Hans Blumenberg

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Denn der allmächtige Gott zerstört – in der Lesart Blumenbergs – jeden rationalen Gewissheitsanspruch des Menschen. Schon in seiner Habilitationsschrift formuliert Blumenberg seine Sicht auf den mittelalterlichen Willkürgott: »Die Souveränität Gottes kann quer durch alle rationalen Sicherheiten und Wertungen hindurchgehen und darin die Möglichkeiten menschlicher Gewißheit vernichten.«146 Da Blumenberg, wie schon in der Doktorarbeit, den entscheidenden Autor des 14. Jahrhunderts, Wilhelm von Ockham, aus mangelnder Kenntnis noch nicht einzubeziehen vermag, illustriert er hier noch an Luther die belanglos gewordene Seinsgewissheit angesichts der unwägbaren Heilsgewissheit. Gegen diese Zumutung, die rationalen Konstanten durchkreuzt zu sehen, formiert sich die Neuzeit mit ihrem erneuerten und verschärften Gewissheitsanspruch, den Blumenberg idealtypisch an Descartes festmacht.

Und dieser erneuerte Gewissheitsanspruch stellt eine Bekräftigung der ontologischen Distanz dar. Was schon in der Antike einsetzte, gewinnt nun an Unbedingtheit und kann auf die Formel gebracht werden: Die ontologische Distanz ist eine Flucht in die Gewissheit. »Die Energien des modernen wissenschaftlichen und kritischen Denkens entstammen dem spannungsschaffenden Gefälle zwischen dem Stand der verlorenen Gewißheit und der idealen Forderung, die ihr Maß unreflektiert dem Verlorenen entnimmt und es in unendlicher Leistung der Erkenntnis zu überbieten aufgibt.«147 Der Anspruch der cartesischen Rationalität, die Gewissheit der Erkenntnis absichern zu wollen und zu können, entspringt somit der spätmittelalterlichen Infragestellung der ontologischen Distanz. Die Neuzeit ist weder die Fortsetzung des Mittelalters mit anderen Mitteln noch seine kontinuierliche Weiterentwicklung, sondern dessen Widerspruch. Dafür hat Blumenberg jene Formel gefunden, die in der Legitimität der Neuzeit prominent herausgestellt werden wird: Die cartesische Philosophie mit ihrem Programm abgesicherter Gewissheit ist der Form nach »nicht die der Selbstbestimmung, sondern der Selbstbehauptung«.148 Die »Selbstbehauptung der Vernunft vor der Gewißheitsfrage«149 wird zum Initialmoment der Neuzeit.

Wenn Blumenberg in diesem Zusammenhang vom Programm der Aufklärung spricht, geht es ihm dabei nicht vorrangig um eine »anthropologische, ethische oder ästhetische Kategorie, ein Ideal der Haltung, Bildung, Moral oder Politik«,150 also um all das nicht, was gemeinhin mit der Epoche und dem ihr entsprungenen Projekt einer sittlichen Vernunft verbunden wird. Aufklärung ist für ihn der wissenschaftlich sich realisierende Wille zur Gewissheit. In diesem Sinne hat Husserl seine Phänomenologie als den Inbegriff des Anspruchs verstanden, das cartesische Gewissheitsprogramm zu vollenden. Dieser Gedankengang ist mit Blick auf die moderne Wissenschaftsgeschichte ungemein eng geführt und reizt zum Widerspruch, deckt sich aber mit Husserls Verständnis der Phänomenologie als Erfüllung eines im engeren Sinne neuzeitlichen, im weiteren Sinne menschheitlichen Willens zur ontologischen Distanz.

Mit der Vollendung oder dem Scheitern dieser Art von Aufklärung steht die Neuzeit als Epoche auf dem Spiel. Eine geschichtliche Epoche ist die »Einheit einer Gegenwart als Einheit eines Sinnes«.151 Blumenberg blendet politische, moralphilosophische, wirtschaftliche, soziale, kunstgeschichtliche Facetten aus, um den Willen zur Wissenschaft zum Leitfaden der Modernität zu machen. Die neuzeitliche Wissenschaft ist »die – zwar unendliche, aber doch sich verwirklichende – Aufhebung der Sorge des Menschen um seine Gewißheit in wissende Souveränität«.152 Es gibt somit nicht allein existenziell-biographische Momente des ursprünglichen Erfahrens und Reflektierens von geschichtlicher Geschichtlichkeit, es geht auch eine Nummer größer, ist doch die Neuzeit insgesamt eine der »Manifestationen epochaler Ursprünglichkeit«.153 Die Neuzeit als Einheit eines Sinns ist gleichsam eine zu bedenkende ›Situation‹ und Gegenwart. Diese Einsicht wird für den Radius der Gegenwartsanalysen Blumenbergs bestimmend bleiben: Seine großen und weit ausholenden Neuzeitstudien, wie etwa die Genesis der kopernikanischen Welt, sind in diesem Sinne als Epochenvergewisserungen Gegenwartsanalysen. Blumenberg rechnet hier nicht in Jahren oder Jahrzehnten, sondern in Jahrhunderten.

Descartes hatte den spätmittelalterlichen Verunsicherungen eine Erkennntnisgewissheit entgegenzustellen gesucht, die im ersten Schritt in der Unerschütterlichkeit des cogito besteht: Mag mich täuschen wer will, immer dann, wenn ich denke, bin ich mir sicher, dass ich bin. Diese Selbstsicherheit ist nicht täuschbar. Für Descartes bedurfte es dann im nächsten Schritt des Gottesbeweises, um den gütigen Gott als Garanten weiterer verlässlicher Wissensbestände voraussetzen zu können. Damit hatte Descartes für Husserl ein Reich absoluter Gewissheit eröffnet – und gleich wieder verspielt, da er sich nicht auf die Sphäre des Bewusstseins beschränkt hat. Die Phänomenologie wird das zu korrigieren suchen, ist ihr das Bewusstsein doch die einzig mögliche Sphäre unbedingter Gewissheitsbildung.

Blumenberg erläutert ausführlich an Theoriemomenten der Phänomenologie, inwiefern sie die Vollendung der ontologischen Distanz zu sein beansprucht. Insbesondere die ›transzendentale Reduktion‹ suche das reine Bewusstsein zu verwirklichen, abzüglich aller naturhaften Bestimmungen des Ich und seiner Individualität. Worauf es hier allein ankommt: Mit dem Entwurf der Phänomenologie wird die ursprüngliche Geschichtlichkeitserfahrung des Menschen preisgegeben, denn die »transzendentale Subjektivität … bietet ein ›phantastisch idealisiertes Subjekt‹, zu dem man nur gelangen kann, wenn man von vornherein die Faktizität des Daseins ausschaltet«.154 Aufklärung als der Wille zur Verwirklichung absoluter Gewissheit ist eben »wesentlich Aufstand und Behauptung gegen die Geschichtlichkeit des Daseins«.155 Blumenberg dagegen fragt, was es dem Menschen noch bedeuten könne, »eine gegenständlich entrückte Wirklichkeit ›rein‹ zu erfassen, eine Region eidetischer Notwendigkeit zu erschließen, da ihn doch seine ›Notwendigkeit‹ schon ohne Besinnung gefordert hat«.156 Blumenberg sucht der geschichtlichen Erfahrung konkreter Faktizität die Treue zu halten. Was Husserl in Aussicht stelle, sei doch »die letztentdeckte und letztendeckbare, die ›fernste‹ Region« des Erlebten: »Die radikale Reflexion auf die absolute Gewißheitssphäre des reinen Bewußtseins, die von Husserl geübt wird, ist geradezu das Auf-Distanz-bringen dessen, was uns im schlichten Leben am nächsten und unablösbarsten erscheint, nämlich unserer Innerlichkeit gerade als der unsrigen, eigensten und wenigst allgemeinen in ihrem Hier und Jetzt.«157 Jahrzehnte später, in der Beschreibung des Menschen, wird Blumenberg die mangelnde Berücksichtigung einer Anthropologie durch die Phänomenologie anmahnen und zu korrigieren suchen. Zu Beginn seiner Husserl-Rezeption ist es die Geschichtslosigkeit der Phänomenologie, die er kritisiert.

Dabei hat Husserl in seiner Spätphilosophie der Krisis-Schrift viel spekulativen Aufwand betrieben, die Geschichte der Wissenschaft als einen ideellen Kontinuitätswillen zu beschreiben. Aber das ist eben, in der Terminologie Blumenbergs, lediglich eine Philosophie der ›Geschichte‹ als eines – zwar gefährdeten, aber stets reformierbaren – Vollstreckungszusammenhangs. Von Metakinesen der Geschichte als jenen Wenden, die den gesamten Wirklichkeitsbezug betreffen und als geschichtlicher Hintergrund den Wandel der Epochen bedingen – trotz aller vordergründigen Kontinuität etwa in der Terminologie –, ist bei Husserl nicht die Rede. Für Husserl ist der Gang der Wissenschaftsgeschichte ein methodisch zu sichernder Prozess, der über Generationen führt und die absolute Gewissheit als Ziel in Aussicht stellt.

Verheißung und Zumutung hängen dabei eng zusammen. Denn ein solcher »Aufschub auf die unendlich zukünftige absolute Gewißheit hin verliert seinen Sinn, indem sich die Möglichkeit des Daseins als endliche erfährt, angewiesen auf die faktische Erschlossenheit des Seins für die jemeinige Existenz«.158 Dem einzelnen Menschen fehlt es an Zeit, in den Genuss eines sich über unzählbare Generationen hinziehenden Gewissheitsprojektes zu kommen. Wo von unendlichen Aufgaben geredet wird, verliert die konkrete Geschichte ihren Sinn. Damit erweist sich aber die Phänomenologie als eine Vermeidungsstrategie: »Phänomenologisch stehen die Begriffe ›Welt‹, ›Zeit‹ und ›Unendlichkeit‹ in engstem wesentlichen Zusammenhang; das Phänomen, das einzig diesen Zusammenhang infragestellen kann, nämlich die ›Geschichte‹, ist ausgelassen.«159

Im Schlussabschnitt seiner Habilitationsschrift setzt Blumenberg dem Unendlichkeitsentwurf der Phänomenologie die Endlichkeit des Denkens entgegen, das sich nicht in die methodische Reinigung von seiner geschichtlichen Situation fügt. Gegen die Vollendung der ontologischen Distanz gelte es, »die ganze Gewalt der aufgebrochenen geschichtlichen Erfahrung in ihrer unüberschreitbaren Endlichkeit zur Geltung«160 zu bringen. Mit dem Versagen der Phänomenologie vor der radikalen Erfahrung der Geschichtlichkeit als unverfügbarem Geschick scheitert die Moderne als Wille zur absoluten Gewissheit. Denn Geschichte ist der »Titel der Grunderfahrung, an der sich der Gewißheitsentwurf der Aufklärung gebrochen hat«,161 und die »Unendlichkeit« ist »dem philosophischen Anspruch als einem geschichtlichen gerade abgeschnitten«.162

Im Gegensatz zum späteren Versuch, die Neuzeit gegen Infragestellungen ihrer Legitimität zu verteidigen, diagnostiziert Blumenberg hier noch das Scheitern der Neuzeit unter dem Stichwort der ontologischen Distanz. Auf einen Satz gebracht hat sich die Neuzeit an ihrem Gewissheitsanspruch verhoben und die Form der Theorie im Allgemeinen und der Philosophie im Besondern mit einer nicht zu erfüllenden Forderung überfrachtet. Der neuzeitliche, von Descartes ausgehende Gewissheitsentwurf »ist zusammengebrochen«,163 somit sind »Ursprung und Krisis der Neuzeit … ein Thema«.164

 

Blumenberg hat seine Habilitationsschrift, über die akademisch erforderlichen Exemplare hinaus, nicht der Öffentlichkeit übergeben. Im Marbacher Literaturarchiv ist dem dortigen Exemplar ein von ihm selbst angefertigter Zettel beigefügt: Er enthält die Zeichnung eines Totenkopfes und den Vermerk: »mit grosser Vorsicht zu geniessen!«, als hätte das Schriftstück etwas Toxisches an sich. In der Tat ist der Blick auf diese Arbeit von der Warte des später Ausformulierten aus ambivalent. Blumenberg argumentiert in dieser Schrift noch in den Denkbahnen der Ontologie: »Geschichte ›reicht‹ nicht nur in das Sein hinein, sondern sie ist dessen ›Wesen‹.«165 Er hat den Weg der Ontologie nach seiner Habilitation nicht weiter verfolgt und statt vom Sein vielmehr von den Wirklichkeiten, in denen wir leben, gesprochen. Während Heidegger sich nach seiner ›Kehre‹ ganz und gar dem Sein denkerisch verpflichtet zeigte und den dazu in Sein und Zeit eingeschlagenen Umweg über das Dasein des Menschen als exemplarisches Seinsverständnis hinter sich lassen sollte, schlug Blumenberg den umgekehrten Weg ein. Vom Sein war bei ihm immer weniger, vom Menschen immer mehr die Rede. Husserl wird in der Habilitationsschrift einer grundlegenden Kritik unterzogen, wenngleich er zu einem Referenzautor der folgenden Jahre aufsteigen wird, vor allem dank des von ihm bereitgestellten Begriffs der ›Lebenswelt‹. Die Neuzeit gilt Blumenberg noch als gescheitert, wobei er schon zwei Jahre später, in einem Zeitungsartikel für die Düsseldorfer Nachrichten ein »Plädoyer für diese Zeit« halten und mit ihm den »Versuch einer Ehrenrettung für eine schlecht beleumundete Epoche«166 unternehmen wird. Die spätere Verteidigung der Neuzeit kündigt sich an. Besaß die Doktorarbeit die Souveränität einer Argumentation auf dem Fundament sicherer Mittelalterkenntnisse, stellt der erste Auftritt auf der Bühne der neuzeitlichen Philosophie eher einen Zwischenschritt dar. Dennoch wird ein Aspekt uneingeschränkt gültig bleiben: die Einsicht in die Metakinese des geschichtlichen Hintergrundes. Von daher ist die Habilitationsschrift auch für den heutigen Leser durchaus zu genießen, aber eben mit Vorsicht.

Das Verfolgen der Phänomene:
Anmerkungen zur Methode

Was bleibt, wenn man die Flucht in die Gewissheit ausgeschlagen hat, um der ursprünglichen Erfahrung der geschichtlichen Situation die Treue zu halten? Es bleibt die Verpflichtung, dem Philosophieren eine eigene Form zu verleihen. Das veranlasst mich zu einer ersten Zwischenreflexion: Schon in seinen beiden Qualifikationsschriften hat sich angedeutet, dass die moderne wissenschaftliche Methode für Blumenberg einen eigenen Reibungspunkt darstellt. Mit einem Wort: Er will die Philosophie davor schützen, sich als ›strenge Wissenschaft‹ begreifen zu müssen. Diese Abwehr eines auf sie übertragenen Anspruchs ist für Blumenbergs gesamtes weiteres Werk von nicht zu überschätzender Bedeutung.

Im Rückblick und mit größerer Distanz zu Husserls Vorhaben, die Geschichte der abendländischen Theorie auf die Phänomenologie zulaufen zu lassen, erscheint Blumenbergs Identifikation der Neuzeit mit dem cartesischen Willen zu absoluter Klarheit und Deutlichkeit freilich als allzu enggeführt. Ein einziger Blick etwa in die Genesis der kopernikanischen Welt reicht zur Verdeutlichung, wie sehr Blumenberg selbst sein frühes Bild von der modernen Wissenschaft korrigiert, erweitert und vertieft hat. Schon in seinem Aufsatz »Weltbilder und Weltmodelle« aus dem Jahr 1961 weist er die alleinige Verbindlichkeit cartesischer Leitvorstellungen für das moderne Theorietreiben zurück, sei doch offensichtlich, »daß die Funktion der Wissenschaften in unserer gegenwärtigen Wirklichkeit nichts mehr mit den Motiven ihres frühneuzeitlichen Ursprunges gemein hat«.167

Doch lohnender als eine Kritik an den Stilisierungen und unhistorischen Vereinfachungen, die sich die Habilitationsschrift noch erlaubt, ist ein Blick darauf, wie der überscharfe Kontrast vom Streben nach absoluter Gewissheit und Endlichkeit des Denkens die weitere Physiognomie von Blumenbergs Philosophie geformt hat. Ich möchte das mithilfe von einigen locker gereihten Anmerkungen andeuten.

Eine der zentralen Bedingungen der modernen Organisation von ontologischer Distanz durch die Wissenschaft ist die Verpflichtung auf das Einhalten methodischer Vorgaben. Erst mit Descartes hat das methodisch abzusichernde und zu verantwortende Vorgehen in der Wissenschaft die heutige dominante Stellung erlangt – man denke an Platons Dialoge oder an die ›scholastische Methode‹ des Hochmittelalters, um sich die Radikalitätsdifferenz zur modernen Methodologie vor Augen zu führen. Die neuzeitliche methodische Disziplinierung des Forschens zielt nach Blumenberg auf eine »Eliminierung der Subjektivität«,168 die in ihrer konkret-faktischen Gestalt gleichsam einer Verunreinigung der Wissenschaft gleichkommt. »Methode ist das Organon, behilfs dessen sich der wissenschaftliche Geist der Zufälligkeit und Endlichkeit der forschenden Individuen enthebt und sich der Befangenheit im faktischen geschichtlichen Dasein entzieht.«169 Insofern die absolute Gewissheit nicht in einem einzigen Schritt zu erreichen ist, sondern der Fortschritt auf Dauer gestellt werden muss, wird jeder Einzelne »zum Funktionär des szientifischen Prozesses der Gewißheitsbildung reduziert«.170 Die den wissenschaftlichen Fortschritt über Generationen versichernde Methode, an die sich alle Wissenschaftstreibenden zu halten haben, stellt dem ideellen Erkenntnissubjekt ›Menschheit‹ in Aussicht, was sie dem Einzelnen an Erkenntnis vorenthält.

Der in der Habilitationsschrift entwickelte Methodenaspekt der modernen Wissenschaft war Blumenberg so wichtig, dass er 1952 einen Aufsatz mit dem Titel »Philosophischer Ursprung und philosophische Kritik des Begriffs der wissenschaftlichen Methode« veröffentlichte. Von ontologischer Distanz ist darin schon nicht mehr die Rede, aber es werden auf knappem Raum die modernen Methodenansprüche mit einem Verständnis von Philosophie konfrontiert, für das das Ideal einer ›strengen Wissenschaft‹ nicht verpflichtend ist. Der Aufsatz liest sich als ein Befreiungsschlag, der dem Philosophieren Luft zum Atmen verschaffen und die Freiheit des Denkens jenseits methodischer Überregulierung garantieren soll.

Dazu verweist Blumenberg zunächst darauf, der ursprüngliche Wortsinn von méthodos sei: einer Sache nachgehen, etwas verfolgen, ganz im Sinne des räumlich-bewegungsmäßigen Nachsetzens. Im übertragenen Sinne verlange die methodisch ausgerichtete Theorie, einem Sachverhalt nachzugehen. »Immer bleibt das Gegebene, sei es real oder ideal, in seiner eigenen Bewegtheit im Blick.«171 Darauf kommt es an: Diese Art des methodischen Verfolgens lässt sich vom Gegenstand leiten, bestimmen, führen. Die Methode habe sich im Laufe der Geschichte dann aber in eine Technik verwandelt, wodurch das Wie einer Untersuchung in den Vordergrund gerückt und der Gegenstand aus seiner leitenden Funktion entlassen worden sei: »Der Erkennende heftet sich nicht primär an die Sache, sondern orientiert sich im Entwurf eines Ideenzusammenhanges, eines ›Systems‹, und die Sache hat ihre Bedeutung vornehmlich darin, daß sie die vorentworfene Topographie des Systems ›bestätigt‹.«172 Schlimmer hätte es kaum kommen können.

Für den Umgang mit Blumenbergs späteren Büchern ist die Beachtung von seinem als ›ursprünglich‹ ausgewiesenen Verständnis von Methode von überragender Bedeutung. Übersieht man seinen im Kern vormodernen Methodenbegriff, sind Irritationen vorprogrammiert, denn Blumenberg hat sich in seinen Schriften nicht dem Diktat der modernen Methodologie gebeugt. Daher rührt auch der berechtigte Eindruck, es mit einem ungemein souveränen, selbstbewussten und freien Denker und Autor zu tun zu haben. Blumenberg philosophiert aber auch nicht aus Prinzip wider den Methodenzwang, sondern legt seiner Philosophie eben jenen für ihn originären Methodenbegriff zugrunde. Etwa in den Paradigmen zu einer Metaphorologie: Nach wenigen Seiten Einführung, die nur die notwendigsten Bestimmungen und methodischen Auskünfte bieten, geht Blumenberg gleich ins ›Quellenmaterial‹ und lässt sich von den Metaphern leiten. Zwar bietet er für sie paradigmatische Typologien, aber es ist erkennbar das Ziel, sich vom zu Deutenden her bestimmen zu lassen. Blumenberg verweigert sich einer vorlaufenden Systematik, die die zu interpretierenden Metaphern zu reinen Bestätigungen verkommen lassen könnten. Es ist von hohem Aufschlusswert, dass Blumenberg im Rahmen der zu entwickelnden Metaphorologie zuerst einen Aufsatz, der den Paradigmen zeitlich noch vorausgegangen ist, vorgelegt hat: »Licht als Metapher der Wahrheit« aus dem Jahr 1957. Er wendet sich gleich dem ›Material‹ zu und verlässt sich auf systematische Grundintuitionen, die sich an den Quellen zu bewähren haben. Das setzt so etwas wie intellektuellen Spürsinn voraus, eine Kunst der Vermutung, das Vertrauen auf die eigene Intuition der Ahnung.

Zugleich verlangt es die Kunst der Selbstzurücknahme. Blumenberg hat sich dagegen ausgesprochen, ein ausdrückliches Selbstverständnis pflegen und vorweisen zu müssen. Er habe keinerlei ›Interesse‹ – die Leitvokabel von Habermas’ Erkenntnis und Interesse durch Anführungszeichen auf Distanz gesetzt – an einem Selbstverständnis: »Es stört dabei, das zu verstehen, was man doch vor allem, wenn nicht ausschließlich, verstehen möchte.«173 Insofern das leitende Interesse als der Ausgriff eines vereindeutigten Selbstverständnisses auf etwas zu Untersuchendes genommen werden kann – in der Art: ›Ich als Soziologe interessiere mich für gesellschaftliche Ungerechtigkeiten in einem Stadtteil von Berlin‹ –, sucht die gewollte Interessenlosigkeit mit der Variabilität möglicher Selbstverständnisse jene Elastizität des theoretischen Nachverfolgens, bei der ein festgelegtes Selbstverständnis nicht beschränkend im Weg steht. Leitend ist für Blumenberg daher nicht das fokussierte ›Interesse‹, sondern die wahrnehmungsoffene ›Neugierde‹, nicht das ›Problem‹, sondern das ›Phänomen‹.

Dem ursprünglichen Methodenbegriff, der sich vom zu erkennenden Gegenstand leiten lässt, entsprechen Wissensformen, die inzwischen jenseits der strengen Wissenschaft angesiedelt sind: etwa der Bericht oder die Erzählung.174 Beides kultiviert Blumenberg in seinem Werk, indem er von ›Gipfeltreffen‹ zwischen Geistesgrößen berichtet – etwa Marcel Proust und James Joyce – und indem er große Bögen der Bewusstseinsgeschichte nacherzählt. Daher rührt der Verdacht aller in der modernen Methodologie Gefestigten, hier verkomme jemand zum ›erzählenden Philosophen‹, der von Anekdoten berichte.

Als nächstes erläutert Blumenberg in seinem Methodenaufsatz die Leitidee moderner Methodologie, das forschende Individuum disziplinieren und das Feld des wissenschaftlichen Zugriffs abstecken zu wollen. Im Grunde arbeitet die wissenschaftliche Methode mit einer doppelten Verobjektivierung: Auf der einen Seite sorgt die strenge Methode für eine Homogenisierung der Gegenstandswelt, mit der es die Theorie zu tun haben will. Descartes etwa reduzierte alle Substanzen auf geistige und ausgedehnte, wodurch der nichtgeistige Objektbereich auf quantifizierbare Gegenstände eingegrenzt wurde. Diese Art von methodisch geschaffener Homogenität stellt eine Vorentscheidung darüber dar, was mit den Mitteln einer Methode überhaupt als Erkenntnisgegenstand erscheint. »Hierin liegt die spezifische ›Selektion‹, die den Wirklichkeitsbegriff der Neuzeit entscheidend bestimmt; sie konstituiert sich aus ›Heraus-Sehen‹ und ›Über-Sehen‹. In ihr präformiert sich die Welt zum ›Gegenstand‹ der Naturwissenschaft, zum Herrschaftsfeld der Technik«,175 heißt es schon in der Habilitationsschrift.

Zum anderen soll auch der Bereich des Subjektiven homogenisiert werden: »Die ›Vernunft‹ als Träger des Erkenntnisprozesses ist zwar ›Subjekt‹, aber sie ist nicht ›subjektiv‹.«176 Dadurch werden »Individualität und Geschichtlichkeit … zu gleichgültigen und reduzierbaren Momenten«.177 Erst so lässt sich die Fiktion eines umfassenderen Erkenntnissubjekts erzeugen, dem die vielen Individuen zugeordnet sind: »Die Methode integriert die Vielheit der Funktionäre der neuen Wissenschaft im Prinzip zu einem Subjekt, indem sie ihre Erkenntnistätigkeit so einrichtet, daß sie von ihnen wie eine einzige geistige Aktion vollzogen wird, als ob sie aus einem einzigen Intentionszentrum gesteuert würde.«178

 

Blumenberg weigert sich, als Philosoph zum Funktionär einer methodisch geleiteten Wissenschaftsidee degradiert zu werden. Dazu wahrt er Abstand zu allen etwaigen Forderungen nach Auskünften über seine Methode. Nicht von Ungefähr verzichtet er selbst in seinen Hauptwerken auf zusammenhängende Darstellungen seines philosophischen Vorgehens. Wer darin nur Unfähigkeit zur methodischen Präzision vermuten möchte, verkennt den philosophischen Streitwert, der mit dieser Unterlassung markiert wird. Blumenberg unterläuft moderne Methodenerwartungen, um die Philosophie, die älter ist als die Ausbildung eben jener modernen Vorgehensbestimmungen, vor einer Verkümmerung zu schützen.

Für diese Intention gibt es bereits ein äußerliches Merkmal, das dem Druckbild seiner Bücher eigen ist: In seinen Monographien hat Blumenberg die herangezogenen Zitate niemals in Anführungsstriche gesetzt. Zitierte Passagen sind stets kursiviert. Das führt zu einer organischeren Einbettung des Herangezogenen in den eigenen Textfluss, ist aber vor allem ein historisierender Vermerk: In alten Büchern – zum Beispiel dem Dictionnaire historique et critique von Pierre Bayle, in seinen maßgeblichen Ausgaben in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts erschienen – finden sich Zitate stets auf diese Art markiert. Blumenberg folgt dieser alten Druckweise, um seine Schriften – bei aller Aktualität – in die Tradition zu stellen und sie so schon optisch von modernen Theorieansprüchen abzusetzen. Ein weiterer Beleg für die hohe Kongruenz von Sinn und Form in Blumenbergs Philosophie.

Der Wille zur Originalität, der sowohl für die stilistische Brillanz als auch für Umständlichkeiten und Gespreiztheiten seiner Texte verantwortlich zeichnet, ist daher als philosophischer Widerstand gegen eine vornehmlich am Ideal der Naturwissenschaften orientierten Wissenskultur zu begreifen. Der von Blumenberg gepflegte Personalstil, der oft als eine literarisierende Sprache wahrgenommen wird, wehrt sich gegen die Entsubjektivierung der Theorie durch strikte Methodik und strenge Wissenschaft. Blumenberg setzt seinen Individualitäts- und Originalitätsanspruch gegen die Fiktion einer von allem Subjektiven gereinigten Theorie. Seine Texte sind bis in die Überschriften hinein oft auf Anhieb als Texte dieses Autors auszumachen. Man sollte also die Stilblüten seiner stets um Unverkennbarkeit bemühten Diktion nicht allein als eine literarische Ambition werten, die sich der Philosoph zusätzlich zum Gedachten geleistet hat. Wer meinte, man könne, solle oder müsse doch Blumenbergs literarisierende Denkweise bis auf die in ihr enthaltenen ›Argumente‹ und ›Thesen‹ entkleiden können, übersieht, dass bereits die Form dieses Denkens als Sprache im Personalstil Ausdruck einer philosophischen Positionierung ist. Daher geht in der sprachlich spröden Form der Handbuchartikel, die sich einzelnen Aspekten der Philosophie Blumenbergs widmen oder Werke paraphrasieren, Wesentliches verloren. Was Blumenberg denkt, ist von der Weise, wie er es denkt, nur um den Preis der kruden Reduzierung zu trennen. Etwas von ihm ausführlich Erzähltes kann eben nicht formelhaft zusammengefasst werden, ist doch – dem ursprünglichen Methodenbegriff zufolge – das Erzählen keine beliebig verkürzbare Denkform, einem Gegenstand zu folgen.

Schließlich dient der Originalitätsanspruch seiner Texte dazu, das Funktionärsverständnis moderner Fortschrittslogik und -methodik zu unterlaufen. Niemand kann Blumenbergs Philosophie fortsetzen, weiterschreiben, seinen Stil ohne epigonale Peinlichkeit kopieren oder kultivieren. Damit bleibt dieses Werk situiert, geschichtlich und biographisch verortbar, individuell und unverkennbar. Das trifft freilich auch auf andere Philosophien zu, es ist kein Alleinstellungsmerkmal. Aber Blumenberg hat dieses Prinzip auf die Spitze getrieben. Es wäre undenkbar, dass er einen Aufsatz im Rahmen eines Autorenkollektivs verfasst und seinen Eigenstil in einem dafür notwendigen Maß zurückgenommen hätte, um gemeinsame Thesen zu präsentieren. Lexikonartikel mit der ihnen eigenen Verpflichtung auf stilistische Zurückhaltung stellen bei Blumenberg eine Ausnahme dar.179

Die Betonung der Personalität mag zu Anhängerschaften verleiten, denen Blumenberg sich durch Unnahbarkeit und Rückzug aus der Öffentlichkeit vorauseilend entzogen hat. Überhaupt gilt es, angesichts der starken personalen Färbung seiner Philosophie, ein drohendes Missverständnis abzuwehren: Das Philosophieren im Personalstil verteidigt eine Theorieform gegen die Entsubjektivierung der modernen wissenschaftlichen Methode, aber das heißt nicht, dass es folglich um die philosophierende Person zu gehen habe. Wer diesen Irrtum vermeidet, hat viel für die Lektüre der Werke Blumenbergs gewonnen.

Auch den Gegenstandsbereich philosophischer Erkenntnis will Blumenberg nicht vorschnell methodisch begrenzt wissen. Geradezu provokativ weitet er das Feld der Gegenstände philosophischen Denkens, wenn er Gedichte in seine Reflexionen einbezieht, Glossen zu Anekdoten schreibt, Briefe und Tagebücher zu gleichwertigen Quellen neben den Hauptwerken der herangezogenen Autoren erhebt. Darin liegt das Überraschungsmoment für den Leser begründet: Hier schreibt einer über Themen, die im Erwartungsraster des ›Wissenschaftsbetriebs‹ im Allgemeinen und der Philosophie im Besonderen nicht vorkommen: etwa über die Matthäuspassion von Johann Sebastian Bach, über Anekdoten und überhaupt über Figuren der Geistesgeschichte, die der Disziplin der Philosophie fernstehen. Wer fügt schon einem philosophischen Buch Kapitel über Sigmund Freud, James Joyce oder Adolf Hitler ein, ohne Psychologe, Anglist oder Historiker zu sein? Wer schreibt schon über Technik, ohne sich als Ingenieur oder Technikhistoriker ausweisen zu können? Wenige.

Blumenberg ist der Preis zu hoch, den das Ideal einer Wissenschaft zu zahlen bereit sein muss, um den Erkenntnisgewinn als gemeinsam getragene Fortschrittsgeschichte zu entwerfen: »Der Anspruch der ›reinen‹ und autonomen Selbstverfügung der Vernunft über ihren Grund und Anfang erwies sich als gebunden an die konsequente Destruktion des tragenden Bodens der geschichtlichen Existenz des Menschen, der eben gerade darin ›menschlich‹ ist, daß er nicht ›ex nihilo‹ leben kann.«180 Da er nicht ›aus dem Nichts‹ leben kann, ist der konkrete Mensch als Individuum stets lebensweltlich eingebunden und in eine geschichtliche Situation eingebettet. Dieses Leben aber bedarf angesichts seiner Endlichkeit und seiner Zeitknappheit der philosophischen Orientierung im Hier und Jetzt. Der unendliche Wissenschaftsfortschritt habe eine »blinde Automatik«181 hervorgebracht, für die nichts gleichgültig sei, aber alles beliebig zu werden drohe. Das philosophische Denken soll gegen die Engführungen moderner Methodisierung geschützt und »fundamentaler im Ansatz und umfassender in der Zielsetzung«182 gehalten werden. Daher betreibt Blumenberg Philosophie als ein spezialisierter Generalist. Wenngleich er das Philosophieren für so begründungsunbedürftig hält wie ein Gedicht, er also Theorie um der Theorie willen zu betreiben sucht, handelt es sich im Rahmen einer diskreten Anthropologie doch um eine Philosophie in pragmatischer Absicht. Freilich nicht im Sinne einer vorzuentwerfenden Praxis, wohl aber als Form der Selbsterhaltung und Selbstbehauptung des Menschen in seiner jeweiligen Daseinssituation. Kann die Philosophie, fragt er in der Habilitationsschrift, »sich je von dem Selbstverständnis unseres Daseins so ablösen und sich in dem Universum wissenschaftlicher Gegenständlichkeit genügen, ohne ihren Ursprung und damit den Boden ihres Sinnes preiszugeben«?183