Joseph Conrad: Das Ende vom Lied – Weihe – Hart of Darkness:

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VIII

VIII

Massy blieb nach dem Antwortschrei seines Zweiten noch eine Weile über das Fenster zum Maschinenraum gebeugt. Kapitän Whalley, der kraft seiner fünfhundert Pfund sein Kommando drei Jahre lang beibehalten hatte, hätte nun den Verdacht erwecken können, als hätte er die Küste nie zuvor gesehen. Er schien sich nicht entschließen zu können, das Glas abzusetzen, als wäre es ihm unter den zusammengezogenen Brauen festgewachsen. Dieses krampfhafte Stirnrunzeln gab seinem Gesicht den Ausdruck unbeugsamer und gerechter Strenge; doch sein erhobener Ellbogen zitterte leicht, und die Schweißtropfen rannen unter seinem Hut hervor, als wäre plötzlich im Zenit, neben der glühenden Kugel, die schon dort hing, eine zweite aufgegangen, in deren blendend weißem Licht die Erde wie ein Sonnenstäubchen erglühte.

Von Zeit zu Zeit hob er, während er mit der anderen immer noch das Glas hielt, die freie Hand, um sich das triefende Gesicht abzuwischen. Die Tropfen rollten ihm die Wange hinunter, fielen wie Regen auf das weiße Barthaar, und plötzlich streckte er, wie unter einem unbesiegbaren, ängstlichen Impuls, den Arm nach dem Maschinentelegraphen aus.

Unten klang der Gong. Die gemessenen Umdrehungen der langsamen Fahrt hörten zugleich mit jedem sonstigen Laut und jeder Erschütterung im Schiff auf, als hätte sich die große Ruhe, die draußen über der Küste lagerte, durch die eisernen Seitenwände eingeschlichen und von den geheimsten Winkeln des Schiffes Besitz ergriffen. Die schwache Brise, die des Dampfers Fahrt erzeugt hatte, verwehte, als wäre mit einmal die Luft zu dick geworden, um noch bewegt werden zu können; sogar das leise Plätschern des Wassers am Bug erstarb. Der schmale, lange Rumpf glitt ohne ein Kräuseln dahin, schien sich an das seichte Wasser über der Bank heranzustehlen. Das Aufklatschen des Bleis und die klagenden Schreie des Laskars erklangen in immer längeren Zwischenräumen; die Leute auf der Brücke schienen den Atem anzuhalten.


Der Malaie am Steuer sah starr nach der Windrose, der Kapitän und der Serang nach der Küste.

Massy hatte das Oberlicht verlassen und war auf leisen Sohlen genau an den Punkt der Brücke zurückgekehrt, an dem er früher gestanden hatte. Ein träges, stieres Grinsen entblößte sein breites Gebiss: im Schatten des Sonnensegels glitzerten die Zähne gleichmäßig, wie die Tasten eines Klaviers in einem dämmerigen Zimmer.

Schließlich tat er so, als spräche er in äußerster Verwunderung zu sich selbst, und sagte, nicht sehr laut:

„Die Maschinen stoppen! Was noch, das möchte ich gern wissen!“

Er wartete, zuckte die Schultern, schüttelte den Kopf, warf schiefe Blicke, dann hob er die Stimme ein wenig:

„Wenn ich es wagen wollte, eine Bemerkung zu machen, so möchte ich wohl sagen, dass Sie nicht Schneid genug haben...“

Aber in den Laskaren beim Lot schien, unerwartet genug bei der tiefen Ruhe der Küste, ein Geist lärmenden Aufruhrs gefahren zu sein. Sein eintöniger, langgezogener Singsang wurde zu lautem, schnellem Rufen. Er wirbelte das Gewicht nur einmal in der Luft herum und ließ es dann fliegen, dass die Leine pfiff; ein Aufklatschen folgte unmittelbar auf das andere. Das Wasser war seicht geworden, und der Mann rief, anstatt wie bisher in Faden, die Lotung in Fuß aus.

„Fünfzehn Fuß, fünfzehn, fünfzehn! Vierzehn, vierzehn...“

Kapitän Whalley ließ den Arm sinken, der das Glas hielt. Er glitt langsam nieder, wie durch sein eigenes Gewicht; kein anderes Glied seines mächtigen Körpers rührte sich, und die schnell aufeinanderfolgenden Schreie mit ihrem warnenden Unterton ließen ihn unberührt, als wäre er taub.

Massy stand bewegungslos und gespannt lauschend da und hielt die Augen fest auf den silberweißen, kurzgeschorenen Hinterkopf des Alten gerichtet. Das Schiff selbst schien stillzustehen, bis auf das allmähliche Abnehmen der Tiefe unter dem Kiel.

„Dreizehn Fuß... dreizehn! Zwölf!“ rief der Mann am Lot unterhalb der Brücke ängstlich, und plötzlich ging der bloßfüßige Serang lautlos davon, um seitlich hinabsehen zu können.

Schmal in den Schultern, in einem Anzug aus verschossenem blauem Baumwollstoff, einen alten grauen Filzhut tief in die Augen gezogen, eine tiefe Grube im dunklen Nacken und von schmächtigem Gliederbau, erschien der Mann, von rückwärts gesehen, kaum größer als ein vierzehnjähriger Junge. Ganz kindlich war auch die Neugierde, mit der er zusah, wie die massigen, gelblichen Gebilde vom Grund her an die Oberfläche des blauen Wassers emporzusteigen schienen, wie Wolkenballen, die langsam einen klaren Himmel herauftreiben. Er war über den Anblick nicht im Mindesten überrascht. Es war kein Zweifel, sondern die Gewissheit, dass der Kiel der „SOFALA“ den Grund berühren musste, was ihn bewogen hatte, über die Reling hinunterzusehen.

Seine forschenden Augen, schräggestellt in einem Gesicht von chinesischem Typus, einem kleinen, alten, unbeweglichen Gesicht, wie aus alter, brauner Eiche geschnitzt, diese Augen hatten ihn lange zuvor davon unterrichtet, dass die Sandbank nicht richtig angesteuert worden war. Als er zugleich mit der übrigen Besatzung nach dem Verkauf der „FAIR MAID“ abgemustert hatte, trieb er sich in seinem verschossenen blauen Anzug und dem breitkrempigen grauen Hut vor den Toren des Hafenamtes herum; als er eines Tages Kapitän Whalley auf der Suche nach einer Besatzung für die „SOFALA“ daherkommen sah, hatte er sich ihm auf bloßen Füßen mit einem stummen Bittblick in den Weg gestellt. Das Auge seines alten Herrn war in Gnade auf ihn gefallen – es musste ein günstiger Tag gewesen sein – und kaum eine halbe Stunde später hatten die weißen Männer in dem „Ofiss“ ihn als Serang des ‚Feuerschiffes’ „SOFALA“ eingetragen. Seither hatte er wiederholt diese Mündung, diese Küste, von dieser Brücke und diesseits der Bank aus gesehen. Die Erinnerung an den Gesichtseindruck zeichnete sich durch seine Augen auf seinem unverdorbenen Hirn ab, wie auf einer lichtempfindlichen Platte durch eine Linse. Sein Wissen war unbedingt und genau; trotzdem hätte er zweifellos das Zögern der Ungewissheit zur Schau getragen, hätte man ihn um seine Meinung gefragt, und noch dazu in der kerzengeraden, aufregenden Art der weißen Männer. Er war seiner Tatsachen gewiss – aber diese Gewissheit wog leicht im Vergleich zu dem Zweifel, welche Antwort wohl angenehm sein würde. Vor fünfzig Jahren, in einem Dschungeldorf, und bevor er selbst noch einen Tag alt gewesen, hatte sein Vater, der starb, ohne ein weißes Gesicht gesehen zu haben, von einem in der Sternenkunde bewanderten Mann sein Horoskop stellen lassen; denn aus der Stellung der Sterne kann das letzte Wort über ein Menschenschicksal gelesen werden. Die Vorhersage hatte gelautet, er werde durch die Gunst weißer Männer auf See Glück haben. Er hatte Schiffsdecks gewaschen, hatte Steuerruder bedient, Vorräte verwaltet, hatte es zuletzt bis zum Serang gebracht; und sein sanftes Gemüt war ebenso unfähig geblieben, die einfachsten Beweggründe derer zu erfassen, denen er diente, wie diese selbst unfähig waren, unter der Erdkruste das Geheimnis des Erdinnern zu ergründen, das vielleicht aus Feuer oder Stein besteht. Er hatte aber nicht den geringsten Zweifel daran, dass die““SOFALA“ vom richtigen Kurs abgefallen war, als sie diesmal die Bank von Batu-Beru kreuzte.

Es war nur ein kleiner Irrtum. Das Schiff konnte kaum um die doppelte eigene Länge zu weit nördlich sein; und ein Weißer, der nach einem Grund dafür suchte – denn es war unmöglich, bei Kapitän Whalley krasse Unwissenheit anzunehmen, Mangel an Übung oder Nachlässigkeit – wäre versucht gewesen, seinen eigenen Sinnen zu misstrauen. Ein ähnliches Gefühl war es auch, das Massy, mit zu einem ängstlichen Grinsen gebleckten Zähnen, reglos erhielt. Nicht so der Serang. Er war von jedem verstandesmäßigen Misstrauen gegen seine Sinne frei. Wenn es seinem Kapitän gefiel, den Schlamm aufzurühren, so war das recht. Er hatte in seinem Leben weiße Männer öfter als einmal einer unbegreiflichen Anwandlung nachgeben sehen. Er war nur ehrlich neugierig, was wohl daraus werden würde. Schließlich trat er augenscheinlich befriedigt von der Reling zurück.

Er hatte keinen Laut von sich gegeben: Kapitän Whalley aber schien die Bewegungen seines Serangs beobachtet zu haben. Mit starr gerecktem Kopf und kaum die Lippen bewegend fragte er:

„Macht sie noch Fahrt, Serang?“

„Noch ein wenig Fahrt, Tuan“, antwortete der Malaie und fügte dann beiläufig hinzu: „Sie ist drüber weg.“

Das Lot bestätigte seine Worte; die Wassertiefe nahm bei jedem Wurf zu, und der Geist der Aufregung verließ plötzlich den Laskar, der in seinem Segeltuchgürtel über die Seite der „SOFALA“ hinaushing. Kapitän Whalley befahl, das Lot einzuholen, ließ ohne große Eile die Maschinen voraussetzen, wandte seine Augen von der Küste ab und wies den Serang an, einen Kurs nach der Mitte der Mündung zu steuern.

Massy schlug sich geräuschvoll die flache Hand auf den Schenkel.

„Sie haben die Bank gestreift. Sehen Sie nur achtern, ob Sie das nicht taten! Sehen Sie auf die Spur, die wir hinterlassen haben! Sie ist deutlich zu sehen. Bei meiner Seel! ich hatte es mir gedacht! Warum taten Sie das? Was zum Teufel hat Sie dazu gebracht? Ich glaube, Sie wollen mich erschrecken.“

Er sprach langsam, wie tastend, und hielt die vorquellenden schwarzen Augen fest auf seinen Kapitän gerichtet. In seinem beginnenden Zornausbruch fehlte auch eine leicht wehklagende Note nicht, denn im Grunde war es das klare Gefühl, unverdientes Unrecht erlitten zu haben, was ihn diesen Mann hassen ließ. Diesen Mann, der für fünfhundert lumpige Pfund ein Sechstel des Gewinnes für die Vertragsdauer von drei Jahren beanspruchte. Sooft dieser Groll die Ehrfurcht besiegte, die er vor Kapitän Whalleys Persönlichkeit empfand, pflegte er vor Wut geradezu zu wimmern.

 

„Sie wissen gar nicht mehr, was Sie erfinden müssen, um mir die Seele aus dem Leibe zu ärgern. Ich hätte nie gedacht, dass ein Mann Ihrer Art sich herbeilassen würde...“

Er unterbrach sich halb hoffnungsvoll, halb schüchtern, sooft Kapitän Whalley in seinem Deckstuhl die geringste Bewegung machte, als hätte er erwartet, durch ein sanftes Wort versöhnt oder aber angefahren und von der Brücke verjagt zu werden.

„Ich bin verblüfft“, fuhr er wieder fort und bleckte dabei immer noch wachsam und ohne Lächeln seine großen Zähne. „Ich weiß nicht, was ich denken soll. Ich glaube, Sie versuchen es, mich zu erschrecken. Um ein Haar hätten Sie das Schiff für mindestens zwölf Stunden auf der Bank festgesetzt und dabei überdies noch die Maschinen verschlammt. Kein Schiff kann es sich heutzutage mehr leisten, auf einer Fahrt zwölf Stunden zu verlieren – wie Sie sehr gut wissen mussten und ja auch ganz bestimmt sehr gut wissen, nur...“

Sein halblauter Redefluss, die seitliche Drehung seines Halses, die dunklen Blicke aus den Augenwinkeln ließen Kapitän Whalley unbewegt. Er sah unter finster gerunzelten Brauen vor sich auf das Deck. Massy wartete eine kleine Weile und begann dann leise zu drohen.

„Sie glauben wohl, mir mit dem Abkommen Hand und Fuß gebunden zu haben. Sie glauben mich in jeder Art, wie es Ihnen gefällt, peinigen zu können. Oh! Aber denken Sie nur daran, dass es noch volle sechs Wochen läuft. Zeit genug für mich, Sie zu entlassen, bevor die drei Jahre um sind. Sie werden schon noch etwas tun, das mir ein Recht gibt, Sie zu entlassen und zwölf Monate auf Ihr Geld warten zu lassen, bevor Sie mir die Fünfhundert abverlangen und mir so den letzten Pfennig für die neuen Kessel nehmen können. Sie brüten über diesem Gedanken, nicht wahr? Ich habe das Gefühl, dass Sie hier sitzen und brüten. Es ist, als hätte ich meine Seele für fünfhundert Pfund verkauft, um schließlich auf ewig verdammt zu sein...“

Er unterbrach sich abermals, ohne ein Zeichen der Verzweiflung, und fuhr dann gleichmäßig fort:

„... Mit den abgenützten Kesseln und der Inspektion, die jeden Augenblick kommen kann, Kapitän Whalley... Kapitän Whalley, sagen Sie doch, was machen Sie mit Ihrem Geld? Sie müssen irgendwo einen ganzen Haufen Geld haben – ein Mann wie Sie muss das haben. Es liegt auf der Hand. Ich bin kein Narr, müssen Sie wissen, Kapitän Whalley – Partner.“

Nochmals brach er ab, als wäre er nun endgültig fertig. Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und warf einen Blick auf den Serang zurück, der mit ruhigem Flüstern und leichten Handbewegungen den Kurs des Schiffes angab. Die kreisende Schraube sandte kleine Wellen mit dunklen Kämmen gegen die öden, flachen Ufer aus schwarzem Schlamm. Die „SOFALA“ war in den Fluss eingefahren; die Spur, die sie in der Sandbank eingeritzt hatte, lag nun eine Meile weit zurück, außer Sicht, gänzlich verschwunden; und die glatte, leere See längs der Küste war gleichfalls zurückgeblieben, dem tödlich grellen Sonnenschein überlassen. Zu beiden Seiten bedeckte üppiger Mangrovenwald die halb flüssigen, niedrigen Ufer; und Massy fuhr in seinem alten Ton wieder fort, mit jähem Anlauf, als würden ihm die Worte wie die Weise eines Spielwerkes durch Drehen eines Handgriffes erpresst.

„Wenn mich jemals jemand darangekriegt hat, dann sind Sie es. Ich scheue mich nicht, das zuzugeben. Ich habe es gesagt – da. Was wollen Sie mehr? Ist es nicht genug für Ihren Stolz, Kapitän Whalley? Sie haben mich von allem Anfang an in die Tasche gesteckt. Das stimmt in jeder Hinsicht, wenn ich es recht überdenke. Sie haben mir erlaubt, die Klausel wegen Trunkenheit aufzunehmen, ohne etwas dazu zu sagen; Sie sahen nur recht bekümmert drein, als ich darauf bestand, es schwarz auf weiß zu haben. Wie hätte ich denn wissen können, was bei Ihnen nicht in Ordnung war? Gewöhnlich ist immer irgendwo etwas nicht in Ordnung. Und nun sehen Sie sich an: als Sie an Bord kamen, stellte es sich heraus, dass Sie seit vielen Jahren nichts anderes als Wasser zu trinken gewohnt sind.“

Sein vorwurfsvolles Klagen hörte auf. Er versank in tiefes Brüten, nach der Art dummschlauer Menschen. Es schien unbegreiflich, dass Kapitän Whalley über den Ausdruck von Ekel in dem wuchtigen, gelben Gesicht nicht in Lachen ausbrach. Doch Kapitän Whalley hob den Blick nicht und saß in seinem Armstuhl, im Innersten verletzt, würdig und ohne Bewegung.

„Es hat mir viel geholfen“, fuhr Massy eintönig in seinen Vorwürfen fort, „eine Entlassungsklausel wegen Trunkenheit gegen einen Mann aufzunehmen, der nichts als Wasser trinkt. Und Sie sahen noch dazu empört aus, als ich an jenem Morgen im Kontor des Rechtsanwalts meinen Entwurf vorlas – Sie sahen so bestürzt aus, Kapitän Whalley, dass ich ganz sicher war, Ihren wunden Punkt getroffen zu haben. Ein Reeder kann ja gar nicht vorsichtig genug sein in der Wahl seines Kapitäns. Sie müssen sich die ganze Zeit über ins Fäustchen gelacht haben... wie? Was wollten Sie sagen?“

Kapitän Whalley hatte nur leise mit den Füßen gescharrt. In Massys seitlichen Blick trat eine dumpfe Feindseligkeit.

„Aber bedenken Sie doch, dass es noch andere Entlassungsgründe gibt. Da ist zum Beispiel andauernde Nachlässigkeit, die an Unfähigkeit hinreicht – es gibt auch grobe und wiederholte Pflichtversäumnis. Ich bin kein ganz so großer Narr, wie es Ihnen wohl passen könnte. Sie sind in letzter Zeit nachlässig gewesen – indem Sie alles diesem Serang überlassen haben. Was denn! Ich habe diesen alten Affen von Malaien für Sie Peilungen nehmen sehen, als wären Sie selbst zu groß, um persönlich Ihren Dienst zu tun. Und wie nennen Sie denn die dumme, schluderige Art, in der Sie das Schiff eben jetzt über die Bank geführt haben? Glauben Sie, ich lasse mir das gefallen?“

Mit dem Ellbogen gegen die Leiter hinter der Brücke gestützt, versuchte Sterne, der Erste Offizier, zuzuhören und zwinkerte dabei aus der Entfernung dem Zweiten Ingenieur zu, der für einen Augenblick heraufgekommen war und im Niedergang zum Maschinenraum stand. Während er sich an einem Bündel Putzwolle die Hände abwischte, sah der gleichgültig nach links und rechts zu den Uferbänken hinüber, die langsam an der „SOFALA“ vorbeiglitten.

Massy wandte sich dem Deckstuhl voll zu. In seine Stimme kam wieder eine leise Drohung.

„Nehmen Sie sich inacht! Ich kann Sie immer noch entlassen und Ihr Geld ein Jahr lang zurückbehalten. Ich kann...“

Doch angesichts der stummen, starren Unbeweglichkeit des Mannes, dessen Geld ihn im letzten Augenblick vor völligem Ruin gerettet hatte, erstarb ihm die Stimme in der Kehle.

„Nicht, dass ich Sie wegschicken wollte“, fing er nach einem kurzen Schweigen in töricht eindringlichem Ton wieder an. „Ich wünsche mir nichts Besseres, als freund mit Ihnen zu bleiben und das Abkommen zu erneuern, wenn Sie sich bereit erklären, mir mit noch ein paar hundert Pfund zum Einbau der neuen Kessel auszuhelfen, Kapitän Whalley. Ich habe es Ihnen schon früher gesagt. Die „SOFALA“ braucht neue Kessel; Sie wissen es so gut wie ich. Haben Sie sich das überlegt?“

Er wartete. Das dünne Pfeifenrohr mit dem ungefügen Kopf am Ende hing von seinen dicken Lippen nieder. Die Pfeife war ausgegangen. Plötzlich nahm er sie aus den Zähnen und rang leicht die Hände.

„Glauben Sie mir nicht?“ Er stieß den Pfeifenkopf in die Tasche seiner fadenscheinigen Jacke.

„Es ist, als hätte man mit dem Teufel zu tun“, sagte er. „Warum sprechen Sie nicht? Zuerst waren Sie so hochnäsig und unnahbar gegen mich, dass ich kaum über mein eigenes Deck zu kriechen wagte. Nun kann ich kein Wort aus Ihnen herausbringen. Sie scheinen mich gar nicht zu sehen. Was soll das heißen? Meiner Seel! Sie erschrecken mich mit dem Taubstummentrick. Was geht in Ihrem Kopf vor? Was für Pläne wälzen Sie denn dort gegen mich, dass Sie kein Wort reden können? Sie werden mich niemals glauben machen, dass Sie – Sie – nicht wissen, wo Sie ein paar hundert Pfund hernehmen sollen! Sie haben mich dazu gebracht, den Tag zu verfluchen, an dem ich geboren wurde...“

„Herr Massy“, sagte Kapitän Whalley plötzlich, ohne sich zu rühren.

Der Ingenieur fuhr heftig zusammen.

„Wenn das so ist, kann ich Sie nur bitten, mir zu vergeben.“

„Steuerbord“, murmelte der Serang dem Steuermann zu und die „SOFALA“ bog um die zweite Biegung in die gerade Stromstrecke ein.

„Uff!“ Massy schauerte. „Mir läuft es kalt über den Rücken. Warum sind Sie hierhergekommen? Was hat Sie dazu bewogen, an jenem Abend ganz plötzlich an Bord zu kommen, mit Ihrem großartigen Gerede und Ihrem Geld – und mich zu versuchen? Ich habe mich immer gefragt, was Ihr Beweggrund war. Sie haben sich an mich gehängt, um sich ein schönes Leben zu schaffen und sich an meinem Herzblut zu mästen, das sage ich Ihnen. War das nicht so? Ich glaube, Sie sind der schlimmste Geizkragen in der Welt, oder warum denn sonst...“

„Nein. Ich bin nur arm“, unterbrach Kapitän Whalley mit steinernem Gesicht.

„Stütze das Ruder“, murmelte der Serang. Massy wandte sich ab und sprach über die Schulter zurück.

„Ich glaube es nicht“, sagte er in seinem rätselhaften Ton. Kapitän Whalley machte keine Bewegung. „Da sitzen Sie wie ein vollgefressener Geier – genau wie ein Geier.“

Er schickte noch einen leeren Blick auf den Flusslauf und die beiden Ufer, anscheinend ohne etwas zu sehen, und verließ langsam die Brücke.

* * *

IX

IX

Während er sich zum Weggehen wandte, bemerkte Massy den Kopf Sternes, des Ersten Offiziers, der mit seinem leise vertraulichen Lächeln, dem roten Schnurrbart und den zwinkernden Augen am Fuß der Leiter wartete.

Sterne war, bevor er auf die „SOFALA“ gekommen, Zweiter Offizier bei einer der großen Schiffahrtsgesellschaften gewesen. Diese Stellung hatte er „aus allgemeinen Gründen“, wie er sagte, aufgegeben. Die Beförderung sei sehr langsam gewesen, meinte er, und so sei es ihm an der Zeit erschienen, fortzugehen, um etwas rascher voranzukommen. Es schien, als wollte niemand sterben oder die Firma verlassen; alle klebten sie an ihren Plätzen, bis sie schimmelig wurden; er hatte das Warten satt und fürchtete überdies, dass, wenn wirklich ein Posten frei wurde, die besten Angestellten durchaus nicht sicher waren, die verdiente Beachtung zu finden. Überdies war der Kapitän, unter dem er zu dienen hatte, Kapitän Provost, ein unberechenbarer Mann, der, wie Sterne glaubte, aus dem oder jenem Grunde ein Vorurteil gegen ihn gefasst hatte. Höchstwahrscheinlich wohl, weil Sterne meistens mehr als seine Pflicht tat. Hatte er etwas versehen, so konnte Sterne wohl einen Tadel vertragen, wie ein Mann; er erwartete aber auch, wie ein Mensch behandelt und nicht immer wieder angeredet zu werden, als wäre er ein Hund. Er hatte Kapitän Provost klipp und klar gebeten, ihm zu sagen, worin er gefehlt habe, und Kapitän Provost hatte ihm in verächtlichster Weise geantwortet, er sei ein vollendeter Offizier, und wenn ihm die Art nicht passte, in der man mit ihm spräche, so sei hier die Laufplanke – er könne sofort an Land gehen. Aber jedermann wusste ja, was für ein Mann Kapitän Provost war. Eine Beschwerde bei der Gesellschaft hatte keinen Sinn. Kapitän Provost hatte zu großen Einfluss. Trotz allem musste er ihm ein gutes Zeugnis ausstellen. Er versicherte, dass er mit gutem Gewissen behaupten könne, es läge nicht das Geringste gegen ihn vor, und da er zufällig gehört habe, dass der Erste der „SOFALA“ an jenem Morgen mit Sonnenstich ins Spital gekommen sei, so habe er nichts dabei gefunden, sich vorzustellen und zu versuchen, ob er für den Posten nicht geeignet wäre...

Er war frisch rasiert, mit rotem Gesicht zu Kapitän Whalley gekommen, die magere Brust herausgereckt, und hatte seine kleine Geschichte mit offener, männlicher Selbstsicherheit erzählt. Dann und wann zitterten seine Augenlider leicht, oder seine Hand fuhr verstohlen zu dem Ende des grellroten Schnurrbartes hinauf. Seine Brauen waren gerade, buschig und nussbraun, und die Geradheit seines offenen Blickes schien die Grenze der Unverschämtheit zu streifen. Kapitän Whalley hatte ihn auf Probe genommen, dann, da der andere Mann, von den Ärzten nach Hause geschickt worden war, die nächste Reise über und dann wiederum die nächste behalten. Nun hatte er feste Anstellung erreicht und gab sich seinen Pflichten mit unterstrichenem Diensteifer hin. Sobald man ihn ansprach, begann er aufmerksam zu lächeln, wobei seine ganze Haltung eine große Ergebenheit ausdrückte. In dem raschen Zwinkern aber, das fortwährend anhielt, lag etwas wie Hohn, als wäre ihm allein ein besonders guter Witz auf Kosten der gesamten Menschheit, allen anderen unergründlich, bekannt.

 

Mit diesem Lächeln sah er auch Massy entgegen, der Stufe um Stufe herunterkam; sobald der Erste Ingenieur das Deck erreicht hatte, fuhr er herum und stand ihm Auge in Auge gegenüber. Von gleicher Größe, sonst aber gänzlich unähnlich, sahen sie einander ins Gesicht, als wäre etwas zwischen ihnen – etwas anderes als der breite Sonnenstreifen, der durch eine Spalte im Sonnensegel quer über die Deckplanken fiel und die Füße der beiden Männer trennte wie ein Strom; etwas Tiefgründiges, Abgefeimtes, Unberechenbares, wie ein ausgesprochenes Einverständnis, ein geheimes Misstrauen oder eine gewisse Angst.

Schließlich zwinkerte Sterne mit seinen tiefliegenden Augen, schob sein scharfgeschnittenes, glattes Kinn vor, das rot war wie das übrige Gesicht, und murmelte:

„Haben Sie's gesehen? Er hat gestreift! Haben Sie's gesehen?“ Massy hob sein gelbes, fleischiges Gesicht und gab verächtlich zurück:

„Kann sein. Hätten Sie es aber versucht, dann wären wir sicher im Schlamm festgerannt.“

„Verzeihen Sie, Herr Massy, das wage ich zu bestreiten. Natürlich kann ein Reeder auf seinem eigenen Schiff sagen, was immer er will. Das ist schon recht; aber ich bitte doch...“

„Gehen Sie mir aus dem Weg!“

Der andere fuhr leicht zusammen, wie in unterdrückter Empörung, blieb aber stehen. Massys gesenkter Blick wanderte nach rechts und links, als wäre das Deck rund um Sterne mit Eiern bestreut, die nicht zerbrochen werden sollten, und er spähte ängstlich nach einem Fleck, um die fliehenden Füße niedersetzen zu können. Schließlich rührte auch er sich nicht, obwohl Platz genug da war.

„Ich hörte Sie dort oben sagen“, fuhr der Erste Offizier fort „– und es war eine sehr richtige Bemerkung –, dass immer etwas nicht in Ordnung ist...“

„Ihr wunder Punkt ist das Horchen, Herr Sterne.“

„Nun, wenn Sie mir nur einen Augenblick zuhören wollten, Herr Massy, dann könnte ich...“

„Sie sind ein Angeber“, unterbrach ihn Massy hastig und wiederholte unmittelbar darauf nochmals, „ein gemeiner Angeber“, bevor der Erste beschönigend einfallen konnte:

„Nun, sagen Sie doch, Herr, was wollen Sie? Was wollen...“

„Ich will – ich will“, stammelte Massy wütend erstaunt, „ich will! Woher wissen Sie, dass ich was will? Wie können Sie es wagen? ... Was meinen Sie, worauf sind Sie aus? Sie...“

„Beförderung.“ Das kam in so kalter Unverschämtheit, dass Sterne ihn damit zum Schweigen brachte. Die runden, weichen Wangen des Ingenieurs zitterten nach, aber er sagte ruhig genug:

„Sie belästigen mich nur damit“, und Sterne zeigte wieder sein vertrauliches kleines Lächeln.

„Ein Geschäftsmensch, den ich einmal kannte (und heute hat er es weit gebracht in der Welt), pflegte mir zu sagen, das sei der rechte Weg. ‚Immer nach vorn drängen‘, sagte er. ‚Stelle dich richtig vor deinen Chef hin. Dränge dich vor, sooft sich eine Gelegenheit bietet. Zeig ihm, was du weißt. Belästige ihn, indem du dich immer wieder sehen lässt.’ Das war ein Rat. Nun kenne ich hier keinen anderen Chef als Sie. Sie sind der Eigentümer, und daneben verschwinden in meinen Augen alle anderen. Sehen Sie, Herr Massy – ich will vorwärtskommen. Ich mache kein Geheimnis daraus, dass ich einer von denen bin, die vorwärtskommen wollen. Das sind die Leute, die gut zu gebrauchen sind, Herr. Sie haben es nicht so weit gebracht, ohne das herauszufinden, soviel ist sicher.“

„Den Chef belästigen, um vorwärtszukommen“, murmelte Massy, wie betäubt von der gottlosen Eigenart der Idee. „Es sollte mich nicht wundern, wenn gerade das der Grund gewesen wäre, warum die Blauankerleute Sie entlassen haben. Nennen Sie das Vorwärtskommen? Sie sollen hier auf die gleiche Art vorwärtskommen, wenn Sie sich nicht inacht nehmen – das kann ich Ihnen versprechen!“

Sterne ließ den Kopf hängen, sah verblüfft und nachdenklich aus und zwinkerte heftig gegen das Deck zu. Alle seine Versuche, mit seinem Reeder in eine vertrautere Beziehung zu kommen, hatten in letzter Zeit immer nur zu diesen dunklen Drohungen mit der Entlassung geführt; und eine Drohung mit der Entlassung pflegte ihn augenblicklich zu einem zögernden Schweigen zu bringen, als fühlte er sich nicht sicher, ob die Zeit, ihr zu trotzen, schon gekommen sei. Bei dieser Gelegenheit schien er einen Augenblick die Sprache verloren zu haben; Massy setzte sich schwerfällig in Bewegung und drängte sich, mit einem Versuch, ihn anzurennen, an ihm vorbei. Sterne wich ihm hastig aus und fuhr dann mit weit offenem Munde herum, als wollte er etwas hinter dem Ingenieur dreinrufen, besänne sich aber eines Besseren.

Stets – wie er gern zugab – auf der Lauer nach einer Möglichkeit zum Vorwärtskommen, war es ihm zur ständigen Gewohnheit geworden, die Führung seiner unmittelbaren Vorgesetzten nach einem Punkt zu durchspähen, ‚wo man einhaken konnte’. Er war der festen Überzeugung, dass kein Schiffer in der Welt sein Kommando auch nur einen Tag behalten würde, wenn man es nur die Reeder ‚wissen lassen könnte’. Dieser romantische, naive Leitsatz hatte ihn öfter als einmal in Schwierigkeiten gebracht; doch blieb er unverbesserlich; und der Mangel an Treue war in seinem Charakter so ausgeprägt, dass, sobald er auf ein Schiff kam, die Absicht, den Kommandanten abzusägen und selbst an seine Stelle zu kommen, mit größter Selbstverständlichkeit seine Handlungen bestimmte. Seine wachen Mußestunden erfüllten Träume von sorgfältigen Plänen und peinlichen Entdeckungen – seine Träume waren Bilder von günstigen Wendungen und (für ihn günstigen) Unglücksfällen. Es war schon vorgekommen, dass Schiffer auf See krank wurden und starben, was wie nichts sonst einem geschickten Ersten Offizier Gelegenheit bieten konnte, sich in vollem Glanz zu zeigen. Manchmal fielen sie auch über Bord: er hatte von ein oder zwei solchen Fällen gehört. Andere wieder... Von allem anderen abgesehen aber hielt er inbrünstig an dem Glauben fest, dass die Führung keines einzigen von ihnen, bei scharfem Hinsehen, vor den Augen des Mannes bestehen würde, der ‚sich auskannte’ und der diese Augen die ganze Zeit über ‚richtig offen hielt’.

Nachdem er auf der „SOFALA“ richtig Fuß gefasst hatte, glaubte er sich dem Ziele seiner Hoffnungen ständig zu nähern. Einmal war es ja schon ein großer Vorteil, einen alten Mann als Kapitän zu haben: einen Mann überdies, der nach der Lage der Dinge sehr wahrscheinlich über kurz oder lang das Geschäft aufgeben würde. Sterne fühlte sich allerdings heftig enttäuscht, als er merken musste, dass sein Vorgesetzter scheinbar noch lange nicht an Ruhe dachte. Immerhin – diese alten Leute gehen oft ganz plötzlich in die Brüche. Dann war auch der Reeder-Ingenieur immer in der Nähe, dem man durch gleichmäßigen Diensteifer Eindruck machen konnte. Sterne zweifelte keineswegs, dass seine eigenen Verdienste jedem ins Auge springen mussten (er war tatsächlich ein ausgezeichneter Offizier); nur bringt heutzutage berufliches Verdienst allein einen Mann nicht schnell genug vorwärts. Er war entschlossen, die Erbfolge auf diesem Dampfer anzutreten, wenn es nur irgendwie zu machen war; nicht etwa, weil er das Kommando über die „SOFALA“ für etwas Wichtiges hielt, sondern aus dem Grund, dass, besonders im Fernen Osten, der Anfang alles bedeutet und ein Kommando zu einem anderen führt.

Er begann damit, dass er sich selbst das Versprechen gab, mit größter Umsicht vorzugehen. Massys finstere und phantastische Stimmungen schüchterten ihn zunächst ein, da sie ja außerhalb jeder herkömmlichen Erfahrung zur See lagen; doch war er klug genug, um fast vom ersten Augenblick an einzusehen, dass er sich einer außergewöhnlichen Sachlage gegenüber befand. Seiner vorzüglichen Spähergabe gelang es, rasch in das Geheimnis einzudringen; das Gefühl aber, dass noch etwas dahinterstand, das sich seinem Zugriff entzog, steigerte seine Ungeduld vorwärtszukommen aufs höchste. Und so ging eine Reise zu Ende, dann eine andere, und er hatte seine dritte begonnen, bevor er ein Türchen entdeckt hatte, durch das er mit einiger Aussicht auf Erfolg durchschlüpfen konnte. Alles war so ungewöhnlich und geheimnisvoll; irgendetwas war in seiner nächsten Nähe vor sich gegangen, wie durch eine Kluft von dem Leben des Schiffes und seiner Arbeit getrennt, die beide dem Leben und der Arbeit auf anderen Küstendampfern dieser Klasse glichen.