos und Videoaufnahmen zuständig war, in seinem Büro erschien. Skeptisch schaute er sie an. Es war kein Geheimnis, dass der grantige Chef des KK 11 auch sie als Lehrling betrachtete.

Entschuldigend zuckte sie mit den Schultern. »Ich hab Bereitschaft.«

»Gut, Leute, auf geht’s. Ich erkläre euch unterwegs den Sachverhalt.«

Kaum hatte Fiebig das Präsidium verlassen, tauchte Lars dort auf. Dass Fiebig schon wieder unterwegs war, wusste er nicht. Vorsichtig schaute er im zweiten Stock des Ostflügels um die Ecke, ob die Luft rein war. Niemand zu sehen. Mit schnellen, leisen Schritten durchquerte er den Flur und verschwand in Elke Fassbenders Büro.

Elke schreckte herum, als die Tür gegen das Handwaschbecken schrammte. Sie stand am Fenster und goss gerade ihre Blumen. Nicht jeder konnte sich eines so großen Büros erfreuen, wie Fiebig es sein Eigen nannte. Ihres war so klein, dass Schreibtisch, Schrank, Ablage und Regal fast die gesamte Fläche einnahmen. Das Waschbecken klemmte zwischen Wand und Türrahmen. Schwang jemand die Tür zu heftig auf, knallte sie unweigerlich gegen das Porzellan.

»Entschuldigung«, sagte Lars mit seinem Lächeln, das jede Frau entzückte.

Elke winkte die Entschuldigung ab. Sie lächelte auch, weil sie eine durch und durch freundliche Person war, nicht weil ein gut aussehender Mann ihr Büro betrat. Nur Frauen brachten sie aus der Ruhe.

»Kaffee?«, fragte sie, ohne nach dem Grund seines Besuchs zu fragen.

Lars nickte und kam dann sofort zu seinem Anliegen.

Kurz erzählte er Elke die gleiche Geschichte, die er schon Fiebig vorgetragen hatte.

»Der alte Griesgram stellte sich leider mal wieder taub. Er glaubt, ich wolle ihn für eine Geschichte missbrauchen, mit der ich mich endlich auf die erste Seite unserer Zeitung schreiben könnte.«

»Willst du doch auch.« Elke lachte.

Lars blieb ernst. »Das wäre ein schöner Nebeneffekt. Ich glaube allerdings, dass wirklich auf Kotthausen geschossen wurde. Um das zu klären, wäre es toll, wenn du einen kompetenten Blick auf die angeschossene Tür werfen würdest.«

Er kramte ein Zeitungsfoto hervor und legte es Elke hin.

»Schau mal, dieser Heinz-Günther Kotthausen ist ein alter freundlicher Mann. Warum schießt jemand auf den?«

Elke warf einen Blick auf das Foto und musste schon wieder lachen.

»Wenn man sich seine zotteligen grauen Haare wegdenkt, sieht der fast aus wie unser Chef. Nur das Freundliche würde nicht passen.«

Sie schaute auf die Uhr.

»Ist gerade nicht viel los und Fiebig ist nach irgendwohin unterwegs. Hat nichts weiter gesagt. Komm, wir fahren mal schnell zur Hardt.«

Der hügelige Park war nicht weit vom Präsidium entfernt. Eigentlich schräg gegenüber. Nur eine Häuserzeile und die Wupper trennten sie von der Friedrich-Engels-Allee, an der das Präsidium stand. Das berüchtigte Einbahnstraßengewirr Wuppertals machte es allerdings notwendig, einige Umwege zu fahren. Sie benötigten trotzdem nur ein paar Minuten und staunten nicht schlecht, als zeitgleich ein Wagen der KTU eintraf.

»Was sucht ihr denn hier?«, fragte Elke.

»Wahrscheinlich das Gleiche wie ihr«, antwortete Reinhardt, der stämmigere der beiden Techniker. »Fiebig hat uns herbestellt. Wir sollen in der Tür des Tunnels nach Einschusslöchern suchen.«

Bevor die Techniker ihre Gerätschaften ausgepackt hatten, standen Elke und Lars schon vor der Tür.

»Die könnten tatsächlich von abgeprallten Projektilen stammen«, stellte Elke mit Kennerblick fest und wurde kurz darauf von den Technikern bestätigt.

Sie blickte sich suchend um. »Aber von wo ist geschossen worden?«

»Das habe ich mich auch schon gefragt«, sagte Lars. »Auf dem Schwebebahngerüst hat bestimmt niemand gestanden. Das ist zu gefährlich.«

»Das ist auch zu nah«, entgegnete Elke. »Der Aufprallwinkel wäre dann steiler.«

»Vom Dach der Uni dahinter?«, mutmaßte Lars.

»Uni? Welche Uni?«

»Der Neubau für die Architekturstudenten da drüben.«

»Ach so, nee.« Elke schüttelte den Kopf. »Da stehen zu viele Bäume im Weg. Außerdem ist das da drüben ein Berufskolleg. Der Uni-Neubau steht hinten an der B 7, neben der Pauluskirche. Von dort oben könnte geschossen worden sein.«

Skeptisch schaute Lars zur Kirche hinüber. Ihr Turm ragte hoch hinauf. Unterhalb der Spitze war ein Erkerfenster zu erkennen. Vom Tunneleingang bis dorthin war die Sicht frei.

»Das sind bestimmt 200 Meter«, schätzte Lars.

»Mit einem Gewehr wäre das kein Problem«, sagte Elke bestimmt. »Wir fahren mal rüber.«

»Wir kommen später dazu. Müssen erst mal schauen, ob sich hier Projektile finden lassen.«

Reinhardt rief es zur Straße hinunter. Die beiden standen schon an ihrem Wagen. Elke winkte bestätigend und stieg ein.

Die Kirche lag auf der anderen Wupperseite. Wieder mussten sie eine große Schleife fahren und hielten dann direkt vor dem Portal.

Die Kirchentüren standen offen. Mehrere Leute schleppten Kisten mit Büchern durch den Saal, in dem keine Stühle oder Bänke standen, sondern lange Tischreihen.

»Kann ich Ihnen helfen?«, sprach sie ein älterer Herr an, der sich als Hans Meister vorstellte.

Er wies mit dem Arm in das Kirchenschiff und erklärte, dass hier gerade die Vorbereitungen für den Büchermarkt liefen. »Einmal im Monat findet der traditionell in der Pauluskirche statt und zieht jedes Mal Hunderte Besucher an.«

»Elke Fassbender, KK 11. Ist die Kirche durchgehend geöffnet?«

»Nur an Veranstaltungstagen«, antwortete Meister, der Organisator und Schlüsselinhaber. »Gestern Abend fand hier beispielsweise ein Konzert statt. Warum fragen Sie?«

»Möglicherweise wurden vom Turm aus Schüsse abgegeben.«

»Was?«

Hans Meister lachte dröhnend. Sein Bass füllte satt den Kirchensaal.

 

»Die Akustik ist jedenfalls grandios«, bemerkte Elke bewundernd. »Im Ernst, es kann sein, dass jemand vom Turm aus geschossen hat. Das muss gegen Mitternacht gewesen sein.«

Der Mann verstummte erschrocken.

»Das wäre ja schrecklich. Nach dem Konzert haben wir hier noch aufgeräumt und anschließend habe ich alle Türen verschlossen.«

Er überlegte kurz und fügte dann hinzu: »Allerdings waren hier eine Menge Leute und innerhalb der Kirche sind die Türen unverschlossen. Es ist möglich, dass sich jemand unbemerkt auf den Turm geschlichen hat. Schauen Sie sich um. Ich zeige Ihnen den Aufgang zum Turm.«

Der Treppenaufgang befand sich links neben dem Eingangstor. Zunächst führten Steinstufen hinauf, nach einem Podest dann ein Holztreppe und zum Schluss mussten sie eine Leiter erklimmen bis zu den Glocken hinauf. Etwas oberhalb des dortigen Podestes befanden sich schmale Fenster. Das nach Norden gerichtete stand offen. Davor hatte jemand Ziegelsteine und große Holzklötze zu einem weiteren Podest aufgestapelt.

»Das liegt hier normalerweise verstreut herum«, wunderte Hans Meister sich. Und das Fenster sollte auch nicht geöffnet sein.«

»Halt mal meine Taschenlampe.« Elke drückte sie Lars in die Hand. »Jetzt leuchte mal den Boden ab.«

Der Lichtkegel zitterte über grobe Holzbohlen, blieb dann an zwei im Licht blitzenden Hülsen hängen.

»Oha, tatsächlich.« Elke bückte sich, fasste aber nichts an. »Sieht nach Patronenhülsen eines Gewehres aus. Ich habe nicht wirklich Ahnung davon. Wir warten, bis die KTU kommt. Reinhardt ist auch unser Waffenexperte, der kennt sich aus.«

Zehn Minuten später hörten sie ein angestrengtes Keuchen im Turm. Reinhardt schleppte sich die Stiegen hinauf. Elke begrüßte ihn mitleidig.

»Du solltest ab und zu Sport treiben«, grinste sie.

Reinhardt zog sich schnaufend Latexhandschuhe über. Für eine Erwiderung hatte er keine Luft. Wortlos hob er eine Hülse auf und betrachtete sie von allen Seiten. Dann nahm er eine Lupe zur Hilfe und wiederholte das Prozedere.

»Das sieht verdammt nach ’ner 7,92iger aus«, keuchte er, noch immer atemlos.

»Wieso verdammt?«, fragte Elke.

»Wenn mich nicht alles täuscht, dann ist das ein Kaliber 7,92 x 57 für ein Infanterie-Spitzgeschoss.«

Fragende Blicke trafen ihn.

Nun gehörte Reinhardt nicht gerade zu den Gesprächigsten. Wenn es aber um sein Spezialgebiet ging, war der Kriminaltechniker nicht mehr zu bremsen.

»Könnte von dem K98 stammen. Ein Karabiner, der 1898 entwickelt wurde. Ich glaube aber eher, dass es ein 98K ist. Die hat einen verkürzten Lauf. Das war die Standardwaffe im Zweiten Weltkrieg. Zwölf Millionen Stück wurden davon bis 1945 produziert. Und sie wurde zusammen mit einem Zeiss Zielfernrohr als Scharfschützengewehr verwendet. Fünf Patronen konnte man in einen Ladestreifen einsetzen. Da es aber ein Repetiergewehr war, musste man nach jedem Schuss den Verschluss betätigen, damit eine neue Patrone in den Lauf eingeführt werden konnte. Die verschossene flog dabei heraus. Zwei dieser verschossenen Hülsen sehen wir hier. Könnten zu den Projektilen passen, die wir im Gras gefunden haben.«

»Und diese alten Dinger sind noch im Umlauf?«, fragte Lars.

»Ja klar. Die werden heute noch als Jagdwaffe benutzt. Zu meiner Anfangszeit bei der Polizei hatten wir die sogar als Übungswaffe im Bestand.«

»Das heißt, von diesem Gewehrtyp gibt es noch immer eine Menge?«, fragte Elke.

»Keine Ahnung. Soviel ich weiß, sind die polizeilichen Gewehre damals alle nach Afrika verkauft worden. Die brauchten ja dort solche Waffen, um sich gegenseitig zu massakrieren.«

Elke war neu, dass zu Reinhardts Charakterzügen auch Sarkasmus gehörte.

»Wenn ich die Hülsen eindeutig identifiziert habe, lasse ich sie durch unsere Datei laufen. Ob das mit den verdötschten Projektilen auch klappt, weiß ich noch nicht. Vielleicht wissen wir dann, ob die Waffe mit einem anderen Verbrechen in Verbindung gebracht werden kann.«

Mit diesen Worten packte Reinhardt die Fundstücke in eine Plastiktüte und verabschiedete sich.

»Was heißt das jetzt für uns?«, wandte Lars sich an Elke.

»Alles und nichts«, fasste Elke Reinhardts Ausführungen zusammen: »Entweder hat hier jemand mit einem Präzisionsgewehr gestanden und absichtlich danebengeschossen – wobei sich die Frage stellt: warum? Als Warnung? – Oder wir haben es mit einem Laien zu tun. Vielleicht war es ein alter Mann, der noch so einen Karabiner aus Kriegszeiten besitzt, aber selbst zu zittrig war, um ihn ruhig zu halten. Oder … Ich weiß es nicht …«

»Und welches Motiv steckt dahinter?« Lars stellte damit die nächste Frage in den Raum.

Hans Meister stand die ganze Zeit daneben und schüttelte fassungslos den Kopf.

Sie ließen ihn mit der Ermahnung zurück, hier nichts weiter anzufassen und niemanden auf den Turm zu lassen.

»Möglicherweise müssen unsere Techniker hier noch einmal nach Spuren suchen.«

Damit komplementierte Elke alle hinaus und versiegelte unten die Tür.

Kapitel 6

Als Fiebig von dem Kopf in der Mülltonne berichtete, wünschte Corinna sich, es würde ihr erspart bleiben. Sie war keine Kriminalbeamtin. Sie arbeitete als Fotografin bei der Kriminaltechnik. Das war allemal spannender als bei der Presse, hatte sie sich gedacht. War es auch. Dass sie neuerdings zum Tatortdienst eingeteilt wurde, war nur der Personalmisere zu verdanken. Es erfüllte sie mit Stolz, nun richtig bei den Technikern integriert zu sein. Bisher hatte sie sich Leichen meistens nur in ihrem Fotolabor auf Papierabzügen angesehen. Leibhaftige verursachten ihr noch immer Unbehagen. Und nun ein abgeschnittener Kopf. Es schüttelte sie bei dem Gedanken an das Kommende.

Fiebig bemerkte es amüsiert. Er konnte es nicht lassen, ihr detailliert zu schildern, was sie zu sehen bekäme.

»Jetzt ist gut«, knurrte Manni böse. Er wollte offenbar verhindern, dass Fiebig seine junge Kollegin in Angst versetzte.

»Scheiße«, murmelte Fiebig.

Er hielt in der Brunnenstraße direkt hinter dem Müllwagen. Sein Ärger galt nicht Manni, sondern dem Szenario, das sich ihm bot.

Ein Streifenwagen stand quer zur Fahrbahn und blockierte die Durchfahrt für andere Fahrzeuge. Das eingeschaltete Blaulicht hatte eine Menge Neugieriger angelockt und die Presse war natürlich auch schon da.

Fiebig wuchtete seine imposante Gestalt mit einer Geschwindigkeit aus dem Wagen, die man ihm nicht zugetraut hätte.

»Schafft mir die Leute hier weg!«, schnauzte er einen Streifenbeamten an. Zwei Pressefotografen ließen sich nicht des Platzes verweisen.

»Wenn ich ein Foto von mir oder der Leiche in eurer Zeitung sehe, reiß ich euch den Arsch auf.«

Die Fotografen kannten Fiebigs drastische Ansagen. Vorsichtshalber zogen sie sich ein paar Schritte zurück und lauerten dort weiterhin auf den richtigen Moment für ein Foto. Dafür wurden sie schließlich bezahlt. Ob Fiebig das passte oder nicht.

Drei Müllmänner saßen leichenblass auf dem Bordstein und starrten vor sich hin. Ein zweiter Schutzpolizist stand lässig rauchend an eine Mülltonne gelehnt. Eine Hand hatte er auf dem Deckel liegen.

»Meldung!«, raunzte Fiebig ihn an.

Die Hand des Polizisten klopfte auf den Deckel. »Der Kopf liegt da drin. Der Rest im Keller.«

»Weiter«, forderte Fiebig ungeduldig.

»Der Tatort ist wahrscheinlich die Parterrewohnung rechts.«

»Wahrscheinlich?«

»Das sehen Sie dann schon.« Der Beamte ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Er hatte in seinem Dienstleben zu viel gesehen und erlebt, als dass ihn ein ungewöhnlicher Tatort beeindrucken könnte.

»Die mutmaßliche Täterin habe ich schon zum Präsidium bringen lassen.« Er spuckte seinen Zigarettenstummel vor Fiebigs Füße, trat ihn seelenruhig aus und entfernte sich ohne Gruß.

Fiebig wusste, dass sich nicht viele Freunde unter seinen Kollegen befanden. Also kommentierte er das Verhalten des Polizisten nur mit einem Achselzucken und öffnete ungerührt den Mülleimer. Er warf einen Blick hinein.

»Verdammt, das ist ja ein Kumpel von Kralle«, rief er überrascht aus. Kralle war ein Obdachloser, den Fiebig seit Jahren kannte und kontaktierte, wenn er Auskünfte aus der Szene benötigte.

»Wie heißt der noch mal?«, fragte er Manni, der ihm über die Schulter geblickt hatte.

»Keine Ahnung, aber fass nichts mehr an. Ich lass den Eimer komplett ins Labor bringen.«

»Gut, dann gehen wir jetzt ins Haus.«

Die Nordstadt Elberfelds – im Volksmund »Ölberg« genannt, weil es das letzte Stadtviertel gewesen war, das elektrisiert wurde – hatte sich schon lange zu einem beliebten Wohngebiet gemausert. Jahrzehnte vorher waren Öllampen dort die bevorzugte Lichtquelle gewesen. Nun zeigte sich das Viertel mit überwiegend durchsanierten Häusern im Gründerstil als eine der kulturellen Hochburgen der Stadt mit Cafés, Restaurants, Ateliers und Veranstaltungsräumen. Zugewanderte, Alternative und Alteingesessene teilten sich den Berg. Das Haus, auf das Fiebig nun zuging, hatte den Wandel verschlafen. Es gehörte der Stadt. Sozial Schwache wurden dort einquartiert.

Noch bevor Fiebig mit Manni und Corinna im Schlepptau die Haustür erreichte, ließ ihn ein lautes Hupen verharren. Er schaute sich um. Mit ihrem Mini-Cabrio kam Staatsanwältin Laura Conte die Straße hochgefegt. Vor dem quergestellten Streifenwagen stoppte sie. Leichtfüßig sprang sie aus dem Wagen und eilte den dreien entgegen. Die langen schwarzen Haare windzerzaust. Sie war mit geöffnetem Dach gefahren.

»Hallo«, hauchte sie etwas außer Atem.

Corinna und Manni erwiderten den Gruß, während Fiebig sie nur ernst anschaute. Sein stummer Blick sollte wohl sagen: »Fall mir ja nicht wieder in Ohnmacht.«

Das auszusprechen, wäre allerdings übertrieben gewesen. Ja, Laura hatte sich anfangs beim Anblick der Leichen schwergetan. Das aber hatte sie lange überwunden. Inzwischen konnte sie die nötige Distanz wahren und ohne Emotionen das Ganze professionell betrachten.

Sie betraten den Hausflur. Eine blutige Schleifspur zog sich von der Wohnungstür Richtung Kellertreppe.

Manni verteilte Plastiküberzieher für ihre Schuhe. Vorsichtig gingen sie weiter.

An der Türschwelle blieben sie abrupt stehen.

»Sieht aus, als ob hier jemand abgeschlachtet wurde.«

Laura sagte es mit einem Sarkasmus, der Fiebig einen überraschten Blick entlockte. So cool kannte er sie gar nicht. In ihren Gesichtszügen forschte er nach ihrem wahren Befinden. Dabei entging ihm Corinnas Würgen. Manni zog sie zu spät zurück. Ihr Mageninhalt ergoss sich über Fiebigs Frühlingsoutfit.

Wütend brüllte er los. Corinna brach in Tränen aus. Manni schob sie zurück auf die Straße, nahm ihr den Fotoapparat ab und reichte ihn Laura.

»Ich brauche fürs Erste nur ein paar Übersichtsaufnahmen«, schnaufte Fiebig noch immer erregt. »Alles Weitere übernimmt nachher die Technik.« Gemurmelte Flüche untermalten seinen Versuch, sich mit Tempotüchern zu reinigen.

Laura stakste vorsichtig zwei Schritte in den Blutsee hinein, der das Zimmer wie eine schäbige Hinterhofmetzgerei aussehen ließ. Sie fotografierte aus verschiedenen Winkeln das Schlachtfeld. Umgestürzte Möbel, Dreck und Müll in allen Ecken, direkt neben der Tür ein alter Holzofen, vor dem ein blutiges Handbeil lag.

Fiebig begleitete ihre Aktivität mit einem zustimmenden Brummen.

»Das reicht«, unterbrach er sie. »Schauen wir uns noch den Rest an.«

Sie brauchten nur der Blutspur im Treppenhaus zu folgen, gingen in den Keller hinunter und standen dann vor einem Torso ohne Kopf. Aus der rissigen Wunde, die einmal ein Hals gewesen war, sickerte noch etwas Blut. Laura drehte sich als Erste weg. Sie ging zurück auf die Straße und zündete sich eine Zigarette an. Zuvor hatte sie Fiebig den Fotoapparat wortlos in die Hand gedrückt. Der reichte ihn an Manni weiter.

»Okay, ich mach das schon«, sagte Manni und schob Fiebig Richtung Ausgang.

Draußen sog Fiebig erleichtert die laue Frühlingsluft ein, kramte seinen Tabakbeutel hervor und stopfte sich eine Pfeife. In seinem langen Berufsleben hatte er sich so manche Grausamkeit ansehen müssen. Er hatte gelernt, damit umzugehen. Einfacher machte es das nicht. Seinen Mitarbeitern gegenüber zeigte er keine Emotionen, spielte vielmehr den knochenharten Burschen. So langsam reichte es ihm aber.

»Mannomann«, murmelte er vor sich hin, nahm einen tiefen Zug aus seiner Pfeife und schaute sich um.

 

Laura stand rauchend an ihrem Wagen. Die Müllmänner saßen noch immer auf dem Bordstein.

»Geht nach Hause«, sagte Fiebig zu ihnen. »Ich besorge Ersatz für euch.«

Er ließ sich die Telefonnummer von ihrem Chef geben. Der unterbrach Fiebigs Gesprächsansatz: »Wann können meine Leute endlich weiterfahren? Die ganze Tour kommt in Verzug.«

»Ich hab sie nach Hause geschickt«, bellte Fiebig zurück. Er ließ sich nicht gerne unterbrechen. »Schaffen Sie eine Ersatzmannschaft hierher, sonst lass ich Ihre Müllkutsche abschleppen. Die blockiert die Straße.«

»Was?!«, dröhnte es durch die Leitung.

»Ende der Durchsage«, knurrte Fiebig und drückte das Gespräch weg.

Laura kam auf ihn zu. Sie sah blasser aus als vorhin.

»Weiß man schon, was das für ein Irrer war?«, fragte sie.

»Soll ’ne Frau gewesen sein.« Dabei grinste Fiebig, und als Laura schluckte, fügte er noch an: »Wer auch sonst.«

Laura starrte ihn böse an, verkniff sich aber einen Kommentar.

Sie drehte sich ihrem Wagen zu. Im Weggehen sagte sie über die Schulter hinweg: »Ich will bei der Vernehmung dabei sein.«

»Von mir aus«, rief Fiebig ihr hinterher. »Sie sind die Staatsanwältin.«

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