Aficionados - Der Zauber der Giacomettis

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Ich dachte, die hat ne Macke. Räume klingen nicht und was soll der Carl jetzt schon wieder? Sind wir zwei in einem? Aber irgendetwas stimmte nicht, denn sie sagte: „Kuck mal hier vorne, die niedlichen Papageien drauf. Ach Leo, sieh es dir einmal aus der Nähe an.“ Ich wollte das aber nicht ansehen, schon gar nicht so viel Reizüberflutung, da steckte ja gar keine Frau mehr drin, da will man ja nur noch ins Kleid, da halft auch keine Strategie des emotionalen Heranzoomens mehr. Fehlte noch, dass ich vor Alex kniete, vor ihrem Kleid und mir jedes Ding darauf einzeln betrachtete. Alex aber immer weiter: „Dieser Stoff, du darfst ihn auch mal befühlen, wenn du willst.“ Meine schlaffen Augenlider kehrten zu ihrer Muskelspannung zurück. Hatte sie „Fühlen“ gesagt? Alex in ihrem Papageienkleid stand erwartungsvoll vor mir und lächelte mich an. „Fungable“ sagte ich. Das klang groß – prahlerisch, als wollte ich sie hypnotisieren. Kunst, Kunst. Ich war fast am Ziel, nur noch einen Schritt und ein Bücken, um endlich ihr Kleidchen betatschen zu können. Es war mir jetzt auch egal, mir tat die Handinnenfläche weh, neben mir stand eine Besserwisserin, die vom vielen unter ner schiefen Zimmerdecke Durchgehen selber im Kopf irgendwie schief geworden war, zudem gingen mir auch langsam die Argumente aus, also half nur Tatschen und Befühlen. Ich wollte meine Hände gerade ausstrecken, da fragte diese Schiefdeckentante doch glatt: „Wie bist du denn da bloß reingekommen?“ Mein Mund öffnete sich verdutzt, wollte ein bewunderndes „Oh“ anstimmen, aber schon huschte Alex von dannen, drehte ihr Kleid erneut herum, und ich stand da wie blöde, mit Sabber im Maul und dem inkohärentesten Ausdruck auf dem Gesicht, den man zu dieser Zeit in Augsburg finden konnte. „Zuerst“, erzählte Alex stolz, „habe ich ja doch etwas gegrübelt, aber dann – dachte mir: Da kommst du jetzt rein. Na, dann zieh ich halt keinen BH drunter!“ Ich machte prophylaktisch ein noch schöneres ‘Oh’ – kam mir vor wie ein Spion, mitten reingeschlichen in die Geheimnisse einer Mädchenumkleidekabine. Aber was konnte ich dafür? Die haben mich ja mitgeschleppt. Da könnten die beiden ja ein bisschen mehr Rücksicht nehmen, aber denkste, die kicherten sich eins. Alex drehte und drehte, die beiden Frauen feierten die Vorführung, zurechtgezupft wurde an allen Seiten, glattgestreift, und weiter gedreht, die vergaßen mich hier vollends, halbkniend, sabbernd und … dann Ruhe, der große Moment. Ich stellte mich vor Alex und ging in die Knie, da fand meine Handdrückerin ihre Stimme wieder: „Is irgendwie inkohärent“, schnatterte die. Ich schwankte etwas, verrutschte in meinen Hosen, Tränen stiegen auf. Wir hatten es doch fast geschafft, und nun … die dumme Nuss. „Unklar bedeutet das“, kniete inzwischen sogar meine Stimme, „wirr, ohne Plan. Kohärent is klar, inkohärent unklar.“ Ich sah sie an, wie mich der tollwütige Hund am Machu Picchu vor fünf Jahren angestiert hatte. Alex sah sie auch an. „Was bedeutet das?“, fragte sie irritiert, „bedeutet das was Gutes?“ „Na, dieser Österreicher“, plapperte ich wirres Zeug drauflos, damit hier noch was zu retten war, „dieser Regisseur, Haneke5, mit den Folterfilmen …“ Und die wieder: „Der macht doch keine …“ „Klappe jetzt mal!“, fuhr ich barsch dazwischen. „Haneke hat jetzt zugegeben: Alles was klar ist, ist keine Kunst. Und somit ist dein Kleid unklar und somit …“ „Kunst?“, lächelte Alex, die Augenbrauen zogen hoch zur Zimmerdecke. „Genau“, breitete ich meine Arme aus und machte einen Schritt auf sie zu: „Kunst“, sagte ich, dann kniete ich wirklich vor ihr – ich, Leo der Künstler, und erhob ihr Alex-Kleid in den Adelsstand, heut mal umgekehrt. Ich berührte den samtenen Stoff, ließ ihn leicht fließen zwischen den Fingerkuppen, gleißendes Schmelzen und muss für eine schmerzvolle Ewigkeit glücklich ausgesehen haben. -- Auf der Rückfahrt klapperte mein Rucksack. Beim Verstauen unter meinen Füßen auf dem Beifahrersitz saßen jetzt mehrere kleine Bronzefiguren. Die Erstbesitzerin des Kleides hatte sich so in Lobeshymnen hineingesteigert, bis zur Erschöpfung, dass wir vor ihren Augen die halbe Wohnung hätten leer räumen können. Szenen des Drama-Abschieds spielten sich vor mir ab, im Alex-Kleid durfte sie sich als Star benehmen, auch wenn sie keiner ist, benehmen wie im Tollhaus. Alex fiel vor lauter Umarmungen, Tschau und Küsschen fast noch in die Afrikagruppe mit den Speeren. Geistesgegenwärtig schubste ich die beiden vor die Tür auf den Reitervorhof, man, man, ich atmete tief durch, als Alex endlich den Zündschlüssel umdrehte und wir uns Richtung Heimat bewegten, jeden Kilometer würde ich zählen. Wir kurvten natürlich dank Siri erstmal dreimal über diesen Marktplatz mit den ganzen Brunnenfiguren, schon wieder Figuren, hier fanden wir dann sogar noch Alex’ Statue, sah n bisschen wie ne Ente aus, ihr gefiel’s. Dadurch wedelte sie noch mehr mit dem Lenkrad, sie schwitzte vor Aufregung, weil sie ihr Kleid gefunden hatte, und laberte aufgedrehtes Zeug, dass sie sogar meine Brille mit dem abgebrochenen Bügel für so typisch Leo halte, dass alles so stimmig wäre zwischen Carl und mir und mir und Carl, und ich kam gar nicht dazu, ihr zu erzählen, dass mir der Bügel beim Sturz abgebrochen war, weil Carl empfand, ich sollte mal für Gaultier Laufsteg gehen, so als Gaultier-Tier, und dieser in lässig Jogginghosen angereiste Mistkerl mir seine ausstaffierten Kostümchen überstreifte und feixend mit mir Steintreppenstufenlaufen übte. Ich übte aber Steintreppenstufenrunterrollen und ausgerechnet bei dieser Probe hatte Gaultier auf seine doch so berühmten Schulterpolster verzichtet, sehr zum Leidwesen meines Brillenbügels. Alex sagte geradezu bewundernd zu mir: „Ja, nehmt sie euch, Mädels, die Männer mit ihren geilen Autos, ihren Pilotbrillen, könnt ihr alles schrotten. Brillen mit abgebrochenem Bügel sind jetzt angesagt. MC5.“ Dann drückte Alex ihre ganze Freude in dieses süße kleine Gaspedal. Ich nickte weg und spürte nichts mehr, und dachte, na wenigstens sterben wir auf der Landstraße mit nem schönen Turner-Himmel und nem schönen Kleid im Kofferraum und wahrscheinlich wird die Presse nach unserem Unfall schreiben: Warum wollte der Leo plötzlich Frauenkleider tragen, mit bunten Papageien drauf?

0 Turner/Lorrain - Stimmt nicht. Leo erzählt Blödsinn, er will Alex nur beeindrucken. Turner (1775 – 1851) hat nie mit Claude Lorrain gemalt. Lorrain (1600 – 1682) war vor seiner Zeit. Es wurden auch keine Malwettstreite veranstaltet. Richtig ist, Turner kopierte anfangs Holländer und seine Kritiker der Academy um die er sich bewarb, empfanden sein Wasser als zu schmutzig, seine Hintergründe zu schwammig, erkannten aber sehr wohl, dass Turner jemand ganz besonderes war, so dass seiner Mitgliedschaft in der Akademie schließlich nichts mehr im Wege stand. Der anerkannte Turner-Kenner Andrew Wilton, der neben Briefen auch Zeitaussagen aus der näheren Umgebung Turners gesammelt hat, weiß zu berichten, dass Turner beim Anblick der ersten beiden Claude Lorrain Gemälde in Tränen ausgebrochen sei, mit dem Ausspruch: Mein God, so gut werde ich nie malen können. Turner gilt als der große Visionär der modernen Malerei, schrubbte, wischte auf seinen Bildern herum und fügte zum Abschluss noch mit den kratzenden Fingernägeln Lichtpunkte in seine Gemälde ein. Statt sich Lorrain geschlagen zu geben, akzeptierte er dessen Bildkunst und perfektionierte ehrgeizig seinen eigenen Malstil. Quelle: Andrew Wilton, William Turner, Briefe und Zeitzeugenaussagen.

1 Suri heißt die Tochter von Tom Cruise & Katie Holmes, deren gefakte Ehe, des Cruisens Scientology-Karriere, und der Sorgerechtsstreit mal wieder den hollywoodianischen Irrsinn widerspiegeln. Also heißt Alex’ elektronisches Orientierungsgerät Siri, was kann denn die kleine Tochter für ihre Eltern? (1/1)November 2011 – Bereits da hat ‘Vanity Fair’ (1/2), das Society Hochglanzmagazin schlechthin (wir erinnern uns, Vanity = Eitelkeit, Fair = Fair, Tom Wolfe = Bonfire of Vanity), veröffentlicht, dass Tom Cruise eigentlich eine ganz andere Frau heiraten sollte, als Katie Holmes. Doch diese Frau, die sich einem regelrechten Tom Cruise(1/3) Eignungstest-Training unterziehen musste, mit all nur erdenklichen schweigepflichtigen Entbehrungen, inklusive Trennung von ihrem Freund, wagte es dem Chef von ST zu widersprechen. Nicht nur, dass sie fast ihre gesamte Existenz geopfert hat, beruflich als auch privat, als sie wusste, dass sie die Auserwählte, aber im Falle eines Scheiterns, was dann auch geschah, zum Kloputzen und anderen Repressalien verdonnert würde, use ya fantasie it’s Scientology, heulte sie einem Insider Journalisten monatelang den Anrufbeantworter voll, auch durfte dies nicht an die Öffentlichkeit dringen. Der Journalist versprach’s und dabei blieb es. Als aber nun die Scheidung von der endausscheidend gewinnträchtigen Katie Holmes bekannt gegeben wurde, gab die ehemals Auserwählte alle Schleusen frei, den Journalisten interviewte das Magazin ‘Vanity Fair’, das doch gerade aufgrund seiner Society-Gehässigkeit so beliebt ist. Man darf nicht vergessen, darin zeigen sie Stars wie luxuriös sie wohnen und machen sich anhand von Hochglanzfotos über deren durchgeknallte Verschwendungs-Stillosigkeit lustig, und alle, wirklich alle, wollen da rein, trotzdem, und genau in dieses Magazin, egal wie, notfalls eben so. Nur den Leo, also mich, ham se nie gefragt, die meinten ganz schnöde: What’s the use a One-Room-Environment? Put in some Shisma and Go to da New Yoka. class="calibre13">Wusste ich auch nicht, dass sich vorher zwei Austräger verkleidet als Ghetto Rhastas die Grund-Eroierung meiner Wohnung einholen, und das dann für zu blöde empfinden, das lohnt sich nicht, der hat ja nich mal Möbel drin; dafür fuhren die extra nach Moabit. Diese ganze gefakte Beziehung des Tom Cruise ist natürlich ein Armutszeugnis, kein Wunder, dass nach dem Filmdreh ‘Eyes Wide Shut’, einem schon allein großartigen Titel des letzten Kubrick Films, die sich darin unanständig seelisch entblößende Nicole Kidman von allem was Tom oder auch nur annähernd Cruise hieß, abgewandt hat. (1/2)Vanity Fair - Tom Cruise’s Scientology Marriages: The Secret Wife-Auditioning Process Before Katie Holmes, Revealed In the October issue, Vanity Fair special correspondent Maureen Orth reports that in 2004 Scientology embarked on a top-secret project headed by Shelly Miscavige, wife of Scientology chief David Miscavige, which involved finding a girlfriend for Tom Cruise. ….According to Orth, Nazanin Boniadi, an Iranian-born, London-raised actress and Scientologist, was selected and dated Cruise from November 2004 until January 2005. Initially she was told only that she had been selected for a very important mission. In a month-long preparation in October 2004, she was audited every day, a process in which she told a high-ranking Scientology official her innermost secrets and every detail of her sex life. Boniadi allegedly was told to lose her braces, her red highlights, and her boyfriend. According to a knowledgeable source, she was shown confidential auditing files of her boyfriend to expedite a breakup. (Scientology denies any misuse of confidential material.) The source says Boniadi signed a confidentiality agreement and was told that if she “messed up” in any way she would be declared a Suppressive Person (a pariah and enemy of Scientology) (1/3)Dass Tom Cruise Ende Oktober den Bauer Verlag mit einer 50-Millionenklage bedrängen will (SZ, 26 Oktober 2012 ‘Suri in Tränen - Tom Cruise verklagt Bauer Verlag auf 50 Millionen Dollar’) weil diese behaupten er sei ein schlechter Vater, wird als Cruis’scher Unterlassungs-Spaß gehandelt. Schon einmal 1996 hatte er den Burda-Verlag, damals sogar 60 Millionen, nach dem Veröffentlichen seiner eigenen Behauptung über seine kaum denkbare Zeugungsfähigkeit immerhin zu einer öffentlichen Entschuldigung und Entlassung des stellvertretenden Chefredakteurs gezwungen. Dabei, und das ist wirklich komisch, war das Zitat zuvor bereits in dem Jugendheftchen BRAVO aufgetaucht, die wurden aber nicht verklagt, und sind beim Bauer Verlag, da schließt sich der Kreis.

 

2 Richard Tuttel – Unter der Überschrift ‘Kunst als Andeutung’ im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung vom Freitag, 26. Oktober 2012, fragt die Autorin Catrin Lorch, tatsächlich Catrin mit ‘C’: Wie viel Seele steckt in einer Skulptur? (Wie viel dabei tatsächlich auseinander geschrieben) Der amerikanische Bildhauer Richard Tuttle entwickelt jenseits aller Esoterik konzentrierte Werke der Stille. – Diesem halbseitenlangen Artikel als Hinweis auf die bevorstehende Ausstellung in der Pinakothek der Moderne in München habe ich die schönen Beschreibungen entnommen ‘Ein Plastikschlauch, der schneckig so eingedreht ist…’ Schick auch die Materialbeschreibung der Tuttle’schen Skulpturen: ‘Schnur, Tape, grünes Seidenpapier, doppelt verdrehte Isolierfolie, Wollstränge.’ Unklar bleibt, ob man das jetzt zur Ausstellung mitbringen oder dort als Attraktion zusammengeknoteter Irgendwas erwarten soll.

3 Beyeler – Wege der Moderne – Die Sammlung Beyeler: Ausstellungskatalog 1993, Seite 158, Ausstellung in der neuen Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz - ISBN 3-89479-035-0

4 Boston Legal, William Shatner – CD kaufen klauen… na ihr wisst schon, es gibt eine Conan O’ Brian Show mit Shatner, das muss man gesehen haben. In Boston Legal nehmen sich die anschaulich übergewichtigen Sam Spader und William Shatner als Anwaltsfreunde selbst auf den Arm. Unglaublich welch lange Plädoyers Spader aufzutischen in der Lage ist. Shatner als Deny Crane spricht die sparsamen Texte. Glaubt, er habe Mad Cow Desease, Zwei Folgen hintereinander der Dialog Screwball – Serie schafft man, dann erstmal Pause machen.

5 Michael Haneke – Interview Tagesspiegel, Sonntag, 16. September 2012., Zitat: „Alles was auf den Begriff gebracht wird, ist künstlerisch tot.“ – Ich gestehe, wer solche Sätze in einer harmlosen Sonntagszeitung verkündet, sollte keine Bücher schreiben, sondern Filme drehen und versuchen die Zeit anzuhalten, und das tut er ja dann auch.

Alex Schuhe

Am nächsten Tag überraschte mich Alex mit einer Hiobsbotschaft. Das Aufpeppen ihres Gesichts barg erste Hindernisse. Sie gestand mir, dass sie noch nie in ihrem Leben Lippenstift getragen hatte. Ich war ja nun einiges gewohnt, aber das? Keinen Lippenstift? Ich – ratlos. Zumal, ich wollte ja nun auch nicht zu tief in ihre Klein-Mädchen-Welt eindringen, obwohl, gerade das mag ich wirklich, mit einem Mädchen losstiefeln und sie anziehen. Das hat nämlich nichts mit Mode zu tun, sondern eben mit Anziehen und zwar nach ästhetischen Gesichtspunkten. Sie sah mein besorgtes Gesicht, umarmte mich wieder kurz auf diese distanzierte Weise, es ging auch nicht viel anders, sie war ja einen Kopf größer, und beschloss: „Leo, wir beginnen mit die Schuhe.“ „Du meinst mit den Schuhen?“ „Na sagt man doch bei euch so in Berlin?“ „Aber ich bin hier im Urlaub, erinner mich bitte nicht andauernd an diese Scheißstadt.“ „Ach ja“, sagte sie, „außerdem ist der Mode-Part ja Teil deiner Therapie, 'tschuldige, will sagen, Stufe 2 is dran.“ „Genau“, sagte ich, fragte aber gleich irritiert: „Wieviele Stufen hat denn meine kleine Leo-Rakete?“ Alex sah mich hochernst an, entweder veralberte die mich hier, dass sich die Fußgängerzone bog, oder sie nahm das wirklich so ernst mit diesen Raketenstufen, das konnte ja wohl nicht sein, dass jedes Zünden einer Stufe so schmerzlich anstrengend sein würde, wie das Papageienkleid? „Lass uns losgehen“, entschied sie, „Vier, nein fünf, dann wieder vier - reicht ja“, entschied sie, und ich maulte: „Hier gibt es mindestens ebenso viele Schuhläden und du hast bestimmt vor, jeden einzelnen abzuklappern, bis sämtliche Verkäufer am Boden liegen?“ „ Acht!“ sagte Alex. „Acht Schuhläden und der Rest stimmt fast genau. Vier Stufen, acht Schuhläden, und Ich will, dass sie auf dem Boden krauchen, auf dem Rücken liegen wie die Käfer, in den Teppich krallen und zuckend rumkrabbeln“, kicherte sie. Das war der Moment, da ich das erste Mal ihre Hand ergriff, nur um zu wissen, dass ich hier nicht auch mit ner Kunstfigur rumstiefelte. Doch der Griff ging daneben, irgendwie versuchte ich dann ihr schmales Händchen in das meine ja auch nicht allzu große zu quetschen. „Ja, ja meine Hände“, sagte sie, „sind irgendwie unhandlich.“ „Ach was“, tröstete ich, „lass uns beginnen, wir wollen ja was für deine Füße kaufen!“ Alex’ Strategievorgaben für den Kauf von Schuhen waren dann doch sehr eindeutig. Sie zählte mir auf: „Wir gehen zuerst in den ‘Ramsch’, dann in den ‘Apfel’ und arbeiten uns hoch zur ‘Lunge’.“ „Ja klar“, nickte ich und würde schon bald begreifen, was sie damit eigentlich meinte, weil, die blöden Frauen hier gaben ihren Schuhläden Namen. Und damit nicht genug, sie gaben ihnen liebevolle Kosenamen. „Auf zum Ramsch“, zog mich Alex’ eiliger Laufschritt fast magnetisch durch die Fußgängerzone. „Es ist nämlich so“, fabulierte sie weiter, „du erkennst schon an denen, die da reingehen was dich erwartet.“ Ich sah aber vor dem Ramsch nur lauter gut gekleidete Frauen, die sogar trotz sommerlicher Hitze auf ihr schmückendes Mäntelchen nicht verzichten wollten, Lindgrün schien die Farbe der Saison. „Naja“, sagte Alex, „natürlich machen es die anderen auch wie wir, die gehen eben alle Läden durch und es ist so wie man es nicht vermutet.“ „So wie nicht?“ fragte ich. „Na, mehr das Woolworth Prinzip“, gluckste sie. „Aber die sind doch pleite“, entgegnete ich, „wer von uns beiden liest denn hier eigentlich den Wirtschaftsteil? In Moabit haben die Woolworthens schon vor drei Jahren aufgegeben“, erklärte ich. „Ach Leo, weißte wann der angefangen hat, der Frank Woolworth? Das war 1879. Die haben Insolvenz angemeldet und dann war Umkrempeln angesagt, die wussten nicht was sie sein wollen ‘Weltstadtkaufhaus oder Billigkette’6, die hatten bis zu fünzigtausend Artikel, sowas verwirrt doch nur, jetzt sind die ganz runter und den Trick, das Woolworth Prinzip, hat auch der Ramsch. Manchmal hat der nämlich wirklich ausgeklügelte Verstecke, da findest du dann doch die guten Schuhe, musste eben etwas suchen is wie mit dem Fleischsalat.“ „Fleischsalat?“ „Musste auch drin suchen. Statt Pökel im Billigen, verwenden sie im guten in der Sahnesoße Muskelfleisch.“ „Aha“, nickte ich verständig: „Schuhe und Muskelfleisch.“ Da standen wir also vor dem Ramsch und redeten darüber als wär’s n Lebensmittel. Etwas unentschlossen begafften wir die lieblos zusammengestellte Schaufensterdekoration, das gehöre alles zum Programm, belehrte mich Alex weiter, je geringschätziger sortiert, desto ermutigender für den Kunden, vermittele den Eindruck hektischen Ausverkaufs, die schrammen ihre Ware sozusagen am Geschmack vorbei. Mir wurde langsam schwindlig. Da braucht man ja nen Volkshochschulkurs, um Shopping zu verstehen, und meine Verwirrung wurd vollends, als ich ein Gespräch belauschte: „Die ganze Wohlfühldiskussion is doch längst durch“, redeten da zwei im Kostümchen. „Kannste dir doch noch so viel auf die Haut schmiern, das muss von innen kommen. Inner Jolie empfehlen sie Zitronensaft für den Rücken, weil da die Poren mehr arbeiten, die Hautsensibilität größer, Zitrone spart das Schrubben mit der Bürste, aber inner Labelle erzählen sie, Zitrone sei Gift für die Haut, lediglich als Nagellackentferner zu gebrauchen, is aber beides gleicher Verlag, ja was nu, Zitrone oder nicht?“ „Alles Buttermilch…“ „und dass du dir Buttermilch ins Gesicht schmieren sollst, Leinöl in die Haare und darüber dann einen Schuss Zitrone und da schließt sich der Kreis….“ „Hach ja“, sagte die andere, „habe auch bei der Überschrift Puder & Make-up die beste Foundation für jeden Hauttyp…wenn ich das schon lesen muss, keine Lust mehr, ‘Foundation’, Unfug: Grundierung heißt das, du quasterst dir die Poren zu, für den ganzen Tag, denkst, das sieht gut aus und abends schrubbste – dann kommen sie zum Vorschein, die kleinen Äderchen,…von der Gesichtsmitte nach außen verteilen die Hautclearance mit einem kleinen Schwämmchen und leichtem Druck tupfen, dabei das Handgelenk etwas drehen, die spinnen doch…“ „Ja. ja, kenn ich, kenn ich, schrubben, schrubben, schrubben, alles Quatsch. Wenn du jeden Morgen 40 Minuten durch unseren schönen Wald läufst, sind die Gefäße so durchgepumpt, danach siehste aus wie n reifer glänzender Apfel mit Bäckchen, da brauchste gar nichts mehr, aber die sind ja alle zu faul die Schnecken. Buttermilch? Die trink ich lieber statt sie mir in die Fresse… is was?“ sagte die plötzlich ganz direkt zu mir. „Öh….Zitrone? Obst?“ mehr fiel mir nicht ein…und dann schubsten die quatschend weiter in den Schuhladen. Alex und ich sahen uns fragend an. „Nagellackentferner“, flüsterte Alex, sie hob beide Unterärmchen, als trüge sie vor sich schon 5 Schuhkartons, eine einzige Last, eine Geste der Verzweiflung: „Nagellack, Lippenstift, Kayal, brauchen wir auch noch – Hach Leo, das schaffen wir nie alles heute.“ „Moment mal“, hielt ich inne: „Zitrone?“ Alex verbesserte mich: „Das is der Bereich Kosmetik – Lippenstift, du weißt!“ Ich wusste gar nichts. „Kosmetik hat mit Obst zu tun – und Mode hat auch mit Obst zu tun. Die Säure der Zitrone für die Haut, Haut – rein – äußerlich: Mode!“ „Hör mal Alex, schon die Holländer, 1628, Stilleben, mischten ihre Palette nach den Naturfarben der Weintrauben, Apfelschalen ja sogar den Federn der beigelegten Fasane. ‘Make-up Foundation’, Grundierung“, sagte ich. Alex sah mich freudig an: „Ich seh schon, der Herr Künstler arbeitet“, da trafen mich die Blicke eines weiteren Frauenpaares: „Fasane?“ „Aber klar“, grinste ich und schubste dabei Alex immer näher zum Eingang: Fasane, Federn, Zitrone, alles Mode, dachte ich laut, da sitzen die den ganzen Tag mit nem Wörterbuch vor ihren Heftchen und versuchen sich das Um-die-Ecke-Denken anzueignen. Auf der anderen Seite der Kette sitzen in engen Bürozimmern diese Mode-heftchen-Macher, die genau wissen, mit jedem Studieren ihrer Heftchen werden ihre Käuferinnen auch schlauer, da müssen sie noch immer weiter raffiniertere Begriffe auffahren. Da müssen sie noch einen draufsetzen, is wie Pornohefte, da müssen die Brüste auch immer größer werden, bis sie nicht mehr ins Heft passen. Es geht immer nur größer und immer vertrackter. Aber – denen macht das ja Freude, dieses Fachwissen aneignen, nur mal so Heftchen durchblättern, das is Entspannung, stundenlang, tagelang, Leben lang. Das Einkaufen hier is auch nur Porno – ‘nur’? Porno macht Spaß, das Gewühle an der Oberfläche, von Unterst zu Oberst kehren, keiner weiß mehr welches Beinchen wessen. Das muss ja furchtbar sein, sich dauernd neue Begriffe ausdenken zu müssen, da wird man ja verrückt bei so viel Zeugs. Mein Kopf drehte sich zu Alex. Sie erriet meine Gedanken und grinste ganz breit: „Wir haben von allem zuviel, es ist zum kotzen…und wir fühlen uns großartig!“ Sie kicherte aufgeregt. Alex stand plötzlich kerzengerade: Körperhaltung Zinnsoldat, Muskeltonus angespannt. „Los Leo, da stürzen wir uns jetzt rein.“ Und selbst ich freute mich ein bisschen darauf, weil, im Schuhladen, da hatte Alex schon recht, da wird es nie langweilig und besonders nicht im Ramsch und erst recht nicht, wenn man eine Alex dabei hat. So stellte ich mir nen Urlaub vor: Dein bester Freund parkt das schönste Mädchen der Stadt neben dir und die ernennt dich zu ihrem persönlichen Modeberater. Aber als Alex im Ramsch, unserm ersten Schuhgeschäft einen noch nervenstark smarten Verkäufer blassgrüne und rote Schuhe anschleppen ließ, geriet ich vor einen Ansichtsspiegel und bemerkte mit Entsetzen, dass ich dicker geworden war. Wesentlich dicker. Hose, T-Shirt, die ich in Berlin monatelang voller Begeisterung getragen hatte, sahen in dem Spiegel aus, als müsste man Leo mitsamt seiner Klamotten gleich mit verbrennen. Außerdem hatte ich immer noch das Shirt vom Vorabend an: Es roch nach Zigarettenqualm mit draufgeschütteten Bierflecken, mit diesem blöden Spruch ‘Die Katze verhandelt nicht mit der Maus’. Genau das las gerade der Verkäufer. Sein Blick wanderte von Alex zu mir. Der Kerl grinste. Ich schien ihm vollkommen egal. Überhaupt schien in diesem Schuhgeschäft alles egal. Man denkt, die geben sich Mühe, Schuhe auf Sockeln, sind doch kleine Kunstwerke diese Schuhe, aber nix da. Die stellen ihre Fußtreter irgendwo auf in dieser großen Halle. Hässliche hölzerne Regale, halb durchgehangen, keinerlei Rangfolge, so von den teuersten zu den erschwinglichsten. Die rammen ein Regal neben das andere wie beim Ramschverkauf, deshalb heißen sie ja Ramsch. Es sieht so dermaßen billig aus, dass es eine Freude ist und man denkt, wuffi, is das billig, da nehm ich gleich drei Paar mit. Was soll das? Und dennoch hatten sie Zeit so nen Verkäufer einzustellen. Erst sagte der noch den Satz: „Wir im Ramsch befolgen das Woolworth Prinzip, das da heißt…“, aber weiter kam er nicht. Alex grinste: „Von 50 tausend runter auf 6 tausend…“, beide nickten verständig. Offene Verkaufsstrategie, dass der Schuhladen sich dem Kosenamen seiner Kundinnen unterwarf und diesen aufs Revers heftete. Die Frauen lieben das, ehrlicher geht’s nicht. Kundin und Verkäufer kennen das Verkaufsprinzip, als hätten sie es gemeinsam geplant, entworfen, und dieser Verkäufer macht auf Ramsch… auch nicht mehr der Jüngste, gegeltes Haar, Parodie der Parodie, aalglatt, selbst das lieben die Frauen, baden sich geradezu in Klischees, sonst gehen die da gar nicht erst hin. Frauen, stelle ich fest, haben Humor beim Einkaufen. Die glauben das gar nicht, die sind ‘Hard as a Rock’, diese Fernsehwerbung, wenn ihnen glückliche Kinder Kekse fressend wie glückliche Kühe entgegen grinsen um in perfekt manierlichen Kleinstimmchen ein ‘Das schmeckt ‘entgegen zu grinsen, da sagt die Kucke-Mami nur: Fick dich! Genau, dieses Pappzeug kriegt mein Kind nicht. Die sitzen steroidgeformt mit ner Abhakliste im Kopf vor dem Bildschirm und alles was ihnen da so entgegengeworfen wird haben die schon gespeichert als ‘Regal ignoriern’. Und weil das Dauerignorieren einem ja den Tag versaut, toben sie in ihren Klischeeläden rum, da wird das nicht nur erwartet sondern regelrecht eingefordert. Männer dagegen beim Einkauf? Gar keinen Humor. Männer sehen das als Auftrag. Eine Entscheidung Existentielle über Jahre hinaus, ihr weiteres Leben bestimmend, samt ihrer Partnerin, die schon wieder den ganzen Tag in irgendwelchen Billigläden sinnlos Lebenszeit vertändelt, während sie, die Männer, einen Laden betreten, und zwar im Kevlarhemd, gegen jeden argumentativen Einschlag gewappnet. Gibt’s übrigens wirklich, getarnt als Mode: Kevlar-Weste7, Schutzfaktor I, bis Kaliber 38, ab 750 Dollar, haben zuviel ‘Wire’ gesehen. Tuschak irgendwas haben sie darin erschossen. Verstehe die Werbung dafür nich so ganz…Und dieser Verkäufer, der jetzt mit Kennerblick Alex und mich eins zu eins auseinander dividierte, betrachtete geradezu schamlos das Gehüpfe von Alex vor dem Spiegel und zwar von allen Seiten wie ein Um-die-Ecke-Kucker, als wollte er sagen, so macht das Verkaufen aber Spaß – mich machte das nur ärgerlich. Verdammt, dachte ich, als ich mich Sätze sagen hörte wie: „Wir machen hier nicht auf Denise Bündchen, das soll bitteschön adrett, aber stabil, zwanglos und echauffiert zugleich aussehen“, da konnte ich das belustigte Zurückdienern des Verkäufers verstehen, der auch gleich konterte, sanfte Stimme, Sprache akzentuiert: „Giesele, werter Kunde, Giesele heißt das Hühnchen.“ Was immer der gegessen hatte, ich verstand es nicht, der aber weiter: „Rote Schuhe wollen zurzeit alle haben!“ Das verstand ich. „Wir wünschen also das zu tragen, was alle tragen? ‘Alle’ ist aber alle, werter Freund…“, lief der zu Hochform auf. „Im Kern sollen die Schuhe doch nicht der Frau gefallen, sondern dem Rezipienten.“ „Na dann bestellen sie nach“, fauchte ich und da kam der mit ner Bestellzeit von 3 Tagen. -- Ich hatte schon auf den Lippen: „So was würde sich in Berlin keiner trauen, nich mal ansatzweise – In Berlin gehen sie auf Swap Partys, du bringst hin, nimmst was mit, das nennt man Vintage Angebot. In Berlin mieten sie Erdgeschosswohnungen für einen Freitag, stellen da ihre Mode auf Treffpartys aus – kein Mensch geht mehr in Kauf...“ als eben mein Blick in diesen Spiegel fiel. „Alex“, wurde ich kleinlaut, „…ich glaub, ich bin nicht der richtige für dich“, und packte wahllos ein paar Schuhe aus dem Regal, weil ich mich irgendwo festhalten musste. Aber Alex griff nur nach den Schuhen und schrie: “Na bitte Leo, ich wusste doch, warum ich dich mitgenommen habe!“ schnappte aus meinen Händen das erwählte Paar, drehte sich in Richtung des Verkäufers und säuselte: "Könnten Sie mir die bitte zurücklegen?" Wir gingen da weiter so rum in dieser Fußgängerzone, Laden Eins hinter uns lassend. Die große Vereinbarung mit dem eigenen Ich besteht aus der Verhältnismäßigkeit von Kopf zu Fuß, genannt: Proportionen. Die schwer zu ortende Helligkeit der vielen kleinen Lämpchen bereitete mir Kopfschmerzen, das also sollte der ‘Apfel’ sein? Die Regale der Schuhe schienen hier absichtlich wahllos aufgestellt, es gab keine Einer-Reihen, alles stand irgendwie schief, wie improvisiert, mal eine andere Präsentationsform als in dem Billigladen vorhin, und etwas Entscheidendes war anders: Die Regalhöhe. Sie war – niedriger. Querreihen voller Schuhe, 4-etagig, über die gierige Augenpaare von Frauen schnellsten Blickes hinüber kucken konnten zum konkurrierenden Nachbarregal. Eine Schnellst-Möglichkeit das geeignete Paar zu sichern. Die huschten da zwischen den verstellbaren Reihen hin und her, es war fast ein gediegenes Wettrennen, und komischerweise ergatterten sie am liebsten das Neid Paar Schuhe einer anderen Davorstehenden, die es noch beäugt oder sogar schon in der Hand hielt. Dann wurde in behutsamem Abstand gelauert, bis das Paar wieder zurückgestellt und endlich in der eigenen Hand gelandet war, um es selber einmal um die eigene Achse drehend dann auch wieder zurück oder besser noch, unachtsam sonstwohin ablegen zu können. Es ist die Freiheit des sich Austobens, es ist das Kochen in fremder Küche, ohne darauf achten zu müssen wo das aufstäubende Mehl, der lehmig geknetete Teig, das spritzende Fett landet, man muss ja nicht selber wegräumen, nur Kochen. -- Die Verkäufer, bei denen man die Weiblichen gar nicht von den alltäglichen Kunden unterscheiden konnte, mussten hier endlos durcheinander gestellte Schuhe wieder an ihren angestammten Platz manövrieren, zum Beraten der Anziehwütigen bliebt kaum Zeit. War dann mal eine Kundin erschöpft vom gierigen Rumgestöber auf einem der wenigen Sitzplätze zusammengesackt, wurden ihr gleich vier, fünf Kartons vor die Füße geknallt, man fühlte sich behandelt wie im September zum Ende der Urlaubssaison, wenn die Kellner den seit Anfang März hochlobig kredenzten Fisch plötzlich auf den Teller hauen, weil, sie können die Touristen nicht mehr sehen, und das aufgetakelte Zuvorkommen unterbleibt auch gleich, aha, so ist das gedacht, wir sollen uns fühlen wie im Urlaub, besser noch am Ende der Saison, wir, die wirklich Hartgesottenen, und platsch, noch einen Schuhkarton vor die Nase. Allerdings – unschlagbar – es ist wohl ein ungeschriebenes Gesetz, dass Frauen wie Alex, die nicht so gierig herumrennen, sondern fast magnetisch angezogen nur an bestimmten Modellen kleben bleiben auch eine ganz bestimmte Art von Verkäufern auf sich ziehen, nämlich Männer. Und richtig, als wir unsere drei bis vier Modelle erkundeten, und zwar immer die roten, astralgrün oder was dieser schlichten Form entsprach, die sich Alex in den Kopf gesetzt hatte, hing schon die erste Klette an uns dran. Und was für ein Verkäufer. Ich kann das nicht ab, wenn so einer mit abgespreizten Fingern die Innensegel seiner Weste bis rauf zum Kragen gerade rückt, als wollte er sagen, wir haben geschlossen, aber für Sie....Ich kann das nicht ab, wenn der Punkt Komma Null seine Gänge abläuft, wie abgezählt, das hat der tausendmal geübt, der sortiert hier nichts, der musste ne Schulung tausender Dias über sich ergehen lassen, um so n Hühnchen wie Alex sofort zu erschnuppern, und jetzt stolzierten die da von allen Seiten heran. Es war ja nicht genug, dass dieser Mann auch noch grinsend seine Zähne zeigte, einem Mink DeVille gleich, zum Billardstoß bereit, nein, er musste behutsam aber bestimmt immer einen kleinen Schritt näher rücken, bis Alex, die wieder vor dem Spiegel posierte, ihm beim Rückwärtsgehen fast von selber in die Arme fiel. Hinter dem dritten Regal auf Punkt 11 Uhr sah ich die eigentliche Gefahr auf mich zukommen: Ein Elvis Costello-Verschnitt rauschte heran, mit abgespreizten Armen, Hände wie Spinnennetze, natürlich musste er seine Zähne rausblecken, und sang ‘Red Shoes – I used to be disgusted, but now I try to be amused, the Angels wanna wear my Red Shoes. Red Shoes…’ 8. Dann verfiel dieser Costello ins Italienische, was mir gar nicht behagte. Er zutzelte seine silberfarbene Weste zurecht, diese Italiener haben ja nun von Mode überhaupt keine Ahnung, der sah aus wie zusammengesetzt, diese Schildbürgerstreich geglätteten absetzenden Dreiecksformen seiner Weste, ständig fummelte er an den Knöpfen herum, als wollte er sich vor Alex auspellen. Man konnte das Fellbett, auf das er sie legen wollte, schon riechen in seiner ganzen Nässe. Und Alex, verdammt, zog den noch mehr hoch, spitzte den regelrecht an, wie bestellt stand der da hinter ihr machte ausholende Armbewegungen vor dem Spiegel, sie reckte ihre Pobacken raus, dass ich befürchtete, gleich werden sie das Haus evakuieren. Es war ja furchtbar wie der angezogen war. Seiner sich auf den Genitalbereich zuspitzenden Weste folgte eine eng ansitzende Hose in schimmerndem Silbersmaragd, könnte man auch dreimal gekaute Oliven nennen, aber erst die Schuhe, der Italiener trägt sandfarben, an der Seite mit Reißverschluss versehene Spitzschuhe. Dass der Knabe parfümiert war bis unter die Fächerfrisur gab mir den Rest; ich wollte einschreiten, bin aber erstarrt, handlungsunfähig vor so viel aufdringlicher als dezent getarnter Frechheit – dabei – gerade das gespielt Zurückhaltende tropfte denen ab. Was wollt ihr denn? Wir machen doch gar nichts. Zunächst machte auch ich nichts. Denn schlimm ist auch noch das hintergründige Kaufhausgedudel und so reizten mich die beiden zu einem gewagten Vergleich: Ich dachte an den verschmitzten Charles Ives, amerikanischer Komponist, kein Italiener – Mit einem polyphonen Satz beginnt seine zweite Symphonie. Obwohl beide Verkäufer im selben Orchester spielten, hatte man das Gefühl sie spielten rhythmisch und in ihrer Gestik vollkommen unabhängig voneinander. Man hatte das Gefühl durch die Versetzung bricht das Kompositorische doppelt stark auf einen herein. Weil ich aber nichts unternahm und das auch sonst hier jeder in Ordnung zu finden schien, bewegten sich die beiden ungehemmt in einem marionettenhaften Rhythmus – ja bemerkte denn das keiner außer mir? – als könnten sie es nur hier, nur mit Alex, und das besonders gut. Ich hoffte nur, dass die da jetzt nicht drauf reinfällt, die dumme Pute, und tatsächlich, mit einem Mal flutschte sie ihr Kleid eine halbe Drehung herum, dass es dem Italiener fast den Schnurrbart absäbelte. „Nein, nein“, rief sie, es stimmt noch nicht, „aber genau das sage ich doch“, rief der in seinem arrogant verschmalzten Italienisch und legte los, dass es kein Halten gab, langgezogen und, huäh, immer auf die Spitze: „Sebastiano Cardilo e Monica Marchetti…“ Alex kuckte den komisch an „Creano il racolto gonnflette anni per marta ferri.“ Alex’ Bewegungen erstarrten, man konnte geradezu sehen, wie sich die kleinen Härchen auf ihren Unterarmen aufstellten, der plapperte immer weiter: „Inaspettata la pony tail…“ Haare? wuschelte sich Alex nervös am Kopf herum „…con decori floreali.. …il romanticismo delle mises!“ Alex schwankte regelrecht, dessen Stimme schien sie in die Toskana zu versetzen, mir wär lieber er setzte sie zurück auf die Straße, aber nein: Sie posierte bereitwillig und das immer ungenierter, der Spiegel würde ihr nachher wohl auch noch eingepackt. Dass eine wie Alex sich wohlfühlt, erkennen die an ihrem Verkaufsverhalten Punkt A: Die Kundin gibt sich unzufrieden und richtig: Alex nörgelte herum, nicht etwa an sich, nicht etwa an diesem unspezifischen Licht, die grellen Lämpchen von überall her, nein, der Spiegel sei es, da stimme was nicht, irgendwie zu schmal, man könne ihre Füße gar nicht richtig begutachten, es ginge doch, seien wir mal professionell, graduativ um… die Schuhe, …das kam nicht etwa von ihr, nein, nein, nein, das brabbelten die beiden Verkaufsidioten im Duett, wie sie sich die Hände an ihren eigenen hochstehenden Kragen zurechtlutschten, wie sie herumformatierten an sich, als wäre es schon Alex’ Körper. – Einfach widerlich und sie bemerkte das gar nicht. Natürlich, das Aufmerksamkeitsmädchen fand jetzt erst recht Gefallen, ließ sich den Satz des Italieners noch einmal wiederholen: Sono rinsascimentali le fancuille di gantoni, alla maniera… was der natürlich Strichpunkt bereitwillig tat, sondern noch einen draufsetzte, die Fächerhände immer weiter auseinander… man konnte geradezu erahnen wie sie nach ihrem Höschen greifen, wie sie die Schuhe nur als Mittel zum ‘Die binden wir jetzt auf unser Fell und dann die Arme hoch und die Beine binden wir auch noch hoch, dass sie daliegt als Wippeschaukel, und dann fahren wir sie genüsslich ab…’, die bringen es fertig, setzen sie auch in so einen Stuhl und betatschen dann bei unzähligen Anziehproben ihre Füße bis ihnen die Suppe aus dem Hosensaum läuft, und das um 12 Uhr mittags, da geht denen in dem Laden schon einer ab, da konnte ich ja noch froh sein, dass wir so früh zum Einkaufen losgegangen sind, was passiert denn erst, wenn es draußen schummerig wird? Hier möchte ich jedenfalls keine laue Winternacht verbringen, es gibt ja die Theorie, je mehr man einer Frau ausziehen kann, umso unwiderstehlicher wird sie, da sind die im Winter in den Schuhläden ja ausgestattet mit ner Dauerüberforderung, was den Frauen auf den Oberarmen als kleine Härchen steht, steht denen dann in der Hose. Ich merkte wie Alex die Knie weich wurden und sie sich trotzdem dagegen stemmte. ‘Dagegenstemmte’? Das wollten die ja gerade, von hinten, ich musste etwas unternehmen, es ist doch kein Zufall, dass die mich ignoriern, diese ‘In Queste Pagines’, ja sowas von völlig ignoriern. Ignoriern ist ja die höchste Gefahrenabweisung. Aber auf mich, solche Fälle der Alexbegleiter, die störenden Männer, sind die bestens trainiert. Jetzt kam etwas, worauf man, als unschuldig in einen Schuhpalast hineingeschlidderter, nicht wirklich vorbereitet sein kann; demnächst verlange ich auch ne Schulung: als Einkaufskunde. Ihr Trick? Männlich verschwiegene Übereinkunft, willkommen im Club, dieses Schulter an Schulter vor dem Weibchen Aufbauen mit dem vielsagenden Blick ‘Wir sind doch alle Männer’. Mir fiel das erst gar nicht auf, weil ich paralysiert die beiden bei ihrem Gegurre um Alex beobachtete, doch bei einem weiteren Blick in den nächst größeren Standspiegel sah ich plötzlich ein Grüppchen von dreien, das da Alex gegenüberstand. Und inmitten dieser Gruppe: Ich. Wie beim Tanz der Vampire standen wir plötzlich alle drei vor diesem Spiegel als geifernde Alexbetrachter. Und dann flüsterte mir dieser Westen kraulende Aalglatte noch über die Schulter: „Sie wissen doch, bald wird das Q-Magazine Bar Refaeli zur best anzusehenden Frau des Jahres küren.“ „Ich weiß gar nichts“, sagte ich. „Und solche Wahlen interessieren mich auch nicht und ich les auch keine Magazine.“ Das sei so ein auf männlich getrimmtes Hochglanzblatt, beriet der mich weiter und ihre Begründung lautete, dass Frau Refaeli Haltung nicht nur als Kontemplation – Beobachtung – ihres eigenen Erscheinungsbildes betrachte und auch nicht nur als eine Hilfestellung, nicht Umzufallen. Was? Plötzlich konnte der reden. Frau Refaeli sehe Haltung als eine in die Welt gesetzte Anmut der selbstvergessenen eigenen Positionierung. Ich sah den irritiert an. „Sowas steht da drin?“ Der grinste schnöde bis über beide Backen. Klebrig verschwörerisch fügte er noch hinzu: „Aber die Wahl ist erst im Oktober.“ Ich schaute weiter irritiert, woher wissen die das dann schon mitten im Sommer? „Weil wir als Clubmitglieder dieses Schmierenblattes, wie Sie vielleicht meinen, im Konferenzausschuss sitzen. Wir bestimmen diese dümmlichen Wahlen, wie Sie vielleicht meinen, nämlich mit!“ gab der andere Verkäufer zu verstehen und verzichtete ausnahmsweise mal auf sein Italienisch, „…unser beider Votes.“ Augenzwinkern und verschwörerisches Grinsen, Jetzt hatten mich die beiden Lustbolde tatsächlich in ihre Mitte aufgenommen, ich würde Club-Mitglied, bombardierten mich sofort mit dem nächsten Insiderwissen, dass Frau Refaeli im Oktober auch in ein sorgfältig zurecht gemachtes Unordentlich-Zimmer gesetzt wird, für Schwarz Weiß Aufnahmen – Gucci – der klassisch überirdischen Fotografen9 Van Lamsweerde und Vinoodh Matadin. Dann gäbe es da noch einen Creative Director Frida Giannini und der hat – jetzt kommt’s und bitte beim Aussprechen rausfallen lassen wie eine gelutschte Olive – das Horsebit neu inszeniert. Gucci sei bekannt für Reitsport-Details, Sattel und sowas, das vermittele einen derart überirdischen Luxus; wer so n Zeug in seinem Wohnzimmer rumzuliegen hat, der… hat es geschafft. Das ratterten die runter wie auswendig gelernt. Wohlfühlfaktor sprachen sie aus, als sei das n Ding zum damit Rumfahren. ‘…ganze Generationen inspiriert’, ich hatte keine Ahnung wovon die redeten, die Fotografen seien berühmt, und wer für eine 50 Jahre im Geschäft an der Spitze verweilende Firma auserkoren würde…aber ich höre nur das Wort ‘berühmt’ ging abrupt einen Schritt zurück und jagte mir erstmal ne Trägerstange von nem zu niedrig gestellten Metallregal in den Rücken, der Schmerz weckte mich auf, ich rief: „Alex...bitte. Du machst dich hier zum Zirkuspferdchen und wir müssen noch ne fette Liste abarbeiten!“ Alex drehte sich zu mir um, als sei sie aus einem niedlichen Traum erwacht, sie kuckte ganz hilflos, hatte in jeder Hand ein Paar Schuhe, hielt mit den Unterarmen noch mühsam ihr Papageienkleidchen an und sagte dann nur: „Fette?“ Irgendwie muss es auf diesem Planeten einen Geheimcode für Frauen geben, es gibt ja tausend Ratgeber was man am ersten Abend eines Treffens nicht sagen sollte, aber keinen wie man aus nem Schuhladen ganz fix wieder rauskommt, und ich hatte das jetzt gerade herausgefunden, ich, der Leo, und holte schnell noch weiter aus: „Fette, Kalorien“, sagte ich und mir fiel noch ein: „Apfelsaft, ein mit Stärke getränktes Zuckerwasser, Katzenhaare Sofakissen“, und Alex stellte wie auf Stichwort alles auf den Boden, packte vehement ihr Kleid zusammen, schön sorgsam gefaltet, das Falten eine beruhigende Handhabe. Ich merkte wie nicht nur ich wieder zu mir kam, sondern auch Alex – Gerettet. Die Wolke der Verzauberung um die Verkäufer entschwand, ihr gerade noch so vereinnahmender Auftritt verpuffte, sie waren eine schier unschlagbare Fußballmannschaft der man plötzlich von hinten in den Strafraum eingeschlichen kam und ein Tor nach dem anderen reinballerte, damit das auch mal Männer verstehen. Alex sah verschmitzt zu mir rüber, uh, hätte ich sie dafür lieben können, ganz verschrottet kuckte der Italiener zu mir, quälte sich einen letzten Satz raus, der mehr schlecht geschmirgelt klang: „Gehört der etwa zu Ihnen?“ „Ja, tut er“, blaffte Alex, „und ‘der’ heißt Leo und diese Raffa-gierig muss seine Öl-Bilder kaufen, damit sie in ihrem Palast hängen, ‘der’ hat die ganzen Zimmer voll davon, er hat sie nämlich gemalt“, und, sie riss dem das GQ – Magazin aus der Hand, zerriss meinen ausgefüllten Club – Coupon, schlug auf Seite 134 auf, da war n Ganzseitenfoto mit dem Carl und der schreienden Überschrift: „Carl, Benz – ist das der neue Carl? „Jetzt überlegt mal Jungs. Wer ist hier wirklich berühmt?“ – und ich konnte gar nicht so schnell kucken wie wir raus waren. „Du hast mich gerettet“, schleimte Alex. „Gerettet?“ Ich war ganz verdattert. „Ja wie denn? Ich hab doch bloß ne blöde Schiessbudenfigur abgegeben, die hätten mich doch am liebsten…“ „Naja“, kicherte sie, „du standest da so armselig rum zwischen den beiden, das konnte ich doch nicht zulassen.“ Ich wollte gerade selbst auf die wenig schmeichelhafte Formulierung ‘armselig’ entgegensetzen….sie wartete aber gar keine Erklärung ab, ich ließ Alex einfach in den nächstbesten Schuhladen stiefeln, es half auch nicht mein Protestieren, wir könnten doch nicht einfach mit meiner Berühmtheit angeben, das bewirft sie mit: „Na klar, die glauben die sind was Besseres.“ „Ich will das nicht“, musste ich weiter dagegen halten, „diese Angeberei, wer hat den größten, die größten Titten, den ganzen Scheiß, sowas macht man nicht, das kriegt man alles zurück, sowas…“, da zerrte sie mich und zerrte mich, „is mir alles so bar raffaeli“, und mir dämmerte, wir würden wohl doch endgültig bis zur Dunkelheit hier rumhängen, konnten die nicht n paar Drogerien dazwischen aufstellen? Irgendwer hatte doch vorhin noch von Zitronen gesprochen. Wo sind sie denn, die ganzen Obststände, wenn man sie mal braucht?