Kulturkampf

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Katholische Badener Konferenz

Die Verfolgung der dissidenten Priester und die Bodigung der Bundesreform durch den konservativen Klerus waren die beiden Hauptanlässe für die kirchenpolitische Badener Konferenz, die vom 20. bis zum 27. Januar 1834 dauerte. Dessen geistiger Vater war mit Federer ein Geistlicher und zugleich engster Berater Baumgartners. Die anderen Vordenker waren Alois und Christophor Fuchs, der als «Hoftheologe» von Kasimir Pfyffer galt. Die drei St. Galler Priester hatten sich im Mai 1833 an der in Schinznach stattfindenden Versammlung der Helvetischen Gesellschaft mit etwa 20 weiteren Priestern, davon die Hälfte Solothurner, durch die gemeinsame Unterzeichnung einer «Vereinigungsurkunde» zusammengeschlossen. Darin haben sie sich gegenseitig versprochen, gemeinsam «die Priesterrechte zu schützen» und «ganz besonders aber in den Behörden das kirchliche Interesse zu wecken». Um die Politiker anzuregen und anzutreiben, arbeiteten die beiden Fuchs und Federer für sie je ein Reformprogramm aus.

An der Konferenz, zu welcher der Vorortskanton Luzern eingeladen hatte, waren die sieben teilnehmenden Kantonsregierungen ausschliesslich durch Katholiken vertreten. Zürich schloss sich erst nach der Konferenz deren Beschlüssen an. Der Delegierte von Baselland, das es bei der Gründung der Siebnerkonferenz noch nicht gegeben hatte, war Gutzwiller, der von Bern der Jurassier Franz Vautrey. Die restlichen fünf Kantone hatten je zwei Abgeordnete. Die bekanntesten Köpfe waren neben Baumgartner und Pfyffer der Solothurner Ludwig von Roll, der Aargauer Eduard Dorer, ein Schüler Federers, und der Thurgauer Joseph Anderwert. In seiner Eröffnungsrede erklärte der Schultheiss Eduard Pfyffer, es sei nun der Augenblick gekommen, «wie in politischen so auch in kirchlichen Dingen vorwärts zu schreiten».

Das Ergebnis der Konferenz, die 14 Badener Artikel, ging gegen die kirchliche Hierarchie weniger weit als die priesterlichen Spiritus Rectores vorgeschlagen hatten. Die Hauptforderungen waren die Schaffung eines erzbischöflichen Stuhls in der Schweiz, um so die direkte Verbindung der Bischöfe zu Rom zu kappen. Diesem Ziel diente auch die kantonale Förderung von Synoden. Das «Placet der Staatsbehörden» gegenüber kirchlichen Verlautbarungen bezweckte die liberale Kontrolle über die Kanzel, das damals wohl wichtigste Medium. Aufgrund der Repression gegen dissidente Priester wurde die staatliche Bewilligungspflicht auf kirchliche Urteile ausgeweitet. Weiter ging es um das Recht auf Mischehe, die Verminderung der zahlreichen Feier- und Fasttage, die Aufsicht über die Priesterseminarien, die Besetzung von Pfarrerstellen und die Verwendung der Klöster für soziale Zwecke. Deren Unterstellung unter die Jurisdiktion des Bischofs sollte ebenfalls dazu dienen, die Macht der Kurie über die schweizerische Kirche zu schwächen. Die Abschaffung des kirchlichen Einspracherechts gegen die Besetzung von Lehrstellen bezweckte die Emanzipation des Schulwesens und den Schutz liberaler Lehrkräfte. In den letzten beiden Artikeln garantierten sich die Kantone wechselseitig das Recht, von den Geistlichen den Treueid zu verlangen. Sie versprachen sich, im Konfliktfall gegenseitige Hilfe zu leisten.

Die Badener Artikel waren eine Kombination von josephinischem Staatskirchentum aus dem 18. Jahrhundert, moderner Ausweitung der Individualrechte sowie nationaler Verteidigung gegen Rom. Hinter allem steckte die Hoffnung, den mehrheitlich widerspenstigen Teil der Katholiken doch noch für die Regeneration von Kantonen, Bund und Kirche zu gewinnen. Was der Kirchenhistoriker Victor Conzemius bezüglich der Badener Konferenz schreibt, gilt allgemein für die katholischen Liberalen wie auch Radikalen: «Glaubensfragen wurden nicht berührt.» Auch deshalb stiessen die Artikel anfänglich auf wenig Widerstand. Das zeigt deren deutliche Annahme zuerst im katholischen Grossratskollegium und danach im Grossrat St. Gallen. Auch im Luzerner Parlament wurden sie mit 63 zu 19 Stimmen gutgeheissen. Die Luzerner Geistlichkeit war gespalten. Aufgrund einer konservativen Gegenkampagne wandten sich 48 liberale Priester an den Bischof, dafür zu sorgen, dass die Kirche «in keiner Hinsicht und in keinem Fall hinter den Forderungen der Zeit» zurückbleibe. Darauf bekannten sich 95 Geistliche zum «unerschütterlichen Festhalten» an der «ewigen Wahrheit» der Kirche. In diesen innerklerikalen Streit platzte eine päpstliche Enzyklika, welche die Badener Artikel verurteilte. Die Luzerner Regierung reagierte, indem sie durch den zweiten Staatsschreiber Siegwart-Müller eine umfassende Rechtfertigung der Badener Beschlüsse verfassen liess. Diese wurde vom Papst prompt auf den Index der verbotenen Bücher gesetzt. Dessen diplomatischer Vertreter, der Nuntius, verlegte seine Residenz demonstrativ von Luzern nach Schwyz.

Der deutliche Fingerzeig aus dem Vatikan, der für die Mehrheit des Klerus wegweisend war und auch die Bischöfe aus der Reserve lockte, hatte zur Folge, dass Ende 1834 die Badener Artikel in St. Gallen am Volksveto scheiterten. Nachdem der Aargauer Grossrat die Badener Artikel ratifiziert hatte, begann es im Freiamt zu gären, und Ende 1835 wurde es zur Verhinderung von Unruhen militärisch besetzt. In Solothurn liessen sich gemässigte Liberale von der vehementen Opposition aus einem Teil der Bevölkerung derart beeindrucken, dass eine knappe Mehrheit die Badener Beschlüsse desavouierte. In Baselland, das die Badener Beschlüsse unter dem Tempodiktat Gutzwillers Mitte März 1834 als erstes anerkannte, waren die katholischen Parlamentarier hälftig gespalten. Ähnlich war es im Thurgau und in Bern, wo die protestantischen Mehrheiten allein schon deshalb keine Mühe hatten, weil der staatliche Einfluss in ihrer Kirche gang und gäbe war. Allerdings nahm im Kanton Bern der Grossrat unter der Drohung des französischen Königs Louis Philipp, in den Jura einzumarschieren, im Juli 1836 die vier Monate zuvor gefassten Beschlüsse wieder zurück.

Bei den St. Galler Wahlen vom Mai 1835 verloren die Liberalen und Radikalen, was sie zwei Jahre zuvor gewonnen hatten. Es zeigte sich, dass die Kirchenkritiker gewinnen, wenn die Kirche gegen sie wie beim Fuchsenhandel zu hart vorgeht und dass sie verlieren, wenn sie selbst gegen die Kirche zu stürmisch «vorwärts schreiten». Mit dem Scheitern der Badener Konferenz gerieten auch die Siebnerkonferenz und der Liberalismus in eine tiefe Krise.12

Troxler, die Nation und der Kulturkampf

Allerdings zeigten die Mobilisierungen zur Verteidigung des Asylrechts gegen den Druck der ausländischen Mächte in den Jahren 1836 bis 1838, dass die Politisierung und Radikalisierung der liberalen Basis der regenerierten Kantone weiterging. So demonstrierten im Sommer 1836 schweizweit über 50 000 Bürger gegen die unwürdige und anpässlerische Haltung der Tagsatzung. Die grösste und wichtigste aller Versammlungen, die Flawiler, zu der elf St. Galler Freisinnige aufgerufen hatten, forderte gleichzeitig die Schaffung eines schweizerischen Verfassungsrats. Hinter diesem Postulat stand die Schlüsselperson der Asyl- und Nationalbewegung: Ignaz Paul Vital Troxler. In den «Volksgemeinden» für das Asylrecht sah er «das Auftreten einer Nation, die sich selbst konstituiert und organisiert».

Um diese Dynamik in die Zukunft zu retten, gründete Troxler vorzüglich mit ehemaligen Schülern wie den St. Gallern Henne und Curti und dem Aargauer Augustin Keller 1837 eine Kommission zur Ausarbeitung einer Bundesverfassung. Allerdings misslang auch dieser Versuch, eine nachhaltige, die kantonalen Grenzen sprengende Nationalbewegung zu schaffen. Keller wird ein paar Jahre später die Schlüssel für die Lösung des Problems finden: Klosteraufhebung und Jesuitenausweisung. Troxler machte da allerdings nicht mit. Obwohl er ein harter Antiklerikaler war und wie alle auf geklärten Katholiken den Klöstern kritisch und dem Jesuitenorden feindlich gegenüber stand und zudem den Bundesvertrag von 1815 verachtete wie kein anderer, lehnte er den Kulturkampf ab. So hat er als Aargauer Grossrat die Badener Artikel bekämpft und 1839 sogar den konservativ-protestantischen Volksaufstand in Zürich unterstützt.

Troxlers Haltung findet ihre Erklärung in seiner Überzeugung, dass es die Schweiz als Nation im 14. Jahrhundert schon mal gegeben hat und dass es im 19. Jahrhundert bloss um ihre «Wiedergeburt» geht. Deshalb überschätzt er das nationale Bewusstsein, insbesondere das in den Urkantonen. Weil er die spalterischen Folgen der konfessionellen Zweiteilung der Alten Eidgenossenschaft wie auch deren Verschärfung durch den Aufstieg des Ultramontanismus unterschätzt, macht er die Kulturkämpfer für den konservativen Widerstand gegen die Bildung eines Nationalstaats verantwortlich. Die organische Verknüpfung der christlich-eidgenössischen Gründerzeit mit der Regenerations-Schweiz und mit dem christlichen Bundesstaat, die Troxler zum Gegner des Kulturkampfs machte, liess ihn 1865/66 gegen die Judenemanzipation antreten.13

Der protestantische Straussenputsch

Die Krise der Regeneration führte zu einer Stärkung der beiden Konservativismen, des protestantischen und des katholischen. So gab es im Frühling 1839 bei den Tessiner und St. Galler Wahlen einen Rechtsrutsch und im Luzerner Freisinn eine Spaltung. In der liberalen Hochburg Zürich entstand unter Führung eines «Glaubenskomitees» eine mächtige Bewegung gegen die Berufung eines aufklärerischen Theologen an die Universität. Der rationalistische Bibelinterpret David Friedrich Strauss sollte laut dem Zürcher Bürgermeister Conrad Melchior Hirzel mithelfen, über eine «zweite Reformation» die Bevölkerung von «Aberglauben» und «Mystizismus» zu befreien. Die Grundthese Strauss’ berühmten Buches Das Leben Jesu lautete, dass zwischen dem historischen Jesus, der anders war als die Evangelien schildern, und dem trotzdem gültigen Christus-Glauben zu unterscheiden sei. Verschärft wurde der theologisch-politische Skandal durch die sozialen Folgen einer im Kanton Zürich rücksichtslos vorangetriebenen Industrialisierung.

 

Dem Glaubenskomitee, dessen beide Schlüsselpersonen der Fabrikant Johann Jakob Hürlimann-Landis und der Geistliche Bernhard Hirzel waren, gelang es, an Kirchgemeindeversammlungen fast 40 000 Unterschriften, was 80 Prozent der Stimmberechtigten entsprach, zu sammeln. Der prompte Rückzieher des Grossen Rats, der den neu gewählten Professor pensionierte, heizte die Bewegung noch mehr an. Der «Aufstand des Gebets», wie sie sich nannte, verlangte den Schutz des traditionellen Glaubens und die geistliche Kontrolle über das Erziehungswesen. Ins Visier geriet insbesondere Ignaz Thomas Scherr, Direktor des 1831 gegründeten Lehrerseminars von Küsnacht. Der aus dem süddeutschen Katholizismus stammende und in Zürich zum Protestantismus übergetretene Pädagoge war bei den Konservativen wegen der von ihm geförderten Emanzipation der Schule von der Kirche und bei den Industriellen wegen seinem Kampf gegen die Kinderarbeit verhasst. Aufgrund des falschen Gerüchts, die Regierung habe das Siebnerkonkordat um militärische Hilfe angerufen, riefen die Kirchenglocken des Zürcher Oberlandes am 6. September 1839 zum Sturm nach Zürich. Nach einem kurzen Gefecht, das 15 Personen das Leben kostete, traten die Regierung und das Parlament zurück. Der «Züri»- oder «Straussenputsch», der das Mundartwort «Putsch» zu einem verbreiteten Begriff machte, hatte die mächtigste Bastion des Schweizer Liberalismus geschleift.

Der Zufall wollte es, dass in jenen Tagen die Tagsatzung im damaligen Vorort Zürich versammelt war. Deshalb wurden vier Schlüsselfiguren des liberalen Siebnerkonkordats, Pfyffer, Munzinger, Baumgartner und der Berner Charles Neuhaus, direkte Augenzeugen des konservativen Umsturzes. Tatsächlich hatten sie zuvor der Zürcher Regierung militärische Hilfe angeboten, worauf diese aber nicht geantwortet hatte. Die auswärtigen Liberalen, vor allem Pfyffer und Munzinger, waren entsetzt über die schwache Gegenwehr der Zürcher Regierung.

Kein Zufall ist es, waren die katholischen Freisinnigen am stärksten schockiert über den Sieg der Zürcher Geistlichkeit. Wenn das in einem protestantischen Kanton möglich war, wie gross war die Gefahr in den katholischen Orten und Gebieten? Die Aussichten waren umso düsterer, als im Aargau, in Luzern und in Solothurn die zu Beginn der Regeneration beschlossene Möglichkeit, die Verfassungen in ihrem zehnten Jahr zu revidieren, anstand. Munzinger schrieb dem Solothurner-Blatt: «Die blutige Saat ist gesät, wir stehen auf einem Vulkan!» Und die Redaktion fügte dem am 10. September 1839 bei: «[…] und alles aus Religion, mit Religion, für Religion, durch Religion!»14

Freisinnig-katholische Gegenoffensive

Es kann deshalb nicht verwundern, waren es katholische Freisinnige, die nach dem Straussenputsch am entschlossensten in die Gegenoffensive gingen. Dabei waren wie schon 1830 die Tessiner die ersten. Als deren klerikal-konservative Behörden nach den Zürcher Ereignissen beschlossen, die Schützengesellschaften zu verbieten, die Pressefreiheit zu beschränken und Truppen aufzubieten, organisierte sich unter dem späteren Tatsatzungsgesandten Giacomo Luvini-Perseghini am 6. Dezember 1839 ein bewaffneter Aufstand, der ohne Blutvergiessen innerhalb von wenigen Stunden die Regierung stürzte. Bevor die Radikalen am folgenden Tag in Locarno mit einer Landsgemeinde das Datum für die Neuwahlen festsetzten, liessen sie eine Messe zelebrieren. Am nächsten Tag wiederholten sie in Lugano das Szenario: Zuerst feierten sie den Gottesdienst, dann führten sie die Volksversammlung durch. Der neue Grosse Rat, den die Freisinnigen bis in die 1860er-Jahre beherrschen sollten, wählte Luvini zu seinem Präsidenten und Franscini zum Regierungschef. Im Juli 1841, als die Gemüter wegen der Aargauer Klosteraufhebung erhitzt waren, sollte es zu einem konservativen Aufstandsversuch kommen, der 20 Opfer forderte. Als Folge davon wurde dessen Führer Giuseppe Nessi standrechtlich erschossen, was den Tessiner Liberalen auch von eigenen Leuten lange nicht verziehen wurde.

Die zweite Gegenoffensive ging von liberalen Unterwallisern aus. Diesen war es im Sommer 1838 endlich gelungen, eine Verfassungsreform einzuleiten, welche die Vorrechte der Kirche abbaute und die des Oberwallis beendete. Weil sich dieses – mit der Unterstützung des mächtigen Bischofs von Sitten – von den Verhandlungen zurückzog, kam es zu einer faktischen Zweiteilung des Kantons mit zwei Verfassungen und zwei Regierungen. Nachdem die eidgenössische Vermittlung die Ausarbeitung einer neuen Verfassung, die dem Oberwallis und dem Klerus entgegenkam, durchgesetzt hatte, machten diese nach dem konservativen Straussenputsch wieder rechtsumkehrt. Und so kam es im April 1841 zu militärischen Gefechten, in denen sich die viel entschlosseneren Unterwalliser durchsetzten. Allerdings verloren die Liberalen in den folgenden Jahren ihre bisherige Hegemonie im unteren Kantonsteil, nicht zuletzt wegen den hier durchgeführten «Volksmissionen» der Jesuiten. Gemäss deren Provinz-Chronik zum Jahre 1843 fanden «nicht wenige, die durch die List der Gottlosen getäuscht worden, zur Religion und zur Partei der Guten» zurück, «wie es bald nachher bei den Grossratswahlen offenbar wurde». Die Spaltung des Liberalismus in Gemässigte und in radikale «Jungschweizer» erleichterte es dem Bischof, die Hauptorganisation der Freisinnigen, «La Jeune Suisse», 1843 zu exkommunizieren. Als am 24. Mai 1844 die Konservativen in einem ungleichen Gefecht 24 Radikale an der Brücke des Trientbachs erschossen, sahen die meisten Freisinnigen einen Zusammenhang zwischen dem Massaker und der kirchlichen Ausgrenzung. Das «Blutbad am Trient», das die liberale Schweiz aufwühlte, wurde dann zum Startzeichen für die Kampagne gegen den Jesuitenorden, obwohl diesem keine direkte Mitverantwortung nachzuweisen war. Was das liberale Wallis, so weit es nicht exiliert war, bis zum Sonderbundskrieg erlebte, nennt der Historiker Gérald Arlettaz eine «dictature populaire et théocratique».15

Schicksalsmonat Januar 1841

Die beiden wichtigsten Gegenoffensiven in Solothurn und im Aargau fanden ihre Höhepunkte praktisch zeitgleich im Frühjahr 1841. Am 6. Januar liess Munzinger das konservativ-klerikale «Mariasteiner Komitee», das die Freisinnigen an das Zürcher Glaubenskomitee erinnerte, und die ultramontane Führung verhaften. Vier Tage später stimmten 58 Prozent der Männer der revidierten Verfassung zu. Im Aargau wurde am 5. Januar, ebenfalls mit 58 Prozent Jastimmen, eine neue Verfassung angenommen, deren wichtigste Änderung die Aufhebung der konfessionellen Parität war. Am 11. Januar unternahmen konservative Freiämtler nach dem Vorbild der Zürcher Oberländer einen bewaffneten Zug Richtung Aarau. In einem kurzen Gefecht in Villmergen, das neun Personen das Leben kostete, wurden sie von den Regierungstruppen gestoppt. Am 13. Januar hielt Augustin Keller die berühmte, schon länger vorbereitete Klosterrede. Noch an der gleichen Sitzung beschloss der Grossrat die Aufhebung der acht Aargauer Klöster.

Was der Züriputsch für die Solothurner Ultramontanen bedeutete, illustrierte Theodor Scherer am 12. Februar 1840 in seiner «Schildwache am Jura» ziemlich unverblümt: «Bereits ist die Morgenröte eines schöneren Tages angebrochen und ein frischer Wind scheucht die Nebel des Radikalismus weit vor sich. Wie ein Mann erhob sich das Volk von Zürich und kämpfte mit entschlossenem Willen für sein bedrohtes Heiligtum.» Die Freisinnigen nahmen diesen Aufruf zu einem Solothurner «Putsch» sehr ernst, auch weil Scherer ein «Politisches Korrespondenzenbüro» betrieb, dem konservative Geistliche und Politiker aus den meisten Schweizer Kantonen angehörten und das über Verbindungen nach Rom, Paris und weitere Hauptorte verfügte. Insbesondere die engen Kontakte der Solothurner Scherer, von Haller und von Sury mit den Luzerner und den Aargauer Konservativen liessen die Radikalen an ein ultramontanes Komplott glauben. So schrieb der von Steiger redigierte Eidgenosse am 11. Januar 1841: «Es scheint ein geheimer Bund durch die Kantone Aargau, Solothurn und Luzern zu ziehen, welcher […] nur einen Ausganspunkt hat, nämlich die Jesuiten.» Diese Verschwörungstheorie ähnelt der der Ultramontanen, die hinter der Stärke des Liberalismus die Freimaurer und die Flüchtlinge wähnten.

Aber das, was in Solothurn ablief, hatte sehr wohl Ähnlichkeiten mit Zürich. Konservative und Mönche bildeten in Mariastein ein gemeinsames Nein-Komitee. In grosser Auflage wird ein «Aufruf zum Gebet» verteilt. Am Stephanstag 1840, also zwei Wochen vor der Abstimmung über die Verfassung, veröffentlicht Scherer einen Leitartikel, in dem er einen möglichen Aufstand ins Spiel bringt. Wie beim Straussenputsch versuchen die Solothurner Klerikalkonservativen die soziale Unzufriedenheit unter den Handwerkern, die erfolglos die Einschränkung der Gewerbefreiheit verlangt haben, auszunützen. Munzinger verlegt deshalb am Neujahrstag 1841 den Regierungssitz in die Kaserne, lässt das Zeughaus durch die radikalen Langendörfer Schützen, seine «persönliche Leibgarde», besetzen, alarmiert den Aargau, Baselland und Bern und schreitet ein paar Tage später aufgrund einer bekannt gewordenen Geheimsitzung zu den erwähnten Verhaftungen. Aus der hohen Stimmbeteiligung von gut 69 Prozent lässt sich schliessen, dass der Solothurner Freisinn auch ohne diesen rechtlich fragwürdigen Akt der Repression die Abstimmung gewonnen, aber nicht dieselbe Entschlossenheit gezeigt hätte. Angesichts der schwachen Beweislage kamen die meisten Verhafteten mit ein paar Tagen Gefängnis davon, zur Höchststrafe von elf Monaten wurden fünf Personen, unter ihnen ein Mariasteiner Pater und Scherer verurteilt. Dieser zog nach seiner Freilassung in den Kanton Luzern, wo er Kabinettssekretär von Müller-Siegwart und damit des Sonderbunds wurde.

In einem Rückblick vom 13. Dezember 1843 verteidigte Regierungsrat Peter Felber, Texter der Disteli-Kalender und ab 1849 Chefredaktor der NZZ, das damalige Durchgreifen des Solothurner Freisinns in seinem Solothurner-Blatt: «Jenes Auftreten hat aber nicht nur seinen Erfolg im eigenen Kanton gehabt, sondern seinen Einfluss auf die Schweizerpolitik geäussert, so dass es in den Volksversammlungen und Ratssälen und namentlich von den ersten Männern von Zürich anerkannt worden, dass Solothurns Regierung wieder gewonnen hat, was die Zürcher verspielt hatten.» Munzinger selbst schrieb am 6. Januar 1853 seinem Sohn Werner, dem späteren «Pascha», folgende «Erinnerungen» aus Bern: «Der siegreichen Reaktion von 1839 wurde die Spitze gebrochen. Der Wendepunkt war eingetreten. Wie ganz anders hätte sich die Sache gestaltet, wenn Solothurn dem Sonderbund verfallen wäre. Welch grosses Weh ist durch entschlossenes Auftreten dem Kanton und der Schweiz erspart worden.»

Während der protestantische Zürcher Liberalismus im September 1839 unfähig war, die klerikal-konservative Rechtswende zu verhindern, leitete der katholische Solothurner Freisinn im Januar 1841 die radikal-liberale Linkswende ein. Widerlegen nicht allein diese beiden Ereignisse den Diskurs über «Konfessionalisierung», die Interpretation des Sonderbundkriegs als Dritten Villmergerkrieg, die Gleichsetzung von Bund und Protestantismus, Sonderbund und Katholizismus? Wäre für Historiker die folgende Frage nicht viel relevanter: Warum waren die katholischen Radikalen entschlossener und schneller als die protestantischen?

Ihre ganze Wucht gewinnt diese Frage, wenn wir im Schicksalsmonat Januar 1841 bleiben und in den Kanton Aargau wechseln. Nicht nur die Solothurner und Aargauer Ultramontanen, auch die Radikalen waren in jenen Tagen engstens miteinander verbunden. Der aus dem Freiämter Dorf Eggenwil stammende Regierungsrat Franz Waller hatte sich am 7. Januar in Solothurn aufgehalten, um Munzinger persönlich die notfalls militärische Unterstützung durch die Aargauer Regierung mitzuteilen. Dort besuchte er auch jene Langendorfer Schützen, die er knapp vier Jahre später auf dem Ersten Freischarenzug Richtung Luzern wieder treffen sollte. Ein paar Tage nach seinem Solothurner Aufenthalt erklärte er am 12. Januar im Aargauer Grossrat: «Ich entschloss mich bei der Heimreise noch auf dem solothurnischen Territorium, kräftig, aber human gegen das drohende Unglück in unserem Kanton aufzutreten.»

«Unglück» bedeutete auch für Waller: Züriputsch im Aargau. Nachdem im Oktober 1840 eine erste stark durch die konservativen Protestanten geprägte Verfassungsrevision mit einem Nein-Anteil von 84 Prozent in allen Bezirken abgestürzt war, ergriffen die katholischen Konservativen unter Führung des Murianer Klosterarztes Johann Baptiste Baur gleich die Initiative. Mit den Solothurner Grössen von Haller und von Sury führten sie in Mellingen eine Volksversammlung durch, die das Vetorecht und die konfessionelle Trennung forderte. Die freisinnigen Katholiken in Baden konterten mit der Gründung eines Schutzvereins. Die Fricktaler erklärten an einer Gegenveranstaltung in Stein, dass sie es vorziehen, wieder einen eigenen Kanton zu bilden als mit dem Freiamt zusammen einen katholischen zu gründen.16

 
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