Adrien English: In Teufels Küche

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Kapitel Drei

Gegen Ende des Samstagsbrunchs quetschte Lisa das Versprechen aus mir heraus, am Montag „unsere neue Familie“ bei einem gemeinsamen Abendessen kennenzulernen. Als ich wegen der Eile nachgefragt hatte, war sie rot geworden und hatte gesagt, dass der Ratsherr und sie eine Winterhochzeit in Erwägung zögen.

„Du meinst … diesen Winter?“

Sie nickte eifrig. „Wenn wir es durchziehen können.“

Da ich ganze Jahre damit verbracht hatte, Lisa dabei zu beobachten, wie sie alle möglichen Arten von Last-minute-Notfall-Spenden-Aktionen und Wohltätigkeits-Galas organisierte, ging ich davon aus, dass sie selbst eine komplette Militäroperation innerhalb kürzerer Zeit aufstellen könnte. Ich hatte keinen Zweifel daran, dass der Klang der „Hochzeitsglocken, der weichen, sangesreichen!“ die ganze Nacht über wallen und schallen würde oder wie auch immer zum Teufel es in diesem Gedicht „Die Glocken“ von Poe hieß.

„Wie groß wird denn unsere neue Familie?“ hatte ich vorsichtig gefragt.

„Bill hat drei bezaubernde Töchter.“ Sie seufzte ausgiebig und sentimental. „Nie hatte ich eine Tochter – jetzt werde ich drei haben.“

„Du magst Mädchen nicht mal.“

Entrüstet sagte sie: „Natürlich mag ich Mädchen!“

„Ich bin mir sehr sicher, dass du keines der Mädchen mochtest, das ich nach Hause mitgebracht habe.“

„Keines dieser Mädchen war die Richtige für dich, Adrien.“

Da hatte sie Recht.

Ich dachte mir, dass ich zumindest diese Abmachung einhalten müsste. Sobald ich es verantworten konnte, schloss ich den Laden, duschte, rasierte mich und holte in einer Art archäologischer Ausgrabung meinen dunkelgrauen Hugo-Boss-Anzug aus den Tiefen meines Schrankes. Das letzte Mal hatte ich ihn auf der Beerdigung von Robert Hersey getragen. Meine Stimmung war jetzt auch nicht unbedingt fröhlicher.

Die Fahrt mit dem Forester verbesserte meine Laune etwas. Es geht doch nichts über ein neues Spielzeug. Während ich auf die Autobahn abbog, führte ich eine Art innerlichen Fahrer-und-Auto-Monolog: bester Fahrkomfort mit ordentlicher Beschleunigung … leichte aber reaktionsstarke Lenkung … Die Gedanken an den Kampf gegen das Böse nahmen vorübergehend auf dem Rücksitz Platz.

Wir waren beim Pacific Dining Car an der West 6th Street in Los Angeles verabredet. Ursprünglich war dieses 1921 gegründete und legendäre, familiengeführte Restaurant ein auf einem gemieteten Parkplatz stehender Speisewagen gewesen. Hier brachen heute die hohen Tiere der Stadt, die Politiker, Juristen und Geschäftsleute von Los Angeles miteinander das Brot, hier schlossen sie ihre Geschäfte. Das Essen (und die Weinkarte) waren exzellent. Es war teuer, aber unprätentiös. Ich hielt es für ein gutes Zeichen, dass wir dort zu Abend essen würden und nicht in irgendeinem überteuerten, hippen Lokal.

Die anderen saßen schon am Tisch, als ich das Restaurant betrat, aber Lisa kam mir entgegen. Sie strahlte in einem Hauch von blau mit Perlen. Ihre Augen glänzten, sie hatte rote Wangen und sah nicht einen Tag älter als vierzig aus.

„Oh Liebling, du siehst so gut aus!“, flüsterte sie mir zu, bevor sie mich mit sich zog, um die Vierergang kennenzulernen.

Dauten erhob sich von seinem Platz am Kopf des Tisches, um mich zu begrüßen. Ich muss zugeben, dass er ganz anders war, als ich ihn mir vorgestellt hatte.

„Adrien.“ Er nickte mir kurz zu, aber sein Handschlag war durchaus herzlich. Er war groß, sogar noch größer als Jake, aber in der Mitte etwas schwammig. Groß und kahl. Seine Augen blitzten in einem jungenhaften Blau und leuchteten in seinem braun gebrannten Gesicht. Wahrscheinlich hatte er noch niemals wirklich gut ausgesehen, und ich hatte nicht den Eindruck, dass er viel Zeit darauf verschwendete, charmant zu sein. Aber ihn umgab Autorität. Die Aura von Macht. Es wäre schwer gewesen, jemanden zu finden, der meinem schlanken, kultivierten Vater weniger ähnelte.

„Sir.“ Ich versuchte, seinen Handschlag mit genau dem richtigen Gegendruck zu erwidern. Wussten diese Leute, dass ich schwul war? Würde das ein Problem sein? Nicht, dass es mich einen feuchten Dreck scherte, was sie davon hielten, aber wenn Lisa ihr Herz hieran gehängt hatte, wollte ich todsicher nicht das K.o.-Kriterium sein.

„Nenn mich Bill.“

Gott sei Dank, denn Pop würde ich diesen Typ niemals nennen.

„Und hier sind die Mädchen“, flötete Lisa, und klang dabei nervös.

Es schien eine ganze Horde zu sein. Lisa hatte Recht, sie waren reizend. Kurz war ich wie von einem Schmetterlingsschwarm umhüllt. Parfümierte Brüste und lange Beine und seidiges Haar überall, während die Mädchen sich um mich und sich selbst herum manövrierten, umarmten und Wangenküsse verteilten, sich bedeutungsvoll anlächelten und aus irgendeinem unerfindlichen Grund die Plätze tauschten.

Als wir endlich alle saßen, begriff ich, dass es nur drei waren. Die älteste, Lauren, war ungefähr so alt wie ich. Sie trug einen Ehering, obwohl weit und breit kein Ehemann zu sehen war. Die jüngste, Emma, war zwölf.

Ihre Getränke wurden gebracht. Meine Bestellung eines doppelten Drinks wurde von einem sympathisch aussehenden Kellner entgegengenommen. Dann redeten alle gleichzeitig los.

„Adrien schreibt Kriminalgeschichten und ist Inhaber einer Buchhandlung“, erklärte Lisa Dauten. Ich fragte mich, ob sie bis fünf Minuten vor dem Abendessen gewartet hatte, um die Neuigkeit zu verkünden, dass sie einen erwachsenen Sohn hatte. „Sie sind furchtbar clever und schrecklich bösartig, was sehr überraschend ist, denn er war immer der sanfteste kleine Junge.“

„Ihr Akzent ist so bezaubernd“, sagte Lauren über meine in England geborene Mutter und störte damit gnädigerweise meine Konzentration auf Lisas Monolog. „Ich liebe es einfach, sie reden zu hören.“

„Oh, ich auch“, sagte ich. „Besonders jetzt gerade.“

Das Kind zu meiner Rechten, Emma, kicherte. Ich grinste sie an.

Lauren und das mittlere Mädchen (wie zur Hölle war noch ihr Name?) waren große, gertenschlanke Blondinen, die auf eine typisch amerikanische Weise gut aussahen, wie lebendig gewordene Ralph-Lauren-Werbung. Die Kleine war dünn und schlaksig mit glänzendem schwarzem Haar und rosigen Wangen. Sie hatte die gleichen blauen Augen wie die anderen Familienmitglieder geerbt, die zusammen mit ihrem dunklen Haar sehr auffallend waren. Sie sah Lisa sehr ähnlich. Sie hätte als ihre Tochter durchgehen können – oder als meine Schwester.

„Wir lieben Lisa“, versicherte die Mittlere (Nancy? Natasha?) mir. „Sie ist so gut für Papa. Er vergöttert sie.“

Ich sah, wie Dauten Lisas Hand mit seiner gigantischen Pfote tätschelte, während sie weiter plapperte. Er trug einen goldenen Siegelring auf dem kleinen Finger. Schwarze Haare bedeckten seine Handrücken. Dankbar ergriff ich den doppelten Whisky, den der Kellner mir brachte und stürzte die Hälfte in einem Schluck hinunter.

„War der Verkehr sehr schlimm?“, fragte Lauren teilnahmsvoll.

„Wir werden alle zu deinem Buchladen kommen“, sagte die Mittlere. „Ich liebe Krimis! Ich lese sie nur. Wir werden es allen erzählen. Wir werden allen unseren Freunden sagen, dass sie auch kommen sollen. Weißt du, ich wollte schon immer in einem Buchladen arbeiten.“

Die Kleine, Emma, die mich nicht aus den Augen gelassen hatte, sagte plötzlich: „Du siehst aus wie jemand … ich weiß! Du siehst aus wie der Schauspieler aus dem Film. Red River.“

„John Wayne?“

Sie kicherte. Ja, sie war eine Süße.

Die Mittlere, Natalie – Natalie – sagte stolz: „Emma mag Schwarz-weiß-Filme“, als ob das junge Gemüse schon längst immatrikuliert wäre.

„Welche Filme gefallen dir?“, fragte ich Emma.

Ihre Antwort konnte ich nicht mehr hören, denn in dem Moment lehnte sich Lauren über den Tisch und flüsterte wie eine Geheimagentin im Dienst: „Also – was denkst du über ihren Plan, an Silvester zu heiraten, Adrien?“

„Äh …“

„Das lässt uns kaum Zeit!“ fiel Natalie ein, ebenso verschwörerisch. „Wir müssen sie hinhalten!“

„Wir müssen uns auch noch auf Weihnachten vorbereiten“, sagte Lauren zu mir. „Ach übrigens, du bist dieses Jahr Weihnachten bei uns, hat Lisa es dir schon gesagt?“

„Ich werde Brautjungfer!“, piepte Emma neben mir.

„Und du wirst die Braut zum Altar führen“, sagte Natalie zu mir.

Ich bestellte noch einen Drink.

* * * * *

Wir verabschiedeten uns auf dem Parkplatz, Lisa und die Mädchen quetschten sich in Dautens Jaguar, als es gerade anfing zu regnen. Der Jaguar schoss an mir vorbei, im Vorbeifahren sah ich verschwommen winkende Hände und lächelnde Gesichter. Ich nahm meine Krawatte ab und warf sie auf den Beifahrersitz.

Der Nieselregen wurde noch stärker, als ich auf die Autobahn fuhr. Ich legte eine CD in den neuen Spieler ein: Patty Griffins 1000 Kisses. Die ersten melancholischen Klänge erfüllten das stille Auto und schienen sich dem Takt der Scheibenwischer anzupassen.

Der krönende Abschluss dieses Abends wäre es natürlich, in eine Alkoholkontrolle zu geraten, also fuhr ich besonders vorsichtig nach Hause. Vorsichtig und deprimiert. Ich glaube, die aufgeregten Planungen der anstehenden Weihnachtsfeiertage hatten meine Gefühle in diese Abwärtsspirale trudeln lassen.

Ich mag Weihnachten. Nicht so sehr wie als Kind, aber ich habe wirklich Freude daran. Ja, ich weiß: es ist billig geworden, kitschig und kommerziell, aber das ändert nichts an der Grundlage dieses Festes. Und – natürlich – ist es die absolut beste Zeit des Jahres für die Cloak and Dagger Buchhandlung.

Das Problem, das ich mit Weihnachten habe, ist das gleiche, das die meisten Alleinstehenden damit haben – nämlich, dass es für Singles auch gleichzeitig die absolut einsamste Zeit des Jahres ist.

 

Es wären noch viel einsamere Aussichten gewesen, wenn ich nicht Lisa und eine Handvoll guter Freunde gehabt hätte. Und dieses Jahr hatte ich Jake. Irgendwie.

Natürlich wollte ich Weihnachten am liebsten mit Jake verbringen, aber mir war klar, dass das eher unwahrscheinlich war. Er würde bei seiner Familie sein, die anscheinend auch nach vierzig Jahren noch absolut keine Ahnung hatte, wie sehr James Patrick Riordan Männer mochte. Trotz der Tatsache, dass er wöchentlich mehrfach in meinem Bett und unter meinem Dach übernachtete, würde Jake sie auf gar keinen Fall aufklären (im wahrsten Sinne, sozusagen).

Ebenso unwahrscheinlich würde er Weihnachten in meinem Revier verbringen. Er war nicht gerade begeistert von der Tatsache, dass meine Mutter und Chan, sein Partner bei der Polizei, wussten, dass wir eine Beziehung hatten. Fügte man dieser Mischung vier weitere neue Unbekannte hinzu, würde ich ihn wahrscheinlich nie wiedersehen.

Bald hatte Jake Urlaub – er stand immer kurz vor dem Urlaub, denn er war ein Workaholic – und eine Zeitlang hatte ich mit dem Gedanken gespielt, zu versuchen, ihn zu einem Kurztrip zu überreden. Ich hatte gedacht, dass er sich auf neutralem Boden, wo niemand uns kannte, vielleicht wieder entspannen würde, und wir uns wieder so nah sein könnten wie im letzten Frühling. Aber ich war bis jetzt nicht dazu gekommen, ihn zu fragen, vermutlich auch, weil ich ziemlich sicher war, dass er nein sagen würde.

Ein paar verlorene Weihnachtslichter leuchteten entlang des Wegs, als ich den Colorado Boulevard entlangfuhr. Die Stechpalmenzweige an den Laternenpfählen sahen windzerrupft aus und passten in diese Geisterstadt. Ich bog in meine ruhige Seitenstraße ab. Die meisten Geschäfte waren dunkel und geschlossen.

Ich wohnte über der Buchhandlung. Das Haus war ursprünglich ein in den dreißiger Jahren errichtetes kleines Hotel gewesen. Ich hatte es gekauft, kurz nachdem ich einen ziemlichen Batzen Geld von meiner Großmutter väterlicherseits geerbt hatte. Ich hatte Stanford mit einem Abschluss in Literatur und der vagen Idee verlassen, dass das Betreiben eines Buchladens ein guter Nebenjob für einen Schriftsteller wäre. Zehn Jahre später hatte sich herausgestellt, dass Schreiben kein schlechter Nebenjob für einen Typen war, der einen Buchladen führte.

Nachts war in der Altstadt viel los, aber nicht in meiner Gegend. Hier leerte es sich gegen acht Uhr abends. Normalerweise mochte ich diese Zurückgezogenheit. An diesem Abend fühlte es sich einsam an.

Ich fragte mich, ob Jake eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen hatte, aber ich wusste, dass das unwahrscheinlich war. Ich würde ihn heute Abend nicht sehen, nicht an zwei Abenden nacheinander. Die CD begann von vorn. Ich lauschte kurz den süßen, traurigen Akkorden von „Rain“, dann schaltete ich den Player aus.

Als ich in die Gasse hinter dem Laden bog, glitten meine Scheinwerfer über die Steinmauer auf der Rückseite des Gebäudes. Ich nahm einen Schimmer wahr, wie von Augen, die in der Dunkelheit aufleuchteten. Verschwommen erhaschte ich ein Bild von etwas Beunruhigendem, von Absätzen, die gerade so eben aus dem Scheinwerferlicht meines Autos verschwanden. Ich trat auf die Bremse.

Hatte ich es mir nur eingebildet?

Ich wartete, den Motor im Leerlauf, den Fuß immer noch auf der Bremse, und die Scheibenwischer quietschten über die Frontscheibe.

Keine Bewegung im Schatten.

Eine Katze, dachte ich.

Eine wirklich große Katze.

Eine wirklich große Katze mit Turnschuhen.

Ich nahm den Fuß von der Bremse und rollte leise auf meinen Parkplatz. Ich zögerte kurz, dann machte ich den Motor aus.

Ein Windstoß wirbelte einen leeren Milchkarton über den Asphalt. Das war das einzige Geräusch, die einzige Bewegung in der Straße.

Ich stieg aus dem SUV und ging ins Haus.

* * * * *

Am nächsten Morgen sah alles nicht mehr so düster aus, aber das lag eher an dem Sonnenschein, der sich durch die bleierne Wolkendecke schob, als an irgendeiner emotionalen Erleuchtung meinerseits.

Ich hatte bei der Zeitarbeitsagentur nach einer Fachverkäuferin als Ersatz angefragt. Und sie hatten mir Mrs. Tum geschickt. Mrs. T war eine winzige, ältliche Dame, die praktisch kein Wort Englisch sprach, was mir einen Einblick darüber verschaffte, wie die Agentur meine Arbeit wahrnahm.

Mrs. Tum schien außerdem von leicht erregbarer Natur. Das stellte ich fest, als sie mir zu erklären versuchte, welches Graffiti sich auf der untersten Treppenstufe vor meiner Tür befand.

Als ich schließlich immer noch nicht „vere-stand“, packte mich Mrs. T mit ihrer puppenhaften Hand und zog mich mit sich nach draußen, so dass ich persönlich und aus allernächster Nähe einen Blick auf meine Schwelle und damit auf etwas werfen konnte, was wie ein mit Blut gezeichnetes Pentagramm aussah.

Kapitel Vier

„Glaubst du immer noch, dass das nur ein harmloser Spaß ist?“, erkundigte sich Jake, nachdem ich meine Anzeige zusammen mit dem uniformierten Streifenpolizisten, der meinen Anruf entgegengenommen hatte, ausgefüllt hatte.

„Hilf mir auf die Sprünge. Wann habe ich jemals gesagt, dass ich diese Scheiße nicht ernst nehme?“

„Ruhig“, murmelte er, denn der Officer kam nach einem kurzen Gespräch mit seinem Kollegen zurück.

„Es ist kein Blut“, informierte mich Officer Hinojosa. „Der Farbton trifft es ziemlich genau, aber es ist Farbe.“

Kein Blut war gut. Sehr gut. Ich stieß die Luft aus, die ich schätzungsweise seit einer Stunde angehalten hatte.

„Kein Blut? Nur … ganz gewöhnliche Farbe, was? Ist es denn in Ordnung, wenn ich den Beweis wegwische? Das Geschmiere zerstört mir irgendwie den Weihnachtsvibe.“ Mit meiner Digitalkamera hatte ich schon mehrere Fotos von dem Kunstwerk gemacht. Obwohl ich nicht davon ausging, dass sie in der nächsten Zeit jemanden finden würden, den man dafür vor Gericht zerren könnte.

Hinojosa schüttelte bedauernd den Kopf. „Das ist Lackfarbe. Schnell trocknend. Ich glaube nicht, dass Sie das abwaschen können. Sie werden es übermalen müssen.“

„Och, mit Farblöser bekommt man das weg“, sagte der andere Uniformierte und gesellte sich zu uns.

„Nicht, wenn es getrocknet ist.“

„Doch, wenn man es noch mit ein bisschen Armschmalz bearbeitet.“

„Nein. Aber vielleicht kann man es mit Betonfarbe übermalen.“

„Oder Sie könnten es mit dem ganz harten Zeug versuchen.“

Es war wie bei Hör mal wer da hämmert (mit Waffen). Nach ein oder zwei Minuten hatte Jake genug und ging in den Laden. Ich wartete noch, bis die beiden fertig waren. Schließlich einigten sie sich auf ein Unentschieden, wünschten mir noch einen schönen Tag, gingen zurück zu ihrem Wagen und fuhren davon.

Ich entdeckte Jake bei der Kaffeemaschine, in die Enge getrieben von Mrs. T.

Ganz sicher war ich mir nicht, warum oder wie Jake auf der Bildfläche erschienen war – schließlich war das hier nur eine Beschwerde wegen Vandalismus – aber ich war froh gewesen, ihn zu sehen. Auf Mrs. T dagegen schien sich diese beruhigende Wirkung nicht zu erstrecken. Ihre Puppenarme fuchtelten durch die Luft, als sei der Knopf ihrer Fernbedienung eingedrückt und festgestellt. Von durchschnittlich zehn Worten ihrer Maschinengewehrsalven konnte ich eins verstehen.

„Welche Sprache ist das?“, fragte Jake gedämpft, als ich mich zu ihnen stellte.

„Ich habe immer gedacht, dass es Spanisch ist, aber langsam fange ich an zu glauben, dass sie in Zungen spricht.“

„Das ist kein Spanisch.“

Ich nickte ernsthaft und lächelte Mrs. T dabei auf die gleiche Art und Weise an, wie ich es Lisa Legionen ausländischer Arbeiter gegenüber hatte tun sehen, wenn sie absolut keine Ahnung hatten, was sie von ihnen wollte.

Sie schüttelte den Kopf ob meiner offensichtlichen Dummheit und stakste davon. Jake nahm seine Sonnenbrille ab und griff nach meiner Kamera. Er sah sich die Fotos auf dem kleinen Display an.

„Was hast du damit vor?“

Mir war klar, dass ich ihm früher oder später alles erzählen musste, also sagte ich: „Ich bin nicht sicher. Ich dachte, ich könnte sie vielleicht Angus‘ Professor an der UCLA zeigen.“

Seine Augen verengten sich, als nähme er mich ins Fadenkreuz.

„Welcher Professor ist das?“

„Van Helsing“, sagte ich aufs Geratewohl, denn ich zögerte (aus welchen Gründen auch immer), Snowden dem Arm des Gesetzes auszuliefern. „Habe ich das nicht erwähnt?“

Er war nicht gerade erfreut. „Ich erinnere mich nicht daran, dass der Name des Professors erwähnt wurde. Mir war nicht klar, dass du den Namen von dem Typen kennst. Willst du mir etwa sagen, dass du schon mit ihm gesprochen hast?“

„Kurz.“

„Warum hast du das getan? Warum hast du mir nicht einfach seinen Namen genannt und mir das überlassen? Denn dafür werde ich schließlich bezahlt.“

Da hatte er Recht, also antwortete ich leicht gereizt: „Ich weiß nicht, Jake. Von meiner persönlichen Erfahrung ausgehend, würde ich sagen, dass es nicht unbedingt eine Spazierfahrt ist, wenn die Polizei an deinem Arbeitsplatz auftaucht und Fragen stellt. Ich wusste nicht, dass eine Belohnung darauf ausgesetzt ist.“

„Belohnung?“ Sein Gesicht verschloss sich. „Das hast du nicht zu entscheiden. Du bist kein Cop. Ich habe dir gesagt, dass ich mit Angus sprechen will, dass ich glaube, dass eine Chance besteht, dass er uns eine Spur zu diesen Morden zeigen kann. Du hast nicht daran gedacht, dass es mich interessieren würde, den Namen des Professors zu erfahren, der mit dieser ganzen Scheiße angefangen hat?“

„Mit der ganzen Scheiße? Du hast mir auch gesagt, dass es wahrscheinlich keine Verbindung zwischen deinem Fall und dem hier gibt.“

„Das Mädchen, dass sie in den Hollywood Hills ausgegraben haben? Ihr Name war Karen Holtzer. Sie war Studentin an der UCLA.“

„Ja? Und hatte sie vielleicht auch noch ein Leben oder andere Interessen außerhalb der UCLA?“

Es kam mir so vor, als würde es ihn wirklich kneifen, dass er nicht daran gedacht hatte, zurück bis zum ursprünglichen Kurs zu gehen, den Angus besucht hatte oder bis zu dem Professor, der ihn gegeben hatte – und dass ich das sehr wohl getan hatte.

Aber ich wollte nicht mit Jake streiten, ich sah ihn schon so selten genug. Ich sagte: „Hör zu“, und informierte ihn genau über alles, was gesagt worden war, und zu wem.

Als ich fertig war, starrte Jake mich an wie eine ihm unbekannte Spezies. „Warum zur Hölle mischst du dich da ein?“, fragte er. „Du bist nicht der Vater von diesem Freak. Oder läuft da auch was zwischen euch?“

Ich gebe zu, dass er mich mit dieser gehässigen Frage kalt erwischte. Mein Magen sackte in die Tiefe, mindestens ein oder auch zwei Stockwerke. Ich blinzelte ihn an und war um Worte verlegen. Ich hatte eine plötzliche Vision vor Augen, ich lag in seinen Armen, feucht und klebrig von seinem Sperma. Glaubte er etwa ernsthaft …?

Er starrte mich an, aber dann wandte er den Blick ab. Er verzog das Gesicht. „Vergiss es.“ Er seufzte. „Adrien, du versuchst, dem Burschen zu helfen, aber im Moment sieht es so aus, als machtest du es nur noch schlimmer, und jetzt hast du dich auch noch selbst zur Zielscheibe gemacht.“

„Das weißt du nicht. Snowden hat vielleicht noch mit niemandem geredet. Das könnte einfach eine Art natürlicher Weiterentwicklung sein.“

Er blieb still. Zu still. Als er sich schließlich anscheinend wieder soweit im Griff hatte, dass er sprechen konnte, sagte er knapp: „Ich sage es dir auf die nette Art. Halt dich da raus.“ Er setzte seine Sonnenbrille wieder auf. Ich sah mich und mein saures Gesicht doppelt gespiegelt. „Verstanden?“

„Kapiert“, stieß ich hervor.

Aber mein Ärger verflog schnell, als er eine Hand ausstreckte, mir schnell und beiläufig durch die Haare wuschelte, bevor er sich umdrehte und ging.

* * * * *

Der Laden hieß Dragonwyck. Wie der Zufall es wollte, war er im gleichen Gebäude, das einst das Café Noir beherbergt hatte. Die pinkfarbenen, mit Stuck versehenen Wände waren mit Efeu, Dornengewächsen und magischen Symbolen bemalt. In der Glasvitrine, in der früher die Speisekarte ausgestellt gewesen war, befand sich jetzt eine Liste mit den Kursen, die in diesem Winterhalbjahr angeboten wurden: Magische Hilfsmittel unter der Leitung von Rhiannon. Träumen und Hellsehen unter der Leitung von Cassandra. Erkennung und Kommunikation von Geistführern unter der Leitung von Ariel.

 

Ich trat ein und wurde von leiser Sitarmusik und dem Geruch von Räucherstäbchen begrüßt. Der Raum war hell ausgeleuchtet, sauber und gut organisiert, was ich nicht erwartet hatte. Wenn Claudes Geist immer noch hier war, dann zeigte er sich mir nicht. Ordentlich beschriftete Regale waren vollgepackt mit Büchern, Halbedelsteinen, Mineralien, Kristallen, Kerzen, Kerzen, noch mehr Kerzen, Pokalen, Kelchen, Räucherwerk, Ölen und Autoaufklebern:

GÖTTIN AUF DER FLUCHT

MEIN ZWEITWAGEN IST EIN BESEN

HEXEN PARKPLATZ (ALLE ANDEREN WERDEN IN KRÖTEN VERWANDELT)

Eine plump wirkende Frau in mittleren Jahren, ganz in lilafarbene Batikgewänder gehüllt, stand am Tresen. Sie hatte ein freundliches, wie sauber geschrubbt wirkendes Gesicht – gar nicht wie die Zuckerpuppen aus Charmed.

„Sei gesegnet“, begrüßte sie mich.

„Hi“, sagte ich.

„Kann ich dir helfen, etwas zu finden? Kräutertee? Ein Kostüm für ein Mittelalterfest?“ Sie zwinkerte mir zu. „Einen Liebeszauber?“

Der Kräutertee war eine Sache, aber sah ich so aus wie der Typ Mann, der ein mittelalterliches Kostüm kaufen würde?

„Informationen.“

Sie schob ihre Brille mit dem Goldrand die Nase hinab und sah mich prüfend an.

Ich zeigte ihr ein paar Fotos, die ich an meinem Computer vergrößert und ausgedruckt hatte.

Sie starrte lange darauf und runzelte die Stirn. Dann sagte sie: „Das ist ein umgedrehtes Pentagramm. Es symbolisiert den Morgenstern – Venus – und Satan. Darum geht es uns nicht. Wir sind Wiccan. Wir haben mit Satan nichts zu tun.“

Das kam mir bekannt vor. Ich hatte zu diesem Thema vor Jahren an Lesungen teilgenommen. Nichts zog Heranwachsende so sehr an wie das Versprechen von Superkräften. Wenn es jemals ein Kind gegeben hatte mit dem verzweifelten Drang, etwas zu überkompensieren, dann war ich das.

„Tatsächlich kennen wir keine oberste böse Gottheit wie Luzifer oder Satan – oder wie auch immer man ihn nennen will – an“, fügte sie hinzu. „Wir verehren den Gott und die Göttin, die Harmonie von männlich und weiblich. Wir ehren Mutter Erde und die Natur ist uns heilig. Dies …“ Sie sah das Foto an. „Dies hier ist etwas ganz anderes. Das ist … böse.“

„Auf jeden Fall ist es ärgerlich.“

Sie schüttelte den Kopf, beharrte: „Es ist böse.“

„Was bedeutet das Symbol in der Mitte des Pentagramms?“

Sie zögerte. „Ariel“, sagte sie leise und sah an mir vorbei.

Sekundenlang dachte ich, sie meinte damit das Symbol, das Ariel repräsentierte. Den einzigen Ariel, den ich kannte, war der Luftgeist, der Prospero in The Tempest diente, und ich glaube nicht einmal, dass das ein wirklich übernatürliches Wesen war. Hinter mir bewegte sich etwas. Eine andere Wicca erschien, diese war groß, knochig, sommersprossig und trug grün-fließende Batik. Anscheinend hatte sie sich zwischen dem getrockneten Zitronengras und Sassafras herumgedrückt.

Sie erinnerten mich an die Feen in Sleeping Beauty. Kurz war ich versucht zu fragen, wo Merryweather war.

Ariel wehte an mir vorbei und untersuchte die Fotografie, die ihre Schwester ihr hinhielt. Sie erbleichte.

„Die Ars Geotia?“, fragte die Erste nach.

Ariel nickte. Sie sah mich an. „Dieses Symbol ist ein Siegel. Eine persönliche Signatur, die einen Dämon repräsentiert. Einen hochrangigen Dämon.“

Gewisslich wollte ich nicht, dass irgendwelche niederen Dämonen bei mir herumlungerten. „So … was bedeutet das? Ich bin verflucht worden?“

Beide machten diese schnellen, kaum wahrnehmbaren Handbewegungen. Wollten sie den bösen Blick abwehren oder gaben sie mir ein hexenhaftes Highfive?

„Ist dies dein Heim?“, fragte Ariel mit Grabesstimme.

Was hatte ich zu verlieren, wenn ich die Wahrheit erzählte?

„Mir gehört das Grundstück“, gab ich zu.

„Nicht gut“, sagte Ariel zu der anderen. „Cassandra?“

Cassandra schüttelte den Kopf.

„Das ist außerhalb unserer Möglichkeiten“, sagte sie entschuldigend zu mir. „Diese Art der Beschwörung ist nicht unsere.“

„Dann sind wir ja schon zu dritt.“

Ariel sagte zögernd: „Wir könnten dich … an jemanden verweisen.“

„Okay.“ Ein Spezialist. Ich wusste, wie das lief.

Die beiden Wiccan sahen sich an und schienen über ein psychisches Netzwerk Informationen auszutauschen. Cassandra verschwand im Hinterzimmer, das im Café Noir als Küche gedient hatte.

Kurz darauf erschien sie wieder und gab mir eine Visitenkarte. Ich warf einen Blick darauf: eine Nummer in silberner Schrift, sonst nichts.

„Schade niemandem, und tue, was du willst“, sagte Ariel.

„Ein wahres Lebensmotto“, stimmte ich zu.

* * * * *

Ich hinterließ Professor Snowden eine Nachricht im Sekretariat der historischen Fakultät. Ich wollte keine voreiligen Schlüsse ziehen: vielleicht hatte er noch gar keine Gelegenheit dazu gehabt, mit dem wilden Haufen zu sprechen. Vielleicht hatte er gar nicht die Absicht, mit ihnen zu reden. Oder vielleicht hatte ich mich auch verkalkuliert, und sein Gespräch mit ihnen hatte sie nur noch aggressiver gemacht.

So oder so – weitere Detektivarbeit meinerseits musste warten, bis ich Ersatz für den Laden gefunden hatte.

Mrs. T schien über meine unzulänglichen Versuche, die Vordertreppe zu reinigen, ebenso unglücklich zu sein wie über das ursprüngliche Pentagramm. Sie starrte mich unablässig an und schüttelte traurig den Kopf, als ob sie schon jetzt mein unglückliches Ende vorhersehen könnte. Aber was die Angelegenheit endgültig entschied, war die Tatsache, dass sie – sobald sich ein Kunde der Kasse näherte – hinter mir her sauste und wie verzweifelt die winzigen Hände über dem Kopf zusammenschlug. Die universelle Geste für Der Himmel stürzt ein!

Am Ende des Tages winkten wir uns noch einmal zu. Ich rief die Agentur an und bat um Ersatz. Während ich mir mein Essen in der Mikrowelle auftaute, blätterte ich nachlässig durch die Los Angeles Times.

Vermisster Teenager wahrscheinlich Opfer eines Kults

Ermittler gruben am späten Samstagabend im Eaton Canyon Park eine Leiche aus, deren sterblichen Überreste wahrscheinlich zu einem Teenager gehören, der vor zwei Jahren spurlos verschwand.

Der stark verweste Körper eines jungen weißen Mannes wurde in einem flachen Grab unterhalb eines Baumes entdeckt, in dessen Rinde Symbole eingeritzt waren, denen man eine okkulte Bedeutung zuschreibt. Ähnliche Symbole wurden auf dem Körper des Opfers gefunden. Eine zuverlässige Quelle bestätigte uns, dass das Herz des Opfers entfernt worden war.

Detective James Riordan vom Pasadena Police Department weigerte sich uns gegenüber, über eine mögliche Verbindung zwischen diesem Toten und der Entdeckung einer ähnlich verstümmelten Frauenleiche in den Hollywood Hills im letzten Monat zu spekulieren.

Bis jetzt hat die Polizei in diesem brutalen Mordfall noch keinen Verdächtigen.

Plötzlich war ich gar nicht mehr so hungrig.