Die Abenteuer des Kapitän Hatteras

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Zehntes Kapitel – Gefährliche Fahrt

Shan­don, der Dok­tor Cla­w­bon­ny, John­son, Fo­ker und der Koch Strong stie­gen in des Wal­fisch­boot und fuh­ren ans Ufer.


Der Gou­ver­neur, sei­ne Frau und fünf Kin­der, sämt­lich von Es­ki­mo­ras­se, ka­men höf­lich dem Be­such ent­ge­gen. Der Dok­tor ver­stand als Phi­lo­lo­ge ein we­nig dä­nisch, wel­ches zur An­knüp­fung freund­li­cher Be­zie­hun­gen hin­reich­te; auch ver­stand der Eis­meis­ter Fo­ker, zu­gleich Dol­met­scher der Ex­pe­di­ti­on, etwa zwan­zig Wör­ter Grön­län­disch, und wenn man nicht ehr­gei­zig ist, kommt man mit zwan­zig Wör­tern schon weit.

Der Gou­ver­neur, ein Ein­ge­bo­re­ner der In­sel Dis­ko, war nie aus sei­nem Ge­burts­land her­aus­ge­kom­men; er be­grüß­te im Na­men sei­ner Stadt, die aus drei höl­zer­nen Häu­sern, dem des Gou­ver­neurs, des lu­the­ri­schen Pfar­rers und ei­nem Schul­hau­se und Ma­ga­zi­nen be­steht, wel­che die Gü­ter ge­stran­de­ter Schif­fe ber­gen. Der Rest be­steht aus Schnee­hüt­ten, in wel­che die Es­ki­mos durch eine ein­zi­ge Öff­nung hin­ein­krie­chen.

Ein großer Teil der Be­woh­ner war dem For­ward ent­ge­gen­ge­fah­ren, und mehr als ein Ein­ge­bo­re­ner fuhr in sei­nem fünf­zehn Fuß lan­gen und höchs­tens zwei Fuß brei­ten Ka­jak bis in die Mit­te der Bai.

Der Dok­tor wuss­te, dass das Wort Es­ki­mo einen Men­schen be­zeich­net, der rohe Fi­sche isst; aber er wuss­te auch, dass die­se Be­nen­nung im Lan­de wie ein Schimpf­wort gilt, da­her ver­fehl­te er auch nicht, die Be­woh­ner »Grön­län­der« zu nen­nen.

Und doch war an den öli­gen Rob­ben­fell­klei­dern und Stie­feln, an der schmut­zi­gen und übel­rie­chen­den Um­hül­lung, wel­che Män­ner und Frau­en nicht un­ter­schei­den lässt, leicht zu er­ken­nen, wo­mit die­se Leu­te sich nähr­ten; zu­dem wa­ren sie, wie alle Völ­ker, wel­che von Fi­schen le­ben, zum Teil vom Aus­satz be­fal­len, aber sie be­fan­den sich dar­um nicht eben üb­ler.

Der lu­the­ri­sche Pfar­rer und sei­ne Frau, mit wel­chen der Dok­tor be­son­ders zu plau­dern sich ver­sprach, wa­ren auf ei­nem Aus­flug nach Pro­ven, süd­lich von Up­per­na­wik, so­dass er sich auf die Un­ter­hal­tung mit dem Gou­ver­neur be­schränkt sah. Die­ser obers­te Be­am­te schi­en nicht sehr ge­lehrt, zwar ver­stand er et­was mehr als ein Esel, aber des Le­sens war er nicht völ­lig kun­dig.

Doch be­frag­te er ihn über Han­del, Ge­wohn­hei­ten und Sit­ten der Es­ki­mos und ver­nahm aus ih­rer Ge­bär­den­spra­che, dass die Rob­ben, nach Ko­pen­ha­gen ge­lie­fert, etwa vier­zig Pfund gal­ten, ein Bä­ren­fell mit vier­zig dä­ni­schen Dol­lar, ein blau­es Fuchs­fell mit vier, ein wei­ßes mit zwei bis drei be­zahlt wur­de.

Der Dok­tor wünsch­te auch, um sich per­sön­lich zu un­ter­rich­ten, eine Es­ki­mohüt­te zu be­su­chen; man kann sich kaum vor­stel­len, wozu sich ein Ge­lehr­ter in sei­nem Wis­sens­drang ver­steht; zum Glück war die Öff­nung zu eng, so­dass er trotz al­lem Ei­fer nicht hin­ein­kom­men konn­te. Und das war auch bes­ser, denn es gibt nichts so Wi­der­li­ches als die­se An­häu­fung to­ter oder le­ben­der Ge­gen­stän­de, Rob­ben- oder Es­kimofleisch, fau­ler Fi­sche und stin­ken­der Klei­der, wo­mit eine Grön­län­der­hüt­te aus­ge­stat­tet ist; kei­ne Fens­ter für Luf­ter­neue­rung, nur oben an der Spit­ze ein Loch, wo­durch zwar der Rauch ab­zie­hen kann, nicht aber der Ge­stank.

Fo­ker gab dem Dok­tor dies an, aber der wür­di­ge Ge­lehr­te groll­te doch sei­ner Be­leibt­heit; denn er hät­te gern selbst sich ein Ur­teil ge­bil­det.

»Ich bin über­zeugt«, sag­te er, »dass man mit der Zeit sich dar­an ge­wöhnt.«

Wäh­rend der eth­no­gra­fi­schen Stu­di­en die­ses letz­te­ren war Shan­don, sei­nen In­struk­tio­nen nach, be­schäf­tigt, sich Trans­port­mit­tel über das Eis zu ver­schaf­fen; er muss­te für einen Schlit­ten und sechs Hun­de vier Pfund be­zah­len, und auch da­für sie her­zu­ge­ben, mach­ten die Ein­ge­bo­re­nen Schwie­rig­kei­ten.


Shan­don hät­te ger­ne den ge­schick­ten Hun­de­füh­rer Hans Chris­ti­an ge­wor­ben, wel­cher zur Ex­pe­di­ti­on des Ka­pi­täns Mac Clintock ge­hört hat­te, aber der­sel­be be­fand sich da­mals im süd­li­chen Grön­land.

Dazu nun die Haupt­fra­ge des Ta­ges: Be­fand sich zu Up­per­na­wik ein Eu­ro­pä­er, der auf die Vor­über­fahrt des For­ward war­te­te? Hat­te der Gou­ver­neur Kennt­nis da­von, dass ein Frem­der, wahr­schein­lich Eng­län­der, sich in die­sen Ge­gen­den auf­hal­te? Wann hat­te er die letz­ten Ver­bin­dun­gen mit Wal­fisch­fah­rern oder an­de­ren Schif­fen?

Auf die­se Fra­gen er­wi­der­te der Gou­ver­neur, dass seit län­ger als zehn Mo­na­ten kein Frem­der an die­ser Ge­gend der Küs­te ge­lan­det sei.

Shan­don ließ sich die Na­men der zu­letzt an­ge­kom­me­nen Wal­fisch­fah­rer an­ge­ben; er kann­te kei­nen der­sel­ben. Das war zum Verzwei­feln.

»Sie wer­den mir zu­ge­ben, Dok­tor, dass dies nicht zu be­grei­fen ist«, sag­te er zu sei­nem Ge­fähr­ten. »Nichts am Kap Fa­re­well! Nichts auf der In­sel Dis­ko! Nichts zu Up­per­na­wik!«

»Fü­gen Sie mir nach ei­ni­gen Ta­gen noch dazu: Nichts in der Bai Mel­ville, lie­ber Shan­don, und ich wer­de Sie als al­lei­ni­gen Ka­pi­tän der For­ward be­grü­ßen.«

Das Wal­fisch­boot kehr­te ge­gen Abend mit den Be­su­chern zur For­ward zu­rück; Strong hat­te sich, zum Be­huf neu­er Ge­rich­te, ei­ni­ge Dut­zend Eier von Ei­der-En­ten ver­schafft, wel­che zwei­mal so groß als Hüh­nerei­er und von grün­li­cher Far­be sind. So we­nig das war, so er­qui­ckend war es doch für die auf ge­sal­ze­nes Fleisch an­ge­wie­se­ne Mann­schaft.

Land der Eskimos

Der Wind wur­de am fol­gen­den Tag güns­tig, und doch gab Shan­don kei­nen Be­fehl un­ter Se­gel zu ge­hen; er woll­te noch einen Tag war­ten und, sein Ge­wis­sen zu be­ru­hi­gen, je­dem mensch­li­chen We­sen Zeit las­sen, sich zur For­ward ein­zu­fin­den; er ließ so­gar von Stun­de zu Stun­de den Sech­zehn­pfün­der ab­feu­ern, wel­cher in­mit­ten der Eis­ber­ge don­nernd wi­der­hall­te; doch hat­te dies nichts wei­ter zur Fol­ge, als dass Schwär­me von See­vö­geln da­durch auf­ge­scheucht wur­den. Wäh­rend der Nacht wur­den auch ei­ni­ge Ra­ke­ten in die Luft ge­las­sen, aber ver­geb­lich. Man muss­te sich zum Wei­ter­fah­ren ent­schlie­ßen.

Am 8. Mai um sechs Uhr früh fuhr der For­ward mit vol­len Se­geln ab und ver­lor bald Up­per­na­wik mit sei­nen häss­li­chen Stan­gen­ge­rüs­ten, wor­an dem Ufer ent­lang Ein­ge­wei­de von Rob­ben und Bauch­stücke von Dam­hir­schen hin­gen, aus dem Ge­sicht.

Der Wind weh­te aus Süd-Ost, und die Tem­pe­ra­tur stieg wie­der auf zwei­und­drei­ßig Grad (-0° hun­dert­tei­lig). Die Son­ne drang durch den Ne­bel, und die Eis­blö­cke wur­den un­ter ih­rer auf­lö­sen­den Ein­wir­kung et­was lo­cke­rer.

In­des­sen übte der Re­flex die­ser blen­dend­wei­ßen Strah­len einen nach­tei­li­gen Ein­fluss auf das Ge­sicht ei­ni­ger Leu­te der Mann­schaft. Der Waf­fen­schmied Wol­s­ten, Grip­per, Clif­ton und Bell wur­den schnee­blind, eine im Früh­jahr sehr ver­brei­te­te Au­gen­krank­heit, wel­che bei den Eis­ko­mos häu­fig Blind­heit zur Fol­ge hat. Der Dok­tor riet der gan­zen Mann­schaft, be­son­ders aber den Kran­ken, an, sich das Ge­sicht mit ei­nem Schlei­er von grü­ner Gaze zu ver­hül­len, und be­folg­te zu­erst sei­ne An­ord­nung.

Die von Shan­don zu Up­per­na­wik ge­kauf­ten Hun­de wa­ren ziem­lich wil­der Art, doch ge­wöhn­ten sie sich bald an das Schiff, und Ka­pi­tän Hund stand nicht übel zu sei­nen neu­en Ka­me­ra­den; er schi­en ihre Ge­wohn­hei­ten zu ken­nen. Man konn­te leicht er­ken­nen, dass die­ser Ka­pi­tän be­reits Be­kannt­schaft mit sei­nen Stam­mes­ge­nos­sen auf Grön­land ge­habt ha­ben muss­te. Da die­se zu Lan­de bei un­ge­nü­gen­der Nah­rung stets hung­rig ge­hal­ten wur­den, so wa­ren sie nun gie­rig, bei die­ser Schiffs­ord­nung sich zu er­ho­len.

Am 9. Mai strich der For­ward ei­ni­ge Ka­bel weit bei der west­lichs­ten der Baf­fins-In­seln vor­bei. Der Dok­tor be­merk­te in der Bai zwi­schen den In­seln und dem Lan­de ei­ni­ge Fel­sen, die man Crim­son-Cliffs nennt; sie wa­ren mit ei­nem schön kar­min­ro­ten Schnee be­deckt, wel­chem der Dok­tor Kane einen rein ve­ge­ta­len Ur­sprung gibt; Cla­w­bon­ny hät­te die­se merk­wür­di­ge Phä­no­men gern nä­her be­ob­ach­tet, aber das Eis ge­stat­te­te nicht, sich der Küs­te mehr zu nä­hern. Ob­wohl die Tem­pe­ra­tur zu stei­gen an­fing, konn­te man klar se­hen, dass die Eis­ber­ge und Eiss­trö­me im Nor­den des Baf­fins-Mee­res häu­fi­ger wur­den.

Von Up­per­na­wik an bot das Land einen an­de­ren An­blick, und es zeich­ne­ten sich am Ho­ri­zont die Pro­fi­le un­er­mess­li­cher Glet­scher auf grau­em Him­mels­grund. Am 10. ließ der For­ward die Bai Hing­ston rechts nächst dem vierund­sieb­zigs­ten Brei­ten­grad: meh­re­re hun­dert Mei­len west­lich von dem Ein­gang des Lan­cas­ter-Sund.

Dann aber ver­schwand die un­ge­heu­re Was­ser­flä­che un­ter aus­ge­dehn­ten Eis­fel­dern, auf wel­chen re­gel­mä­ßi­ge Spitz­hü­gel wie die Kris­tal­li­sa­ti­on der näm­li­chen Sub­stanz sich er­he­ben. Shan­don ließ hei­zen, und bis zum 11. Mai schlän­gel­te der For­ward durch die ge­wun­de­nen En­gen, und sein schwar­zer Rauch zeich­ne­te am Him­mel den Weg, wel­chen er nahm.

Aber bald zeig­ten sich neue Hin­der­nis­se; da die schwim­men­den Mas­sen be­stän­dig ihre Stel­le wech­sel­ten, so schlos­sen sich die en­gen Fahr­was­ser; vor dem Vor­der­teil der For­ward droh­te je­den Au­gen­blick das Wa­ser zu man­geln, und wenn er ein­ge­klemmt wur­de, wür­de es ihm schwer­fal­len, sich wie­der her­aus­zu­zie­hen. Je­der wuss­te es, je­der dach­te dar­an.

 

Auch zeig­ten sich an Bord die­ses Schif­fes ohne Ziel, ohne be­kann­te Be­stim­mung, das sinn­los nach Nor­den zu steu­er­te, ei­ni­ge Sym­pto­me schwan­ken­der Ge­sin­nung; un­ter den an ein Le­ben voll Ge­fah­ren ge­wöhn­ten Leu­ten fan­den sich man­che, die trotz der ge­bo­te­nen Vor­tei­le es be­reu­ten, sich so weit ge­wagt zu ha­ben. Es herrsch­te be­reits in den Ge­mü­tern eine ge­wis­se Ent­mu­ti­gung, wel­che durch die Angst Clif­tons und die Re­den von ei­ni­gen An­stif­tern, wie Pen, Grip­per, Wa­ren und Wol­s­ten noch zu­nahm.

Zu der ge­müt­li­chen Her­ab­stim­mung der Mann­schaft ge­sell­ten sich dann noch er­schöp­fen­de Stra­pa­zen, denn am 12. Mai war die Brigg auf al­len Sei­ten ein­ge­schlos­sen; die Dampf­kraft reich­te nicht mehr aus, man muss­te sich durch die Eis­fel­der eine Bahn ma­chen. Bei den sechs bis sie­ben Fuß di­cken Blö­cken war die An­wen­dung der Sä­gen sehr mü­he­voll; wenn in ei­ner Län­ge von hun­dert Fuß zwei Par­al­lel­schnit­te ge­macht wa­ren, muss­te man das zwi­schen den­sel­ben be­find­li­che Eis mit Äx­ten und He­be­bäu­men zer­brö­ckeln; dann steck­te man An­ker durch ein mit ei­nem star­ken Boh­rer ge­mach­tes Loch; dann be­gann man die Win­de an­zu­wen­den und zog das Schiff mit den Ar­men; eine sehr große Schwie­rig­keit be­stand noch dar­in, dass man die Eis­stücke un­ter die Blö­cke brin­gen muss­te, um dem Fahr­zeug Bahn zu ma­chen; und man muss­te sie ver­mit­tels lan­ger Stan­gen mit ei­ner ei­ser­nen Spit­ze hin­weg­sto­ßen.

Kurz, das Sä­gen, Zie­hen, Win­den, Sto­ßen – un­abläs­sig not­wen­di­ge, ge­fähr­li­che Ver­rich­tun­gen mit­ten im Ne­bel oder dich­tem Schnee, die nied­ri­ge Tem­pe­ra­tur, Au­gen­lei­den, Ge­müts­be­fan­gen­heit – al­les wirk­te zu­sam­men, die Mann­schaft her­ab­zu­stim­men und auf ihre Ein­bil­dungs­kraft zu wir­ken.

Ha­ben es die Ma­tro­sen mit ei­nem ener­gi­schen, küh­nen, über­zeug­ten Man­ne zu tun, der sei­nes Zweckes, sei­nes We­ges und Zie­les si­cher ist, so hält das Ver­trau­en sie wi­der Wil­len auf­recht; sie sind mit ih­rem Haupt ei­nes Sin­nes, stark durch sei­ne Kraft, und ru­hig durch sei­ne Ruhe. Aber an Bord der Brigg wuss­te man, dass der Be­fehls­ha­ber nicht si­cher war, bei dem un­be­kann­ten Ziel und Be­stim­mungs­ort schwank­te. Trotz der Ener­gie sei­nes Cha­rak­ters gab sich durch Än­de­rung der Be­feh­le, un­voll­stän­di­ge Ma­nö­ver, un­zei­ti­ge Be­mer­kun­gen, durch eine Men­ge Ein­zel­hei­ten, wel­che der Mann­schaft nicht un­be­merkt blei­ben konn­ten, sei­ne Schwä­che un­will­kür­lich kund.


Und dann, Shan­don war doch nicht Ka­pi­tän des Schif­fes, von dem nach Gott al­les ab­hing; Grund ge­nug, dass man über sei­ne Be­feh­le dis­pu­tier­te, und vom Dis­pu­tie­ren bis zur Ge­hor­sams­ver­wei­ge­rung ist nur ein leich­ter Schritt.

Die Un­zu­frie­de­nen ge­wan­nen bald den ers­ten Ma­schi­nis­ten für sich, der bis­her sich streng an sei­ne Pf­licht hielt.

Am 16. Mai, sechs Tage nach­dem der For­ward bei der Eis­de­cke an­ge­langt war, hat­te Shan­don noch kei­ne zwei Mei­len nord­wärts zu­rück­ge­legt. Man war mit dem Schick­sal be­droht, im Eise ste­cken zu blei­ben. Das war ein be­denk­li­cher Fall.

Ge­gen acht Uhr gin­gen Shan­don und der Dok­tor in Beglei­tung des Ma­tro­sen Gar­ry aus, um auf der un­er­mess­li­chen Ebe­ne zu re­ko­gnos­zie­ren; sie wa­ren be­dacht, sich nicht all­zu weit von dem Schiff zu ent­fer­nen, denn es wur­de schwie­rig, sich in den wei­ßen Ein­öden, de­ren An­sich­ten sich un­auf­hör­lich än­der­ten, Merk­punk­te zu bil­den. Die Strah­len­bre­chung hat­te son­der­ba­re Wir­kun­gen, so­dass der Dok­tor dar­über staun­te; wo er mein­te, nur einen Fuß weit sprin­gen zu müs­sen, muss­te man über fünf bis sechs Fuß hin­aus; oder es fand der ent­ge­gen­ge­setz­te Fall statt: In bei­den Fäl­len aber kam es auf den glas­har­ten Eis­stücken zum Nie­der­fal­len, was, wenn auch nicht ge­fähr­lich, doch im­mer be­schwer­lich war.

Shan­don such­te mit sei­nen Beglei­tern fahr­ba­re Was­ser­we­ge; in ei­ner Ent­fer­nung von drei Mei­len vom Schiff er­stie­gen sie mit ziem­li­cher Be­schwer­de einen Eis­berg, wel­cher drei­hun­dert Fuß hoch sein moch­te. Von hier aus schweif­te ihr Blick über die­sen wüs­ten Hau­fen, gleich den Trüm­mern ei­ner Rie­sen­stadt mit um­ge­wor­fe­nen Obe­lis­ken, zu­sam­men­ge­stürz­ten Tür­men und um­ge­kehr­ten Pa­läs­ten. Die Son­ne zog müh­sam ihre Krei­se um einen mit Berg­spit­zen be­setz­ten Ho­ri­zont und warf lan­ge, schie­fe Licht­strah­len ohne Wär­me, als wenn nicht­w­är­me­lei­ten­de Stof­fe zwi­schen sie und dies trau­ri­ge Land ge­drun­gen wä­ren.


Das Meer schi­en, so­weit die Bli­cke nur reich­ten, völ­lig fest­ge­fro­ren.

»Wie kom­men wir wei­ter?« frag­te der Dok­tor.

»Ich weiß nicht«, er­wi­der­te Shan­don, »aber wir kom­men wei­ter, müss­ten wir auch die­se Ber­ge mit Pul­ver spren­gen; ich las­se mich ge­wiss nicht durch die­se Eis­blö­cke bis zum nächs­ten Früh­jahr hier fest­hal­ten.«

»Wie das je­doch«, sag­te der Dok­tor, »dem Fox fast in die­sen näm­li­chen Ge­gen­den pas­siert ist. Ei doch! Wir drin­gen durch … mit ein we­nig Phi­lo­so­phie. Sie wer­den se­hen, das ist so viel wert wie alle Ma­schi­nen!«

»Man muss zu­ge­ben, dass die­ses Jahr nicht eben güns­ti­ge Aus­sicht dar­bie­tet.«

»Un­strei­tig, Shan­don, und ich be­mer­ke, dass das Baf­fins-Meer die Nei­gung zeigt, in den Zu­stand vor 1817 zu­rück­zu­keh­ren.«

»Mei­nen Sie, Dok­tor, es sei nicht im­mer so wie jetzt ge­we­sen?«

»Nein, lie­ber Shan­don: Von Zeit zu Zeit ha­ben un­ge­heu­re Eis­gän­ge statt­ge­fun­den, wel­che die Ge­lehr­ten nicht zu er­klä­ren wuss­ten. So ist bis zum Jah­re 1817 die­ses Meer be­stän­dig ver­sperrt ge­we­sen, als eine un­ge­heu­re Über­schwem­mung statt­fand und die­se Eis­ber­ge in den Ozean trieb, wel­che meis­tens an der Bank von New-Found­land zer­brö­ckel­ten. Von der Zeit an ist die Baf­fins-Bai fast frei ge­we­sen und ward zum Sam­mel­platz der Wal­fisch­jä­ger.«

»Also«, frag­te Shan­don, »sind seit die­ser Zeit die Nord­fahr­ten leich­ter ge­we­sen?«

»Ganz au­ßer­or­dent­lich; aber man be­merkt, dass seit ei­ni­gen Jah­ren die Bai Nei­gung zeigt, wie­der fest zu wer­den und sich, viel­leicht für lan­ge Zeit, den For­schungs­rei­sen­den zu ver­schlie­ßen. Umso mehr Grund also, dass wir so weit als mög­lich vor­drin­gen. Und doch glei­chen wir ein we­nig den Leu­ten, wel­che sich in un­be­kann­te Gän­ge hin­ein­wa­gen, de­ren Tü­ren sich un­abläs­sig hin­ter ih­nen wie­der schlie­ßen.«

»Wür­den Sie mir ra­ten zu­rück­zu­wei­chen?« frag­te Shan­don, in­dem er tiefer in des Dok­tors Au­gen zu le­sen ver­such­te.

»Ich! Ich habe nie ver­stan­den, einen Fuß rück­wärts zu tun; und soll­te man nie wie­der zu­rück­kom­men, so sag’ ich vor­wärts! Nur müs­sen wir uns klar­ma­chen, dass wir, wenn wir un­vor­sich­tig sind, ge­nau wis­sen, wel­cher Ge­fahr wir uns aus­set­zen.«

»Und Sie, Gar­ry, was hal­ten Sie da­von?« frag­te Shan­don den Ma­tro­sen.

»Ich, Kom­man­dant, wür­de gra­de­aus vor­wärts ge­hen; ich schlie­ße mich des Herrn Cla­w­bon­nys Mei­nung an; üb­ri­gens tun Sie, was Ih­nen be­liebt; kom­man­die­ren Sie, wir wer­den ge­hor­chen.«

»Nicht alle re­den wie Sie, Gar­ry«, fuhr Shan­don fort; »es ha­ben nicht alle Lust zu ge­hor­chen! Und wenn sie sich wei­gern, mei­ne Be­feh­le aus­zu­füh­ren?«

»Ich habe Ih­nen mei­ne An­sicht ge­äu­ßert, Kom­man­dant«, er­wi­der­te Gar­ry mit kal­ter Mie­ne, »weil Sie mich um die­sel­be be­fragt ha­ben; aber Sie sind nicht dar­an ge­bun­den.«

Shan­don gab kei­ne Ant­wort, er prüf­te acht­sam den Ho­ri­zont und be­gab sich wie­der mit sei­nen bei­den Ge­fähr­ten auf das Eis­feld.

Elftes Kapitel – Der Teufelsdaumen

Wäh­rend der Ab­we­sen­heit des Kom­man­dan­ten hat­ten die Boots­leu­te ver­schie­de­ne Ar­bei­ten aus­ge­führt, so­dass es nun dem Schif­fe mög­lich war, sich dem Druck der Eis­fel­der zu ent­zie­hen. Pen, Clif­ton, Bol­ton, Grip­per, Simp­son nah­men die­se mü­he­vol­le Ver­rich­tung vor; der Hei­zer und die bei­den Ma­schi­nis­ten muss­ten so­gar bei­hel­fen, denn vom Au­gen­blick an, wo ihr Dienst bei der Ma­schi­ne nicht er­for­der­lich war, wur­den sie wie­der Ma­tro­sen und konn­ten als sol­che zu al­len Dienst­leis­tun­gen an Bord zu­ge­zo­gen wer­den.

Aber das ge­sch­ah nicht ohne große Auf­re­gung.

»Ich er­klä­re, dass ich jetzt satt dar­an habe«, sag­te Pen, »und wenn bin­nen drei Ta­gen der Eis­bruch nicht ein­tritt, schwö­re ich zu Gott, dass ich die Hän­de in den Schoß lege!«

»Die Hän­de in den Schoß le­gen«, er­wi­der­te Grip­per, »da wäre es doch bes­ser, man brauch­te sie, um rück­wärts zu kom­men! Meinst du, wir hät­ten Lust, hier bis zum künf­ti­gen Früh­jahr zu über­win­tern?«

»Wahr­haf­tig, das wäre ein trau­rig Win­ter­quar­tier«, ver­setz­te Plover, »denn das Schiff ist nach al­len Sei­ten hin schutz­los!«

»Und wer weiß«, sag­te Br­un­ton, »ob selbst im nächs­ten Früh­jahr das Meer frei­er sein wird als heu­te?«

»Es han­delt sich gar nicht um nächs­tes Früh­jahr«, ent­geg­ne­te Pen, »wir ha­ben heu­te Don­ners­tag; wenn bis Sonn­tag früh die Bahn nicht frei ist, fah­ren wir rück­wärts nach dem Sü­den.«

»Bra­vo!« rief Clif­ton.

»Seid ihr da­mit ein­ver­stan­den?« frag­te Pen.

»Ein­ver­stan­den!« er­wi­der­ten die Ka­me­ra­den.

»Ganz recht«, fuhr Wa­ren fort, »denn wenn wir der­ge­stalt ar­bei­ten und das Schiff mit den Ar­men fort­zie­hen müs­sen, so bin ich der Mei­nung, dass wir rück­wärts zie­hen.«

»Bis Sonn­tag wird sich das zei­gen«, sag­te Wol­s­ten.

»Auf Be­fehl«, fuhr Br­un­ton fort, »sind mei­ne Öfen bald ge­heizt.«

»Ei!« ver­setz­te Clif­ton. »Die wer­den wir schon selbst hei­zen.«

»Wenn von den Of­fi­zie­ren ei­ner«, er­wi­der­te Pen, »sich das Ver­gnü­gen ma­chen will, hier Win­ter­quar­tier zu neh­men, steht es ihm frei; man wird ihn ru­hig hier­las­sen, nie­mand wird ihn hin­dern, sich eine Schnee­hüt­te zu bau­en, um als ech­ter Es­ki­mo dar­in zu le­ben.«

»Nichts von dem, Pen«, ent­geg­ne­te Br­un­ton, »wir dür­fen kei­nen im Stich las­sen, ver­steht ihr wohl, ihr an­de­ren? Ich glau­be üb­ri­gens, dass der Kom­man­dant nicht schwer zu be­stim­men sein wird; er sieht mir schon sehr be­un­ru­higt aus, und wenn man ihm die Sa­che glimpf­lich bei­bringt …«

»Wohl zu ver­ste­hen«, fuhr Plover fort, »Richard Shan­don ist ein har­ter und mit­un­ter starr­köp­fi­ger Mann; man müss­te ihm ge­schickt bei­kom­men.«

»Wenn ich den­ke«, ver­setz­te Bol­ton mit sehn­süch­ti­gem Seuf­zen, »dass wir bin­nen ei­nem Mo­nat wie­der in Li­ver­pool sein kön­nen! Über die Li­nie der Eis­blö­cke im Sü­den wer­den wir rasch hin­aus sein! Zu An­fang Juni wird die Da­vis-Stra­ße frei zu pas­sie­ren sein, und dann brau­chen wir uns nur ins At­lan­ti­sche Meer trei­ben zu las­sen!«

»Dazu kommt noch«, er­wi­der­te der klu­ge Clif­ton, »dass wir, wenn wir un­ter der Verant­wort­lich­keit des Kom­man­dan­ten zu­rück­keh­ren, un­se­re An­tei­le und Ver­gü­tun­gen un­ge­schmä­lert be­hal­ten; kämen wir aber al­lein heim, so wä­ren wir der­sel­ben nicht ganz si­cher.«

»Gut aus­ge­klü­gelt«, sag­te Plover; »die­ser ver­teu­fel­te Clif­ton spricht wie ein Finanz­mann. Neh­men wir uns in acht, dass wir nichts mit den Her­ren von der Ad­mi­ra­li­tät aus­ein­an­der­zu­set­zen ha­ben; das ist si­che­rer, und las­sen wir nie­mand im Stich.«

»Aber wenn die Of­fi­zie­re sich wei­gern, sich uns an­zu­schlie­ßen?« ver­setz­te Pen, der sei­ne Ka­me­ra­den zum Äu­ßers­ten drän­gen woll­te.

Eine so di­rekt ge­stell­te Fra­ge setz­te et­was in Ver­le­gen­heit.

»Das wer­den wir se­hen, wenn die rech­te Zeit da­für sein wird«, ver­setz­te Bol­ton. »Üb­ri­gens wird es hin­rei­chen, Shan­don für un­se­re Sa­che zu ge­win­nen, und ich den­ke, das wird nicht schwer sein.«

»Doch gibt es einen, den möcht’ ich hier las­sen«, sag­te Pen flu­chend, »und soll­te er mir auch einen Arm fres­sen.«

 

»Ah! Den Hund«, sag­te Plover.

»Ja, den Hund, und ich wer­de bald mit ihm fer­tig sein!«

»Umso lie­ber«, ver­setz­te Clif­ton mit Be­zie­hung auf sein Lieb­lings­the­ma, »als der Hund an all’ un­serm Un­glück schuld ist.«

»Er hat uns be­hext«, sag­te Plover.

»Er hat uns in das Eis hin­ein­ge­schleppt«, er­wi­der­te Grip­per.

»Er hat uns«, ent­geg­ne­te Wol­s­ten, »mehr Eis­blö­cke in den Weg ge­schafft, als man je zu die­ser Zeit ge­se­hen hat?«

»Er hat mir die Au­gen krank ge­macht«, sag­te Br­un­ton.

»Er hat uns den Gin und Brannt­wein ent­zo­gen«, ver­setz­te Pen.

»Er ist an al­lem schuld«, rie­fen sie alle zu­sam­men.

»Und dazu noch«, er­wi­der­te Clif­ton, »ist er der Ka­pi­tän.«

»Ja­wohl, Un­glücks­ka­pi­tän«, schrie Pen, des­sen un­sin­ni­ger Zorn sich durch die ei­ge­nen Wor­te stei­ger­te, »du hast ger­ne hier­her ge­wollt, sollst auch hier blei­ben!«

»Aber wie fan­gen wir ihn?« sag­te Plover.

»Ei! Nun ist gute Ge­le­gen­heit da­für«, er­wi­der­te Clif­ton, »der Kom­man­dant ist nicht an Bord, der Lieu­ten­ant schläft in sei­ner Ka­bi­ne; der Ne­bel ist dicht ge­nug, dass John­son uns nicht wahr­neh­men kann …«

»Aber der Hund?« schrie Pen.

»Der schläft oben ne­ben der Koh­len­kam­mer«, er­wi­der­te Clif­ton, »und wenn man Lust hat …«

»Ich über­neh­me es«, ver­setz­te Pen wü­tend.

»Nimm dich in acht, Pen, er hat Zäh­ne, die kön­nen Ei­sen­stan­gen zer­bei­ßen!«

»Rührt er sich, so ste­che ich ihn in den Bauch«, ent­geg­ne­te Pen und zück­te sein Mes­ser. Und er stürz­te in das Zwi­schen­deck, Wa­ren ihm nach, um ihm da­bei zu hel­fen.

Bald ka­men sie mit­ein­an­der zu­rück und schlepp­ten das Tier in den Ar­men, die Schnau­ze und Pfo­ten ge­k­ne­belt; sie hat­ten ihn im Schlaf über­rascht, und der un­glück­li­che Hund konn­te ih­nen nicht mehr ent­rin­nen.

»Hur­ra für Pen!« rief Plover.

»Und jetzt, was willst du mit ihm an­fan­gen?« frag­te Clif­ton.

»Ins Was­ser wer­fen, und wenn er je wie­der­kommt …« ver­setz­te Pen mit wüs­tem La­chen der Be­frie­di­gung.


Zwei­hun­dert Schrit­te vom Schiff ent­fernt war ein Rob­ben­loch, eine kreis­run­de Öff­nung, wie sie die­se Tie­re mit ih­ren Zäh­nen ma­chen und stets von in­nen aus na­gend of­fen hal­ten; durch die­sel­be ist die Rob­be im­stan­de, an der Ober­flä­che Luft zu schöp­fen; aber sie muss sorg­fäl­tig ver­hin­dern, dass die­sel­be nicht oben wie­der zu­friert, denn die Be­schaf­fen­heit ih­rer Kinn­la­de macht ihr un­mög­lich, das Loch von au­ßen nach in­nen zu er­neu­ern, und im Mo­ment der Ge­fahr könn­te sie ih­ren Fein­den nicht ent­rin­nen.

Pen und Wa­ren gin­gen mit dem Hund zu die­ser Öff­nung und war­fen ihn, so arg er zap­pel­te und da­ge­gen wehr­te, un­barm­her­zig ins Meer; dar­auf wälz­ten sie einen ge­wal­ti­gen Eis­block über das Loch, um dem Tier den Aus­gang zu schlie­ßen, dass es nim­mer wie­der­kom­me.

»Gute Rei­se, Ka­pi­tän!« rief der bru­ta­le Ma­tro­se.

Gleich dar­auf kehr­ten Pen und Wa­ren wie­der an Bord zu­rück. John­son hat­te gar nichts da­von ge­merkt; der Ne­bel um das Schiff her­um ward dich­ter, und es be­gann wie­der hef­tig zu schnei­en.

Eine Stun­de nach­her er­schie­nen auch Richard Shan­don, der Dok­tor und Gar­ry wie­der auf der For­ward.


Shan­don hat­te in nord­öst­li­cher Rich­tung ein Fahr­was­ser be­merkt, wel­ches er zu be­nut­zen be­schloss. Dem­nach er­teil­te er sei­ne Be­feh­le; die Mann­schaft ge­horch­te mit ei­ner ge­wis­sen Rüh­rig­keit; sie woll­te Shan­don die Un­mög­lich­keit wei­ter­zu­drin­gen be­greif­lich ma­chen, und zu­dem hielt sie sich noch drei Tage zum Ge­hor­sam ver­bun­den.

Wäh­rend ei­nes Tei­les der Nacht und des fol­gen­den Ta­ges wur­de die Sä­ge­ar­beit und das Zie­hen des Schif­fes eif­rig fort­ge­setzt; der For­ward kam un­ge­fähr zwei Mei­len wei­ter nord­wärts. Am 18. be­fand er sich in der Nähe des Lan­des, fünf bis sechs Ka­bel­län­gen von ei­nem son­der­bar ge­stal­te­ten Pic, dem man sei­ner auf­fal­len­den Form we­gen den Na­men »Teu­fels­dau­men« ge­ge­ben hat­te.

An der­sel­ben Stel­le wa­ren im Jah­re 1851 der »Prinz Al­bert« und 1853 Kane mit dem »Ad­van­ce« meh­re­re Wo­chen lang un­un­ter­bro­chen ste­cken­ge­blie­ben.

Die selt­sa­me Ge­stalt des Teu­fels­dau­mens, die öde und ver­las­se­ne Um­ge­bung, rings­um un­ge­heu­re Eis­ber­ge, man­che über drei­hun­dert Fuß hoch, das Kra­chen der Eis­ber­ge, wel­ches un­heim­li­cher­wei­se im Echo wi­der­hall­te, al­les mach­te die Lage der For­ward er­schreck­lich trau­rig. Shan­don be­griff, dass er ihn von da weg­brin­gen und wei­ter­füh­ren müs­se. Vier­und­zwan­zig Stun­den nach­her, sei­ner Schät­zung nach, konn­te er um etwa zwei Mei­len von die­ser un­heim­li­chen Küs­te weg­kom­men. Aber das war nicht al­les. Shan­don fühl­te sich von Furcht be­fan­gen, und die falsche Stel­lung, worin er sich be­fand, lähm­te sei­ne Tat­kraft; um sei­nen In­struk­tio­nen nach vor­wärts zu drin­gen, hat­te er sein Schiff in eine au­ßer­or­dent­lich ge­fähr­li­che Lage ver­setzt; das Schiffs­zie­hen brach­te die Leu­te gänz­lich her­ab; man brauch­te über drei Stun­den, um einen zwan­zig Fuß lan­gen Kanal in ein Eis zu hau­en, das vier bis fünf Fuß dick war; der Ge­sund­heits­zu­stand der Mann­schaft droh­te schon schlim­mer zu wer­den. Shan­don staun­te über das Schwei­gen der Leu­te und ihre un­ge­wöhn­li­che Hin­ge­bung; aber er be­sorg­te, es möch­te dies der Vor­bo­te ei­nes na­hen Stur­mes sein. Man kann sich dem­nach die pein­li­che Über­ra­schung, die Ent­täu­schung und Hoff­nungs­lo­sig­keit vor­stel­len, wel­che ihn be­fiel, als er wahr­nahm, dass in­fol­ge ei­ner un­merk­li­chen Be­we­gung des Eis­fel­des der For­ward wäh­rend der Nacht des 18. zum 19. wie­der al­les ver­lor, was er durch so vie­le Stra­pa­zen ge­won­nen hat­te, am Sams­tag­mor­gen be­fand er sich wie­der im An­ge­sicht des Teu­fels­dau­mens, der stets droh­te, und in ei­ner noch be­denk­li­che­ren Lage; die Eis­ber­ge wur­den häu­fi­ger und fuh­ren Phan­to­men gleich im Ne­bel vor­über.

Shan­don war voll­stän­dig ent­mu­tigt; of­fen ge­sagt, der Schre­cken drang in das Ge­müt die­ses un­ver­zag­ten Man­nes und in die Her­zen sei­ner Mann­schaft. Shan­don hat­te vom Ver­schwin­den des Hun­des re­den ge­hört, aber er wag­te nicht die Schul­di­gen zu stra­fen; er muss­te fürch­ten, einen Aufruhr her­vor­zu­ru­fen.

Das Wet­ter war die­sen Tag über schreck­lich; dicht auf­ge­wir­bel­ter Schnee um­hüll­te die Brigg mit ei­nem un­durch­dring­li­chen Schlei­er; bis­wei­len, un­ter Ein­wir­kung des Sturm­wet­ters, teil­te sich der Ne­bel, und das Auge sah mit Schre­cken auf der Land­sei­te den Teu­fels­dau­men ge­spens­ter­ar­tig em­por­ra­gen.

Der For­ward an­ker­te sich fest an einen un­ge­heu­ren Eis­block, wei­ter konn­te er nichts tun, nichts ver­su­chen; die Dun­kel­heit nahm zu, so­dass der Mann am Steu­er den Wach­pos­ten am Vor­der­teil nicht se­hen konn­te.

Shan­don zog sich, un­abläs­sig be­ängs­tigt, in sei­ne Ka­bi­ne zu­rück; der Dok­tor ord­ne­te sei­ne Rei­se­no­ti­zen; von der Mann­schaft war die Hälf­te auf dem Ver­deck ge­blie­ben, die an­de­ren be­fan­den sich im ge­mein­schaft­li­chen Saal.

In ei­nem Mo­ment, wo der Sturm är­ger tob­te, schi­en der Teu­fels­dau­men mit­ten im zer­ris­se­nen Ne­bel über die Ma­ßen hoch zu ra­gen.

»Gro­ßer Gott!« schrie Simp­son und wich voll Schre­cken zu­rück.

»Was gibt es«, sag­te Fo­ker.

Nun rief es auf al­len Sei­ten:

»Er wird uns zer­schmet­tern!«

»Wir sind ver­lo­ren!«

»Herr Wall! Herr Wall!«

»’s ist al­les aus!«


»Kom­man­dant! Kom­man­dant!«

So schri­en die Leu­te von der Wa­che zu­sam­men.

Wall stürz­te auf das Hin­ter­kas­tell; Shan­don in Beglei­tung des Dok­tors eil­te auf das Ver­deck und schau­te.

Mit­ten durch die Spal­ten des Ne­bels schi­en der Teu­fels­dau­men plötz­lich nä­her bei der Brigg; er schi­en fan­tas­tisch ver­grö­ßert; an sei­ner Spit­ze er­hob sich ein zwei­ter Ke­gel, um­ge­kehrt und auf sei­ner Spit­ze sich dre­hend; – er droh­te mit sei­ner un­ge­heu­ren Mas­se das Schiff zu zer­trüm­mern; er wank­te, droh­te zu fal­len: ein An­blick zum Ent­set­zen. Je­der wich un­will­kür­lich zu­rück, und ei­ni­ge Ma­tro­sen ver­lie­ßen das Schiff, eil­ten auf das Eis.