Stolps Reisen: Damals und heute, von den Anfängen bis zum Massentourismus

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4. Sandalen auf Lanzarote

Mit Italien und Griechenland im Erinnerungsschatz, mit „Teneriffa“-Erfahrung waren die Stolps fast schon Mainstream-Touristen, aber es fehlten noch eine oder zwei Kanarische Inseln.

Schon sehr früh hatten die Stolps (noch mit Kindern) die erste Urlaubsreise nach „Lanzarote“ gemacht. Eine „Reiseleiterin“ Jahre später hieß Karoline Pawlonka und sagte, damals bei der ersten Reise der Stolps hierher sei sie noch nicht einmal geplant gewesen. Sie versuchte auch gar nicht, Silke und Andor, die wiedergekommen waren, Sehenswürdigkeiten der Insel nahe zu bringen, denn sie waren schon zum vierten Mal hier und kannten so ziemlich „alles“.

Diesmal wohnten sie im Fünf-Sterne-Hotel „Hesperia Lanzarote“. Hotels von früher gab es nicht mehr. Früher durfte ein Freund nicht in eine Bar, weil er abweichend von seiner ansonsten „korrekten“ Kleidung an den Füßen Sandalen trug! Die Sandalen waren immerhin neu. - Über diese Geeschichte war längst der Sahara-Wind geweht, der im Sommer manchmal vom nahen Afrika herüberkam.

Einmal hatten Stolps auf dieser Insel im Atlantischen Ozean Weihnachten und Silvester verbracht. Wenn auch das spanische Mutterland etwa 1000 Kilometer weg war, so war doch Lanzarote wie die anderen Kanarischen Inseln durch und durch spanisch, und das heißt beispielsweise: Weihnachten ist ein fröhliches Fest, und es dauert auch nur einen Tag: Am 25. Dezember sind die Kirchen fröhlich geschmückt, und dazu ertönt passende Musik. An diesem Tag und nicht am 24. feiern Spanier „Navidad de Senor“, die Geburt Christi. In „Teguise“ hatten sie das miterlebt.

Am 26. Dezember wurde wieder gearbeitet. Das in einem katholischen Land! – Silvester war auch anders als daheim: In Freizeitkleidung gingen Stolps nach „Puerto del Carmen“, tranken im Hafen Bier und erfreuten sich an der lauen Nacht mit einem faszinierenden Sternenhimmel. -Später waren sie erneut auf „Lanzarote“. Sie hatten diesmal in „Playa Blanca“ gewohnt, in einem etwas noblen Hotel, dem „Natura Palace“.

„Lanzarote“ ist eine der Kanarischen Inseln, deren jeweilige Attraktionen Silke und Andor mittlerweile kannten. Mit ihren rot-braunen Feuerbergen, den schwarzen Feldern und ihren Weinmulden, mit den weißen Häusern und grünen Palmen hat „Lanzarote“ ihr eigenes Flair, das einen besonders zu Zeiten des mitteleuropäischen Winters stets verzauberte: „Lanzarote“, die braune Insel, war gewiss die Eigenwilligste unter den Kanaren. Als es noch die DDR gab, lobte ein mit zeitweisem „Westpass“ ausgestatteter Rentner aus dem „Arbeiter- und Bauernstaat“: „Eine dolle Insel!“ Ausflüge in die Freiheit, das waren für ihn Reisen nach „Lanzarote“. Wahrscheinlich ist er mittlerweile „im Westen“ auch noch woanders hingekommen.

Die Geschichte „Lanzarotes“ bleibt wie die der gesamten Kanaren im Halbdunkel. Schon in der Antike soll das Archipel bekannt gewesen sein. Vor den Spaniern waren die Guanchen hier, angeblich blond, grünäugig und von nordafrikanischen Berbern abstammend. Dann hatten Spanier sich etwa ab 1400 die Inseln einverleibt. Der Sage nach soll ein Normanne namens Jean de Bethancourt mit einer spanischen Lizenz auf „Lanzarote“ angekommen sein und sich so über die widerstandslose Eroberung gefreut haben, dass er laut „Lanza Rota“ gejubelt habe, was so viel hieß wie „Lanze kaputt“. Aber ganz so friedlich sind die Eroberer mit den Guanchen wohl doch nicht umgegangen, so dass es wohl eher zutrifft, dass der Seefahrer Lancelotto Malocello Namensgeber der Insel ist. Aus der jüngeren Geschichte wird berichtet: „1730 kam es auf Lanzarote zu schweren Vulkanausbrüchen. Am 1. September bildeten sich auf einer Strecke von 18 Kilometern 32 neue Vulkane. Die Ausbrüche, die von dem Pfarrer von Yaiza, Don Andrés Lorenzo Curbelo, bis 1731 detailliert dokumentiert wurden, dauerten insgesamt 2053 Tage und endeten im Jahr 1736.“1

Seither hat die Insel ihr modernes Gesicht. Man kann die erloschenen Vulkane sehen, die Lavafelder, schwarze Asche bedeckt weite Teile. Es regnet kaum; Bauern haben Methoden gefunden, den Tau für die Bewässerung ihrer Pflanzen zu nutzen. Interessant ist, dass dabei die Weinstöcke und Feigen auch in dem immer warmen Klima Winterpausen einlegen. Es sind halt Mittelmeerpflanzen, – die bleiben bei ihren ursprünglichen Gewohnheiten. Früher hatten die Winzer übrigens fast nur „Malvasia“ angebaut, später wuchsen alle Rebsorten, welche die Touristen mögen, zwischen den Feuerbergen.

Die Urlauber oder ihre Agenten bestimmen mehr und mehr den Charakter dieser Insel.

Auf „Lanzarote“ scheint fast jeden Tag die Sonne, und so wurden viele Hotels am Meer gebaut. Wen das Braun und Schwarz der Landschaft nicht stört, kommt gerne hierher, denn so verbaut wie „Teneriffa“ oder „Gran Canaria“ ist „Lanzarote“ nicht. „Lanzarote“ selbst scheint es mit seinen Touristen dabei nicht so schlecht zu gehen, denn die Straßen sind super ausgebaut, und es wurden viele Kreisverkehre eingerichtet, die das Fahren erleichtern sollen. Alle Orte wurden fein herausgeputzt.

„Landessprachen“ sind Englisch, Deutsch und Spanisch: Alles geht. „Lanzarote“ ist etwa 800 Quadratkilometer groß, besteht aus sieben Gemeinden und hat ungefähr 130.000 Einwohner. Es gehört zur spanischen Provinz „Las Palmas“.

César Manrique gilt seit langem als der berühmteste Sohn der Insel. Er war ein Architekt und Künstler, der es geschafft hatte, dass „Lanzarote“ nicht durch Bettenburgen und Hochhäuser verbaut wurde. Eines seiner Werke ist der „Mirador“, ein Aussichtspunkt, von dem aus man hinter dicken Glasfenstern oder von einer Plattform aus aufs Meer schauen kann. Ein Restaurant, ein Touristenlädchen und glücklicherweise eine Toilette gehören auch dazu.

Im Kaktusgarten

Manrique hat auch den Kaktusgarten („Jardin de Cactus“) geschaffen, der z.T. riesengroße Kakteen aus aller Herren Länder zeigt. Man staunt, welch unterschiedliche Geschöpfe die Natur allein in diesem Sektor hervorgebracht hat. Der Garten ist wie ein Amphitheater angelegt und zeigt mehr als 7.200 Pflanzen von über 1.100 Kaktusarten. Die meisten kommen offenbar aus Mexiko.

Silke und Andor sahen auch „Playa Blanca“. Hier ist zu viel gebaut worden. Man sah viele Touristen, einen aufgeschütteten Badestrand, und schlechte Restaurants. Neue Häuser standen reihenweise leer, und die Frage stellte sich, wer hier sein Geld vernichten wollte: Selbst auf „Lanzarote“ wurde an dieser Stelle klar, dass Spanien sich beim Bauen übernommen hatte.

Ein Naturwunder, das hoffentlich niemand zerstören wird, ist immer noch „El Golfo“. Das ist ein vom Meer verschlungener Krater mit einer grünen Lagune. Vor dem Blau und Weiß des Meeres, dem Schwarz und Braun der Insel nimmt sich das ganz besonders aus.

Silke und Andor machten auch einen Tagesausflug zur Nachbarinsel „Fuerteventura“. Von „Playa Blanca“ auf „Lanzarote“ in Richtung Süden übers Meer ist diese zweitgrößte der Kanarischen Inseln nur zehn Kilometer entfernt. Von Hafen zu Hafen sind es vierzehn Kilometer. Eine Fähre namens „Volcán de Dindaya“ fuhr jeden Tag mehrmals von „Playa Blanca“ nach „Playa del Corraleyo“ und zurück.

Dann war man auf „Fuerteventura“. Doch Vorsicht: Wer mit einer Reisegesellschaft gebucht hatte, musste in Kauf nehmen, dass ein Bus X Hotels in „Playa Blanca“ abklapperte, bevor es auf die Fähre ging. Des Laufens waren offensichtlich die meisten Touristen ohnehin nicht fähig.

Fuerteventura hatte nicht wie „Lanzarote“ nur weiße Häuser, auch war die Erde nicht schwarz-braun. Modefarbe für Häuser schien sandbraun zu sein. Fuerteventura ist 1660 Quadratkilometer groß und hat etwa 100.000 Einwohner. Einst sollen hier mehr Ziegen als Menschen gelebt haben. Ziegenkäse und Tomaten waren bis der Tourismus kam die Haupterwerbsquellen. Im Unterschied zu „Lanzarote“ hat „Fuerteventura“ eigenes Grundwasser, und in den Senken gibt es grüne Oasen.

Die Insel ist alt: Fünf Millionen Jahre soll sie auf dem Buckel haben.

Bei den nebeneinander stehenden Vulkanen sind die Zwischenräume durch Verwitterung im Laufe der Zeit vom „V“ zum „U“ geworden. Aber der Grund der „U“s soll sehr fruchtbar sein.

Der Hauptort der Insel heißt „Puerto del Rosario“.

Angeblich stammt der Name der Insel daher, dass ihr französischer Eroberer (wieder mit einer Lizenz des spanischen Königs in der Hand) gestöhnt haben soll: „forte aventure“, was „starkes Abenteuer“ heißen soll und auf die zu besiegenden Guanchen gemünzt war.

Stolps besuchten das „Casa des Coroneles“, ein Herrenhaus aus dem 18. Jahrhundert, in dem die von Spanien eingesetzten Herrscher der Insel gewohnt haben sollen. Erstrebenswert muss es nicht gewesen sein, in diese Einöde zu kommen. Jedenfalls wurden spanische Sozialisten, als sie dem Staat nicht passten, im Zwanzigsten Jahrhundert hierher verbannt.

In „La Oliva“ gab es für die Passagiere der angelandeten Fähre Reisebusses aus „Lanzarote“ sowie ein Mittagessen (eine touristische Massenabfütterung ohne einheimische Tomaten oder Ziegenfleisch).

In der Mitte der Insel besuchten die Lanzaroter „Betancuria“, die alte Hauptstadt der Kanaren. Das war eine Oase. Hier war es grün und Blumen blühten. Man sah kleine Felder. Einsam war es an diesem Ort ganz bestimmt. „Betancuria“ – das ist eine das ganze Dorf umschließende Landschaft – hatte 715 Einwohner!

Eine aufregende Gebirgsstraße entlang ging es nach „Pájara“, wo eine fulminante Bougainvillea-Hecke blühte. Hin und wieder war auch „Fuerteventura“ wirklich schön.

Auf dem Rückweg hielten die Besucher im „Parque Natural de Coralejo“. Dort konnte man Dünen genießen und richtiges Strandleben haben. Der „Sand“ bestand aus Muschelkalk und dem Abrieb der Vulkane. Fünfzehn Minuten verweilten die Besucher, dann ging es zurück zur Fähre. Die fuhr bei Sonnenuntergang am Inselchen „Lobo“ vorbei wieder nach „Playa Blanca“, und der Bus kurvte wieder durch das Touristenstädtchen. Als endlich die dortigen Reisenden ausgeladen waren, ging es im Dunkeln die Landstraße entlang über „Yaiza“ zum Hotel.

 

Am vorletzten Tag dieser Reise wanderten die beiden noch einmal nach „Puerto del Carmen“ und zurück: Das waren wohl mehr als vierzehn Kilometer bei großer Hitze. Mittags bestellten sie „Tapas“. Mit den „Tapas“ war es angeblich so: Früher legte man auf das Weinglas oder andere Getränke einen Deckel („Tapa“) mit einem Stück Käse oder einer Olive darauf. Das sollte die Fliegen fernhalten. Daraus hätten sich die „Tapas“ als Nationalspeise entwickelt. – Stolps Tapas waren folgende: Kartoffelsalat, überbackener Fisch, kalte Miesmuscheln, Fischbällchen, Garnelen und Schweinefleisch in Currysauce. Das mitbestellte Bier hatte am meisten gemundet.

Es lebe der Tourismus!

(zuerst 1977, zuletzt 2011)

5. Mit „Buffke“ nach Gran Canaria

„Gran Canaria“ fehlte bei der touristischen „Muss-Liste“ Kanariens. Die Insel gibt dem Archipel schließlich den Namen und ist sicher Motor des Tourismus in ganz Spanien.

Silke und Andor Solp flogen also nach „Gran Canaria“ und blieben dort im Hotel „Dunas Suites & Villen“ in „Maspalomas“. Sie waren nicht das erste Mal auf dieser Insel.

Mit dem Flug fing alles an: Der Flieger startete verspätet und landete „wegen Gegenwind“ ebenfalls später. Vor dem Start verzog sich der „dritte Mann“ auf Stolps Sitzreihe woanders hin. Doch die Freude dauerte nur kurz: Ein zierliches Fräulein (oder so) fragte, ob der Platz neben Andor frei sei. Er antworte freudig: „Ja.“

Da verschwand die „Lady“, und kurz danach erschien ein wohlbeleibtes Ehepaar Marke „Buffke“ und pretzelte sich hin: „Gang-Gang“, denn auf der anderen Seite war auch noch Platz. Nun wurde es eng, und die dicke, frisch ondulierte Ehefrau auf dem Nebensitz machte sie an: „Wohl noch nie jeflogen, wa?“

Andor war fünf Stunden eingepfercht. Wäre das „Fräulein doch bloß geblieben…

Auf dem Flughafen von „Gran Canaria“ herrschte Chaos. Nicht nur Silke und Andor kamen an, sondern auch Maschinen aus London und anderen Orten. Das Gepäck von allen landete auf einem riesigen Förderband. Als die Stolps endlich aus einer Menge von Menschen und Gepäck mit Koffern zum Ausgang strebten, sahen sie sich einer ellenlangen Galerie von „Abholern“ gegenüber. Endlich fanden sie eine Bedienstete, die für ihre Reisegesellschaft zuständig war und die sagte, der letzte Bus ganz hinten in der letzten Reihe würde sie in „Euer“ Hotel bringen.

Es dauerte, bis alle Gäste eingetroffen waren. Dann fuhren die Ankömmlinge lange durch „Playa del Inglés“ und schließlich durch „Maspalomas“. Mit Bettenburgen, schäbigen Einkaufszentren und unattraktiven Kneipen machte „Playa del Inglés“ einen abschreckenden Eindruck. Aber Massen von Urlaubern zogen frohgemut durch die Straßen, und die Stolps hofften heimlich, dass die Sitznachbarn vom Flugzeug hier Ferien machen müssten.

Das zu Hause gebuchte Hotel in „Maspalomas“ entpuppte sich als Familienhotel. Es wimmelte von kleinen Kindern. Abends im Speisesaal war es entsprechend laut, und die Servierer mit ihren Helfern trugen das ihre zum Lärm bei, indem sie Geschirr und Besteck mit „Karacho“ transportierten. Zum Glück war an der Rezeption eine nette Dame, und die besorgte ihnen eine ruhige Suite, Bademäntel und einen Safe. Am dritten Tag mieteten die beiden einen Heizlüfter, denn in der Suite wurde es abends lausig kalt. Auch in welcher Ecke man halbwegs ruhig essen konnte, wurde immerhin verraten: Alles wurde nach und nach besser.

Der Veranstalter lud zu einer „Kennenlerntour“ ein. Dazu fuhr ein Bus am Hotel vor. Silke und Andor stiegen ein und klapperten etliche Hotels in „Maspalomas“ und „Playa del Inglés“ ab. Dann fuhren sie ein Stückchen in die Berge zu einem angeblichen „Bauernhof“, der sich als Touristenschänke erwies. Alles sah so aus, als würden hier Reisende abends mit Sangria reichlich abgefüllt. Das „Anwesen“ lag über den Urlaubsorten, so dass man die gesamte Urlauberanlage einschließlich der Dünen von oben sehen konnte. Dann wurde jedem Gast ein Gläschen Honigrum gereicht – angeblich eine kanarische Spezialität. Auf den vielen Reisen zu den Inseln hatten die Stolps davon zuvor noch nie gehört.

Aber: „Salute!“ Es folgte eine Powerpoint-Präsentation, die etwas verunglückt war, weil sie dauernd stockte. Der Sinn war dennoch klar: „Kaufen, kaufen, kaufen!“ In diesem Fall ging es um Ausflüge, die verhökert werden sollten. Die Anmache war sogar erfolgreich, denn die Leute buchten und buchten, derweil die anderen auf einem Schotterplatz warten mussten und „Maspalomas“ und „Playa del Inglés“ von oben betrachten durften.

Gran Canaria hatte etwa 800.000 Einwohner. Die Hälfte davon lebte in „Las Palmas“, der Hauptstadt auch von „Lanzarote“ und „Fuerteventura“, die zusammen mit „Gran Canaria“ die spanische Provinz Gran Canaria bildeten. 1492 war Christoph Kolumbus von hier nach Indien gestartet, kam aber in Amerika an.

Einst hatte die Insel vom Zuckerrohranbau gelebt. Der wurde in die Karibik verlagert, wo man mit schwarzen Sklaven billige Arbeitskräfte hatte. Dann machte man mit Wein gute Geschäfte, bis die Reblaus kam. Die Portugiesen versorgten den Weltmarkt fortan mit ihrem Wein. Später baute man auf „Gran Canaria“ Bananen und Tomaten an. Aber der richtige Wohlstand kam erst mit dem Tourismus, der ab 1959 florierte. Hier auf „Gran Canaria“ waren Engländer wieder einmal Vorreiter.


Canarische Landschaft

Das Hotel der Stolps „Dunas Suites & Villen“ lag nicht an den berühmten Dünen und schon gar nicht am Meer. Dorthin musste man an einem ausgetrockneten Flussbett entlang laufen, dann kam man zum „Faro“ von „Gran Canaria“. Das sei der südlichste Punkt der Europäischen Gemeinschaft, hieß es. Rund um den „Faro“ gab es Restaurants und Geschäfte. Die Pizza kostete zwölf Euro: Alles für die Gäste!

Hier begannen die Dünen, hier war das Meer, und hier gab es was zu sehen. Urlauber zu Hauf wanderten entweder von Ost nach West oder umgekehrt. Es gab viele Dicke dabei und wenig Dünne, jede Menge Alte und weniger Junge. Von den Jungen wandelten viele wie lebende Poster durch die Gegend; sie waren manchmal geschmackvoll, meistens jedoch hässlich tätowiert.

Zwei Burschen hatten das Abendmahl Christi aus feuchtem Sand modelliert, ein Messi saß hinter einer Aufschrift: „Auch Landstreicher haben Hunger und Durst.“: Auf Deutsch!

Am Uferweg saßen schwarze Gestalten. Afrika ist eben nicht weit. Manche von ihnen verkauften „Krims-Krams“, andere taten gar nichts. Am Strand waren noch mehr „Touris“ – ältere Frauen trugen ihre BHs häufig mit nur einem Träger, damit sie oben herum schön braun wurden. „Warme“ Pärchen stolzierten einher, und Nackte gab es in allen Farbschattierungen: weiß, rot-verbrannt, braun und schwarz. Die meisten waren Männer; manchmal waren sie schon ziemlich runzelig.

Einer dieser Nackten stand im seichten Wasser und rauchte gemütlich eine Zigarette. Die Polizei überwachte alles von einem stabilen Auto aus, und die Boys vom „Roten Kreuz“ hatten die rote Fahne gehisst: „Nicht ins Meer gehen!“, hieß das. Fast alle hielten sich daran: O Wunder!

Stolps machten einen Ausflug zum „Palmitos Park“. Das war eine in den Bergen gelegene Mischung aus Botanischem Garten und Zoo. Der Eintritt kostete neunundzwanzig Euro fünfzig. Man sah tropische und subtropische Pflanzen sowie viele Tiere: lustige Erdmännchen (einer hielt Wache), bunte Papageien, laute Affen, elegante Adler, komische Marabus, sportliche Delphine und viele andere.

Am lustigsten war eine Delphinschau. Delphine sind große Tiere, die durch das Wasser zischen. Hier waren sie dressiert und führten allerhand Kunststücke vor. Sie sprangen aus dem Wasser in beeindruckende Höhen, winkten, fingen Bälle, ließen auf sich reiten und vieles mehr. Für jedes ihrer Kunststücke bekamen sie am Beckenrand einen Fisch: „Schwapp!“

Silke und Andor waren sich einig: „Die tun was für ihre Gäste auf ‚Gran Canaria“. „Maspalomas“ und „Playa del Inglés“ waren überzogen mit „Supermercados“. Hier konnte man Wein, Cracker, Schinken und überhaupt alles kaufen. Der den Stolps nächste Supermarkt befand sich übrigens direkt in der Hotelanlage. Die Bewohnerin des Nachbarbungalows riet jedoch, zu „Faro 2“, ein Stück inseleinwärts, zu gehen. Als Silke und Andor, dem Rat folgend, dort ankamen, sahen sie eine Investitionsruine.

„Faro 2“ war einmal ein riesiges Einkaufszentrum und war nun von den meisten seiner Mieter verlassen. Über leere Flächen dröhnte laute Musik, ein paar Geschäfte und Restaurants waren noch da. Aber der Supermercado war wie so vieles andere weg. Es war ein Bild des Jammers! Das „Tourigeschäft“ schien ziemlich schnelllebig zu sein!

Zum Wetter: Auf „Gran Canaria“ ist natürlich immer Wetter. Oft aber ist es in den Bergen anders als an der Küste, wo es selten regnet. Auf der Insel war es nur geringfügig wärmer als daheim in Deutschland. Das lag daran, dass es zu Hause für die Jahreszeit zu warm und auf „Gran Canaria“ eben zu kalt war.

Zur Mandelblütenzeit (Mitte Februar) konnte man nach „San Bartolomé de Tirajana“ fahren. Das liegt achthundertfünfzig Meter hoch in den Bergen, und wenn man „Glück“ hatte, stürmte und regnet es dort wie in den Alpen. Dann bestieg man am besten den Bus wieder, der über eine serpentinenreiche Strecke das schöne Bergdorf gerade erklommen hatte und rumpelte zurück nach „Maspalomas“, wo es warm war und die Sonne schien. Alles in allem kam man so zu einem dreistündigen Ausflug.

Auf „Gran Canaria“ ließen sich manche Erinnerungen auffrischen. Am Ostende von „Playa del Inglés“ konnte man auf einer Promenade wandeln und dabei – wenn man Richtung „Faro“ ging, auf der linken Seite das Meer und rechts schöne Bungalows oder Hotels bewundern. Hier hatten Silke und Andor einst mit ihren Kindern Urlaub gemacht! Das Hotel von damals („Euro Palace“) stand noch. Am Strand war mittlerweile eine Mole nach der anderen aufgeschüttet worden, und dazwischen befanden sich wunderbare Badebuchten. Es war auch gar nicht voll.

Auch „Puerto Rico“ sahen sie wieder. Hier hatten sie einst ein Ferienhäuschen gehabt. Damals standen an einer Stelle dort ein paar Reihenhäuschen, mittlerweile waren Riesenhotels die Berge „emporgeklettert“, und der Strand war aufgeschüttet worden. Hier bräunten sich jetzt Urlauber. „Puerto Rico“ – das einstige Dorf – war ein richtiger Hafen geworden. Den beiden Stolps fiel ein, dass sie seinerzeit mit einem alten Auto die Insel auf schlechten Straßen umrundet hatten. Unterwegs (als das Auto „streikte“) hatte sie ein Polizist im Plastikhelm (noch von der „Guardia Civil“?) streng ermahnt. Silke kamen die Tränen.

Zu dieser Zeit löste in Spanien König Juan Carlos den General Franco, der 1975 gestorben war, als Staatsoberhaupt ab, und das Land wandelte sich zu einer Demokratie. Als Geheimtipp galt übrigens ein Besuch im Fischrestaurant „Käpt‘n Mogán“ in „Puerto de Mogán“. Da waren sie wieder hingefahren. „Puerto de Mogán“ lag „am Ende der Welt“, war damals ein kleiner Fischerhafen, und in einer Obstplantage schenkte ihnen ein Bauer eine Papayafrucht – etwas völlig Neues für sie.

Nun war alles weg, „Puerto de Mogán“ war ein hektischer Ort geworden, und man konnte auf einer neuen Autobahn schnell und bequem hinfahren. Geschäfte, Supermärkte, ein Touristenbüro: Alles war da.

Auch hier hatten die Stolps in einer anderen Zeit einmal Urlaub gemacht. Damals waren sie in einem weiteren Ort abgestiegen – hieß er „Platalavarca“ oder „Taurito“? Einstmals hatte es dort ein Hotel und einen einsamen Strand gegeben. Mittlerweile war an beiden Orten alles zugebaut: „Gran Canaria – wie haste Dir verändert!“ Alle Ursprünglichkeit war dahin – wenigstens an der Küste.

Manch einer wird fragen: „Wo bleibt das Positive?“ Dafür sind eigentlich die Reiseverlage und ihre Produkte zuständig. Aber bitte, wenn es sein muss, folgt hier eine positive Reisebeschreibung:

„Von ‚Puerto de Mogán‘ nach ‚Puerto Rico‘ fahren wir auf einem Schiffchen die Küste entlang. Rechts ist das blaue Meer, links die Steilküste von Gran Canaria. Am Schiff kann man direkt einchecken – für nur sechs Euro. „Uno“, „dos“, „tres“, zählt ein freundlicher canarischer Seemann, und schon ist man an Bord. Vom Meer her weht eine laue Brise, während das Boot bald schnell dahingleitet. Am Horizont erkennt man einige Schiffe. Das Meer ist unendlich weit, und irgendwo da hinter dem Horizont liegt der Äquator. Wir fahren an sonnigen Stränden vorbei, wo sich fröhliche Urlauber erholen. Endlich kommen wir in den Hafen von ‚Puerto Rico‘ und gehen an einer Mole an Land. Wir suchen ein uriges Fischrestaurant auf, bestellen gegrillte Sardinen und canarische Kartoffeln: Köstlich! An uns vorbei schlendern heitere Urlauber. Sie sind gut ernährt, manche lustig bemalt, und vielen sieht man an, dass sie ihr Leben lang hart gearbeitet haben. Hier kann man alle Sprachen Europas und alle Dialekte Deutschlands hören – auch russisch und sächsisch. Einige der gerade ankommenden Bootstouristen betreten gleich wieder ein anderes Schiff, um Delphine in freier Wildbahn zu beobachten oder um auf hoher See zu angeln. Und fast alle tragen rote, blaue, gelbe, rosa oder grüne Plastikbändchen am Handgelenk: Sie haben zu Hause schon bezahlt und machen nun unbeschwert Urlaub: ‚All inclusive‘.“

 

So ließe sich auch locken!

Auf „Gran Canaria“ gibt es übrigens „Inselbusse“, mit denen man zu fast allen Orten fahren kann. Die Verkehrsgesellschaft heißt „Global“. Es gibt Linien mit Fahrplänen. Manchmal stimmen sogar die Abfahrtszeiten. Wer ein wenig Zeit und etwas Geduld hat, kann auf diese Art die Insel relativ preisgünstig erkunden.

Auch „Las Palmas“ ließ sich prima per Bus erreichen – von „Maspalomas“ aus etwas über eine Stunde. Die Stadt lag – im Unterschied zu „Maspalomas“ – unter einer dichten Wolkendecke. Es regnete sogar. Die Menschen hier schienen das jedoch zu kennen, denn viele hatten Regenschirme dabei. Dann klärte es wieder auf, und man konnte den blauen Himmel sehen.

Beherrschend ist eine riesige Kathedrale: „Santa Ana“. Diese wurde errichtet, nachdem die Ureinwohner Canariens (die „Guanchen“) endgültig geschlagen waren und Spanien sich die Inseln einverleibte. Mit dem Bau der Kathedrale hatte man im 15. Jahrhundert begonnen, und fertig wurde sie im 19. Jahrhundert. Die riesige Kirche wurde im gotischen Stil errichtet, und ihr gegenüber befindet sich der Amtssitz des hiesigen Bischofs. Die Kathedrale hat viele Kunstschätze und hält den Vergleich zu ihren europäischen „Schwestern“ aus.

Rund um das Bauwerk liegt die Altstadt: Ein prachtvolles Museum erinnert an die „Heldentaten“ von Columbus, und in manchen Innenhöfen befindet sich eine Tapasbar, oft ziemlich primitiv ausgestattet. Noch immer ist „Las Palmas“ Ausgangshafen nach Amerika, aber seine diesbezügliche Bedeutung von einst hat es wohl eingebüßt.

Im Übrigen standen viele Ladengeschäfte leer: „Las Palmas“ wirkte etwas melancholisch. Dazu passte das wieder einsetzende Nieselwetter, während am Ende des Ausfluges am „Faro“ von „Maspalomas“ die Sonne schien.

Der Abschied von der Insel war unbequem. Es schien, dass alle Welt an diesem Tage „Gran Canaria“ verließ – so voll war der Flughafen. Aber fast pünktlich saßen die Stolps in „ihrer“ Maschine und kamen nach fünf Stunden nur 15 Minuten verspätet zu Hause an.

Dieser Flug war sogar angenehm, denn neben beiden saß ein netter, hilfsbereiter Herr. Ende gut, alles gut.

(2014: Vorher und nachher)

Der Ritterschlag war erfolgt. Silke und Andor waren in Italien, Griechenland und Spanien gewesen. Sie gehörten spätestens jetzt zu jenen modernen Menschen, die sich in mühseligen Jahren wochenweise in Touristen verwandelten.

Beim Thema Tourismus konnten sie jetzt mitreden. Dazu brauchten sie Geld, Urlaub (später reichte auch ein „Sabbatical“), Geduld mit nervigen Kindern, Langmut bei unbequemen Unterkünften, keine Furcht vor Vorurteilen über fremde Länder, Hitzeaffinität, Freude an überfüllten Flughäfen, Spaß an immer mehr anderen Touristen und Bewunderung für immer neue, die Natur verschandelnde Bauwerke.

Nun waren auch Silke und Andor Stolp mit ihren Kindern unangefochtene Mitglieder jener Gemeinde, in der es heißt:

„Der Urlaub ist die schönste Zeit des Jahres!“

1 Wikipedia