Silvia - Folge 1

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Z serii: Silvia #1
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Erschaffung des Mädchens

Es war eine lange Fahrt gewesen. Fast acht Uhr war es schon, so stellte Silvia bei einem flüchtigen Blick auf ihre Armbanduhr fest, als der Wagen ausrollte und sanft zum Stehen kam. Allmählich musste sie mal zur Toilette, wagte das aber nicht zu sagen, war wirklich zum kleinen Mädchen geworden, das sich vor der Lehrerin nicht blamieren wollte. Eine Weile war es wohl noch auszuhalten und sie ignorierte den Drang so gut ihr möglich. Wo sie sich befand, wusste sie nicht, hatte während der Fahrt außer dem einen kurzen Blick nach draußen ja nichts gesehen von der Welt, die aber sowieso keine Bedeutung mehr hatte, unwirklich und überflüssig geworden, kaum noch existent.

Der Chauffeur hielt die Tür für sie auf und ließ die Frauen aussteigen, zuerst Madame von Sinnenhof, dann Silvia, die am liebsten sitzen geblieben wäre. Rasch zog sie den Rock hinab, wollte nach ihrer Jacke und der Tasche greifen, doch wurden diese nicht gebraucht, so teilte das stumme Kopfschütteln der Frau ihr mit. Mit bangem Herzen kletterte sie hinaus in die kühle Luft und staunend schaute sie sich um. So beeindruckend hatte sie sich das ominöse Schloss nicht vorgestellt. Es war ein prachtvolles Renaissancegebäude aus rotem Sandstein, das U-förmig einen großen Innenhof umschloss, auf dem einige noble Limousinen und zwei teure rote Sportwagen im abendlichen Zwielicht standen. Dreistöckig erhob sich das Haupthaus mit hohen Fenstern, kunstvollen Reliefs und harmonisch angeordneten Pilastern. Eine ausladende halbrunde Treppe führte hinauf zum Haupteingang, den ein Vordach, getragen von zwei eleganten Säulen, vor Schnee und Regen schützte. Niedriger, nur zwei Stockwerke hoch, waren die beiden Seitenflügel, die den Hof rechts und links umschlossen und in runden Türmen endeten. Kein Laut war zu vernehmen, nur draußen auf der Straße tuckerte ein Auto vorbei und irgendwo weit in der Ferne kläffte ein Hund.

„Das ist Schloss Sinnenhof.“ Stolz sprach aus der Stimme der Frau. „Gefällt es dir?“

„Es ist groß.“ Mehr fiel Silvia nicht ein.

Die Frau, die Herrin, lächelte. „Ja, es ist groß. – Komm, lassen wir die Mädchen nicht länger warten.“

Sie gingen zum linken Seitenflügel, stiegen die vier Stufen zum Eingang hoch, der Chauffeur öffnete mit einer angedeuteten Verbeugung die Tür und ließ ihnen den Vortritt in eine große Halle, in der ein glitzernder Kronleuchter helles Licht verbreitete. Eine breite Treppe führte nach oben, eine nach unten, und es gab einige marmorne Skulpturen mit unbekleideten Frauen in verführerischen Posen und muskulösen Männern; vermutlich Gestalten aus der griechischen Mythologie. Samten rot war der flauschige Teppich, rot waren auch die Läufer und die Tapeten in den langen Korridoren, die nach rechts und links führten.

„Musst du zur Toilette?“ Fürsorglich klang die Stimme der Frau.

Silvia nickte.

Die Madame schickte den Chauffeur schon mal vor und geleitete sie in den Toilettenraum, den es gleich hinter der ersten Tür links gab. Er war hellbraun gekachelt, sah luxuriös aus mit den großen Spiegeln, den braunen Waschbecken und den kupfernen Armaturen. Es gab drei Kabinen, alle groß, blitzsauber und ausgestattet mit Schüssel, Bidet und einem Regal, auf dem weiße Waschlappen und Handtücher lagen. Silvia entschied sich für die ganz links und schloss die Tür hinter sich.

Von draußen klang die Stimme der Frau herein: „Die meisten Mädchen müssen bei der Ankunft erst einmal hierher. Meistens ist die Fahrt recht lang und natürlich sind sie alle ziemlich nervös. – Vergiss nicht das Bidet zu benutzen. Reinlichkeit ist hier eine wichtige Tugend.“

Wie hätte Silvia es vergessen können bei der mütterlichen Ermahnung? Diese Frau behandelte sie wirklich wie ein Kind. Am liebsten wäre sie einfach hier sitzen geblieben und hätte das warme Wasser gefühlt. Überall wollte sie am liebsten sitzen bleiben und tat es doch nicht, ging immer weiter auf dem Weg ins Unbekannte, wie von unsichtbaren Fäden geleitet. Sorgsam trocknete sie sich mit einem der weißen Tücher ab und trieb sich schweren Herzens wieder nach draußen.

Lächelnd schaute die Frau ihr entgegen. „Alles in Ordnung?“

Silvia nickte, doch war das Nicken eine Lüge. Nichts war in Ordnung, alles war aus den Fugen geraten, ihr Leben, ihre Seele, ihr Selbstverständnis. Nichts war so, wie es sein sollte und wie sie es kannte, nichts war übrig geblieben von der Silvia, die sie vor kurzem noch zu sein geglaubt hatte, nichts als ein hilflos eingeschüchtertes Mädchen.

Ob die Frau ihre Gedanken lesen konnte? Tröstlich legte sie den Arm um Silvias Schultern. „Am Anfang ist das alles hier natürlich sehr ungewohnt. Aber bald wirst du merken, dass du hier am richtigen Platz bist und dass das, was du verloren glaubst, durch etwas Neues ersetzt wird. – Also sei mutig. Du wirst es unbeschadet überstehen.“ Wenig getröstet folgte Silvia ihr hinaus in den Korridor und bis zu einer Tür, die einen Spalt weit offen stand. „Das ist der Blaue Salon. Hier wirst du nun vorgestellt.“ Zum Flüstern gedämpft war die Stimme der Frau, als befänden sie sich in heiligen Hallen. „Genier dich nicht!“

Zögernd setzte Silvia den Fuß über die Schwelle, glaubte, dass man das Pochen ihres Herzens im ganzen Haus hören könne. Sie kam in einen großen hohen Raum, der in Blau gehalten war. Blau waren die flauschig dicken Teppiche und dunkelblau gestreift die taubenblauen Tapeten. Es gab einen großen Schrank, einen schweren langen Tisch mit blank polierter dunkler Platte, umstanden von Stühlen mit blau bezogener Sitzfläche, und eine hohe Fensterfront bot Blick hinaus in einen Park. Das alles nahm Silvia kaum wahr. – Da, zwischen drei anderen Mädchen stand Claudia! Also doch! Wolfgang hatte recht gehabt.

Entgeistert, als sähe sie ein Gespenst vor sich, starrte Claudia sie an. Grenzenlose Verblüffung sprach aus ihrem Blick und tiefe Scham. Wie die anderen drei trug sie nicht mehr als weiße Stöckelschuhe und ein durchsichtiges weißes Gewand, knöchellang und ärmellos, an beiden Seiten hoch geschlitzt, die Säume mit verspielten Rüschen geziert. Nichts von ihrem Körper blieb den Blicken verborgen. Ihren Hals sowie die Hand- und Fußgelenke umschlossen silberne Bänder mit jeweils zwei gegenüberliegenden metallenen Ringen. Auch die anderen drei Frauen waren hübsch und jung, die älteste höchstens dreißig, sie hielten sich an den Händen und in jeder Miene ließ sich Verlegenheit lesen, dazu Neugierde auf die Neue, die ihr Schicksal fortan teilen würde.

Hinter ihnen standen zwei große kräftige Kerle, der eine blond, der andere dunkelhaarig. Seltsam bizarr war ihre Kluft, in der sie aussahen wie direkt dem finsteren Mittelalter entsprungen. Ihre kurze Hose aus schwarzem Leder war am Schoß prahlerisch ausgebeult und wurde von breiten ledernen Trägern gehalten, die sich über die Brust und die Achseln spannten, ihre nackten Füße steckten in ledernen Opanken mit flachen Sohlen. Ganz offensichtlich waren sie die Bewacher der Mädchen. Außer ihnen befanden sich noch einige weitere Männer im Raum und sie alle musterten Silvia mit unverblümt aufdringlichen Blicken.

Die klare, feste Stimme der Madame von Sinnenhof durchbrach die atemlose Stille. „Ich freue mich, unsere neue Sklavin vorstellen zu dürfen. Ihr Name ist Silvia.“

Wie der Klang einer mächtigen Glocke dröhnte dieses eine Wort in Silvias Ohr: Sklavin! Nein, das war sie nicht, nein, das konnte sie nicht sein, wollte es nicht sein, vielleicht ein ganz klein bisschen in geheimster Vorstellung, aber doch nicht in Wirklichkeit!

Kaum registrierte sie, dass ihr die anwesenden Männer vorgestellt wurden. „Das ist der Lehrmeister. Er sorgt für eure geistige Erbauung.“ Die Hand der Madame von Sinnenhof wies auf einen älteren Herrn im dunklen Anzug, er war groß und hager, hatte ein faltiges Gesicht, sanfte braune Augen und graues volles Haar. Mit ernster Miene nickte er ihr zu.

„Und das ist unser Koch.“ Gemeint war ein kleiner rundlicher Mann um die fünfzig, auch er mit einem dunklen Anzug bekleidet. Seinen runden Schädel zierte eine blank polierte Halbglatze, schalkhaft glitzerten seine grünlichen Augen, sein Blick verschlang Silvia wie ein neu kreiertes Dessert.

Zwei Schritte von den beiden entfernt standen zwei seltsame Gestalten, junge Männer, kaum älter als zwanzig. Beide trugen eine eng anliegende schwarze lederne Hose und eine rote lederne Weste über dem nackten Oberkörper, der beim etwas Kleineren der beiden völlig haarlos war. Sie schienen sich für ihre Umgebung wenig zu interessieren, flüchtig berührten sich ihre Hände und sie tauschten einen innigen Blick.

Die Madame von Sinnenhof lächelte ihnen wohlwollend zu. „Das sind unsere beiden Jungs für alles.“

Was dieses alles bedeutete, erfuhr Silvia nicht, interessierte sie auch nicht wirklich. Flüchtig schaute sie zu Claudia hinüber, die um Fassung rang, sich ihre Bestürzung nicht anmerken lassen wollte. Wie ergeben sie wirkte, seltsam still und gefügig, nicht agil und selbstbewusst, wie Silvia sie kannte.

Der Blick der Madame von Sinnenhof richtete sich auf die beiden Kerle mit den kurzen Hosen: „Das sind die Aufseher. Wie alle anderen Männer hier zählen sie zu deinen Behütern. Was das für dich bedeutet, wirst du bald erfahren. – Und dann haben wir noch unsere Mädchen: Isabel, Maria, Claudia und Jasmin.“ Sie standen der Größe nach geordnet und wurden auch der Größe nach vorgestellt, nickten artig bei der Nennung ihres Namens, auch Claudia, deren Lider sich gleich wieder senkten.

Die Madame von Sinnenhof schaute Silvia an. „Du wirst nun eine von ihnen werden.“

Dann nickte sie den Aufsehern zu und der Blonde nahm eine silberne Schale vom Tisch, fast drohte sie in seinen kräftigen Händen zu zerbrechen. Ohne dass sich in seiner Miene eine Regung zeigte, trat er vor Silvia hin.

 

Das Wort behielt die „Herrin“, niemand außer ihr durfte anscheinend etwas sagen. „Leg deine Uhr und deinen Schmuck hinein!“ Silvia reagierte nicht. Hatte sie es nötig, sich den Worten dieser fremden Frau zu beugen und das auch noch vor Claudias Augen? „Lange darfst du dich nicht mehr zieren!“ Kühl klangen die Worte, sie duldeten keinen Widerstand, zersplitterten das Sträuben wie ein hoher Ton das spröde Glas.

Mühsam, als sei es ein Betonklotz, streifte Silvia ihre zierliche Uhr vom Arm, legte die Ohrringe und die Halskette ab, ließ sie in die Schale fallen wie ein Zeichen der Kapitulation. Ihr Blick fiel auf den brillantbesetzten Ehering und richtete sich fragend auf die Frau. Die Antwort bestand aus einem Nicken und sie streifte ihn vom Finger, ließ auch ihn in die Schale fallen, als wäre er ihr lästig.

„Schön. Leg jetzt dein Kleid ab!“

Natürlich. Dass es beim Schmuck nicht bleiben würde, war so folgerichtig wie das Herunterfallen des Rings, für den es kein Entrinnen vor der Schwerkraft gab. Sie bog die Arme auf den Rücken und griff zum Reißverschluss.

Schneidend klar durchschnitt die Stimme der „Herrin“ die Stille. „Claudia: Regel vier.“

Einen winzig kleinen Moment musste Claudia überlegen oder die Scheu überwinden oder beides, dann erklang leise ihre rauchige Stimme: „Regel vier: Jede empfangene Anweisung ist von den Mädchen unter Beachtung der Regel drei zu bestätigen.“ Verschämt senkte sie den Blick.

Wieder richtete sich der Blick der Herrin auf Silvia. „Du weißt nun also Bescheid. Also versuchen wir es noch einmal: Leg dein Kleid ab!“

Auch wenn Silvia nicht wissen konnte, was unter Beachtung der Regel drei zu verstehen war, gab es keinen Zweifel daran, was von ihr verlangt wurde. Doch fiel es furchtbar schwer, die Worte der Unterwerfung über die Lippen zu pressen: „Ja, meine Herrin, ich lege es ab.“ Sie sah das zufriedene Nicken der Frau und griff ein zweites Mal zum Reißverschluss, zog ihn herab, streifte die Träger von den Achseln und ließ das Kleid zu Boden sinken.

„Nun den Rest!“

„Ja, meine Herrin.“ Zögernd hakte sie den BH auf, ließ ihn resigniert aufs Kleid fallen, bot die vollen runden Brüste all den vielen Blicken dar. Sie beugte sich etwas nach vorn und löste die Strümpfe von den Strapsen, was weniger schwerfiel, da sie ja sowieso nichts verhüllten, nur aufreizend aussehen ließen, streifte sie von den Beinen und nahm den Strapsgürtel von der Taille. Zum allerersten Mal in ihrem Leben hatte sie fremden Augen einen Striptease geboten, es war leichter gewesen als befürchtet, auch wenn vielleicht nicht sonderlich elegant. Splitternackt stand sie im Raum und verstohlen legten sich ihre Hände vor den Schoß.

Wieder näherte sich der blonde Aufseher, nun mit silbern schimmernden Bändern in Händen. „Eines der Zeichen, die deinen Status bekunden“, erklärte die Herrin. „Du wirst diese Bänder hier im Haus ständig tragen. Wir nennen dich Mädchen, doch meinen wir damit, dass du unsere Sklavin bist. – Hast du das verstanden, Silvia?“

Silvia fühlte sich wie in Watte gepackt. Die Worte vernahm sie wohl, ihren Sinn zu begreifen aber weigerte sich ihr Geist. Nein, sie war keine Sklavin, spielte sie vielleicht für einige Zeit, weil ihr keine andere Wahl blieb, das war alles. Doch war nicht der rechte Moment für eine solche Erklärung. „Ja, meine Herrin, ich habe verstanden.“

„Und was hast du verstanden?“

„Dass ich von nun an … Eure … Sklavin bin.“

„Nicht nur meine, sondern auch und vor allem die deines Gebieters. Denn um dir das begreiflich zu machen, bist du hier. Es wäre gut für dich, das niemals zu vergessen.“ Während ihrer Worte klappte der Blonde das größte der Bänder auf und legte es um Silvias Hals, kühles Metall, das sie frösteln ließ. Silberhell rastete das winzige Schloss ein, war ohne Schlüssel nicht mehr zu öffnen. Auch die Hand- und Fußgelenke wurden umschlossen, reglos ließ sie es geschehen, wie gelähmt. Das also war das alles, für das Wolfgang ihre Maße genommen hatte. Wolfgang! Wenn er sie jetzt sehen könnte, was er wohl empfinden würde, ob ihm ihre Unterwerfung peinlich wäre oder er sich über ihren Anblick freuen würde? Beides wohl und Letzteres vermutlich ein bisschen mehr, denn er war ja nur ein Mann. Und ihr „Gebieter“ von jetzt an? Aber es war doch nur ein Spiel, so hatte er versichert. War es das wirklich? Spielte sie die Sklavin tatsächlich nur oder wurde sie nicht doch zu einer, ob sie wollte oder nicht? War die stille Fügsamkeit der Mädchen nicht ebenso echt wie die Anwesenheit der Aufseher und der mächtige Zauber der Herrin? Sehr real waren auch die metallenen Bänder. Sie passten genau, wie angemessen, sie saßen weder zu locker noch zu eng, sie scheuerten nicht, rutschten nicht, schnitten nicht in die Haut, waren fast nicht zu spüren, lasteten aber tonnenschwer auf der Seele.

Der dunkelhaarige Aufseher brachte ihr ein weißes Gewand, sie streifte es wie ein Büßerhemd über und schlang mit zaghaften Fingern die weißen Bänder zu Schlaufen, die es vorn herab verschlossen. Sie war damit noch nackter als mit gar nichts an, denn es offenbarte ihre Hilflosigkeit, machte sie zu einem der artigen Mädchen. Sie musste ihre schwarzen Schuhe mit den halbhohen Absätzen gegen weiße Stöckelschuhe tauschen und war dann von den anderen nicht mehr zu unterscheiden.

„Und nun das Wichtigste“, sagte die Herrin (die Silvias Geist nun ohne Anführungszeichen so nannte). Sie hielt ein dünnes großformatiges Buch in Händen, das in Leder gebunden war und der Speisekarte eines Restaurants ähnelte. „Das Buch der Regeln.“ Sie überreichte es Silvia so feierlich, als handele es sich um die Zehn Gebote. „Beschäftige dich damit. Ich erwarte von dir, dass du Regel zwanzig ab Donnerstagmorgen befolgen kannst. Hast du verstanden, Silvia?“

„Ja, meine Herrin …“

„Maria, zitiere Regel zwanzig, damit Silvia begreift, worum es geht.“

Maria war eine schlanke, kleinbusige Frau mit brünettem, halblangem Haar, braunen großen Augen und zartem, sensiblem Gesicht. Sie zögerte, schien sich ihrer Sache nicht sicher, musste überlegen und hob mit nervöser Stimme zu sprechen an: „Regel zwanzig: Die Mädchen müssen in der Lage sein, alle aufgeführten Regeln einschließlich der Ausnahmen und Unterregeln … ähm, auswendig zu können … und sie sollen …“

„Genug“, unterbrach die Herrin. „Du kannst es nicht. – Du weißt, was das bedeutet?“

„Ja, meine Herrin, ich weiß.“ Betreten senkte Maria den Blick.

„Zur Strafe erhältst du zehn Peitschenhiebe, morgen zur üblichen Zeit am üblichen Ort.“

„Ja, meine Herrin.“ Furchtsam bebten Marias Lippen.

So also brachte man den Mädchen Gehorsam bei! Eine kalte Hand umfasste Silvias Herz. Die Herrin bedachte Maria mit einem bedauernden Blick, als würde die Unvermeidlichkeit des Urteils ihr selbst leidtun, und wandte sich an die Größte der vier, ein blondhaariges Mädchen mit üppigen Brüsten und einem Gesicht, das mit den vollen Wangen, der Stupsnase und den blauen Augen an eine Puppe erinnerte: „Isabel! Wie lautet Regel zwanzig?“

„Die Mädchen müssen in der Lage sein, alle aufgeführten Regeln einschließlich des Vorworts, der Anmerkung sowie der Ausnahmen und Unterregeln wortwörtlich ohne Zögern und ohne Stocken aufzusagen.“ Ohne Zögern und Stocken hatte Isabel die Regel aufgesagt mit heller, aber fester und erstaunlich selbstbewusster Stimme.

Die Herrin nickte zufrieden und ihr Blick richtete sich auf Silvia. „Du siehst also, weshalb das Lernen der Regeln notwendig ist. Sie zu beherrschen liegt in deinem eigenen Interesse.“ Entspannt wurde ihre Miene und ihr Blick schweifte über die Mädchen hinweg. „Ihr könnte ins Kaminzimmer gehen. Seid nett zu Silvia und nehmt sie unter die Fittiche, damit sie sich schnell eingewöhnt. – Ich wünsche euch einen schönen Abend.“

Die Mädchen bedankten sich mit einem ergebenen Knicks und folgten dem blondhaarigen Aufseher in ordentlicher Reihe nach draußen, mit Silvia im Schlepptau, die das Regelbuch an sich presste, als fände sie daran Halt.

Das Kaminzimmer befand sich gleich nebenan und war etwas wohnlicher eingerichtet als der Blaue Salon. Hier gab es einige lederne Sessel und mehrere Sofas, auch diese aus dunklem Leder, dazwischen runde kleine Tische. Seinen Namen erhielt der Raum von einem offenen, fast frauhohen Kamin, in dem man ein Feuer von den Ausmaßen eines Großbrandes entfachen und halbe Wälder verbrennen konnte, wenn man wollte. Aber natürlich wollte das niemand an einem lauen Frühsommerabend wie diesem, an dem eine Bodenheizung zur Schaffung angenehmer Temperaturen durchaus genügte. Eine edle Wanduhr verbreitete mit ihrem rhythmischen Ticktack und dem gelassenen Hin und Her des Pendels eine entspannte Atmosphäre und eine Regalwand, mit Büchern reich gefüllt, erstreckte sich links der Tür bis hoch zur Decke und fast über die gesamte Breite des Raumes. Rechts der Tür stand ein großer schwarzer Barockschrank und auch von hier aus sah man durch hohe Fenster in den prächtigen Park.

Der blonde Aufseher ließ sich in der Nähe der Tür auf einem Sessel nieder, während Silvia von den Mädchen umringt wurde. Freier wirkten sie nun, nicht mehr in Reih und Glied aufgestellt und keinem Zeremoniell unterworfen.

Wie von der Herrin verlangt, wurde Silvia gut von den Mädchen aufgenommen. Isabel lächelte ihr freundlich zu und Jasmin, die Kleinste von ihnen, erklärte in sächsischem Akzent, dass Entspannung angesagt sei und es heute nichts mehr zu tun gebe. Sie war nicht nur klein, sondern auch zierlich und jung. Ihre handfüllenden Brüste waren tropfenförmig und sehr schön, wie Silvia fand. Dann aber merkte sie, dass sie dabei war, die Stielaugen eines Mannes zu bekommen, und riss den Blick verwirrt wieder los.

Verlegen klang Claudias Gemurmel. „Tja, so sieht man sich also wieder.“ Schön sah sie aus. Anmutig sanft war das Gesicht, lockig das braune Haar, üppig der Körper mit den runden Brüsten, die Silvia noch nicht gesehen hatte, natürlich nicht. Auch von diesen musste sie den Blick erst wieder losreißen. Was war nur los mit ihr?

Hüstelnd rettete sie sich auf unverfänglicheres Gebiet. „Hast du gewusst, dass ich komme?“

„Woher denn? Diese Überraschung ist wirklich gelungen.“

„Ihr kennt euch?“, fragte Isabel verwundert.

„Ja. Unsere werten Gatten … nein, unsere Gebieter natürlich … Sie arbeiten in der gleichen Firma“, erklärte Claudia.

„Oh, das ist ja pikant.“

War es das? Pikant? Reizvoll, schlüpfrig? Eher weniger. Eher war es prekär, misslich, schwierig … Silvias Blick schweift zu Claudias Schoß. Deutlich sah man den dunklen Flaum des Haares unter dem dünnen Gewand, das aber auch wirklich gar nichts verhüllte. Claudias Hände versuchten die Blöße nicht zu verbergen, strichen über ihre Schenkel, vermutlich ohne dass sie es bemerkte, blutrote lange Fingernägel auf dem weißen Hauch von Stoff.

Wieder riss Silvia den Blick von ihr los. Anscheinend wurde das zu ihrer Hauptbeschäftigung. „Ich habe Wolfgang nicht geglaubt, dass du wirklich hier bist.“

Röte puderte Claudias Gesicht. „Dann konnte mein Gebieter das Geheimnis also doch nicht für sich behalten. – Na ja, nun sind wir also beide hier. Machen wir das Beste draus.“

Was aber war das Beste in diesen seltsamen Mauern und war das Beste auch nur halbwegs gut oder zumindest erträglich? Etwas abseits stand Maria mit bekümmerter Miene. „Warum fiel mir diese blöde Regel zwanzig nur nicht ein? Ich kann sie doch eigentlich.“ Jasmin hatte den Arm um sie gelegt und versuchte zu trösten: „Du wirst es überstehen. Wir alle haben es schon überstanden. Es bleibt einem nicht erspart, irgendein Anlass findet sich immer.“

Maria seufzte schwer. „Ja, ich weiß. Und natürlich werde ich es überstehen. Aber weh tut’s halt doch.“ Sie ließ sich in einem Sessel nieder, wobei sie das Gewand hinten hochraffte und das bisschen Stoff mit geübter Handbewegung wie einen Schleierkranz um sich herum drapierte. Die anderen setzten sich auf die gleiche Weise und wie selbstverständlich öffneten sich ihre Knie, natürlich auch bei Claudia, die auf ein Sofa beim schwarzen Schrank sank und Silvia mit einladendem Blick den Platz neben sich anbot.

Zögernd hob Silvia das zarte Gewand hinten hoch und verschämt setzte sie sich hin, spürte das kühle Leder am nackten Po und nahm die Knie auseinander, es war tiefe Schmach. Einziger Trost war, dass die anderen ja auch so saßen, fast unbekümmert, wie es den Anschein hatte, offenbar gewöhnte man sich daran. So weit aber war Silvia noch nicht. Immerhin gab es das Buch der Regeln in ihren Händen, mit dem sich der offene Schoß bedecken ließ, also war es zu etwas nütze. Diese Regeln, die anscheinend das Dasein hier bestimmten! Vielleicht handelte es sich doch um die Zehn Gebote, aber nein, um Erhabeneres noch, da sie im Unterschied zu diesen tatsächlich eingehalten wurden.

 

Bis Donnerstag musste sie die Texte kennen, es gab kein Entrinnen, Marias Beispiel sorgte für Motivation. Vorsichtig, als öffne sie die Büchse der Pandora, schlug sie das Buch auf. Sie sah eine große, verschnörkelte Schrift auf gelblichem, dickem Papier, fein säuberlich zentriert, die Regelnummer fettgedruckt und die einzelnen Absätze durch Leerzeilen voneinander getrennt. Es war ein sorgfältig gestaltetes Werk, das sie mit wachsender Verstörtheit zu lesen begann.