Quadriga-Liebe

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Kurze Pause am anderen Ende der Leitung, dann meint Klara ganz euphorisch: „Tina, ich weiß ja nicht, wie du über so was denkst, aber wie wär’s, wenn du dich bei einer Dating-Plattform anmeldest? Parship, Tinder oder so was …“ „Was, da wollen die Jungs doch sicher alle nur das eine. Du weißt doch, wie sie diese Apps oft nennen …“ „Teilweise ist das wahrscheinlich so, aber ich kenne tatsächlich Paare, die haben sich über Tinder kennengelernt und sind heute miteinander glücklich.“ Diesmal Pause auf meiner Seite der Leitung. „Hm, vielleicht denke ich mal drüber nach, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ich mich auf so was einlasse“, protestiere ich und frage nach, wie es denn ihr gerade so geht. Ich brauch jetzt unbedingt was Positives!

Nach anderthalb Stunden überfällt uns die Müdigkeit, zwei Folgen von „How I Met Your Mother“ hat Klara versäumt, aber es hat gutgetan, zu reden.

Schnell noch ins Bad und dann ab ins Bett. Decke über den Kopf und Augen zu … für etwa zwei Minuten. Dann komme ich wieder hervor, schalte zuerst mein Nachtlicht ein, dann noch einmal mein Handy. Ich könnte doch … natürlich rein infohalber … gucken, wie das auf Tinder so läuft …

4. Sven

Nun soll ich also heute mit der Redakteurin Stefanie von DIE ZEIT mit, um für ihren Artikel über Plastikmüll zu fotografieren. Kein schwieriger Job, aber einen Tag mit Stefanie unterwegs zu sein, ist eine schöne Aussicht. Sie ist Ende 30, also etwas älter als ich, aber sehr nett. Vielleicht kommen wir uns ja etwas näher.

Wir interviewen ein paar Firmenchefs, um herauszufinden, was sie sich dabei denken, alle möglichen Werbeartikel zu verschenken. Ob sie dabei auch den vielen Plastikmüll in den Weltmeeren im Auge haben? Kaum Unrechtsbewusstsein, einer sagt: „Irgendwas muss man den Leuten ja mitgeben. Was kann ich dafür, wenn die Kunden diese Artikel achtlos wegschmeißen?“

Abends sitze ich mit Stefanie im Español Picasso in der Nähe unserer Redaktion und bei ein paar Tapas unterhalten wir uns über ihr Thema. „Das war doch schlimm heute“, sagt sie, „die verschleudern ihren Plastikkram unter ihren Kunden und denken sich gar nichts dabei. Wer braucht schon so ’n Scheiß wie Knetbälle, Luftballons, Schlüsselanhängerfigürchen, Stofftiere, Jo-Jos, Kreisel und Handwärmer? Das fliegt doch bei nächster Gelegenheit in die Mülltonne.“ „In die Mülltonne geht ja noch, aber manches landet sicher auch direkt in der Elbe und schwimmt aufs Meer hinaus“, antworte ich. „Ja genau, noch schlimmer. Und im Übrigen sind Werbegeschenke doch kleine Bestechungsversuche bei deren Kunden, oder? Frei nach dem Motto: Geschenke befeuern die Freundschaft.“ „Aber du freust dich doch auch, wenn du beim Bäcker zu Weihnachten einen Kalender bekommst, oder?“ „Quatsch, wenn schon, dann soll er mir lieber was aus seinem Sortiment schenken statt irgendein kleines Plastikteil. Davon hab ich was. Wenn er mir zum Beispiel ein Brot gibt, das ich sonst nicht kaufe, oder ein paar Plunderteilchen. Damit kann ich was anfangen und vielleicht kauf ich die dann beim nächsten Mal.“ „Oder hier im Restaurant gibt’s meist am Ende noch einen Schnaps, wie heißt der noch?“ „Hierbas meinst du?“ „Ja genau. So was können wir gebrauchen und das ist dann auch ein bisschen Kundenbindung.“

So plaudern wir noch ein Weilchen weiter und beim Rioja kommt Stefanie so richtig in Fahrt. ‚Ui, ob die im Bett auch so aufdreht?‘, frage ich mich zwischendurch, wenn sie wieder vehement für ein Thema eintritt. Bei der zweiten Flasche versuche ich dann einen kleinen Coup: „Bist du sonst auch so aggressiv oder hast du ebenfalls weiche Seiten?“ „Wie weiche Seiten? Meinst du beim Sex? Da musst du meinen Mann fragen.“ „Ich dachte, ich könnte das selbst herausfinden.“ „Spinnst du? Was soll ich mit einem so jungen Hüpfer wie dir anfangen? Du bist mir viel zu schnell.“ „Das käm auf einen Versuch an.“ „Baggerst du mich grad an?“ „Ja, ich find dich richtig geil und deine vehemente Art, sich für Themen einzusetzen, macht mich echt an. Würde wirklich gern wissen, wie du im Bett bist. Hast du noch was vor oder wollen wir mal zu mir fahren und das ausprobieren?“ „Hey, Sven, nu mal langsam mit die jungen Pferde. Ich glaub, du trinkst jetzt mal besser einen Kaffee, damit du wieder auf den Boden kommst.“ „Warum? Bin grad genauso in Fahrt wie du und würd gern mit dir eine kleine sportliche Runde bei mir zu Hause drehen.“ „Herr Ober, zahlen bitte!“

Das war wohl nix, sie zahlt und rauscht davon. Ja, dann muss ich wohl allein nach Hause gehen. Aber ich schreib mal eben an Manuela, ob sie heut Abend noch Zeit für mich hat.

„Hey Süße, hast Du Lust, noch zu mir zu kommen?

Nach ein paar Minuten kommt ihre Antwort per WhatsApp:

Nö, heut nicht, zieh mir grad die dritte Folge von den Simpsons rein. Morgen vielleicht.

Sehr schade. O. K., dann morgen Abend um 8 bei mir?

Ja, O. K. Bis dann.

5. Leo

Das war ja ein Hammer-Work-out heute Abend im McFit! Bin ich fertig! Es ist erst spät losgegangen, weil im Büro viel zu tun war. Zwei Kumpels ging es genauso, und die wollten es sich scheinbar noch beweisen. So, wie die beiden drauf waren, konnte ich nicht tatenlos zusehen und war ganz schnell bei dem Wetteifern dabei. Also war das Training diesmal zwar nicht länger, jedoch sehr intensiv. Zum Schluss noch ein paar Längen schwimmen und so ist es fast Mitternacht geworden.

Für heute reicht es also und ich überlege, was ich noch trinken möchte. Ein Bier vielleicht? Na … erst Fitnessstudio und dann glei a Bier? Ganz schlecht … Andererseits, ein kleines Helles nach der Anstrengung, das darf doch sein. Etwas enttäuscht bin ich schon, als ich merke, dass ich keines mehr im Kühlschrank hab. ‚Wie nachlässig von mir!‘ Meine Getränkevorräte lagern in der Speis, ganz hinten, hinter dem letzten Regal. Die Speis, also die Speisekammer, ist durch die Küche begehbar. Neben der Küche sind das kleine Bad und das WC. Dann gibt es noch ein kleines Schlafzimmer und dafür ein geräumiges Wohnzimmer. Das ist der alte Teil unseres Hauses. Später haben meine Eltern angebaut und diesen Teil immer als Extrawohnung behalten. Da haben nach Familienfesten immer die Überbleibsel übernachtet, zeitweise war sie auch vermietet. Bis ich ins Alter gekommen war, wo andere Burschen ausziehen. Mir reicht das von der Größe her völlig, außerdem hilft mir die Mama beim Sauberhalten und den schönen Garten kann ich auch mitbenützen. Ein herrliches Leben … Nur für das, was im Kühlschrank ist, bin ich selber verantwortlich. Also hole ich jetzt um Mitternacht einmal ein paar Bierflaschen aus dem Depot. Als ich die Tür am Ende der Küche aufmache, ist mir so, als ob da irgendwo etwas geraschelt hätte. ‚A, kann gar net sein‘, denke ich, ‚das war sicher nur die Tasche am Haken hinter der Tür. Das war ich selber.‘

Drei Flaschen für den Kühlschrank, eine für mich. Ein Glas nehm ich mir mit aus der Küche. Ich trinke Bier nicht gern aus der Flasche, auch nicht mitten in der Nacht und allein. Um diese Zeit stell ich im Wohnzimmer keinen Fernseher mehr an. Ich glaub immer, das hört man drüben bei den Eltern. So lehne ich bequem auf meiner Couch, mein Glas Gerstensaft in der Hand und es ist mucksmäuschenstill. Nicht das Schlechteste nach diesem Abend.

Zum Abschluss könnte ich auch noch nachsehen, was sich auf Tinder so getan hat. Das Tablet liegt griffbereit auf dem Beistelltischchen und da leuchten die Likes auch schon auf, heute nur vier, aber das reicht ja. Ein Mädchen fällt mir gleich ins Auge, vom Aussehen her durchaus der Ariane von vorgestern ähnlich. ‚Was schreibt die denn?‘

Hi, ich bin Lucy und würde mich freuen, genau DICH kennenzulernen. Mein Spitzname ist Mickymaus und ich bringe gern den Kater zum Schnurren!

Ich muss lächeln, so was hat ja noch keine geschrieben! Mit der gibt’s sicher viel zu lachen. Irgendwie bin ich plötzlich gar nicht mehr müde. Da ist es auf einmal wieder, das Geräusch. Irgendwas raschelt doch hier! Kaum schleiche ich zur Zimmertür, ist es vorbei. Kein Mucks. Ich schau mal sicherheitshalber nach, ob die Türen zu sind … und die Fenster … Nichts mehr, kein Geräusch. ‚Aber ich bild mir das doch nicht ein!‘ Na ja, dann werde ich jetzt noch schnell die süße Mickymaus liken, dann haben wir morgen vielleicht ein sehr unterhaltsames Match.

Die Küchentüre bleibt immer offen, die Schlafzimmertür meistens ebenfalls, so auch heute. Langsam immer müder werdend, bin ich etwa zwei Sekunden vor dem endgültigen Einschlafen, als ein lauter Knacks die Stille stört. Ein Geräusch, das ich hier noch nie gehört habe. Kein Knacksen wie das, wenn das Holz der alten Möbel arbeitet oder die Mauern. Das kenn ich schon lang. Es hört sich eher an, als wäre jemand – oder etwas – hier. Und ganz klar, als ich mich blitzschnell aufsetze und die Nachttischlampe einschalte, ist es wieder vorbei. Ich muss nachschauen, es lässt mir ja doch keine Ruhe. Zum Glück habe ich nicht viele Räume, aber wo ich auch hingehe, nirgends irgendein Lebenszeichen. Als ich mir schon denke, es wird sich vielleicht ein Tier im Dachgebälk verirrt haben, werfe ich noch einen flüchtigen Blick in die Speis. Da glaube ich meinen Augen nicht zu trauen. Auf dem hellgrauen Bodenbelag liegen lauter kleine schwarzbraune Krümelchen. ‚Ah geh! I hab Mäuse da drin! Na, gute Nacht!‘ Dann muss ich aber doch schmunzeln. ‚Zuerst die Mickymaus in der App und dann a echte Maus zu Haus. Ein Zeichen?‘

6. Lydia

Die Unterhaltung mit Frank in der Kneipe war ganz nett gewesen, aber irgendwie wurden wir nicht warm. Ich gehe also allein mit meinen Gedanken nach Hause und frage mich, ob ich wohl jemals die einzige größte Liebe finden werde. Davon träumen scheinbar ganz viele, auch wenn nur die engsten Freunde bzw. Freundinnen das wirklich zugeben. Aber warum klappt das bei den meisten nicht? Hab mal gelesen, dass mehr als 70 Prozent der Deutschen an die große Liebe glauben. Wenn man aber die Statistiken anschaut, dass jede dritte Ehe geschieden wird und dass auch die anderen Paare (ob verheiratet oder nicht) nach einiger Zeit Probleme in der Beziehung bekommen, muss doch irgendwas faul sein. In einem Artikel in der ZEIT habe ich letztens gelesen, dass man für eine tiefe und funktionierende Beziehung nur reif ist, wenn man sich selbst akzeptiert und liebt. Tu ich das? Oder bin ich mit mir selbst zu kritisch?

 

Ich schließe die Haustür auf und gehe langsam die Treppe hinauf in den vierten Stock. Als ich in die Wohnung komme, höre ich Lisa und Wolfgang in der Küche noch reden. Ich gehe hinein und da sitzen die beiden nebeneinander mit einer Flasche Rotwein. Mir scheint, es ist nicht die erste, und ich frage: „Krieg ich auch einen Schluck oder wollt ihr beiden lieber allein sein?“ Wolfgang springt auf und holt mir sofort ein Glas: „Nein, bitte setz dich dazu. Wir haben uns grad gefragt, wie dein Date wohl läuft.“ Ich nehme einen großen Schluck und antworte: „Na ja, Frank ist ganz nett, aber kein wirklicher Partner für mich.“ „Wieso“, fragt Lisa, „was fehlt dir an ihm?“ „Ach, ich weiß nicht, er war mir zu stürmisch, schon im Harry Klein faselte er von ins Bett gehen, was ich vehement abgelehnt habe. Dann sind wir noch ins Shakespeare und haben ein bisschen geredet, aber irgendwie passt das nicht. Er quarzt und ihr wisst, das kann ich nicht ausstehen. Außerdem glaube ich, dass er ziemlich klammern würde. Er macht auf den ersten Blick einen charmanten Eindruck, aber je länger wir redeten, umso mehr habe ich gemerkt, wie sehr er sich eine feste Beziehung wünscht, und das am liebsten gleich.“ „Aber das ist doch okay, das wollen doch die meisten“, kontert Lisa. „Ja, stimmt wohl, aber nicht beim ersten Date gleich bei der Frau ausbaldowern, ob sie das auch will. Hab ihm gesagt, dass ich glaube, er macht das nur, um Frauen in die Kiste zu kriegen.“ „Und was hat er dazu gesagt?“, fragt Wolfgang. „Dass das Quatsch ist und er sehr geduldig sein kann. Fünf Minuten später fing er an, an mir rumzubiebln. Da bin ich heimgegangen.“

Wir debattierten noch eine weitere Flasche Rotwein weiter, kamen aber zu keinem Ergebnis. Außer dass Lisa sagte, wir sollten doch alle spaßeshalber mal ein Dating-Portal ausprobieren. „Du bist meschugge“, sagte ich am Schluss. „Wenn ich auf normalem Wege, also zum Beispiel beim Schwoofen oder in der Arbeit, niemand kennenlernen kann, dann will ich och keenen übers Netz finden. Un jetz geh ich radsn. Gut Nacht, ihr beiden.“ „I mog etz a nimmer“, sagt Lisa und lässt Wolfgang mit dem Rest der Rotweinflasche allein.

Am nächsten Morgen schlafe ich lange und weil es regnet, gehe ich kurz vor Mittag erst mal ins Clever Fit. Da kann ich den Rotwein und das blöde Genuschl von Frank aus mir rausquetschen. Auf dem Laufband und mit Kopfhörern und Rockmusik geht das wunderbar. Plötzlich tippt mich jemand an und deutet an, ich soll die Hörer absetzen. „Was is ’n?“ „Kann ich auch mal auf das Band?“ Ich schau mich um und sehe, dass alle Bänder besetzt sind. „Ja klar“, antworte ich, „gib mir noch zwei Minuten.“ Ich höre noch „Smoke on the Water“ zu Ende und springe dann vom Band. Im Weggehen winke ich dem Typen noch mal zu und gehe in Richtung Sauna.

Dort sitze ich einige Minuten später und schwitze vor mich hin, diesmal ohne Kopfhörer. Da kommt der Typ von eben auch rein und setzt sich gleich neben mich. „Bist du öfter hier?“ ‚Sehr intelligenter Anfang‘, denke ich und sage nur: „Nö.“ Er weiter: „Magst du nachher noch was mit mir trinken?“ „Nö, hab Wasser dabei und muss dann auch bald weg.“ „Schade, ich finde dich echt nett. Können wir uns denn hier mal wieder treffen?“ „Ja, vielleicht demnächst“, fertige ich ihn ab und verlasse die Sauna in Richtung Damenduschen.

7. Tina

Am nächsten Morgen, beim Frühstück, lasse ich mir noch einmal durch den Kopf gehen, was ich in der Nacht getan habe. Ich konnte es tatsächlich nicht lassen, mich bei Tinder anzumelden. Welchen Floh hat mir Klara da ins Ohr gesetzt! So hin- und hergerissen war ich noch nie. Ich würde doch so gern auf ganz normalem Weg jemand kennenlernen, am besten so mit Liebe auf den ersten Blick, irgendwo, wo man überhaupt nicht damit rechnet. Amors sprichwörtlicher Pfeil! Warum trifft der alle anderen, nur mich nicht? Ich bin doch nicht unsichtbar! Andererseits hat Klara nicht unrecht. Ein bisschen nachhelfen kann auch nicht schaden. Man trifft sich ja schließlich völlig unverbindlich. Ich kann auch sofort sagen: „Du, es tut mir leid, ich möchte kein weiteres Treffen.“ Allerdings, wenn ich mir einzelne Fotos so ansehe … Da wäre optisch schon die erste Hürde überwunden. Deshalb habe ich zu nächtlicher Stunde sicher sehr bereitwillig meine eigene Person beschrieben, selbstverständlich mit einem Hammer Foto von mir als Zugabe. Frisch vom Friseur mit dem flotten Kurzhaarschnitt. Schon ein bisschen aufgepimpt, aber nicht zu viel. Ich habe angegeben, dass ich Chefsekretärin in einer großen Firma bin, aber nicht in welcher, dass ich Radfahren und Schwimmen liebe und dass ich hobbymäßig fotografiere. Ach ja, wo ich studiert habe, wollten die auch wissen. Zum Schluss sollte man etwas Persönliches schreiben. Da musste ich einige Zeit nachdenken. Dann tippte ich folgende Zeilen:

Hallo, ich bin Tina! Hast Du Lust, Deine Freizeit mit mir zu teilen? Dann kann es losgehen! Ich freue mich auf Dich!

Nach dem Klick auf „Profil erstellen“ war es fix und ich konnte in Ruhe einschlafen. In meinem Traum änderte ich den Text wohl zehnmal um. „Hi, ich bin’s, Tina, noch immer nicht am Ziel der Wünsche. Hilf mir dabei!“ oder „Hallo, ich bin Tina, noch auf dem Weg zu dir. Hol mich ab!“ So in der Art ging es weiter, bis ich wach wurde.

Jetzt, so vor meinem Frühstückskaffee sitzend, bin ich mir nicht mehr sicher, welche Version wohl die beste gewesen wäre. Mal sehen, ob es schon ein erstes Ergebnis gibt. Aufgeregt öffne ich die App, gebe mein Passwort ein und bin ziemlich überrascht, als ich 99 Likes finde. ‚Na hallo, wer sagt’s denn!‘ Nun bin ich erst mal beschäftigt mit Wischen. Nach links die Uninteressanten und nach rechts die, die ins Auge springen. Es sind schon unterschiedliche Fotos, die mich ansprechen, also es kommt für mich nicht immer nur derselbe Typ infrage. Trotzdem sind die Jungs mit dunklem Haar und Bart bald leicht in der Überzahl. Als ich mit den 99 Bildern durch bin und etwa 20 Fotos übrig habe, klicke ich den ersten an, um mehr über ihn zu erfahren. Jürgen, 25 Jahre, Elektrotechniker noch in Ausbildung, möchte gern Erfahrungen sammeln. Oje, weiter nach links mit ihm. Jochen, 32 Jahre, geschieden, eine kleine Tochter, sucht Lebenspartnerin. Du lieber Himmel … weiter nach links. Eine halbe Stunde später:

‚Oh, was haben wir denn da! Ein sehr ansprechendes Foto!‘ Das Lächeln wirkt natürlich, sein Blick trifft mich genau ins Herz. Den würde ich gern kennenlernen. Da schaue ich genauer hin. Andreas, 30 Jahre, tätig in der IT-Branche, sucht Partnerin, die mit ihm das Leben entdeckt. Das ist es: LIKE … Bingo! Mein erstes Match!

8. Sven

Die Bearbeitung der Bilder von gestern war nicht besonders schwierig und damit bin ich jetzt schon fertig. Jetzt kann ich mich noch mal in die Serie von letzter Woche knien. Da war ich auf Sylt gewesen und hatte im Naturschutzgebiet Vögel fotografiert. Diese Bilder müssen nächste Woche fertig sein, denn die sollen ins übernächste Magazin der ZEIT. Da muss ich also auf gute Qualität achten, denn der Druck ist aufwendiger und die Bilder nehmen oft eine ganze Seite ein. Ich öffne also Photoshop und Lightroom und beginne die Fotos zu sichten und zu sortieren. Meine Gedanken schweifen noch mal zu gestern Abend. ‚Was hat mich da bloß geritten, bei Steffi so einen plumpen Annäherungs-versuch zu machen? Da sind wohl die Pferde oder die Promille mit mir durchgegangen. Was würde Manuela denken, wenn sie das wüsste? Und was würde sie erst sagen, wenn Steffi tatsächlich mitgegangen wäre und wir hätten die Nacht zusammen verbracht? Ich glaub, dann wär’s aus mit uns. Sie versteht mein unstetes Leben sowieso nicht und beklagt sich immer, dass wir uns zu selten sehen.‘

Abends, als Manuela kommt, sitze ich immer noch am PC, und sie fragt, was ich den ganzen Tag gemacht habe. „Ich habe Vögelbilder bearbeitet. Möchtest du welche sehen?“ „Wie, Vögelbilder? Von uns? Hast du uns mal im Bett fotografiert? Ich mag solche Pornobilder nicht.“ „Unsinn, ich war doch letzte Woche auf Sylt und hab im Naturschutzgebiet Vögel beim Brüten fotografiert. Das hab ich dir doch erzählt.“ „Ach so, entschuldige, das hatte ich vergessen.“ „Möchtest du ein paar Bilder sehen?“ „Ja sicher, gern.“ Ich schlage die Dateien auf, die schon fertig sind, und zeige ihr die Brandgänse, Austernfischer und Brachvögel. Besonders stolz bin ich auf einen Kormoran, den ich gerade beim Ausbreiten seiner Flügel erwischt habe. Manuela findet die Bilder auch sehr gelungen. Dann fragt sie: „Hast du was zu trinken da?“ „Oh, entschuldige bitte, ja sicher. Was magst du denn? Ich hätte noch ein paar Bier und einen Weißwein im Kühlschrank, Riesling glaube ich, aber ich habe auch Rotwein.“ „Nein, kein Alkohol, ich bin mit dem Auto direkt von der Arbeit hergekommen, machst du mir einen Kaffee und dann vielleicht noch ein Wasser, bitte?“ „Na das ist ja leicht zu erfüllen“, ich verschwinde in die Küche, schalte den Kaffeeautomaten an und bringe ihr schon mal das Wasser. „Macht es dir was aus, wenn ich ein Glas Rotwein trinke?“ „Nein, mach nur.“

Kurz darauf sitzen wir mit unseren Getränken auf meinem Sofa und ich nehme sie in den Arm und fange an, sie zu küssen und zu streicheln. Irgendwie sind aber meine Gedanken plötzlich bei gestern Abend mit Steffi und Manuela reagiert auch sehr zurückhaltend. „Was ist los?“, frage ich sie. „Ach, keine Ahnung, ich habe dir schon mal gesagt, dass ich mit unserer Beziehung nicht so ganz glücklich bin. Fast immer, wenn wir uns treffen, springen wir ins Bett und danach sehen wir uns wieder für ein paar Tage nicht. Das finde ich zu wenig. Wir machen kaum etwas anderes zusammen, weil du auch so viel unterwegs bist. Können wir nicht mal für ein paar Tage zusammen wegfahren?“ „Hm, ja sicher können wir das, woran denkst du denn? Ein Wochenende oder länger?“ „Na, ein verlängertes Wochenende von Donnerstag bis Montag wär doch ganz schön. Irgendwo an der Ostsee in Meck-Pomm, da war ich noch nicht so oft und ich hör immer wieder, dass es da ganz schöne Orte geben soll.“ „Gute Idee. Ich war letztes Jahr mal zu einem Shooting in Schwerin, da haben die Leute alle von Rügen geschwärmt. Wie wär das denn?“ „Wie lange fährt man dahin?“ „Wenn wir dein Auto nehmen, circa drei Stunden, schätze ich.“ „Na, das ist doch für ein verlängertes Wochenende nicht so schlecht. Was meinst du?“ „Ich schau gleich mal in meinen Terminplan für die nächsten Wochen. Also, ich könnte am übernächsten Wochenende, da liegt bisher kein Auftrag vor und ich kann ja morgen in der Redaktion Bescheid geben, dass ich vom 25. bis 29. unterwegs sein werde. Passt das für dich?“ „Ja, an den Tagen kann ich sicher freinehmen. Soll ich später nach einem Hotel in Rügen schauen?“ „Warum machen wir das nicht gleich? Dann buchen wir das auch sofort.“

Eine halbe Stunde später haben wir uns für ein Fünftagesprogramm „Fit in den Frühling“ im Bernstein-Hotel in Sellin entschieden. „Ich freu mich schon sehr darauf, mit dir ein paar Tage dort zu entspannen und nichts anderes zu hören und zu sehen“, sage ich zu Manuela. „Ja, das wird sicher megaschön.“ Und sie umarmt und küsst mich plötzlich ganz wild. Das fühlt sich vielversprechend an und ich erwidere nicht nur ihren Kuss, sondern ziehe ihr gleich mal das T-Shirt über den Kopf. Sie lässt es geschehen, wir wechseln ins Schlafzimmer und so wird es noch ein sehr schöner Abend.

9. Leo

Wenn man einmal weiß, woher ein ungewohntes Geräusch kommt, stört es einen nicht mehr beim Schlafen. Die Tür vom Schlafzimmer habe ich sicherheitshalber zugemacht, dann war es eine ruhige Nacht.

Am nächsten Tag führt mich der erste Weg natürlich in den Baumarkt. Als tierlieber Mensch entscheide ich mich für eine Lebendfalle, die ich gleich in der Speisekammer platziere. Als Köder nehme ich Freilandfutter für Vögel, davon habe ich genug zu Hause, und Körner fressen Mäuse sicher auch. Tür zu und jetzt heißt es abwarten. ‚Das ging ja flott‘, denke ich, ‚da hab ich noch Zeit, Lucy zu schreiben, bevor ich ins Büro fahre.‘ Die Neugier lässt mich irgendwie nicht mehr los.

Das Match mit Lucy beginnt nett. Ich möchte den Chat nicht mit einer abgedroschenen Floskel starten und überlege, wie ich die Mickymaus kommentieren könnte, ohne abwertend oder gekünstelt witzig rüber­zukommen. Ein gewisser Ernst sollte dahinter sein. So schreibe ich schließlich:

 

Hi Lucy! Könnte ich der sein, den Du kennenlernen möchtest? Ich würde Dir gern mehr von mir erzählen. Ich bin auch neugierig, wie Du zu Deinem Spitznamen gekommen bist. Der ist ja recht außergewöhnlich!

Das war eine gute Formulierung, wie sich eine Stunde später herausstellt. Gleich als ich im Büro ankomme, sehe ich am Handy, dass sie geantwortet hat. Ihre Zeilen wirken auch sehr freundlich und ehrlich:

Lieber Leo!

Das kann ich Dir gern erzählen. Vor ein paar Jahren nahm ich mit Freunden an einem Faschingsumzug teil, und zwar als Mickymaus kostümiert. Es dauerte zwei Stunden, bis sie draufkamen, wer ich bin. So gut war ich geschminkt und verkleidet. Das war ein Spaß, von dem wir alle noch heute reden. So blieb mir der Spitzname. Einfach, aber so war es. Wie geht es Dir? Hast Du Osterurlaub oder musst Du arbeiten?

So kommen wir ins Plaudern und es macht richtig Spaß. Lucy ist witzig und wirkt sehr offen in ihren Ansichten. Weil ich aber noch zu arbeiten habe, vereinbaren wir, am Abend weiterzuchatten. Deshalb beeile ich mich auf dem Heimweg. Meine Mutter hat mir noch Abendessen aufgehoben, das soll ich mir auch vorher abholen. Und ich muss Mama dringend von der Maus erzählen. Nicht, dass sie sich noch erschreckt, wenn sie einmal rübergeht!

Endlich alles erledigt, komme ich zu Hause an und bin mit den Gedanken schon beim Chat, als ich aus der Speis ein lautes Scharren höre. Da habe ich aber schnellen Jagderfolg gehabt. In der Falle sitzt eine Hausmaus, zittert ein wenig und zieht sich in den letzten Winkel der Falle zurück. „Du hast mir grad noch gefehlt, Mäuschen! Du machst gerade mein Date zunichte!“, zische ich das arme, unschuldige Ding an. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als noch in den nahen Park zu gehen und das Tier dort auszusetzen. Ich wusste gar nicht, wie schnell so eine Maus laufen kann …

Endlich kann ich mich bei meiner Mickymaus melden, beschließe aber, ihr nicht zu erzählen, dass ich gerade mit einer anderen Maus beschäftigt war. Für mein Zuspätkommen muss leider die Mama als Alibi herhalten. Und Lucy meint, das ist doch kein Problem. Wir haben ja Zeit. Die nehmen wir uns auch. Die halbe Nacht wird geschrieben und gelacht, bis uns schon die Augen zufallen. Bevor wir uns verabschieden, wage ich noch die vorsichtige Frage:

Was hältst Du davon, wenn wir uns diese Woche noch sehen? Nur kurz vielleicht, auf einen Kaffee oder so …

Ihre Antwort ist kurz und bündig:

Tolle Idee! Reden wir morgen drüber! Gute Nacht, lieber Leo, bis morgen!

Zufrieden lege ich das Handy weg und mache einen Kurzbesuch im Bad. Ich lege mich mit den allerfriedlichsten Gedanken in mein Bett, mache die Augen zu … Da ist es wieder, das Knacksen und Scharren. ‚Nein, nicht schon wieder!‘

10. Lydia

Am Montag im Büro ruft Frank mich an und fragt: „Bist du noch sauer auf mich?“ „Nein, schon vergessen.“ „Wollen wir uns dann noch mal treffen?“ „Ich weiß nicht, Frank, was soll das bringen?“ „Na, wir wollten uns doch näher kennenlernen, und das könnten wir jetzt nachholen.“ „Hältst du denn ein längeres Gespräch ohne Rauchen und Antatschen aus?“ „Ich denke schon. Gib mir halt noch eine Chance.“ „Lass mich noch mal drüber nachdenken. Ich sag dir in den nächsten Tagen Bescheid.“

Meine Gedanken sind anschließend nicht bei der Arbeit, sondern bei Frank: ‚Will ich ihn sehen? Wohin führt das, wenn wir uns näher kennenlernen? Früher hätt ich gesagt, Rauchen ist ein K.O.-Kriterium. Und wieso jetzt nicht? Irgendwas verbindet uns. Ist es auf beiden Seiten der Wunsch nach einer festen Beziehung? Reicht das aus?‘ Da schaut meine Kollegin Sandra kurz rein und fragt: „Lydia, hast du den Entwurf für die Sendung am Mittwoch fertig?“ „Noch nicht ganz, aber du kriegst ihn bis Mittag.“ „Stimmt was nicht mit dir?“, fragt sie. „Nein, alles paletti. Kam bloß noch nicht dazu. Aber ich mach mich gleich dran.“ Das fehlt noch, dass ich wegen Frank Ärger kriege! Die Gedanken müssen warten.

Kurz vor Mittag ruft Frank schon wieder an: „Wollen wir zusammen was essen?“ „Hör mal, du hast gesagt, du kannst geduldig sein. Dann zeig mal, dass das stimmt, und warte, bis ich mich melde, okay?“ „Hm, okay.“ ‚Wenn der so weitermacht, wird das nix mit uns. Dann soll er sich eine andere suchen.‘ Ich beschließe, nicht zum Essen in die Kantine zu gehen, nachher seh ich ihn da noch. Stattdessen mache ich einen Spaziergang. Es ist sonnig und schon recht warm, und heute mal wieder das Essen ausfallen zu lassen, schadet meiner Figur auch nicht. Trinke ich halt nachher einen Saft oder zwei, das wird dann schon reichen bis heut Abend. Dann koche ich mir was Schönes. Jetzt laufe ich zur Isar hinunter und überlege dabei, was ich machen will mit Frank.

Als ich wieder ins Büro zurückkomme, habe ich einen Entschluss gefasst: Eine Chance kriegt er noch, und zwar irgendwo, wo wir Ruhe haben und uns unterhalten können. Ich werde ihm vorschlagen, dass wir uns am Freitagabend beim Vietnamesen „Quan Com“ zum Essen treffen. Da werden wir sehen, wie das läuft, und wenn es nicht passt, bin ich von dort in ein paar Minuten zu Hause. Aber ich werde ihn erst morgen anrufen.

Am Freitagabend fangen wir mit einem Tee an, während wir die Speisekarte studieren. Ich muss nicht lange lesen, denn ich kenne das Lokal recht gut und werde mit einer sup chua tom anfangen und danach einen cha kho tieu nehmen. Frank bestellt Frühlingsrollen und Rindfleisch. „Ich würde am liebsten zum Essen ein Glas Pinot Grigio trinken“, schlage ich ihm vor, „aber das passt nicht zu deinem Rindfleisch.“ „Macht doch nichts, ich nehm ein alkoholfreies Helles, bin ja mit dem Auto gekommen.“ „Warum das denn?“ „Ich wohne ziemlich weit draußen in Germering.“ „Geht da nicht die S8 hin?“ „Ja, stimmt schon, aber von meiner Wohnung in der Dorfstraße ist mir das zu Fuß zu weit zum Bahnhof. Und wenn ich das Auto zur Bahn nehme, kann ich auch gleich in die Stadt weiterfahren.“ „Hast du denn hier einen Parkplatz gefunden? Das ist doch nicht so leicht.“ „Da hatte ich Glück, in der Nibelungenstraße fuhr grad einer weg, als ich kam. Wo wohnst du denn?“ „In der Schulstraße, das ist nur ein paar Hundert Meter zu Fuß von hier. Ich bin hier in dem Lokal auch öfter mit Freunden oder meinen Mitbewohnern. Es schmeckt gut und ist nicht zu teuer.“ „Du wohnst also in einer WG?“ „Ja, mit Lisa und Wolfgang. Das passt ganz gut. Und du?“ „Ich habe eine kleine Wohnung, zwei Zimmer, Küche und Bad. Reicht für mich allein. Und es ist ruhig dort und man kann mit dem Fahrrad oder zum Joggen in die Natur. Welchen Sport machst du?“ „McFit und im Winter Skifahren. Joggen oder Radfahren mitten in der Stadt mag ich nicht. Fahre höchstens mal zum Einkaufen mit dem Fahrrad.“ Unsere Vorspeisen werden gebracht und wir schweigen für einige Minuten. Das gibt mir Gelegenheit, Frank ein bisschen näher zu betrachten, und ich bin ganz zufrieden mit seinem Aussehen. Er ist dunkelblond, etwa 1,85 Meter groß, schlank und sieht recht gut aus, finde ich. Auch seine Kleidung finde ich sehr geschmackvoll und bisher ist er auch zurückhaltend. Kann also noch was werden. Schau mer amal.

Nach dem Essen haben wir uns noch mehr voneinander erzählt. Ich weiß jetzt, dass er aus Würzburg stammt und seit über zehn Jahren in München wohnt. Er hat schon hier studiert und hat dann gleich bei ProSieben angefangen. Ich bestelle mir noch ein zweites Glas Wein und Frank einen Espresso. Wir plaudern locker weiter und ich fühle mich sehr wohl. Gegen halb elf zahlt Frank unsere Rechnung und fragt, ob wir noch woanders hinwollen. Ich lehne ab und sage ihm, dass ich ihn lieber ein andermal treffen möchte. „Heute bin ich zu müde.“ Er ist nur kurz ein bisschen unschlüssig oder beleidigt, sagt aber dann mit einem Lächeln: „Wollen wir uns beim nächsten Mal in Germering treffen? Es gibt da einen sehr guten Italiener. Du magst doch auch italienisch?“ „Ja, sehr.“ „Wie wär’s morgen Abend?“ „Da kann ich leider nicht, Wolfgang feiert seinen Geburtstag. Aber Sonntagabend würde gehen.“ „Der Italiener heißt „Casale“. Aber wenn du magst, hole ich dich an der S-Bahn in Unterpfaffenhofen ab. Sagen wir gegen acht?“ „Lieber sieben, sonst wird es mir am Sonntag zu spät.“ „Great, dann bis Sonntag.“ Draußen versucht er noch, mich zu küssen, aber ich lasse es bei Küsschen, Küsschen enden. Vielleicht am Sonntag …