Der Milliardär und der Mechaniker

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Golden Gate Yacht Club
Februar 2001

Während Norbert im Eingang zum Golden Gate Yacht Club stand, lächelte er breit und schüttelte dem groß gewachsenen jungenhaften Bill Erkelens die Hand. Die beiden lachten gemeinsam über Erkelens kleine Tochter Ashley, die einen ihrer Schuhe verloren hatte.

Erkelens war aus Ventura in Südkalifornien heraufgeflogen, wo Oracle ein temporäres Basiscamp und eine eigene Werft errichtet hatte, um die nationalen Cup-Bestimmungen zu erfüllen. Die schrieben auch vor, dass Teammitglieder ihren Wohnsitz mindestens sechs Monate vor dem Wettbewerb in den USA haben und das auch nachweisen können müssten. Erkelens wollte Norbert persönlich kennenlernen. Und Norbert war erpicht darauf herauszufinden, ob Erkelens echt war.

Sie gingen in den Club, und Norbert präsentierte stolz den Pokalraum im Keller mit seinen gediegenen alten Holzböden und den Bildern früherer Kommodores mit ihren Mützen. Dann stiegen die beiden die mit Teppich belegten Treppenstufen hinauf in die Bar mit ihrem Ausblick über die Stege.

Es wurden Snacks und Soda serviert. Norbert und Ned Barrett nahmen mit Erkelens am Kommodore-Tisch in einer Ecke am Fenster Platz. Ashley tapste umher und entlockte Norbert ein Lächeln. Sie lockerte die Atmosphäre in willkommener Weise auf. Norbert war nervös. Er spielte hier sicher nicht in seiner Liga. Erkelens empfand den Clubraum als einladend und makellos. Er war beeindruckt von der Aussicht. Er mochte Norbert und den Vizekommodore, der mit einem Bostoner Akzent sprach, auf Anhieb. Barrett schwärmte von seinem eigenen Boot. Der Chris-Craft-Klassiker von 1966 war eines der ersten Glasfaser-Boote gewesen. Erkelens kannte den bescheidenen Yacht-Club, der sich am Ende der Straße hinter dem Leuchtturm versteckte. Obwohl er im St. Francis Yacht Club groß geworden war, hatte er doch immer die Winterregatta des Golden Gate Yacht Clubs genossen. Ihm gefielen der Geist der Arbeiterklasse und die »Bierdosen«-Regatten an den Freitagabenden, in denen die Segler um »Dosen« oder Marken segelten und zu Freibier und Barbecue in den Club zurückkehrten. Sein Vater Bill Erkelens war 1987 aus dem St. Francis Yacht Club ausgetreten, als man für die Mitglieder einen Sonderbeitrag in Höhe von 5000 Dollar pro Kopf festgelegt hatte, um damit die Cup-Kampagne von Tom Blackaller in Australien zu finanzieren. Blackaller war ein legendärer Charakter, ein herausragender Segler, ein leidenschaftlicher Autorennfahrer und ein Spaßvogel. Sein Spitzname war Charlie Brown. Er war Paul Cayards Mentor gewesen. »Ich mag Tom nicht, und ich werde keine 5000 Dollar für ihn bezahlen«, sagte Erkelens Vater, desertierte und wechselte in den Richmond Yacht Club, der dem Golden Gate Club nicht unähnlich war. Auch er war einst gegründet worden, um sich für bezahlbaren Segelsport einzusetzen. Viele seiner Mitglieder bauten sich ihre Boote und Segel selbst, halfen bei der Entstehung des Clubhauses und richteten ihre eigenen Regatten aus.

»Viele der Clubs haben uns aufgefordert, sie im Vorweg mit Bargeld für ihre Unterstützung zu entlohnen. Das ist etwas, das wir nicht gewillt sind zu tun«, sagte Erkelens. Er wollte Norbert ehrlich wissen lassen, was Oracle Racing zu bieten hatte. »Der Yacht-Club in Los Angeles, ein privater Club, wollte eine Million Dollar vorab. Ich musste sogar einen neuen Anzug kaufen, bevor ich zu Gesprächen dort hingefahren bin. Andere Clubs hatten Haftungssorgen.«

Barrett sagte: »Wir hörten, dass Larry von St. Francis Dinge verlangte, die sie ihm nicht geben konnten.« Er sagte, dass es verständlich sei, wenn Larry Kontrolle wünsche, insbesondere über sein Anrecht auf Verteidigung. »Wir würden das sicher befürworten.«

»Wenn wir diesen Deal machen können«, sagte Erkelens und schaute die beiden Männer an, »dann hätten Larry und ich die folgende Idee: Würde es funktionieren, wenn Oracle Racing und 100 Teammitglieder zahlende Mitglieder eures Yacht-Clubs werden?«

Norbert hatte versucht, ein Pokergesicht aufzusetzen, doch er war noch nie besonders gut darin gewesen. Sein Gesichtsausdruck verriet zu viel. »Wir würden uns geehrt fühlen, die Teammitglieder von Oracle Racing als Mitglieder in unserem Club zu haben«, stammelte er. Er nannte Erkelens die Beiträge und die Aufnahmegebühr und kalkulierte die Summen kurz im Kopf durch. Er realisierte, dass allein die Aufnahmegebühren 200 000 Dollar einbringen würden.

Norbert fügte hinzu, dass der Club sicher alle Ansprüche Oracles erfüllen könne. »Ich bin sicher, dass es eine Win-win-Situation sowohl für Oracle Racing als auch den Golden Gate sein kann.«

Erkelens telefonierte mit dem Anwalt des Teams, seiner Frau Melinda Erkelens. Sie würde sich mit dem Anwalt des Golden Gate Yacht Clubs treffen. Erkelens fragte Norbert nach einer Kurzfassung der Geschichte des Clubs und den jährlichen Regatten. Und er fragte nach einer Liste mit Kontaktinformationen für die Club- und die Vorstandsmitglieder. Seine Mitarbeiter würden eine komplette Bilanzbuchprüfung vornehmen. Norbert hatte Erkelens in einem ihrer ersten Gespräche berichtet, dass der Club schwer verschuldet war. Er wollte, dass Erkelens auch über die negativen Dinge Bescheid wusste, gleichzeitig aber klarstellen, dass der Club »echtes Potenzial und Enthusiasmus« habe. Erkelens zeigte dafür Verständnis, wollte aber später keine unangenehmen Überraschungen für sein Team erleben. Weder finanzieller noch anderer Art. »Sobald wir einen Vorvertrag geschlossen haben, wird der nächste Schritt darin bestehen, dass der Golden Gate Yacht Club seine Herausforderung an die Royal New Zealand Yacht Squadron auf Briefpapier vom Golden Gate Yacht Club aufsetzt«, sagte Erkelens.

Norbert schaute Barrett an. Er wollte es ja gar nicht als Hexenwerk betrachten, konnte aber auch nicht verhindern, sich zu fragen, ob das hier gerade alles wirklich geschah. Erkelens sagte, dass er – nach erfolgreichem Abschuss der Prüfungen – die Überweisung von 300 000 Dollar an Aufnahmegebühren auf das Clubkonto veranlassen würde. Während die Männer sich unterhielten, hatten die Anwälte bereits ihre Startblöcke verlassen.

Erkelens gefiel es, dass der Golden Gate Yacht Club nichts zu verlieren hatte. Und er mochte diesen Kommodore namens Norbert, einen Klimaanlagen-Mechaniker, der mehr natürliche Klasse besaß als viele der Millionäre, mit denen er in der Vergangenheit zu tun gehabt hatte. Norbert begleitete Erkelens und dessen Tochter hinaus zu ihrem Jeep, der zwischen dem Golden Gate Yacht Club und dem St. Francis Yacht Club geparkt war. Er stellte sich die Reaktionen der Leute im St. Francis vor, wenn sie ihn hier mit Erkelens sprechen sehen würden. Die beiden schüttelten sich die Hände, und Erkelens sagte, dass es aussehen würde, als hätten sie alle Voraussetzungen für einen Deal.

Erkelens wusste, dass Larry die Idee vom Golden Gate Yacht Club gefiel. Er fragte sich, ob es wohl etwas damit zu tun habe, dass er in Rufweite des St. Francis Yacht Clubs lag und dass er der sprichwörtlich struppige Köter war, der gewohnheitsmäßig vom reinrassigen Schnöselhund übersehen wurde. Erkelens hatte viele Jahre mit Larry gesegelt. Er kannte Larrys Einstellung: Die besten Dinge geschehen, wenn der Konsens ignoriert wird. Er wusste, dass sein Boss Galileo Galilei dafür verehrte, dass er den Fachleuten seiner Zeit gesagt hatte, dass die Erde nicht das Zentrum des Universums war.

Norbert ging zurück in den Club und nahm an der Bar Platz. »Kneif mich«, sagte er zu Barrett, »das muss ein Traum sein. Ich werde gleich aufwachen, und er wird nicht wahr sein.«

Norbert nahm das Telefon und rief Matlin an. Er bat ihn, die Unterlagen zusammenzustellen, die Erkelens erbeten hatte. Matlin war begeistert von den Entwicklungen. Er ermutigte Norbert, die Dinge Schritt für Schritt anzugehen. Dann berichtete er Norbert von seinen eigenen guten Nachrichten. Er hatte kürzlich der Stadtkasse von San Francisco einen Besuch abgestattet und dort einen Deal ausgehandelt, mit dem er die Steuerrückstände des Clubs erheblich hatte mindern können. Doch Matlin warnte Norbert auch, dass die Zeit für den Golden Gate Yacht Club ablaufen würde. »Das hier ist unser einziges Ticket in den Himmel«, sagte er, »es muss klappen.«

Binnen weniger Tage, nachdem er Erkelens die erwünschten Unterlagen geschickt hatte, erhielt Norbert einen Vertragsentwurf von Oracle Racing. Der Titel des vertraulichen Dokuments ließ ihn auf seinen Stuhl sinken: »America’s Cup XXXI, Herausforderungsund Verteidigungs-Vereinbarung«. Es begann mit Hintergrundinformationen zum Cup und besagte: »Wenn der (unterstützende) Yacht Club und Oracle Racing den Cup 2003 gewinnen, dann wird der Yacht Club Treuhänder des America’s Cups und damit verantwortlich für die Durchführung des folgenden oder der folgenden Matches.«

Norbert war 1,86 Meter groß und zählte ohnehin zu den schlankeren Menschen. Seitdem er zum Kommodore gewählt worden war, hatte er fast sieben Kilo verloren. Er war zu beschäftigt, um zu schlafen, zu vertieft in die Arbeit, um zu essen. Er jonglierte mit den Notwendigkeiten in der Werkstatt, den Ansprüchen seines Vaters, dem Leben zu Hause, zu dem auch Madeleine, eine Katze namens Tatiana und drei erwachsene Kinder gehörten: Die 25-jährige Heidi, der 21-jährige Nicholas und sein 21 Jahre alter Stiefsohn Jason. Dann die Geschäfte des Yacht-Clubs, die ganzen Rechnungen, die Schuldeneintreiber, die mürrischen Mitglieder und die temporeichen und sich ständig verändernden Verhandlungen mit Erkelens, der seinen Milliardärs-Boss Larry Ellison vertrat.

Ein mächtiges Stillschweigeabkommen machte die Angelegenheit im Golden Gate Yacht Club noch schwieriger. Norbert war daran gebunden: Er konnte die Mitglieder nicht darüber informieren, woran er gerade arbeitete. Auch nicht, als immer mehr Mitglieder kündigten. Es gab inzwischen nur noch 250 Mitglieder. 75 hatten ihre Beiträge in den vergangenen Monaten, manche sogar über Jahre nicht bezahlt. Auf dem Höhepunkt waren es mehr als 350 gewesen. Und es gab weitere, die mit ihrem Austritt drohten. Norbert kehrte völlig erschöpft in sein Haus in Larkspur zurück, das nördlich der Golden Gate Bridge lag. »Was in aller Welt mach ich bloß?«, fragte er Madeleine, »wir sind doch viel zu klein, um mit den großen Jungs zu spielen.«

 

Jozos Einstellung zu all dem blieb unverändert, und er mahnte Norbert, sich auf das Klimaanlagen-Geschäft zu konzentrieren. Der Refrain hatte inzwischen die Qualität eines Gassenhauers. Jozo sagte zu seinem Sohn, dass er zu lange und zu hart gearbeitet hätte, um seinem Sohn das Geschäft wie selbstverständlich zu überlassen. Madeleine ging die Sache auf ihre Weise an. Sie wollte verstehen, womit ihr Mann es zu tun hatte. Also besorgte sie sich das Buch »Der Unterschied zwischen Gott und Larry Ellison: Gott glaubt nicht, dass er Larry Ellison ist«. Sie würzte ihr abendliches Bettgeflüster mit Leckerbissen aus der Lektüre: »Der Oracle-Weg … war der zum Sieg«, las Madeleine laut vor. »Wie das Ziel erreicht wurde, war nebensächlich.« Sie fuhr fort: »Während Ellison absolute Loyalität verlangte, gab er sie nicht immer zurück. Die Menschen, die er am meisten mochte, waren jene, die etwas für ihn taten. Die Leute, die er anheuerte, waren alle Genies bis zu dem Tag, an dem sie aufhörten, für ihn zu arbeiten. Dann waren sie Idioten oder Schlimmeres.« Er hatte nie einen College-Abschluss gemacht. Madeleine staunte. Er war zwei Jahrzehnte nach einem 1200-Dollar-Investment in ein Startup-Unternehmen namens Software Development Laboratories, dem Vorgänger von Oracle, zum Milliardär geworden. In seinem früheren Leben bis Mitte 20 schienen alle Menschen um ihn herum besorgt gewesen zu sein, dass er keine Ahnung davon hätte, wie man Geld verdient. »Das ist nicht ohne Ironie«, sagte Madeleine. Larrys erste Frau Adda Quinn war es gewohnt, dass Larry in seiner haltlosen Art von einem Computer-Programmierjob zum nächsten stürmte. Sie wurde dessen überdrüssig und trennte sich, als er Tausende Dollar borgte, um ein 34-Fuß-Segelboot zu kaufen, obwohl das alte 24-Fuß-Boot noch nicht einmal abbezahlt war.

Der hochfliegende Milliardär war dreimal verheiratet gewesen und hatte sich dreimal scheiden lassen, bemerkte Madeleine. Er fuhr Ferraris, stieg dann auf Bentley-Cabrios und Acura-NSX-Sportwagen um. Er verbrachte Wochenenden mit seinem Sohn und veranstaltete Schein-Luftkämpfe über dem Pazifik. Norbert beendete das Bettgeflüster und sagte seiner Frau, dass er sich sein Urteil aufsparen würde, bis er den Mann persönlich kennenlernen würde. In Norberts Augen war Mr. Ellison, wie er ihn nannte, aus dem Nichts gekommen und hatte aus seinem Leben einen Erfolg gemacht. Norbert schaute den Menschen lieber direkt in die Augen und bildete sich seine eigene Meinung.

Einen Monat später stand Norbert in seinem Haus in Larkspur vor dem Spiegel im Badezimmer und probte die Rede, die er an diesem Abend halten wollte. Zuvor hatten sie alle Mitglieder mit einer Benachrichtigung an die anstehende Vollversammlung erinnert. Außerdem hatte man eine Handvoll Freiwilliger aufgelistet, die eine Telefonkette starteten, um die Mitglieder vorzuwarnen, dass eine »wichtige Diskussion über die Zukunft des Clubs« auf dem Programm stand.

Norbert und Madeleine kamen frühzeitig in den Club, um die Bestände der Bar zu überprüfen und mit dem neuen Teilzeitgeneralmanager Bill Chow zu sprechen. Nur eine Handvoll Leute wusste von der Bedeutung dieses Abends. Er war eine Art letzter Test für Norbert und den Golden Gate Yacht Club – Bill Erkelens wollte sehen, ob die Clubmitglieder die Idee der Partnerschaft mit Oracle unterstützten. Falls Erkelens Bedenken wahrnehmen würde, war der Deal geplatzt. Norbert hatte keine Chance, die Reaktionen der Mitglieder im Voraus zu antizipieren. Insbesondere nicht die der älteren.

Als sich etwa 80 Leute im Speisesaal versammelt hatten, sagte Norbert, dass er eine Rede über die »großartige kleine Club-Geschichte, die Gegenwart und die Zukunft« halten wolle. Er schaute Madeleine an, die mit Gastmitgliedern der Küstenwache am Kommodore-Tisch saß. Er sprach über die Traditionen der Arbeiterklasse in der Stadt. Und über die Italiener, Iren, Deutschen, Kroaten und andere Immigranten, die auf der Suche nach einem besseren Leben an diesen »himmlischen Flecken Erde am Meer« gekommen waren. Der Golden Gate Yacht Club war ursprünglich am 15. September 1939 als Puerta de Oro Yacht Club gegründet worden. Den Namen Golden Gate Yacht Club hatte bereits ein anderer Verein mit seinem Copyright belegt. Zweieinhalb Jahre später war der Name aber am 14. März 1942 in Golden Gate Yacht Club umgeändert worden, weil der andere Verein den Namen freigegeben hatte. Nach dem ersten Leitbild sollte es ein »Yacht-Club der Arbeiterklasse« sein. Norbert erklärte: »Einer der Hauptgründe für den Eintritt vieler Menschen in diesen wunderbaren Club war der Ausblick, den wir auf den Hafen, die Golden Gate Bridge und die Bucht genießen. Unsere Aufnahmegebühren und die Mitgliedsbeiträge sind vergleichsweise niedrig, wenn man die Immobilie bedenkt, auf der wir gebaut wurden. Unsere Bloody Marys kosten drei Dollar und 50 Cent. Und wir wissen, wie man es sich gut gehen lässt!« Er lächelte und entdeckte dabei Bonny Almeida, einen 74-jährigen ehemaligen Mechaniker und Fischer aus Portugal. Bei ihm war Primo, ein Sittich, der auf seiner Hand saß und auf Befehl Küsschen geben konnte. »Es ist viel mit diesem Club geschehen, seit er 1939 mit zehn Booten durchgestartet ist«, fuhr Norbert fort, »die gestiegenen laufenden Kosten und die sich fortwährend ändernden Ansprüche an das Management haben die Landschaft für uns verändert. Wir müssen unsere Zukunft selbst gestalten, zur Überwindung der Hindernisse zusammenarbeiten und dürfen nie den Blick für die Vision der zehn Gründer verlieren, die vor uns kamen und die Idee zu diesem Club hatten.«

Norbert konnte erkennen, dass ihn alle mit dem gleichen Gedanken anstarrten: »Also doch, der Club wird geschlossen, und wir sind hier, um die Flagge einzuholen.« Es war an der Zeit, die Neuigkeiten zu verkünden. Er holte tief Luft und sagte: »Um unsere Existenz auch für die Zukunft zu sichern, haben wir einen entscheidenden Schritt getan. In den vergangenen Wochen haben wir über eine Allianz mit Oracle Racing verhandelt, um eine Herausforderung im America’s Cup abzugeben. Wenn wir gewinnen, dann bringen wir den Cup zurück nach Amerika, wo er hingehört, und werden ihn in der Bucht von San Francisco verteidigen.«

Zunächst herrschte absolute Stille. Einen Moment später brach tosender Jubel im Raum aus.

Als der Beifall und die Freudenpfiffe schließlich abebbten, konnte Norbert nicht anders, als unterwürfig zu lächeln, als er die erhobene Hand eines Mitglieds sah, das immer gegen alles war. Widerstrebend erteilte er ihm das Wort.

»Wir sind auf dem richtigen Weg«, sagte der Mann, »wir müssen uns nicht in einen großen schicken Club verwandeln. Was haben wir mit dem America’s Cup zu tun? Wenn das passiert, werden wir nicht einmal mehr unseren eigenen Club nutzen können.«

Norbert lächelte und sagte: »Sie verstehen das nicht. Das ist die letzte Chance für diesen Club. Wir sind nicht auf dem richtigen Weg. Larry Ellison rettet diesen Club. Es wird keinen Golden Gate Yacht Club mehr geben, wenn dieser Deal nicht umgesetzt wird, wenn er nicht jetzt in Kraft tritt. Und natürlich werden wir unseren Club nutzen können. Es handelt sich um einen Rettungsanker, der unserem Club zugeworfen wird. Lasst es mich also noch einmal ganz deutlich sagen: Wenn wir es nicht machen, wird es keinen Golden Gate Yacht Club mehr geben. So einfach ist das.«

Der Ehren-Kommodore Dave Haskins erhob die Stimme: »Wir schreiben Geschichte! Ich hörte, dass unserem Nachbar-Club nicht gefiel, wie Larry seine Boote nennen wollte. Verdammt, der Golden Gate Yacht Club hätte nicht das geringste Problem damit, wenn als Name Oracle auf dem Boot stehen würde. Unsere Haltung ist: Nenn es, wie du willst. Wir sind nicht übermäßig anspruchsvoll. Wir werden da draußen sein und die Boote polieren, wenn das gefragt sein sollte.«

Der Applaus schwoll wieder an. Erkelens lächelte Norbert zu, und die beiden Männer schüttelten sich die Hände. Clubmitglieder umkreisten Erkelens, boten ihm die Hand, Umarmungen und Ideen, wie sie dem Team helfen könnten.

Etwas abseits stand Dave Miller mit seiner Frau Lydia. »Wer hätte das gedacht?«, fragte er, während ihm die Tränen in die Augen stiegen. Über Jahre war Miller, der ein Unternehmen aufgebaut hatte, das Häuserdächer mit Oberlichtern verkaufte, der stille Engel des Clubs gewesen, der den Golden Gate Yacht Club aus schwierigen Situationen herausgehauen hatte. Wenn das Dach leckte, dann bezahlte er für die Reparatur. Wenn die Fenster repariert werden mussten, dann kümmerte er sich darum. Miller und seine Frau waren russische Juden und Kinder von Eltern, die in China als Missionare tätig gewesen waren. Sie kamen nach dem Ersten Weltkrieg auf dem Seeweg nach San Francisco. Sie lebten in Daly City, und Daves ganzer Stolz und Augenstern war eine 42-Fuß-Viking, die er über Jahre restauriert hatte.

Matlin fand Norbert und sagte: »Mann, das ist die Rettung des Lebens. Wir haben es geschafft! Du hast es geschafft!« Allein die Mitglieder-Vereinbarung mit Oracle Racing würde ihre Schulden halbieren.

Norbert zuckte mit den Achseln und lachte: »Yogi Berra sagte: ›Wenn du an eine Straßengablung kommst, dann nimm sie.‹ Das habe ich getan.«

Madeleine schaute Norbert an. »Das ist phänomenal«, sagte sie und küsste Norbert. »Wer weiß, wohin das alles führen wird?«

In dieser Nacht, drei Monate, nachdem Norbert seine erste E-Mail an Erkelens gerichtet hatte, wurde alles offiziell: Der einst todgeweihte Golden Gate Yacht Club wurde zum offiziellen Herausforderer für Oracle Racing ernannt.

Der Golden Gate Yacht Club hatte Larry Ellison exakt das gegeben, was er wollte, aber vom St. Francis Yacht Club nicht bekommen hatte: die Kontrolle über die America’s-Cup-Aktivitäten in der Gegenwart und in der Zukunft. Orcale würde drei Mitglieder im elfköpfigen Vorstand haben: Bill Erkelens, Melinda Erkelens und mit Chris Perkins, dem CEO des Teams, ein langjähriges Mitglied des St. Francis Yacht Clubs. Noch wichtiger war, dass der Club einen zusätzlichen Vorstand installieren würde, der die ganze America’s-Cup-Herausforderung überwachen würde. Für Oracle waren in diesem Vorstand drei von fünf Sitzen reserviert.

Die vermutlich erregendste Vereinbarung sah vor, dass der Yacht-Club die verschnörkelte Silberkanne im Falle eines Sieges für ein halbes Jahr behalten dürfe. Seit mehr als 150 Jahren war der Cup verwahrt, bewacht und vom siegreichen Yacht-Club stolz ausgestellt worden.

In dieser unwahrscheinlichsten aller Partnerschaften hatte sich ein kleiner Club einen Förderer gesichert, und der geschäftsführende Häuptling hatte einen Cheerleader am Haken. Die Vereinbarung beinhaltete Vorteile für beide Seiten. Aus dem Mechaniker war ein Dealmaker geworden, der den Club aus dem Bankrott auf die Weltbühne der elitärsten Segelschau der Welt gesteuert hatte. Der Technologie-Titan hatte einen stillen Coup gelandet. Er hatte einen Weg gefunden, die Regeln selbst festzulegen, die Spieler auszuwählen, die Schau zu gestalten und selbst Teil des Teams zu sein. Er konnte bestimmen, wie er nach außen wirken wollte.

Larry sagte zu Erkelens: »Mir hat die Doppelbödigkeit in den Verhandlungen mit dem St. Francis nie gefallen. Ich will genau wissen, was der Deal ist. Unsicherheit und Unentschlossenheit machen mich wahnsinnig. Manche Leute denken, dass ich ein Kontrollfreak bin. Sie haben Recht.«

Erkelens stimmte zu und sagte geradeheraus: »Es wäre absolut schrecklich gewesen, mit dem St. Francis zu arbeiten. Sie müssen immer die Kontrolle haben.«

An diesem Abend kehrte Norbert erst lange nach Mitternacht aus dem Golden Gate Yacht Club heim. Ein paar Clubmitglieder waren geblieben, stießen auf den Deal an und erhoben ihr Glas auf die rot-weiß-blaue Flagge des Golden Gate Yacht Clubs, der in einer Last-Minute-Aktion doch noch gerettet worden war. Norbert schaute auf die Uhr und wusste, dass es Zeit war, ins Bett zu gehen. Auf seinem Nachttisch lag die vertrauliche »Herausforderungs- und Verteidigungs-Vereinbarung«. Sie war voller Juristensprache und dennoch das fesselndste Dokument, das er seit sehr langer Zeit gelesen hatte. In der formalen Ankündigung der Herausforderung an die Royal New Zealand Yacht Squadron hatte Norbert geschrieben:

Dies ist die Ankündigung der Herausforderung des Golden Gate Yacht Clubs an die Royal New Zealand Yacht Squadron um die Segeltrophäe, die ursprünglich am 22. August 1851 bei einem Rennen um die Isle of Wight von der Yacht AMERICA gewonnen worden war und die heute als America’s Cup bekannt ist.

 

In einem anderen Absatz, der vermutlich für einige hochgezogene Augenbrauen in der Segelszene sorgen würde, schrieb Norbert:

Und schließlich haben wir noch eine Kopie der Stiftungsurkunde für unsere Seegras-Suppen-Trophäe beigefügt, die neben anderen GGYC-Regatten einmal jährlich an einem Meeresarm ausgetragen wird – der Bucht von San Francisco. Unser Yacht-Club sieht der Teilnahme an dem von Ihnen organisierten XXXI. America’s Cup mit Freude entgegen.

Norbert legte die Papiere zurück auf den Nachttisch und wusste, dass er irgendwann ein offenes Gespräch mit seinem Vater würde führen müssen. In der Zwischenzeit aber wurde er früh am nächsten Tag in der Werkstatt zurückerwartet. Da gab es Autos, die Hilfe brauchten, und Klimaanlagen, die repariert werden wollten. Doch in dieser Nacht wollte der Mechaniker von einem ganz anderen Metall träumen: dem Silber der alten Kanne.

Bevor er in den Schlaf fiel, sagte er noch zu Madeleine: »Als der Cup zu den Feiern anlässlich seines 150. Geburtstags von Neuseeland nach England gebracht wurde, las ich, dass er erster Klasse geflogen ist. Wenn wir den Cup gewinnen und ihn heimbringen, dann, denke ich, sollte er mit uns im Auto fahren.«