Begraben in Wuppertal

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Seine weiteren Ausführungen folgten:

Jahre vor Beginn des Krieges lebte Göbbels in Wuppertal.

1924 arbeitete er dort als Redakteur des Gaukampfblattes »Völkische Freiheit«.

Schon früh war er glühender Anhänger der NSDAP gewesen und großer Bewunderer Hitlers. Er holte ihn mehrmals in die Stadt und ließ ihn hier bejubelte Auftritte absolvieren.

1926 notierte er in seinem Tagebuch: »Hitler seit zwei Tagen hier. Ein grauenvolles Warten auf ihn. Mit Jubel empfangen. Unter Begeisterung vorgestern in Elberfeld.«

In den folgenden Jahren baute Göbbels Elberfeld, das erst 1929 mit anderen Gemeinden zur Stadt Wuppertal vereint wurde, zu einer Hochburg der NSDAP aus. Bevorzugter Treffpunkt war damals das Evangelische Vereinshaus an der Kasinostraße. Heute hat dort ein Altenheim seinen Sitz. Prominente Nazi-Größen fanden sich im Vereinshaus als Redner ein, unter ihnen auch Erich Koch, der spätere Gauleiter Ostpreußens.

Das alles ließ Kotthausen zu dem Schluss kommen, dass der aus Wuppertal stammende Koch das Bernsteinzimmer geraubt hatte, um es hier für eine glorreiche Nachkriegszeit zu verstecken. Gesinnungsgenossen, die ihm dabei geholfen haben könnten, habe es in der Stadt zur Genüge gegeben.

Aber warum vermutet er es dann ausgerechnet in der Hardt-Kaverne, die doch erst 1960/61 gebaut wurde?, fragte Lars sich. Insgesamt empfand er Kotthausens Aufzeichnungen als sehr dürftig, nicht gut recherchiert und nicht an entscheidenden Stellen nachgehakt. Was war zum Beispiel mit diesem ominösen Klaus-Jürgen? War der tatsächlich ein Enkel des NS-Mannes Koch, vorausgesetzt die verstorbene Elisabeth wäre Kochs Tochter gewesen? Könnte der es gewesen sein, der auf Kotthausen geschossen hatte? Und wenn ja, warum?

Lars klappte das Tagebuch zu.

Man müsste tiefer graben, dachte er, vielleicht wird doch noch eine großartige Geschichte daraus. Zunächst galt es, in die Kaverne zu gelangen, um zu sehen, was dort wirklich zu finden war.

Mit der Überlegung, wer ihm dabei behilflich sein könnte, ging er zu Bett.

Kapitel 3

Mit noch schlafverklebten Augen schlurfte Fiebig Richtung Badezimmer. In der Küche gluckerte schon leise die Kaffeemaschine. Die würde er auch blind finden. Das Radio hatte sich von allein eingeschaltet, es war programmiert. Heute sei Freitag, der 26. April 2019, ein warmer Frühlingstag stehe bevor, flötete ein aufgeräumter Moderator durch den Äther. Die folgenden Nachrichten schwappten an Fiebig vorbei. Am liebsten ginge er sowieso mit geschlossenen Augen und Ohren durch die Welt. In letzter Zeit noch mehr als sonst. Für ihn bestand die Stadt aus Schmutz, Elend und Dreck. Werbung nicht zu vergessen, die vor allen Dingen. Die Plakatwände waren mit verhunzten Wortgebilden bestückt, die seiner Sprache nicht ähnelten. Sie erreichten ihn nicht. Im Übrigen fand er die meisten hirnrissig. Sinnentleerte Slogans sollten junge Menschen ansprechen, für ihn waren sie nicht gedacht.

Geschlossene Augen gingen aber nicht, schon gar nicht, wenn man vor dem Spiegel stand und sich rasieren wollte, nass, mit scharfer Klinge.

Fiebig musste hineinsehen. Mühsam hob er die müden Augenlider. »Bäh!«, entfuhr es ihm beim Anblick seines zerknautschten Gesichtes.

Seine geröteten Augen konnte er noch dem gestrigen Alkoholkonsum zuschreiben. Die schweißnasse Glatze der unruhig verbrachten Nacht. Seine fahle, schlaffe Haut und die Tränensäcke unter den Augen auf sein Alter zu schieben, das allerdings erschien selbst ihm nicht ehrlich.

Schuld war sein ungesunder Lebenswandel. Seine Schwester hielt es ihm ohne Unterlass vor. Fast neun Jahre jünger als er war sie, seine kleine Schwester. Eine lebensbejahende Witwe. Im Gegensatz zu ihm strotzte sie vor Energie und konnte es nicht lassen, ihn zu bevormunden und zu gängeln.

Wenn er nächste Woche seinen 59. Geburtstag erleiden würde, würde er sie wie immer nicht daran hindern können, ihm eine Feier auszurichten. Und wie jedes Jahr würde sie eine ihrer zahlreichen Freundinnen mitbringen. Elfie, Claudia, Hanne, oder wie sie alle hießen. In einem stillen Winkel der Küche würde sie ihm zuraunen: »Sei nett und nicht so grantig zu Elfie. Die wäre doch was für dich.«

»Ihr geht mir alle auf den Sack, auch du!«, blaffte er sein Spiegelbild an. Er brauchte keine Frau, musste sich erst einmal wieder in Form bringen.

Missmutig setzte er den Rasierer an, wissend, dass er die Klinge nicht unfallfrei über seine faltige Haut ziehen könnte.

Seine Hand zitterte, trotzdem kam er mit nur einer Schramme davon. Er klebte ein winziges Pflaster darüber, öffnete das Badezimmerfenster, um den Dampf der heißen Dusche abziehen zu lassen, die er zuvor genossen hatte, und sah draußen einen strahlenden Frühlingstag aufziehen.

Vor seinem Kleiderschrank entschied er sich für eine leichte Sommerhose und sein helles Leinenjackett. Der harte Duschstrahl hatte ihm ins Leben zurückgeholfen.

Nachher würde er sich mit Lars Lombardi im Biergarten auf dem Laurentiusplatz treffen. Im Präsidium musste nicht jeder mitkriegen, dass er Umgang mit der Presse pflegte, wo doch alle wussten, dass Presseleute für ihn lästige Schmierfinken waren.

Leider hatte er im Alkoholrausch mit eben einem dieser Zunft Brüderschaft getrunken. Und wenn er ehrlich war, musste er sich eingestehen, dass dieser Lars Lombardi ein sympathischer Junge war, sonst würde er sich ja auch nicht mit ihm treffen.

Was ihm an Lars nicht gefiel, war seine Manie, diese eine unglaubliche Geschichte zu finden, die ihn in die Riege der angesagtesten Journalisten katapultieren würde.

Fiebig war gespannt, für was er ihn heute wieder einspannen wollte.

Im Treppenhaus roch es nach angebranntem Toast. Fiebigs Nase kräuselte sich angewidert. Er frühstückte nie zu Hause. Der Lift stand auf seiner Etage, der siebten und letzten. Fiebig war dort Besitzer einer Eigentumswohnung: einem Penthouse mit Blick über die Stadt. Er zog die Fahrstuhltür auf. Warmer Mief schlug ihm entgegen. In der engen Kabine setzte sich der Duft seines Rasierwassers durch. Es war das Weihnachtsgeschenk seiner Schwester gewesen. Heute hatte er es zum ersten Mal aufgetragen. Im vierten Stock stieg die Rothaarige ein. Auf Mitte 40 schätzte er sie. Sie schnupperte überrascht und schaute Fiebig interessiert an.

Das irritierte ihn.

Normalerweise beachtete sie ihn nicht – er hingegen schaute ihr gern hinterher. Dabei kamen ihm Gedanken, die er besser für sich behielt. Eine Frau an seiner Seite hatte er schon zu lange entbehrt.

Nicht ganz freiwillig. Er hatte sich gehen lassen, war kein angenehmer Anblick für seine Mitmenschen.

»Ein Geschenk meiner Schwester.« Er grinste unbeholfen.

Die Frau musterte ihn kritisch, schien ihm das nicht ganz abzunehmen. Aber sie nickte nur, lächelte dabei.

Schweigend glitten sie in die Tiefgarage hinab.

»Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Tag«, sagte sie und stolzierte auf ihren hohen Stöckelschuhen zu ihrem Wagen.

»Danke, wünsche ich auch«, antwortete Fiebig viel zu spät. Sie war schon eingestiegen.

»Trottel«, sagte er zu sich selbst und wandte sich seinem alten Benz zu, der direkt neben der Ausfahrt stand.

Seinen Führerschein hatte er seit Kurzem zurück, das Trinken hatte er trotzdem nicht eingestellt. Die drei Monate ohne eigenes Auto waren ihm schwergefallen. Sich zu Fuß durch die Gegend zu bewegen, war nicht sein Ding. Einer der Gründe für sein schlaffes Aussehen. Es gab noch andere. Fiebig wollte sie sich nicht eingestehen. Jedenfalls hatte er das Autofahren nicht verlernt.

Beschwingt vom Anblick der Rothaarigen, von der er nicht einmal den Namen wusste, obwohl sie mindestens so lange wie er hier wohnte, beschloss er, einen kleinen Umweg zu fahren.

Er drehte die Scheibe hinunter, ließ die laue Frühlingsluft seine Glatze umspielen und fuhr hinauf zum Lichtscheid. Die dortige Tanke war meist einige Cent billiger als die Markentankstellen. Auch an der kleinen Kirche in der Nähe fuhr er noch vorbei. Die Seitenfassade zierte immer ein großes Plakat mit einem aufbauenden Spruch, meistens einem Bibelzitat. Fiebig war nicht religiös. Seit Jahren hatte er keine Kirche mehr von innen gesehen, aber diese Plakatwand sprach ihn an. In vierteljährlichen Abständen wurde sie von lokalen Künstlern gestaltet. Die rote Ampel neben der Kirche ließ ihn einen Augenblick verweilen und den Anblick des aktuellen Plakates genießen.

Er erinnerte sich noch an den letzten Spruch, in dem es um die Beziehung von Jenseits und Diesseits ging. Fiebig hatte nichts dagegen, dass man das Zitat inzwischen ausgetauscht hatte, schließlich musste er den Übergang zum Jenseits fast täglich aus der Nähe betrachten. Nach 40 Dienstjahren war das mehr als genug. Seine Seele zeigte Narben, und obwohl er den Beruf des Kriminalisten gerne ausübte, sehnte er seine Pensionierung herbei.

Noch war es nicht so weit. Wütendes Hupen hinter ihm riss ihn aus seinen Gedanken. Entschuldigend hob er die Hand und fuhr an. Die Ampel sprang gerade von Gelb erneut auf Rot.

Fiebig bog nach links ab und fuhr zur Stadt hinunter.

Er passierte den Sportplatz an der Oberbergischen Straße und neidisch sah er, wie sich Jugendliche für den Schulsport warm machten – so agil wäre er auch gerne noch.

Im Tal musste er erneut einen Umweg fahren, denn die direkte Zufahrt zum Polizeipräsidium war wegen der Dauerbaustelle an der Bahnunterführung noch immer gesperrt. Das brachte ihn in den Genuss eines weiteren Bibelspruches an einer Hausfassade: »Bereite Dich darauf vor, Deinem Gott zu begegnen (Amos 4,12)«, las er.

»Ich habe keinen eigenen Gott«, knurrte er vor sich hin. »Wenn ich aber mal irgendeinem begegnen sollte, würde ich ihn fragen, ob es ihm eigentlich Spaß macht, die Welt in den Abgrund zu stürzen.«

 

Die Vorstellung einer solchen Begegnung ließ ihn schmunzeln. Er beschloss, den heutigen Tag locker angehen zu lassen und ausnahmsweise nicht mit seiner Umwelt zu hadern.

Beschwingt betrat er sein Büro im zweiten Stock des Präsidiums und fand seine Mannschaft vollständig versammelt vor. Als Chef des KK 11 besaß er natürlich das größte Zimmer, das gleichzeitig als Besprechungsraum diente.

Alle hatten sich zwischenzeitlich mit Kaffee versorgt. Dass Fiebig als Letzter kam, war ungewöhnlich. Die Gespräche verstummten. Elke schob ihm den Stapel neuer Vorgänge zu, die in der Nacht angefallen waren und die von der Kriminalwache im ersten Angriff bearbeitet worden waren. Ein anderer füllte Fiebigs Kaffeetasse auf. Alle warteten auf eine Erklärung für sein Zuspätkommen.

Fiebig grinste nur. Ohne sich zuvor die neuen Anzeigen anzuschauen, schmiss er sie quer über den Tisch einem nach dem anderen zu. »An die Arbeit«, verkündete er und klatschte dabei in die Hände.

Verwundert verließen die Kollegen sein Büro.

Elke blieb sitzen.

»Was ist los?«, fragte sie. So guter Laune erlebte sie ihren Chef selten. Sein Verhalten hatte fast etwas Kindliches.

»Es muss sich etwas ändern«, erklärte Fiebig.

»Ach ja? Dass du hier nicht mehr Chef sein willst, oder was?«

»Nein, ganz allgemein. Ich muss meine Mitte wiederfinden.«

Elke Fassbender war die Einzige im Kommissariat, mit der Fiebig überhaupt Privates besprach. Er hatte sie als seine Stellvertreterin auserkoren. Offiziell war die Stelle vakant. Sie musste noch ausgeschrieben werden und dann erst konnte Elke sich bewerben. Beide hofften natürlich, dass sie auch den Zuschlag bekäme.

»War was Wichtiges bei den Eingängen dabei?«, wechselte er das Thema. Natürlich wusste er, dass Elke alles gesichtet hatte. Wenn er etwas hätte wissen sollen, hätte sie es gesagt.

Sie schüttelte nur den Kopf.

»Gut«, sagte Fiebig, »dann übergebe ich dir die Amtsgeschäfte für ein oder zwei Stunden. Ich muss zu einer Verabredung.«

Kapitel 4

Zweimal kurvte Fiebig durch das Einbahnstraßengewirr des Luisenviertels, bis er endlich einen Parkplatz gefunden hatte. In ein Halteverbot wollte er sich nicht mehr stellen, schon gar nicht mit dem Dienstwagen, mit dem er nun unterwegs war. Seit er lautstark mit einer Politesse aneinandergeraten war, waren die städtischen Ordnungshüter nicht gut auf ihn zu sprechen. Fiebig hatte behauptet, er befände sich in einem dringenden Einsatz, was die Dame nicht geglaubt hatte. Sie ließ das überprüfen und Fiebig stand danach als Lügner da. Das hielt ihn jedoch nicht davon ab, nachzutreten und sich beim Leiter des Ordnungsamtes über die Politesse zu beschweren.

Dass er mit seinen verbalen Attacken die Anzahl der Menschen, die ihm wohlgesonnen waren, noch mehr reduzierte, war ihm egal.

»Irgendwann werden dich alle hassen«, hatte Lars ihm prophezeit und Fiebig hatte das nur mit einem »na und« kommentiert.

Es schien ihm wirklich egal zu sein. Ihm genügte sein Team im Kommissariat, das zu ihm stand, obwohl er es mit harter Hand führte. Er war kompromisslos, unhöflich und rechthaberisch. Er hatte so gut wie keine Freunde. Umso erstaunlicher, dass er sich mit dem Journalisten Lars Lombardi verstand, der doch ein halbes Leben jünger war als er selbst und überdies einer Zunft angehörte, die Fiebig als seine natürlichen Feinde betrachtete. Lombardi war das genaue Gegenteil seines väterlichen Freundes. Gut aussehend, stets freundlich, kommunikativ, mit einer positiven Lebenseinstellung. Machte sich jemand über die Konstellation der beiden Männer lustig, quittierte Fiebig das meist mit einem verschämten Grinsen. Er konnte selbst nicht sagen, was ihn an diesem Jungen faszinierte. Wahrscheinlich war es dessen unbekümmerte Jugendlichkeit, die Fiebig völlig abging.

Laura Conte, Staatsanwältin und Lars’ Freundin, hatte die beiden zusammengebracht. In der Pizzeria ihrer Eltern in Cronenberg hatten sie gesessen, Fiebig hatte mal wieder zu tief ins Glas geschaut und im Rausch des Alkohols Lars das Du angeboten. Seitdem bestand diese seltsame Freundschaft, die Fiebig nicht so nennen wollte.

Es war fast Ende April, sagte der Kalender. Die Temperaturen taten aber so, als ob es bereits Sommer wäre. Lang und heiß würde er werden. Und das kommende Geschehen verdiente die gleichen Attribute. Davon ahnte allerdings noch niemand etwas.

Auf dem Laurentiusplatz dominierte die große Kirche mit ihren zwei Türmen, deren ockerfarbene Fassade im Sonnenlicht erstrahlte. Alle Restaurants rund um den Platz hatten bereits ihre Außengastronomie eröffnet. Lars saß unter einem Sonnenschirm neben dem Glascafé und flirtete mit der Bedienung. Fiebig klopfte ihm zur Begrüßung auf die Schulter und bestellte sich ein Frühstück. Kaffee, Rührei und ein Käsebaguette. »Aber ohne Gedöns«, fügte er an.

»Ohne Salat, Gurke und Tomate, nur Butter und Käse«, übersetzte Lars.

Zu welcher Jahreszeit auch immer, Lars trug stets das gleiche Outfit: Jeans, schwarzes T-Shirt, schwarze, kurze Lederjacke. Die hing jetzt über der Stuhllehne. Groß, schlank, sportliche Figur, einen sympathischen Gesichtsausdruck, seine langen schwarzen Haare, die er zu einem Zopf gebunden hatte – das war es, was ihn so anziehend wirken ließ.

»Läuft es nicht mehr so gut mit Laura?«, fragte Fiebig und zeigte auf die abziehende Bedienung. Sein Blick verfolgte ihren wiegenden Gang. Ein wehmütiger Zug umspielte seine Lippen. Kurz schüttelte er den Kopf, als wollte er seinem Gehirn verbieten, die aufkommenden Gedanken weiterzuspinnen, dann wandte er sich wieder Lars zu.

»Unser Verhältnis ist gerade etwas unterkühlt.« Er grinste schief. Glücklich sah das nicht aus. Bewusst flapsig sprach er weiter: »Fiebig, alter Mann, setz dich. Du bist so frühlingshaft gekleidet. Ist was passiert?«

Den alten Mann nahm Fiebig gelassen hin. Die Anrede nur mit seinem Nachnamen genauso. Das war normal. Schon als Jugendlicher hatte er beschlossen, nicht mehr Franz Fiebig zu heißen, sondern nur noch Fiebig. Franz erschien ihm zu altbacken. Überdies hatten ihn seine Eltern nach seinem Großvater benannt, den er gar nicht mehr erlebt hatte. Menschen, die ihn weniger gut kannten, nannten ihn Herr Fiebig. Und wurde er irgendwo vorgestellt, etwa, wenn er vor fremden Kollegen ein Referat hielt, dann führte man ihn als »Erster Kriminalhauptkommissar Fiebig« ein, kurz EKHK Fiebig.

»Es muss sich etwas ändern«, beantwortete er Lars’ Frage.

»Das ist doch seit Langem meine Rede. Du solltest Sport treiben, deinen Bauch abtrainieren, dein miesepetriges Gesicht mit etwas Kosmetik auffrischen und dir vielleicht einen Dreitagebart zulegen. Würde gut zu deiner Glatze kontrastieren. Und deine Schuhe. Die gehen gar nicht.«

Fiebig schaute konsterniert auf seine ausgelatschten schwarzen Treter hinunter.

»Was stimmt damit nicht?«

»Das sind Altherrenschuhe. Zu der Kleidung«, er zeigte auf Fiebigs lässiges Jackett, »solltest du Sneaker anziehen. Blaue oder rote. Meinetwegen auch welche in Beige«, fügte er an, als Fiebig skeptisch schaute.

Der starrte Lars ins Gesicht. Schnell nahm der seine Sonnenbrille ab und legte sie auf den Tisch. Er hatte vergessen, dass Fiebig es gar nicht mochte, wenn jemand seine Augen vor ihm verbarg.

Jetzt war es Fiebig, der grinste. Heute Morgen war er wirklich gut drauf.

»Was machen deine Geschichten?«, fragte er leutselig. »Bist du immer noch an dem Schatzsucher dran?«

»Bis gestern dachte ich noch, die Geschichte sei nun ausgelutscht«, begann Lars vorsichtig. »Tagelang habe ich Kotthausen auf seiner Suche begleitet. Wir waren in fast allen Höhlen und Bunkern der Stadt, die ihm zugänglich gemacht wurden. Gefunden haben wir nichts.«

»Das war doch klar.« Fiebig wusste es natürlich schon vorher besser. »Wie kommt der denn überhaupt darauf, das Bernsteinzimmer in Wuppertal zu suchen?«

»Die Geschichte des Zimmers kennst du?«

Fiebig zuckte mit den Schultern. Ob das hieß »ja«, »in etwa« oder »keine Ahnung«, ließ er nicht durchblicken. Wahrscheinlich hieß es: »Interessiert mich nicht.«

Wenn es um Kunst ging, zeigte Fiebig sich uninformiert.

Lars half ihm auf die Sprünge und referierte kurz die wichtigsten Fakten.

»An unzähligen Orten wurde das verschollene Zimmer schon vermutet; aber bisher nie gefunden«, schloss er seinen kleinen Vortrag.

»Ja, und warum jetzt in Wuppertal?«, wollte Fiebig wissen.

»Kotthausen war gestern Nacht an der Hardt-Kaverne. Weil man ihn offiziell da drin nicht mehr suchen lassen wollte, versuchte er die Eingangstür aufzubrechen, musste aber unverrichteter Dinge abziehen. Jedenfalls blieb sein Rucksack liegen und darin befanden sich Unterlagen, aus denen hervorgeht, dass er irgendwelche alten Verbindungen des NS-Mannes Koch zu Cronenberg gefunden hat. Unter anderem eine Todesanzeige für eine Elisabeth Koch, wer auch immer das gewesen ist. Jedenfalls wäre es interessant zu wissen, was da tatsächlich im Tunnel zu finden ist.«

»Wahrscheinlich haben die den gesperrt, weil da Höhlenforscher drin arbeiten, habe ich in eurer Zeitung gelesen.«

»Soso, du weißt also doch, um was es geht. Jedenfalls wäre das kein Grund, auf ihn zu schießen. Sein halbes Ohr ist weg.«

Jetzt war es heraus.

»Aha, das ist es, was du mir eigentlich sagen wolltest. Lieber Lars, das kann nur Bullshit sein.« Deutliche Ironie schwang bei Fiebig mit.

Bevor er das genüsslich ausbreiten konnte, fuhr Lars ihm dazwischen: »Gestern Nacht hab ich den Typen in der Notaufnahme getroffen. Ein Stück vom Ohr fehlte. Er sei angeschossen worden, behauptete er.«

Fiebig lachte.

»Habe ich auch erst nicht geglaubt«, sagte Lars. »Er hat mir erzählt, dass er kurz vor Mitternacht in die Hardt-Kaverne einbrechen wollte. Plötzlich habe es einen Knall gegeben und sein Ohr war weg. Ich habe mir den Eingang zum Tunnel angeschaut. Da waren tatsächlich Dellen in der Eisentür, die von Projektilen stammen könnten.«

»Das ist mehr als Bullshit«, knurrte Fiebig, ganz der alte Kripofuchs, der glaubte, Lars wolle ihm damit einen Ermittlungsvorgang aufdrängen, nur um ein weiteres Märchen zu veröffentlichen.

Lars versuchte es noch einmal:

»Sämtliche unterirdischen Räume hat die Stadt dem Mann zugänglich gemacht und den letzten und größten, den Hardttunnel, haben sie ihm verweigert. Und als er heimlich, nicht ganz legal, da rein wollte, wurde auf ihn geschossen. Das ist doch komisch, oder?«

»Ja, das ist komisch. Habe lange keine so lustige Geschichte mehr gehört.«

Fiebig lachte jetzt aus vollem Hals. Lars nicht.

»Du weißt, dass ich dich schätze«, begann Fiebig ernst. »Aber auf der Jagd nach ungewöhnlichen Geschichten bist du zu leichtgläubig. Das ist hanebüchen, was der Schatzsucher dir da erzählt hat. Wäre da was dran, hätte ich eine entsprechende Anzeige auf dem Tisch liegen und der Mann wäre nicht so sang- und klanglos aus unserer schönen Stadt verschwunden. Vergiss es also. Im Übrigen kann ich durchaus verstehen, warum man ihm dort den Zugang verweigert hat. Unsere Stadtoberen haben inzwischen begriffen, dass sie einem Fantasten auf den Leim gegangen sind. Sie wollten sich wohl nicht weiter lächerlich machen.«

Lars konterte nicht, aber er sah enttäuscht aus. Stumm schlürfte er seinen Cappuccino.

Für Fiebig war das Thema abgeschlossen. Er hatte gerade ein anderes Problem.

»Wie machst du das eigentlich, mit jeder Frau sofort ins Gespräch zu kommen?«, fragte er beiläufig.

Lars schaute überrascht auf.

Er verkniff sich ein Grinsen.

»Kommunikation nennt man das, oder auch Small Talk. Mit einiger Übung kann man es erlernen. Und nun, alter Mann, muss ich zur Arbeit.«

Er klemmte einen 20-Euro-Schein unter seine Kaffeetasse. »Ich lade dich ein«, sagte er dazu und ging mit einem kurzen Gruß davon.

»Beleidigte Leberwurst«, knurrte Fiebig ihm hinterher.