Achtsamkeit Bd. 1

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ERZEUGTE UND NICHT ERZEUGTE ACHTSAMKEIT

Diese geschickten Mittel können uns helfen, die verschiedenen Weisen zu verstehen, wie buddhistische Traditionen von Achtsamkeit sprechen und damit auf weitere Nuancen unserer eigenen Praxis hinweisen. Jede Tradition verwendet ihre eigene Sprache und Gleichnisse, aber sie verweisen alle auf Aspekte unserer Erfahrung.

Ein Aspekt der Achtsamkeit ist der kultivierte achtsame Zustand, in dem wir uns bemühen, aufmerksam zu bleiben. Wir brauchen diese Art der Achtsamkeit, um uns zurück in den Augenblick zu bringen. Tulku Urgyen Rinpoche, einer der großen Dzogchen-Meister des vergangenen Jahrhunderts, sagte: »Es gibt nur eines, was wir immer brauchen, das ist der Wächter namens Achtsamkeit, der aufpasst, wenn wir in die Achtlosigkeit abdriften.«

In der Dzogchen-Tradition wird dies erzeugte Achtsamkeit genannt, was vielleicht dem ähnelt, was im Theravāda Abhidhamma veranlasste Bewusstheit heißt: die absichtliche, durch Reflexion oder Willensentscheidung herbeigeführte Bemühung, einen bestimmten Zustand zu erzeugen. Es gibt noch eine andere Art von Achtsamkeit, die nicht willentlich herbeigeführt wird. Wurde Achtsamkeit gut kultiviert, entsteht sie spontan aus eigener Kraft, ohne zusätzliches Bemühen. In diesem Zustand mühelosen Gewahrseins können wir weiterhin unterscheiden, ob ein Bezugspunkt der Beobachtung anwesend oder abwesend ist, ob es das Empfinden von jemandem ist, der beobachtet oder achtsam ist.

Dzogchen-Lehren sprechen in diesem Zusammenhang auch von nicht erzeugter Achtsamkeit, womit in dieser Tradition die dem Geist natürlicherweise innewohnende Wachsamkeit gemeint ist. Sie ist »nicht erzeugt«, weil sie, diesen Lehren zufolge, nicht von uns erschaffen wird. Es ist vergleichbar mit der Fähigkeit eines Spiegels, jenes abzubilden, was vor ihn tritt. Diese Fähigkeit wohnt dem Spiegel naturgemäß inne. Aus dieser Perspektive ist dies nichts, was wir erwerben oder entwickeln müssten, sondern etwas, das wir erkennen und zu dem wir zurückkehren können.

Die Lehren der verschiedenen Traditionen mögen unterschiedliche metaphysische Hintergründe haben, doch statt uns in philosophischen Debatten zu verstricken, können wir sie alle einfach als geschickte Mittel betrachten, um den Geist zu befreien. All diese verschiedenen Aspekte der Achtsamkeit wirken harmonisch zusammen. Nur wenige Menschen können einfach ununterbrochen in nicht erzeugter Achtsamkeit verweilen, ohne sich darum bemühen zu müssen. Doch wenn unser Einsatz Früchte trägt, erleben wir Phasen großer Leichtigkeit, in denen unsere Praxis einfach darin besteht, loszulassen, uns zu entspannen und die Dinge sich entfalten zu lassen.

»Tatsächlich ist an diesem Geist nicht viel dran. Er ist nur ein Phänomen. Der Geist ist von sich aus bereits in Frieden. Wenn er jedoch nicht in Frieden ist, kommt das daher, dass er Stimmungen und Launen folgt. Er wird unruhig, wenn Stimmungen ihn trügen. Der ungeschulte Geist ist dumm; Sinneseindrücke verleiten ihn, und er verliert sich in Freude und Traurigkeit. Doch der Geist ist mit diesen Dingen nicht identisch. Freude oder Traurigkeit sind nicht der Geist selbst, sondern nur Stimmungen, die erscheinen und uns täuschen. Der ungeschulte Geist folgt diesen Dingen, und wir identifizieren uns dann jeweils mit dem Wohlsein oder Unwohlsein. Tatsächlich ist unser Geist von Natur aus bereits unbewegt und in Frieden, wirklich in Frieden. … Also müssen wir den Geist schulen, die Sinneseindrücke zu verstehen und sich nicht in ihnen zu verlieren. Dies ist das Ziel all der komplizierten Übungen, die wir uns auferlegen.«4

Am Anfang des zweiten Bands werden wir die Achtsamkeit noch weiter untersuchen und betrachten, wie sie als einer der sieben Faktoren der Erleuchtung wirkt.

1. Stephen Carter, Civility (New York: Harper Perennial, 1999).

2. Bhikkhu Ñāṇamoli und Bhikkhu Bodhi, Übers., The Middle Length Discourses of the Buddha (Somerville, MA: Wisdom Publications, 1995), 207. Dt.: Die Lehrreden des Buddha aus der Mittleren Sammlung, übers. von Mettiko Bhikkhu (Kay Zumwinkel), Jhana Verlag, Uttenbühl, 2. Auflage 2012, Nr. 19. http://www.palikanon.com/majjhima/zumwinkel/m019z.html.

3. Ebenda

4. Ajahn Chaa, Der Weg in die Freiheit, Dhammapala Verlag, Kandersteg/CH 1996.

4. Konzentration

Die gesammelte Natur des Geistes

In seiner Definition des Satipaṭṭhāna empfiehlt uns der Buddha die Betrachtung der vier Grundlagen der Achtsamkeit – Körper, Gefühle, Geist und Dhammas –, »frei von Verlangen und Unzufriedenheit in Bezug auf die Welt«. »Frei von Verlangen und Unzufriedenheit« bezieht sich auf Samādhi, die Qualitäten der Konzentration, der Haltung und der Sammlung des Geistes, die entstehen, wenn der Geist frei von dem so oft auftauchenden Verlangen und der Unzufriedenheit ist.

Es gibt verschiedene Wege, Konzentration zu entwickeln. Ajahn Sucitto, ein englischer Mönch der thailändischen Waldtradition, spricht davon, dass sich Samādhi auf natürliche Weise entwickelt, wenn wir uns unserer verkörperten Präsenz erfreuen, uns im Körper niederlassen und dem Stress und der Anspannung erlauben, sich aufzulösen, indem wir einfach uns dessen bewusst sind, was sich zeigt. Er sagt:

»Freude empfangen ist ein anderer Ausdruck für Sich-Freuen, und Samādhi ist der Akt des verfeinerten Sich-Freuens. Es beruht auf Geschicklichkeit. Es bedarf eines sorgfältigen Sich-Sammelns in der Freude des gegenwärtigen Augenblicks. In Freude sein bedeutet, es gibt keine Angst, keine Anspannung, kein Sollen. Es gibt nichts, was wir damit anfangen müssten. Es ist einfach.«1

Samādhi beruht auf geschicktem Verhalten, denn ohne diese Grundlage des Nicht-Schadens ist der Geist voller Sorge, Bedauern und Unruhe. Als mein erster Dharma-Lehrer Munindra-ji zum ersten Mal die Vereinigten Staaten besuchte, war er verblüfft, wie die Leute meditieren und Erleuchtung erlangen wollten, ohne sich viel um diese moralischen Grundlagen zu kümmern. Er meinte, das sei, als versuche man, mit großer Anstrengung ein Boot über einen Fluss zu rudern, ohne es vorher loszubinden. Es bringt einfach nichts.

Jene von uns, die in der Welt leben, können diese ethische Grundlage entfalten, indem sie sich in den fünf Tugendregeln üben: nicht töten, nicht stehlen, kein sexuelles Fehlverhalten, nicht lügen und keine den Geist verwirrenden Drogen verwenden. Während eines Retreats wird unsere Praxis des Nicht-Verletzens – weder uns selbst noch andere – zunehmend verfeinert, denn in der Stille und Konzentration des Retreats treten Handlungen und ihre Konsequenzen mit größerer Prägnanz hervor und selbst gewöhnliche Dinge können zur Entwicklung von Sīla dienen.

In den vergangenen Jahren erlebten wir während der Retreats in der Insight Meditation Society manchmal etwas, das wir »Fenster-Kriege« nannten. Vor allem im Winter gab es unterschiedliche Meinungen darüber, wie sehr die Fenster geöffnet werden sollten, um frische Luft hereinzulassen. Eine Person betrat die Halle und schloss alle Fenster, weil ihr zu kalt war. Dann kam jemand anderes und öffnete einige wieder, weil er frische Luft brauchte. In Burma gab es mit den Ventilatoren ein ähnliches Phänomen: Manche wollten sie eingeschaltet, andere ausgeschaltet haben. In beiden Fällen können wir die verschiedenen Wünsche und Bedürfnisse verstehen. Können wir die Idee loslassen, dass unsere eigenen Vorlieben automatisch Vorrang haben sollten?

Auf der Grundlage von Sīla und einem ruhigen Geist können wir leichter in einem glücklichen, entspannten Zustand verweilen, welcher der Konzentration zuträglich ist. Obwohl wir häufig über die Schwierigkeiten der Praxis sprechen, ist sie letztlich ein Weg, um zunehmend glücklich zu sein.

DIE KONTINUITÄT DER ACHTSAMKEIT

Die Kontinuität der Achtsamkeit stärkt die Konzentration. Wir können diese Kontinuität in zweierlei Weise üben: Zum einen können wir das direkte Gewahrsein eines einzelnen Objekts kultivieren. Wir üben, mit dem Geist zuverlässig beim Atem zu verweilen oder bei den Bewegungen eines Schritts oder bei einem Klang. Zum anderen können wir ein wahlloses Gewahrsein entwickeln. Dabei stärken wir die Einspitzigkeit des Geistes in Bezug auf wechselnde Objekte. Das ist das sogenannte »momentane Samādhi«. Bei unserer Praxis verknüpfen wir beide Ansätze geschickt miteinander. Wenn der Geist träge oder abgelenkt ist, können wir uns auf ein einzelnes Objekt konzentrieren, um innere Freude und Gelassenheit zu kultivieren, um uns, wenn der Geist dann wieder gesammelt ist, für ein ungerichtetes Gewahrsein zu öffnen. Nach einer Weile bekommen wir ein intuitives Gespür dafür, was jeweils gerade angemessen ist.

Als ich mit der Meditationspraxis begann, verfügte ich über sehr wenig Konzentration. Ich genoss das Denken und verbrachte viel Zeit mit Träumereien. Im Laufe der Jahre fand ich eine Praxis, die mir besonders half, diesen Samādhi-Faktor zu stärken: Sowohl bei der Gehmeditation als auch beim freien Gehen lenkte ich meine Aufmerksamkeit von dem einfachen Wissen, dass ich gehe, auf das genaue Erspüren der Empfindungen jedes einzelnen Schrittes – die Leichtigkeit, die Schwere, den Druck, die Steifheit und so weiter. Dies ist eine Möglichkeit, die verkörperte Präsenz zu üben, die Ajahn Sucitto erwähnte.

KONZENTRATION ZU ENTWICKELN BRAUCHT ZEIT

Zu den großen Geschenken der vertieften Konzentration gehört es, dass sie die verschiedenen mentalen Hindernisse in Schach zu halten hilft, ähnlich wie ein Zaun unerwünschte Eindringlinge fernhält. Indem wir vorübergehend die Kräfte der Sinnesbegierde und des Verlangens, der Abneigung und der Rastlosigkeit dämpfen, eröffnen sich uns verfeinerte Annehmlichkeiten des Geistes. Dies wiederum motiviert uns, unsere Konzentrationsfähigkeit noch weiter zu entwickeln. Im Laufe der Zeit erkennen wir, wie das Ausgangsniveau unserer geistigen Konzentrationsfähigkeit steigt. Dadurch verändert sich unser Befinden und die Art, wie wir in der Welt sind. Wir erschaffen ein inneres friedliches Umfeld.

 

Konzentration ist zwar nicht das letztliche Ziel der Praxis, aber auf dem Weg des Erwachens spielt sie eine wesentliche Rolle. Der Buddha betont dies, wenn er sagt, die Würdigung der Konzentration gehöre zu den Dingen, die zur Langlebigkeit des Dharma, seinem Nicht-Verfall und seinem Nicht-Verschwinden beitragen.

Für die Dharma-Übertragungen an den Westen ist das ein wichtiger Punkt. Wir wollen alles sofort – selbst die Erleuchtung – und sind häufig nicht bereit, Zeit oder Mühe zu investieren, um unsere Konzentration zu entwickeln oder zu vertiefen. Doch je stärker das Samādhi in unserem täglichen Leben wird, desto mehr hilft es uns, jenen inneren Ort zu finden, an dem wir zunehmend frei von weltlichem Verlangen und Unzufriedenheit verweilen können. Diese friedvolle Haltung wird dann zur Grundlage von umfassenderem Glück und Freiheit.

Im zweiten Band werden wir uns das Thema »Konzentration« noch genauer anschauen.

1. Ajahn Sucitto, aus seinem Vortrag vom 10. März 1999 in der Insight Meditation Society. (Eigene Übersetzung; Anm. d. Übers.)

Der Satipaṭṭhāna-Refrain
5. Betrachtung der vier Grundlagen

Ein Element des Satipaṭṭhāna Sutta sticht durch seine Wiederholung hervor: Es ist ein Refrain, der im Laufe der Lehrrede dreizehn Mal auftaucht. Er folgt immer auf eine Meditationsanleitung, die sich auf die vier Grundlagen der Achtsamkeit bezieht.

»Auf diese Weise verweilt er, indem er den Körper [die Gefühle, den Geist, die Dhammas] innerlich als einen Körper [Gefühle, Geist, Dhammas] betrachtet, oder er verweilt, indem er den Körper [die Gefühle, den Geist, die Dhammas] äußerlich als einen Körper [Gefühle, Geist, Dhammas] betrachtet, oder er verweilt, indem er den Körper [die Gefühle, den Geist, die Dhammas] sowohl innerlich als auch äußerlich als einen Körper [Gefühle, Geist, Dhammas] betrachtet. Er verweilt, indem er die Ursprungsfaktoren im Körper [in den Gefühlen, im Geist, in den Dhammas] betrachtet, oder er verweilt, indem er die Auflösungsfaktoren im Körper [in den Gefühlen, im Geist, in den Dhammas] betrachtet, oder er verweilt, indem er die Ursprungs- und Auflösungsfaktoren im Körper [in den Gefühlen, im Geist, in den Dhammas] betrachtet. Die Achtsamkeit, dass da ein Körper [Gefühl, Geist, Dhammas] vorhanden ist [sind], ist in ihm verankert in dem Ausmaß, das zum reinen Erkennen und für andauernde Achtsamkeit erforderlich ist. Und er verweilt unabhängig, an nichts in der Welt haftend.«

Durch die Wiederholung dieses Refrains erinnert uns der Buddha immer wieder daran, was die wesentlichen Aspekte der Praxis sind:

 • Die Betrachtung unserer Erfahrung – innerlich, äußerlich und sowohl innerlich als auch äußerlich.

 • Die Betrachtung der Natur der Unbeständigkeit – das Entstehen, das Vergehen und beides, Entstehen und Vergehen, in Bezug auf unsere Erfahrung.

 • Die Entwicklung von ausreichend Achtsamkeit, um einfach zu erkennen, was sich von Augenblick zu Augenblick entfaltet – ohne mentale Kommentare –, und sich dessen bewusst zu bleiben, was geschieht.

 • Verweilen, ohne an irgendetwas anzuhaften, was in unseren Erfahrungsraum tritt.

In diesem und im 6. Kapitel – »Reines Erkennen und andauernde Achtsamkeit« – werden wir jeden dieser Aspekte genauer erforschen. In dem Sutta taucht der Refrain das erste Mal nach der Anleitung für den Atem auf. Aus diesem Grund und um es übersichtlich zu halten, sind die Beispiele des 5. und 6. Kapitels auf den Körper fokussiert. Behalten Sie beim Lesen jedoch bitte im Sinn, dass die im Refrain ausgeführten wichtigen Elemente der Praxis sich auch auf all die Aspekte unserer Praxis beziehen, die in den anderen drei Grundlagen der Achtsamkeit erwähnt werden.

INNEN UND AUSSEN

Den Körper innerlich zu betrachten, erscheint selbstverständlich; so praktizieren wir meistens. Wir sind uns dessen bewusst, was in jedem Moment im Körper aufsteigt – seien es die Empfindungen des Atems oder andere Körperempfindungen, wie Wärme oder Kälte, Enge oder Druck. Aber was bedeutet die äußere Betrachtung des Körpers? Es gibt dazu ein paar interessante Aspekte, die sich Meditationspraktizierende nicht so oft vergegenwärtigen.

Die äußere Betrachtung des Körpers kann bedeuten, sich des körperlichen Verhaltens anderer bewusst zu sein, wenn es unsere Aufmerksamkeit auf sich zieht. Statt unserer gewöhnlichen Neigung zu folgen, das Verhalten anderer zu beurteilen oder darauf zu reagieren, können wir einfach in der Achtsamkeit dessen ruhen, was die andere Person jetzt tut. Wir können achtsam wahrnehmen, dass die andere Person gerade geht oder isst, ohne uns in Gedanken darüber zu verlieren, wie schnell oder langsam, wie achtsam oder unachtsam sie momentan sein mag.

Ein unnützes Muster, das ich bei mir selbst in Retreats bemerkt habe, sind meine inneren Kommentare darüber, dass jemand anderes nicht achtsam ist – oder es zumindest in meinen Augen nicht zu sein scheint –, ohne zu bemerken, dass ich in diesem Augenblick genau das tue, wofür ich den anderen verurteile: Ich bin nicht achtsam! Es dauert in der Regel nicht lange, bis ich mir der Absurdität des Musters bewusst werde und über diese Gewohnheit des Geistes lächeln kann. Es ist immer hilfreich, den eigenen mentalen Schwächen mit einem gewissen Humor zu begegnen. Durch diese schlichte Achtsamkeit auf das Außen schützen wir unseren Geist vor den verschiedenen Verunreinigungen, die auftauchen können.

Obwohl das Beobachten des Atems zum größten Teil nach innen gewandt ist, kann die nach außen gerichtete körperbezogene Achtsamkeit zum Beispiel hilfreich sein, wenn bei einem Retreat der Atem eines anderen Menschen laut ist und uns stört. Dann können wir es zu einem Teil unseres eigenen Weges zur Erleuchtung machen, auf den Atem eines anderen zu achten – ob er einatmet oder ausatmet, ob der Atem lang oder kurz ist.

Die nach außen gerichtete körperbezogene Achtsamkeit hat einen weiteren Vorteil: Haben Sie schon einmal bemerkt, dass Ihre Achtsamkeit auf vorsichtige, konzentrierte Bewegungen eines anderen Menschen auch bei Ihnen zu mehr Konzentration führt? Dies ist einer der Gründe, weshalb der Buddha empfahl, uns jenen anzuschließen, die achtsam und konzentriert sind: Es ist ansteckend. Auf diese Weise wird unsere eigene Praxis zu einem echten Geschenk für unsere Mitpraktizierenden.

Im letzten Teil der Anweisung geht es darum, den Gegenstand der Aufmerksamkeit sowohl innerlich als auch äußerlich zu betrachten. Anālayo vermutet, dass es sich hierbei nicht einfach um eine Wiederholung handelt, sondern dass dahinter das tiefere Verständnis steht, eine objektive Erfahrung an und für sich zu kontemplieren, ohne darauf zu achten, ob es um die eigene Erfahrung geht oder um die eines anderen. Die Aufforderung, innerlich, äußerlich und in Bezug auf beides achtsam zu sein, erinnert uns an das umfassende Wesen der Achtsamkeitspraxis – uns dessen bewusst zu sein, was da ist, ob es in uns oder außerhalb von uns ist. Und dann letztlich über diese Unterteilung hinauszugehen.

ENTSTEHEN UND VERGEHEN

Der zweite Teil des Refrains ruft uns auf, bei jedem Objekt unserer Aufmerksamkeit in der Betrachtung der Natur des Entstehens, der Natur des Vergehens und der Natur von beidem zu verweilen. Der große burmesische Meditationsmeister Ledi Sayadaw sagte: Entstehen und Vergehen nicht zu sehen, sei Verblendung, während das Erkennen der Unbeständigkeit aller Phänomene das Tor zu allen Stufen der Einsicht und des Erwachens sei. Der Buddha betonte die Wichtigkeit dieser Erkenntnis auf vielfältige Weise:

»Die Vorstellung der Vergänglichkeit, ihr Mönche, wird sie entfaltet und häufig geübt, bezwingt alle Sinnlichkeits-Gier, sie bezwingt alle Körper-Gier, bezwingt alle Daseins-Gier, bezwingt alles Nichtwissen und vernichtet alle Unwissenheit und Verblendung.«1

»Und lebt man hundert Jahre auch,

Doch merkt nicht das Entstehn-Vergehn,

Besser ein Lebenstag des Manns,

Der das Entstehn-Vergehn erkennt.«2

Was bedeutet das hinsichtlich dessen, was wir in unserem Leben schätzen und wofür wir arbeiten, und was bedeutet das im Hinblick auf die befreiende Wirkung, die Wahrheit der Veränderung unmittelbar zu sehen – im jeweiligen Augenblick und in Bezug auf uns selbst?

Ānanda war ein Cousin des Buddha und stand ihm viele Jahre lang als Begleiter zur Seite. Als er einmal die vielen wundervollen Eigenschaften des Buddha aufzählte, antwortete der Buddha, indem er sich selbst als den Tathāgata (»der so Gegangene«) bezeichnete:

»Nachdem das so ist, Ānanda, behalte auch dies als eine wunderbare und erstaunliche Eigenschaft des Tathāgata im Gedächtnis: Ānanda, da sind dem Tathāgata Gefühle bekannt, wie sie erscheinen, wie sie gegenwärtig sind, wie sie verschwinden; Wahrnehmungen sind ihm bekannt, wie sie erscheinen, wie sie gegenwärtig sind, wie sie verschwinden; Gedanken sind ihm bekannt, wie sie erscheinen, wie sie gegenwärtig sind, wie sie verschwinden. Ānanda, behalte auch dies als eine wunderbare und erstaunliche Eigenschaft des Tathāgata im Gedächtnis.«3

Ein tiefes Verständnis der Wahrheit der Unbeständigkeit – nicht als Konzept, sondern als direkte Erfahrung – eröffnet den Zugang zu noch tieferen Einsichten. In seiner ersten Unterweisung über Selbstlosigkeit an die fünf Asketen spricht er über jede der fünf Daseinsgruppen – materielle Formen, Gefühle, Wahrnehmungen, geistige Formationen und Bewusstsein –, verweist auf deren Unbeständigkeit und erklärt, wie das Unbeständige unweigerlich unzuverlässig und unbefriedigend ist und wie das Unzuverlässige und Unbefriedigende nicht wirklich als »ich« oder »mein« betrachtet werden kann. Als sie diese Lehre hörten, wurden alle fünf Asketen erleuchtet.

Wie geschieht das? Worin liegt die befreiende Kraft dieser Lehre? Wenn wir tief erkennen, dass alles, was dem Entstehen unterliegt, auch aufhören wird, dass, was immer erscheint, auch vergeht, dann wird der Geist ernüchtert, wir werden desillusioniert. Sind wir desillusioniert, werden wir leidenschaftslos. Durch Leidenschaftslosigkeit wird der Geist befreit.

Die Wörter ernüchtert, desillusioniert und leidenschaftslos haben alle einen negativen Beigeschmack. Doch bei näherer Betrachtung steckt in ihrer Bedeutung eine Verbindung zu Freiheit. Wenn wir ernüchtert werden, wird ein Bann gebrochen und wir erwachen zu einer größeren, reichhaltigeren Wirklichkeit. Die Ernüchterung ist das glückliche Ende vieler Märchen. Desillusioniert zu sein ist nicht dasselbe wie entmutigt oder enttäuscht zu sein. Es entspricht vielmehr einer Rückverbindung mit dem, was wahr und frei von Illusionen ist. Und leidenschaftslos zu sein ist nicht gleichbedeutend mit Gleichgültigkeit oder Apathie, sondern verweist auf eine große geistige Weite und Gelassenheit.