Der Milliardär und der Mechaniker

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Die Vorstandsmitglieder im St. Francis Yacht Club waren höflich, aber hart wie seine Grammatiklehrer in der Schule. Wann immer Larry in eine Ecke gedrängt wurde, genoss er es, einen unerwarteten Ausweg zu finden. Als er zwölf Jahre alt war, erwarteten seine Eltern, die ihn regelmäßig mit in die Synagoge genommen hatten, dass er eine hebräische Schule besuchte, sodass er die Bar Mitzwa empfangen konnte. Sobald jedoch die »Little League«, eine Softball- und Baseball-Liga für Kinder und Jugendliche in den USA begonnen hatte, entschied sich Larry, nicht mehr zum Unterricht der hebräischen Schule zu gehen. Eines Tages kam der Rabbi zu ihnen nach Hause und sagte seinen Eltern: »Wenn er damit fortfährt, den Hebräischunterricht zu schwänzen, um Baseball spielen zu gehen, dann wird er ausgeschlossen.« Larry gab dem Sport gegenüber dem Hebräisch den Vorzug und wurde – nicht ohne Stolz – aus der Schule hinausgeworfen. Die Bar Mitzwa empfing er nie, aber er verbesserte die Geschwindigkeit seiner Würfe, wenn auch nicht ihre Kontrolle.

Aus der Sicht des St. Francis Yacht Clubs hatte man es hier mit Larry Ellison zu tun, einem der reichsten Männer der Erde, einem, der anfällig war für schillernde Meinungsäußerungen und Superlative, einem Mann, der seinen eigenen Düsenjäger als Pilot steuerte, seine Yacht als Skipper führte und mindestens zehn Hochleistungswagen besaß, alle im gleichen platinfarbenen Ton. Er war ein Mann, der daran gewöhnt war, zu bekommen, was er wollte. Was immer dazu nötig war. Er verkörperte die Neureichen, viele der Vorstandsmitglieder den alten Geldadel. Er studierte Yacht-Clubs, sie wurden in die Clubs hineingeboren.

Der zukünftige Kommodore Hart hörte den Verhandlungen zu. Er mochte Larry und empfand ihn als überraschend liebenswürdig. Doch zu dem Vorschlag, einen Vorstand innerhalb des Vorstands zu etablieren, sagte er: »Das können wir einfach nicht machen.«

Erkelens erkannte, dass sie in einer Sackgasse steckten. Er versuchte zu erklären, dass sie nicht die Macht im Vorstand übernehmen wollten. Sie wollten drei von fünf Mitgliedern in einem neu formierten America’s-Cup-Vorstand platzieren. Taft schüttelte den Kopf. Er sagte, »es würde aussehen, als hätte Larry sich in den Vorstand eingekauft.«

Taft – buschige Augenbrauen in der Form eines Bumerangs, rasierter Kopf und ein vom lebenslangen Segeln wettergegerbtes Gesicht – erklärte: »Der Aufsichtsrat hat nicht die Befugnisse, den Club umzupolen. Wir haben Statuten, Regeln und Vorschriften. Und wir müssen im Rahmen der Gesetze für gemeinnützige Vereine agieren. Zu allem benötigen wir die Zustimmung der Mitglieder. In der Satzung steht beispielsweise, dass man acht Jahre Vereinsmitglied sein muss, bevor man einen Vorstandsposten übernehmen kann. Und wir können keine Mitglieder im Vorstand haben, die nicht gewählt worden sind.«

In Larrys Kopf ging das Meeting noch lange Zeit nach dem offiziellen Ende weiter. Larry und Erkelens waren verblüfft, dass sich der St. Francis Yacht Club nicht bewegen ließ. Larry sagte, dass er nicht jedes Mal zum Vorstand rennen würde, wenn er etwas brauchte. Er sagte Erkelens, dass er die Leute vom St. Francis Yacht Club nicht ablehne und er ihre Auffassung nicht gänzlich unvernünftig finde. Am Ende jedoch wollte er ihnen nicht die Kontrolle überlassen. Aus dem gleichen Grund hatte er keinen Fahrer. Die gleichen Motive ließen ihn seine eigenen Flugzeuge fliegen, dreimal heiraten und sich dreimal wieder scheiden lassen. Er mochte es einfach nicht, wenn man ihm sagte, was er tun konnte und was nicht.

»Das passt so einfach nicht für mich«, sagte Larry mit leiser Stimme zu Erkelens. »Wenn wir gewinnen, dann will ich eine Garantie, dass wir den Cup auch verteidigen.«

Während Hart immer noch dachte, dass ein Deal ausgehandelt werden konnte – welche anderen Möglichkeiten gab es denn auch in dieser Stadt? –, winkte Vizekommodore Steve Taft Erkelens beim Rausgehen zu sich. Taft kannte Erkelens’ Vater und hatte Billy dabei zugeschaut, wie er das Segeln gelernt hatte. Die beiden fanden eine ruhige Ecke. Taft nahm Erkelens am Arm und sagte: »Das hier wird nicht so hinhauen wie geplant.« Erkelens blinzelte und sagte: »Wie bitte? Was soll das heißen?« Taft antwortete: »Es wird so nicht laufen, das ist ein Nein.«

Eine Woche später sprach Taft beim wöchentlichen Stammmittagessen im eleganten Grillrestaurant des Clubs mit Blick über die Bucht zu den Mitgliedern. Taft und weitere Mitglieder des Vorstands wollten erklären, warum sie gegen eine Partnerschaft mit Larry Ellison stimmten. Und sie hatten ihre Fürsprecher, die stolz und gebetsmühlenartig verkündeten: »Der St. Francis Yacht Club ist nicht käuflich.« Doch es gab auch andere, die der Auffassung waren, dass sie einen gigantischen Fehler machten.

Vorstandsmitglied Peter Stoneberg verfolgte die emotionale Debatte.

»Hier habt ihr einen Mann, der bereit ist, für alle zu zahlen, und als Gegenleistung lediglich ein paar einfache Garantien verlangt«, argumentierte Stoneberg in das Gemisch aus Buhrufen und Applaus hinein. »Der Cup wird immer teurer. Und es kommt nicht jeden Tag ein Milliardär durch die Tür spaziert, der bereit ist, buchstäblich alles zu bezahlen. Stellt euch doch nur einmal vor, dass wir gewinnen!«

Auch Taft war überrascht vom Ausmaß der Meinungsverschiedenheit und fühlte sich von der ganzen Sache überrollt. Die Entscheidung war nicht leicht zu treffen gewesen.

Cayard, loyal gegenüber dem St. Francis Yacht Club, aber gleichzeitig unter Vertrag bei Oracle Racing, wusste über Larry Bescheid. Der würde nicht in einen Deal einwilligen, bis er sichergestellt hatte, dass er den Laden schmeißen würde. Cayard war bestürzt, als er Clubmitglieder geradezu damit prahlen hörte, dass sie Larry Ellison abgelehnt hatten und nicht daran dächten, irgendeinem Milliardär die Tür zu öffnen und ihren geschätzten Club kaufen zu lassen. Einem lokalen Segelmagazin hatte Kommodore Munro gesagt: »Im Kern wollen sie unseren Yacht-Club kaufen. Wir stehen aber nicht zum Verkauf.« Nicht alle Clubmitglieder waren so resolut. Cayard schickte einen Beschwerdebrief an den Vorstand des St. Francis Yacht Clubs.

Ich schreibe, um meiner Enttäuschung über Ihre Verhandlungsführung mit Oracle Racing Ausdruck zu verleihen. Ich bin aus zwei Gründen enttäuscht. Zum einen, weil unser Kommodore es für angemessen hielt, die Verhandlungen in öffentlichen Foren wie »Scuttlebutt« oder »Latitude 38« zu diskutieren. Und zum anderen, weil die Schilderungen des Angebots seitens unseres Kommodores nicht präzise sind. Und das ist noch höflich ausgedrückt.

Ich habe bei »Latitude 38« die folgenden Zitate gelesen: »Doch weil der St. Francis Yacht Club eine kalifornische Körperschaft ist, verlangt das Gesetz, dass sie (die Vorstände) gewählt werden. Deswegen konnte der Club Oracles Bitte aus formalen Gründen nicht entsprechen. Selbst, wenn er es gewollt hätte.« Das ist falsch. Das Angebot von Oracle Racing hat insbesondere hervorgehoben, dass Vorstandsmitglieder gewählt werden müssten und dass Änderungen der Statuten eine Mehrheit der Mitgliederstimmen benötigen. Beides war berücksichtigt.

Weiter hieß es im selben Artikel und in der Mitgliedermitteilung des Kommodores, dass Oracle Racing den Vorstand darum ersucht hätte, die Mitgliedschaft zu garantieren. Aber das steht einfach nirgendwo.

Die Behauptung des Kommodores »Aber nach Rücksprache mit unseren Anwälten erfuhren wir, dass wir keine dieser Maßnahmen durchführen konnten« ist sowohl falsch als auch beleidigend.

Die Tatsache, dass Oracle Racings Angebot für den Vorstand des St. Francis Yacht Clubs inakzeptabel ist, ist keine gute und ausreichende Begründung, um falsche Erklärungen abzugeben und ein Alibi zu zimmern, um eine Entscheidung zu rechtfertigen.

Ich empfinde dieses Verhalten als unprofessionell und als Mitglied beschämend. Um es deutlich zu sagen: Das ist nicht die Art von Führungsqualität, die ich in von unserem Club gewohnt bin.

Mit freundlichen Grüßen

Paul Cayard

Charles Hart, der den Deal gern perfekt gemacht hätte und Paul Cayards Brief besorgt gelesen hatte, sagte gegenüber dem Vorstand: »Das hier ist eine sehr große Enttäuschung für den Club.« Das Bedauern schwang hörbar in seiner Stimme mit.

* In einer späteren Rückbesinnung sagte Bruce Munro, dass der Name des Bootes und die Einzelheiten einer Verteidigung kein Diskussionsthema dieses Meetings gewesen seien. Meine Berichterstattung inklusive der Interviews mit weiteren Teilnehmern der Meetings hat mich zu der Annahme geführt, dass diese Themen zu der Zeit diskutiert wurden.

Golden Gate Yacht Club
Januar 2001

Einige Dutzend Menschen standen im oberen Speiseraum des Golden Gate Yacht Clubs und öffneten Wein- und Bierflaschen. Serviert wurde eines jener Dinner-Buffets, zu denen jeder etwas mitgebracht hatte. Norbert wurde als der 60. Kommodore des Clubs vereidigt. In den vergangenen Jahren waren Kommodores Lehrer, Verwaltungsassistenten oder Oberkellner gewesen. Norbert war der erste Kühlermechaniker. In der Nähe des Kamins saß Ron Matlin, ein amtlich zugelassener Buch- und Rechnungsprüfer, der erst vor wenigen Wochen beauftragt worden war, die Buchführung des Clubs zu prüfen. Sobald sie allein waren, zog er den frischgebackenen Kommodore beiseite und sagte mit gedämpfter Stimme: »Mann, weißt du eigentlich, in was du da hineingerätst?« Das hatte Norbert nicht erwartet. Matlin sagte: »Du erbst einen riesigen Schlamassel. Mir erscheint es so, als sei der Club jedermanns Lehensgut gewesen.«

Norbert studierte Matlins Gesicht. Er sah aus wie eine Figur aus »Der Pate«. Seine Haare waren schwarz gefärbt, sein Knochenbau massiv. Er trug goldene Ketten und hatte eine Knollennase. Und er hielt sich nicht lange mit feiner Wortwahl auf. Norbert war sich nicht sicher, was er von dem neuen Buchhalter des Vereins halten sollte. Er war aus Winnipeg in Kanada und hatte einmal eine der ersten Budget-Autovermietungen als Franchise-Unternehmen besessen.

 

Norbert holte tief Luft. »Heute Abend feiern wir«, sagte er, »morgen arbeiten wir.«

Binnen weniger Tage erwiesen sich Matlins Worte als wahr. Norbert entdeckte, dass der Club hohe Schulden hatte. Matlin fasste einige der größeren Probleme zusammen, die er entdeckt hatte. Der Club hatte bei der Stadt Steuerrückstände in Höhe von 95 000 Dollar. Und der Stadt ging langsam die Geduld aus. Der Club hatte sich als gewinnorientierte Körperschaft organisiert, aber niemals Gewinne gemacht. Dazu hatte der Club einen Vertrag mit einem Caterer, der zwar das Geld nahm, aber keine Bewirtung anbot.

Alles in allem beliefen sich die Schulden des Clubs mit seinen 215 Mitgliedern auf fast eine halbe Million Dollar.

Norbert schüttelte sich. Sein Vater hatte ihm gesagt, dass die besten Tage des Clubs vorüber waren. Egal. »Wenn das Schiff untergeht, dann gehen wir mit ihm«, lautete Norberts Antwort auf das Chaos.

»Und da sind noch ein paar mehr Dinge«, sagte Matlin, der von seinem unerschrockenen Kommodore recht beeindruckt war, »die bisherige Buchhalterin war die Cousine einer Frau aus dem Club, die auf ihrem Boot gelebt hat, das über Jahre hier im Club am Steg lag. Sie hat aber nie einen Penny Liegegebühren dafür bezahlt. Es gab eine Art Buchhaltungsdateien, aber das meiste davon war Müll, kaum auf dem Niveau eines Scheckbuchs geführt.«

»Wie sahen die Geschäftsbücher aus?«, fragte Norbert.

»Sie waren in einer QuickBooks-Datei aufgeführt«, antwortete Matlin, »sie haben keinerlei dokumentatorischen Wert. Eher einen hysterischen.«

Matlin hatte die Lücken in den Aufzeichnungen so gut gefüllt, wie er konnte, um die Konten zu aktualisieren. Dennoch teile er Norbert mit: »Wir sind bankrott, bettelarm und haben Hunderttausende Dollar Schulden.«

Matlin, dem irgendwann auch einmal ein Restaurant in San Franciscos Union Street gehörte, hatte die Buchhaltung für eine Reihe Bars und Restaurants gemacht.

Eine der ersten Aufgaben von Norbert und Matlin war es, jeden außer dem Barmann und dem Tellerwäscher zu feuern. Außerdem setzten sie den Caterer auf die Straße. Norbert entließ auch die Reinigungsleute und sagte, er würde es selbst machen. »Einer unserer beiden verbliebenen Angestellten hat goldene Zähne«, sagte Norbert zu Madeleine mit einem Seufzer. Auf seiner täglichen Fahrt in den Klimaanlagen-Shop priorisierte Norbert mit Matlin die Krisen des Tages. Norberts sonnengebräuntes Gesicht wies ihn als Segler aus. Er hatte das unbekümmerte Gemüt eines Handwerkers und die Geschicklichkeit eines Kommodores mit begrenzten Mitteln. Schnell fand Matlin in Norbert einen Typen, den man im Krieg gern an seiner Seite hätte. Sie machten ihre Scherze darüber, dass der 16 Jahre ältere Matlin nun der Club-Consigliere sei.

»Alle Lieferanten, die der Club hat – von Southern Wine and Spirits bis zu Young’s Market –, werden uns vorerst nichts mehr liefern, weil wir mit der Bezahlung so hinterherhinken«, sagte Matlin zu Norbert, »der gute Ruf des Clubs gehört der Vergangenheit an.«

»Schau, was du anbieten kannst«, sagte Norbert, während er seinen roten Nissan mit der Aufschrift »Alouis Auto Radiator« über die Golden Gate Bridge steuerte.

»Wir müssen die Schulden drücken. Wir nehmen alle ausstehenden Beiträge und Gebühren und stopfen damit die Löcher, wo wir können.«

Das Problem war, dass die Mitglieder den Club verließen wie die Ratten das sinkende Schiff. Diejenigen, die blieben, waren die »billigen«, wie Matlin es nannte. Norbert fand mit »wenig hilfreich« eine etwas großzügigere Formulierung. Die Mitglieder des Clubs waren gealtert. Die Alten wie Jozo waren überzeugt davon, dass der Club keine Zukunft hatte.

Über Monate bekam der neu vereidigte Vizekommodore Ned Barrett mitten in der Nacht Anrufe der Polizei von San Francisco, die ihm mitteilte, dass die Tür des Clubs weit offen stand. Barrett, der nur ein paar Blocks entfernt vom Club lebte, schmiss sich dann in seinen Bademantel und fuhr hinüber zum Club. »Das ist doch ein Affenzirkus«, sagte Barrett zu seiner Frau Carole, wenn er in sein Bett zurückkehrte.

Matlin telefonierte stundenlang mit Gläubigern und sagte: »Wenn Sie bezahlt werden wollen, dann kann ich Ihnen kleinere Beträge über einen längeren Zeitraum oder jetzt eine geringere Gesamtsumme anbieten. Wir wollen Sie auf dem Weg in die Zukunft als Lieferanten behalten. Können wir unsere Zusammenarbeit wieder aufnehmen?«

Während Matlin mit den Gläubigern rang und wahre Kunststücke vollbrachte, um die Versicherungen des Clubs am Laufen zu halten, gründeten Norbert und Madeleine das neue Zwei-Personen-Unterhaltungskomitee für den Club. Sie starteten mit den »Durstigen Donnerstagen« und boten den Mitgliedern Treffen in angenehmer Gesellschaft. Es gab Drinks und das übliche Dinner, zu dem jeder etwas beisteuerte. Sie ermunterten die Mitglieder, Freunde und potenzielle neue Mitglieder mitzubringen. »Überläufer sind willkommen.« Ein monatlicher Newsletter mit dem Titel »Changing Tides« (dt.: Tidenwechsel) wurde aus der Taufe gehoben. Veröffentlicht wurden Geschichten über Boote, die von den Mitgliedern geschätzt wurden. Darunter die MIRENE, ein Schlepper, der vor Kurzem im Rahmen eines Festivals das Schlepperrennen gewonnen hatte. Unter Madeleines Federführung wurden ein Valentins-Dinner, ein Oster-Brunch, ein Club-Dinner mit Tanz für Singles und eine Party am St. Patrick’s Day organisiert. In einem Zeitraum von 73 Stunden verbrachten Norbert und Madeleine 34 Stunden im Club. Sie bestellten Vorräte, nahmen Reservierungen entgegen, bereiteten Speisen und Getränke vor und servierten sie auch, rannten in die Geschäfte, um noch mehr Lebensmittel einzukaufen, übernahmen die Reinigung der Räume und griffen tief in die eigene Tasche, um viele kleine und große Dinge vom Kaffee bis hin zur Versicherung zu bezahlen.

Eines fühen Morgens begab sich Norbert direkt ins Obergeschoss des Clubs und fand dort ihren Angestellten, den Barmann mit den goldenen Zähnen, als Alkoholleiche vor dem Kamin liegend.

Als Matlin eintrat, machte Norbert eine Geste in Richtung des schnarchenden Barkeepers: »Siehst du Licht am Ende des Tunnels?«

»Ja«, sagte Matlin, »ich sehe einen herannahenden Zug.«

Der Barmann wurde gefeuert, ein neuer eingestellt: Madeleine. Sie war zierlich, hatte schwarzes Haar, einen guten Sinn für Ironie und liebte ihren Mann zutiefst. Madeleine verbrachte ihre Arbeitstage bei Wells Capital Management, einem Zweig der Wells Fargo Bank, wo sie als Kundenberaterin tätig war. Anschließend eilte sie zum Club, um dort am Abend die Drinks zu mixen. Was Madeleine nicht wusste, das lernte sie schnell. Fehler wurden ihr vergeben, weil sie dieses entzückend zaghafte entschuldigende Lächeln hatte, gute Laune verbreitete und jedem mit Rat und Tat zur Seite stand. Schon bald machte sie den besten Martini der Stadt, wie regelmäßige Besucher bestätigten. Sie mixte ihn perfekt.

In der Zwischenzeit warb Norbert um jeden Dollar, bot die Clubräume und die Küche als Location für Dinner und Partys bei den örtlichen Theatergruppen und Kochschulen an. Er fragte auch das Management von »Tony n Tina’s Wedding«, einer italienischen Theater- und Hochzeitsshow, ob sie ihre Stücke nicht im Club aufführen wollten. Er sprach mit der Kulinarischen Akademie von Kalifornien über Unterrichtseinheiten im Golden Gate Yacht Club. Sein Club-Angebot lautete: »Großartige Aussicht, großartige Küche, kleiner Preis!«

Der Ursprung der Geldprobleme, das hatte Matlin längst herausgefunden, war der Bau eines neuen Clubhauses infolge des Erdbebens von Loma Prieta im Jahre 1989. Damit hatten sich die Mitglieder übernommen. Das Erdbeben hatte die Uferregion im Hafenviertel heftig getroffen. Mit Unterstützung öffentlicher Hilfsfonds war der bescheidene Club auf dem alten Schleppkahn durch ein zweistöckiges Gebäude am Ende der Yacht Road ersetzt worden. »Für dieses Bauvorhaben hatten die Mitglieder gar nicht nicht die finanziellen Möglichkeiten«, seufzte Matlin.

Ende Januar erhöhten Matlin und Norbert den Druck auf die Mitglieder, ihre alten Bar-Rechnungen und verspätete Mitgliedsgebühren zu begleichen. Sie liebäugelten mit der Idee, einen neuen kleinen Geschäftskredit aufzunehmen, waren aber mit dem alten schon zu hoch verschuldet. Matlin beobachtete Norbert dabei, wie er seine Vormittage damit verbrachte, den Yacht-Club zu retten, hörte ihm bei seinen Erzählungen aus dem Klimaanlagen-Shop und von den Nächten zurück im Golden Gate Yacht Club zu. »Der gibt einfach nicht auf, dieser Typ«, sagte Matlin zu seiner Frau, »man könnte keinen besseren Mitspieler in seinem Team haben.«

Zeitgleich zu seinem Kampf um den Yacht-Club hatte Norbert noch weitere Herausforderungen zu meistern. Die Umsätze in seinem Klimaanlagen-Geschäft waren eingebrochen wie ein kaputtes Auspuffrohr. Er hörte, wie der neu vereidigte Präsident George W. Bush seinen Vorgänger für die Rezession verantwortlich machte. Norbert hatte mit den sich verändernden Zeiten zu kämpfen. Die Hersteller von Klimaanlagen nutzten das Internet, um sich direkt an die Kunden zu wenden, und umschifften damit Händler wie Alouis. Die Kunden konnten leicht alle Angebote vergleichen und dann im Internet einkaufen.

Nach einem weiteren vollen Tag in der Werkstatt und einer langen arbeitsreichen Nacht im Club schloss Norbert die Tür des Golden Gate Yacht Clubs und ging langsam über die knarrenden Holzplanken zum Parkplatz. Er schaute sich noch einmal um zu dem Gebäude mit der abgeblätterten Farbe und der Tür, die jeden willkommen hieß.

Der Club hatte seinen Mitgliedern fast 70 Jahre lang gedient und der Arbeiterschaft der Stadt einen Ort gegeben, wo sie essen, trinken und ihre Geschichten von der See austauschen konnte. Er musste schmunzeln, als er an die Geschichte dachte, die ihm zwei der ältesten Clubmitglieder erzählt hatten: René Allemand mit dem Spitznamen »Flip« und sein Bruder John waren als Kinder französischer Eltern in San Francisco geboren. Sie hatten ihr erstes Boot TABA, eine 14-Fuß-Slup, schon gebaut, bevor sie die Highschool verließen. Über Jahrzehnte hatten sie in Hunters Point etwas weiter südlich in der Bucht eine Werft mit einem kleinen Büro und einer sehr viel größeren Bar geführt. Der Zigarrenfan René war eine Woche nach seiner Gründung in den Golden Gate Yacht Club eingetreten. Er liebte es, in alten Erinnerungen zu schwelgen, erzählte gern von den »wilden Jungs, die fluchten, tranken und auch ziemlich gerne rauften«. Die Allemands hatten zu den letzten Bootsbauern der Region gezählt, die ihre Boote noch in Handarbeit herstellten. Sie bevorzugten Holz vor anderen Materialien und verkörperten San Franciscos Seefahrergeschichte der Vergangenheit. Von ihrer Werft in der Bucht hatten sie chinesische Shrimpfischer kommen und gehen sehen. Und sie hatten im Zweiten Weltkrieg geholfen, Frachtschiffe zu bauen. Sie hatten beobachten können, wie Landparzellen auf dem Hügel für 25 Dollar an sich gerissen wurden, und sie hatten sich beim Muschelessen an den umliegenden weißen Stränden entspannt. Norbert wusste auch, was für ein Segen der Club für seinen Vater gewesen war, nachdem seine Mutter gestorben war. Für eine Weile hatte er das Band zwischen ihm und Jozo gestärkt. Nun stand ihre Beziehung wieder auf wackligen Füßen und der Golden Gate Yacht Club vor dem Bankrott. Er fürchtete, dass er zum Kapitän eines sinkenden Schiffes ernannt worden war. Er würde bald etwas Radikales unternehmen müssen, wollte er nicht als der Kommodore in die Geschichte eingehen, der die Flagge einholte und die Tür schloss, wenn der Golden Gate Yacht Club aufgeben musste.

Als Norbert in seinem Büro im Obergeschoss der Werkstatt saß und durch ein Segelmagazin blätterte, erregte ein Artikel über Larry Ellison und dessen überraschendes Zerwürfnis mit dem St. Francis Yacht Club sein Interesse. Es war nicht Ellisons Name, der Norbert dazu anregte, den Artikel zu lesen. Er war vielmehr fasziniert vom St. Francis Yacht Club, der vom Golden Gate Yacht Club aus nur die Straße hoch residierte. Eine Reihe seiner Stammgäste im Club kümmerte sich um die Boote von Mitgliedern des St. Francis Yacht Club. Und er selbst fuhr täglich an dem mehrstöckigen Gebäude vorbei. Die Geschichte regte Norbert zum Nachdenken an. Er wusste von Ellisons Liebe zum Segelsport und seinem Willen zu siegen. In Seglerkreisen war es eine bahnbrechende Neuigkeit gewesen, als bekannt geworden war, dass der Milliardär und CEO des Software-Giganten Oracle seine Pläne für den America’s Cup bekannt gegeben hatte.

 

Nun stand die Beziehung zwischen Ellison und dem St. Francis Yacht Club aus für Norbert nicht nachvollziehbaren Gründen auf der Kippe. Norbert fragte sich, warum nicht der Golden Gate Yacht Club Oracle Racing unterstützen könnte.

Später am Nachmittag präsentierte er seine Idee fast verlegen einigen Clubmitgliedern, darunter Ned Barrett und Madeleine.

»Natürlich, Norbert, ein Typ wie Larry Ellison wird sich ganz sicher für eine Partnerschaft mit uns interessieren!«, sagte Madeleine mit einem Lächeln, »ich liebe dich, aber diese Idee ist nun wirklich verrückt.«

Dave Haskins, ein früherer Verwaltungsleiter der Universität Stanford und Segel-Coach an der Universität von Cornell sowie Ehren-Vorsitzender des Clubs, sagte zu Norbert, dass seine Chancen in etwa so gut seien wie der Versuch, eine Gruppe Hobby-Bergsteiger den Everest hinaufzuschicken. Haskins, dessen 52-Fuß-Yacht im Osten der Bucht lag, half dabei, den Club ein wenig herauszuputzen. Der Club besaß einige Trophäen, doch die standen im Schrank und sahen ziemlich mitgenommen aus. Er hatte sie alle herausgeholt und gesäubert. Einige hatte er auch neu versilbern lassen. »Der New York Yacht Club hat einen ganzen Saal für Trophäen«, hatte er Norbert gesagt.

»Und wir haben einen Schrank«, hatte Norbert mit einem Lächeln zurückgegeben.

Matlin hatte eine andere Einstellung zu Norberts Idee. Er hatte gerade eine Titelgeschichte über Ellison in der »Business Week« gelesen. Ellison trug auf dem Bild dunkle Bekleidung, und die Überschrift lautete »Oracle ist wieder cool«. In dem Bericht war die Rede davon, dass sich Oracles Aktienpreis binnen eines Jahres vervierfacht habe. Damit hatte das Unternehmen IBM im Börsenhandel überholt. Der Wert von Ellisons Anteilen an seinem Unternehmen hatte den Aktienbesitz von Bill Gates an Microsoft (52,1 Milliarden zu 5,1 Milliarden) überholt. »Natürlich ist das verrückt«, sagte Matlin, »wir sind verrückt. Na und? Wir haben ganz sicher nichts zu verlieren, denn wir haben nichts. Was wären die Nachteile?« Matlin fragte Norbert, ob er jemals den Film »Bad News Bears« (dt.: »Die Bären sind los«) gesehen hätte, in dem es um ein Baseball-Team ging, das am schlechtesten war und schließlich doch alle übertrumpfte. »Sie hatten diesen kurzsichtigen Werfer und diesen übergewichtigen Fänger. Und sie haben es bis zur Meisterschaft gebracht«, erklärte Matlin.

»Ich erinnere mich daran«, sagte Norbert in Gedanken an den Film aus dem Jahre 1976, »dass die Bären nicht wirklich gewonnen haben.« Aber er bemerkte auch, dass sie eine höllisch gute Party hatten. »Man kann nicht verlieren, was man nicht hat.«

Matlin fügte hinzu, dass er gelesen habe, dass Ellison »ein Selfmade-Mann war, was viel über ihn aussagt. Er sollte Außenseiter mögen«. Etwas pragmatischer fügte Matlin hinzu, dass Ellison »ein reicher Mann war, der Regatten liebte« und gerade einen Yacht-Club brauchte. »Da bedarf es keiner schwarzen Magie: Er braucht einen Yacht-Club, und wir haben einen.«

Norbert traute sich nicht, seinem Vater von der Idee zu erzählen, der ihn weiter dafür beschimpfte, dass er den Posten des Kommodores übernommen hatte. »Den Club wird es in einem Jahr nicht mehr geben«, hatte Jozo prophezeit, als er gerade an seinem Boot arbeitete. Die jüngsten Zahlen schienen ihn zu stützen: Der Schuldenberg war immer noch 453 000 Dollar hoch. Weitere Mitglieder traten aus und nahmen ihren 90-Dollar-Monatsbeitrag mit. Einige konnten sich den Beitrag einfach nicht leisten. Andere waren der Meinung, dass der Club schon bessere Tage gesehen hätte.

Kurz nachdem er die Geschichte gelesen hatte, gelang es Norbert, eine E-Mail-Adresse von Oracle-Racing-Teamchef Bill Erkelens zu ermitteln. Er schickte eine formale, fast schüchterne Nachricht mit der Betreffzeile »Golden Gate Yacht Club available«. Norbert stellte sich selbst und den Golden Gate Yacht Club vor. »Es gibt Gerüchte, die besagen, dass Mr. Ellison und Oracle Racing nach einem Yacht-Club in San Francisco Ausschau halten.« Während die Anlage des Golden Gate Yacht Clubs »etwa halb so groß wie die des St. Francis Yacht Clubs« sei, schrieb Norbert, wären die Aussicht und die Erreichbarkeit des Hafens genauso gut »oder sogar besser. Wenn die Verhandlungen mit dem St. Francis Yacht Club nicht abgeschlossen werden können, dann könnte unser Yacht-Club die Alternative sein«.

Zu Norberts Überraschung antwortete Erkelens bereits am nächsten Tag, obwohl er zeitgleich mit einem halben Dutzend Yacht-Clubs Gespräche führte: dem California Yacht Club in Los Angeles, dem Richmond Yacht Club im Osten der Bucht von San Francisco, dem Corinthean in Tiburon und dem San Francisco Yacht Club in Belvedere. »Ich würde mich sehr gern zu einem Gespräch treffen«, schrieb Erkelens in seiner E-Mail. Obwohl so kurz und prägnant, sagte diese Nachricht doch viel mehr, als Norbert erwartet hatte. »Ich bin ein Ex-Bulle im Autogeschäft«, dachte er bei sich. »Was weiß ich denn schon?«

Eines aber wussten alle: Sollte Ellison den America’s Cup 2003 in Neuseeland gewinnen, hätte die ganze Bucht Anteil an diesem großen Sieg. Das Sieger-Team gewinnt die Austragungsrechte für die nächste Auflage. Die »Auld Mug« heimzubringen wäre vergleichbar mit einem Lottosieg für die Stadt. Es könnte Hunderte Millionen Dollar für die Wirtschaft bedeuten. Und für den gastgebenden Yacht-Club würde die Veranstaltung zu einer echten Goldgrube werden. Der Neid der internationalen Segelwelt würde dem Club ein ganz neues Prestige verleihen. Der Golden Gate Yacht Club wäre der kleine Motor, dem das mit zu verdanken wäre.