El Raval

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Auf der Rückfahrt sprach keiner der beiden ein Wort. Sicherlich hatten sich Pep und Xavi die Angelegenheit ein wenig einfacher vorgestellt und das nächste Mal würde man diese Arbeit nach Möglichkeit dann doch lieber den Kollegen vor Ort überlassen.

In Barcelona angekommen, es war bereits Abend geworden, fuhren die beiden sofort in ihr Viertel zurück. Die ersten Zeugen mussten verhört werden. Xavi hatte sich am gestrigen Morgen einige Namen von Nachbarn notiert, die sich großzügigerweise als Zeugen zur Verfügung stellen wollten. Diese galt es jetzt erst einmal ausfindig zu machen.

»Als Erstes werden wir uns mal die alte Conchita vornehmen. Die weiß immer alles, und wenn sie auch viel Blödsinn erzählt«, meinte Pep.

Die in die Jahre gekommene Conchi war schnell gefunden und wie immer sehr gesprächig.

»Ich habe so einige Freier gesehen, die bei ihr herumlungerten. Die Melisa hat einige Stammkunden gehabt«, sprudelte es aus ihr heraus.

»Kannst du uns einige Namen nennen?«

»Leider kenne ich einige auch nur flüchtig und kann dir nur sagen, wie sie aussehen. Die Melisa hatte immer den kleinen Friseur Bernardo aus der Peluquería in der Carrer Sant Pau zu Besuch und noch so einige Moros.«

Mit Moros waren die Nordafrikaner gemeint, die im Barrio Chino unter besonderer Beobachtung standen. In der Mehrzahl waren es Marokkaner, die aus den spanischen Enklaven Melilla und Ceuta zugewandert waren.

»Der Sohn des marokkanischen Metzgers aus der Carrer den Robador lungerte hier am Abend auch herum, ich glaube der gehörte auch zu ihren Stammfreiern«, sagte Conchita mit einem neidischen Unterton.

»Wie spät war es denn, als du sie gesehen hast?«

»Es muss so um Mitternacht gewesen sein.«

Der Todeszeitpunkt, den Doc Montes aufgrund der Körpertemperatur ermittelt hatte, lag zwischen drei und vier Uhr.

»Die Tat ist in den frühen Morgenstunden geschehen, Conchi, eigentlich interessiert mich die Zeit nach Mitternacht.«

»Darüber weiß ich nichts, aber du solltest einmal den Cobrador de Frac befragen, der übernachtet manchmal bei ihr«, sagte Conchita schnippisch.

Cobradores de frac waren Schuldeneintreiber, die sich mit einem Frack bekleideten und einen schwarzen Zylinder auf dem Kopf trugen. In ganz Spanien gefürchtete Männer, die von Amtswegen beauftragt waren, Schulden einzutreiben. Ihre schwarze Kleidung war kompromittierend und löste überall großes Aufsehen aus. Eine sehr merkwürdige aber wirksame Methode, Schulden einzutreiben. Die Scham war groß, und die Vorstellung, dass eines Tages der schwarze Mann vor ihrer Haustür stehen würde, machte einige Leute zu braven Zahlern.

Allerdings gab es da noch den Stadtteil El Raval, das Barrio Chino. Hier hatte sich seit einigen Jahren der Schuldeneintreiber nicht mehr sehen gelassen. Nicht nur, weil die Kinder schreiend hinter ihm herliefen und ihm die Luft aus den Reifen seines klapprigen SEAT gelassen hatten, sondern weil die kompromittierende Kleidung des Schuldeneintreibers absolut seine Wirkung verfehlte. Hier hielt sich die Scham, Schulden zu haben in Grenzen.

Pep schaute Conchita eine Weile an und schüttelte ungläubig den Kopf. »Cobrador de frac? Jetzt ist es aber gut, Conchi, ich habe schon seit Jahren hier keinen mehr gesehen.«

»Der hat aber immer bei ihr übernachtet, wenn er hier in der Gegend war.«

»Und dann wartet er im Hausflur, um sie umzubringen? Was ist das denn für ein Blödsinn?«

Es sah so aus, als ob Conchita alle Leute anschwärzen wollte, die ihr irgendwann einmal zu nahe getreten waren und Pep hatte das Gefühl, die Konversation schleunigst beenden zu müssen. Die Einzigen, die es zurzeit zu verhören galt, waren der Friseur und der Fleischer.

Für die beiden noch unerfahrenen Inspektoren, die eigentlich noch gar keine Indizien hatten und vor einer schier unlösbaren Aufgabe zu stehen schienen, war eines bewusst, ein Motiv war nicht zu erkennen.

Hier war ein Serientäter am Werk, der sich wahllos unter den Huren eine aussuchte, um sie bestialisch zu ermorden. Er hatte wohl keine Beziehung zu seinen Opfern, er beraubte seine Opfer nicht und war an Sex nicht interessiert. Es war ein Albtraum, aus dem man nicht so schnell wieder erwachen sollte. Und eines war klar: Der Täter würde nicht aufhören zu töten, bis er gefasst würde.

Als die beiden Inspektoren am späten Abend den Friseurladen in der Carrer Sant Pau betraten, war der Salon noch voller Leute, die alle darauf warteten, frisiert oder rasiert zu werden. Die Türen und Fenster standen offen, um ein wenig Luft hineinzulassen. Es war außergewöhnlich warm und in dem kleinen Friseursalon roch es nach Tabak und billigem Rasierwasser.

Die Ventilatoren unter der Decke des Raumes wirbelten die stickige Luft durch den Raum und sorgten eigentlich nur wenig für Erfrischung. Die wartenden Kunden diskutierten heftig über Fußball.

Die Gespräche verstummten sofort, als die beiden Polizisten den Raum betraten. Jeder hatte so einiges zu verbergen und überhaupt, man wollte mit der Polizei nichts zu tun haben.

»Bernardo, wir haben was mit dir zu besprechen«, sagte Pep zu dem kleinen Mann, der eifrig damit beschäftigt war, einem Kunden die Haare zu schneiden.

»Worum geht es denn?«, fragte der kleine Friseur unschuldig und zugleich etwas nervös und legte den Zigarettenstummel, den er in seinem Mund trug, in einen Aschebecher.

»Das werden wir dir schon sagen. Entweder, wir nehmen dich jetzt mit oder du beantwortest mir jetzt sofort einige Fragen. Lass mal deinen Chef weitermachen und wir unterhalten uns draußen vor der Tür.«

Bernardo tat, wie ihm geheißen, und als er auf die Straße trat, stellte Pep fest, dass der Friseur mit seinem schmutzigen weißen Kittel noch kleiner war als er ihn in Erinnerung hatte.

Er mochte wohl kaum einen Meter sechzig groß sein und er konnte sich nicht vorstellen, wie der kleine Mann eine Frau wie Melisa umbringen könnte.

»Wann warst du am Mittwoch bei Melisa?«

Der kleine Friseur schaute den Inspektor verdutzt an. Er schien etwas verwundert, dass man schon herausgefunden hatte, dass er am Tatabend bei der Ermordeten gewesen war.

»Ich war in der Zeit von elf Uhr bis elf Uhr dreißig bei Melisa, ich habe sie nur eine halbe Stunde gesehen«, sagte Bernardo nervös. »Als ich ging, war sie noch munter wie ein Fisch.«

Er hatte sicherlich etwas zu verbergen, aber Mord, das war eine Nummer zu groß für den kleinen Friseur.

»Was rauchst du für eine Zigarettenmarke?«

»Ich rauche Ducados«, bemerkte Bernardo.

Der Friseur hätte zwar die Möglichkeit, mit einem scharfen Rasiermesser jemandem die Kehle durchzuschneiden, aber zum einen war er Rechtshänder und zum anderen konnte man mit einem Rasiermesser keine Stichverletzungen verursachen. Bernardo passte also nicht wirklich ins Täterprofil.

Eigentlich hatten die beiden Hurenmorde, die Vorgesetzten von Pep und Xavi nicht besonders beunruhigt.

Prostituierte lebten immer noch am Rande der Gesellschaft, und wenn man den Täter nicht gerade auf frischer Tat erwischte, wurden die Fälle ganz schnell zu den Akten gelegt. In der Vergangenheit kamen Kapitalverbrechen nicht an die Öffentlichkeit, weil es im ehemaligen Franco-Regime Verbrechen dieser Art nicht geben durfte. Solange kein öffentliches Interesse bestand, wurde gar nicht erst ermittelt. wollte.

Allerdings hatte sich die Situation ein wenig verändert Der Mord an Melisa Agramontes hatte es auf die erste Seite der Tageszeitung La Vanguardia geschafft. Die Medien waren der Meinung, dass der Bürger ein Recht habe, die Wahrheit zu erfahren. Die Tageszeitungen forderten endlich ihr Recht auf freie Berichterstattung und wollten selbstverständlich Details wissen. Pressekonferenzen wurden gefordert und denen, musste sich Lopez wohl oder übel stellen.

Es war mittlerweile einundzwanzig Uhr dreißig geworden und die beiden Inspektoren entschlossen sich, noch den Sohn des marokkanischen Metzgers zu verhören.

Sie betraten den Laden in der Carrer den Robador, der noch geöffnet war.

Es war gewöhnungsbedürftig, wie der Moro seine Produkte feilbot. An der Wand hingen einige größere Fleischbrocken, an denen sich bereits die Fliegen zu schaffen machten. Es schien Hammel oder Lamm sein.

Über dem Verkaufstresen hing eine Stange, an der auf einigen Haken Hühner zum Verkauf angeboten wurden.

Auf der Schulter des Marokkaners, der hinter dem Tresen stand, waren Bluttropfen, die wohl beim Hinüberbeugen über den Ladentresen von den Hühnern herabgetropft waren. Vor dem Tresen standen Frauen mit Kopftüchern, die noch auf die Bedienung warteten. Der Fleischer schien in diesem kleinen schmuddeligen Laden gute Geschäfte zu machen.

Die hygienischen Verhältnisse waren ein Fall für die Gesundheitsbehörde, aber das war eine andere Abteilung und deshalb war man auch nicht hier.

Die beiden Inspektoren zogen ihre Polizeimarken aus der Tasche und kamen sofort zum Punkt.

»Sie sind der Inhaber dieses Ladens?«, wollte Pep wissen.

»Ich habe jetzt leider keine Zeit, Sie sehen doch, dass ich noch Kundschaft habe«, sagte der Mann frech und verwies mit einer Handbewegung auf seine Kunden.

»Ich werde Sie gleich mit auf die Jefatura nehmen, dann haben sie die ganze Nacht Zeit. Und außerdem möchte ich mal Ihre Apertura, die Erlaubnis sehen.«

Der Fleischer zog jetzt etwas nervös und hastig seine Papiere aus einer Schublade hervor.

Die Dokumente schienen in Ordnung zu sein und Pep hatte längst festgestellt, dass der Mann, im Gegensatz zu vielen Muslimen, Rechtshänder war. Die Dokumente waren auf Hassan Maluó ausgestellt.

»Und Sie haben einen Sohn?«

 

»Ich habe drei Söhne, Señor, zwei leben in Sevilla und der älteste lebt in Barcelona bei mir.«

»Wie heißt Ihr Sohn und wo wohnt er?«

»Mein Sohn heißt genauso wie ich, Hassan Maluó, und ist seit ein paar Tagen verreist. Er ist einige Tage zu seinen Brüdern nach Sevilla gefahren.«

»Wann ist er denn gefahren und wann kommt er zurück?«, wollte Pep wissen.

»Er ist am Mittwochvormittag mit dem Zug gefahren und kommt morgen Abend zurück.«

»Zum Abschluss noch eine Frage: Rauchen Sie oder Ihr Sohn?«

Der Marokkaner verstand die Frage offensichtlich nicht und schaute den Inspektor erstaunt an.

»Ich rauche nicht, das verbietet meine Religion. Mein Sohn ist allerdings Raucher.«

»Und kennen Sie die Zigarettenmarke, die Ihr Sohn raucht?«

»Nein, leider nicht, aber Sie können ihn ja selber fragen, wenn er wieder da ist«, bemerkte der Fleischer. Eines war Pep sofort aufgefallen: Wie konnte der Moro Mittwochvormittag mit dem Zug nach Sevilla gefahren sein, wenn er am Abend von Conchita noch gesehen wurde? Entweder stimmte die Aussage der alten Conchi nicht oder der Fleischer log.

Xavi hatte sich alle Einzelheiten der Befragung akribisch aufgeschrieben und die beiden entschieden sich, die Ermittlungen am nächsten Tag fortzusetzen. Es war immerhin bereits dreiundzwanzig Uhr geworden.

Am nächsten Morgen schellte schon um neun Uhr das Telefon. Pep und Xavi waren gerade im Büro angekommen. Am Telefon war Laura, die Neuigkeiten hatte.

»Ich habe etwas zu den Fußspuren ermitteln können. Das Profil kann eindeutig einem Sportschuh der Marke Paredes zugeordnet werden«, sagte Laura stolz.

»Danke Laura, das könnte uns weiterbringen.«

Pep bedankte sich freundlich, obwohl er dachte, dass es in Barcelona sicherlich einige hunderttausende gab, die diese Sportschuhe trugen.

Inzwischen war auch Kommissar Lopez eingetroffen, der sich, wie immer, zunächst einmal den obligatorischen verbalen Bericht geben ließ.

Für das schriftliche Protokoll war Xavi zuständig, der sich dieser unerfreulichen Arbeit wie immer mit einer unglaublichen Akribie annahm.

Lopez war aufgefallen, dass die beiden etwas überarbeitet aussahen und brachte das mit einem »ihr solltet mal etwas früher ins Bett gehen« zum Ausdruck. Pep und Xavi konnten dem gut gemeinten Rat ihres Chefs, der sich eher nach Spott anhörte, nichts abgewinnen.

Pep hatte unlängst Doc Montes gefragt, wie er das Erlebte vom Tage verarbeite und Montes hatte gesagt: »Du musst lernen, den Dreck nicht mit nach Hause zu nehmen. Sonst bist du bald reif fürs Irrenhaus.«

Der Doc hatte sicherlich recht. In den letzten zwei Tagen war sehr viel passiert und die Bemerkung des Kommissars hatte sicherlich seine Berechtigung.

Beide mussten lernen, sich in Gelassenheit zu üben und sich nicht von Gefühlen leiten zu lassen.

Immerhin war nach Ansicht ihrer Vorgesetzten nicht viel passiert. Es waren ja ›nur‹ zwei Huren umgebracht worden.

Inzwischen hatte sich Xavi eine große Sperrholzplatte aus einer Tischlerei besorgt und diese an der Bürowand der beiden Inspektoren anbringen lassen. Auf diese Platte heftete er das Bild der Ermordeten. An den linken Rand schrieb er, was man inzwischen ermittelt hatte. Er versuchte, auf diese Weise eine Art Täterprofil zu erstellen. Pep war beeindruckt von der Kreativität seines Kollegen und froh, dass er jemanden hatte, der ihm diese Arbeit abnahm. Allerdings wussten die beiden unerfahrenen Polizisten auch, dass sie nichts Verwertbares hatten. Sie kamen sich vor wie zwei, die hilflos in einem Heuhaufen stocherten und nach der berühmten Stecknadel suchten.

Es waren Tage vergangen und die beiden Polizisten saßen sich einmal mehr nachdenklich gegenüber und schauten auf das von Xavi angefertigte Profil. Am nächsten Morgen fuhren die beiden Inspektoren in ihr Viertel, um weitere Verdächtige ausfindig zu machen.

Conchita hatte beiläufig etwas von dem Zigeuner Manolo erzählt, der täglich durch das Barrio Chino fuhr und seine Dienste als Scherenschleifer anbot.

Er fuhr ein altes Motorrad der Marke Bultaco, auf dem am hinteren Teil ein Schleifstein angebracht war. Angetrieben wurde das Gerät mit einem Keilriemen über das Hinterrad, welches aufgebockt werden konnte und mit laufendem Motor den Schleifstein zum Rotieren brachte.

Manolo kündigte sich immer mittels einer art Panflöte an, die so laut war, dass jeder im Viertel sofort wusste, dass der Scherenschleifer in der Nähe war. Die Leute kamen mit ihren Messern oder Scheren aus ihren Häusern, um sich diese von dem schmuddeligen Zigeuner schärfen zu lassen.

Der Zigeuner war dafür bekannt, dass er einen großen Teil seiner täglichen Einnahmen zu den Huren trug. Conchita hatte ihn wohl neidisch erwähnt, weil Manolo sich inzwischen den jüngeren Frauen zuwandte.

Ihn ausfindig zu machen war relativ einfach, man brauchte nur dem Gedudel seiner Flöte nachgehen.

Xavi und Pep mussten das Verhör auf der Straße führen. Sie konnten den Scherenschleifer auf keinen Fall auf die Jefatura mitnehmen, weil das zwangsläufig dazu geführt hätte, dass Manolo das Motorrad hätte stehen lassen müssen. Am nächsten Tag wäre der Mann garantiert arbeitslos gewesen, weil das Gefährt innerhalb kürzester Zeit seinen Besitzer gewechselt hätte.

»Hola Manolo«, begrüßte Pep den Scherenschleifer freundlich.

»Hola Pep.«

Der Scherenschleifer hatte sich bestimmt seit Tagen nicht gewaschen und seine Kleidung hatte sicherlich seit geraumer Zeit kein Wasser mehr gesehen. Sein Körpergeruch war so penetrant, dass Pep die Distanz zwischen sich und dem Zigeuner vergrößern musste.

»Wo warst du in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag?«

»Nee, Pep, damit habe ich nichts zu tun. Ich war bei meiner Familie zu Hause und bin schon früh schlafen gegangen.«

»Ich staune, dass du weißt, worüber ich mit dir reden will.«

»Ist doch klar, alle im Barrio reden nur über dieses Thema.«

»Kann jemand bezeugen, dass du zu Hause warst?«

»Auf jeden Fall kann meine ganze Familie das bezeugen«, sagte der Scherenschleifer.

Manolo wäre aufgrund der Werkzeuge, mit denen er täglich hantierte, sicherlich in der Lage gewesen, diese Tat auszuführen. Allerdings war er Rechtshänder und Zigarrenraucher. Wenn seine Familie bestätigen konnte, dass er in der Tatnacht zuhause war, und das würde sie mit Sicherheit tun, kam er als Täter erst einmal nicht infrage.

»Wann, hat der Moro gesagt, kommt sein Sohn zurück?«, fragte Pep.

Xavi zog seinen kleinen Schreibblock aus der Tasche, auf dem er alles aufschrieb, was ihm wichtig erschien.

»Ich meine, er hat heute Abend gesagt, wobei er keine Uhrzeit genannt hat.« Er ärgerte sich, nicht danach gefragt zu haben.

»Na gut, dann werden wir ihn heute Abend mal aufsuchen.«

Es war inzwischen einundzwanzig Uhr geworden und die beiden Polizisten hätten sich um diese Uhrzeit sicherlich etwas Besseres vorstellen können als irgendwelche Verdächtige zu verhören. Es war August und die Geschäfte waren bis dreiundzwanzig Uhr geöffnet, so auch das des marokkanischen Fleischers.

Als sie den Laden betraten, bemerkten sie, dass ein Mann mittleren Alters hinter dem Tresen stand. Er sah dem Mann sehr ähnlich, den sie am gestrigen Abend verhört hatten. Er mochte um die vierzig Jahre alt sein und Pep erkannte sofort, dass er der Sohn des Fleischers war.

»Sie sind der Sohn von Hassan Maluó?«

»Das bin ich, und wer sind Sie?«, fragte der Mann höflich.

»Mein Name ist José Cardona«, sagte Pep und hielt ihm seine Polizeimarke unter die Nase.

»Sie werden mir jetzt mal sagen, wo Sie am Mittwochabend waren.«

»Ich bin am Mittwochmorgen mit dem Zug zu meinen Brüdern nach Sevilla gefahren.«

Der Mann drehte sich um und zog aus einer Schublade zwei Billetts, die Ähnlichkeit mit Flugtickets hatten.

Es waren die Hin- und Rückbillets der Renfe, der spanischen Eisenbahngesellschaft. Das war ziemlich eindeutig und zugleich ernüchternd für die beiden Polizisten.

Die Billetts waren auf Hassan Maluó ausgestellt und er hatte am Mittwoch den siebenundzwanzigsten um neun Uhr zwanzig seine Reise auf dem Bahnhof Estación Sants in Richtung Sevilla angetreten.

Der Mann war Linkshänder und zugleich starker Raucher, was man unschwer an seinen gelben Fingern erkennen konnte.

Pep vermied es bewusst, den Marokkaner nach seinen Rauchgewohnheiten zu fragen, weil es für ihn sicherlich ein Leichtes gewesen wäre, eine andere Zigarettenmarke zu nennen.

»Also hat der Moro auch ein wasserdichtes Alibi«, sagte Pep enttäuscht.

»Es sei denn, er hat klugerweise zwei Bahnbilletts gekauft und benutzt dieses auf den siebenundzwanzigsten August ausgestellte als Beweis«, sagte Xavi.

Pep war von der Theorie seines Kollegen überrascht und schaute ihn eine Weile an.

»Das könnte sein, aber für so schlau halte ich den Moro nicht und außerdem, wie sollen wir das beweisen?«, meinte Pep nachdenklich.

In den nächsten Tagen wurden noch einige Leute befragt, die für die Tatzeit ein Alibi hatten, oder zum fraglichen Zeitpunkt gar nicht vor Ort gewesen waren.

Pep und Xavi waren mit ihren Ermittlungen in eine Zwickmühle geraten, aus der es kein Entrinnen zu geben schien.

Comisario Antonio Lopez regte das alles nicht besonders auf. Er war aus einer Zeit, in der man Hurenmorde als Randnotiz zur Kenntnis genommen hatte. Wenn man den Täter nicht in flagranti erwischt hatte, wurde die Akte schnellstens geschlossen. Überhaupt war man in Sachen Polizeiarbeit nicht besonders fortschrittlich gewesen.

Fingerabdrücke versuchte man in tagelanger und mühsamer Kleinarbeit, den Tätern zuzuordnen. Man war schlecht ausgerüstet und es würde sicherlich noch Jahre dauern, um den europäischen Standard zu erreichen.

Die beiden Polizisten sahen das Ganze nicht so gelassen. Sie verspürten zwar keinen Druck von oben, aber immerhin wollten und brauchten beide den Erfolg. Sie waren ehrgeizig und wollten diesen Fall trotz ihrer Unerfahrenheit baldmöglichst zum Abschluss bringen.

Es waren bereits einige Wochen vergangen und man war wieder zur Normalität übergegangen. Im Barrio war, bis auf die Tatsache, dass die Huren sich ihre Freier jetzt besser anschauten, wieder alles beim Alten.

Allerdings hatten die Damen, die ihre Liebesdienste in Barrio Chino anboten, inzwischen Konkurrenz bekommen.

Es hatte sich eine Vielzahl von Südamerikanerinnen in Barcelona angesiedelt, die den alteingesessenen Huren mit einer schnellen Nummer hinter irgendeiner Hausmauer die Preise verdarben. Der Straßenstrich in El Raval war geboren.

Es war bei der Vielzahl an Ausländern schwer geworden, zu erkennen, wer sich legal und wer sich illegal im Lande aufhielt. Die Südamerikaner sprachen die gleiche Sprache und die geografische Lage der katalanischen Hauptstadt erlaubte es irgendwelchen zwielichtigen Gestalten, in El Raval Unterschlupf zu finden und genauso schnell wieder zu verschwinden. In dieser Zeit verstand man es bei der Polizei, die Situationen sehr pragmatisch zu lösen.

Wenn man einen Illegalen oder eine illegale Hure aufgelesen hatte, wurde dem Delinquenten ein wenig Wegzoll abverlangt und danach war er oder sie wieder frei. Es war immer noch alles käuflich, auch die Freiheit. Das sollte sich in naher Zukunft nicht so schnell ändern.

Die Inspektoren Pep und Xavi taten weiterhin ihren Dienst im Barrio und versäumten nicht, immer wieder Leute zu verhören, die eventuell im Zusammenhang mit dem Mord an Melisa Agramontes oder dem ersten Opfer, Helen Baker, etwas hätten aussagen können. Beiden war klar, dass sie es hier mit einer außergewöhnlichen Situation zu tun hatten. Ein Serienmörder hat keine Beziehungen zu seinem Opfer. Hier wurden die Opfer weder beraubt noch sexuell missbraucht, was die Sache nicht einfacher machte. Das einzige, was allen klar war, war, dass es bald wieder passieren würde. Es sollte nicht sehr lange dauern, bis ihre Befürchtungen bestätigt wurden.

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