Requiem für ein Kind

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Denkmal für Kochanowski mit seiner Tochter Ursula in Radom

Tren XIX: Der Trost der Traumvision

In der letzten Tren, deren Volumen weit über jenes der übrigen hinausgeht und die daher ein besonderes Gewicht gewinnt, wird die natürliche Erlebnissphäre transzendiert. Es ist eine Vorwegnahme der »Apokatastasis« des Kirchenvaters Origines, des Wiederfindens aller Menschen in der Ewigkeit, wie sie später so deutlich von Stefan Andres verkündet wird. In einer Traumvision sieht der Dichter seine verstorbene Mutter, welche die verstorbene Tochter auf dem Arme trägt. Sie verkündet ihm (in sehr geraffter Fassung) folgendes: »Hier ist deine Tochter, sieh ihr lächelndes Gesicht und sei getröstet. Deine allerliebste Ursula ist am Leben. Sie schwebt unter Engeln und betet täglich für ihre Eltern. Gräme dich nicht länger über ihren frühen Tod. Was ist ihr denn entgangen? Kummer, Sorgen, die Qualen der Geburtswehen, das Weinen über Kindersterben, Einsamkeit, harte Arbeit, Sklaverei, Todesangst, die ›Leckerbissen‹ des Lebens. Hier im Himmel aber gibt es nur edle und ewige Freuden, keine Krankheit, kein Alter, keinen Tod, ewigen Sonnenschein. Ursula lebt jetzt im majestätischen Anblick des Schöpfers aller Dinge. Sie hat das bessere Los gewählt. Sie gelangte früh ins Paradies, da ihre Seele im Leben nicht zu Schaden kam. Im Übrigen hat es keinen Sinn, über die kurze Lebenszeit nachzugrübeln. Dunkel und unergründlich sind die Ratschlüsse des Herrn, was ihm zweckvoll scheint, soll auch uns gefallen. Du musst das universale Gesetz annehmen. Wozu hast du soviel Bücher studiert, wenn deine Bildung und Weisheit dir jetzt nicht hilft. Sei dein eigner Arzt. Die Zeit heilet alle Wunden.« Zum Schlusse verweist sie ihn noch einmal auf die »conditio humana« und fordert ihn auf, sein Los zu akzeptieren:

Das, Sohn beherzige; Des Menschen Missgeschicke

Trag menschlich. Einer befiehlt der Trauer und dem Glücke

Dank dieser Gegendarstellung »sub specie aeternitatis« erscheint der frühe Tod in einem andern Licht. Viele Argumente erinnern überraschend an jene des Trostbriefs Plutarchs, aber sie werden verstärkt durch die christliche Heilsbotschaft.

Epitaph für Hanna Kochanowska

Welch’ starken Trost der Dichter tatsächlich in seiner 19. Tren fand, ist durch kein Dokument oder Zeugnis belegt. Dass er noch nicht am Ende seines Leides war, geht aber daraus hervor, dass er der zweiten Auflage der Treny einen Vierzeiler hinzufügte über den Verlust seiner ältesten Tochter.

Du auch, o Hanna, bist der Schwester nachgegangen,

Siehst vor der Zeit dich schon in unterirdischen Landen,

Auf dass der Vater neuerlich in Schmerz versinke

Und endlich an die Freude, die immer währt, gedenke.

Im Jahr 1584 wurde Kochanowski von König Bathory in sein Hoflager nach Lublin eingeladen. Dort erlag er am 22. August einem Herzschlag. Der Chronist Joachim Bielski vermerkt in seiner »Polnischen Chronik«: »Auf eben dieser Konvokation in Lublin starb Jan Kochanowski aus dem Geschlecht Korwin, ein polnischer Poet, wie es ihn in Polen noch nicht gegeben hatte und wie wir einen anderen seinesgleichen nicht erwarten können.«

Er wurde in der Familiengruft in Zwolen beigesetzt. Seine Frau starb entweder 1599 oder 1600.

Nachwirken

Die Äußerungen des Nationaldichters Mickiewics haben bereits gezeigt, dass die polnische Literatur für sich in Anspruch nahm, mit dem Zyklus der »Treny« etwas Einmaliges zur Weltliteratur beigesteuert zu haben.

Kochanowskis Biograph Jastrun beschreibt folgenderweise die emotionale Wirkung der Treny: »Der Dichter … hat den Verlust seiner Orszula mit soviel Wahrheit und Kraft des Wortes beweint, dass von Stund an alle Eltern in Polen ihre eigene Kinderliebe in diesen wunderbaren Versen wiederfinden konnten, in Versen, die über Jahrhunderte hinweg echte Trauer vergießen und vom Glück der ersten Kinderspiele und des ersten Lächelns eines Kindes beseelt sind … Der ganze Zyklus ist von einer sehr leisen, den Text nicht nur umwebenden, sondern ihm auch entströmenden Musik durchdrungen.«

Jan Kochanowski: Thren Nr. 5

So darf es nicht verwundern, dass die Wortmusik auch eine entsprechende Vertonung hervorrief. Stanislaw Moniuszko (1819–1872), der Schöpfer der polnischen National-Oper »Halka«, vertonte die »Treny«, da er selbst einen ähnlichen Trauerfall zu beweinen hatte, den Tod seines ältesten Sohnes Casimir (1841–1842), Opfer der Ruhr-Seuche, die um 1840 in Vilnius wütete. Moniuszkos hochdramatische Vertonungen der klassischen Verse Kochanowskis nehmen im Liedschaffen Polens einen Ehrenplatz ein. Die vier Lieder für Bass und Klavier zum Tode der Tochter Orszola werden gerne mit dem Schwanengesang von Johannes Brahms »Vier ernste Lieder« verglichen, seiner ergreifenden biblischen Meditation über den Tod.

Das große Denkmal, das die Stadt Radom zu Ehren des Dichters errichtet hat, zeigt Kochanowski zusammen mit seiner Tochter Orszola.

Die 1969 gegründete Universität der Stadt Kielce trägt den Namen »Kochanowski«.

Jan Kochanowski: Ausgewählte Dichtungen. Übersetzung der Treny von Roland Erb. Reclam. Leipzig 1980.

Jan Kochanowski: Laments. Übersetzt von Seamus Heaney and Stanislaw Baranczak. Faber. London 1995. Janusz Pele: Jan Kochanowski. UNESCO. Paris 1986.

RENÉ DESCARTES UND HIJLENA JANS

Ich zähle nicht zu jenen, die der Meinung sind, dass Tränen und Trauer nur zu den Frauen gehören. Descartes, 1640

Als Philosoph und Mathematiker ist Descartes einer der genialsten Denker der Menschheitsgeschichte. Sein Werk stellt den Übergang von der mittelalterlichen Scholastik zur modernen Philosophie dar. Als Mathematiker begründete er die analytische Geometrie.

René Descartes wurde am 31. März 1596 in der Touraine, in La Haye – heute La Haye Descartes – als jüngster Sohn eines Juristen geboren. Der Vater nannte seinen geistig sehr frühreifen Sohn »mon philosophe« und schickte ihn bereits mit zehn Jahren an das Jesuitenkolleg von La Flèche, wo er acht Jahre lang studierte. 1618 reiste Descartes nach Holland, um eine militärische Ausbildung zu erhalten. Zu Beginn des 30-jährigen Krieges nahm er vorübergehend Kriegsdienste in der Armee des Herzogs von Bayern. Im November 1619 träumte er von einer »wunderbaren Wissenschaft« (»science admirable«) und erblickte darin ein Zeichen des Himmels, dass er den Rest seines Daseins der Wahrheitssuche widmen solle. Von 1628 bis 1649 lebte er in verschiedenen Städten in Holland, wo er, ungestört von allen Verwandten und Bekannten, die vollkommene Muße zum Forschen wie auch Sicherheit und Forschungsfreiheit fand. Als Galilei 1633 von der Inquisition verurteilt wurde, verzichtete Descartes aus Vorsicht auf die Veröffentlichung seines »Traité du Monde«.

Seine Devise lautete: »Hoc theatrum mundi conscensurus, larvatus prodeo.« (»Wenn ich diesen Schauplatz der Welt betrete, trage ich eine Maske.«) Gemäß diesem Wahlspruch versuchte Descartes, ein eher zurückgezogenes Leben zu führen und wenig Einblick in sein Privatleben zu gewähren. In einem Brief des Jahres 1647 befindet sich ein kurzer Satz über seine Kindheit: »Als ich noch ein Kind war, liebte ich ein Mädchen meines Alters, das ein wenig schielte …« (»Lorsque j’étais enfant, j’aimais une fille de mon âge qui était un peu louche …«). In den Taufregistern von La Haye des Jahres 1596 befinden sich zwei Mädchen, die beide Françoise hießen. Man vermutet, dass eine davon seine Kindheitsfreundin war, denn als ihm später eine Tochter geboren wurde, ließ er sie auf den Vornamen Francine taufen.

Helene und Francine

Nach einem Aufenthalt in Deventer wohnte Descartes in den Jahren 1633 bis 1635 am Westermarkt in Amsterdam, zwischen der Prinsengracht und der Kaisergracht. Den Haushalt führte eine holländische Dienstmagd aus Deventer, Helene, die der Gelehrte seit einigen Jahren kannte und mit der er ein Verhältnis hatte. Sein Biograph, der Geistliche Baillet, schrieb 1691, dass es eine »so geheime Eheverbindung« gewesen sei, dass auch die subtilsten Kanoniker sie beim besten Willen nicht vom Konkubinat unterscheiden könnten. Entschuldigend fügte er hinzu, dass es »für einen Mann, der sein ganzes Leben die seltsamsten Operationen der Anatomie durchführen musste, schwierig war, die Tugend des Zölibats streng zu praktizieren.«

Als »cartesianischer« Mensch notierte Descartes gewissenhaft die wichtigen Ereignisse seiner Existenz. So hielt er auf der ersten Seite eines Buches fest, dass er am Sonntag, dem 15. Oktober 1634, mit seiner Magd Helene ein Kind gezeugt hatte.

Das Kind kam am 19. Juli 1635 in Deventer zur Welt und wurde am 7. August in der dortigen reformierten Kirche auf den Namen »Fransintge« getauft. Im Taufregister finden sich folgende Eintragungen: »Vader: Reyner Jochems (René, Sohn des Joachim). – Moeder: Hijlena Jans (Helene, Tochter des Johannes). – Kint: Fransintge«. Es wird allgemein angenommen, dass die Jahre, die Descartes als Vater einer kleinen Tochter verbrachte, zu den glücklichsten seines Daseins zählten. Seine Korrespondenz in diesen Jahren ist von einer seltenen Heiterkeit geprägt. Auffallend ist ebenfalls, dass er in diesem kurzen Zeitraum von 5 Jahren seine bedeutendsten Werke schrieb: »Discours de la Methode«, die drei »Essais«: »La Dioptrique«, »Les Météores«, »La Géométrie« und »Les Méditations métaphysiques«. Als französischer Edelmann hatte er allerdings Bedenken, sich öffentlich zu dieser »unebenbürtigen« Beziehung zu bekennen und das uneheliche Kind zu legitimieren. Immerhin hatte er die Absicht, Francine später nach Paris zu schicken und einer Verwandten anzuvertrauen. Da Madame du Tronchet die Mutter eines Kanonikus der Sainte-Chapelle war, nimmt man an, dass Descartes seiner Tochter eine katholische Erziehung geben wollte, oder, wie der Biograph de Sacy schreibt, sie der »Religion seiner Amme und seines Königs« zurückzugeben. (»La rendre à la religion de sa nourrice et de son roi.«)

 

Nach der Veröffentlichung des »Discours« im Sommer 1637 ließ Descartes sich in Sandport am Meer nieder und gab Francine als eine Nichte aus, die er um sich haben wollte. Der Vermieterin stellte er Helene als die Erzieherin des Kindes vor. So hatte diese nichts gegen die Anwesenheit der beiden einzuwenden. Ähnliche Verhältnisse waren im toleranten Holland damals keine Seltenheit. Auch Rembrandt lebte in Amsterdam mit seiner Dienstmagd Hendrikje Stoffels zusammen, die ihm die Tochter Cornelia gebar.

Dennoch gab es Menschen, die Anstoß an der freien Beziehung des Philosophen nahmen, die hässliche Verleumdungen und Gerüchte darüber ausstreuten. So unterstellten sie ihm z.B., er habe mehrere uneheliche Kinder. Darauf erwiderte Descartes mit entwaffnender Offenheit in einem Brief an Voetius: »Und wirklich, wenn ich solche hätte, würde ich sie nicht verleugnen: vor kurzem noch war ich ein junger Mann und auch jetzt noch bin ich ein Mensch und ich habe nie ein Keuschheitsgelübde abgelegt (›neque umquam castitatis votum feci‹).«

Die Trauer eines Philosophen

In einem 1996 erschienenen pseudo-autobiographischen Werk von Brigitte Hermann »Histoire de mon esprit« schildert Descartes seine Vaterfreuden mit Francine, seine Spiele, seine Spaziergänge mit dem Kind am Meeresstrand … Das Familienidyll dauerte jedenfalls nicht sehr lange. Als er 1640 in Leiden weilte, um einen Verleger für seine »Méditations« zu finden, erreichte ihn am 30. August ein ängstliches Schreiben von Helene, der Körper Francines sei ganz von Röte bedeckt. Descartes eilte nach Hause, aber er musste ohnmächtig zusehen, wie das Scharlachfieber sich verschlimmerte und das Kind dahinraffte. Francine starb in Amersfoort am 7. September 1640.

Der schon erwähnte Roman widmet dieser Agonie mehrere ergreifende Seiten, die sicher nicht weit an der Wirklichkeit vorbeitreffen. »Es war ein leises Absteigen in den Tod, und diese beiden Wesen, die ich liebte, Helene und Francine, die ich nur gewagt hatte, Dienstmagd und Nichte zu nennen, teilten meinen Schmerz und meine Verzweiflung. Sie lag im Sterben! Ich hoffte noch auf das Unmögliche, und dennoch sah ich sie vor meinen Augen ersticken, ohne dass ihre Lungen sich noch entfalten konnten. Mein Herz zersprang beim Gedanken, dass ich auf immer von diesem kindlichen und liebenden Geschöpf getrennt würde, dass ihm die Zukunft und das Leben verweigert würden … Ich empfahl meine geliebte Kleine der Muttergottes, ich rief Christus und alle Heiligen an, über sie zu wachen und sie zu retten … Ich warf mir heftig vor, meine Tochter vernachlässigt zu haben …«

Der erste Biograph, der Geistliche Baillet, erwähnt diese Vaterschaft des Philosophen nur sehr kurz, man spürt seine Verlegenheit bei dieser »fleischlich-sündigen Verirrung« des großen Gelehrten. Dennoch muss er bekennen: »Er beweinte sie mit einer Zärtlichkeit, die ihm zu fühlen gab, dass die Philosophie die natürlichen Gefühle nicht erstickt.« (»II la pleura avec une tendresse qui lui fit éprouver que la philosophic n’étouffe point le naturel.«) Dann folgt eine Aussage, die eindeutig belegt, dass hier der Philosoph des »Cogito ergo sum«, des gefühlsscheuen Rationalismus, zutiefst getroffen war, wie nie mehr sonst in seinem Leben: »Er beteuerte, dass sie ihm durch ihren Tod den größten Schmerz gegeben, den er je in seinem Leben empfunden habe.« (»Le plus grand regret qu’il eût jamais senti de sa vie.«) In einem vier Monate später geschriebenen Brief machte er auch das bezeichnende Eingeständnis, dass »er nicht zu jenen zähle, die der Meinung seien, dass Tränen und Trauer nur zu den Frauen gehören.«

Mitte Januar 1641 schrieb Descartes über seine Trauer: »Ich habe seit kurzem den Verlust von zwei Personen erfahren, die mir sehr nahe standen (der Vater Joachim war am 27. Oktober im 78. Jahr verstorben). Ich habe die Erfahrung gemacht, dass diejenigen, die mir die Trauer verbieten wollten, diese hervorriefen, wohingegen ich getröstet wurde durch das Mitgefühl jener, die ich von meinem Unglück betroffen sah.« (»J’ai senti depuis peu la perte de deux personnes qui m’étaient très proches et j’ai éprouvé que ceux qui me voulaient défendre la tristesse, l’irritaient, au lieu que j’étais soulagé par la complaisance de ceux que je voyais touchés par mon déplaisir.«)

Descartes am Sterbebett seiner Tochter

In seinem Briefwechsel mit der Prinzessin Elisabeth, der Tochter des abgesetzten Königs von Böhmen, vertiefte Descartes gewisse Punkte seiner Philosophie. Vor allem legte er dar, fast wie ein Beichtvater, wie die Seele aus eigener Kraft alle Widrigkeiten des Schicksals überwinden könne. Er bemühte sich, die souveräne Überlegenheit der Tugendübung über alle irdischen Güter, wie Ehre, Reichtum und Macht, zu beweisen. Als unmittelbare Folge dieser fast stoischen Tugendlehre trennte er sich von Helene. Baillet stellte erleichtert fest, dass sein Geistes- und Tugendheld sich schnell von seinem Fall erhoben habe (»relevé promptement de sa chute«) und dass er »sein Zölibat in seiner ersten Vollkommenheit wiederhergestellt habe.«

In seinem letzten Werk, dem Traktat der Leidenschaften (»Les Passions de l’âme«, 1649) kam er zwar zur Schlussfolgerung, dass alle Leidenschaften gut seien (»elles sont toutes bonnes«), d.h., dass sie eine nützliche Rolle bei der Erhaltung des Lebens spielten, aber man müsse auch die Mittel kennen, um sie geschickt zu beherrschen. So könnten sie den Menschen berühren, ohne ihn zu versklaven. Dann gesteht er den Leidenschaften zu, dass sie dem Menschen erlauben, »die größte Süßigkeit in diesem Leben zu kosten« (»de goûter le plus de douceur en cette vie«).

Descartes starb in Stockholm, wohin ihn die schwedische Königin Christine eingeladen hatte. Jeden Morgen früh um 5 Uhr ließ sie ihn zu sich kommen, um mit ihm zu philosophieren und die Pläne einer Akademie zu besprechen. Der Philosoph erkältete sich im »Lande der Bären«. Am 2. Februar verrichtete er noch alle Frömmigkeitsübungen, nahm das Abendmahl und wurde bettlägerig. Er starb an einer Lungenentzündung am 11. Februar 1650, im Alter von 53 Jahren. Ironie des Schicksals: Der Hauptbegründer der modernen Verstandesphilosophie wurde als Katholik auf dem »Friedhof für ungetaufte und verstandesunreife Kinder« beigesetzt. Seine sterblichen Überreste wurden später getrennt – der Körper 1667, der Schädel 1821 – nach Frankreich übergeführt.

Descartes unterrichtet die Königin von Schweden

Im Jahr 1798 (An VII) gab Nicolas Ponce (1746–1831) sein Werk »Les Illustres Français« heraus. Das Portrait des Philosophen ist von einigen Szenen umgeben. Die ergreifendste davon zeigt Descartes, wie er seine Arme nach seiner Tochter ausstreckt, die sich auf ihrem Sterbebett ihm entgegenhebt. Der Bildtext lautet: »Seine fünfjährige Tochter stirbt in seinen Armen. Er ist untröstlich darüber.« (»Sa fille âgée de cinq ans meurt dans ses bras. II en est inconsolable.«) Ein anderes Bild illustriert die Ursache seiner tödlichen Erkältung: »Er erteilt der Königin Christine von Schweden Unterricht um 5 Uhr morgens im Winter.«

Adrien Baillet: La vie de Monsieur DesCartes. Paris 1691.

Brigitte Hermann: Histoire de mon esprit ou le roman de la vie de René Descartes. Bartillat 1996.

Andre Glucksmann: Descartes, c’est la France. Flammarion. Paris 1987.

Germaine Lot: René Descartes. Esprit-Soleil. Seghers. Paris 1966.

Geneviève Rodis-Lewis: Descartes. Calmann-Lévy. Paris 1995.

Samuel de Sacy: Descartes. Seuil. Paris 1996.

LUDWIG XIV.

In den letzten Jahren seiner Regierungszeit war Ludwig XIV. nicht mehr der europaweit bewunderte und nachgeahmte Sonnenkönig. Das Kriegsglück war nicht mehr auf seiner Seite, die meisten seiner Eroberungen hatte er zurückgeben müssen und seinen Traum vom Rhein, als der natürlichen Grenze Frankreichs, endgültig begraben. Er musste sogar befürchten, dass die feindliche Armee des Prinzen Eugen nach Paris vorstoßen würde. Mit dem Marschall Villars erwog er die Möglichkeit, sich selbst an die Spitze seines letzten Heeres zu stellen, um den Feind an der Somme aufzuhalten: »Ich rechne damit … einen letzten Versuch mit Ihnen zusammen zu machen und mit Ihnen unterzugehen oder den Staat zu retten.«

Nach mehr als 50 Jahren Krieg war das Königreich ausgeblutet, die großen Feldherren der ersten ruhmreichen Jahrzehnte waren tot oder im Ruhestand. Die große Hungersnot, die nach dem schrecklichen Winter 1709 ausbrach, erzeugte eine gefährliche Aufruhrstimmung im Volk. Eine auf die Mauern der Hauptstadt geschriebene Parodie des »Vaterunser« zeugt von der angestauten Unzufriedenheit mit dem Herrscher von Gottes Gnaden: »Vater unser, der du bist in Marly, dein Name ist nicht mehr glorreich, dein Wille geschieht weder auf Erden noch auf dem Meere; unser Brot gib uns heute zurück, denn wir sterben vor Hunger; vergib deinen Feinden, die dich geschlagen haben, aber vergib deinen Generälen nicht und führe uns nicht in Versuchung, unsern Herrn zu ändern, sondern erlöse uns von der Maintenon. Amen.«

Die Dämmerung einer Glanzherrschaft

Längst waren die glänzenden Versailler Feste verrauscht, der Monarch hielt sich jetzt meist in der kleinen Residenz von Marly auf und hatte seinen Hofstaat stark reduziert. Seine letzte Maitresse, Madame de Maintenon, jetzt seine Gattin in morganatischer Ehe, war der Bigotterie verfallen, sie hatte allen Froh- und Leichtsinn vom Hof verbannt.

Die berühmten Bühnenklassiker Corneille, Molière und Racine waren längst gestorben. An die Stelle der prunkvollen Opernaufführungen Lullys mit ihren schmetternden Fanfaren waren die wehmütigen Violenklänge des François Couperin getreten, der dem alternden König in kleinem Kreis an den Sonntagnachmittagen seine »Concerts royaux« vorspielte.

Wenn Frankreich in diesen Jahren auch militärisch, politisch und kulturell viel an Glanz eingebüßt hatte, so war die königliche Familie als solche fast vollkommen intakt. Zwar waren von seinen sechs ehelichen Kindern nur ein Sohn am Leben geblieben und von den zehn unehelichen nur fünf, aber als wahrer Patriarch durfte Ludwig XIV. auf eine zahlreiche Nachkommenschaft herabblicken. Er war Urgroßvater und wusste, dass seine Thronfolge mehrfach, durch drei Generationen von männlichen Nachkommen, gesichert war. Da wurde auch dieses Vertrauen durch eine unerhört grausame Reihe von Schicksalsschlägen erschüttert, welche die uralte Dynastie der Capetinger, deren Herrschaft bis ins 10. Jahrhundert zurückreichte, auszulöschen drohten. In weniger als einem Jahr starben drei Thronfolger, in der natürlichen Reihenfolge ihres Anspruchs auf den Thron. Sie waren normalerweise dazu berufen, Ludwig XV., Ludwig XVI. und Ludwig XVII. zu werden. Das Schicksal entschied anders und übertrug anderen Personen diese Rollen. Gerade eine solch unheilvolle Zukunftsentwicklung war dem Sonnenkönig in seinen glücklichen Tagen als ein Gespenst erschienen, »eine Möglichkeit, die Gott immerdar abwenden möge.«