Die Schlacht um Viedana: Die Abenteuer der Koboldbande (Band 2)

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Nur wenig später hatte der Kobold alles vorbereitet. Auf dem Boden lag ein einfaches Leinentuch. Darauf hatte Artur einen Kreis und viele geheimnisvolle Zeichen gemalt. Aothes begutachtete das Tuch und setzte sich in den Kreis. Er erkannte gleich, dass der Kobold etwas vom Zaubern verstand. Trotzdem hatte er ein mulmiges Gefühl im Magen. »Lieber Kobold, du bist dir doch deiner Sache sicher? Ich meine, du weißt, was du tust?« Artur nickte nur und zeigte Barbaron seinen Platz. »So, du mein kleiner König, hältst den blauen Kristall bereit und stellst dich vor ihn hin. Auf mein Zeichen lässt du den Iht-Dag schweben. Nur so ein klein wenig.« Artur stellte sich hinter Aothes auf. Er hielt die Perle über ihn und begann mit seinen magischen Beschwörungen. Mit Hilfe seines Zauberstabs ließ er die Perle hell erstrahlen. Dann nickte er Barbaron zu. Der beschwor den Kristall. Er leuchtete auf und Aothes schwebte über dem Tuch.

Artur sprach einen Zauberspruch nach dem anderen aus. Er nutzte sein gesamtes Wissen über die Magie. Die Sprache, die er jetzt anwendete, kannten hier im Hort nur er und Aothes. Sie war sehr alt. Nur die ältesten der weisen Zauberer hatten sie in grauer Vorzeit verwendet. Artur konnte selbst nicht sagen, woher ausgerechnet er diese Sprache kannte. Vielleicht war sie ein Teil seiner magischen Begabung. Doch ihr Nutzen war ohne Zweifel groß. Schon nach wenigen Augenblicken bewegte sich das Horn auf Aothes Stirn. Der rote Kristall in Arturs Zauberstab erstrahlte taghell und sein Licht ging in Aothes über. Dieser hatte die Augen geschlossen. Er hielt seine Hände in die Höhe und ergab sich so ganz der Magie des Kobolds. Dann ging alles ganz schnell. Für den Bruchteil eines Augenblicks saugte die Magie alles Licht im Saal in Aothes hinein. Dann brach das Licht wieder aus ihm heraus und Aothes fiel zu Boden. Das Leinentuch war zu Staub zerfallen und in diesem Staub lag nun kein Iht-Dag mehr. Nein, es war der nackte Körper eines Elfen. Artur sah ihn auf die Stirn. Das Horn war verschwunden. Er sah sich die Perle an und entdeckte das Horn, ganz winzig klein, in ihrer Mitte wieder. Er nahm einen Hammer, legte die Perle auf den Boden und zermalmte sie zu Pulver. Dann sah er Barbaron an. »Und wieder haben wir einmal mehr gezeigt, dass wir gemeinsam dem bösen Treiben dieses Dämonicon entgegentreten können. Man reiche mir das feinste Tuch und das weichste Leder. Nur ein kleines Stück von jedem. Ich will jetzt im Handumdrehen die Kleider und die Stiefel für einen wiedergeborenen Elfenfürsten fertigen.«

Während er das tat, kümmerten sich Tabor und die Trolle um den geschwächten Flussland-Elfen. Sie hüllten ihn in Decken und gaben ihm etwas zu Essen. Es dauerte eine Weile, doch nach und nach begriff Aothes die glückliche Wendung seines Schicksals. Nachdem er sich gestärkt und auch der letzte Minitroll ihm die Hände geschüttelt hatte, zog er sich seine neuen Kleider an und stellte sich auf. Er überragte jetzt Artur um mehr als eine Haupteslänge und sein Körper war elegant und kraftvoll. Der lange Schwanz war weg. Die Ohren waren klein und nur an ihrem oberen Ende etwas spitz. Sein Haar hing ihm, rotblond glänzend, über die Schultern. Seine Haut hatte jetzt das edle blasse Weiß eines jeden Flussland-Elfen.

Im spiegelnden Boden betrachtete er sich verzückt. Er konnte sein Glück kaum fassen. Doch dann sah Aothes weiter in das Eis nach unten. Da waren die Drachen. Jene armen Geschöpfe, die seinem einstigen Meister immer noch im Wege waren. Er drehte sich zu seinen neuen Freunden um und zeigte auf die Pyramide. »Mit dieser Pyramide habe ich einst dem Dämonicon gedient. Er hat sicher gedacht, das wäre für alle Zeiten so. Doch er hat sich geirrt.« Aothes stellte sich neben die Pyramide und berührte sie. Ein Eingang öffnete sich. »In ihr ist das Mundstück. Wir werden es uns holen. Das Eis um den Hort braucht noch einige Stunden. Doch wenn der nächste Morgen dämmert, wird es den Hort mit aller Wucht unter sich begraben. Bis dahin sollten wir verschwunden sein. Also dann, wer möchte mir folgen?«

Aothes ging als erstes in die Pyramide, Artur und Tabor folgten ihm sofort. Die Minitrolle zögerten kurz, doch Barbaron fasste sich ein Herz und ging seinem Volk voran. Nur die Eistrolle blieben zurück. Ihnen war der Eingang einfach zu klein. Als letzter Minitroll ging der Hauptmann. Er zeigte mit seinem Bogen zu Emmes, Will und Rogg. »Ihr drei haltet hier Wache, und denkt daran, was Artur gesagt hat. Nichts anfassen, also lasst eure Pranken da wo sie gerade sind.«

Rogg machte ein böses Gesicht und knurrte den Hauptmann an. »Verzieh dich, du Naseweis. Und behalte deine dummen Sprüche für dich.«

Jetzt beeilte sich der Hauptmann. Kichernd betrat auch er die Pyramide. Sie schloss sich hinter ihm und er hörte das Ah und Oh der staunenden Kameraden vor ihm. Sie standen in einer von Gold und Juwelen glänzenden und glitzernden Höhlenwelt. Aothes stellte sich auf einen niedrigen Felsvorsprung und zeigte mit seiner linken Hand in die Höhle hinein. »Wir befinden uns hier in einer von drei Welten. Das hier ist die Schatzwelt, dann gibt es noch die Wüstenwelt und die Wasserwelt. Wir müssen jetzt nur in dieser Schatzwelt in der Höhle weiter gehen. Dann gelangen wir an einen Turm. Dort wird das Mundstück aufbewahrt. Da es sich bei allen drei Welten um ein Spiel handelt, werden wir bestimmte Regeln befolgen müssen. Sonst haben wir keinen Erfolg und müssen immer wieder erneut zum Anfang dieser Welt zurück.«

Barbaron fiel sogleich Aothes ins Wort: »Dann erkläre uns mal ganz schnell diese Regeln, denn wir haben nicht viel Zeit.«

Aothes hob beschwichtigend beide Hände. »Oh, nur keine Bange. In dieser Pyramide ruht die Zeit ganz still. Da in ihr die Bedeutung von Zeit und Raum aufgehoben ist, könnte ich noch viele Welten in ihr erschaffen. Wenn wir wieder den Hort betreten, werden sich die Eistrolle wundern, dass wir so schnell sind. Der Flügelschlag einer Biene dauert hier weit mehr als ein ganzes Zeitalter. Wir haben also Zeit genug und können tausend Mal oder mehr zum Anfang zurück. Doch das wollen wir jetzt nicht. Also hört mir zu. Die Sache ist sehr einfach. Tabor geht in den Turm hinein. Dort findet er drei Schatztruhen. Er kann alle drei öffnen. Doch nur in einer dieser Truhen befindet sich das richtige Mundstück. Das steckt er sich ein. Sollte er noch etwas anderes mitnehmen, so finden wir den Ausgang erst wieder, wenn er es zurück in die Truhe gelegt hat. Macht er im Turm alles richtig, so muss er so schnell er kann zum Ausgang zurück.« Aothes beugte sich ein wenig zu Tabor hinunter und sprach weiter. »Schau dich nicht um. Der Turm wird dir etwas hinterher schicken. Er wird das Mundstück zurückhaben wollen. Du musst schnell sein. Ich selbst weiß nie, was er für Kreaturen schickt, doch es sind immer drei. Sobald sie haben, was sie wollen, lassen sie dich in Ruhe. Du kannst dann das Spiel immer wieder beginnen.« Aothes sprang auf den Weg zurück und klopfte Tabor auf die Schultern. »Du schaffst das schon. Was immer dir folgen wird, das werden wir aufhalten.«

Der Elfenfürst führte seine neuen Freunde durch die Höhle. Sie endete in einer dunklen Felsenhalle, die so groß war, dass man viele Stunden in ihr umherwandern konnte, ohne das Ende auch nur sehen zu können. Bis zum Turm war es glücklicherweise nicht so weit. Er stand auf einem kleinen Hügel und der Glanz seines goldenen Daches lockte schon von weitem.

Am Turm angekommen, erklärte Aothes dem Drachenjungen noch einmal, was er machen sollte. Dann zeigte er den Minitrollen, wo sie sich mit ihren Seilen und einem Netz in den Hinterhalt legen konnten. Artur und Barbaron schärfte er noch einmal ein, ja keine Zaubererei zu benutzen. Das würde den Turm nur zu einem Spiel auf Leben und Tod herausfordern. Artur beschloss zähneknirschend, mit Barbaron ein Stolperseil zu bedienen.

Dann war es soweit. Tabor musste jetzt allein in den Turm gehen. Er hatte ein ungutes Gefühl in der Magengegend. Langsam öffnete er eine eiserne Tür. Obwohl er sie weit aufstieß, schlug sie hinter ihm mit einem lauten Krachen zu. Ein Gedanke schoss ihm durch den Kopf. Er murmelte ihn vor sich hin: »Ich werde diesen Elfenfürsten mal fragen, wie viel Langeweile man haben muss, um auf die blöde Idee zu kommen, eine solche Pyramide zu bauen. Das ist doch alles krank hier.«

Er schaute sich im Turm um. Die Fackeln an den Wänden entzündeten sich von selbst. Der ganze Turm schien nur aus einem hohen Raum zu bestehen. Es gab keinen Tisch oder Stuhl, kein Fenster. Nur diese eine Tür war zu sehen. Und es standen tatsächlich drei Truhen auf dem Boden. Tabor stellte sich vor sie hin und betrachtete sie. Alle drei Truhen öffneten sich selbst und Tabor konnte die schönsten Schmuckstücke und die kostbarsten Teller, Weinbecher und Bestecke sehen. Drei goldene Geister kamen aus den Truhen und priesen Tabor sofort ihre besten Dinge an:

»Sieh her und nimm das hier.«

»Nein, nimm etwas aus meiner Truhe.«

»Oh nein, nimm doch bei mir etwas heraus.«

Tabor schüttelte jedoch nur den Kopf. »Ich bin Tabor, der Drachenjunge. Mich könnt ihr mit eurem Plunder nicht beeindrucken. Ich will nur das Mundstück haben. Also Jungs, wo ist es? Gebt es mir und ich verlasse euch sofort.«

Doch die Geister in den Truhen wollten es nicht herausgeben. Sie schwebten wie goldene Wolken im Raum und hielten ihm stattdessen Schmuck und Edelsteine entgegen. Sie riefen mit klagenden Stimmen, er solle doch nur ein einziges Stück nehmen. Das würde sie so erfreuen. Doch Tabor blieb unbeeindruckt.

»Was ihr mir zeigt, ist genau das, was ich nicht sehen will. Gebt mir jetzt das Mundstück.« Tabor sah sich Hilfe suchend im Turm um. In einer Ecke entdeckte er einen größeren Stein. Er schob die eiserne Tür wieder auf und blockierte sie mit dem Stein. Etwas Unsichtbares versuchte sie wieder zuzudrücken. Doch es ging nicht, sie schwang hin und her.

 

Tabor ging zu den drei Truhen zurück. Die drei Geister waren verschwunden. Auch der Schmuck, die Becher und Teller, und alle Juwelen waren einfach weg. Doch in jeder Truhe lag nun ein Mundstück. Tabor machte ein ernstes Gesicht. »Die wollen mich wohl auf die Probe stellen. Aber das Spiel gewinne ich.« Er schaute sich jedes Mundstück genau an. Es gab keinen Unterschied. Ihm fielen die letzten Worte von Aothes ein: »Was immer du als erstes in diesen Truhen berührst, das musst du auch an dich nehmen.«

Tabor kam jetzt ins Schwitzen. Er war so nah am Mundstück des Drachenhorns, doch welches war das richtige? Er beugte sich weiter in die erste Truhe hinein und wollte sich das Mundstück genauer ansehen. Dabei rann ein Tropfen Schweiß von seiner Stirn und fiel auf das Mundstück. Tabor war erstaunt. Der Tropfen fiel glatt hindurch. Sofort arbeiteten die Gedanken in seinem Kopf, und er schwitzte noch mehr. Jetzt sah er in die zweite Truhe. Wieder rann ihm ein Tropfen Schweiß von der Stirn und fiel auf das Mundstück. Auch dieses Mal fiel der Tropfen glatt hindurch. Er probierte es bei der dritten Truhe. Dieses Mal perlte der Tropfen Schweiß am Mundstück ab wie Regen von einem Glas. Das war es also! Ohne zu zögern nahm er das Mundstück aus der dritten Truhe und rannte los. Er sah sich nicht um und lief, so schnell er konnte, zum Ausgang. Ihm folgten die drei goldenen Geister. Mit lautem Gekreische versuchten sie den flinken Jungen einzuholen und ihm seine Beute wieder abzunehmen. Das Netz und die Seile der Minitrolle störten sie nicht im Geringsten. Aufgeregt rannten nun alle dem Drachenjungen und den drei Geistern hinterher. Einige Minitrolle versuchten die Geister mit Steinen zu bewerfen. Doch das nützte alles nichts. Tabor rannte, so schnell ihn seine Beine trugen. Wie im Traum rasten das Gold und die Juwelen der Wände an ihm vorbei. Er konnte schon den Ausgang sehen, da gelang es einem der drei Geister, ihm einen Stein vor die Füße zu werfen. Tabor stürzte zu Boden und schon schwebten die drei Geister über ihn. Der erste wollte sich auf ihn stürzen, doch Tabor machte eine Rolle nach vorn. Er kam auf die Beine und rannte weiter. Verblüfft rasten die drei Geister hinterher. Wieder versuchten sie Tabor mit Steinen zu Fall zu bringen. Doch jetzt passte der Junge auf. Er sprang im vollen Lauf bei jedem Stein hoch und stürzte zum Ausgang hinaus. Will stand ihm am nächsten. Völlig überrascht fing er den Drachenjungen auf. Der war so außer Atem, dass er kein einziges Wort hervorbringen konnte. Dann plötzlich rannten Artur und alle Minitrolle aus der Pyramide. Aothes kam zum Schluss. Er hatte noch nicht die Kraft für einen so langen und schnellen Lauf. Er schloss die Pyramide und ließ sie verschwinden. Dann wollte er das Mundstück sehen. Überglücklich hielt es Tabor in die Höhe.

Als ob es sich um das größte Wunderwerk aller Zeiten handelte, war von den Trollen ein staunendes »Ah« und »Oh, wie schön« zu hören. Aothes war erleichtert. Er holte tief Luft und setzte sich auf die blaue Schale. Sie fing sofort an zu schweben. Der Elf war verwundert.

»Artur, wie es scheint, habe ich immer noch die magischen Kräfte, die mir Dämonicon einst verliehen hat. Bevor ich sein Sklave wurde, konnte ich nicht mit einer Schale durch die Luft fliegen.«

Für Artur war das nicht weiter verwunderlich. »Ich habe dich nur von der Sklaverei befreit, aber dir nicht die Magie genommen. Du wirst sie noch brauchen. Zum Beispiel kannst du Tabor zum Drachenhorn bringen. Dann hätten wir alle Aufgaben gelöst und der Junge könnte endlich sein Schicksal erfüllen.«

Ein wenig später, nachdem Tabor wieder zu Kräften gekommen war, stieg er zu Aothes in die Schale. Langsam schwebte sie mit dem Elfenfürsten und dem Drachenjungen hinauf zu dem Horn. Tabor flüsterte Aothes zu. »Von unten sah es so klein aus. Doch jetzt ist es ganz schön groß. Hoffentlich kann ich dem Horn einen Ton entlocken.«

Aothes strich dem Jungen über das Haar und flüsterte leise zurück: »Du schaffst das schon. Sieh, wir sind gleich da. Steck einfach das Mundstück in das Horn und hole ganz tief Luft.«

Sie gelangten zum Drachenhorn und Aothes ließ die Schale zu dessen Ende schweben. Dort steckte Tabor das Mundstück an das Horn und sah nach unten. Die Minitrolle waren kaum zu erkennen, doch hörte er sie bis hier hoch. Als er dann aber tief Luft holte, war sofort absolute Stille. Tabor presste seine Lippen auf das Ende des Mundstücks und blies mit aller Kraft. Er drückte die ganze Luft, die er in seinen Lungen hatte, in das Horn und bekam als Antwort einen tiefen, brummenden Ton. Das Horn löste sich von der Kette und Tabor fing es auf. Es war ganz leicht. Er konnte es trotz seiner Größe mit einer Hand festhalten.

Aothes ließ die Schale nach unten schweben. Tabor drehte sich zu ihm um und sah ihn fragend an. Doch er sagte nichts. Als sie landeten, schwebte die blaue Schale zum Eisaltar. Artur sah mit Erstaunen, dass sich die Inschrift noch einmal geändert hatte. Er las sie sich durch und ein Lächeln huschte über sein Gesicht.

»Hört alle zu, ich sage euch jetzt, was hier auf dem Sockel des Altars steht.« Gespannt schaute jeder auf Arturs Lippen. Niemand wollte sich ein Wort entgehen lassen. Artur begann die Inschrift zu übersetzen:

»Fremder, der du siegreich alle Aufgaben gemeistert hast, erfülle nun dein Schicksal. In wenigen Augenblicken wird das Eis aufbrechen. Der Hort der Drachen wird für immer vergehen und sie werden erwachen. Dann wird dein Schicksal mit den Drachen verbunden sein. Ihre Macht wird auch deine Macht sein. Der Zauberer, der einst den Hort in einem Augenblick erschuf, stellte auch mich, die blaue Schale der Wächter, auf seinen Altar. Stellst du mich auf den Altar seines Grabes, so werde ich für immer über ihn wachen.« Die Schale fing an, hell zu leuchten und ein ohrenbetäubendes Krachen war zu hören. Jetzt also erwachten die Drachen aus ihrem siebenhundertjährigen Schlaf.

Der Aufmarsch

Nicht weit vom Heerlager des Priesterkönigs Tholoam streiften zwei hungrige Wölfe durch die Büsche am Waldrand. Ihre Halsbänder verrieten jedem, dass sie zu den Jagdwölfen der roten Kriegstrolle gehörten. Aufgeregt schnüffelten sie nach den Spuren von Hirschen und Wildschweinen. Doch so sehr sie sich auch mühten, sie konnten nichts finden. Ermüdet vom Spurensuchen, legten sie sich in das hohe Gras und ruhten sich einen Augenblick aus.

Raglod, ihr Herr, kam mit zwei weiteren Jagdkumpanen angelaufen. Am Tage zuvor war er mit all seinen roten Kriegstrollen hier eingetroffen. Er war jetzt der einzige Häuptling seines Volkes. Sein Bruder und dessen Sohn waren in der letzten Schlacht gefallen. Gern war er nicht in diesem Lager. Er wäre lieber in den Norden gezogen. Dort gab es mehr Wild und weniger Dragolianer. Doch sein Treueschwur und der Hass auf die Menschen und all ihre Verbündeten hinderten ihn daran, Tholoams Lager zu verlassen. Er wollte sich mit der Jagd etwas Ablenkung verschaffen, doch hier gab es wenig zu erbeuten. Ärgerlich wollte er seine Wölfe wieder an die Ketten legen lassen. Doch der Wind drehte sich und die Wölfe bekamen einen Geruch in die Nasen. Sie standen sofort auf und schauten zum Wald. Aber sie legten sich wieder hin. Es war nur ein Dragolianer. Die drei Kriegstrolle sahen den schwankenden Kerl aus dem Wald kommen. Raglod schüttelte tadelnd den Kopf. Dann grinste er und zeigte auf ihn. »Schaut euch das an. Da predigt ihr Priesterkönig von Enthaltsamkeit und solchen Sachen und dann schwanken seine Leute am hellen Tage besoffen durch den Wald.«

Einer der beiden anderen Kriegstrolle schaute jedoch genauer hin. »Nein mein Häuptling, der ist nicht besoffen. Der da muss ein Geist sein. Man hat uns doch gesagt, dass General Satyrius tot ist. Er ist in Viedana hingerichtet worden.«

Der dritte Kriegstroll nickte bestätigend. Raglod rieb sich die Augen und schaute noch einmal genauer zu dem Dragolianer hin. Tatsächlich, der sah aus wie General Satyrius. Der Häuptling legte seine Wölfe an ihre Ketten und ging auf den Dragolianer zu. Der kippte vor ihm vor Erschöpfung um. Raglod befahl seinen beiden Kumpanen, den Dragolianer in das Heerlager zu tragen. Er wollte selbst zu Tholoam gehen, um ihn die Heimkehr seines Generals zu melden. Raglod war gespannt, wie der Priesterkönig auf seine Nachricht reagieren würde.

Am Zelt des Tholoam angekommen, ließen die Wachen den Häuptling jedoch nicht zu ihrem Herrn vor. Raglod musste warten. Tholoam hatte die Gesandten der schwarzen Gnome gerade erst empfangen. Das konnte dauern. Raglod ging wieder in sein eigenes Zelt, um eine Mahlzeit zu sich zu nehmen.

Unterdessen hatte Tholoam die beiden Gesandten des Fürsten aller schwarzen Gnome bewirtet. Bei Wein und Braten ließ es sich angenehm plaudern. Die beiden schwarzen Gnome waren wohl auch von der Größe des Heerlagers sehr beeindruckt. Sie erklärten Tholoam, dass ihr Fürst Rexagon mit seinem Heer in zwei Tagen zu ihm stoßen würde. Der erste der beiden Gesandten hatte Tholoam eine prunkvolle Schriftrolle übergeben. Der las sich den Inhalt nun schon zum zweiten Mal durch. Dann legte er sie beiseite.

»Fünftausend Bogenschützen, dreitausend Schwertkämpfer und hunderte von Zimmerleuten für den Bau von Katapulten und Sturmleitern. Das nenne ich eine ordentliche Verstärkung. Wir Dragolianer haben selbst schon mehr als zehntausend gepanzerte Reiter.« Tholoam sah in die Gesichter der schwarzen Gnome und versuchte in ihnen eine Reaktion auf seine letzten Worte abzulesen. Doch die Gesandten sahen ihn lächelnd an. Tholoam verärgerte das, doch er zählte weiter auf. »Es sind noch nicht alle Sippen der roten Kriegstrolle eingetroffen. Ihr Häuptling versicherte mir, er hätte dann sechstausend kampfbereite Krieger. Die könnten dann auch eure Zimmerleute beim Bau der Katapulte unterstützen.«

Libon, der erste der beiden Gnome, nickte zustimmend. »Wir haben eure Bogenschützen gesehen. Sie gelten bei allen Völkern als sehr treffsicher. Auch eure Fußtruppen können sich sehen lassen.« Marfon, der zweite Gesandte, fügte noch hinzu: »Unser Fürst wird euch nicht enttäuschen. Er will das Bündnis von einst mit den Dragolianern erneuern. Die Schmach der letzten Niederlage, als unser Todfeind, der Elfenkönig Alfagil, den Zauberer der alten Götter tötete, kann jetzt getilgt werden. Zum Glück für uns alle gibt es ja keine Drachen mehr.«

Damit sprach Marfon absichtlich ein wichtiges Thema an. Tholoams Miene verfinsterte sich, er sah Marfon in die Augen und stand auf. In seinem Zelt befand sich ein massiver Tisch. Neben anderen Papieren lag eine große Karte darauf. Tholoam sah sie an und winkte die beiden Gnome zu sich. »Seht euch diese Karte genau an. Ich habe die Ereignisse der letzten Tage und Wochen eintragen lassen. Ihr seht, welche Kämpfe stattgefunden haben. Zwei Generäle und Tausende meiner besten Krieger habe ich verloren. Und wofür? Nur um aufständische Sklaven, abtrünnige Wehrtrolle und verräterische rote Söldnergnome an einem gemeinsamen Angriff gegen mich zu hindern.« Tholoam trank einen Schluck Wein und warf den Becher wütend in eine Ecke. »Sogar die Eistrolle haben mich verraten. Sie sollten den Kobold Artur mit seinen Minitrollen und den Drachenjungen vor dem Drachenhort abfangen. Seit diesem Verrat habe ich keine Nachricht mehr. Ich weiß nicht, was jetzt in den nordischen Schneeländern oder gar in den Eisländern vor sich geht.«

Libon hatte sich die Karte genau angesehen. Bei den letzten Worten des Priesterkönigs horchte er auf. »Du willst also sagen, dass die Drachen schon längst erwacht sein könnten? Das wäre für uns eine Katastrophe. Sobald unser Fürst eingetroffen ist, müssen wir handeln.« Marfon nickte zustimmend. Er sah Tholoam fest in die Augen. »Der König der Obinarer hätte unseren Zauberer Gabon nicht erschlagen sollen. Immerhin waren es Alsacans Wachen, die versagten, als der Orakelkristall gestohlen wurde. Jetzt wäre Gabon für uns von großem Nutzen. Seine seherischen Kräfte waren enorm, auch wenn er sonst als Zauberer eher eine Null war.«

Tholoam versuchte sofort auszuweichen. »Sicher, Gabon könnte uns jetzt helfen. Aber das geht ja nicht mehr. Wir können jetzt nur noch auf euren Fürsten Rexagon warten und dann müssen wir uns beeilen. Unser Ziel ist Viedana. Wenn wir dort hin marschieren, so ziehen wir alle Verbündeten des Königs Harold von unserem eigenen Land ab. Wir können sie dann auf den Feldern und in den Städten der Menschen vernichten. Dann können wir auch …« Weiter kam Tholoam mit seinen Ausführungen nicht. Ein Wachsoldat kam ins Zelt. Er salutierte kurz und gab Tholoam einen Zettel. Verärgert wegen der Unterbrechung nahm er den Zettel an sich und winkte den Soldaten weg. Dann las er die Nachricht durch. Sofort rief er den Wachsoldaten wieder ins Zelt. »Auf diesem Zettel steht, Satyrius ist lebend im Lager. Raglod hat ihn gefunden und hierher gebracht. Ich will ihn sehen. Sobald er kann, soll er mir berichten.«

 

Der Wachsoldat verschwand und Tholoam schüttelte den Kopf. Die beiden Gesandten deuteten an, dass sie sich zurückziehen wollten. Doch Tholoam bat sie, zu bleiben. »Hört selbst, was Satyrius zu berichten hat. Dann könnt ihr mir sagen, was ihr von dieser Sache haltet.«

Die beiden Gnome setzten sich und lächelten wieder höflich.

Es dauerte nicht lange, da brachten einige Wachsoldaten Satyrius ins Zelt seines Herrn. Davor hatten sich schon viele neugierige Dragolianer versammelt.

Da Satyrius noch sehr geschwächt war, durfte er auf einem Stuhl Platz nehmen. Zwei Wachen stellten sich rechts und links neben ihm auf.

Mit gestrengem Herscherblick stand Tholoam hinter dem Tisch und sah auf seinen General herab. Der schaute zu Boden und erwartete seine Bestrafung.

Tholoam sah zu den beiden Gesandten und sprach ganz ruhig Satyrius an: »Ich möchte, dass du, Satyrius, uns allen hier berichtest, was zu deiner Niederlage geführt hat. Und ich hoffe für dich, dass du mir noch von Nutzem bist. Sonst erwartet dich schon heute das Beil des Henkers, und dieses Mal kannst du nicht entkommen.«

Mit dieser Drohung hatte Satyrius schon gerechnet. Er sah zu Tholoam auf und erzählte von seinem Angriff auf das Dorf Tylsa und von dem Fürsten Mallmordian von Vallhoss. Dann berichtete er vom Gegenangriff des Prinzen Gerold und seiner eigenen Gefangennahme. Tholoam und die beiden Gnome unterbrachen ihn dabei nicht. Auch die Verurteilung und die anschließende Flucht des Generals waren für sie hochinteressant. Tholoam kam hinter seinen Tisch hervor und war sichtlich aufgeregt.

»Hör zu, du bist sofort wieder mein General, wenn du mir sagst, dass du diesen Gang zum Brunnen wiederfinden kannst. Das kannst du doch? Oder?«

Satyrius sah seinen Priesterkönig mit einem verschlagenen Lächeln an. »Ich bin dein General, wenn ich deine Truppen durch den Gang führe und dir die Tore von Viedana öffne? Genau das willst du doch, Tholoam.«

Der Priesterkönig war überglücklich bei diesen Worten. In einem großen Kupferkrug neben dem Tisch steckten mehrere prunkvolle Schwerter. Tholoam nahm eines davon heraus und streckte es Satyrius entgegen. »Hier, mit diesem Schwert sollst du die Truppen durch den Gang in die Stadt Viedana führen. Lass dir ein Zelt herrichten und ruhe dich aus. Mein Leibarzt wird nach dir sehen. Du sollst neben mir reiten, wenn wir nach Viedana ziehen.«

Satyrius dankte seinem Herren und die beiden Wachsoldaten halfen ihm hinaus. Die Gnome rieben sich die Hände. Libon fragte Tholoam auch gleich, was er mit der Stadt anfangen wolle, wenn sie erst einmal erobert war. Tholoam winkte jedoch nur ab. »Ich will sie nur vernichten und dem Erdboden gleich machen. Danach kann dort siedeln, wer will. Es darf nur kein Mensch und keiner der Verräter dort leben.«

Darüber waren die Gnome sehr erfreut. Sie dankten Tholoam für die Unterhaltung und gingen in ihr eigenes Zelt. Tholoam selbst suchte Raglod auf. Er wollte ihn nicht verärgern und dankte ihm für seine Hilfe.

Zwei Tage später traf, wie erwartet, der Fürst Rexagon mit einem prächtigen Heer ein. Da er nur Fußtruppen hatte, war er langsam vorangekommen. Dafür hatte er einige wichtige Nachrichten. Seine Späher hatten die Spuren von umherschleichenden Wehrtrollen entdeckt. Er hatte sie verfolgen lassen und eines ihrer Vorratslager im Wald konnte verbrannt werden. Der Priesterkönig spazierte mit dem Fürsten voller Stolz durch das Heerlager und zeigte ihm all seine Truppen.

Bei Raglods Zelt hielten sie an. Der Trollhäuptling beaufsichtigte gerade die Zubereitung seines Mittagsmahles. Als er Rexagon sah, begrüßte er ihn freudig. Sie waren alte Freunde und Jagdgefährten. Bis in den späten Abend hinein wurde vor Raglods Zelt gezecht und immer wieder große Mengen an Essen für die Heerführer und ihre engsten Gefolgsleute herangeschafft. Das war auch nach Tholoams Geschmack. Doch er hielt sich zurück. In Gedanken versunken saß er auf einem bequemen Stuhl und betrachtete den Becher in seiner Hand. Am nächsten Tag würde das Heer durch die östliche Ebene von Braganda zum Brag marschieren. Auf dem Weg zum Fluss sollten sich noch viele dragolianische Viehhirten mit ihren Herden anschließen. Dann sollte das Heer an einer seichten Stelle den Fluss überqueren und direkt auf Viedana vorstoßen. Je schneller das geschah, desto weniger Zeit blieb den Ansuniern zur Vorbereitung ihrer Verteidigung. Doch dem Priesterkönig war klar, dass Viedana im Sturmangriff nur schwer zu nehmen sein würde. Jeder Bauer der Umgebung und jeder Bürger der Stadt würde zur Abwehr von Tholoams Heer herangezogen werden. Das hatte er längst bedacht. Es würden also die Katapulte sein, die riesigen Kräfte der roten Kriegstrolle, die Geschicklichkeit der schwarzen Gnome, die Masse seiner eigenen Dragolianer, und die List, mit dem Gang zum Brunnen der tausend Tode eine Möglichkeit zu haben, tausendfachen Tod unter die Menschen von Viedana zu tragen. Doch er hatte von Dämonicon noch eine besondere Waffe erhalten. Bevor er in sein Heerlager zog, hatte er im Tempel eine Unterhaltung mit dem Zauberer gehabt. Dieser gab Tholoam eine Schriftrolle. Darauf stand eine Beschwörungsformel. Mit ihr konnte Tholoam jeden Riegel und jedes Schloss öffnen. Natürlich konnte Tholoam nicht die Tore der Stadt mit der Beschwörungsformel aufbrechen, aber er konnte das Schloss des Brunnens öffnen. Nachts wollte er mit Satyrius und den besten Kämpfern, die er hatte, durch den Gang in den Brunnen gelangen.

Hoffentlich war das Wasser kein allzu großes Hindernis. Die Teile einer langen Leiter sollten mitgenommen werden. Mit ihr wollte er zur Abdeckung des Brunnens hoch. Dann wollte er das Schloss mit der Beschwörungsformel öffnen und … Tholoam schrak aus seinen Gedanken auf. Einer von Raglods Kriegern hatte zu tief in seinen Bierkrug geschaut und wollte nun mit einem anderen Kriegstroll eine Rauferei anfangen. Doch Raglod verhinderte das im letzten Augenblick und nahm sich den Raufbold vor. Mit einem Wurf über einen Tisch beförderte er den Krieger auf den Boden. Zwei andere Kriegstrolle ergriffen ihn und brachten ihn in sein Zelt. Die Aufregung legte sich so schnell wie sie entstanden war und Tholoam sah sich die Sterne am nächtlichen Himmel an. Er fragte sich, ob es wirklich einen Stern gab, der für ihn das Kriegsglück und den Sieg über die Menschen bereithielt.

Am nächsten Morgen weckte ein Hornsignal den Priesterkönig. Noch benommen vom Schlaf, steckte er seinen Kopf in einen Eimer kaltes Wasser. Vor dem Zelt ertönten die Kommandos der Truppenführer. Ein Diener half ihm beim Anlegen seiner Rüstung, dabei schaute er aus seinem Zelt. Er sah die vorbeimarschierenden Truppen der Gnome, Kriegstrolle und seine eigenen Krieger. Die Gedanken vom späten Abend kamen ihm wieder in den Sinn. Er räusperte sich, nahm eine straffe Haltung ein und prüfte den Sitz seiner Rüstung. Zufrieden winkte er den Diener weg. Dann trat er vor sein Zelt. Die Wachen salutierten und die anderen Heerführer erwarteten ihn bereits. Tholoam ging auf sie zu. »Lasst uns aufbrechen. Wir wollen unterwegs etwas essen. Der Brag ist noch weit entfernt und es droht ein heißer Tag zu werden.«

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