Hans Blumenberg

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Mit der Relativierung des modernen Anspruchs an die strikte Methodik ist der Willkür nicht Tür und Tor geöffnet, aber dem Anspruch, auch die Philosophie habe ›strenge Wissenschaft‹ zu sein, widersprochen. Zwar gebe es für die Philosophie einen Sinn von Wissenschaftlichkeit, der so originär philosophisch sei, dass er gar nicht verleugnet werden könne, aber es gelte doch, sich gegen »die Unterwerfung der Philosophie unter das Ideal der wissenschaftlichen Methoden, Erkenntnischaraktere, der Exaktheit und Strenge«184 zu verwahren. Die Abkehr von dem zeitgenössisch durch Husserl erneuerten Anspruch, auch Philosophie habe strenge Wissenschaft zu sein, ist eine der bedeutendsten, tiefgreifendsten, formprägendsten Richtungsentscheidungen im Denken Blumenbergs. Im Kern ist das von Descartes vorgestellte und von Husserl verteidigte Ideal der strengen Wissenschaft für Blumenberg Inbegriff einer abgesicherten ontologischen Distanz. Es sei offensichtlich, »daß die Idee strenger Wissenschaftlichkeit von ihrer Herkunft am Beginn der Neuzeit her unabdingbar gebunden ist an die Auffassung des Seienden als mögliche pure Gegenständlichkeit, als das aus einer Distanz heraus und über eine Distanz hinweg ›klar und deutlich‹ Erfaßbare«.185 Die von Blumenberg dagegen kultivierte Umständlichkeit seiner Bücher und die vermissbare Stringenz der Argumentation in Hinblick auf ein systematisches Ziel resultieren in der Zurückweisung der kategorischen Verpflichtung auf strenge Wissenschaft. Der Erwartung, Theorie habe ›Ergebnisse‹ als Schlusspunkt methodisch geleiteten Forschens zu erbringen, setzt Blumenberg seine mäandernden Texte entgegen, die zwar lehrreich, aber kaum resümierbar sind. In seinen späten Jahren wird er geradezu provokativ Nachdenklichkeiten kultivieren, von Ergebnis und Ziel ist da längst nicht mehr die Rede.

Damit sucht Blumenberg daran zu erinnern, Philosophie sei zwar in einem unaufgebbar grundsätzlichen Sinn, aber nicht in einer spezifisch modernen Weise Wissenschaft. Das Selbstverständnis der modernen Wissenschaft ist ein geschichtlich bedingtes, historisch gewachsenes und unter eigenen Erkenntnisnöten stehendes. Auch wenn man ihm Gültigkeit attestiert, verleiht man ihm damit noch keine zeitlose Notwendigkeit. Damit wird der Stellenwert der Wissenschaft für das moderne Leben nicht infrage gestellt. Selbst dann, wenn Blumenberg die moderne Wissenschaft mit ihrem Methodenideal gegen die Philosophie überscharf abzusetzen unternimmt, spricht er den zwei Wegen doch auch eine Berechtigung zu: »Aus dieser Antinomie zwischen Philosophie und Wissenschaft ist nicht herauszukommen: das Erkenntnisideal der Philosophie widersetzt sich der Methodisierung, die Wissenschaft als der unendliche Anspruch eines endlichen Wesens erzwingt sie«, aber »diese Trennung war notwendig und legitim«.186 Seine eigene Art zu philosophieren folgt aber dem Ziel, »die Fraglosigkeit aufzubrechen, mit der die Formel ›Philosophie als Wissenschaft‹ hingenommen wird«.187 Was Philosophie ist, hat sie selbst zu bestimmen und sich nicht durch eine Wissenschaftsauffassung vorgeben zu lassen, die sich in ihrer aktuellen Herausbildung kontingenter Bedingungen verdankt. Philosophie »konstituiert erst in ihrem Selbstvollzug, was sie ist und zu sein hat, und mit diesem zugleich, ob Wissenschaft zu Recht und notwendig die Gestalt der Verwirklichung des Gewißheitswillens sein kann«.188

Für Descartes und vollends für Husserl war, wie sich gezeigt hat, das Bewusstsein die Sphäre unbedingter Gewissheitsbildung. Damit wurde die Geschichte im Sinne metakinetischer Umbrüche ausgeblendet. Blumenberg hat seine voluminösen Relektüren der abendländischen Geistesgeschichte gezielt als ›Bewusstseinsgeschichten‹ bezeichnet, etwa in Die Genesis der kopernikanischen Welt oder Arbeit am Mythos.189 Er spricht ausdrücklich nicht von ›Geistesgeschichte‹, um jeden latenten Hegelianismus einer teleologischen Verlaufsform zu vermeiden. Entgegen dem momentanen Evidenzbewusstsein cartesischer Prägung ist für Blumenberg Philosophie »werdendes« und somit geschichtliches »Bewußtsein des Menschen von sich selbst«.190 Damit ist sie immer auch Ausdruck der Verlegenheit, eben nicht auf Anhieb angeben zu können, was der Mensch ist. Seine Bewusstseinsgeschichten sind lang angelegte, umwegige Antwortversuche auf diese Frage.

Die Geschichtlichkeit der Geschichte ist damit gewahrt. Blumenberg hat wiederholt betont, es gebe keine ›ewigen Fragen‹, die die Philosophie zu beantworten suche. »Geschichtlichsein ist das ursprüngliche In-Frage-stehen«, daher ist dann auch »alles Fragen ursprünglich geschichtlich«.191 In den Paradigmen zu einer Metaphorologie von 1960 heißt es, es gebe Fragen, die wir »nicht stellen, sondern als im Daseinsgrund gestellte vorfinden«.192 Man mag an der heideggerisierenden Rede vom ›Daseinsgrund‹ Anstoß nehmen, aber sie wahrt die Einsicht der frühen Jahre, dass alles Philosophieren auf dem metakinetisch beweglichen Grund der jeweiligen geschichtlichen Situation geschieht, auf dem wir uns vorfinden, den wir aber nicht gewählt haben und nicht haben wählen können.

Damit deutet sich bereits an, dass die Zurückweisung einer Flucht in die Gewissheit auch Auswirkungen auf Blumenbergs Hermeneutik der Geschichte hat – dazu später mehr. Doch schon in der Habilitationsschrift markiert Blumenberg die Notwendigkeit einer Philosophie der Geschichte, die in den klassischen Formen der Geschichtsphilosophie oder der Historik nicht aufgeht. Die klassische Geschichtsphilosophie, das zeigte sich schon, unterstellt dem Geschichtsverlauf eine Zielgerichtetheit und arbeitet dazu mit dem Verweis auf die Kontinuität ihrer Antriebe. Geschichte als der »bloße Vorlauf auf die je aktuelle Gegenwart des Denkens«193 sucht metakinetische Umbrüche zu vermeiden oder in eine Gesamtentwicklung zu integrieren, so oder so aber auf Distanz zu setzen. Entgegen geschichtsphilosophischer Entwicklungsvorstellungen richtet Blumenberg daher sein Augenmerk eben auf jene »paradigmatischen Situationen der Geistesgeschichte«,194 in denen sich die Erfahrung ursprünglicher Geschichtlichkeit Bahn gebrochen hat.

Nun könnte man meinen, der Historismus des 19. Jahrhunderts habe Blumenbergs Reflexion auf die Geschichtlichkeit der Geschichte schon vorweggenommen. Mit Blick auf seine späteren quellengesättigten Werke wird Blumenberg davon sprechen, er habe »den Vorwurf des ›Historismus‹ immer als ehrenvoll empfunden«.195 In der Habilitationsschrift aber überwiegt die Abwehr der historischen Methode als Vergegenständlichung des Gewesenen zu historischen ›Tatsachen‹, die kausal miteinander in Verbindung gesetzt werden. Das »Werden der historischen Wissenschaft ist nicht das Werden des Sinnverstehens von Geschichte; es kann sein Gegenteil sein«.196 Dabei droht die Überführung des ehemals geschichtlich Andrängenden in distanzierte Verstandenheit. Als Gegenstand historischen Interesses wird die Geschichtlichkeit der Geschichte nicht angemessen verstanden. »Wie es ›eigentlich gewesen‹ ist, das bleibt gerade in der strengen gegenständlichen Bindung an die ›Tatsachen‹ verschlossen.«197 Blumenberg wird in seinen späteren Studien zur kopernikanischen Wende seine Hermeneutik der Geschichte formvollendet ausführen. »Mir erscheint als das aufregende geschichtliche Problem dieser Epochenwende«, führt er dort aus, »gerade nicht die Erklärung des Faktums der Leistung des Kopernikus oder gar die Versicherung ihrer Notwendigkeit, sondern die Begründung ihrer bloßen Möglichkeit am Ende desjenigen Zeitalters, das durch das geschlossenste dogmatische System der Welterklärung geprägt worden war.«198

Die Relativierung des Anspruchs der historischen Methode, allein anhand von Fakten die Dynamik der Geschichte nachzeichnen zu können, lässt Blumenberg seine Philosophie der Geschichte von einer reinen ›Rezeptionsgeschichte‹ absetzen. Immer wieder stellt er Bezüge zwischen Autoren, Texten und Positionen her, ohne dass für diese Verbindungsstiftung ein Rezeptionsverhältnis nachgewiesen werden kann. Daher haben seine Metaphernbücher wie Schiffbruch mit Zuschauer oder Die Lesbarkeit der Welt mit ihrem Durchgang durch die Geschichte der Leitmetaphern der abendländischen Geschichte etwas leicht Schwebendes, von einem Quellenfund zum anderen, ohne sich der Strenge und angestrebten Vollständigkeit einer rezeptionsorientierten Toposgeschichte zu unterwerfen. Noch den dabei mitunter auftretenden Eklektizismus der Quellenauswahl mag man als Abwehr jenes Anspruches ansehen, den eine historische Forschung prinzipiell zu erheben hat. In den Kategorien der ontologischen Distanz droht die Rezeptionsgeschichte zu jener Oberflächengeschichte fugenfreier Kontinuität zu verkommen, die die metakinetischen Einbrüche im geschichtlichen Hintergrund überblendet. »In allem, was eine vorwiegend literarisch-quellenkritische Forschung unter dem Titel der ›Rezeption‹ zusammengefaßt hat, ist eine unausdrückliche Sorge bemerkbar, die Kontinuität des Welt- und Selbstverständnisses zur Antike nicht durchbrechen und abreißen zu lassen, die großen Denker der Vergangenheit als ›auctoritates‹ nicht zu verlieren.«199

Es ist damit nicht unterstellt, Blumenberg habe die Erforschung von Rezeptionsverhältnissen gering geschätzt. In seiner Studie »Selbsterhaltung und Beharrung«200 etwa untersucht er penibel, ob sich stoische Anleihen im modernen Konzept der ›Selbsterhaltung‹ finden, welche Rolle Cicero dabei zukommt und inwiefern sich bei Newton und Spinoza ein Neuansatz des Konzeptes der conservatio sui, der Selbsterhaltung, aufweisen lässt; oder man lese den Aufsatz über »Kritik und Rezeption antiker Philosophie in der Patristik«,201 um sich von der quellengesättigten Arbeit an der Rezeptionsgeschichte ein Bild zu machen, zu der Blumenberg fähig und willens war. Aber Blumenberg ist nicht bereit, sich durch Aufweisforderungen einer Rezeptionsgeschichte im philosophischen Ausdeuten des Quellenmaterials einengen zu lassen. Bei aller philologischen Genauigkeit, zu der er fähig war, hat er bis in die Gestalt seiner Bücher hinein von einer Philologisierung der Philosophie und ihrer Geschichte Abstand gehalten. Er hat das zu markieren gewusst, indem er keinesfalls jedes Zitat mit einem Quellennachweis versehen hat. Als penibler Arbeiter erlaubte er sich hier eine Freiheit gegenüber dem wissenschaftlichen Standard und wählte einen Ausdruck dafür, dessen strenge Methodik nicht teilen zu wollen. Einer, der so viel und aus entlegensten Quellen, oft in der Originalsprache, zitiert hat, wollte nicht als Philologe missverstanden werden. Damit ist keine Geringschätzung der Philologie verbunden – sein Mitarbeiter Karl-Heinz Gerschmann war Philologe –, wohl aber eine Selbstbehauptung der Philosophie als Philosophie.

 

Wie stringent Blumenberg seinen philosophischen Selbstanspruch zum Formprinzip seiner Texte hat werden lassen, lässt sich an einem weiteren Detail ablesen. Der »Anspruch der Erklärung macht die Historie notwendig zur Wissenschaft in der Dimension des Perfekts«,202 heißt es in der Habilitationsschrift. Um der vergegenständlichenden Ruhigstellung von geschichtlichen Phänomenen zu entgehen und das Geschichtliche als Phänomen hervortreten zu lassen, nutzt Blumenberg in seinen Darstellungen geistesgeschichtlicher Zusammenhänge sehr oft das Präsens.

Der historischen ›Tatsache‹ als Baustein von Erklärungszusammenhängen stellt Blumenberg schließlich und als Konsequenz seiner Art von Methode das ›Phänomen‹ gegenüber. Der gegenständlichen Auffassung von Geschichte widerspricht ihre »phänomenale Gegebenheit«.203 Was ist dabei mit dem Stichwort des Phänomens und des Phänomenalen gemeint? Es ist sinnvoll, hier Vorsicht walten zu lassen und nicht mehr Eindeutigkeit zu suggerieren als die Auskünfte Blumenbergs hergeben. Wirft man einen Blick in Blumenbergs Schriften, stößt man auf verschiedene Verwendungssituationen des Ausdrucks ›Phänomen‹: Da ist von der »Phänomenbasis«204 die Rede, es wird eine »Phänomenologie der Rezeption des Mythos«205 in Aussicht gestellt, ebenso eine »Phänomenologie der Bedeutsamkeit«206 und eine »Phänomenologie der Figur«.207 Zwar bietet Blumenberg gelegentlich »ein Stück historischer Phänomenologie«208 und nimmt in seinem letzten zu Lebzeiten publizierten Buch, Höhlenausgänge, die Aufgabe einer »Phänomenologie der Geschichte« ins Visier, fügt aber an: »sobald es sie geben sollte«.209 Es gibt sie also noch nicht, heißt das. Wozu dann die Rede vom Phänomen des Geschichtlichen, gar von einer Phänomenologie der Geschichte?

Die Philosophie, führt Blumenberg einmal aus, habe kein anderes Verfahren, »ihre ›Phänomene‹ zu konservieren, als sie zu beschreiben. Sogar wenn sie ihre eigene Geschichte schreibt, beschreibt sie das Hervortreten ihrer ›Phänomene‹, für die es keine andere Präparation gibt als eben diese Geschichte. Und wie das geschieht, ist wiederum eines ihrer ›Phänomene‹.«210 Während die ontologische Distanz auf die Eindeutigkeit des Zugriffs auf zum Gegenstand Gemachtes setzt, lässt eine phänomenologisch beschreibende Philosophie etwas hervortreten, was von der Beschreibungsweise nicht unabhängig gedacht werden kann. Diese Art von Phänomen erscheint und erhellt sich nur in der Beschreibung. Der mitunter vage Gebrauch der Begriffe ›Phänomen‹ und ›Phänomenologie‹ – letzteres nicht im strikten Sinne Husserls – mag seinen Grund darin finden, ein Phänomen nicht zwanghaft zum klar und deutlich abgegrenzten Gegenstand der Erkenntnis machen zu wollen. Damit verbindet sich die aus Einsicht gespeiste Vorsicht, »daß die Phänomene nicht nur Sachen unserer Demonstrationen sind« und der Theorie eine »beliebige und jederzeitige Zugänglichkeit der Gegenstände«211 nicht möglich ist.

Es gibt eine Vagheit des zu Erfassenden, eine Unschärfe des zu Bestimmenden, die ihren Grund in der Sache und nicht in einem Mangel der Methode hat. Es gibt ein »Dämmerlicht …, wo jeder Umriß, jede Andeutung dem Verstehen hilfreich werden kann«.212 Vorsicht gebiete die Erfahrung mit den »dialogtheoretischen Einführungszwängen für Begriffe«, denn immer wieder erweise sich »als eine der Illusionen im Umgang mit Theorien aller Art, daß von dem Bestimmungsgrad der Begriffe, die sie einführen und verwenden, ihre Qualität schlechthin abhinge«, dabei zeige sich doch oft, »daß die Strenge bei der Bildung oder Zulassung von Begriffen eher Sterilität begünstigt als präzisen Fortgang bewirkt«.213 Auch was ›Phänomen‹ sein soll, bedarf daher der behutsamen Beschreibung und sperrt sich gegen die vorschnelle begriffliche Definition. Immerhin gilt: »Was nicht zu ›erklären‹ ist, bleibe lieber im Ungeklärten als im Genügen einer prätendierten Verstandenheit.«214

Ein Mythos hilft hier weiter. In einer der anrührendsten Erzählungen unserer Tradition wird die tragische Geschichte eines Liebespaares erzählt, das sich gleich zweimal verliert. Zuerst trennt der Tod Orpheus und Eurydike, nachdem Eurydike von einer Schlange gebissen wurde. Doch durch die Kunst seines betörenden Gesangs kann Orpheus, der von seiner Geliebten nicht lassen will, die Herrscher der Unterwelt der Toten dazu bewegen, ihm Eurydike zu überlassen. Von seinem Gesang ergriffen, erfüllen sie seinen Wunsch, allerdings unter der Bedingung, er dürfe sich auf dem Weg aus der Unterwelt als Vorangehender nicht nach Eurydike umschauen. Beide haben schon fast die Oberwelt erreicht, als Orpheus nicht mehr an sich halten kann und sich nach seiner Geliebten umwendet, um sich ihrer Gegenwart zu vergewissern. Diesen Tabubruch bezahlt Orpheus mit dem erneuten und endgültigen Verlust Eurydikes. Sie sinkt ohne Wiederkehr zurück in das Dunkel der Unterwelt.

Dieser Mythos lässt sich auch philosophisch lesen, als Erzählung davon, was geschieht, wenn man mitunter Gewissheit zu erzwingen sucht. Dann stellt der Orpheus’sche Blick zurück den Sündenfall eines Denkens dar, das nach Gewissheit verlangt, wo sie nicht zu haben ist. Im Moment der Umkehr wird Orpheus zum Cartesianer, der Klarheit und Eindeutigkeit zu erzwingen sucht, wo allein die Kunst der Beschreibung phänomenerschließend gewesen wäre. Ernst Cassirer, ein äußerst behutsamer Führer aus der Unterwelt des Vorwissenschaftlichen, wusste genau um diese Gefahr des Entgleitens des theoretisch Bedachten. Bei der Bestimmung der Funktion eines vormythischen, eines vorlogischen und eines vorästhetischen Wahrheitsfundaments weist er auf diese Erschließungsproblematik hin, denn es scheint uns »diese Wahrheit um so mehr zu entgleiten, je mehr man sie zu fixieren versucht: d. h., je mehr man sie von vornherein auf ein einzelnes Gebiet ›festlegt‹ und sie ausschließlich mittels der Kategorien desselben bezeichnen und bestimmen will«.215 So leicht es sei, ergänzt Blumenberg, »den ausschließlichen Gebrauch klarer und distinkter Begriffe zu fordern und alles vom Tisch zu wischen, was der Strenge vorgängiger Begriffsklärung nicht genügt, so problematisch ist es, jene vielleicht noch flüchtige und wenig konturierte Gegenständlichkeit zu gefährden, die als Konvergenzpunkt bis dahin verstellter Aspekte aufzuspüren gerade der interdisziplinären Anstrengung obliegen sollte«.216 Und so leicht es ist, methodisches Vorgehen einzufordern, so wenig ist damit gewonnen: »Feststellungen zur Methode erklären ohnehin zumeist nicht viel«,217 heißt es lapidar und abschließend.

Dem literarischen Nihilismus auf der Spur

Hans Blumenberg hat die Bühne der akademischen Publizistik als Stilist betreten. Man übersieht es leicht, denn der Anfang des ersten von ihm veröffentlichten Aufsatzes »Die sprachliche Wirklichkeit der Philosophie«, 1947 im zehnten Heft der Hamburger Akademischen Rundschau erschienen, ist durchaus sperrig.218 Er beginnt mit einem Satzungetüm: »Wer heute im wachen und verantwortlichen Bewußtsein, daß bei der Erwerbung ebenso wie bei der Erweiterung der Erkenntnisse seines Fachgebietes die Fragen einer ersten und allgemeinen Grundlegung unseres Erkennens und unseres Weltverhältnisses überhaupt nicht als unbeachteter und unbearbeiteter Block liegen gelassen werden dürfen, die Bemühung philosophischer Klärung und die Auseinandersetzung mit der bis auf die Gegenwart geleisteten Ausarbeitung dieser Probleme auf sich nimmt, stößt auf einen nicht selten entmutigenden Widerstand, eine Sperrigkeit des philosophischen Gedankengutes, die nur zu häufig von den Entmutigten als Exklusivität oder Esoterik des philosophischen Denkens gedeutet werden.«219 Kein Lektorat, so scheint es, hätte einen solchen Satz durchgehen lassen dürfen. Er ist zu lang, wirkt gestelzt und überfordert die Aufmerksamkeitsspanne des Lesers. Also ein verkrampfter Anfang? Eine ungelenke Formulierung eines noch gerade mit seiner Dissertation beschäftigten Jungakademikers? Kaum etwas weist auf den späteren großen Stilisten hin, auf den Essayisten und Träger des Sigmund-Freud-Preises für wissenschaftliche Prosa. Dabei führt dieser Eröffnungssatz bis in seine Form hinein präzise vor, was er behauptet: Der sprachliche Duktus der Philosophie – so die gebotene Diagnose – grenzt nicht selten an Unverständlichkeit. Terminologie und Ausdrucksweise erzeugen eine Exklusivität, die den nichtkundigen Leser ausschließt. Die Mühen, die man als Leser mit Blumenbergs erstem veröffentlichten Satz hat, gleichen der Anstrengung, philosophischen Argumentationen zu folgen. Form und Aussage kommen bereits gleich zu Beginn bei Blumenberg zur Deckung.

Sein erster öffentlicher Beitrag fragt nach den Möglichkeiten und Notwendigkeiten philosophischer Sprache. Gegenüber der Kontinuität einer philosophischen Tradition, die trotz grundlegender Wandlungen ihres Denkens kaum begriffliche Neubildungen kenne, hebt Blumenberg die »Eruption begrifflicher Bildungen«220 in neuerer Zeit hervor. Man mag dabei an Heidegger denken, dessen Philosophie von Sein und Zeit – wie sich bereits gezeigt hat – nicht zuletzt ein Sprachereignis darstellt: Die Rede vom ›In-der-Welt-sein‹, vom ›Dasein‹, vom ›Existenzial‹, vom ›Sein zum Tode‹ diene, so Heidegger, der »Auflockerung der verhärteten Tradition«, um den »ursprünglichen Erfahrungen«221 Ausdruck verleihen zu können. Doch Blumenberg kommt in seiner ersten Publikation nicht auf Heidegger zu sprechen, sondern hebt Husserl hervor, dessen deskriptive Phänomenologie durch »Wortbildung Sacherklärung anzuregen« unternehme: Soll das Phänomen also beschrieben und sprachlich erfasst werden, »so kann man auf den Ausgangsbegriff nicht mehr einfach zurückgreifen«, vielmehr werden Ausdrücke, »die zu Beginn der Untersuchung zur Bezeichnung des Phänomens genügen, im Verlaufe derselben ›fließend und vieldeutig‹«.222 Die Trägheit und Schwere einer in ihrer Traditionalität gefangenen Sprache gilt es zu überwinden, um jene Unmittelbarkeit der Erfahrung nicht preiszugeben, die Blumenberg und seine Generation umtreibt.

Nun ist Blumenberg nicht zu einem Schöpfer neuer Begrifflichkeiten geworden. Und die frühe Rede von der ›Ursprünglichkeit‹, die sich im späteren Werk verliert, ist nicht ohne suggestive Kraft. Gelegentlich spricht Blumenberg anfangs auch von »autochthoner Auslegung«223 und vom »autochthonen Phänomen«, von der »originären Bedeutsamkeit« der Geschichte, die in das »lebendig-gegenwärtige Erfahrungsganze«224 hineinreiche. Mit Heidegger gesprochen, denkt Blumenberg eine ›Eigentlichkeit‹ der Geschichtlichkeit, die uns als Geschick ereilt und der wir uns zu stellen haben, wenn wir uns nicht in die ›Uneigentlichkeit‹ eines bloß traditionell durchbuchstabierten Selbstverständnisses flüchten wollen. Die existenzielle Emphase der Rede von der Ursprünglichkeit, die mit systematischer Unschärfe erkauft zu sein scheint, mag rügen, wer nicht vor der Not steht, unfassliche Erfahrungen bewältigen zu müssen.

Um der Sprachnot nicht zu erliegen, hat sich Blumenberg der Literatur anvertraut, zuerst als Leser, dann als Rezensent und Essayist. In etlichen Vorträgen, deren Manuskripte erhalten geblieben sind, und in Feuilletonbeiträgen unter anderem für die Düsseldorfer Nachrichten und die Bremer Nachrichten hat Blumenberg – zum Teil unter dem Pseudonym ›Axel Colly‹ – sich mit der Literatur von Jean-Paul Sartre, Ernst Jünger, Paul Claudel, Graham Greene, Hans Fallada, Aldous Huxley, Jules Verne, William Faulkner, Henry James, Marcel Proust, Ernest Hemingway, Thomas Mann und anderen auseinandergesetzt. In kleinen Beiträgen, in denen er etwa der Zeitnot der Studenten nachgeht, nach der medizinischen Auswirkung von Kopfschmerztabletten, Schlafmitteln und Vitaminpräparaten fragt, sich zur Mode der neuen Taschenbücher und der Comics äußert, an den 750. Todestag von Moses Maimonides und an den 200. Jahrestag des Erdbebens von Lissabon erinnert, übt sich früh der Essayist. Ein Teil dieser Aufsätze, Rezensionen und journalistischen Fingerübungen sind inzwischen veröffentlicht.225 Sie erlauben einen Einblick in die Versuche des jungen Blumenberg, »dem Repräsentativen« seiner Welt »auf die Spur zu kommen«,226 wie es in einem Brief an Alfons Neukirchen von der Feuilleton-Redaktion der Düsseldorfer Nachrichten heißt.

 

Die philosophischeren Gegenwartsanalysen dieser schriftstellerischen Miniaturen laufen unter einem Stichwort, das inzwischen die Patina einer verblassten Emphase angenommen hat, aber seinerzeit als Fluchtpunkt der Selbstverständigungen auszumachen ist: ›Nihilismus‹. »Jede geschichtliche Epoche«, führt Blumenberg dazu aus, »steht auf einem Boden von Gewißheit, der für sie fraglos und selbstverständlich gültig ist und von dem her alles Wirkliche, Echte, Verbindliche als solches seinen Bestand hat. Treten nun aber im Zentrum des Bewußtseins Erfahrungen auf, die sich mit dem bis dahin fraglosen nicht vereinigen lassen, so kommt es zu einer Krise der fundamentalen Wirklichkeitsgewißheit, und diese Krise wird um so umfassender und akuter sein, je bedrängender und unabweisbarer jene Erfahrungen sind. ›Nihilismus‹ ist der Name der universalen und radikalen Krise der Gewißheit überhaupt.«227 Insofern für den jungen Blumenberg die Neuzeit als Epoche mit dem Willen zu absoluter, methodisch-wissenschaftlich abgesicherter Gewissheit identisch war, ist mit dem Scheitern dieses Projekts die Epoche selbst fragwürdig geworden. Es gibt keinen tragenden geschichtlichen Boden mehr, auf dem sicher zu stehen man voraussetzen kann. Die Destruktion eines geschichtlich vermittelten Selbstverständnisses teilt Blumenberg mit seiner Generation: »Das Mark des elementaren Selbstvertrauens ist uns angefault.«228

In der expressiven Kraft der Literatur findet Blumenberg, was er in der Philosophie vermisst. Für ein Verstehen von Wirklichkeit, das die »ruinanten Erfahrungen des letzten halben Jahrhunderts« aufzufangen habe, biete die »moderne Kunst und Dichtung die adäquatesten Ansätze; sie ist der philosophischen Analyse fast überall weit vorausgeeilt und hat Phänomene und Probleme sichtbar gemacht, an die sich das Denken nur allmählich heranzutasten vermag«.229 Ich möchte den Einfluss der Literatur auf den jungen Blumenberg an zwei Beispielen schlaglichtartig beleuchten. Aus der Fülle der Lektüren und Besprechungen ragen zwei Autoren heraus: Ernst Jünger und Franz Kafka.

Ernst Jüngers Auf den Marmorklippen, 1939 erschienen, ist ein prägnantes Beispiel für die ungeheure Wirkung, die literarische Werke auf Blumenberg zu haben vermochten, wenn sie die Unfasslichkeit geschichtlicher Situationen zu erschließen halfen. Schon die Anstöße, die Jünger bewogen, Auf den Marmorklippen zu verfassen, haben etwas Romanhaftes: Er war zu dem Buch durch zwei Ereignisse angeregt worden: Heinrich von Trott zu Solz hatte ihn im Spätsommer 1938 besucht und den vergeblichen Versuch unternommen, Jünger und dessen Bruder für den Widerstand gegen Hitler zu gewinnen; und bei anderer Gelegenheit hatte Jünger nach einem rauschhaften Gelage im Wachtraum ein flammendes Inferno ausgebombter Städte als Vision der Zukunft phantasiert.230 Jünger erzählt in seinem daraufhin verfassten Roman mit Schwermut von einer gerade erst vergangenen Zeit, deren Glück von dem sich ausbreitenden Terror verdrängt worden ist, einer rohen Gewalt, die vom ›Oberförster‹ angeführt wird. Gegen die Diktatur erhebt sich ein Aufstand, der jedoch scheitert. Wichtiger als Einzelheiten der Handlungen sind hier die Bilder, die Jünger dem Leser als Abbild der Zustände im Dritten Reich angeboten hat. Man hatte nicht für möglich gehalten, dass derlei überhaupt im Jahr 1939 publizierbar war. Zum Eindringlichsten des Romans gehört die Schilderung der Barbareien bei ›Köppelsbleek‹, was soviel heißt wie ›Schädelsbleiche‹, von Zeitgenossen aber oft – mit Blick auf Joseph Goebbels – auch als ›Goebbelsbleek‹ gelesen wurde. Jünger beschreibt einen Kahlschlag im Wald, der zu einer »Stätte der Unterdrückung«231 geworden ist. Über dem Scheunentor eines dort befindlichen Gebäudes prangt ein festgenagelter Schädel, und ein ›Männlein‹, ein Liedchen pfeifend, ist damit beschäftigt, Menschenleiber auszubeinen. Diese Unorte sind die »Keller, darauf die stolzen Schlösser der Tyrannis sich erheben und über denen man die Wohlgerüche ihrer Feste sich kräuseln sieht: Stankhöhlen grauenhafter Sorte, darinnen auf alle Ewigkeit verworfener Gelichter sich an der Schändung der Menschenwürde und Menschenfreiheit schauerlich ergötzt«.232 Dolf Sternberger hat später davon berichtet, wie diese Schilderung der Welt der Konzentrationslager und des Geheimterrors auf ihn wirkte: »In Chiffren war unseren elenden Beherrschern das Urteil gesprochen. Man rieb sich die Augen, es schien fast unglaublich, daß dergleichen möglich war.«233

Es gehört, wie bereits erwähnt, zu den Ungeheuerlichkeiten von Jüngers Buch, dass es überhaupt erscheinen konnte und der Autor unbehelligt blieb. Hitler, heißt es, habe seine schützende Hand über den Autor der kriegsverherrlichenden Schrift In Stahlgewittern gehalten.234 »Auf den Marmorklippen«, erinnert sich Blumenberg, »hatte für die Zeitgenossen und in deren Erinnerung seine Einzigartigkeit über allen Inhalt und erst recht über alle Absichten des Autors hinaus durch den Zeitpunkt seines Erscheinens. Niemand, der es 1939 las, wird über den Zweifeln am Nachfolgenden aus derselben Feder die Präzision vergessen haben, mit der Ernst Jünger den ›Zeitpunkt‹ traf, der dieser Bilder bedurfte.«235 Blumenberg hat später ambivalent über Jünger geurteilt. So umstritten die geistige Haltung und der literarische Rang Jüngers auch seien, das Werk sei von »einzigartiger Prägung«.236 Jünger sei der »bedeutendste deutsche Tagebuchschreiber«237 des 20. Jahrhunderts, auch wenn er von Unsicherheiten im Geschmack heimgesucht werde, was stilistisch dem Leser noch zugemutet werden dürfe.238 Zwar sei Jünger »oft ein erleuchteter Aufspürer von Analogien in Ober- und Unterwelten, in entfernten Kulturen und distanten Epochen«,239 seine Schwäche aber seien die Differenzen. Er liebe die Metapher, ohne die Kraft zu ihr zu besitzen.240 Er sei oftmals »mit barometrischer Sensibilität der Realität voraus«241 gewesen, auch wenn er zu einem »zuweilen unangenehm raffinierten Platonismus«242 neige. Seine späten Reisenotizen gehören für Blumenberg zum »Kostbarsten der Gattung«.243 Vor allem aber ragen die Marmorklippen als Jüngers »bedeutendstes Werk« und »fast … vollendete Dichtung«244 mit den Bildern von Terror und Gewalt, Blut und Verwesung, Mord und Brand, aber auch Widerstand heraus. Für Blumenberg ist Jünger ein Autor, der der »Vernichtung unserer alten Welt«245 nachgespürt und ihr Ausdruck verliehen habe, dem Nichts und somit dem Nihilismus, aber auch der Selbstbewahrung. Die in den Marmorklippen geschilderte Schinderwelt des Terrors von Köppelsbleek sei »nihilistische Anarchie«.246 Dafür einen Ausdruck gefunden zu haben, ist schon Selbstbehauptung gegen die drohende Sprachlosigkeit. Auch wenn der Terror dadurch nicht abgewendet werden konnte, ist die gelungene Sprachfindung nicht nichts. Die Marmorklippen zeichnen sich für Blumenberg daher »durch den Zeitpunkt des von ihnen gespendeten Trostes«247 aus. Auf die Ungeheuerlichkeit einer zeitgeschichtlichen Ursprünglichkeitserfahrung, den Einbruch des Terrors in unvorstellbarem Maße, hatte Jünger mit einem Buch reagiert, das so ursprünglich erschien wie das Geschilderte.