Der Milliardär und der Mechaniker

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Reparaturwerkstatt für Kfz-Kühler und -Klimaanlagen in San Francisco
Herbst 1999

Norbert Bajurin strich durch die Werkstatt für Kfz-Klimaanlagen mit ihrem wohlbekannten Geruch nach Motoröl und Kühlflüssigkeit. Andere mochten diesen Geruch abstoßend finden. Ihn beruhigte er. Er fertigte eine Bestandsliste von etwa einem halben Dutzend Autos an, von Chevy-Pick-ups bis hin zu den neuen Jaguars, und hörte im Radio Totos »Love Isn’t Always on Time«. Der Klang erinnerte ihn an sorgenfreiere Zeiten, als er noch Single und beim Militär war. Damals genoss er drei große Mahlzeiten pro Tag. Er war für niemanden verantwortlich außer sich selbst.

20 Mechaniker waren in der Werkstatt tätig, reparierten Klimaanlagen oder nahmen sie an und registrierten sie. Sie erneuerten alte Verlötungen und gaben ihnen ein neues Kupfer- und Bronze-Innenleben, falls das Drumherum noch in Ordnung war. Immer öfter installierten Norberts Jungs Kühler mit Kunststofftanks, in Übersee für einen Bruchteil der ursprünglichen Preise hergestellt.

Norbert klopfte einem seiner Mechaniker auf die Schulter und fragte ihn nach seiner Familie, bevor das Gespräch in Richtung Football abdriftete. Norbert war ein eingefleischter Fan der San Francisco 49ers, aber er war auch beeindruckt von der Wiederauferstehung der St. Louis Rams, einem Team, das fast ein Jahrzehnt lang zu den Verlierern zählte und plötzlich Großes leistete. Die Mechaniker unterhielten sich über die Chancen der Rams, es zum Super Bowl zu bringen.

Ein anderer Mechaniker, der von seiner Arbeit unter einer Motorhaube hervorschaute, fragte »Norbini«, ob er am Wochenende beim Fischen Erfolg gehabt hätte. Norbert war bekannt dafür, dass er gern angeln ging, obwohl er das Segeln hasste. Er sagte, dass er in den kommenden Wochen in der Bucht angeln gehen wollte. In den frühen Sommermonaten konnte man in der Nähe der Golden Gate Bridge und vor der Küste von Marin südlich von Bolinas Lachse angeln. Von Mai bis Oktober ging es auf Heilbutt in den Gewässern von Crissy Fields und auf der Südseite von Angel Island. Blaumaul und Lengdorsch wurden von Anfang Juni bis Dezember geangelt und waren sowohl in Küstennähe als auch auf See zu finden.

Auf dem Weg in sein Büro machte er sich im Geiste Notizen zum Zustand verschiedener Autos und Lkw. Er konnte inzwischen anhand von Korrosion gut ermessen, wie nah jemand am Meer lebte. »Sie wohnen draußen am Sunset, richtig?«, würde er einen Kunden fragen. Oder feststellen: »Sie wohnen in Richmond«, wissend, dass der eine Stadtteil dichter am Wasser lag als der andere. Norbert wusste, dass er ein echter Experte für Klimaanlagen geworden war, während er den Geschmack der salzigen Luft genoss. Sie war das Brot und die Butter seines Gewerbes.

»Wenn etwas mit der Klimaanlage schiefgeht, dann kann es zu Problemen im gesamten Kühl- und Heizungssystem kommen«, erklärte Norbert seinen Kunden, die sich mit dem Verständnis für die Abläufe im Inneren ihres Autos schwertaten. »Die Klimaanlage eines Autos ist wie ein menschlicher Körper«, sagte er gern, »der Kompressor ist das Herz, der Sammler-Trockner ist als Ausgleichsund Vorratsbehälter die Leber, die Kondensatoren mit ihren Filtern sind die Nieren, die Schläuche und die Ausdehnungsventile sind die Venen.« Norbert war von freundlicher Natur und bei seinen Kunden sehr beliebt. Er hatte die Angewohnheit, sich seinen Kunden zuzuwenden, und eine liebenswerte Art, sie anzulächeln. Norbert war von Natur aus redselig, konnte bewundernd über das Innenleben eines Automotors berichten, Fußballstatistiken auswendig auf sagen, mit den Jungs scherzen oder auch für einen Moment ganz still werden, wenn eine schöne Frau vorbeiging.

Die Wände entlang der Wege durch die Werkstatt waren mit Leitungen, Heizungsschläuchen, Keilriemen, Kompressoren, Ausgleichsventilen, Relais, Schaltern und automatischen Schaltungen für nahezu jedes Baujahr, jede Marke und jedes Modell von Auto behängt, das in diese Werkstatt rollen könnte. Zwei massive Magnum-Hebebühnen befanden sich in der Nähe der Annahmestelle. Die Kisten waren gefüllt mit Kfz-Klimaanlagen und die Regale gut bestückt mit Motorölen, Allwetter-Klarsichtmitteln und Frostschutzmittel. Norbert, der Klimaanlagen für Autos verkaufte, reparierte und mit ihnen handelte, hatte die Zusammenarbeit mit einem Hersteller in Thailand aufgenommen, der Kühler mit Plastiktanks herstellte. Es war das jüngste Erdbeben, das sein Business ereilt hatte. Er hatte zwei Container-Ladungen gekauft. Jeder Container war drei mal zwölf Meter groß und beherbergte 1300 Klimaanlagen. Er hatte seinem Vater Jozo erklärt, dass sie einen für einen Toyota gebauten Kühler nehmen könnten, der im Händlernetz etwa 200 Dollar kosten würde, oder aber einen aus Thailand, der den Anforderungen an das originale Ausrüstungsteil entsprach oder sie noch übertraf. Und das für ein Viertel des Preises. Den könnten sie nach San Francisco bringen und ihn dort zu einem Preis mit 110 Prozent Handelsspanne verkaufen. Das Ganze immer noch 89, 90 Dollar günstiger als der Händler.

Jozo war an diesem Morgen um die übliche Zeit angekommen: Um 9.30 Uhr hatte er sich in sein Büro im Obergeschoss begeben, das nur mit einem Marlin und einem Pin-up-Kalender dekoriert war. Er saß an seinem Schreibtisch, las die Zeitung und prüfte die bereits ausgedruckten Konten. Zum ersten Mal wurden die Bilanzen automatisch erstellt und nicht mehr handschriftlich in schweren schmutzigen Büchern aufgelistet. Das Thema der elektronischen Buchhaltung war Thema einer der vielen Kämpfe zwischen Vater und Sohn gewesen. Norbert hatte darauf bestanden, dass sie in Computer investierten. Jozo hatte argumentiert, dass Computer viel zu teuer seien. Schlussendlich hatte Norbert gewonnen und seinen Vater zu einem 20 000-Dollar-Investment überredet. Am ersten Tag hatte Norbert alle verfügbaren Bilanzen ausgedruckt. Sein Vater sah auf einer Seite, was noch offen war. Papa gefiel, was er sah.

Der vorangegangene Sommer war aufgrund einer andauernden Hitzewelle in der Region der Bucht sehr lukrativ für Norbert und Jozo Bajurin gewesen. Ihre Mannschaft hatte in Zwölf- bis 14-Stunden-Schichten gearbeitet. Jeder Platz in der Werkstatt war besetzt. Norbert sagte – und meinte das nur halb im Scherz –, dass er seinen Vater reich machen würde.

Norbert war nur widerstrebend in das Geschäft Alouis Auto Radiator eingestiegen. Indem er es tat, hatte er einen Job aufgeben müssen, den er als Polizist in einer kleinen Gemeinde namens Rohnert Park, etwa eine Stunde nördlich von San Francisco, sehr geschätzt hatte. Der Hauptinhalt der Arbeit eines Polizisten hatte dort in der Aufklärung von Einbrüchen bei Tageslicht und der Ahndung von Verkehrssünden bestanden. Er hatte 1978 um Mitternacht dort die Arbeit aufgenommen, nur sechs Stunden, nachdem er aus dem Militär ausgeschieden war. Er war der zwölfte Mann, der für die Truppe verpflichtet worden war. Der Polizeichef von Rohnert Park hieß Bob Dennett, war sein Mentor und ein souveräner Mann. Norbert tauschte sich mit ihm über die Probleme mit seinem Vater aus. Dennett sagte ihm immer, er solle daran arbeiten: »Er ist der einzige Vater, den du hast.«

Norbert stand unter dem Schild der Werkstatt mit dem Alouis-Schriftzug. Das »A« war vor Jahrzehnten ergänzt worden, um in den Gelben Seiten ganz vorn zu stehen. Norbert schaute auf seinen Kalender. Sein Vater war nun unten in der Werkstatt und sprach mit einem Kunden. Es war einer der Stammkunden, die es mochten, wenn der Geschichtenerzähler Jozo anwesend war. Er und der Alte sprachen dann über Boote und die besten Plätze zum Angeln. Mehr als über Autos oder Klimaanlagen. Jozo galt in Bootskreisen als eine Art Legende, weil er 1973 mit einer 50-Fuß-Stahlyacht unter der Golden Gate Bridge hindurch nach Tahiti und zurück gesegelt war.

Jozo, dessen offizielle Schulzeit in der achten Klasse geendet hatte, weil er danach in eine technische Schule gewechselt war, hatte 1959 in San Francisco mit der Reparatur von Kühlern begonnen. Frank Glogoshki, ein Kroate, der sein Geschäft aus seiner Garage im Wohnviertel Castro District heraus betrieb, hatte Jozo das Handwerk gelehrt. Jozo arbeitete in einem anderen Laden an der Golden Gate Avenue und Fillmore Street. Dort hatte er 1963 angefangen. Er lernte das Handwerk zu einer Zeit, als Klimaanlagen gerade in den ersten Chevrolets und Cadillacs auftauchten. Zu der Zeit waren sie noch simpel. Fünf Automodelle teilten sich denselben Typ Klimaanlage. Heutzutage dagegen gibt es fünf verschiedene passende Klimaanlagen für ein einziges Auto. 1967 wurde Jozo Partner in der Werkstatt. 1985 zogen er und sein Kompagnon an den heutigen Standort in der Divisadero Street, wo im Erdgeschoss 12 500 und im ersten Stock 1450 Quadratmeter in einem Gebäude von 1898 zur Verfügung stehen. Alouis nahm etwa einen halben Wohnblock in einer nüchternen Gegend an der Grenze zum Gebiet der »Western Addition« im Zentrum von San Francisco unweit der Bucht ein.

Während seiner Karriere hatte Jozo immer Geld an seine Zwillingsbrüder Niksa und Zwonke sowie seine Schwestern Franica und Katica nach Kroatien geschickt. Ante, ein weiterer Bruder, war im Alter von sieben Jahren gestorben, weil er auf einem Feld gespielt und eine italienische Granate für einen Ball gehalten hatte. Sie war in seinen Händen detoniert. Jozos Brüder lebten in Hodilje, einem kleinen Fischerdorf, von umgerechnet etwa 80 Dollar, die sie jeden Monat vom Staat erhielten. Um klarzukommen, erwirtschafteten sie sich als Fischer und Farmer etwas dazu, bauten Oliven, Tomaten und Kartoffeln an, verkauften Austern und Muscheln, mit denen sie ein bisschen Extrageld in der einheimischen Währung Dinar oder Kuna verdienten.

Zum ersten Mal in ihrem Leben kamen Norbert, der gerade 44 Jahre alt geworden war, und sein 22 Jahre älterer Vater miteinander aus. Der Tod von Norberts Mutter Gertrude hatte sie drei Jahre zuvor enger zusammenrücken lassen. Gertrude war 59 Jahre alt gewesen, als sie zum Auftakt einer Europareise einen Asthmaanfall erlitt. Nach 35 Arbeitsjahren bei der Banc of America in San Francisco, wo sie als Kassiererin angefangen und als Vizepräsidentin aufgehört hatte, war sie in Rente gegangen und hatte einen Teilzeitjob in Marin County angenommen, um auch weiterhin eine Beschäftigung zu haben. Dort hatte sie eine 220-Dollar-Rundreise nach Deutschland für sich entdeckt. Sie war in Amsterdam und auf dem Weg nach Hamburg, als sie von einer schweren Asthmaattacke heimgesucht wurde. Sie hielt lange genug durch, sodass Jozo und Norbert an ihrer Seite sein konnten, als sie in einem holländischen Hotel starb.

 

Eine der Gemeinsamkeiten von Norbert und seinem Vater war das Angeln. Und sie liebten es, im Golden Gate Yacht Club einen Drink zu nehmen. Der befand sich in einer stillen ungepflegten Ecke im Hafen von San Francisco nahe der Stelle, wo Jozos Boot vor Anker lag.

Jozo hatte Norbert über Jahre hinweg bearbeitet, mit in sein Klimaanlagen-Geschäft einzusteigen, in dem Norbert immer wieder einmal phasenweise gejobbt hatte. In den frühen 1970er-Jahren hatte Norbert dort für fünf Dollar die Stunde ausgeholfen und genügend Geld verdient, um sich sein erstes Auto zu kaufen: einen braunen Ford Pinto Baujahr 1973.

Norbert stieg 1982 in das Geschäft mit den Klimaanlagen ein. Zu dem Zeitpunkt beliefen sich die jährlichen Umsätze der Werkstatt auf etwa eine Million Dollar. 17 Jahre später hatten sich die Umsätze mit jährlich bis zu 2,4 Millionen Dollar mehr als verdoppelt. In einem durchschnittlichen Geschäftsjahr betrug der Umsatz etwa 1,4 Millionen Dollar. Während er sich in der mit Autos vollgestellten Werkstatt umsah, wurde Norbert von Stolz auf die geleistete Arbeit ergriffen. Aber es fühlte sich immer noch wie der Traum seines Vaters an. Nicht wie sein eigener.

Antigua
Mai 2000

Bekleidet mit kakifarbenen Shorts und einem SAYONARA-T-Shirt, saß der braun gebrannte Larry Ellison mit Freunden und Segelkameraden am Lagerfeuer, als die Sonne hinter dem puderig weißen Sandstrand und dem klaren blauen Meer vor English Harbour auf Antigua hinter den Westindischen Inseln unterging.

Larry und seine SAYONARA-Crew hatten gerade die Antigua Sailing Week zum zweiten Mal in Folge gewonnen. Die prestigereichste Regatta der Karibik war 1967 zum ersten Mal ausgetragen worden und bekannt für ihre umwerfend schöne Kulisse und ihre Après-Sail-Partys, auf denen der Rum nur so floss. SAYONARA hatte die gesamte Flotte von 300 Booten übertroffen, darunter die MORNING GLORY von SAP-Gründer und -Boss Hasso Plattner und die BOOMERANG des Schifffahrtsmagnaten George Coumantaros. Binnen fünf Jahren hatte sich SAYONARA in 25 von 27 Regatten erste Plätze gesichert. Sie hatte außerdem im Sydney-to-Hobart-Rennen heldenhaft dem todbringenden Sturm getrotzt. Der Sieg in dieser Antigua Sailing Week bescherte dem Oracle-Boss seinen vierten Weltmeistertitel in der Maxi-Klasse und die Tatsache, nun Eigner einer der erfolgreichsten Rennyachten in der Segelsportgeschichte zu sein.

Rund um das Lagerfeuer trank Larry Wasser aus einer Plastikflasche, während eine karibische Steelband spielte und eine leichte Brise durch die umstehenden Palmen strich. Er hatte mit Anfang 20 dem Trinken von Alkohol komplett abgeschworen. Dem Entschluss war ein peinlicher Vorfall vorausgegangen, als er bei einer Party eine außer gewöhnlich verführerische junge Frau geküsst hatte, die ein transparentes pinkfarbenes Kleid trug. Die Frau war die Verlobte eines Freundes von ihm gewesen …

Die Segler saßen rund um das Lagerfeuer und tauschten sich über die jüngsten Gerüchte aus der Welt des Regattasports aus. Russell Coutts, ein Mann mit Mopp-Frisur auf dem Kopf und bis vor Kurzem Skipper von Team New Zealand, hatte gerade den America’s Cup und damit die wichtigste internationale Segelsporttrophäe gewonnen. Dieser Russell Coutts sei nun für einen jungen europäischen Milliardär namens Ernesto Bertarelli im Einsatz, um ein Schweizer Herausforderer-Team für den nächsten Cup im Jahre 2003 aufzubauen. Das Überlaufen von Coutts und vier weiteren neuseeländischen Teammitgliedern – Murray Jones, Simon Daubney, Dean Phipps und Warwick Fleury – hatte die Neuseeländer sehr aufgebracht und Schockwellen durch die Reihen der Sportfans geschickt. Bertarelli hatte gesagt, er hätte es sich selbst nicht verziehen, wenn er eine solche Chance auf ein Team und die Cupteilnahme ungenutzt gelassen hätte. Während es im Cup schon lange sogenannte freie Agenten oder auch Segelsöldner gegeben hatte, war der Wechsel des erfolgreichen Coutts und seiner Gefolgsleute auf ein anderes Schiff für ein anderes Land doch in etwa vergleichbar mit der Vorstellung, dass die besten amerikanischen Tennisspieler im Davis Cup plötzlich für Frankreich antreten würden.

Über mehr als eineinhalb Jahrhunderte war um den America’s Cup in einer sehr nationalistischen Weise gekämpft worden. Niemals zuvor hatte es Abwerbungen und Überläufer auf diesem Niveau gegeben. Gerade in den Jahren zuvor hatten sich die Neuseeländer einen Ruf als »New York Yankees des Segelsports« erworben, die »Mr. America’s Cup« Dennis Conner die Kanne 1995 vor San Diego gestohlen und 2000 vor Auckland in Neuseeland erfolgreich verteidigt hatten. Unter Coutts, der sich aufgrund seiner aggressiven Taktik schon früh den Spitznamen »Crash Coutts« erworben hatte, hatte Team New Zealand nicht ein einziges Cup-Rennen verloren.

Die Nachrichten stimmten Larry nachdenklich. Er hatte den Cup seit Jahrzehnten verfolgt und im Alter von 26 Jahren die aufsehenerregende Geschichte von Bill Ficker gelesen, der den America’s Cup für den New York Yacht Club gewonnen hatte. »Ficker is quicker – Ficker ist schneller« lautete damals eine Schlagzeile. Larry gefiel die Vorstellung, dass das erste Cup-Duell ein halbes Jahrhundert vor dem ersten Finale der US-amerikanischen Baseball-Profiligen und fast zwei Jahrzehnte vor der Geburt des modernen College-Footballs an der Ostküste begonnen hatte. Die erste Cup-Regatta wurde im Rahmen der Weltausstellung in London ausgetragen, die am 1. Mai 1851 eröffnet worden war und neueste Erfindungen aus Industrie, Kunst und Wissenschaft gefeiert hatte – vom Telegrafen bis zur Nähmaschine. Unter den Besuchern der Messe im Hyde Park waren Charles Dickens, Samuel Colt, Alfred Lord Tennyson und Mitglieder der königlichen Familie. Bezahlt von den industriellen Ausstellern, machte die Messe mit ihrem berühmten Kristallpalast aus Glas und Stahl von sich reden. Die Vision zu dieser internationalen Ausstellung hatte Königin Victorias Ehemann Prinz Albert. Doch die Idee zu einem Segelrennen zwischen Nationen hatte eine Handvoll Männer des New York Yacht Clubs, der 1844 gegründet worden war.

Die AMERICA repräsentierte das innovative Können der Vereinigten Staaten auf dem Wasser. Sie war ein 29 Meter langer, schwarzer Gaffelriggschoner mit einem konkaven Bug, tiefem Freibord und Baumwollsegeln. Man sagte ihr nach, dass ihre Segel besser die Form hielten als die Flachssegel der Briten. Sie hatte die Form von Lotsenbooten. Im Juni hatte sie ihre Segel im East River von New York City gesetzt und war auf ihrer Atlantiküberquerung von Kapitän W. H. Brown, der eine Werft am Fuße der östlichen 12. Straße in New York betrieb, und zwölf Männern bemannt worden. Brown hatte die AMERICA für 20 000 Dollar in bar bauen lassen. Der Marquis von Anglesey, ein Mitglied der 1815 gegründeten Royal Yacht Squadron als erstem Segelclub mit königlicher Bestimmung, warf einen Blick auf die AMERICA und sagte: »Wenn sie richtig ist, dann liegen wir alle falsch.« Ein weiterer Brite bemerkte, dass die AMERICA wie ein »Falke unter Tauben« aussehe.

Das Segelteam an Bord der AMERICA wurde von John Cox Stevens geführt, dem Sohn eines revolutionären Kriegsoffiziers, dem ersten Kommodore des New York Yacht Clubs. Er war ein Mann, der wusste, wie man die eine oder andere Wette bei Sportveranstaltungen zu platzieren hatte. Der Crew gehörte auch James Hamilton an, Sohn des Gründungsvaters Alexander Hamilton, der einst erster Sekretär im Finanzministerium der Vereinigten Staaten gewesen war. Das Rennen – 53 Meilen rund um die Isle of Wight, wo Königin Victoria mit dem Osborne House ihr Sommerhaus hatte – begann am Freitag, dem 10. August, um zehn Uhr morgens in einer Brise um elf Knoten Wind. Beteiligte waren ein amerikanisches und 15 britische Boote.

AMERICA übernahm früh die Führung und verteidigte sie bis ins Ziel, schlug die britische Yacht AURORA mit acht Minuten Vorsprung im Ziel. Man erzählt sich, dass Königin Victoria gegen Ende des Rennens ihren Diener gefragt habe, wer denn bitte Zweiter geworden wäre. »Ma’am, es gibt keinen Zweiten«, war die Antwort. Dieses Statement verkörpert den America’s Cup bis heute.

Dem siegreichen amerikanischen Team wurde ein bodenloser silberner Krug überreicht, der drei Kilogramm und 798,84 Gramm wog und 68,58 Zentimeter in die Höhe ragte. Erworben Mitte des 19. Jahrhunderts für 100 Souvereigns beim königlichen Juwelier Robert Garrard und der Royal Yacht Squadron übergeben. Die Silberkanne wurde von den Amerikanern fälschlicherweise – und blieb es bis heute – als »100 Guinea Cup« betitelt – ein Umrechnungsfehler in den Währungen war Schuld. In ihren frühen Jahren wurde die Trophäe irrtümlicherweise auch »Queen’s Cup« genannt. Als der Cup nach dem Sieg 1851 nach New York kam, wurde darüber diskutiert, ihn einzuschmelzen und aus dem Silber Medaillen für alle Crew-Mitglieder zu fertigen, die sie sich um den Hals hängen könnten. Dieses Schicksal aber blieb ihm erspart. Stattdessen wurde er dem New York Yacht Club als ewige Herausforderer-Trophäe übergeben.

Die erste Verteidigung fand im August 1870 statt. Es war das Jahr, in dem die Trophäe nach dem Namen der siegreichen Yacht in America’s Cup umbenannt worden war. Mehr als ein Dutzend amerikanischer Yachten, die alle für den New York Yacht Club ins Rennen gingen, traten in der Bucht von New York gegen die britische CAMBRIA an. CAMBRIA wurde Zehnte, der Schoner MAGIC gewann, und die von der US-Navy modifizierte AMERICA erreichte Platz vier.

Von Beginn an faszinierte diese Regatta mit ihren Booten, den Rennen und dem ganzen Drumherum die Öffentlichkeit. Es ging ebenso sehr um die Innovationen wie um den Segelsport.

1895 verfolgten etwa 65 000 Menschen den zehnten America’s Cup vor New York City von Booten aus. Es waren mehr Zuschauer als beim sogenannten Temple Cup. So wurde damals die Meisterschaft der Baseball-Nationalliga in der Nachsaison genannt. Der Wettbewerb hatte sich zur größten Sportveranstaltung weltweit entwickelt. In den Tagen vor Beginn der Rennen in New York kamen Dampfschiffe aus Europa, voll beladen mit Zuschauern. Züge brachten die Enthusiasten aus ganz Amerika zum Ort der Veranstaltung. An Regattatagen strömten Zehntausende Menschen durch die Straßen rund um die Fleet Street und warteten auf die druckfrischen Zeitungen mit den neuesten Nachrichten vom Cup.

Die Begeisterung wurde auch nicht durch die Tatsache gemindert, dass die meisten Menschen außerstande waren, diese Rennen zu sehen oder auch nur zu verstehen, was da draußen auf dem Kurs geschah. Allein das Betrachten dieser spektakulären Boote und ihrer massiven, prallen Segel reichte, um Beifall hervorzurufen.

Zur Jahrhundertwende erwischte den irischen Tee- und Lebensmittelhändler Sir Thomas Lipton das »Cup-Fieber«. Er formierte zwischen 1899 und 1930 über drei Jahrzehnte fünf Herausforderungen für den Kampf um den Cup, gewann ihn aber nie. Der kampflustige Selfmade-Millionär, ein hochgewachsener eleganter und überzeugter Selfmademan, stieg im Heckwasser sympathischer und begeisterter Regattasegler wie J. P. Morgan, der 1899 und 1901 sein Rivale war, in das Cup-Geschehen ein. Liptons erste Cup-Yacht namens SHAMROCK war imposant. Ihr Rumpf war grün lackiert. Als Lipton zu seiner ersten Herausforderung in New York eintraf, wurde er als »Sir Tea« und »Jubilar Lipton« begrüßt. Die Presse feierte ihn als armen Jungen, der es zu etwas gebracht hatte. Es war die Zeit, in der die ersten Automobile auf der Bildfläche erschienen und die Vereinigten Staaten vor Optimismus überschäumten. Die Bevölkerungsdichte näherte sich 78 Millionen, und das Land war nahe daran, Großbritannien als führende Industrienation zu überholen. Als Lipton in New York ankam, ließ er die versammelten Massen wissen: »Ich bin hier, um zu gewinnen, wenn möglich.« Bei seinem Tod im Alter von 81 Jahren träumte Lipton, dessen Popularität mit jeder Cup-Herausforderung wuchs, noch immer davon, einmal die »Auld Mug«, wie er sie nannte, in Händen zu halten.

 

Einst als vornehmer Wettbewerb zwischen Nationen gestartet, entwickelte sich der Cup schnell zu einer Schaubühne für Talent und Technologie, um die an Land schon lange gefochten wurde. Lipton zählte zu den Ersten, die erkannten, dass die Amerikaner einen riesigen Vorteil aufgrund der Tatsache hatten, dass sie ihre Boote nur für die küstennahen Rennen bauen mussten. Die Herausforderer dagegen benötigten Boote, die stark genug für eine Atlantiküberquerung waren, bevor auch sie in die Rennen starten konnten.

Im ausgehenden 20. Jahrhundert war diese Eliteschau zur See schwerer zu gewinnen als die Olympischen Spiele. Die Geschichten über die Jäger des Heiligen Grals boten Stoff für Legenden. In einem bis zum letzten Rennen dramatisch spannenden Siegeszug entriss der australische Skipper John Bertrand dem New York Yacht Club 1983 den Cup, der ihn in den vergangenen 132 Jahren nicht aus den Händen gegeben hatte. Damit endete die längste Erfolgsserie der internationalen Sportgeschichte. Bertrand beschrieb seine Aufgabe als »Schicksalsentscheidung, ein aufwühlendes Ereignis, etwa so alt wie die Menschheit«. Bill Koch, Milliardär und Unternehmer, hat fast 70 Millionen US-Dollar investiert, um den Cup 1992 mit seiner AMERICA3 zurückzuholen, die auch »America Cube« genannt wurde. Koch nannte den America’s Cup den »skrupellosesten Wettbewerb, den ich je erlebt habe«. Als Koch gewonnen hatte, sprang er vom Bug der AMERICA3, kletterte auf den Steg des San Diego Yacht Clubs und hob die Trophäe vor den jubelnden Massen in die Höhe. »Dies ist ein Triumph für amerikanische Technologie und amerikanisches Teamwork«, erklärte er. Der Australier Frank Packer schrieb seine Besessenheit für den Cup »Alkohol und Größenwahn« zu. Andere hatten es »ein Spiel der Reichen und einen Grand Prix für Mord« genannt. Oder einen »Gentleman’s Sport, in dem gerade deshalb jedes Detail zu beachten sei«.

Larry hatte Yachtdesigns studiert. Er bewunderte und besaß Gemälde von Clippern des Marinemalers Montague Dawson. Er war erstaunt darüber, dass sich ein Rennen, das einmal mit riesigen 170 Tonnen schweren Schonern begonnen hatte, so hatte entwickeln können: Aerodynamische und hydrodynamische Designs wurden nun von NASA-Ingenieuren getestet. Telemetrie und 24-Stunden-Meteorologie bestimmten nun das Bild, dazu modernste hoch komprimierte Kohlefasern. Die unaufhaltsame Entwicklung in der Materialwissenschaft hatte die Yachten von Holz über Aluminium und Glasfaser bis hin zu Kohlefaser geführt. Einer noch moderneren Kohlefaser als jener, die für den Bau von Boeings Jetlinern verwendet wurde. Auch die Bootsklassen hatten sich dramatisch verändert. In den 1930er-Jahren waren es die J-Class-Yachten, die in Größen zwischen 119 Fuß über alles und 87 Fuß Wasserlinienlänge (36,18 m bzw. 26,5 m) bis zu 136 Fuß über alles und 75 Fuß Wasserlinienlänge gebaut wurden (41,45 m bzw. 22,8 m). Sie wurden von einigen der reichsten Männer der Erde gesegelt, darunter Lipton, Morgan und Harold »Mike« Vanderbilt. Entworfen wurden sie von dem legendären Yachtkonstrukteur Nathanael Greene Herreshoff. Während der Weltwirtschaftskrise entwickelte sich der America’s Cup zur weltweit führenden Sportveranstaltung und hob die gedrückte Stimmung.

Sogar die Boote erhielten Namen, die inspirieren sollten: ENTERPRISE (dt.: Unternehmen, Unternehmungsgeist) 1930 und RAINBOW (dt.: Regenbogen) 1934. 24 Jahre wurde der Cup dann vom Krieg unterbrochen. Erst 1958 wurden die Rennen fortgesetzt. Das Geld war nach dem Zweiten Weltkrieg knapp und der America’s Cup eine Extravaganz. Als die Regatta 1958 wieder aufgenommen wurde, trug man sie in der 12-Meter-Klasse mit den sogenannten Zwölfern aus. (Die »12 Meter« waren einer Vermessungsformel zuzuschreiben, nicht der Länge der Yachten.) Diese internationale Klasse mit den Slups und ihren 26 Meter langen Masten eignete sich auch hervorragend für Match-Race-Duelle. Etwas später, nach dem umstrittenen, aber legalen Duell zwischen Neuseeland und Dennis Conner im Jahre 1988, wurde eine neue Bootsklasse eingeführt: die Internationale America’s Cup Class (IACC). Eine Formel gab das Design der Boote vor. So sollte das Spielfeld etwas ausgeglichen werden. Diese Boote segelten erstmals 1992 vor San Diego. Dort besiegte Koch das Boot von Il Moro di Venezia, das von Paul Cayard aus San Francisco gesteuert wurde. Mit der gleichen Bootsklasse wurden die Cup-Auflagen 1995 und 2000 ausgetragen.

Mit den Veränderungen der Boote ergaben sich auch Veränderungen der Crews. Die roten Hosen und die Strohhüte der Wettbewerber von einst verschwanden. Muskelbepackte Weltklasse-Athleten, die in ihrer Schutzbekleidung und den engen Shirts wie Superhelden aussahen und Messgeräte am Körper trugen, um ihre aeroben und anaeroben Leistungsdaten zu messen, traten auf den Plan. Sie nutzten kleine elektronische Anzeigen, die Auskunft über Windgeschwindigkeit, Seegang und optimale Segelwinkel gaben. Ein Wettbewerb, der einst Wochenendsegler – oftmals waren es College-Absolventen von der Ostküste – und ihre reichen Mäzene lockte, wurde nun von Regelbüchern, Sportpsychologen, Videoanalysen der gegnerischen Verhaltensmuster auf dem Wasser, Software mit virtuellen Kämpfen zwischen verschiedenen Teams und Liveanalysen der technischen Daten der Yachten während der Rennen geprägt. Die Segler, einst mit Kost und Logis bezahlt, konnten nun Tausende Dollar im Monat verdienen. Oder noch mehr. Auch sie hatten sich weiterentwickelt. Kannten sie früher einfach das Boot und konnten die Segelbedingungen lesen, so beschäftigten sie sich nun auch mit der Konstruktion und dem Bau der Yachten, mit der Physik hinter der Verdrängung eines Bootes und seinem Vortrieb.

Larrys Interesse für den Segelsport war in seinen Teenagerzeiten entzündet worden, als er im Süden Chicagos mit seinen Adoptiveltern Lillian und Louis Ellison in der unteren Mittelschicht aufwuchs. Es war eine Titelgeschichte in »National Geographic«, die ihn packte. Sie berichtete von einem Jungen namens Robin Lee Graham, der als jüngster Mensch die Welt allein umsegeln wollte. Die erste Folge der Geschichte erschien mit einem Bild des schlanken und sonnengebräunten Graham ohne T-Shirt an Bord seiner 24-Fuß-Sloop DOVE. Der Titel lautete »Ein Teenager segelt allein um die Welt«. Larry las jedes Wort über die Abenteuer dieses Teenagers in seinem kleinen Boot, seine Reisen in exotische Reviere, seine beiden Katzenjungen an Bord und seinen Kurzwellenempfänger zur Gesellschaft. Er beneidete Graham um die Unterstützung seiner Eltern bei diesem Abenteuer. Er repräsentierte das Gegenteil seines eigenen Lebens. Larrys Stiefvater, ein russischer Jude, der 1905 mit einem Dampfschiff nach Amerika gekommen war und seinen komplizierten russischen Namen auf Höhe von Ellis Island in Ellison geändert hatte, schien viel Zeit damit zu verbringen, dem jungen Larry zu sagen, dass er ohnehin niemals einen bedeutenden Beitrag zu irgendetwas leisten würde. Die beiden hatten mehr Streitpunkte als Gemeinsamkeiten. Lou Ellison verehrte autoritäre Figuren. Er war auf ewig dankbar, ein Amerikaner zu sein. Larry aber hielt die Mächtigen für weitgehend uninspiriert oder falsch in ihren Ansichten. Wenn die beiden über die Tugenden von Präsident Eisenhower und seine Politik sprachen, erklärte Lou Larry: »Er ist der Präsident. Er weiß Dinge, von denen wir keine Ahnung haben. Diese Informationen ermöglichen es ihm, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Auch, wenn wir sie nicht verstehen können.« Larry antwortete: »Er sieht für mich aus wie ein Mensch. Ich bin sicher, dass er Fehler macht wie alle anderen Menschen auch.« Larry glaubte nie an die Unfehlbarkeit von Obrigkeiten. Liebend gern zitierte er Mark Twain: »Was ist ein Experte? Nur ein Typ von außerhalb.«