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Der moderne Knigge

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Nach meiner Meinung ist das Frühkonzert etwas für Verräter. Denn, wie ein Bibelwort sagt, der Verräter schläft nicht. Er kann also in aller Frühe nichts besseres thun, als aufstehen und ein Frühkonzert besuchen. Man wird es ihm gönnen.

Wenn man versuchen will, festzustellen, ob man am andern Tag Glück hat, oder nicht, so nehme man sich schon am Abend vor, am folgenden Morgen ein Frühkonzert zu besuchen. Vielleicht verschläft man‘s und hat den ganzen Tag Glück.

Man sage im Frühkonzert jedem, der es wissen will, daß man ein passionierter Frühkonzertbesucher sei. Sonst wird angenommen, man habe Wanzen, könne deshalb nicht schlafen und sei nun infolgedessen ein so frühzeitiger Musikfreund. Trifft dies zu, so sei man überzeugt, daß man im Frühkonzert von irgend einem anderen Ungeziefer geplagt wird.

Man nehme in das Frühkonzert aus der Apotheke ein Mittel gegen Mückenstiche mit. Es ist aber nicht so nützlich wie das Konzertprogramm, das man an der Kasse bekommt.

Wer verliebt ist und nichts lieber hat als ein Rendezvous, bei welchem ein Pärchen von allen Seiten scharf beobachtet wird, der entschließe sich rasch zu einem Stelldichein im Frühkonzert. Es wird ihm nichts zu wünschen übrig bleiben.

Ist man mit einem Kater aufgewacht und möchte ihn nicht los werden, so führe man ihn ins Frühkonzert und man wird ihn wohlbehalten wieder mit nach Hause bringen. Er braucht zu seiner Erhaltung kaum etwas mehr als um sieben Uhr in der Frühe ein Potpourri, und eine Ouverture gegen halb acht Uhr. Oft genügt schon das eine.

Eheleute, welche sich gerne schon in aller Frühe zanken, ist der Besuch des Frühkonzerts nicht zu empfehlen, da die Musik mit ihrem besänftigenden Wesen den ehelichen Streit nur stört, nicht beseitigt. Oft facht sie den Zank auch noch zu hellerer Flamme an, wenn das Orchester gewisse Nummern des Programms erledigt, deren Inhalt provoziert und reizt. Hier seien Ehepaare namentlich dringend gewarnt vor dem Prügelchor aus den Meistersingern, dem Gedankenaustausch zwischen Ortrud und Telramund aus dem Lohengrin, den Zankduetts aus der Angot und den lustigen Weibern, dem Sängerkrieg und der großen Kampfscene aus dem dritten Akt der Hugenotten, welche schon Scheidungen zur Folge hatten. Sie sind daher nur Ehepaaren, welche sich mit Musikbegleitung trennen wollen, zu empfehlen.

Will man sich davon überzeugen, wie wenig fruchtbar auch ein Regen sein kann, so warte man solchen im Frühkonzert ab. Denn dieses wird dann im Saal fortgesetzt.

In vielen Familien wird von den Hausfrauen das Eintreffen des Sommers durch eine beliebte Ceremonie, genannt das Einmotten, gefeiert. Dieses besteht darin, daß die Damen-, Herren- und Kindergarderoben und andere Textilgegenstände des Hauses mit scharfriechendem Pulver vollgestreut werden, wodurch, wenn das Pulver nicht ganz frisch und obenein nicht echt ist, den Motten verraten wird, wo ihr Futterplatz sich befindet. Solchen Tag nutze man in seiner Eigenschaft als Gatte aus, indem man sich entfernt und erst spät abends heimkehrt. Freunde mit guten Nasen wird man sich vom Leibe halten, so daß man ganz frei ist. Am folgenden Tag wird man diese Komödie wiederholen, so daß die Gattin und Kinder ungestört niesen können.

Es werden Wiederholungen stattfinden, bis der Verein gegen Tierquälerei sich der Motten annimmt und zwar natürlich ohne Erfolg. Doch spricht ein anderer Grund gegen das Einmotten. Da der Wäscheboden eine große Anziehungskraft auf die städtischen Diebe, Flatterfahrer genannt, ausübt, so wird diese Kraft dadurch verstärkt, daß das auf dem Wäscheboden in Sicherheit gebrachte Eingemottete ein charakteristisches Aroma ausströmt, aber nicht stark genug, die Diebe fernzuhalten, sondern nur stark genug, ihnen den Schlupfwinkel der Garderobenstücke zu verraten. Man lasse also die Gattin alles sorgfältig einmotten und versichere sich dann gegen Einbruch.

Sind im Herbst die eingemotteten Sachen noch vorhanden und nicht nur die Motten, sondern auch die eingemotteten Sachen verdorben, so braucht man nur diese Sachen neu anzuschaffen, da die Motten aus eigenem Antriebe wieder erscheinen.

Sehr beliebt und allgemein verbreitet ist auch, wenn der Sommer gekommen ist, das Einkleiden der Möbel und Gaskronen, wodurch die Wohnung ein ödes Ansehen erhält und einen sehr ungemütlichen Eindruck macht. Dies verhindert indes nicht, daß während der Abwesenheit der Bewohner die Etage ausgeräumt wird, bei welcher Gelegenheit dann den Einbrechern auch die Möbelbezüge in die Hände fallen, worauf sie aber keinen Wert legen.

Finden in der Wohnung der Verreisten Dienstbotenfeste statt, so schonen die Dienstboten die Bezüge der Möbel dadurch, daß sie dieselben für den betreffenden Abend entfernen und dadurch der Wohnung wieder einen freundlichen Charakter verleihen. Den Dienstboten erwachsen dadurch keine Kosten.

Familien, welche auf Ordnung halten, dürfen während ihrer Abwesenheit aus zwei Gründen vollkommen ruhig sein. Wurde die Wohnung ausgeräumt, so ist es gut, daß sie nicht zugegen waren, da sie nicht wissen können, was, wenn sie zugegen gewesen wären, die Einbrecher ihnen zugefügt hätten, und ist die Wohnung von Einbrechern verschont geblieben, so finden sie die Mobilien und Gaskronen wieder eingekleidet vor, als sei nichts vorgefallen.Will man bis zum Herbst in einem recht häßlichen Milieu wohnen, so läßt man die Möbel sorgfältig eingekleidet und entblößt sie nur, wenn man Freunde bei sich sieht.

Hat man Freunde, welche sich auch im Sommer nach Kopfschmerzen sehnen, so bereitet man wie alljährlich eine Bowle und ladet die Freunde dazu ein. Da die Kunst, eine Bowle zu bereiten, wenig verbreitet und mancher Bowlenanfänger zu stolz ist, seine Schülerhaftigkeit einzugestehen und einen Kenner zu Rate zu ziehen, so giebt es kaum etwas, was mit größerer Sicherheit zu erwarten ist, als die besagten Kopfschmerzen.

Versteht der Bowlenfreund nichts von der Kunst, eine Bowle so zu bereiten, daß sie kein Unheil anrichtet, so hat dies den Vorteil, daß er in der Wahl der Bowle nicht beschränkt ist. Er kann zu einer Erdbeer-, einer Pfirsich- oder einer Ananas-Bowle einladen, immer werden seine Freunde am folgenden Morgen mit Kopfschmerzen aufwachen.

Wo der Bowlenstümper eine Quelle kennt, woselbst er die besten Zuthaten zur Herstellung einer wohlerzogenen und umgänglichen Bowle findet, wird er sie bestimmt vermeiden. Der moderne Knigge hat darin durch viele Sommer das Erstaunlichste leisten sehen.

Will der Bowlenlaie für seine zerrüttende Thätigkeit obenein gelobt sein, so fragt er die eingeladenen Opfer, wie ihnen die Bowle schmecke. Die Antwort wird in den meisten Fällen eine unbedingt lobende sein. Dies liegt daran, daß ein Bowlendilettant allgemein gefürchtet wird, weil ein Mann, auch der mit unbescholtenstem Vorleben, der eine schlechte Bowle herstellt, zu allem fähig erscheint.

Der Bowlenpfuscher zeichnet sich dadurch nicht vor allen auf anderen Gebieten wirkenden Pfuschern aus, daß er in einem Tadel nichts als Neid sieht, den Tadel nicht ernst nimmt und den Tadler für einen Nichtskönner hält. Antwortet man ihm auf seine Frage, wie man die Bowle finde, daß man sie nicht so schlecht machen könne, wie er sie selbst gemacht habe, so wird er, wenn alle Mittrinker derselben Meinung sind, in diesem Urteil nichts als den gemeinsten Bowlenneid erblicken. Trotzdem wird er leider den Beurteiler wieder einladen, denn der Bowlentyrann kennt keine Nachsicht.

Wird auf den Bowlenwirt getoastet, so stimmt alles begeistert ein, weil ihn dies zum Trinken animiert und er dadurch gleichfalls den Kopfschmerzen nicht entgeht.

Wenn unser Finanzminister schon etliche unverdauliche Bowlen hinter sich hätte, so würden wir längst eine Bowlensteuer und ein Gesetz haben, nach welchem der Bowlenfabrikant den Befähigungsnachweis zu liefern hätte. Daß dies nicht der Fall ist, beweist leider, daß unser Finanzminister noch niemals unter traurigen Bowlenverhältnissen gelitten hat.

Unsere Bowlengesellschaften, an deren Spitze ein unfähiger Bowlenist steht, brauchen ferner die Unfallversicherung, die Invalidenversorgung, eine Krankenkasse und die Entschädigung unschuldig zum Mittrinken Verurteilter.

Werden die Gläser zum ersten Mal vollgeschenkt, so greife man nicht sofort zu, sondern warte erst, bis etliche mutige Männer getrunken haben, von denen man weiß, daß sie keine Bowlengigerl sind. Erst wenn man sich überzeugt hat, daß diese Vortrinker nicht um sich schlagen und nicht nach Waldmeister, Mosel, Zucker, Cognac und anderen Ingredienzen schreien, dann erst greife man mutvoll zu und trinke vertrauensvoll in die Zukunft. Dagegen lege man auf das Lob des Wirtes nicht eher Wert, als bis er den Besten seiner Zeit genug gethan hat oder wenn ihm ein guter Bowlenruf vorangeeilt ist. Sonst ist er ein Bowlenfänger.

Ist die Bowle gelungen, so wird man bemerken, daß man alle Anekdoten, welche erzählt werden, neu und gut findet, obschon sie alt und schlecht sind. Dies ist die Macht der gelungenen Bowle, nicht die der alten und schlechten Anekdoten.

Wird ein Trinker im Laufe der Bowle sehr mitteilsam oder geschwätzig, so höre man nicht zu, denn dieses schadet der Bowle nichts, wenn sie gut ist.

Trinker, welche nach dem vierten Glas zärtlich zu werden und das Brüderschafttrinken zu kriegen pflegen, bekommen solche Zustände namentlich bei der Bowle. Ist man ein Mann, dem selbst die zärtlichsten Männer gleichgültig sind, so habe man Geduld mit ihnen, denn solche Trinker fallen gewöhnlich bald unter den Tisch.

Gehören Damen zur Bowlenrunde, so sage man ihnen, es schade ihnen die Bowle nicht, sie könnten trinken nach Herzenslust. Dies wird von ihnen nicht geglaubt, und sie trinken daher mehr als sie vertragen können. So reizend eine Frau ohne Spitz sein kann, so reizend kann eine Frau mit einem Spitz sein.

Der Stadtbewohner, der seine Gäste auf dem Balkon bewirten kann, leistet ihnen einen doppelten Dienst, denn sie können sich einbilden, daß sie einige Stunden im Freien zugebracht haben, wobei niemand daran denkt, was alles in der Stadt Aufenthalt im Freien genannt wird.

 

Hat man in einer mehr oder weniger engen Straße einen Balkon, so schätze man sich glücklich, wenn die gegenüberliegende Etage nicht von Neugierigen bewohnt wird. Allerdings giebt es solche Etagen nicht.

Behauptet man, keine neugierigen Nachbarn zu haben, so werden dies nur die Nachbarn bestätigen. Aber beides ist falsch. Denn man behauptet nicht, keine neugierigen Nachbarn zu haben, und der Nachbar, welcher beschwört, sich niemals um seine Nachbarn zu bekümmern, ist unbedingt kein Feind von Meineiden.

Kann man sich dessen nicht erinnern, was man gestern auf dem Balkon gethan hat, und möchte es gern wissen, so frage man nur die gegenüberwohnende Familie, von der man es genau erfahren kann, nachdem sie versichert hat, daß sie sich niemals um das Thun und Treiben der Nachbarn bekümmere. Nur wie durch ein Wunder ist sie gestern veranlaßt worden, ausnahmsweise hinüberzuschauen, da dies täglich wie durch ein Wunder geschieht.

Ist die Straße so breit, daß der Balkon von den Bewohnern des gegenüberliegenden Hauses nicht inspiziert werden kann, so haben sie einen vortrefflichen Operngucker, welcher viel seltener für die Oper verwendet wird.

Trinkt man allein den Kaffee auf dem Balkon, so hüte man sich, dem Dienstmädchen, das das Frühstück bringt, zu sagen, es solle die Zeitungen oder die Cigarren bringen, wenn man nicht, wie es wohl anzunehmen ist, vom gegenüberliegenden Haus die Nachricht verbreiten hören will, man habe mit dem bekanntlich sehr hübschen Mädchen ein Verhältnis. Denn solch ein Gerücht kann viel unangenehme Folgen nach sich ziehen, und man kann auch bedauern, daß es nicht wahr ist.

Ist man verheiratet und sitzt man dann und wann neben der Gattin auf dem Balkon, so lese man derselben, wenn dies überhaupt geschieht, nicht zu laut aus Büchern oder Zeitungen vor, damit von den Gegenübern nicht behauptet werden kann, man zanke sich den ganzen Tag mit der Gattin.Will man es riskieren, daß dies mit dem Zusatz geschehe, es komme auch zuweilen von des Gatten Seite zu Thätlichkeiten, so hüte man sich nicht, auf dem Balkon die Gattin zu umarmen. Andernfalls warte man damit, bis man mit der Gattin in einem Hinterzimmer zusammentrifft.

Besitzt man einen Papagei, welcher dann und wann Beweise seiner Eloquenz liefert, indem er einige Schimpfwörter wiederholt, so stelle man ihn nicht auf den Balkon, denn die Nachbarn könnten fähig sein, die Schimpfwörter nicht persönlich zu nehmen, wodurch der Papagei ziemlich überflüssig erscheint und man viel weniger Vergnügen als früher von ihm hat.

Will man in der Nachbarschaft als Faulenzer gelten, der sein Geschäft, auch wenn man keines hat, vernachlässige, so braucht man nur häufig auf dem Balkon zu verweilen.

Man hüte sich nur dann, den Balkon gegen die Sonne oder den Regen zu sehr zu schützen, wenn man keinen Wert darauf legt, daß gegenüber behauptet wird, man führe ein Leben, das sich ängstlich zu verbergen habe.

Aber auch von den Sehenswürdigkeiten der Stadt, welche man bewohnt, mache man einen zweckmäßigen Gebrauch, was bekanntlich nicht immer der Fall ist.

In erster Linie sind es Türme, Denkmäler und öffentliche Gebäude, welche bestiegen werden können, auf die der moderne Knigge empfehlend hinweisen muß, und zwar im Interesse derjenigen, welche selbst nie daran denken, sie zu besteigen.

Will man sommerliche Besucher für ganze Vormittage los sein, wie dies wohl der sehnlichste Wunsch jedes zärtlichen Verwandten und gastfreundlichen Mannes ist, so frage man sie bei ihrer Ankunft, ob sie sich nicht zuvörderst einen Überblick über Stadt und Umgegend verschaffen möchten. Man schildere solchen als geradezu bezaubernd, besonders wenn dies nicht der Fall ist, und die Besucher werden darauf eingehen. Hierauf schicke man sie auf irgend eine Höhe, die zu erreichen so anstrengend ist, daß die Besucher auch für den folgenden Nachmittag genug haben. Auch dies ist vorteilhaft.

Ist man einer dieser Besucher, so merke man die Absicht, werde aber nicht verstimmt, um den Freund nicht zu erzürnen, da man ihn doch noch für das Parterre der Stadt nötig hat.

Ist man klug, was man als Besucher allerdings nicht zu sein pflegt, so sage man, man besteige sofort das Siegesdenkmal, das Rathaus, den Aussichtsturm oder was man sonst erklimmen soll, bleibe aber unten und gehe in ein zu ebener Erde gelegenes Wirtshaus, wo man über die Herzlosigkeit des Verwandten bei kühlem Getränk bequem den Kopf schütteln kann.

Hat man die Höhe erklettert, so finde man die Stadt und Gegend, aus der Vogelperspektive betrachtet, ungemein interessant, um wenigstens etwas von der Mühe des Steigens zu haben. Dies thue man, wenn man gefragt wird. Unter zwei Augen kann man dann die Wahrheit sagen und dazu Beleidigungen laut werden lassen, um den Ärger über den erlittenen Ungenuß zu erleichtern.

Ist man im Sinne des Frankfurters, der von dem Verfasser des »Faust« sprach, ein Hiesiger und braucht einen Sporn, um doch endlich einmal die Stadt vom Turm &c. aus anzusehen, so denke man sich, man treffe vielleicht einen Sachsen oben und beginne hoffnungsvoll den Aufstieg. Reift dieser Blütentraum, so wird man sich gut unterhalten wie überall, wo ein Sachse ist.

Oben angekommen hat man vielleicht das Begehren, Fragen beantworten zu müssen, die man nicht beantworten kann. Dann sage man den anwesenden Fremden, daß man hier geboren sei. Alsbald wird man einsehen, daß man seine Geburts- oder zweite Vaterstadt garnicht kennt.

Werden am folgenden Tag die Verwandten einen anderen Turm oder ein anderes städtisches Bauwerk besteigen, wie man es ihnen raten wird, so ist man ein Glückspilz, den dann Ägyptens König, wenn er ihn besuchte, gleichfalls sofort verlassen würde, um sich schnell einzuschiffen, weil ihm vor der Götter Neide graute. Aber gewöhnlich lassen sich die Verwandten nicht auf eine zweite Besteigung ein, und man ist ein Pechvogel.

Zu den beliebten Sommerunterhaltungen ist das Kegeln zu zählen, welches ein Gesellschaftsspiel ist, das entweder im Freien oder in einem Garten auf gedeckter Kegelbahn getobt wird. Außer dem Kegeljungen gehören dazu mehrere nur mittelmäßige Kegler, wenn man mit Erfolg kegeln will. Nach dem Urteil eines Meisterkeglers ist das Kegeln nämlich sehr gesund, wenn man gewinnt.

Trägt man gute und saubere Wäsche, so hält man es auch für gesund, vor dem Beginn des Spiels Rock und Weste abzulegen. Wer dies nicht thut, hält es gewöhnlich für gesundheitschädlich, minderwertige oder gar unsaubere Wäsche sehen zu lassen.

Will man sich bei guten Kegelspielern beliebt machen, so schiebt man die bekannten Kegeltiere Sandhase und Ratze. Geschieht dies oft oder gar gewohnheitsmäßig, so darf man sicher sein, immer wieder eingeladen zu werden und zwar unter der Versicherung, man sei ein liebenswürdiger Gesellschafter.

Will man die Nerven auf eine Generalprobe stellen, um sie zu prüfen, ob sie stark genug sind, in schwierigen Momenten Widerstand zu leisten, so höre man zum tausendsten Mal die sich immer gleich bleibenden Scherze, Redensarten und Bemerkungen, welche von einigen lieben Mitkeglern zu dem großen Vergnügen beigesteuert werden, ohne daß man die Geduld verliert. Schon beim neunhundertsten Mal kann man sagen, daß man Nerven wie Schiffstaue hat.

Will man nicht unangenehm auffallen, so komme man mit keinem neuen Scherz auf die Bahn. Trotzdem das Kegelspiel erst vor etwa sechs Jahrhunderten zuerst erwähnt worden ist, stehen doch Scherze und Anekdoten, welche kaum so alt sind, bei den Keglern in hohem Ansehen.

Trotzdem es Kegelklubs aller politischen Richtungen giebt, herrscht doch in keinem der Respekt vor dem König. Von den konservativen Keglern wird der König mit demselben Behagen umgestoßen, wie von den anarchistischen. Nimmt man nun an, daß eines Tages nicht in der gutgesinnten Presse gegen diesen Unfug Protest erhoben werden wird, so beweist dies, daß man die Menschen, welche dekoriert sein möchten, nicht kennt.

Der Kegler, nach der Unterhaltung auf seiner Bahn nur oberflächlich beobachtet, ist gewöhnlich ein Lebemann und Don Juan. Das hindert ihn aber nicht, mit Aufbietung aller Intelligenz und Willenskraft das weibliche Geschlecht vom Kegeln fernzuhalten. Die Frauen, welche sich bereits aus ihrer bisherigen Hilflosigkeit zu den Höhen der Omnibusse emporgeschwungen haben, die offenen Thüren des Sports einrennen und auf dem Wege zur Gleichstellung mit den Männern immer weiter radeln, an der Holzwand der Kegelbahn müssen sie Halt machen, so sehr überzeugt sie sind, daß sie ein Keglerkostüm sehr schön kleiden würde. Ja, wenn die Kegler nicht so klug wären!

Ist man verheirateter Kegler, so schwebt man in einer gewissen Angst, daß die Frauen eines Tages auch in die Kegelbahn eindringen. Damit verlöre man eine der letzten Freistätten, die vor den Frauen sicher sind, und man hätte dann kaum noch einen Ort, wo man gewesen sein kann, wenn man anderswo gewesen ist.

Wenn sich der moderne Knigge erst jetzt den Weltausstellungen zuwendet, so liegt dies daran, daß sie nicht allsommerlich erscheinen, sondern nur von Zeit zu Zeit nicht fertig sind, wenn sie eröffnet werden.

Um die Weltausstellung umsonst besuchen zu können, sei man kein Aussteller. Hierauf berechne man, wieviel man aus dem Fenster geworfen hätte, wenn man Aussteller gewesen wäre, und für diese Summe oder für einen Teil dieser Summe unternehme man alsdann die Reise zur Ausstellung. So macht man sie umsonst.

Will man in ein Besuchergedränge geraten, in welchem es kein vernünftiger Mensch auszuhalten vermag, so wähle man die Zeit, wo Extrazüge auf die Stadt der Weltausstellung losgelassen werden.

Kommt man daselbst an und findet keinen Platz im Hotel, so sei man nicht gleich trostlos, man wird auch in einem Privatlogis geprellt. Dies wird man auch wieder in Paris bestätigt finden, woselbst die nächste Weltausstellung stattfinden wird und schon Anstalten getroffen werden, den Besuchern nicht mehr Geld abzunehmen, als sie besitzen.

Spricht man nicht perfekt französisch, so schadet es nichts, denn man verrät auch, daß man kein Franzose ist, wenn man etwas perfekter spricht.

Nimmt man sich vernünftigerweise vor, nicht alles sehen zu wollen, was in der Weltausstellung zu sehen ist, so gehe man womöglich zweimal täglich hinein. Dann sieht man auch von dem Wenigen, was man sehen will, nicht alles.Will man seine Abende nicht verlieren und aus diesem Grunde kein Theater besuchen, so gehe man abends an die Kasse, woselbst man kein Billet mehr bekommt.

Trifft man auf einem öffentlichen Ball eine reizende Dame, von deren unschuldigem Aussehen man entzückt ist, so warte man fünf Minuten und ihr Geliebter wird erscheinen. Entfernt sich dieser, so warte man drei Minuten und ihr zweiter Geliebter wird erscheinen u. s. w., bis der sechste erschienen sein wird.

Man spreche nicht vom deutsch-französischen Krieg, denn man kann auch durch andere Gespräche große Unannehmlichkeiten haben.

Ist man eines Tages zu einer recht großen und originellen Dummheit aufgelegt, so spreche man mit einem Pariser über Dreyfus. Aber man wird es nicht wiederthun.

Ist man mit der Gattin in Paris, so besuche man mit ihr kein Tanzlokal, das man als Junggeselle besucht hat. Denn die anwesenden Cancaneusen haben ein gutes Gedächtnis und, um das Deine aufzufrischen, erinnern sie Dich vielleicht daran, daß Du ihnen noch ein Souper schuldest. Das ist Deiner Gattin ganz angenehm, weil es sich nur um ein Souper und um kein Armband handelt, aber es handelt sich doch vielleicht diesmal um kein Souper, sondern um ein Armband für die Gattin.

Wird man in einem Magazin für einen Russen oder einen Türken gehalten, so hat man dies gewiß selbst dadurch verschuldet, daß man französisch sprach. Dies führt die echten Pariser meist irre.

Will man sehen, wie Frankreich seine Helden verehrt, so besuche man das Grab Napoleons im Invalidenhotel, und wenn man sehen will, wie Frankreich seine Helden verunehrt, so betrachte man die Napoleonssäule auf der Place Vendôme, welche 1871 umgeworfen wurde.Begegnet man in der Weltausstellung einem General, vor dem jeder den Hut zieht, so mache man keine malitiöse Bemerkung, welche ihn beleidigen könnte, denn er ist vielleicht kein Fälscher.

Will man sich eine peinliche Scene ersparen, so antworte man in der Vorstellung des »Lohengrin« im Pariser Opernhause seinem Nachbar nichts, wenn er versichert, Richard Wagner sei ein geborener Franzose und durch ein widriges Schicksal nach Deutschland verschlagen. Ein Widerspruch, eine Berichtigung, oder gar ein Lachen würde den Pariser schwer verletzen und veranlassen, daß man wegen Beleidigung der französischen Nation als Prussien gelyncht wird.

 

Wird man in der Ausstellung von einer Dame begrüßt, die man nicht kennt, so sage man ihr: Sprechen Sie mit meiner Mutter! und lasse sie in ihrer Verblüffung stehen.

Um die französische Sprache zu erlernen, kann man zwei Wege einschlagen: man mache entweder die Bekanntschaft einer Pariserin, oder nehme Unterricht bei einem Sprachlehrer. Jener Weg ist der teuerste und auch der unsicherste, dieser Weg ist der billigere und ebenso unsicher.

Geht man mit einem Freunde in Paris spazieren, so sage man ihm fortwährend, daß man auf historischem Boden sich befinde, indem hier ein Straßenkampf, dort eine Hinrichtung stattgefunden haben. Es ist immer richtig, und die Bemerkung macht auf den Freund einen guten Eindruck.

Will man wenig essen, durch den Preis aber den Eindruck empfangen, als habe man für Drei gespeist so diniere man in der Ausstellung.

Will man Verrückte sehen, so besuche man aristokratische Gesellschaften und antworte auf die Frage, woher man sei: Aus St. Petersburg. Sofort wird man auf Händen getragen und besser bewirtet, als die Anderen.

Man werfe nicht leichtsinnig mit dem Gelde, sondern drehe jedes Zwanzigfrancstück, bevor man es ausgiebt, erst dreimal in der Hand um. Es hilft aber wahrscheinlich nichts.

Hat man keine Lust, den Ehebruch darstellen zu sehen, so gehe man nicht ins Theater.

Will man einen klaren Begriff von der Dauer der Ewigkeit erhalten, so freue man sich, die Bekanntschaft einer Pariserin zu machen, von der man sofort den Eid ewiger Treue empfängt. Geschieht dies mittags, so weiß man schon abends nach 10 Uhr, wie lange die Ewigkeit gedauert hat.

Da die Franzosen als die Wirte zu betrachten sind, bei denen man während der Weltausstellung zu Gast ist, so verletze man sie auch da nicht, wo dies schwer zu vermeiden erscheint. So versichere man in der deutschen Ausstellung nicht, daß die Meister der ausgestellten deutschen Kunstwerke geborene Deutsche sind, wenn die anwesenden Franzosen selbstverständlich erklären, sie seien Franzosen, weil sämtliche Künstler Franzosen sind. Man entschuldige sich, gebe es zu und freue sich, so gut davongekommen zu sein.

In einer befreundeten Familie bewundere man auch die schönste Pendule nicht, wenn sie nicht befürchten soll, man wolle sie stehlen, obschon sich nichts weniger zum Mitnehmen eignet, als eine Pendule. Aber seit dem Jahre 1870 glauben die Franzosen, daß sich wenige Wertgegenstände so leicht stehlen lassen wie Pendulen und am leichtesten sich in Tornistern transportieren lassen.

Will man seine Freunde, welche den Eiffelturm bestiegen haben, nicht kränken, so erzähle man ihnen, daß man gleichfalls hinaufgestiegen sei, auch wenn man es unterlassen haben sollte. Denn es ärgert sie, daß man vernünftiger gewesen ist und sich dieser Strapaze nicht unterzogen hat.

Hat man das Begehren, als perfekter Cancantänzer nach Hause zu kommen, so gehe man anstatt auf einen öffentlichen Ball in den Jardin des plantes und sehe alles den Affen ab. Diese beschämen in dieser Kunst jeden Pariser.

Macht ein Franzose große Worte, so versuche man nicht, größere zu machen, weil dies unmöglich ist.

Will man einem Pariser eine Freude machen, so kaufe man in seiner Gesellschaft in der Weltausstellung eine Cigarrenspitze als Andenken an Paris mit dem Bemerken, man wolle immer an die Spitze der Civilisation erinnert sein.

Man finde nicht, daß auch Paris seine Mängel habe, wie jede andere Stadt. Man finde lieber, daß alle Mohren weiß sind.

Will man seine Familie und Freunde nicht betrügen, so achte man darauf, daß man in der Weltausstellung keine Geschenke für sie kaufe, die deutsches Fabrikat und mit französischer Etiquette versehen sind. Da sich dies aber schwer erkennen läßt, so kaufe man lieber nichts.

Ist man ohne Gattin in Paris und will ihr eine Freude machen, so schreibe man ihr, man lebe trotz der Ausstellung sehr still und zurückgezogen. Da sie darüber ungläubig lächelt oder lacht, so hat man ihr also eine Freude gemacht.

Will man in der Heimat etwas erzählen, was niemand glaubt, so berichte man, man sei trotz der in Paris herrschenden Teuerung dort nicht nur mit dem Gelde ausgekommen, sondern habe noch eine namhafte Summe wieder mitgebracht. Es ist dies zur Befestigung des Rufes der Solidität, dessen man sich ohne Grund erfreut, zwar sehr klug erdacht, aber geglaubt wird es trotzdem nicht.Selbstverständlich hat man Abenteuer zu erzählen, welche aber meist so ungeschickte Erfindungen darstellen, daß sie nicht nur nicht geglaubt werden, sondern daß der Erzähler auch als ein unverschämter Aufschneider bezeichnet wird. Dies ist zu vermeiden. Es giebt hervorragende Erscheinungen in der Männerwelt, z. B. die Weinreisenden, denen auf der Reise und zwar nur auf der Reise und in allen Städten mit alleiniger Ausnahme der Stadt, in der sie wohnen, fortwährend Abenteuer begegnen, indem ihnen alle Frauenherzen zufliegen und infolgedessen alle Väter und Gatten mit geladenem Revolver nachstellen. Man glaubt ja bekanntlich solchen verteufelten Weinreisenden alles, weil man doch am Ende nicht dabei war, als ihnen die Abenteuer nicht begegneten, und weil man auch, wenn sie den Rücken drehen, ungläubig lächeln, den Kopf schütteln und die Achsel zucken kann. Auch Schauspieler und Sänger leiden an übermäßigem Glück bei Frauen. Ist man also kein Weinreisender und weder Schauspieler noch Sänger, welche sich das schöne Vorrecht einräumen, die tollsten Abenteuer nicht nur zu erzählen, sondern solche auch nicht zu erleben, so sei man recht vorsichtig. So erzähle man keinenfalls den Inhalt der französischen Possen, wie des »Schlafwagen-Kontrolleur« und anderer, als sei man selbst der Held der in diesen Possen dargestellten Vorgänge gewesen, da diese Bühnenwerke überall gegeben werden, unglaubliche Erlebnisse darstellen und man sich also leicht unheilbar blamieren kann. Auch unterlasse man es, sich als das Opfer des Chauvinismus und Deutschenhasses der Pariser darzustellen, daß man nur durch ein Wunder der Lynchjustiz entgangen und fast in einem blutigen Lied Déroulèdes dem unauslöschlichen Haß der Nation preisgegeben worden sei. Dagegen erzähle man, wenn man als Don Juan angestaunt sein will, ein Abenteuer, das diesem in der gleichnamigen Oper passiert: Man habe in Paris einer gewissen Zerline nachgestellt und einen Korb erhalten. Man kann dies auch aus anderen Hauptstädten erzählen, in denen eine Ausstellung stattfand, die man besuchte. Oder ähnliches, was glaubwürdig klingt. Auch daß man von einer Dame geplündert und von einem ihrer Freunde obenein durchgeprügelt und hinausgeworfen worden sei, wird gern geglaubt. Dagegen suche man für einen Roman, den man erlebt haben will und den der Hörer glauben soll, einen Dümmeren, den man aber nicht finden wird.

Wer in Paris gewesen ist, erzählt in der Heimat gern, große Schriftsteller und Dichter auf den Boulevards und in den Theatern gesehen zu haben, oder ihnen vorgestellt zu sein. Hierbei ist Vorsicht anzuwenden, damit man nicht solche Berühmtheiten nenne, deren Träger längst tot sind. Victor Hugo und die beiden Dumas habe man unter keiner Bedingung gesehen. Die übrigen zu nennen, welche nicht mehr am Leben sind, ist nicht die Aufgabe des modernen Knigge. Nochmals: Vorsicht!

Ist das Wetter ein echtes Sommerwetter, so wird man sich leicht erkälten, einerlei, ob man auf Reisen oder daheim sei. Hier merke man sich genau, daß es gegen den

Husten ungemein viele Mittel giebt. Man eile also in eine Apotheke, woselbst man sie sicher findet. Namentlich wird in dem angenehm duftenden Lokal der Apotheker selbst oder einer seiner Gehilfen die teureren Mittel als besonders unfehlbar empfehlen. Man kaufe heute eines, ein anderes morgen und übermorgen ein drittes, wodurch man in der Apotheke ein gerngesehener Gast wird, ein kleiner Trost dafür, daß keines dieser drei Mittel irgend etwas hilft.