Hans Blumenberg

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Heidegger denkt nicht geschichtlich genug, so der Vorwurf, da er ein Schema des Niedergangs auf die abendländische Geschichte projiziert, das ihn für ursprüngliche Neueinsätze des Denkens unempfänglich macht. Wenn es aber gelingt, ursprüngliches Denken in der von Heidegger verfemten Tradition aufzuweisen, ist exemplarisch ihre Wertigkeit zurückgewonnen und die Geschichtlichkeit als Herausforderung ursprünglichen Denkens gegen den pauschalen Vorwurf der Verfallenheit verteidigt.

In einem ersten Schritt stimmt Blumenberg Heidegger zu, indem er die Gefahr einer Überlast der Tradition ausmacht, die eine gedankliche Bewältigung einer jeden Gegenwart erschwere. »In der Tat scheint keine Äußerung des menschlichen Geistes so belastet mit Tradition zu sein wie die Philosophie. Ihre Grundfragen und ihre Grundbegriffe gehen durch ihre mit der des Abendlandes zusammenfallende Geschichte in einzigartiger Kontinuität hindurch.«55 Ursprünglichkeit dagegen ist für Blumenberg »bezogen auf das Heute der lebendigen geschichtlichen Erfahrung und die diesem zugehörige ontologische Interpretation«.56 Zwar habe seine Gegenwart »ein so scharfes und betontes Erlebnis geschichtlicher Faktizität« gehabt, wie kaum eine Gegenwart zuvor, und sie habe die Erfahrung der »kurzatmigen Mutabilität ihrer Wirklichkeit mit so viel beharrlicheren und zur Dauer gewillten Kategorien des geistigen Verstehens zu bewältigen«, da sie die »Spannung von Erfahrung und Verstehen in einzigartiger Weise – man darf schon sagen: – erleidet«;57 dennoch ist das Phänomen der Ursprünglichkeit im Denken – und nun wendet sich Blumenberg gegen Heidegger – kein Gütesiegel allein der Moderne oder eines fernen Ursprungs. Ein jedes Denken in jeder Epoche zeichne sich dann durch Ursprünglichkeit aus, wenn der zugrundeliegende geschichtliche Wandel und somit die jeweiligen Gegenwartserfahrungen ohne verdeckende Engführung traditioneller Kategorien gedacht werden. Um diese Ursprünglichkeit in jeder geschichtlichen Situation zu erreichen, bedarf es einer Kritik, einer Destruktion der verhärteten Tradition als »verfestigtem Überkommen«.58 Ursprünglichkeit bezeichnet den »inneren wesenhaften Anspruch des Philosophierens« selbst, es ist »nicht ein kurzes, unnachhaltiges Aufblitzen am Beginn, sondern ein im philosophischen Verhalten immer wieder Andrängendes und Aufgegebenes«.59

Für Heidegger galt es, durch eine Destruktion der gesamten abendländischen Tradition zu einem ursprünglichen Seinsdenken vorzustoßen. Dazu nahm er Anlauf, die Tradition zu überspringen, um zur Originalität der Vorsokratiker zurückzufinden. Heideggers Ansatz ist so gewalttätig wie ihm die Geschichte des Seinsdenkens verfehlt erscheint. Für Blumenberg dagegen ist Heideggers Umgang mit der Tradition zu ungeschichtlich und blind gegenüber immer wieder auftauchenden Ursprünglichkeitsmomenten. Er erläutert das exemplarisch an der Scholastik, die für ihn aufgrund herausragender Denkinnovationen eine »paradigmatische Epoche«60 darstellt.

Um verstehbar zu machen, worin denn der originelle Beitrag dieses ›paradigmatischen Zeitalters‹ besteht, unternimmt Blumenberg zunächst eine Kennzeichnung jener traditionellen Deutungen des Seins, gegen die eine mittelalterliche Ursprünglichkeit errungen worden ist. Er verweist auf vier aus der Antike herkommende Seinsverständnisse, die nicht zureichen sollen, das Sein in seiner Geschichtlichkeit angemessen zu denken: Zu ihnen gehören das Sein 1. als ›Hergestelltsein‹ begriffen, 2. als ›Vorhandenheit‹ aufgefasst, 3. als ›Wesenheit‹ interpretiert und 4. als ›Gegenständlichkeit‹ verstanden. Diese Aspekte verlangten nach einer ausführlicheren Darstellung; ich beschränke mich auf Stichworte, die jenen Hintergrund, vor dem sich die Ursprünglichkeit mittelalterlichen Denkens profiliert, andeuten.

Schon Heidegger hat es als für ein angemessenes Seinsverständnis irreführend beschrieben, wenn Seiendes als Seiendes durch Rückführung auf ein anderes Seiendes in seiner Herkunft bestimmt wird. Blumenberg pflichtet ihm bei, »der Grund von Sein« ließe sich »nicht aufweisen im Zurückverfolgen des Herkunftzusammenhanges zwischen Seiendem«.61 Der Umstand, dass ich das Kind meiner Eltern bin, erklärt nicht den Grund meines Seins überhaupt.

Inbegriff des Hergestellten ist für Heidegger wie für Blumenberg das Vorhandene, das über benennbare Eigenschaften verfügt, das abgesetzt und in sich geschlossen, das Fall und Exemplar einer Gattung ist und dabei gleichsam nur einen »›Rest‹ der ursprünglichen Zugänglichkeit von Sein«62 darstellt.

Ebenso unzureichend ist die Bestimmung des Seins als Wesenheit, also als substanzartige, unveränderliche Washeit von Seiendem. Denn in dieser Denkart wird jeder individuelle Mensch zu einer Aktualisierung der Wesenheit ›Mensch‹; gerade das dabei unverstandene Moment der Existenz des Menschen als Dasein wird dabei verfehlt, oder um es anders zu sagen: Die Faktizität der Existenz kommt nicht angemessen in den Blick, solange ein essenzialistisches Denken die Blickrichtung auf das Seiende als einer Realisierung einer ungeschichtlichen Washeit vorgibt.

Schließlich ist es irreführend, das Sein mit Gegenständen zu identifizieren. Vergegenständlichung ist die fundamentale Leistung des wissenschaftlichen Verhaltens, die freilich um den Preis erkauft ist, die Transzendenz alles Seienden außer Acht zu lassen, ist doch die Welt als Horizont aller Gegenstände nicht selbst ein Gegenstand, vielmehr das »unvergegenständlichte ›Worin‹ der Dinge«.63 Alle vier Seinszugänge, nur das soll hier angedeutet werden, stellen Verengungen dar, Reduzierungen auf einen Aspekt und somit ein Verfehlen des Seins in seiner Ganzheit.

In einem zweiten Schritt entfaltet Blumenberg den Nachweis eines ursprünglichen Seinsdenkens im christlichen Mittelalter. Für Heidegger betrachtet die mittelalterliche Ontologie das Sein ganz traditionell als etwas Hergestelltes. In christlicher Lesart ist es Gott, der das Sein geschaffen hat, sodass es mit Blick auf seinen Schöpfer zu verstehen sein soll. Damit bleibe das Mittelalter gefangen in den Grenzen antiken Seinsdenkens, denn »Geschaffenheit … im weitesten Sinne der Hergestelltheit von etwas«, heißt es bei Heidegger, sei »ein wesentliches Strukturmoment des antiken Seinsbegriffes«.64 Blumenberg dagegen widerspricht, es sei schon der im Alten Testament ausgebildete Schöpfungsgedanke einzigartig, und es ist für ihn Augustinus, der dem Denken einer »absoluten Seinssetzung«65 einen theologischen Boden bereitet hat. Heidegger unterschätze und verharmlose die Theologie der Schöpfung, da er sie vorschnell auf antike Denkweisen zurückführe, ohne deren Originalität in den Blick zu nehmen: »Der Schöpfer ist nicht äußerstes Erklärungsprinzip oder gar nur letzte metaphorische oder mythische Zuflucht des Fragens, sondern Person von der ganzen Dichte bezeugter Wirklichkeit. Schöpfung ist erfaßt als das aus der Tiefe der personalen Spontaneität hervorgehende, im willentlichen Entschluß ansetzende Tun Gottes. Schöpfung ist deshalb letztes Woher des Gründens, über das hinaus es kein Rückfragen gibt. Sie ist willentliche Setzung, und damit ist der Seinsgrund selbst willentlich. Alle deutenden Zugriffe, ihn zu rationalisieren und motivieren, müssen an dieser absoluten Willentlichkeit scheitern.«66

Damit hat Blumenberg ein Motiv eingeführt, das die Antike so nicht gekannt hat: die Uneinsehbarkeit des Willens, der sich jeder Rationalisierung seiner Motivation entzieht. In Platons Timaios hatte der Demiurg als der Weltschaffende auf die ewigen Ideen als zeitlose Vorbilder geschaut, für Aristoteles war der Kosmos ungeschaffen und ewig. Erst für Augustinus wird das Sein radikal abhängig vom schöpferischen Willen eines Gottes, der mit dem Senkblei der Vernunft nicht zu ergründen ist. Das klassische Herstellungsschema ist damit durchbrochen, nach dem das eine durch seine Herkunft vom anderen verstanden werden soll. Die Radikalität dieses Seinsbeginns hat bei Augustinus ihren Ausdruck in der Rede von der ›Schöpfung aus dem Nichts‹ gefunden, der creatio ex nihilo. Der anthropologische Hintergrund dieses Denkens ist die spontane Kraft des menschlichen Willens, die so uneinsehbar ist wie die Gottes. Was in dem Seinsdenken des Augustinus vorliege, sei somit »keine Synthese antiker und christlicher Konzeptionen«, vielmehr gelte, »daß hier ›von Grund auf neu‹ gefragt und philosophiert wird, ohne daß freilich ein Bruch der Geschichtlichkeit auftritt«,67 die Innovation verbirgt sich gleichsam unter der Oberfläche einer durchgehaltenen traditionellen Kontinuität.

Die christliche Erfahrung von Personalität aufgrund der Freiheit des Willens, sowohl des Menschen als des Gottes, ist für Blumenberg ein so neues und nachantikes Motiv, dass es nach einer ursprünglichen Vergewisserung verlangte. Man denke nur an die autobiographischen Bekenntnisse von Augustinus, die Confessiones, die ein Zeugnis der Rechenschaft über den individuellen Lebensverlauf in epochalem Maßstab darstellen. Dabei gilt für Blumenberg als ausgemacht, dass das Individuelle »für die unmittelbare Erfahrung das Erstgegebene und als solches Fraglose« ist, unsere philosophische Tradition aber sei »von Anfang an bestimmt durch die Verwunderung über die Möglichkeit des Begriffs in seiner Allgemeingültigkeit«.68 Alles Individuelle sei daher lediglich als ein exemplum eines Allgemeinen begriffen und in seiner Einzigartigkeit verkannt worden. Der Zusammenhang des individuellen Willens und der Personalität ist erst dem mittelalterlichen Denken aufgegangen.

Bereits hier taucht eine Lesart auf, die für Blumenbergs weitere Studien zum Mittelalter und zur Genese der Neuzeit bestimmend sein sollte: Für ihn ist Gott nicht zuerst absolute Vernunft, sondern absoluter Wille. Blumenberg verfolgt daher nicht zuerst die Geschichte des theologischen Intellektualismus, sondern die des Voluntarismus. Eine der zentralen Auskünfte ist für ihn daher die Antwort des Augustinus auf die Frage, warum Gott die Welt geschaffen hat: Quia voluit, weil er es wollte!69 Das bedeutet, »daß die Frage nach dem Seinsgrund nicht wiederum auf Seiendes zurückgehen kann, das heißt, daß das Gründen von Sein nicht nach dem Schema des Ursachenzusammenhanges zwischen Seiendem interpretiert werden darf«.70 Der uneinsehbare Wille Gottes entzieht sich ja jeder kausalen Dechiffrierung.

 

Daher ist die Welt nicht länger notwendig, sie ist auch nicht zufällig, sondern ›kontingent‹, ist sie doch vom freien Willen Gottes abhängig. Der Gedanke der Kontingenz der Welt ist ein zentrales Motiv der Doktorarbeit und der gesamten Philosophie Blumenbergs. Einen seiner Lexikonartikel hat Blumenberg dem Begriff der Kontingenz gewidmet und darin darauf verwiesen, Kontingenz sei »einer der wenigen Begriffe spezifisch christlicher Herkunft in der Geschichte der Metaphysik«.71 Damit ist eine nachantike Dramatisierung des Weltbezugs vollzogen, denn »die Welt ist kontingent als eine Wirklichkeit, die, weil sie indifferent zu ihrem Dasein ist, Grund und Recht zu ihrem Sein nicht in sich selbst trägt. Das Sein der Welt nimmt Gnadencharakter an. Der antike Kosmos war weder in seinem Ursprung noch in seinem Bestand einem absoluten Willensakt zugeordnet. Er war die volle Ausschöpfung des eidetisch Seinsmöglichen. Seitdem aber Augustin auf die Frage, warum Gott die Welt geschaffen habe, mit dem ›Quia voluit‹ geantwortet hatte, beruhte die Welt auf einem unbefragbaren Hoheitsakt.«72 Das christliche Mittelalter ist somit nicht – wie es Heidegger in seiner Verfallsgeschichte des Seinsdenkens insinuiert – eine Fortsetzung der Denkfehler der Antike mit anderen Mitteln, sondern ein Neueinsatz ursprünglichen Denkens, das der Wirklichkeitserfahrung gesteigerter Individualität, der Willensfreiheit und der spannungsvoll bedachten Kontingenz Ausdruck verliehen hat: »Die Reflexion des Mittelalters, zumal in seiner augustinischen Linie, ist geradezu angetrieben von dem Grunderlebnis dieses Kontrastes zwischen Faktizität und Kontingenz der Wirklichkeit, in der sich der Mensch vorfindet …«73 Geschichte ist eben keine starre Kontinuität, geleitet von Denkschablonen, vielmehr beweise das christliche Bewusstsein eine »volle ursprüngliche Kraft, aus der heraus Rezeption Einschmelzung und Aneignung bedeutet«.74

Der mittelalterliche Augustinismus, so die Annahme, hat die Statik des antiken Seinsdenkens erschüttert. Die Unterstellung einer im Grunde harmonischen Synthese von antiker und christlicher Ontologie unter dem Paradigma des Hergestelltseins ist eine verharmlosende Täuschung. Die Frage nach dem Seinsgrund, die Frage, warum überhaupt etwas ist, hat mit Augustinus eine ungekannte Zuspitzung erfahren. Daher ist es nur folgerichtig, dass der erstarkende Aristotelismus im 13. Jahrhundert die augustinische Ursprünglichkeit eines neuen Selbst- und Weltverständnisses zurückzudrängen unternahm. Blumenbergs Kronzeuge für diese Tendenz ist Thomas von Aquin. Gerade dasjenige, was die Neuscholastik an Thomas rühmen sollte – seine unternommene Synthese von antik-aristotelischem und christlich-theologischem Denken – weist für Blumenberg auf das »Problem des Seinsgrundes in seiner eigentlichen Krise«75 hin. Dabei sollte sich gerade zeigen, »wie sperrig sich die ursprüngliche Konzeption der Schöpfung gegen die aristotelische Systematisierung erwiesen hat und welchen Widerstand sie einer kosmologischen Nivellierung zu bieten vermochte«.76 Hier kam nicht zusammen, was zusammengehört, vielmehr sollte zur Einheit werden, was doch zu unterschiedlich war: Der unbewegte Beweger auf der einen, der personale Schöpfergott auf der anderen Seite, hier die Ewigkeit der Welt, dort die Schöpfung aus dem Nichts. Auf die Darstellung dieses Scheiterns der Hochscholastik, einer Vermittlung zwischen der antiken Metaphysik und der – bei aller terminologischen Kontinuität – ursprünglichen Schöpfungstheologie, wird Blumenberg in seinen späteren Studien größten Wert legen. Über Thomas heißt es aber schon in der Doktorarbeit, sein Versuch einer Vermittlung habe ihn »um die legitime Möglichkeit« gebracht, »den christlichen Schöpfungsgedanken im Gesamt seines Wirklichkeitsverständnisses wirklich ursprünglich zu verwurzeln«.77 Als Zeichen für dieses Zurückfallen hinter die bei Augustinus bereits erreichte Ursprünglichkeit des christlichen Denkens erweist es sich, dass Thomas die Verschiedenheit von Personen nur numerisch zu fassen vermag, also als Exempel einer Wesensform, ohne aber die radikale Singularität einer »qualitativen Individualität«78 angemessen erfassen zu können.

Dennoch ist das Gewonnene für Blumenberg nicht wieder verspielbar. Trotz des starken Einflusses des Aristotelismus ab dem 13. Jahrhundert ist die »Entfestigung der selbstverständlichen Hinnahme des Seins in der Grund-Frage … bleibend gewonnenes Fundament der Ontologie; es ist die endgültige … Transzendierung des kosmologischen Horizontes«.79 Bei Duns Scotus, »dem kritischen Geist der Hochscholastik«,80 könne nachvollzogen werden, »daß auch hier ein Bewußtsein dafür hervortritt, daß Seiendes und Seinsgrund nicht als einem Bewegungsganzen als kosmischer Einheit angehörend verstanden werden können«.81

Anstatt sich durch eine Herleitung von Seiendem aus Seiendem zu beruhigen, stehe das christliche Denken für eine »neue Unruhe«82 der Radikalisierung der Frage nach dem Grund des Seins. Das zeigt sich für Blumenberg an dem Denken Bonaventuras, einem Zeitgenossen des Thomas von Aquin. Der in der augustinischen Linie stehende Franziskanermönch habe eine von Aristotelismen »unbelastetere Vertiefung« der ontologischen Grundfrage geleistet, da bei ihm »das ganze Gewicht der Personalität des christlichen Gottes«83 zur Geltung komme. Der Seinsgrund ist für Bonaventura nicht eine selbstständig ablaufende kosmische Weltbewegung, sondern Folge »personaler Vorsehung«: »Die Weltbewegung ist die geschichtliche, nicht allein aus kosmologischen Kategorien verstehbare Entfaltung dieses entwerfend vorsehenden Willens.«84 Wenn der Entwurf der Welt der Personalität Gottes entstammt, steht der um Orientierung ringende Christ vor einem Gegenüber, »bei dem alles darum geht, mit wem es der Fragende ›zu tun hat‹«.85 Bei Blumenberg nimmt diese Frage einen bedrohlichen Unterton an, scheint doch die Antwort nicht durch einen offenbaren Heilsplan vorversichert. Bereits hier diagnostiziert Blumenberg jene Spannung in der mittelalterlichen Theologie, an der sie wenige Jahrzehnte nach Bonaventura mit der Lehre vom verborgenen Gott zerbrechen wird – dem Leitmotiv der Legitimität der Neuzeit. Die »extreme existenzielle Situation« des Christen, sein göttliches Gegenüber einschätzen können zu müssen, gipfelt in dem von Blumenberg verwendeten Begriff des »eigenen Heilsschicksals«86 als zentraler christlicher Erfahrung. Gott ist »echte Spontaneität«87 und sein »Wille entscheidet zwischen Daß und Daß-nicht; darin erst wird Existenz vom unbefragbar Selbstverständlichen zum Faktischen, Gegründeten und deshalb Fragwürdigen. Von dieser gläubigen Erfahrung des absoluten Willens und von der inneren Erfahrung des in seinem Heil aufgegebenen ›Sum‹ her wird das philosophische Fragen nach der Existenz in Atem gehalten.«88

Unterhalb der Oberfläche der nüchternen Diktion mittelalterlicher Texte macht Blumenberg also eine Dramatik aus, deren Hervorhebung schon in seiner Doktorarbeit zu einem Kennzeichen seiner Hermeneutik geschichtlicher Problemgeschichten wird. Es sei durchaus nicht leicht, gesteht er, »in der Starrheit der mittelalterlichen Schulformen und Denkschemen einer ursprünglichen Problembenommenheit wirklich gewahr zu werden«.89 Blumenberg steigert somit zu einer Prägnanz, was so in den Texten oftmals nicht steht. Die Intensität des erfahrenen Dramas um das eigene Schicksal, die Aufwertung der geschichtlichen Situation, die Unhintergehbarkeit personeller Einzigartigkeit – all das sind Motive, die Blumenberg am mittelalterlichen Denken durchbuchstabiert, um sich einen Reim auf die eigenen Gegenwartserfahrungen machen zu können. In der Zuspitzung der scholastischen Ontologie auf die Frage von gnadenabhängigem Sein oder Nicht-Sein spiegelt sich ein modernes Bewusstsein der unmittelbaren Kriegs- und Nachkriegszeit des je »auf sich geworfenen Selbst«.90 Blumenbergs Doktorarbeit ist daher zumindest auch ein zeitgeschichtliches Dokument der existenziellen Erschütterung in unmittelbarer Nähe zur erlebten Katastrophe. In ihr spiegelt sich die Willkür der biographischen Erfahrung in der Uneinschätzbarkeit eines absoluten Gottes, der sich nicht in die Karten blicken lässt, aber unser Heilsschicksal ist.

Damit kommen die Grenzen von Blumenbergs Doktorarbeit in den Blick. Die Interpretationen sind zuspitzend, ausblendend, fokussierend. Der theologische Voluntarismus, wie ihn Augustinus vertreten haben soll, erfährt eine äußerst starke Betonung, etwa bei dem geradezu isoliert herausgestellten Schöpfungsakt aus dem Nichts aufgrund des freien Willen Gottes. Die Verlagerung der platonischen Ideen in den Intellekt Gottes durch den Kirchenvater – und somit die von ihm gestiftete metaphysische Erkenntnisbrücke von Gott zu Mensch – bleibt dagegen ausgeblendet. Mit einem Wort: Das Bild, das Blumenberg vom vielschichtigen und biographisch sich wandelnden Augustinus zeichnet, ist »monumental einseitig«,91 wie der Augustinus-Kenner Kurt Flasch anmerkt. Überhaupt mutet die Auswahl der vier Kronzeugen – Augustinus, Thomas, Bonaventura, Duns Scotus – etwas eklektizistisch an. Vor allem der für die späteren Studien so wichtige Wilhelm von Ockham, ohne den der Umbruch des späten Mittelalters blass bleiben muss, fehlt noch ganz.

Doch die philosophische Leistung einer Selbstbehauptung überwiegt. Die von Blumenberg vorgelegte Studie setzt sich souverän wie kritisch von Heidegger ab, einem Denker, der trotz seiner politischen Verfehlungen die philosophische Szene noch beherrschte. Blumenberg leistet nicht allein eine diskrete Gegenwartsverständigung, er unternimmt es vielmehr, das Philosophieren als ein notwendigerweise ursprüngliches auf die jeweilige geschichtliche Situation zu verpflichten. Er übernimmt dazu von Heidegger die Emphase der Ursprünglichkeit, um sie doch alternativ zu bestimmen. Ist aber die Ontologie die rechte Leitdisziplin, um die Geschichtlichkeit der Geschichte des Menschen angemessen zu erschließen?

Bereits in der Dissertation deutet sich eine Wende an, die Blumenberg vollziehen wird und die eine Voraussetzung für sein späteres Werk darstellt. Schon im mittelalterlichen Umbruch des Seinsdenkens erkennt er den Ansatz einer anthropologischen Wende, die sich in der Aufwertung des Individuums andeutet: Wenn der Grund des Seins in der personellen Freiheit des göttlichen Willens ruht, dieser Wille aber rational uneinsehbar ist, bedeutet das zum einen eine Aufwertung des von Gott gewollten Individuums, das daher mehr ist als ein Exemplum, und zum anderen eine Abkopplung des menschlichen Selbstverständnisses vom Äußeren eines von Gott geordneten Kosmos. Der Umbruch in der Ontologie und der mittelalterlichen Lehre von der Schöpfung erzwingen eine Neuorientierung, denn es gilt, »vom Menschen aus die Welt und nicht von der Welt aus den Menschen in den Blick zu nehmen«.92 Es ist eine in die Neuzeit führende Entdeckung, »daß der Mensch in allen Fragen stets nur sich selbst in seinem Verstehen befragen kann«.93

Trotz anfänglicher Pläne, die sich zerschlugen, hat Blumenberg seine Doktorarbeit nicht publiziert. Man muss sie nicht gelesen haben, um den späteren Blumenberg zu verstehen, aber man versteht ihn besser, wenn man sie gelesen hat.