Gretge. „mit Hexen verwandt, als Hexe verbrannt“

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Kapitel 2
Die Jahre 1660-1663

I

Nach der Konfirmation war es an der Zeit, dass sich Gretge, wie die meisten jungen Mädchen auch, auf das Leben als Ehefrau vorzubereiten hatte. So wurde sie in eine Stellung als Jungmagd vermittelt. Dort sollte sie lernen, einen Haushalt zu führen.

So ging sie zunächst in den Haushalt der Familie Höborg in Buxtehude. Höborgs waren Kaufleute, die einen Krämerladen besaßen und Handel mit Stoffen betrieben. Sie waren beide schon über 50 Jahre alt und hatten sieben Kinder, von denen drei schon aus dem Hause waren.

Die beiden Töchter Hanna und Dorothea waren nach Stade und Hamburg in andere Kaufmannsfamilien verheiratet und der Sohn Meinke, welcher das Geschäft einst erben sollte, war in Hamburg bei einem Großhändler in Anstellung, um dort sein Gewerbe zu erlernen.

Die Menschen dort waren ganz anders als bei Gretge daheim. Keiner beschimpfte sie mehr als Hexenbrut, und die Leute redeten mit Ihr wie mit den anderen auch. Sie fühlte sich von Anfang an sehr wohl.

Hier traf sie auch auf ihre vier Jahre ältere Cousine Trine, die hier schon seit zwei Jahren in Höborgs Diensten stand. Trine war eine kess auftretende junge Frau, die sich an das Stadtleben schnell angepasst hatte. Sie trug dezente Kleider, welche ihr die Herrschaft vorschrieb und zuteilte, die ihre unübersehbar üppige Figur dennoch betonten. Sie schaute sich bei den älteren Frauen ab, wie man betont mit den Hüften hin und her schwingen kann, denn darauf flogen die jungen Männer, was Trine schon sehr gefiel. Ihre Haare trug sie oft zu einem Zopf geflochten nach hinten herunter hängend.

Durch ihre besonders langen dunkelbraunen Haare, die geflochten bis zum Gesäß reichten, war es für die Jungen Männer ein wahres Schauspiel, wenn sich ihr Zopf und die Hüften entgegengesetzt im Schwung des Gangs wiegten. Ihre üppigen Brüste trug sie dabei betont hoch. Ihre braunen Augen waren in der Gesamtheit ihrer Erschei-nung eine Abrundung dessen, was ihr mit in die Welt gegeben wurde.

Beide Cousinen wurden Freundinnen, stammten sie doch aus dem gleichen Dorf und waren auch noch miteinander verwandt. Trine hatte die Aufgabe erhalten, Gretge in den Haushalt und die Arbeiten einzuweisen, wie es einst Bertha, ihre Vorgängerin, bei ihr getan hatte.

Trine durfte schon ein wenig im Kontor mithelfen, wenn es darum ging, Ware zu sortieren und Regale aufzufüllen. Sie war dort jetzt für die Sauberkeit verantwortlich und hatte somit sehr viel Kontakt zu den Kunden, auch wenn sie mit dem Verkauf nichts zu tun hatte. Die Kasse hatte Frau Höborg unter sich, und die Beratung und Bedienung der Kunden übernahm in der Regel ihr Mann.

Die Herrschaft war sehr bibeltreu und legte viel Wert auf den Glauben. Sie gingen jeden Sonntag in die Kirche und beteten vor jeder Mahlzeit, was Trine von daheim nicht kannte.

Trines Stiefvater sah den Kirchgang eher als Zeitver-schwendung an, denn er hielt ihn angeblich von der Arbeit ab, während seine Frau es genoss, dadurch einmal unter die Leute zu kommen. Für Trine war es eine kleine Umstellung, denn die Eltern ihrer Stiefeltern sahen das alles noch gottesfürchtig.

Sie stand jeden Morgen gegen fünf Uhr auf, schürte das Feuer und bereitete das Frühstück. Zuvor versorgte sie die neun Hühner und den Hahn sowie die zwei Haus-schweine. Die Speisekammer war ihr zugeteilt, seit ihre Vorgängerin das Haus verlassen hatte.

Es gab nur zwei Schlüssel, den einen trug Frau Höborg und den anderen Trine bei sich. Gretge stand mit Trine zusammen auf und half ihr in der Küche und beim Vieh. Trine dachte: „Bald macht das Gretge, und ich kann ein wenig länger schlafen“, so wie es Trines Vorgängerin mit ihr gehalten hatte.

Gretge konnte bald wieder lachen und fröhlich sein. Sicherlich hatte sie sieben Tage in der Woche Pflichten zu verrichten, durfte aber mit der Familie zusammen am Tisch essen und gemeinsam zum Kirchgang gehen und wurde auch dort nicht gehänselt, so wie daheim.

Sie blühte richtig auf. Das bemerkten auch die jungen Burschen hier in der Stadt, wo Feste gefeiert wurden, die sie von zu Hause her gar nicht kannte. Die Menschen hier waren ganz anders als daheim in ihrem Dorf und das machte sie neugierig.

Trine war sozusagen zur Großmagd aufgestiegen und Gretge war nun in der Position einer Jungmagd.

Ihrer Cousine Trine fiel auf, wie Gretge in den Mittelpunkt des Interesses bei den jungen Männern, wo sie bislang stand, rückte. Das gefiel ihr ganz und gar nicht, denn sie war doch die Großmagd und das Kücken war figürlich eher sparsam und zierlich ausgestattet und konnte sich mit Trines Maßen nicht messen. Gretge fiel dies nicht auf. Sie war zu sehr mit der neuen Situation und sich, als dass sie sich mit den Gefühlen der Cousine beschäftigte.

II

Zu Gretges erster Fastnachtsfeier, die am 11. Februar des Jahres 1662 stattfand, nahm Trine sie dennoch mit. Wo sollte sie Gretge auch sonst lassen. Höborgs würden es nicht verstehen und Trine nach dem Grund fragen. Also nahm Trine sie mit.

Die Stadtjugend traf sich in einer alten Scheune am Rande der Stadt, während die Alten sich meist im Krug trafen oder am Feuer in den Dielen versammelt waren. Sie soffen so viel Bier und Branntwein, wie eben rein ging und manche so viel, dass es ihnen zu den Ohren wieder herauskam.

Die jungen Leute hingegen hatten schon aufgrund ihres Geldbeutelinhalts spärlichere Möglichkeiten. Dennoch kreisten auch in der alten Scheune mehrere Schnaps-flaschen, welche die jungen Männer mitgebracht hatten.

Sie tranken sich in Stimmung und zugleich Mut an und nutzen ihn auch gezielt, um die Mädchen und jungen Frauen etwas aufzulockern. Manche Pärchen ver-schwanden in der Scheune auf den Dachboden, auf dem Stroh gelagert war. Gretge sah das zwar, wusste aber noch nicht, was hier so getrieben wurde.

So fragte sie Trine, was es denn da oben auf dem Dachboden zu sehen gäbe. Trine lachte laut auf und die Jungs, die bei Ihnen standen, lachten mit. „Du Dummchen, wirst es noch früh genug erfahren“, sagte Trine zu ihr mit einem Grinsen im Gesicht. Einer der Jungs bot sich an, es ihr zu zeigen. Gretge schämte sich, denn sie war naiv genug gewesen, zu fragen. Nun schoss es ihr durch den Kopf, was dort geschah, konnte nur die Fleischeslust sein, vor welcher der Pastor noch letzten Sonntag in seiner Predigt eindringlich gewarnt hatte, und doch verspürte Gretge Lust auf das Verbotene mit der Neugier eines unwissenden Menschen.

Zwar hatte der Pastor am Sonntag in seiner Predigt noch zum Maßhalten angehalten und die Gemeinde vor der Hölle und den Auswüchsen der Sünde gewarnt, aber es scherte sich kaum jemand darum. Sie hatten den langen Krieg überlebt und feierten erstmals im Frieden.

An diesem Abend trank Gretge zum ersten Mal in ihrem Leben selbst gemachten Branntwein vom Hauswirt, den Trine abgezweigt hatte. Er bekam ihr gar nicht gut, denn ihr wurde hundeelend. Dennoch kicherte, ja gackerte sie ungewöhnlich laut und es war ihr schwindelig dazu. Aber sie trank weiter alles mit und eiferte ihrer Cousine nach. Sie wollte endlich einmal auch dazugehören und sich freuen, von ganzem Herzen freuen.

Ihre Onkels und Anverwandten hatten schon viel von diesen Feiern im Kreise der Familie berichtet und nun durfte sie es endlich miterleben. Nun war sie selbst dabei und hörte den dort Anwesenden aufmerksam und neugierig zu, denn sie hatten ja anscheinend alle etwas Besonderes erlebt.

So hörte es sich jedenfalls in Gretges Ohren an. Sie erzählten prahlend ihre Heldentaten in den schillernsten Farben. Nur Gretge selbst konnte nichts berichten, und das machte sie traurig.

III

Früh am Morgen ging sie noch aufgedreht mit Trine zusammen nach Hause. Es waren nur zwei Meilen, und die Nacht war zwar sehr kühl, aber es gab keinen Schneefall oder Regen. Trine hatte eine kleine Laterne mitgenommen, die sich nun als sehr nützlich erwies.

Gretge dachte daran, dass Trine plötzlich für lange Zeit verschwunden war, und als sie wieder da war, hatte sie überall Strohreste am Kleid und im Haar gehabt.

Es war Gretges erste Nacht, die sie durchgefeiert hatte. Beide jungen Frauen waren recht angetrunken und lachten über Trines Männergeschichten und die Jungs, die Trine ganz eifrig abblitzen ließ. Über den jungen Mann, von dem sich Trine diesen Abend besteigen ließ, sprachen sie nicht.

Ja, die Sache mit den Jungs hatte Gretge gefallen, und es war ein neues unbekanntes Gefühl. Es war einer dabei, der war auch so still wie sie selbst und nicht so, wie die anderen, die grölten und die Mädchen einfach überall anfassten. Überall, das geht doch nicht, dachte sie noch.

Auch Gretge wurde am Gesäß und an der Brust getätschelt und wies die Männer ab, haute einem gar recht forsch auf die Hand. Dennoch bemerkte sie dabei, dass sich ihre Brustwarzen dabei zu kleinen festen Knoten formten und es ihr zugleich warm vom Herzen über den Bauch in den Schoß schoss. Sie hätte es gerne einmal versucht mit dem Jungen, der ihr gefiel, einen Augenblick allein zu sein, hatte sich aber doch nicht getraut. Sie hatte Angst, weil sie noch nie mit einem Jungen zusammen gewesen war und es hatte sich auch noch nie einer für sie interessiert, der nicht darüber sprach, es einer kleinen Hexe einmal so richtig zu besorgen. Diese Worte waren ihr im Ohr geblieben, auch wenn sie damals den Satz noch nicht richtig verstanden hatte.

Vor einem Jahr war sie zufällig am Schauer daheim bei den Eltern auf dem Hof vorbeigegangen, als sie Stimmen vernahm. Da schaute sie durch die Ritzen der Bretter in das Innere und sah den alten Großknecht Lewerenz auf der Jungmagd Anne, deren Rock hochgeschoben war, mit heruntergelassener Hose liegen und sich auf und ab bewegen. Dabei fiel der Satz, dass er es ihr schon besorgen würde. Da begriff Gretge, was der Junge einst gemeint hatte. Sie sah seinerzeit noch gespannt bis zu Ende zu und schlich sich dann zum Haus zurück. Darüber hatte sie noch mit niemandem gesprochen.

 

Weil Gretge mit nichts prahlen konnte, erzählte sie Trine, dass es zu Hause im Heimatdorf unweit des Teufelsackers eine Stelle im Wald gab, an der eine eigentümliche Pflanze ringförmig wüchse, welche als Hexenkraut allerorts bekannt war.

Sie beschrieb den Platz sehr genau und berichtete, dass dort in der unbewachsenen Mitte die Hexen tanzten, wenn es Vollmond war, und tat, als hätte sie es selbst gesehen und erlebt. Diese Pflanze trifft man nicht einzeln an, sagte sie Trine hinter vorgehaltener Hand, sondern es stehen viele zusammen, als wollen sie sich schützen. Sonderbar ist es nun, erzählte sie mit einem geheimnisvollen Flüstern, dass diese Pflanzen alle zu einem Kreise angeordnet sind und dass in der Kreisfläche selbst keine stehen.

Sie prahlte nun mit all den Geschichten, die man sich über ihre Großmutter und Mutter im Dorf erzählte, als sei Gretge dabei gewesen und vermittelte der Cousine den Eindruck, eine wahrhafte Hexe stünde vor ihr. Trine sah sie erschrocken an, aber Gretge fühlte sich wohl und meinte ihrer Cousine imponiert zu haben.

Sie erzählte weiter, dass die Großmutter immer eine Zauberformel sprach, und erhob dabei die Hände beschwörend gen Himmel gestreckt:

„Ich greif` an diesen weißen Stock

und verleugne unsern Herrn Gott

und seine zehn Gebot.“

Nun fuhr es Trine in die Glieder, und sie fürchtete sich ein wenig, zumindest war es ihr nicht sehr geheuer. Aus der Ferne hörte sie einen Wolf heulen und der Vollmond stand am Himmel, als grinse er sie hämisch an. Ihre Laterne warf Schatten, die das Bild für Trine noch mehr verzerrten.

Gretge hingegen war sichtlich zufrieden, schien sie doch davon überzeugt, Trine mächtig beeindruckt zu haben, was im Grunde genommen ja auch stimmte.

Diese Begebenheit sollte noch ein tödliches Nachspiel haben. Trine war sich nun sicher, Gretge hatte die jungen Männer mit ihren Zauberkünsten verhext. Das würde sie dieser dummen Gans heimzahlen, dachte sich Trine. Im Hause Höborg angekommen, atmete sie erst einmal durch und schlicht sich in ihren Schlafkoven, während Gretge noch auf dem Abort, welches wenige Schritte vom Haus auf dem Hof stand, saß, um die viele Flüssigkeit wieder los zu werden. Sie hatte die Laterne mitgenommen.

Als sie ins Haus trat, war schon alles still und Trine schien bereits zu schlafen. So zog sich Gretge das Kleid aus, legte sich mit dem Unterhemd, welches knielang war, in ihren Schlafkoven und zog die hölzerne Lade vorsichtig zu. Der Alkohol schlug nun zu und versetzte sie in einen tiefen Schlaf, wobei sie mit einem zufriedenen Lächeln einschlief.

Den Nachtwächter hörte Gretge schon nicht mehr, während Trine noch lange wach lag und ihn hörte, wie er durch die Gassen ging und rief „Liebe Leut, lasst Euch sagen, unsere Uhr hat Drei geschlagen“. Auch sie schlief ein, wachte morgens aber mit dem Gefühl auf, keine Sekunde geschlafen zu haben. Sie hörte aber nichts, und das war ungewohnt, denn sonst war Gretge schon längst am Verrichten ihrer morgendlichen Pflichten.

IV

Trine schob den Holzladen ihres Schlafkovens beiseite, schwang ihre Beine heraus und ließ die Füße heraus-baumeln. Sie hatte einen leichten Kater, stand dennoch auf, ging den Schritt zu Gretges Schlafkoven, der noch geschlossen war.

Sie lauschte und hörte ein leises Schnarchen, traute sich zunächst aber nicht, Gretge zu wecken. Dann überlegte sie sich, wenn sie es nicht täte, würde sie vom Hausherrn verantwortlich gemacht werden, wenn das Feuer nicht geschürt und das Frühstück nicht fertig war.

Also öffnete sie ganz sachte die Holzlade von Gretges Koven und schaute vorsichtig durch den Spalt, der etwas Licht auf Gretges Gesicht schienen ließ. Sie sah ihre junge Cousine friedlich schnarchend schlafen. Als sie diese wecken wollte, schreckte sie zurück, sie könnte sie ja verzaubern.

Dann stupste sie Gretge vorsichtig mit dem Zeigefinger an der Schulter, immer und immer wieder, bis Gretge die Augen aufschlug und Trine erschrocken, aber noch sehr verschlafen ansah.

Trine fasste allen Mut zusammen und stauchte sie zusammen, was ihr einfiele, noch im Koven zu liegen und sie als Großmagd müsse sie wecken.

Gretge sah sie nun erschrocken an und entschuldigte sich, sprang aus der Koje, schlüpfte ins Kleid und rannte in die Küche. Das Feuer war aus. Sie befreite den Eisenherd von der Asche und machte Feuer, bereitete das Frühstück und erledigte ihre Pflichten, wobei ihr der Schädel um die Augen pochte und sie das Gefühl hatte, jemand würde ihr mit einem Dreschflegel auf den Kopf hauen.

Höborgs bemerkte zwar, dass ihre beiden weiblichen Bediensteten heute gar schrecklich aussahen und ein wenig unordentlich und unkoordiniert ihre Pflichten versahen, sagten aber nichts, denn sie hatten am Abend zuvor selbst reichlich getrunken und laute Stimmen waren ihnen unan-genehm. Trine kümmerte sich heute mehr um die Kinder, während Gretge sich um die Tiere und den Haushalt bemühte.

Die nächsten Tage stritten sie noch sehr heftig miteinander, und Trine provozierte Gretge noch zu vielen für sie schädlichen Aussagen, die Trine später zu nutzen wusste.

In aller Munde war, dass Hexen am Hexensabbat mit dem Teufel ihr Ungemach trieben und schauerliche Dinge machten, von denen die Alten an manchen Abenden ehrfürchtig erzählten.

V

Zwei Wochen später erkrankte Anna Catharina, die jüngste Tochter im Hause. Der herbeigeeilte Arzt konnte keine Ursache feststellen und schon gar nicht helfen. Er sprach davon, dass es sehr ungewöhnliche Symptome seien, bei denen auch der Aderlass keine Abhilfe geschaffen hatte.

Er ließ das arme Kind dennoch jeden Tag zur Ader, und nach einer Woche wachte es morgens nicht mehr auf. Gretge fand sie leblos im Kinderbettchen und schrie auf „Oh Gott, dat Kind is doot bleben.“ Sofort war die ganze Familie Höborg auf, und das Wehklagen war groß.

Trine verdächtigte Gretge vom ersten Augenblick an, an dem Tod des Kindes Schuld gewesen zu sein und es durch Zauberkräfte getötet zu haben. Es machte ihr zu viel Arbeit, und manches Mal hatte Gretge sich über die Anstrengungen mit der Betreuung der Kinder, ins-besondere mit der jüngsten Tochter, bei Trine beklagt.

Nun hatte Gretge das Kind tot gezaubert, um nicht mehr so viel arbeiten zu müssen, dachte Trine, traute sich aber nicht, den Verdacht auszusprechen.

Wenige Wochen danach bat Trine die Herrschaften, sie aus den Diensten zu entlassen, denn sie wollte heiraten und trüge schon ein ungeborenes Kind unter dem Herzen. Das war zwar alles gelogen, aber Trine wusste sich nicht anders zu helfen, von hier wegzukommen.

Trines Eltern waren längst tot und sie war bei Pflegeeltern in Oldenhöfen aufgewachsen. Voller Neid hatte sie Gretges Erzählungen immer wieder zuhören müssen, wie sehr sich ihre Mutter um sie kümmerte und dass sie Geschwister hatte. Trines Pflegemutter hatte noch eigene Kinder und da stand Trine als Pflege- und Einzelkind stets hinten an. Das tat ihr weh.

Trine durfte ihre Stellung verlassen.

VI

Beim nächsten Besuch ihrer Pflegeeltern ging Trine mit zum Kirchgang nach Scheeßel. Wovon der Herr Pastor in seiner Predigt sprach, bekam sie gar nicht mit.

Sie hatte Gretges Nachbarin Dorothea Holsten gesehen und wusste, dass diese gerne jedem über Gretges Mutter und deren Hexenmutter erzählte, auch wenn er es gar nicht hören wollte. Sie grübelte die ganze Zeit nach, wie sie es anstellen sollte, Dorothea davon zu erzählen, was ihre Cousine ihr in der Fastnacht und danach alles so erzählt hatte und was sie alles selbst miterlebte.

Das Läuten der Glocken zum Ende des Gottesdienstes ließ sie aus ihren Gedanken aufschrecken und in die reale Welt zurückkehren. Während sich die Menschen nach der Predigt stets auf dem Kirchplatz zum Schnacken und Klönen trafen, bevor viele in den Krug zu Bier und Korn verschwanden, schob sich Trine langsam an Dorothea heran. In einem günstigen Augenblick zupfte sie ihr am Kleid und bat sie kurz zur Seite, um ihr etwas sehr Wichtiges zu erzählen.

Dorothea bekam immer spitze Ohren, wenn es etwas Neues gab. Sie war so eine Art Zeitung im Kirchspiel, die alles hörte, besonders das, was sie nicht hören sollte und immer alles wusste, meist schon, bevor es geschehen war. Ihre Augen wurden immer größer, als sie hörte, was ihr Trine da so alles berichtete.

Das hatte sie immer schon gewusst, konnte es aber nie beweisen, dachte sie, während Trine weiter erzählte. Kaum hatte Trine ihre Geschichte zum Ende gebracht, drehte sich Dorothea um und berichtete sogleich das Neuste, wen sie gerade zu fassen bekam.

Nun begann das Unglück, seinen Lauf zu nehmen. Die Gerüchte bekamen neue Nahrung und für den einen oder anderen ungeklärten Tod einer Kuh oder eines Schweins hatte man nun eine Erklärung parat. Sie hatten es ja immer schon gewusst, im Dorf gab es ein Hexenhaus.

VII

Diese Gerüchte kamen auch bald Claus Meinken zu Ohren und er vernahm auch, wer das alles überall erzählte. Er hätte es sich ja denken können, sagte er zu sich. Nun wollte er dem Schandmaul von Nachbarin endlich den Mund stopfen. Wie er das anstellen würde, hatte er sich schon ganz genau überlegt.

Die Großmutter seiner Frau Mette wurde einst, wie später ihre Tochter, also Mettes Mutter, der Zauberei verdächtig. Er hatte die ganz alte Hoops nicht mehr erlebt, aber Mettes Bruder Harm hatte ihm einmal erzählt, was damals geschehen war. Derjenige, der vor der Jahrhundertwende Harms und Mettes Großmutter beschuldigte, wurde wegen Verleumdung angezeigt und zur Strafe später des Landes verwiesen. Er musste Urfehde schwören und durfte nie wieder in das Amt oder sein Dorf zurück-kommen, ansonsten hätte er sein Leben verwirkt.

Genauso, sagte sich Claus, würde er es auch mit der Nachbarin Dorothea machen. Es musste endlich Schluss mit den ewigen Verdächtigungen im Dorf sein.

So machte er sich am nächsten Tag nach Scheeßel zum Amtsvogt auf, um sein Anliegen vorzutragen und Anzeige zu erstatten. Der Amtsvogt würde dann beim nächsten Landgericht eine Buße aussprechen, und dann wäre Ruhe im Dorf.

Ja, so würde es sein, sagte sich Claus und seine Schritte in den Holzklotschen wurden schneller.

Als er bei der Amtsvogtei angekommen war, fiel ihm ein, dass der Amtsvogt schon seit Wochen im Auftrag des Herrn Drosten Prott bei Magdeburg Amtsgeschäfte wahrnahm, und der Herr Oberförster ihn vertrat. So drehte er ab und ging zu des Oberförsters Jordan Haus. Er nahm seine Mütze vom Kopf und klopfte an der schlichten, aber massiven hölzernen Tür. Als ihm diese durch den Oberförster persönlich aufgetan wurde, nahm er allen Mut zusammen, holte tief Luft und bat ihn etwas sehr Wichtiges vortragen zu dürfen.

Sie setzten sich auf die hölzerne Bank vorm Haus, und Claus trug sein Anliegen vor. Johann Jordan hörte ihm geduldig zu. Dann überlegte er einen Augenblick und riet ihm, von seinem Vorhaben dringend abzulassen.

Was der Oberförster jedoch nicht sagte, war, dass er fürchtete, der alte angesehene Mühlenpächter, der Dorotheas Vater war, würde ihm auf das Dach steigen.

Dieser hatte viele Freunde und war sehr angesehen, wobei er nicht wenig Geld hatte und der Oberförster manche Geschäfte mit ihm machte.

Claus aber wollte nicht auf ihn hören, denn die vielen Jahre hatte er die Verdächtigungen und die Schande, die Schmähungen, angeblich in einem Hexenhaus zu wohnen, ertragen müssen. Sein Seelenleben litt sehr darunter. Jetzt sah er die Möglichkeit, die ungeliebte Nachbarin, die er nun für alles verantwortlich machen konnte, als Denunziantin überführen zu können.

Der Oberförster Johann Jordan bemerkte, dass sein ganzes Reden bei Claus Meinken kein Gehör fand. Zwar wusste Jordan auch, dass die Meisten in der Vogtei das Dorf Westeresch als Hexenort bezeichneten, war aber selbst der Meinung, die Leute sollten sich lieber um die eigenen Sachen kümmern, als solch einen Unsinn zu erzählen.

 

Er war als reitender Förster meist im Wald unterwegs und ihm waren dort noch keine Geister oder Hexen begegnet, wenn es ihm auch mal unheimlich vorkam und er sich nicht alles erklären konnte. Sollte es sie doch geben, hätte er sie schon mit seiner Flinte erlegt, denn er hielt sich für einen guten Schützen.

Da er aber den Herrn Amtsvogt vertrat, musste er seiner Amtspflicht nachkommen. Er ging mit Claus ins Haus, holte einen Bogen Papier hervor und legte ihn auf den Tisch aus Eichenholz. Dann nahm er sein tönernes Tinten-fass und eine Schreibfeder, die er noch einmal prüfend ansah, bevor er anfing, ein Protokoll aufzunehmen.

Er schrieb das Jahr 1662 auf das Blatt und ahnte nicht, dass sich nun ein fast zwei Jahre währender Prozess daraus entwickeln sollte und er dadurch sogar der Nachfolger des jetzigen Amtsvogts werden würde.

Claus formulierte seine Klage gegen seine Nachbarin Dorothea Holsten sowie gegen die Zuträgerin Trine Meinken und dachte, dass er damit seine Tochter Gretge, aber auch seine Ehefrau Mette von den Vorwürfen der Hexerei durch einen Gerichtsspruch freisprechen lassen könne, was er dem Oberförster mehrfach sagte.

Der Oberförster war bei der Niederschrift selbst sehr nervös, denn es war seine erste Klageschrift, die er wegen Hexerei aufnahm, und er fragte sich, was wohl der Amt-mann Peter Pabst in Rotenburg dazu sagen würde.

Dass er sich dabei verschrieb und Westervesede statt Westeresch zu Papier brachte, bemerkte er gar nicht. Er fertigte noch eine Kopie der Klageschrift und gab sie Claus Meinken in die Hand.

Claus verließ zufrieden das Haus des Oberförsters Johann Jordan und ging erleichtert und frohen Mutes nach Hause. Dass er nun viele Stunden für die Feldarbeit verloren hatte, war ihm egal.

Nachdem Claus Meinken gegangen war, sah der Oberförster noch lange sehr nachdenklich aus dem kleinen Fenster seines Hauses.

Einige Tage später fertigte er von den Unterlagen Kopien an, faltete sie zusammen und sandte Marten Böschen, den Knecht des Untervogts als Boten mit den Originalen sowie anderen Akten zum Amtmann nach Rotenburg, wie er es immer machte.

Die Geschichte nahm nun ihren bürokratischen Lauf und war nicht mehr aufzuhalten.

VIII

Am nächsten Tag lag dem Rotenburger Amtmann das Schreiben des Oberförsters vor und er rief seinen ersten Amtsschreiber zu sich, er solle dem Oberförster Johann Jordan eine Antwort zusenden.

Er diktierte einen Brief, indem er Jordan aufforderte, sich der Sache anzunehmen, dennoch behutsam und mit Bedacht vorzugehen. Er möge Befragungen und erste Vernehmungen durchführen und diese ihm mit einer eigenen Einschätzung zum Fall binnen vier Wochen nach Eingang vorlegen.

So handelte Johann Jordan, wie es ihm aufgetragen wurde. Er hörte Dorothea Holsten und ihren Ehemann, dann Claus’ Nichte Trine Meinken, schrieb darüber Protokoll und fertigte von jedem Schriftstück eine Kopie.

Weiterhin ging er allen Fällen nach, bei denen Tiere oder Menschen auf unerklärliche Weise zu Tode kamen. Der Scheeßeler Müller wollte auch gehört werden, wie viele andere auch, die von den Ermittlungen erfahren hatten und meinten, etwas Wichtiges dazu sagen zu können.

So zogen sich die Ermittlungen ein ganzes Jahr hin. Die Schreiben wurden jedes Mal durch den Vogteiboten nach Rotenburg getragen.

Jordan bemerkte dabei gar nicht, dass er eigentlich Material sammelte, welches gegen die Familie von Claus Meinken gerichtet war und nicht gegen dessen Nachbarin.

In dieser ihm unbewussten Voreingenommenheit fuhr er fort. Seine Aufgabe als Oberförster hatte der hiesige Holz-vogt Köster mit übernehmen müssen, denn je länger die Untersuchungen dauerten, desto unruhiger wurde es im Kirchspiel und es nährte weitere Gerüchte unter den Menschen. Aber davon bemerkte Johann Jordan nichts oder wollte es nicht bemerken. Er war sich sicher, nunmehr eine sehr wichtige Aufgabe auszuführen und würde dem Amtmann zur Genüge in Treue dienen.

Nach über einem Jahr kam er zu einem Schluss, aber nur, weil der Amtmann mehrfach eine Antwort anmahnte und Johann Jordan nicht in Ungnade fallen wollte. Er schrieb dem Amtmann seine Einschätzung des Falles, die der Amtsschreiber in die Akte Nummer 1 ablegte.

Jordan befürwortete eine gerichtliche Untersuchung und empfahl, von einer einfachen Buße abzusehen. Dass er sich damit aus der Verantwortung stahl, war ihm bewusst.

Die Kosten der Untersuchungen waren schon beträchtlich angestiegen, sodass der Amtmann der Empfehlung folgte, um das Geld wieder in die Amtskasse zurückfließen zu lassen.

Weiterhin war ihm bewusst, dass es in der Vogtei um die Stimmungslage nicht sehr gut bestellt war und so ein Prozess ein geeignetes Ventil darstellte.

Also wies er den Oberförster an, Meinken seine Klage-erhebung vorlegen zu lassen.

Nach weit über einem Jahr konnte Claus endlich seine Klageerhebung am 5. Oktober 1663 beim Amt einreichen.

Er war nun heil froh, dass man seine Klage gegen die verhasste Nachbarin zugelassen hatte. Er ahnte nicht, dass sich das Blatt gegen ihn wenden würde.

Die Klageerhebung sollte das Todesurteil für drei Menschen einläuten.

IX

Das letzte Jahr war für alle im Dorf noch schwerer geworden, weil die Feindseligkeiten nunmehr offen ausge-tragen wurden. Es kam nicht mehr nur zu Beschimpf-ungen, sondern auch zu Tätlichkeiten untereinander. Claus und Mette aber hatten wieder Mut gefasst und begannen, sich zu wehren.

Gretge war von den Eltern während der ganzen Zeit in eine andere Stellung als Dienstmagd nach Hamburg gegeben worden, damit sie aus dem Dorf und von der Herrschaft in Buxtehude weit weg war.

Es wird dem Mädchen richtig gut tun, lobte er sich selbst und fühlte sich wieder als Vater, der sich um seine Familie kümmerte.

Seiner Frau Mette war zwar nicht recht wohl dabei, aber dass ihr Ehemann Claus sich um die Familie kümmerte und nicht auf das Feld und in die Arbeit flüchtete, tat ihr gut. Auch sie ahnte nicht, wie es enden würde.

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