Aussöhnung im Konflikt

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„Die ‚Botschaft‘ ist sicherlich das Ergebnis gründlicher Studien und sorgfältiger Überlegungen, welche den Zeitpunkt ihrer Übergabe an den deutschen Episkopat betreffen […]. Eine endgültige Antwort mit Annahme der Einladung am Tage vor dem Schluß des II. Vatik[anischen] Konzils würde zweifellos eine außerordentliche Publizität gewinnen. Von einer zu solchem Zeitpunkt gegebenen endgültigen Antwort könnte sich der Episkopat ohne entsprechenden Verlust an Ansehen nicht distanzieren. Ein Hinausschieben jeglicher Antwort kommt natürlich vor Konzilsschluß nicht in Frage, weil sonst der deutsche Episkopat als Friedensstörer erschiene. Auch dieser Eindruck könnte später kaum verwischt werden. (Vulgär gesprochen: er würde mit dem schwarzen Peter in der Hand präsentiert).“28

Der anonyme Verfasser empfahl, die Annahme der Einladung zu den polnischen Millenniumsfeiern sollte „sorgfältig überlegt werden“, was aber „bis zum 6. Dezember“, also bis zum Abschluss des Konzils „kaum möglich sein“ dürfte.29

Ob beabsichtigt oder nicht, manövrierte Komineks Indiskretion die deutschen Bischöfe in eine unangenehme und komplizierte Lage. Das „Entsetzen“ Spülbecks über diesen Vorgang sowie die harschen Vorwürfe an die Adresse des Breslauer Erzbischofs legen nahe, dass die deutschen Ordinarien nicht unbedingt vorhatten, ihre Antwort vor Abschluss des Konzils zu formulieren, sondern diese wohl später nachreichen wollten. Eine vertrauliche Übergabe der Versöhnungsbotschaft hätte ein solches Vorgehen durchaus ermöglicht und der deutschen Seite dadurch einen größeren Zeitrahmen geboten, ihr Antwortschreiben gründlicher vorbereiten zu können. Seit dem Bekanntwerden des Textes unter den Pressejournalisten war diese Option jedoch obsolet geworden. Ein etwaiger Versuch diese Angelegenheit über einen längeren Zeitraum (von mehreren Monaten) gänzlich geheim zu behandeln, wäre höchst wahrscheinlich gescheitert, da der polnische Brief gleichzeitig mit weiteren 56 Einladungen zur Teilnahme an den polnischen Millenniumsfeierlichkeiten im Mai 1966 an nationale Episkopate ergangen war, so dass davon auszugehen gewesen wäre, dass letztere deren Erhalt bestätigen und die jeweilige Antwort publik machen würden. Hierzu hätten die Spitzen der katholischen Kirche in Deutschland nur schwerlich schweigen und sich damit ausschließen können.30 So blieb im Ergebnis die mögliche Absicht, die Botschaft des polnischen Episkopates nach Beendigung des Konzils zu beantworten und beide Dokumente erst danach gemeinsam zu veröffentlichen, mit Komineks Indiskretion durchkreuzt. Auf die Frage des Zeit-Korrespondenten Werner Höfer, ob es „Absicht“ oder „Zufall“ war, „daß der Brief der polnischen Bischöfe kurz vor Konzilsende veröffentlicht wurde?“, antwortete Bischof Hengsbach vielsagend, dass dies „keine Absicht, wohl aber ein seltsamer Zufall“ war und schloss daran die besagte Story vom Missgeschick bei der Zustellung des polnischen Briefes an.31

Bischof Hengsbach sprach damit eine Frage an, die häufig als Entschuldigung für die deutschen Bischöfe angeführt wird, wonach es ihnen nicht möglich war, eine weitreichende, alle Konsequenzen bedachte Antwort von Rom aus erfüllen zu können, da die entsprechenden Beratungen und Rücksprachen in der Kürze der Zeit kaum durchführbar waren. Aus dem so entstandenen Zeit- und Handlungszwang leitet man eine vermeintlich plausible Erklärung dafür ab, weshalb der deutsche Episkopat erst Ende November begonnen hatte, ein Antwortschreiben zu erstellen, obwohl die Bischöfe der ‚kleinen Kommission‘ bereits einen Monat zuvor über dessen Inhalt bestens informiert waren.32 „Nun überstürzte sich alles; denn binnen einer Woche sollte der Antwortbrief fertig sein“, beschrieb Schaffran die Momentaufnahme nach der Verteilung der Botschaft unter den deutschen Bischöfen.33 Ähnlich erinnerte sich Prälat Theodor Schmitz, ihm zufolge haben die deutschen Bischöfe erst „nach Erhalt“ des polnischen Briefes „Überlegungen über die Art einer Antwort“ angestellt.34

2. Die verspätete Zustellung des Versöhnungsbriefes

Wie aus den Tagebuchaufzeichnungen Otto Spülbecks hervorgeht und wie andere Quellen ebenfalls bestätigen, wurde der polnische Brief vervielfältigt und zwischen dem 27. und 29. November an die deutschen Bischöfe in Rom verteilt.35 Nach der oben zitierten Darstellung sollen Boten das offizielle vom 18. November 1965 datierte Dokument – zeitgleich mit weiteren 56 Einladungsbriefen an die katholischen Episkopate anderer Länder – an die römische Adresse von Kardinal Frings zugestellt haben.36 Eine genaue Angabe zum Zeitpunkt der Überbringung machte Kominek allerdings nicht. Eine polnische Quelle aus der römischen Umgebung Komineks gibt den 24. November als Tag der Übergabe an. Letztere sollte jedoch mit kritischem Vorbehalt betrachtet werden, da es sich hierbei nicht um eine Information eines unmittelbaren Zeugen oder Beteiligten handelt, sondern diese über Dritte gewonnen wurde.37 Dennoch trägt sie sowie die Aufregung unter den deutschen Bischöfen in den darauffolgenden Tagen nach Erhalt des Schreibens dazu bei, dass sich der Zeitpunkt der Übergabe des polnischen Versöhnungsbriefes um den 24. November verdichtet. Als ausgeschlossen gilt hingegen die Zustellung der Botschaft am 18. November, also am Tag ihrer Datierung. Kardinal Frings verließ Rom erst am Mittag des 20. November und kehrte am 29. des Monats zurück.38 Eine Übergabe in den Tagen unmittelbar vor seinem Abflug wäre ihm zweifelsfrei bekannt gewesen. Während Frings‘ Abwesenheit führte sein Generalvikar Joseph Teusch mit Hilfe einer Sekretärin die Geschäfte des Kardinals weiter. Teusch nahm täglich auch dessen Post entgegen und bearbeitete diese.39 Spätestens hier erweist sich die gern bemühte Behauptung, der polnische Brief wäre mehrere Tage ungeöffnet und gar unbemerkt im römischen Büro Kardinal Frings’ liegen geblieben, als unhaltbar. Generalvikar Teusch versah das Couvert des Versöhnungsbriefes mit dem Eingangsvermerk: 23. November.40

Die Rekonstruktion der Abläufe bei der Übergabe der Versöhnungsbotschaft führt zu dem Befund, dass die in der Publizistik häufig anzutreffende Gleichsetzung der Datierung des Briefes vom 18. November 1965 mit dem Zeitpunkt seiner vermeintlichen Zustellung nicht den Tatsachen entspricht. Offenbar verzögerte sich auf polnischer Seite die Übergabe der Einladungen an die nationalen Episkopate, so dass der geplante Termin (am Rande der feierlichen Konzilssitzung am 18. November) nicht eingehalten werden konnte und die Überbringung schließlich fünf Tage später stattfand.41 Die Zeitspanne zwischen der Datierung vom 18. November und der Veröffentlichung der Botschaft durch den deutschen Episkopat am 30. November 1965 verleitete die zeitgenössischen Beobachter dazu, der Story von der „Zustellungspanne“ Glauben zu schenken, da diese die Zeitlücke seit dem 18. November plausibel zu erklären erschien.

3. Die Legende vom Malheur

Abschließend bleibt zu klären, was die Bischöfe Kominek und Hengsbach bewogen haben mag, das angebliche Missgeschick bei der Briefübergabe öffentlich zu exponieren. Bei Erzbischof Kominek dürfte die Unterstellung seitens der deutschen Bischöfe, er habe die Botschaft der Presse zugespielt, nachhaltig gewirkt zu haben. Dies umso mehr, als der Breslauer Oberhirte dafür gesorgt hatte, dass Kardinal Frings als noch amtierender Vorsitzender der Fuldaer Bischofskonferenz bereits einige Tage vor der offiziell geplanten Übergabe der Versöhnungsbotschaft (am 18. November) eine Vorabversion derselben erhielt. Am 27. November 1965 wies Kominek Döpfner erneut darauf hin, dass Frings „denselben Text […] schon vor etlichen Tagen“ zugestellt bekam, wobei sich Kominek hier auf die Fassung des oben erwähnten „Quasioriginals“ vom 1. November 1965 bezog. Von zwei kleinen sprachlichen Verbesserungen abgesehen, ist dieser Text identisch mit dem offiziellen, unter dem 18. November 1965 autorisierten Brief des polnischen Episkopats.42 Der Vorabtext vom 1. November stellt demnach den abschließenden und letztgültigen Entwurf der Botschaft dar, der im Anschluss an eine Rücksprache mit den deutschen Bischöfen der kleinen Kommission vom Ende Oktober entstand und welcher deren Verbesserungsvorschläge und Ergänzungen enthält.43 In den beiden ersten Novemberwochen gab Kominek den Brief zur weiteren Begutachtung einigen polnischen Geistlichen. Doch deren mündliche wie schriftliche Stellungnahmen und Anmerkungen konnten nicht mehr berücksichtigt und eingearbeitet werden.44 Kominek soll „um den 17.-18. November“ veranlasst haben, den Brief unverändert, d.h. in der Fassung vom 1. November, abzuschreiben und zur Übergabe vorzubereiten.45 Wahrscheinlich ahnte Kominek zu diesem Zeitpunkt, dass man den anvisierten Übergabe-Termin (18. November) verfehlen werde und ließ Frings vorweg den Brief mit Datum 1. November zukommen.46

Folgt man den Beteuerungen Komineks vom 27. November, wonach Frings „denselben Text […] schon vor etlichen Tagen“, also vor der Abgabe des offiziellen Schreibens, zugeleitet bekam, so wird verständlich, weshalb der Breslauer Erzbischof den an ihn gerichteten Vorwurf einer gezielten Lancierung der Botschaft an die Pressevertreter vehement von sich wies. Um dies zu bekräftigen, händigte Kominek am besagten 27. November Kardinal Döpfner und Erzbischof Bengsch sowie den drei deutschen Bischöfen der kleinen Kommission, Hengsbach, Spülbeck und Schröffer, eine Abschrift des polnischen Versöhnungsbriefes mit der Datierung vom 1. November (!) aus.47 Daraus lässt sich schlussfolgern, dass Kominek einerseits deutlich machen wollte, der Text der Botschaft sei noch vor dem Durchsickern an die Presse an den Vorsitzenden der Fuldaer Bischofkonferenz gegangen; andererseits wird ersichtlich, dass Kominek irrtümlicher Weise annahm, dass die Vorwegfassung – und nicht die offizielle Botschaft – in der Post von Kardinal Frings mehrere Tage unbemerkt gelegen habe. Daraus lässt sich konkludieren, dass nach Kominek die vermeintliche ‚Panne‘ bei der Übergabe des Briefes nicht das offizielle (vom 18. November datierte) Dokument betraf, sondern sich auf die Fassung vom Anfang November bezog.

 

Die deutschen Bischöfe versäumten hingegen, rechtzeitig ein Antwortschreiben vorzubereiten. Die Mitglieder der sog. kleinen Kommission besaßen bereits seit Ende Oktober genaueste Kenntnis über den Inhalt der polnischen Botschaft, erkannten aber die Notwendigkeit, dass ihre Antwort noch vor Abschluss des Konzils abgefasst und übergeben werden soll, wohl zu spät. Es scheint, als ob sie von diesem Versäumnis mittels der bekannten Anekdote, die Bischof Hengsbach persönlich öffentlich kolportierte, abzulenken suchten. Womöglich bedienten sie sich dabei einer wahren Begebenheit, die sich am 24. November 1965 im Kreis deutscher Konzilsteilnehmer zutrug und die Hengsbachs Sekretär im Tagebuch festhielt:

„Hauptthema des Tages: Jagd nach dem Papstbrief an Frings wegen Adveniat. […] Leider sagte mir Dyba, daß er schon am Tag zuvor abgegeben sei. Ich habe dann heute in der Anima versucht herauszufinden, ob er bei der Post des Kardinals [Frings] lag (der ist in Köln, weil er sich überhaupt nicht erholt hat […]). Prälat Stöger hatte Schwierigkeiten in sein Zimmer zu gehen, Oberin wußte schließlich, daß Teusch alle Briefe kriegt, der war in Neapel […].“48

Die Erzählung vom angeblichen Malheur bei der Zustellung des Briefes half in der Folgezeit beiden Seiten. Erzbischof Kominek konnte durch den Verweis auf den seit „etlichen Tagen“ bei Frings befindlichen und unbemerkten Vorwegbrief sich dem Vorwurf entziehen, er habe den Text der Presse zugeleitet, bevor die Botschaft dem deutschen Episkopat übergeben wurde. Die deutschen Bischöfe, insbesondere Bischof Hengsbach, konstruierten mit dieser Begebenheit hingegen einen angeblichen Zeitdruck bei der Vorbereitung des Antwortschreibens und lenkten somit von ihrem Versäumnis ab, keine frühzeitigen Überlegungen hinsichtlich der erwarteten Entgegnung angestellt zu haben.

1 Vgl. K. Ruchniewicz, Versöhnung - Normalisierung - Gute Nachbarschaft, in: A. Lawaty / H. Orlowski (Hgg.), Deutsche und Polen. Geschichte - Kultur - Politik, München 2003, 95-107, hier 104.

2 Vgl. Erzbischöfliches Archiv München / Kardinal-Döpfner-Archiv (EAM/KDA), 43/1966, Kominek an Döpfner vom 22.1.1966.

3 Vgl. EAM/KDA, Sign. 43/1966, Döpfner an Kominek vom 20.1.1966, o.S.

4 Vgl. A. Stempin, W potrzasku polityki [In der Politfalle], in: ZNAK, Nr. 608/2006; W. Borodziej, „Wir gewähren Vergebung und bitten und Vergebung“. Entstehungsgeschichte und Nachwirkungen des polnischen Bischofsbriefes von 1965, in: Fr. Boll (Hg.), „Wir gewähren Vergebung und bitten und Vergebung“. 40 Jahre deutsch-polnische Verständigung (= Gesprächskreis Geschichte der Friedrich-Ebert-Stiftung, H. 68), Bonn 2006, 21-32, hier 28; K.-J. Hummel, Der Heilige Stuhl, deutsche und polnische Katholiken 1945-1978, in: AfS 45 (2005), 165-214.

5 Vgl. E. Heller, Macht, Kirche, Politik. Der Briefwechsel zwischen den polnischen und deutschen Bischöfen im Jahre 1965, Köln 1992, 109.

6 Vgl. Wokół orędzia. Kardynał Bolesław Kominek. Prekusor pojednania polsko-niemieckiego [Im Umfeld der Versöhnungsbotschaft. Kardinal Bolesław Kominek. Wortführer deutschpolnischer Versöhnung], Red. W. Kucharski und G. Strauchold, Wrocław 2009, Dok. Nr. 35, 291.

7 Die Briefe der Bischöfe, in: Die Zeit, Nr. 51 vom 17.12.1965; Auch Weihbischof Schaffran berichtete öffentlich über das Missgeschick der Briefübergabe. N. Trippen, Josef Kardinal Frings (1887-1978), 2 Bde, Paderborn u.a. 2003, hier Bd. II, 496. Der Bischof von Hildesheim, Josef Homeyer, der seit 1982 für die DBK den Kontakt zum polnischen Episkopat unterhielt, hatte mehrfach diese „Panne“ bei diversen Anlässen wiedergegeben. Noch 2005 gab Homeyer in Form eines Zeitzeugen den vermeintlichen Wortwechsel zwischen Kominek und dem Direktor des Priesterkollegs S. Maria dell’Anima in Rom wieder, der sich am Abend der Briefzustellung zugetragen haben soll. Interview mit Bischof Josef Homeyer, in: B. Kerski / Th. Kycia /R. Żurek (Hgg.), „Wir vergeben und bitten um Vergebung“. Der Briefwechsel der polnischen und deutschen Bischöfe und seine Wirkung (Veröffentlichungen der deutsch-polnischen Gesellschaft, Bd. 9), Osnabrück 2006, 72.

8 Vgl. ebd., 72; Die Briefe der Bischöfe (wie Anm. 7).

9 Vgl. E. Heller, Macht, Kirche, Politik (wie Anm. 5), 109; R. Żurek, Odpowiedź biskupów niemieckich na Orędzie biskupów polskich [Die Antwort der deutschen Bischöfe auf die Botschaft der polnischen Bischöfe], in: Wokół Orędzia (wie Anm. 6), 124.

10 Vgl. E. Heller, Macht, Kirche, Politik (wie Anm. 5), 109.

11 Vgl. Chr. März, Otto Spülbeck. Ein Leben für die Diaspora, Leipzig 2010, 227.

12 Vgl. ebd.

13 Vgl. H. Stehle, Polen-Deutschland-Rom. Zum historischen Hintergrund eines bischöflichen Dialogs, in: Herder-Korrespondenz 33 (1979), 11-18, hier 14.

14 Vgl. A. Grajewski, Dialog über Mauern hinweg. Der Brief der polnischen Bischöfe im Kontext der Vatikanischen Ostpolitik, in: F. Boll / W. Wysocki /K. Ziemer (Hgg.), Versöhnung und Politik. Polnisch-deutsche Versöhnungsinitiativen der 1960er-Jahre und die Entspannungspolitik, Bonn 2009, 117-134, hier 123.

15 Vgl. H. Stehle, Polen-Deutschland-Rom (wie Anm. 13), 14.

16 Vgl. Wokół orędzia (wie Anm. 6), Dok. Nr. 35, 291; J. Köhler (Hg.), „Aus eigenem Entschluss und in eigener Verantwortung … ohne einen Auftrag von irgendeiner Seite“. Römische Gespräche zwischen Alfred Sabisch und Erzbischof Bolesław Kominek vor dem Briefwechsel der polnischen und deutschen Bischöfe 1965, in: ASKG 63 (2005), 153-185.

17 Zitiert nach: Chr. März, Spülbeck (wie Anm. 11), 228.

18 Vgl. Bistumsarchiv Essen [weiter BAE], NL 5/978, Konzilstagebuch Wolfgang Große, H. 7, [Eintrag 25.11.1965].

19 Vgl. EAM/KDA, 43/1966, Kominek an Döpfner vom 25. und 27.11.1965, o. S.

20 T. Solski, Bolesław Kardinal Kominek (1903-1974). Ein Schlesier im Dienste der deutschpolnischen Versöhnung, in: ASKG 60 (2002), 139-157, hier 151. Anderslautende Behauptungen, wonach die Bischöfe der ‚kleinen Kommission1 den in Rom versammelten deutschen Episkopat regelmäßig über den Stand der Gespräche informiert hätten, treffen nicht zu. Dem widersprechen Berichte über den geäußerten Unmut von einigen deutschen Bischöfen nach Erhalt der polnischen Versöhnungsbotschaft, insbesondere von Bischof Janssen (Hildesheim). Janssen, der in der Fuldaer Bischofskonferenz für die Heimatvertriebenen und Flüchtlinge zuständig war, beschwerte sich bei Kard. Döpfner, „in keiner Weise über die Gespräche informiert“ worden zu sein, die mit polnischen Bischöfen geführt wurden, und hielt es für „unmöglich, dass mit Journalisten solche Dinge eher besprochen werden, als sie uns mitgeteilt sind“. EAM/KDA 43/1965, Janssen an Döpfner, vom 27.11.1965. Vgl. K.-.J. Hummel, Der Heilige Stuhl (wie Anm. 4), 199.

21 Vgl. Chr. März, Spülbeck (wie Anm. 11), 228.

22 EAM/KDA, 43/1966, Kominek an Döpfner vom 25.11.1965, o. S.

23 Ebd.

24 Ebd.

25 Ebd.

26 Vgl. EAM/KDA, 43/1966, Kominek an Döpfner vom 27.11.1965, o. S.

27 Zitiert nach: N. Trippen, Josef Kardinal Frings, Bd. II, 496.

28 BAE, NL 1/1289, „Betr. Die Botschaft der polnischen Bischöfe an den Deutschen Episkopat“ (Durchschrift) vom 1.12.1965, o. S.

29 Ebd.

30 Vgl. E. Heller, Macht, Kirche, Politik (wie Anm. 5), 110.

31 Die Briefe der Bischöfe (wie Anm. 7).

32 Wie oben gezeigt, kannte Bischof Spülbeck den Entwurf des polnischen Versöhnungsschreibens vom 27. Oktober, den er noch am selben Abend in einer kurzen „Dreierkonferenz“ mit den Bischöfen Hengsbach und Schröffer besprach. Chr. März, Spülbeck (wie Anm. 11), 230; Wokół Orędzia (wie Anm. 6), Dok. Nr. 6, 232; BAE, NL 5/948 Konzilstagebuch Wolfgang Große, H. 6 [Eintrag 27.10.1965].

33 Zitiert nach: K. Hartelt, Der Kapitelsvikar des Erzbistums Breslau und das Erzbischöfliche Amt Görlitz (1963-1972) (Arbeiten zur schlesischen Kirchengeschichte, Bd. 20), Münster 2009, 177.

34 Prälat Theodor Schmitz, in: Die Tagespost, 25.11.1995.

35 Vgl. Chr. März, Spülbeck (wie Anm. 11), 228; EAM/KDA, 43/1966, Kominek an Döpfner vom 27.11.1965, o. S.

36 Vgl. Wokół Orędzia (wie Anm. 6), Dok. 19, 260. Einen weiteren Hinweis auf dieses Übergabedatum liefern die erst Ende 1965 an den polnischen Pressendienst und an France-Presse herausgegebenen Kommuniques des polnischen bischöflichen Sekretariates über die Einladungen an die anderen Bischofskonferenzen. EAM/KDA, 43/1966, Kominek an Döpfner vom 27.11.1965, o. S.

37 Vgl. Wokół Orędzia (wie Anm. 6), Dok. 19, 260f.

38 Dies belegen die Flugtickets für Kard. Frings und seinen Privatsekretär Hubert Luthe, die im Nachlass von Kardinal Frings im Historischen Archiv des Erzbistums Köln [weiter HAEK] aufbewahrt werden.

39 Vgl. BAE, NL 5/948, Konzilstagebuch Wolfgang Große, H. 7, [Eintrag 24.11.1965]. Eine Abwesenheit Teuschs ist erst für den 24. November belegt. Ebd.

40 Vgl. HAEK, Registraturvermerk: R 32048/65.

41 Vgl. J. Köhler, Aus eigenem Entschluss (wie Anm. 16), Dok. 4, 168.

42 Beide Texte in: BAE, NL 1/1292, o. S.

43 Siehe Anm. 32.

44 U.a. den in Rom wohnenden bzw. sich aufhaltenden Priestern Prof. Walerian Meysztowicz und Jan Puzio. Wokół orędzia (wie Anm. 6), Dok. 31 und 36, 281ff. und 292f.

45 Vgl. ebd., Dok. 36, 293.

46 Allerdings ließ sich bisher das entsprechende Dokument, trotz intensiver Recherchen in den Beständen des Historischen Archivs des Erzbistums Köln, nicht feststellen. Für diese Auskunft danke ich dem Leiter des HAEK Herrn Dr. Ulrich Helbach.

47 Vgl. EAM/KDA, 43/1966, Kominek an Döpfner vom 27.11.1965, o. S. Ein Durchschlag dieses Schreibens konnte im Nachlass des Kard. Hengsbach ermittelt werden. BAE, NL 1/1292, o. S.

48 BAE, NL 5/945, Konzilstagebuch Wolfgang Große, H. 7, [Eintrag 24.11.1965].

VERGEBUNG – EINE WELTLICHE ODER RELIGIÖSE HANDLUNG?

Joachim Piecuch

„Wir vergeben und bitten um Vergebung” (wörtlich: „wir gewähren Vergebung und bitten darum“) – diese vor 50 Jahren von den polnischen Bischöfen an die deutschen Bischöfe ausgesprochenen Worte stellten zweifellos eine bedeutende politische Handlung dar.1 Genau genommen war diese Botschaft an die hochwürdigen Konzilsbrüder gerichtet. In welchen politischen Kontext fügten sich die zitierten Worte ein? Welche gesellschaftspolitischen Reaktionen in Polen und in Deutschland haben sie ausgelöst? In welche Lage haben sie die polnische und die deutsche Nation gestellt, und insbesondere die Kirchen der beiden Länder? Und schließlich, welche politischen Interessen könnten hinter einer solchen Äußerung stecken. Dies alles lassen wir Untersuchungsgegenstand der Historiker sein. Allerdings muss die Tatsache betont werden, dass eine Untersuchung der Interessen, von denen die formulierten politischen Akte geleitet waren, vom wissenschaftlichen Standpunkt her selbstverständlich ein durchaus berechtigtes und erwünschtes Unterfangen darstellt. Das betrifft ausnahmslos alle Äußerungen, die politischen Charakter haben, auch wenn sie scheinbar nur neutral gewählte Worte enthalten oder in ihrem Inhalt großherzig klingen.

In der heutigen Philosophie wird angenommen, dass es gar keine neutralen Erkenntnisakte gibt, die nicht durch irgendein Interesse gekennzeichnet wären. Es bleibt daher einzusehen, dass ein uneigennütziger politischer Akt ein Hirngespinst ist, unabhängig davon, ob dessen Quelle die weltliche oder die kirchliche Macht bildet. Halten wir nur fest, dass der politische Charakter dieser Worte insbesondere in der Tatsache zum Ausdruck kam, dass er nach den Gräuel und der Grausamkeit des Krieges den Prozess der Wiederherstellung nachbarschaftlicher Beziehungen zwischen Polen und Deutschen eingeleitet hat. Selbstverständlich war jedoch der Weg zur Normalität noch lang. Das politische Gewicht dieser Botschaft wurde oft Gegenstand unterschiedlicher Analysen, Diagnosen sowie Vorlesungen und es scheint, dass es sich dermaßen ausgewirkt hat, dass andere Dimensionen dieser Äußerung in den Schatten gestellt wurden. Daher scheint es kein verfehltes Unterfangen zu sein, den Inhalt dieser Worte über das Vergeben auch anderen Analysen zu unterziehen. Beispielsweise ließe sich fragen, was die Äußerung „wir bitten um Vergebung” bedeuten sollte. Diese Formulierung löste bei dem damals in Polen regierenden sozialistischen Regime heftige Empörung aus und verstärkte die Repressionen gegen die Kirche. Sie rief auch bei vielen Polen echte Entrüstung und Proteste hervor.

 

Ging es hier darum, dass es möglich wäre, das auf beiden Seiten in der Kriegs- und Nachkriegszeit zugefügte Unrecht zu berechnen, und man zu dem Schluss gelangte, dass die Rechnung gleich oder gar nachteilig ausfällt? Eine andere Frage, die sich hier aufwirft, lautet: Welche Bedeutung gilt es den Vergebungsworten zuzuschreiben, wenn man die christliche Perspektive darauf verliert? Was verstehen wir dann noch darunter? Wie sprechen sie uns heute an? Verlieren sie dann ihren Sinn, wenn ihr geschichtlicher Kontext schwindet? Wird ihre Aktualität heute für Menschen aufrechterhalten, die in andere Lebens- und Geschichtskontexte eingebettet sind? Kurz gesagt, kann davon die Rede sein, dass sie eine gewisse universelle Bindekraft haben?

Ich möchte hier den Versuch einer Analyse des Begriffes „Vergebung“ und anderer mit ihm verwandter Begriffe vom philosophischen Standpunkt vorschlagen, dabei auf das Instrumentarium der analytischen Philosophie und der Phänomenologie zurückgreifen. Ziel der Untersuchung soll der Versuch sein, die Bedeutung dieser Begriffe zu erhellen, sowie Zusammenhänge zwischen ihnen aufzuzeigen. Wir fragen also, ob das Wort „Vergebung” Sinn hat und wenn ja, unter welchen Bedingungen wir es sinnvoll verwenden können.

1. Schuldbegriff, Schuldgefühl und Vergebung

„Vergebung” ist ein Terminus, dessen Sinn wir nicht begreifen, wenn wir ihn nicht auf die logisch vorausliegenden Begriffe des Unrechts, d.h. einer schlechten Tat, und des Schuldbegriffs beziehen. Dabei scheint der Schuldbegriff hierbei eine Schlüsselposition einzunehmen. Doch verbinden sich mit diesem Terminus verschiedene Schwierigkeiten, die aus der Komplexität der Tatsachenbeschreibung resultieren, dass jemand ein „Schuldgefühl“ hat. Dieses Gefühl kann nämlich langandauernd oder kurz, intensiv oder oberflächlich sein. Es teilt sich unterschiedlichen Menschen anders mit. Die einen empfinden Schuld selten oder nie, andere hingegen so oft und so intensiv, dass dadurch ihr Leben durcheinandergebracht wird. Auch die Frage, gegenüber wem wir das Schuldgefühl haben, kann sehr unterschiedlich beantwortet werden. Es kann Gott, eine andere Person und manchmal sogar eine allgemeine Autorität sein. Die Verletzung einer Vorschrift oder eines Verbots kann ein Schuldgefühl auslösen. Schuld kann auch je nach unserer sozialen Stellung, dem in der Gesellschaft bekleideten Posten, unterschiedlich erlebt werden. Die Tat eines Menschen an einer niedrigeren Position muss, eingedenk seines begrenzten Zuständigkeitsbereiches, keinesfalls ein Schuldgefühl nach sich ziehen, doch ist es im Falle eines Menschen auf einem verantwortungsvolleren Posten bereits gerechtfertigt.2

Wir können uns wegen einer begangenen Tat schuldig fühlen, aber ebenso wegen ihrer Unterlassung. Schuldgefühle können nicht nur unverhohlene Handlungen auslösen, sondern auch innere Gefühle oder versteckte Wünsche, derer wir uns schämen und die wir anderen Personen gegenüber hegen, hervorrufen. Ein Schuldgefühl kann entweder echt, d.h. begründet sein, oder falsch, d.h. völlig grundlos, fiktiv. Wir können uns schuldig für etwas fühlen, das wir gar nicht begangen haben. Das Schulderlebnis kann zudem eine treibende Kraft sowohl für rechtschaffene als auch unethische Handlungen sein.3

Diese sehr vereinfachende Skizze zeigt uns, dass das Schuldgefühl ein sehr differenziertes Phänomen bildet. Der Mensch kann sich auf verschiedene Weise schuldig fühlen, die Gründe für die Entstehung der Schuld können auch sehr unterschiedlich sein. Allgemein wird angenommen, dass das Schuldgefühl, dessen Erfahrung, als moralisch gut gilt. Das Fehlen von Schuldgefühl stößt auf eine negative Bewertung und sogar auf Verurteilung. Jemand, der ein Vergehen begangen hat und Schuldgefühle hat, wird anders beurteilt als jemand, der die gleiche Tat begangen hat, aber deswegen von keinen Gewissensbissen geplagt wird. Die Moral verlangt von uns, dass das Schuldgefühl gesund ist, d.h. dem Vergehen, dem zugefügten Unrecht angemessen sei. Ein vorgetäuschtes Schuldgefühl ist selbstverständlich eine Verzerrung seiner wahren Natur.

Im Zusammenhang mit der Frage der Vergebung taucht bei der Erörterung des Schuldgefühls ein erstes Problem auf: Kann man jemandem vergeben, wenn dieser keine Schuld empfindet? Setzt Vergebung ein früheres subjektives Schuldgefühl voraus? Kann man jemandem vergeben, der eine solche Verschuldungserfahrung nicht hat? Was ist dann der Sinn dieser Handlung? Wem dient er? Demjenigen, der Unrecht getan hat und sich schuldig fühlen sollte, oder dem Vergebenden selbst?

Derjenige, der eine schlechte Tat verübt hat und daher Schuldgefühle haben sollte, sie jedoch nicht hat, macht zwar keinen Fehler, was die subjektive Empfindung seiner Emotionen angeht, doch ändert das nichts an der Tatsache, dass seine Handlungen weiterhin einer moralischen Bewertung unterliegen. Die Moralphilosophen sowohl platonischer als auch kantscher Provenienz ebenso wie die Utilitaristen sind sich darin einig, dass wir schuldig sein können ungeachtet der Tatsache, ob wir uns dafür halten oder nicht. Daraus ergibt sich, dass Schuld neben ihrer subjektiven Empfindung auch eine gewisse Untermauerung in der objektiven moralischen Ordnung hat. Das wiederum führt zu dem Schluss, dass der Vergebungsakt nicht unbedingt auf das konkrete Schuldgefühl bezogen werden muss, sondern sich allgemein auf das Eintreten von Schuld wegen objektiv angetanen Unrechts beziehen kann.

Die Vergebungstat fügt sich folglich in zwei Ordnungen ein: die subjektive und die objektive. In der subjektiven Ordnung richtet sie sich an eine Person, die Schuldgefühle wegen zugefügten Unrechts hat, in der objektiven Ordnung tritt sie ein, wenn ein solches Gefühl fehlt, aber eine schlechte Handlung real stattgefunden hat. Der Vergebungsakt ist vollkommen sinnvoll, wenn er in beiden Ordnungen erfüllt wird. Dennoch behält er seinen Sinn auch dann, wenn die subjektive Seite, d.h. das Schuldgefühl beim Täter fehlt. Er verliert jedoch seinen Sinn, wenn er auf eine Handlung hinausläuft, welche ausschließlich auf das Wecken von Gewissensbissen beim Täter des Vergehens ausgerichtet ist. Er kann ein solches Gefühl erwecken, doch kann das nicht der Zweck der Vergebung sein. Die Auslösung des Schuldgefühls anlässlich der uns gewährten Vergebung ist ein Gefühl, das selbsttätig in uns erwachen muss, ohne jeglichen Zwang von außen. Allerdings gilt es zu betonen, dass die Vergebung keineswegs ihre Bedeutung verliert, wenn sie an eine moralisch irrende Person gerichtet ist. Eine solche Situation lag jedoch grundsätzlich nicht vor, wenn es um die deutsche Nachkriegsgesellschaft geht.

2. Ist kollektive Vergebung möglich?

Damit eine Botschaft, die Vergebung verkündet, ihre Geltung aufrechterhält, bedarf es noch der Erfüllung einiger weiterer Voraussetzungen. Insbesondere muss sie aufrichtig sein, ausgesprochen ohne andere Absichten außer der Vergebung selbst. Die bloße Mitteilung, dass man vergibt, reicht nicht aus, wenn sich dahinter keine psychologisch tief verwurzelte Überzeugung verbirgt. Eine nominelle Vergebungserklärung kann nämlich aus Gruppenzwang resultieren oder aus mechanischer Vollziehung einer Geste, weil die Umgebung danach verlangt.

Der vor kurzem verstorbene angesehene polnische Philosoph L. Kołakowski bemerkt zudem in seiner kurzen Erörterung zum Thema der Vergebung, dass wir nur in eigenem Namen vergeben können.4 Das würde bedeuten, dass wir kein Recht haben zu erklären, dass wir jemandem seine Übeltaten vergeben, die er an jemandem anders als uns selbst verübt hatte.

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