Sternstunden und Schandflecke der Kirchengeschichte

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Die Stunde der Aussteigeroder Gottsuche unter der Wüstensonne

Gegen Ende des 3. Jahrhunderts kam es in der Christenheit zu einer Gegenbewegung. Damals wurden in Spanien und Gallien, in Italien auch und selbst im entfernten Byzanz immer mehr Jesusgläubige der dekadenten Zivilisation mit ihrem überzüchteten Lebensstil überdrüssig und zogen sich in die Wüste zurück, um zu Gott und zu sich selbst zu finden. Stille, Gebet, Handarbeit und Fasten, insbesondere aber die frei gewählte Einsamkeit schienen ihnen der geeignete Weg zur Erreichung dieses Ziels.

Als einer der ersten Hauptvertreter dieser neuen Geistesrichtung gilt der Einsiedler Antonios. Der wird um 251 im mittelägyptischen Kome (heute Qiman-al-Arûs) als Sohn wohlhabender christlicher Fellachen geboren. Als er ungefähr zwanzig Jahre alt ist, sterben seine Eltern. Entsprechend dem römischen Recht liegt es jetzt an Antonios, für seine jüngere Schwester zu sorgen. In dieser Zeit hört er in einer Predigt einen Ausspruch Jesu: »Willst du vollkommen sein, so geh hin, verkaufe, was du hast, und gib’s den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben; und komm und folge mir nach« (Matthäus 19,21). Dieses eine Wort verdirbt ihm die ganze Freude an seinem elterlichen Erbe. Antonios redet mit seiner Schwester – oder vielmehr er überredet sie, in eines der damals bestehenden Häuser für ›gottgeweihte Jungfrauen‹ einzutreten, womit eine Gemeinschaft junger Frauen gemeint ist, welche zusammenleben, sei es, um Gott besser zu dienen, sei es, um sich zu emanzipieren und dem drohenden ehelichen Joch zu entgehen; für manche von ihnen mochte beides zutreffen. Seine Güter verschenkt Antonios an die Nachbarn. Dann setzt er sich ab in die Wüste, wo er in einer ausgeraubten Grabkammer haust. Ein Freund versorgt ihn gelegentlich mit getrocknetem Fladenbrot, das sich bekanntlich über Monate hin hält. So lange aber kann der Zulieferer seinen Mund nicht halten. Bald spricht sich im Dorf herum, wo Antonios steckt.

Gottsucher denken an Gott und befassen sich nicht mit Psychologie. Dass Antonios von Letzterer nichts versteht, wird ihm zum Verhängnis. Er bedenkt nicht, dass man sich nur zu verstecken braucht, damit alle einen suchen. Und dass viele einen Versteckten, sobald man ihn gefunden hat, aufsuchen. Angesichts des Andrangs der Menge zieht Antonios weiter weg, in die Nähe von Pispir, wo er sich in einem verlassenen Kastell verbirgt. Neugierige brauchen lediglich den von seinen Freunden hinterlassenen Fladenbrotspuren zu folgen, um ihn aufzuspüren. Wer ein Erbe ausschlägt, um sich als Hungerkünstler zu versuchen, ist allemal eine gesellschaftliche Attraktion. Insbesondere wenn sich auch noch das Gerücht verbreitet, er kämpfe mit Dämonen und habe Visionen. Und der Teufel mache sich in Gestalt hübscher Knaben und schönbusiger Frauen an ihn heran, um ihn zur Unzucht zu verleiten. Weiteren Gerüchten zufolge vermag der seltsame Gottsucher sogar Kranke zu heilen. Und, was schon ans Unerhörte grenzt: Gott, heißt es, habe höchstpersönlich zu ihm gesprochen!

Antonios, der allen Sensationen entfliehen wollte, wird selbst zur Sensation. Das hält er nicht aus. Er entzieht sich der Menge durch Flucht. Seine nächste Behausung richtet er in der Wüste ein, auf dem Berg Kolzim. Eines hat der Außenseiter inzwischen begriffen: Je mehr ein Mensch sich in der Menge sonnt und zu ihr redet, desto größer ist die Gefahr, dass er sich aufspielt. Wer im Mittelpunkt steht, denkt an die Wirkung, die er erzielen möchte, sucht Zustimmung – und ist gar nicht mehr so richtig bei sich. Auf dem Berg Kolzim ist Antonios ganz bei sich. Hier findet er seine innere Ruhe. Jetzt erfährt er auch, was das ist: Gelassenheit. Sein Biograf, der Bischof Athanasios, schreibt, dass Antonios sich fortan »an der Schau der göttlichen Dinge ergötzte«. Ja: ergötzte! Das kann später ein dahergelaufener Spötter nicht begreifen. Wie Antonios diese Einsamkeit überhaupt aushalte, will dieser wissen, zumal er sich als Analphabet die Zeit nicht einmal mit der Lektüre eines Buches zu vertreiben vermöge (tatsächlich konnte er, wie sein Biograf kleinlaut gesteht, nicht einmal lesen). Dabei liegt Antonios nichts ferner, als die Zeit zu vertreiben! Den Spötter bringt er zum Schweigen, indem er ihm sagt, wie er sie nutzt: »Mein Buch ist die Schöpfung. Wenn ich Gottes Wort lesen will, brauche ich nur hineinzuschauen.«

Der am Berg Kolzim Untergetauchte wird bald erneut entdeckt. Wie vormals in Kome und später in Pispir kommen die Leute in Scharen. Wollte Antonios weiter nach Osten fliehen, müsste er sich übers Rote Meer absetzen, das vor ihm in Sichtweite liegt. Stattdessen entscheidet er sich für einen Kompromiss. Er bleibt in seiner Einsiedelei. Unten am Berg, wo heute das Antoniuskloster steht, leben einige seiner Schüler in Hütten. Die versperren allen, die zu ihm wollen, den steilen Pfad. Aber bloß während eines halben Jahres. Die andere Jahreshälfte verbringt Antonios wiederum in Pispir. Dort erzählt er den Pilgerscharen, was er die Monate zuvor im Buch Gottes gelesen hat. Ob Antonios, wie Athanasios in der erwähnten Lebensbeschreibung berichtet, wiederholt auch Reisen nach Alexandreia unternahm, um die dort verfolgten Christen im Glauben zu stärken, ist nicht nachgewiesen.

Antonios starb im biblischen Alter von 105 Jahren. Schon zu seinen Lebzeiten haben Unzählige von ihm gelernt, dass sie vor sich selbst davonlaufen, wenn sie sich rund um die Uhr in Betriebsamkeit flüchten.

Obwohl zurückgezogen lebend, mischte sich der Eremit Antonios dennoch ins Tagesgeschehen ein. Tatsächlich werden dem laut Athanasios ungebildeten Wüstenvater fast dreißig Briefe zugeschrieben, von denen vermutlich bloß acht echt sind. Aber selbst von diesen Letzteren entstammt kein einziger seiner Feder, weil der des Schreibens Unkundige sich genötigt sah, seine Ermahnungen zu diktieren. Die ihm zugeschriebene Ordensregel wurde vermutlich von seinem Schülerkreis zusammengestellt. Hauptthema dieser Regel ist die Abkehr des Mönchs von der Welt und die Abtötung weltlicher Begierden. Ob Antonios mit Kaiser Konstantin und dessen Söhnen im Schriftwechsel stand, wie sein Biograf behauptet, scheint mehr als fraglich.

Antonios gilt als Begründer des christlichen Mönchtums.Das trifft so nicht zu. Wohl förderte er die Kontakte zwischen Anachoreten, die einzeln oder in kleinen Gruppen lebten. Klosterähnliche Einrichtungen aber verdanken ihre Entstehung dem Eremiten und Altvater Pachomios, von dem noch die Rede sein wird.

Der Gedanke an ein gemeinschaftliches Leben war Antonios völlig fremd. Ihm und den übrigen Einsiedlern ging es um die individuelle Gottbegegnung und um die persönliche Heiligung.

Wie bereits berichtet, starb Antonios hochbetagt. Noch effektiver als er soll sein Eremitenkollege Paulos von Theben die Jahre gemehrt haben, der gleichfalls abhold allen irdischen Freuden der Welt den Rücken kehrte und eine karge Wüstenexistenz den städtischen Lustbarkeiten vorzog. Oder sagen wir besser: vorgezogen haben soll.

Die wundersamen Nachrichten über sein Leben verdanken wir dem heiligen Hieronymus (347–420), der eine Vita Pauliprimi eremitae, eine Lebensbeschreibung dieses allerersten Eremiten, verfasste. Darin berichtet der berühmte Theologe und verdienstvolle Bibelübersetzer (er übertrug die Bibel ins Lateinische) derart ungewöhnliche Dinge, dass nicht nur die Geschichtsforschenden, sondern auch die gewöhnlich Sterblichen sich fragen, ob Paulos der Große (wie er auch genannt wird) seine Existenz nicht der Fantasie des Verfassers verdanke. Manche Fachleute gehen heute davon aus, dass Hieronymus sich von seinem schriftstellerischen Ehrgeiz dazu verleiten ließ, die Vita Antonii des Athanasios mit seiner legendären Lebensbeschreibung des Paulos zu überflügeln.

Angeblich wurde Paulos im Jahr 228 als Sohn vermögender Eltern in Ägypten geboren. Nach deren Tod und wegen Erbstreitigkeiten mit seinem Bruder zog der der damaligen Gesellschaft Überdrüssige während der Christenverfolgungen unter Kaiser Decius (249–251) als Einsiedler und Asket in die ägyptische Wüste. Im Gegensatz zu Antonios, in dessen Umfeld sich zahlreiche Eremiten niedergelassen hatten, soll Paulos über Jahrzehnte hin völlig allein gelebt haben, versorgt nur von einer Wasserquelle, einer Dattelpalme und einem Raben, der ihm täglich ein halbes Brot brachte. Als er trotz Vitaminmangels 113 Jahre alt geworden war, hatte der damals schon 90-jährige Antonios ein Traumgesicht, in welchem ihm die Existenz des älteren Einsiedlers kundgetan ward. Gleichzeitig erhielt er den Auftrag, ihn aufzusuchen. Was die beiden miteinander beredeten, entnimmt die Legende fast wörtlich der von Hieronymus verfassten Lebensbeschreibung. Paulos, der über die Jahrzehnte hin keinerlei Kontakt zur übrigen Welt hatte, befragt seinen Besucher nach den dortigen Zuständen:

Mein Bruder, nun siehst du vor dir den, welchen du so mühsam gesucht hast; aber du siehst nur das erschöpfte Alter, weiße Haare und einen Menschen, der bald Staub sein wird. Doch sage mir, wie geht es jetzt in der Welt, richtet die Sünde noch so viel Unheil an, gibt es noch Götzendiener, bauen die Leute ihre Häuser noch so fest, als ob sie niemals sterben müssten? Antonios gab hierüber Bescheid, so gut er konnte.

Als Paulos kurze Zeit darauf stirbt, wird er von Antonios beigesetzt. Das Grab auszuheben hätte der greise Wüstenvater wohl nicht mehr geschafft. Diese Arbeit wurde ihm von zwei Löwen abgenommen. Behauptet die Legende.

Nachdem Antonios sich in die Wüste abgesetzt hatte, folgten zahlreiche andere Zivilisationsmüde seinem Beispiel. Die bauten in seiner näheren Umgebung in Gebieten mit kleinen Wasserquellen ein ganzes Dorf für Gleichgesinnte – und dieser Trend machte Schule. Von dem legendären Paulos hingegen behauptet Hieronymus, dass dieser über Jahre und Jahrzehnte hin völlig isoliert von seiner Mitwelt gelebt habe. Wollte er damit, nachdem er sich 384 nach dem Tod seines Gönners Papst Damasus wegen seiner Kritiker nach Betlehem abgesetzt hatte, seine eigenen Vorstellungen vom Einsiedlerleben propagieren? Oder hegte er gar die Absicht, die neue Lebensweise mittels eines von ihm skizzierten Vorbilds zu rechtfertigen?

 

Historisch an der Begegnung der beiden Eremiten ist nicht das von der Legende geschilderte Treffen, wohl aber der Umstand, dass die Wüstenväter untereinander einen losen Kontakt pflegten. Das sollte sich mit dem Auftreten des Pachomios ändern.

Über Pachomios’ Wirken gibt uns (zumindest in Ansätzen) eine stark ausgeschmückte Lebensgeschichte (Vita Pachomii) Bescheid, die dessen Schüler Theodoros um 365 verfasst haben dürfte. Als Sohn heidnischer Eltern wurde Pachomios um 292 im oberägyptischen Esneh (heute Esna) geboren. Als Zwanzigjähriger wurde er gegen seinen Willen zum Militärdienst eingezogen, schon nach kurzer Zeit jedoch aus dem kaiserlichen Heer entlassen. Während seines Heeresdienstes wurde er gewahr, wie sich christliche Kameraden um die schlecht behandelten Rekruten kümmerten. Wenn das Sprichwort zutrifft, dem zufolge Worte bestenfalls zu überzeugen vermögen, Beispiele aber mitreißen, dann ist das hier der Fall. Pachomios ließ sich taufen und schloss sich der christlichen Gemeinde an.

Bald danach entschied er sich für ein Leben als Einsiedler. Nach wenigen Jahren Wüstenaufenthalt fasste er einen Entschluss, der für die spätere kirchengeschichtliche Entwicklung einschneidende Folgen haben sollte.

Bislang hatten die Wüstenväter im Nahen Osten und in Nordafrika für sich allein gelebt und nur sehr lose Beziehungen untereinander unterhalten. Zwar versammelten manche von ihnen Schüler um sich, die sich jedoch getrennt von ihnen aufhielten. Diese Anachoretenverbände unterstanden keiner Regel, die einen festen Zusammenhalt garantiert hätte – bis Pachomios um 325 auf den Gedanken kam, in der Nähe von Theben ein Koinobion, eine Einsiedlergemeinschaft, zu gründen, die sich schnell zu einer Art Kloster entwickelte.

Damit ein gemeinschaftliches Leben gelingt, braucht es feste Normen, eine Einsicht, welche Pachomios zur Niederschrift eines Regelwerkes veranlasste. Als Vorbild diente ihm dabei die straff durchorganisierte Lebensform, die er als Soldat kennengelernt hatte. Der Tagesablauf war genau eingeteilt; er beruhte auf dem Wechsel von Arbeit und Gottesdienst. Zweimal täglich fanden sich die Mönche zum Gebet zusammen. Die Mahlzeiten wurden gemeinsam eingenommen. Alle trugen die gleiche einfache Kleidung, das sogenannte Schema, das mittels eines Lederriemens um die Hüfte zusammengehalten wurde. Dieser Gürtel galt als Symbol für die Bindung des Mönchs an die Gemeinschaft. Zwecks Aufrechterhaltung der Ordnung war unter anderem auch die Prügelstrafe vorgesehen. Es herrschte eine strenge Disziplin, welche die Verpflichtung zu einem anspruchslosen Leben, zu sexueller Enthaltsamkeit und den unbedingten Gehorsam gegenüber dem Abbas (Vater) als dem Leiter der Gemeinschaft einschloss. Diese bestand fast ausschließlich aus Laien. Zu Priestern wurden nur gerade so viele geweiht, als zur Sakramentenspendung nötig waren. Ihren Lebensunterhalt bestritten die Koinobiten mit dem, was die neu Ankommenden mitbrachten, zum größten Teil aber mit den Erträgen aus der eigenen Handarbeit, was natürlich nicht ohne Handelsbeziehungen zur Außenwelt möglich war.

Wie die weitere Entwicklung beweist, hat sich dieser Neuansatz bewährt. In der Tat entstanden bald weitere solche klosterähnliche Niederlassungen und zwar nicht nur für Männer, sondern auch für Frauen. Außer den Altvätern hatten sich ja auch Frauen dazu entschlossen, in der Einsamkeit Gott zu dienen. Zahlenmäßig scheinen sie allerdings in der Minderheit gewesen zu sein. In der Weisung der Väter jedenfalls tauchen neben den 128 Abbas lediglich drei solcher Ammas (›Wüstenmütter‹) auf, nämlich Sarrha, Synkletika und Theodora.

Die Leitung der ersten Gemeinschaft von Einsiedlerinnen übertrug Pachomios seiner Schwester, die später noch einer weiteren Vereinigung von Frauen vorstand. Er selbst verlegte seinen Sitz nach Pbow (heute: Ruinen beim ägyptischen Faw Qibli), von wo aus er zuletzt neun Männerklöster leitete.

Diese rasante Entwicklung war nicht von allen gern gesehen. Manche unterstellten den Mitgliedern der neuen Genossenschaften, eine höhere Form des christlichen Lebens verkörpern zu wollen, welche die Weltleute, vor allem wenn sie verheiratet waren, nicht praktizieren konnten. Dieser Gedanke war manchen Klerikern (von denen damals die meisten verheiratet waren) ein Dorn im Auge. Immer wieder kam es auch zu Spannungen zwischen den Mönchen und Nonnen einerseits und den Bischöfen andererseits, teils wegen hierarchiekritischer Haltungen der Ersteren, die nicht der bischöflichen Jurisdiktion, sondern einem Abbas oder einer Amma unterstanden, teils weil die Vorsteher einer Diözese es nicht besonders goutierten, dass bedeutende Teile der Bevölkerung in klösterliche Gemeinschaften abwanderten. Allerdings gab es auch Bischöfe, welche die neuen Gründungen unterstützten.

Die Spiritualität dieser neuen Gemeinschaften nährte sich vor allem aus der Bibel. Von zentraler Bedeutung waren die drei ›evangelischen Räte‹, die den Verzicht auf Privatbesitz, ehelose Keuschheit und Gehorsam gegenüber den Oberen beinhalten.

Die Begeisterungfür die neuen einsiedlerischen Lebensformenschwappte von Ägypten aus schnell in den Nahen Osten, aber auch auf Griechenland und Syrien über. Dort entstanden zu Beginn des 4. Jahrhunderts eine ganze Reihe von Mönchssiedlungen und Niederlassungen von Monialen. Gleichzeitig schossen die Einsiedeleien wie Pilze aus dem Boden, sodass zunächst beide Formen untereinander koexistierten. Daneben gab es Mischformen, will sagen Siedlungen, in denen die Mönche oder Nonnen unter Leitung eines Oberen oder einer Oberin getrennt voneinander in eigenen Behausungen lebten, gleichzeitig aber regen Kontakt untereinander unterhielten.

Damit waren die Wege zum späteren ›klassischen‹ Mönchstum und gleichzeitig zu einem geistlichen und kulturellen Höhenflug des Christentums geebnet. Wobei es, dies sei schon jetzt vermerkt, immer wieder zu Entwicklungen kam, welche alles andere als ein Ruhmesblatt für die Kirche darstellen.

Abschied von der Weltoder Die Grünen sind im Kommen

Als berühmtester Vertreter des im Anschluss an die Ostkirche auch im Westen allmählich sich verbreitenden Ordenswesens gilt Martin von Tours (um 316/317–397). Geboren wurde er in Pannonien (im heutigen Ungarn) als S ohn eines römischen Offiziers. Als sein Vater nach Pavia versetzt wurde, ließ sich Martin dort unter die Taufbewerber einreihen. Im Alter von 15 Jahren trat er auf Wunsch seines Erzeugers bei einer Reiterabteilung in Gallien in den Heeresdienst; man hatte damals offenbar nichts einzuwenden gegen Kindersoldaten. Mit 18 Jahren empfing er von Hilarius, dem späteren Bischof von Poitiers, die Taufe. Noch als Soldat soll er am Stadttor einem frierenden Bettler die Hälfte seines Mantels geschenkt haben, worauf ihm, so die Legende, in der folgenden Nacht Christus erschien, bekleidet mit dem geschenkten Mantelstück. Der übrig gebliebene halbe Mantel, die capa, wie man damals sagte, wird seit jeher als kostbare Reliquie aufbewahrt, und zwar in einer eigens dafür gebauten Capella, zu deren Betreuung man einen Capellanus bestellte. Wenn Martin seinerzeit seinen Mantel nicht zerschnitten hätte, gäbe es heute weder Kapellen noch Kapläne.

Nach dem Austritt aus dem Heer lebte Martin zunächst auf der in der Nähe der ligurischen Küste gelegenen Insel Gallinara als Eremit. Anschließend zog er nach Poitiers und gründete an dem nicht weit entfernten Ort Ligugé eine Siedlung für Einsiedler, die sich bald zu einem berühmten Kloster entwickelte. Um 371 wurde Martin Bischof von Tours und errichtete auch in Marmoutier ein Kloster, das schnell zu einem in ganz Gallien bekannten geistlichen Mittelpunkt wurde. Als Bischof behielt Martin seine monastische Lebensweise bei, für deren Ausbreitung er sich gegen den Widerstand des Weltklerus weiterhin einsetzte.

Weniger bekannt aber nicht minder wirksam als Martins Initiativen sind die Impulse, die von anderen Förderern des Mönchslebens ausgingen. Erwähnt seien der nachmalige Bischof von Arles, Honoratus († 429 oder 430), der um 410 auf der Insel Lerinum (heute Lérins) bei Nizza ein Kloster gründete, dessen Mönche sich vor allem wissenschaftlich hervortaten; ferner Hieronymus (347–419), der 385, vermutlich aus Enttäuschung, dass er nach dem Tod Damasus’ I. nicht zum Bischof von Rom gewählt wurde, nach Betlehem auswanderte, wo er zusammen mit Freunden drei Frauenklöster und ein Kloster für Männer gründete, für die er auch als Berater tätig war. Unbestritten ist, dass Hieronymus die Spiritualität auch späterer Klöster nachhaltig prägte. Großen Einfluss auf die weitere Entwicklung übte auch Johannes Cassianus (360–435) aus, ein Skythe, der schon früh nach Palästina kam, sich in Betlehem und in Ägypten umsah und anschließend zehn Jahre in einer Mönchsniederlassung am Nildelta lebte, bevor er sich in der östlichen Kaiserstadt Konstantinopel in einem Kloster niederließ. Ihm verdanken wir ein Regelwerk mit dem Titel De institutis coenobiorum et de octo principalibus vitiis (Das Mönchstum und die acht Hauptlaster). Darin berichtet Cassianus vom ägyptischen Klosterleben. Eine der Hauptaufgaben eines Mönchs besteht ihm zufolge in der Bekämpfung der acht Hauptsünden (Unmäßigkeit, Unkeuschheit, Habsucht, Zorn, Traurigkeit, Überdruss, Ruhmsucht, Hochmut). Weiter lehrt Cassianus, dass die Vollkommenheit der Mönche nicht schon darin besteht, dass sie die Welt verlassen, sondern in der Übung der Tugenden. Allerdings ist es nicht nur die Meditation im Kloster, die zur Vervollkommnung führt. Dieses Ziel kann auch auf einem anderen Weg, nämlich durch das aktive Leben, das die ›Weltleute‹ führen, erreicht werden. Schon aus diesem Grund haben Mönche und Monialen keinerlei Veranlassung zur Überheblichkeit.

Von seinen Erfahrungen mit ägyptischen Mönchen berichtet Cassianus auch in den Collationes patrum, den Unterredungen mit den [Wüsten-] Vätern, eine Schrift, in der er seine Erfahrungen mit den Mönchen Ägyptens in Form von Gesprächen wiedergibt. Mit diesem Werk gelang es Cassianus, die östliche Mönchsspiritualität auch im Westen des Reiches zu verbreiten.

Große Bedeutung für die Entwicklung des Ordenswesens in den westlichen Kirchenprovinzen kam in der Folge auch der Regel des Aurelius Augustinus von Hippo (354–430) zu.

Nach dem Besuch der Grammatikschule in Madauros (dem heutigen algerischen M’Daourouch) und einem Studium der Redekunst schlug sich der gut 20-jährige Akademiker zunächst in seiner Heimatstadt Thagaste und später in Karthago als Rhetorikprofessor durch. Um 383 übersiedelte er nach Rom, worauf ihm ein Jahr danach Freunde zum Posten eines Rhetoriklehrers in Mailand verhalfen. Beeindruckt von den Predigten des dortigen Bischofs Ambrosius trennte er sich von seiner Konkubine und seinem Sohn Adeodatus und ließ sich in der Osternacht des Jahres 387 taufen. Anschließend gab er seinen Beruf auf und kehrte in seine Heimatprovinz Africa zurück. Auf einem väterlichen Landgut bei Thagaste lebte er zusammen mit gleichgesinnten Freunden in klösterlicher Zurückgezogenheit. Als er 391 während einer Reise in Hippo Regius weilte, wurde er von den Gläubigen ins Priesteramt berufen, und zum Priester geweiht. Fünf Jahre später, nach dem Tod des dortigen Bischofs, wählten sie ihn zu dessen Nachfolger. In Hippo Regius lebte Augustinus zusammen mit einer Gruppe von Presbytern in einer klosterähnlichen Gemeinschaft, bis zu seinem Tod im Jahr 430. Dort verfasste er ein paar kurze, gerade elf Punkte beinhaltende Anweisungen bezüglich des klösterlichen Zusammenlebens. Alles Wesentliche ist bereits im ersten Satz enthalten: »Vor allen Dingen soll Gott geliebt werden, sodann der Nächste; denn das sind die Hauptgebote, die uns gegeben worden sind.« Es folgen ein paar grundsätzliche, äußerst knappe Direktiven bezüglich der Gebets-, Arbeits- und Essenszeiten, wobei täglich lediglich eine Mahlzeit vorgesehen ist. Während des Essens sollen die Anwesenden der Tischlesung lauschen. Auf persönliches Eigentum müssen die Mönche verzichten; sie sollen leben wie die ersten Christen, welche der Apostelgeschichte zufolge kein Eigentum besaßen, sondern »alles gemeinsam« hatten (vgl. 4,32). Ihrem »Vater« und dem »Vorgesetzten« (d. h. dem Abt und seinem Stellvertreter) schulden die Mönche absoluten Gehorsam. Wenn die Geschäfte es erfordern, dürfen sie sich nur zu zweien aus dem Kloster entfernen. Unnötiges Geschwätz ist zu vermeiden. Wer diesen Bestimmungen hartnäckig zuwiderhandelt, verfällt »verdientermaßen der Strafdisziplin des Klosters. Wenn es sich mit seinem Alter verträgt, wird er sogar Schläge bekommen« (Nr. 10).

 

Vermutlich nur wenig später verfasste Augustinus eine etwas ausführlichere Regel, in welcher er konkrete, im Zusammenleben entstandene Situationen und Schwierigkeiten berücksichtigt, die entsprechend detailliert behandelt werden.

Entsprechend dem Beispiel des heiligen Augustinus entschlossen sich später viele Kleriker zu einem gemeinschaftlichen Leben ohne Privatbesitz. Die so entstandenen religiösen Verbände wurden auf zwei 1059 und 1063 in Rom stattfindenden Synoden ermahnt, eine einheitliche Regel einzuführen. Die meisten von ihnen entschieden sich für die Regel des heiligen Augustinus, die 1215 offiziell durch das Laterankonzil bestätigt wurde.

Der Übergang von der Spätantike zum Mittelalter ist fließend. Daher wäre es müßig, den Beginn der neuen Epoche an einem bestimmten Ereignis festzumachen – beispielsweise an der Absetzung des Romulus Augustulus, des letzten weströmischen Kaisers, durch Odoaker, einen Offizier germanischer Herkunft, der im Jahr 476 den Königstitel für Italien beanspruchte. Unbestritten ist, dass der mit dem allmählichen Verfall des Westreiches sich anbahnende Paradigmenwechsel in die Zeit vom 5. zum 6. Jahrhundert fällt. Dies wiederum bedeutet, dass eine Persönlichkeit wie Benedikt von Nursia der Antike zwar noch verhaftet, aber nicht mehr an sie gebunden ist. Und dass diese Persönlichkeit nicht nur die Klöster, sondern auch die Kirche in der Zeit von 550–1500 (also während des ganzen ›Mittelalters ‹) stark geprägt hat.

Die Benedikt zugeschriebene, bis heute gültige Ordensregel dürfte etwa um 540 entstanden sein. Wann Benedikt das Zeitliche segnete, steht nicht genau fest. Manche optieren für das Jahr 547, andere wiederum halten die Zeit um 560 für wahrscheinlich. Sicher ist, dass er die Zerstörung der Klosteranlage durch die Langobarden im Jahr 577 nicht mehr erlebte.

Seit 589 lebte auch in Rom auf dem Monte Celio eine von dem späteren Papst Gregor dem Großen gegründete Mönchsgemeinschaft nach der Regel des heiligen Benedikt. Ein Jahr später wurde Gregor zum Papst gewählt; es war dies das erste Mal, dass ein Mönch den Stuhl Petri bestieg.

Benedikt selber wurde von den Geschichtsforschenden mit mehreren hohen Titeln geehrt. 1964 hat Papst Paul VI. ihn zum Patron Europas ernannt. Manche sahen in ihm den »letzten Römer«, bezeichneten ihn als »Vater des Abendlandes« oder als »Vater Europas«. Man kann sich darüber streiten, ob diese Ehrenbezeichnungen historisch gesehen berechtigt sind. Einig aber sind sich so ziemlich alle, dass Benedikt als »Vater des abendländischen Mönchtums« zu gelten hat. Und dies vor allem dank seiner Klosterregel, welche weltweit noch heute beobachtet wird.

Mit dieser Regel hat Benedikt nichts grundlegend Neues geschaffen. Vielmehr hat er aus früheren Quellen geschöpft und diese für die Gemeinschaft von Montecassino adaptiert. Dabei beruft er sich ausdrücklich auf fremde und eigene Erfahrungen.

Ziel allen klösterlichen Tuns ist nach Benedikt die Verherrlichung Gottes (ut in omnibus glorificetur Deus). Hauptaufgabe ist die Pflege der Liturgie, verbunden mit Gebet und Meditation. Nicht minder gewichtet wird die körperliche Arbeit. Aus diesen Forderungen wurde später der benediktinische Wahlspruch »ora et labora – bete und arbeite« abgeleitet, der sich in der Regel selber nicht findet. Die klösterliche Gemeinschaft betrachtet Benedikt als Familie. Das Gemeinschaftsideal kommt dadurch zum Ausdruck, dass den Klosterleuten jeglicher Besitz untersagt ist. Untereinander sind sie wie Brüder oder Schwestern – sie leben ehelos. Die Mahlzeiten werden gemeinsam eingenommen. Soziale Unterschiede sind zu ignorieren. Damit ist der Unterschied zwischen Sklaven und Freien, aber auch zwischen ›zivilisierten‹ Römern und ›barbarischen‹ Germanen aufgehoben. An der Spitze dieser ›Familie‹ steht der Abt bzw. die Äbtissin, denen eine fast absolute Macht zugestanden wird. Gleichzeitig fällt auf, dass an keine Adresse mehr Warnungen ergehen als an die des Abtes bzw. der Äbtissin. Benedikt rechnet also sehr realistisch damit, dass die Oberen vieles falsch machen können. Allerdings ist damit das strukturelle Problem nicht gelöst – was geschieht, wenn der Abt oder die Äbtissin diese Mahnungen nicht ernst nehmen? In jedem Fall schulden die Mönche und Nonnen den Oberen uneingeschränkten Gehorsam. Wichtig ist die stabilitasloci, die Ortsgebundenheit. Diese Forderung schließt die Bereitschaft ein, für immer in dem Kloster zu bleiben, in welches man eingetreten ist. Damit soll dem in der Regel gleich zu Beginn beklagten Umherschweifen der Mönche Einhalt geboten werden. Bedenken äußert Benedikt gegenüber einer übertriebenen Askese, die leicht zum Stolz und zur Verachtung anderer verleitet. Für ihn ist jedes Kloster ein Haus der Hoffnung, an dem die Mönche und Nonnen lebenslang weiterbauen.

Wenn hier entsprechend der inzwischen üblichen Terminologie gelegentlich vom Benediktinerorden die Rede ist, trifft dieser Begriff nur bedingt zu. Eigentlich müssten wir vom Benediktinertum sprechen. Denn genauso wenig wie Augustinus dachte Benedikt daran, einen Orden zu gründen. Seine Regel hat er lediglich für ›seine‹ Mönche im Kloster Montecassino konzipiert. Schon bald jedoch orientierten sich immer mehr Mönchs- und Monialengemeinschaften an der Benediktsregel – dies vor allem im fränkischen Merowingerreich, in England und in Gallien, wo sie in Verbindung mit anderen Mönchsregeln rezipiert wurde. Auf diese Weise entstanden zahlreiche sogenannte Mischregeln. Als dann im Fränkischen Reich im 8. Jahrhundert immer mehr Mönchs- und Nonnenklöster gegründet wurden, drangen vor allem die karolingischen Herrscher auf eine Vereinheitlichung des klösterlichen Lebens – und auf dessen Reform. Im Lauf der Jahre und Jahrzehnte nämlich war die Fackel der Begeisterung für die klösterliche Lebensweise gelegentlich zu einem Armenseelenlicht verkommen. Laxheit breitete sich aus und statt auf geistliche Zucht waren manche Mönche und Nonnen eher auf weltliche Lüste bedacht. Immer wieder lesen wir in zeitgenössischen Klosterchroniken, dass auch Klosterleute gegen homo- und heterosexuelle Beziehungen nicht immun waren; dass Nonnen Kinder zur Welt brachten, deren Väter längst nicht in jedem Fall ein Mönchsdasein fristeten, oder dass die Gaumenfreuden oft höher gewichtet wurden als die geltenden Fastenregeln.

Beim Bekämpfen solcher Missstände wurden die weltlichen Herrscher tatkräftig unterstützt von dem Abt Benedikt von Aniane (in Südfrankreich; um 750–821), der seine Jugend am Hof Karls des Großen verbracht hatte. Sein Reformprogramm war knapp und klar: Una regula – una consuetudo (eine Regel – ein Brauchtum). Dieses Postulat vermochte er mithilfe Kaiser Ludwigs des Frommen, des Sohnes und Nachfolgers Karls des Großen durchzusetzen, so dass vorerst nur noch eine einzige Klosterregel, nämlich jene des heiligen Benedikt von Nursia Geltung hatte. Diese allerdings wurde entsprechend den inzwischen veränderten Zeitläuften an die neuen Verhältnisse adaptiert und unter dem Titel Capitulare monasticum (Monastisches Kapitelbuch) ediert – was mit sich brachte, dass nicht Benedikt von Nursia, sondern mit größerem Recht Benedikt von Aniane als eigentlicher Begründer des Benediktinertums gelten kann. Dies umso mehr, als das benediktinische Mönchstum mit dieser Reform gleichzeitig drei Entscheidungen von höchster Tragweite traf, von denen in der ursprünglichen Benediktregel kaum Spuren zu finden sind, die aber bis heute nachwirken.