Aussöhnung im Konflikt

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Für den Erfolg des damaligen Zusammentreffens war dann entscheidend, dass es beiden Seiten – unterstützt durch das bei dieser Begegnung neu entstandene Vertrauen – doch noch gelang, den zukunftsgerichteten Auftrag der Kirche in beiden Ländern als Schwerpunkt herauszustellen. Die beiden Vorsitzenden der Bischofskonferenzen machten mehrfach deutlich, dass die Gestaltung der Zukunft wichtiger sei als der Streit um die Vergangenheit.

„Unsere Kirchen haben die Pflicht“, sagte der Primas zum Abschluss, „das Zusammenleben und die Zusammenarbeit der Nationen auf den Grundprinzipien der christlichen Sittenlehre aufzubauen. Man kann nicht immer in die Vergangenheit zurückblicken, obwohl man sich ihrer erinnern muss, um keine Fehler zu wiederholen.“65

In den Worten Kardinal Höffners hieß dies:

„Es ist unsere tiefe Hoffnung und Überzeugung, dass der Besuch des Primas von Polen bei uns in Deutschland der Ausgangspunkt für eine neue Epoche in unseren Beziehungen und für Europa ist.“66

Kardinal Wojtyła ließ ebenfalls keinen Zweifel:

„Wir sind heute da, um durch die vielen Jahrhunderte hindurch zu unserem gemeinsamen ‚Anfang‘ zu gelangen. […] Ich habe die Hoffnung, dass die Begegnung einen regeren und auch tieferen Austausch der Güter in Gang setzen wird, welche das Leben unserer Kirchen und unserer christlichen Völker formen. […] Ich bin überzeugt, dass dies zur Gestaltung eines neuen Antlitzes Europas und der Welt beitragen wird zur nahenden Jahrhundert- und Jahrtausendwende.“67

Die beiden Bischofskonferenzen vereinbarten damals – auf Vorschlag von Karol Wojtyła – eine bis zum heutigen Tag aktive gemeinsame „Kontaktgruppe“ einzurichten, um künftig die gegenseitige Information zu verstetigen und zu intensivieren. Wojtyła wusste zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass er wegen Terminschwierigkeiten, die durch den Tod Papst Pauls VI. und das sich anschließende Konklave entstanden waren, seine Zusage nicht einhalten konnte, gemeinsam mit Mutter Teresa am Freiburger Katholikentag teilzunehmen (13.17.9.1978). Das Motto des Katholikentreffens lautete: Ich will euch Zukunft und Hoffnung geben. Nur wenige Wochen später – am 16. Oktober 1978 – wurde Kardinal Wojtyła zum Papst gewählt. Der Besuch in Deutschland von 1978 markierte so auch aus weltkirchlicher Sicht nicht nur ein Ende, sondern auch einen in dieser Form völlig unerwarteten Anfang einer grundlegend neuen Phase vatikanischer Politik, deren Gestaltung der neue Papst sich selbst vorbehielt. Der neue Kardinalstaatssekretär Erzbischof Casaroli hatte Außenminister Genscher schon kurz nach dem Amtsantritt des polnischen Papstes gesagt:

„Herr Minister, wir brauchen uns jetzt über die Fragen, über die wir uns in der Vergangenheit gestritten haben, nicht mehr zu streiten. Bei diesem Papst werden Sie immer recht bekommen.“68

8. Papstbesuch 1980

Die Vorbereitungen für den Besuch Johannes Pauls II. 1980 verliefen nicht in allen Bereichen problemfrei und geräuschlos. Zurecht ging man von einer grundsätzlichen Sympathie der großen Mehrzahl der deutschen Katholiken für den Papst und für die Person Karol Wojtyła aus. In dem skandierten Ruf „Johannes Paul II. – wir stehen an Deiner Seite“ drückte sich bereits bei seiner Ankunft auf dem Flughafen eine spontane emotionale Zustimmung aus.

Die offiziellen diplomatischen Beziehungen verliefen ebenfalls korrekt. Das persönliche Verhältnis des protestantischen Bundeskanzlers Helmut Schmidt zu Karol Wojtyła war dagegen zumindest vorbelastet. Schmidt hatte im November 1977 Polen besucht und dabei auf Rat des Wiener Kardinals Franz König auch einen Besuch in Krakau eingeplant. Dabei habe der damalige Erzbischof von Krakau es „vorgezogen“, erinnert sich Schmidt, „statt eines von mir vorgeschlagenen ‚zufälligen‘ Treffens in seiner Kathedrale mich durch einen hohen Geistlichen begrüßen zu lassen“, „um nicht unnötig Konflikte mit der Regierung in Warschau heraufzubeschwören.“69 Helmut Schmidt fühlte sich dadurch so gekränkt, dass er die Episode mehrfach schriftlich und mündlich festgehalten hat und nach der Wahl des polnischen Papstes Johannes Paul II. und dem polnischen Staats- und Parteichef Gierek gratulierte.

Der Bundeskanzler konnte auch die Haltung Johannes Pauls II. in der Frage der Empfängnisverhütung nicht verstehen. Der Papst sei für seine Argumente unzugänglich geblieben, obwohl er ihm im persönlichen Gespräch mehrere Male versucht habe, „den Circulus vitiosus zwischen Bevölkerungsexplosion, Unterentwicklung und Massenelend zu erklären.“70 Helmut Schmidt fühlte sich gleichwohl und trotz seiner kritischen Bemerkungen „durch die Gottergebenheit und Warmherzigkeit“ des Papstes fasziniert und empfand „menschliche Sympathie.“71

Im deutsch-polnischen Verhältnis hatte im Dezember 1979 ausgerechnet ein katholischer Politiker durch ein Interview im Nachrichtenmagazin Der Spiegel heftige Angriffe provoziert, der zu den engagiertesten Vertretern der Aussöhnung zwischen Polen und Deutschen gehörte: Hans Maier, der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken.72 Maier hatte nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Grundvertrag in seiner Eigenschaft als bayerischer Staatsminister für Unterricht und Kultus darauf bestanden, dass in allen Karten in Schulbüchern dort, wo politische Grenzen eingezeichnet waren, die Grenzen des Reiches vom 31. Dezember 1937 markiert wurden, um deutlich zu machen, dass über die damalige staatsrechtliche Zugehörigkeit von z.B. Breslau oder Königsberg friedensvertraglich noch nicht entschieden war. Seine Kritiker in Polen und in Deutschland forderten dagegen, sich an die Empfehlung der deutsch-polnischen Schulbuchkommission anzuschließen und „von den gegenwärtigen Realitäten auszugehen.“73

Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken hatte seit dem Briefwechsel in der Konzilsaula 1965 zu jedem Katholikentag eine Delegation polnischer Katholiken eingeladen und begrüßen können – erstmals in Bamberg 1966. Einmalig 1980 – auf dem Berliner Katholikentag (4.-8. Juni 1980) – waren die polnischen Katholiken nicht mit führenden Repräsentanten vertreten – aus Protest gegen die Position Hans Maiers in der Frage der politischen Landkarten in den Schulbüchern.

Formeller Anlass der Papst-Reise war der 700. Todestag von Albertus Magnus, der am 15. November 1280 verstorben war und in Köln begraben liegt. „Er war einer der größten Geistesmenschen im 13. Jahrhundert. Er hat wie kaum ein anderer das ‚Netz‘ geknüpft, das Glaube und Vernunft, Gottesweisheit und Weltwissen miteinander verbindet.“74 Der Papst ehrte mit Albertus Magnus aber nicht nur den Wissenschaftler. „In ihm ehre ich zugleich den Genius des deutschen Volkes, ehre ich vor allem die katholische Kirche dieses Landes, die wie in der Vergangenheit bis in unsere Tage ein hoch angesehenes und lebendiges Glied der Weltkirche geblieben ist.“75 Das uneingeschränkte – „wie in der Vergangenheit bis in unsere Tage“ – aus dem Mund des ehemaligen Erzbischofs von Krakau, in dessen Diözese das Vernichtungslager Auschwitz lag und der freiwillig zum Zwangsarbeiter in Polen wurde, um der wahrscheinlichen Deportation ins Reich zu entgehen, überraschte in seiner Eindeutigkeit auch diejenigen, die um das Urteil des Zeitzeugen Wojtyła über die Vergangenheit besser Bescheid wussten.

Für Papst Johannes Paul II. überwogen die Hoffnungen auf die Zukunft die Ängste wegen der Vergangenheit. Er erinnerte auch jetzt noch einmal an den Besuch der polnischen Bischöfe in Deutschland 1978, der zu dem, wie sich inzwischen herausgestellt hat, nicht mehr umkehrbaren Paradigmenwechsel in den deutsch-polnischen Beziehungen von der Vergangenheit zur Zukunft geführt hatte, und rief dazu auf, in den Friedensbemühungen nicht nachzulassen,

„durch die auch Ihr Land zur weltweiten Völkerverständigung maßgeblich beizutragen sucht, mit besonderer Freude (hebe ich) die wachsende Verständigungsbereitschaft zwischen Ihren Bürgern und dem polnischen Volk hervor. Hierbei gebührt bekanntlich auch den Bischöfen und Katholiken in beiden Ländern ein nicht geringes Verdienst. In allen leidvollen Beziehungen zwischen den Völkern gilt der Grundsatz: Nicht das Aufrechnen des gegenseitig sich zugefügten und erduldeten schweren Unrechts und Leids, sondern allein der Wille zur Versöhnung und die gemeinsame Suche nach neuen Wegen friedlichen Zusammenlebens können für die Völker den Weg in eine bessere Zukunft ebnen und gewährleisten.“76

„Ich werde Euch liebe Brüder sehr dankbar sein, wenn Ihr Euch weiterhin darum bemüht, diese Kontakte noch zu vertiefen. Dabei haben wir die Geschichte der Kirche und der Christenheit dieser Nation in ihrer tausendjährigen Dimension vor Augen, in der das Leben ihrer Bürger oft nicht leicht gewesen ist. Diese Nation ist Euch von der göttlichen Vorsehung als unmittelbarer östlicher Nachbar gegeben worden.“77

Eine besondere Mahnung erging an die polnischen Landsleute des Papstes in der Bundesrepublik, mit denen er in Mainz zusammentraf:

„Wenn man ein neues Leben unter veränderten zivilisatorischen Bedingungen beginnt, darf man sich nicht kritiklos faszinieren lassen. Man darf sich nicht durch die technische Zivilisation auf Kosten des Glaubens, des inneren Lebens, der Liebesfähigkeit – mit einem Wort –, zu Lasten all dessen, was für das wahre Menschsein, für die volle Dimension und die Berufung des Menschen entscheidend ist, verschlingen lassen.“78

Der Zukunftsaspekt dominierte auch die ökumenischen Gespräche:

„Gerade in Ihrem Lande, in dem Martin Luther geboren wurde und die ‚Confessio Augustana‘ vor 450 Jahren verkündet worden ist, erschien mir diese Herausforderung für die Zukunft als überaus wichtig und entscheidend. Um was für eine Zukunft handelt es sich? Es geht um jene Zukunft, die für uns als Jünger Christi aus dem Gebet Jesu im Abendmahlssaal hervorgeht, aus dem Gebet: Ich bitte Dich, Vater, ‚alle sollen eins sein‘ (Johannes 17/21).“79

 

9. Solidarność, Solidarität und Stagnation

Bei dem Deutschlandbesuch des Papstes 1980 war nicht abzusehen, dass sich binnen Jahresfrist die Rahmenbedingungen der deutsch-polnischen Beziehungen grundlegend verändern würden. Am 13. Mai 1981 wurde Papst Johannes Paul II. bei einem Attentat in Rom schwer verletzt, wenige Tage später, am 28. Mai 1981, verstarb in Warschau Primas Wyszyński. Die Auseinandersetzungen um soziale Reformen und politische Freiheit in Polen, die zunächst zur Gründung der freien Gewerkschaft „Solidarität“ führten, weiteten sich binnen kurzem zu einer Protestbewegung großer Teile des polnischen Volkes aus, der die Regierung am 13. Dezember 1981 nur noch durch die Ausrufung des Kriegsrechts Herr zu werden glaubte.

Die persönliche Bedrohung vieler politisch engagierter polnischer Katholiken, zu denen oft jahrelang gewachsene Verbindungen bestanden, und die katastrophale Versorgungskrise führten bei den deutschen Katholiken zu einer in diesem Ausmaß einmaligen Solidaritätswelle und intensiven Gebets- und Solidargemeinschaft. Hans Maier beschwor Bundesregierung, Bundestag und politische Parteien, Polen in seinem Kampf um Freiheit und Selbstbestimmung jetzt nicht allein zu lassen und forderte doppelte Solidarität ein, die Solidarität des Gebetes und der helfenden Tat und die Solidarität der entschiedenen politischen Stellungnahme. Bernhard Vogel hatte sich 1976 als Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken mit dem Versprechen verabschiedet, mit Nachdruck alle Forderungen nach größerer Freiheit der Kirchen in den Ländern unter kommunistischer Herrschaft zu unterstützen und die Solidarität mit allen bekräftigt, die sich für die Menschenrechte in diesen Ländern einsetzen. Diese Unterstützungsversprechen aller Katholiken wurden nach der Ausrufung des Kriegsrechts am 13. Dezember 1981 eingefordert, als die gesellschaftlichen Veränderungen in Polen von einer drastischen Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage begleitet wurden. Der Aufruf der deutschen Bischöfe vom 13. Januar 1982 zu einer Sonderkollekte löste eine beispiellose Welle der Hilfsbereitschaft aus. „Hunderte Millionen Mark werden gespendet, unzählige Hilfen versuchen auf mannigfachen Wegen die Not der Kleinkinder und der alten Menschen zu lindern. Durch Pakete und Briefwechsel entstehen zehntausende von persönlichen Verbindungen.“80

Die vorrangigen innenpolitischen Probleme und die Behinderung der katholischen Laienorganisationen in Polen durch die Auswirkungen des Kriegsrechts beeinflussten die deutsch-polnischen Beziehungen dann aber doch auch negativ. „Einem friedlichen Verhältnis“, so Reinhold Lehmann, „steht immer noch die Ungleichheit der Beziehungen entgegen. Die Deutschen sind materiell die Gebenden, die Polen die Nehmenden.“81

Die außergewöhnliche Hilfs- und Opferbereitschaft der gesamten deutschen Bevölkerung zugunsten der polnischen Bevölkerung zeigte an, dass die Versöhnung der Polen und der Deutschen gesellschaftlich inzwischen eine gewisse Reichweite erlangt hatte, wenn aktuelle Not zu lindern war.

Die erste deutsche Demonstration gegen das Kriegsrecht fand als Schweigemarsch am 22. Dezember 1981 in Köln statt. Die Deutsche Bischofskonferenz, das Zentralkomitee, Pax Christi und zahlreiche Verbände kooperierten damals auf Initiative des BDKJ und forderten die Freilassung aller Verhafteten.

„Seht auf Polen, auf den Kampf dieses tapferen Volkes! Lasst es nicht allein! […] Einer wachsenden Zahl von Deutschen wurde klar, dass in Polen auch ihre Sache – die Sache der Freiheit, der Menschenrechte – verhandelt wurde.“82

Und was ebenso wichtig war: Seit den Tagen der Gründung freier Gewerkschaften und der Streiks auf der Danziger Werft „erlebten die Deutschen die Polen nicht mehr nur als Fordernde, sie erlebten sie als Menschen, die in das künftige Europa eine lebenswichtige Mitgift einzubringen hatten.“83

„Der entscheidende Umbruch im Verhältnis zwischen Ost und West und damit zwischen unseren beiden Völkern ging von der moralisch und nicht selten auch religiös begründeten Solidaritätsbewegung in Polen aus. Er führte in der Konsequenz zum Zusammenbruch des totalitären Systems und zum Fall der Mauer, die Deutschland und Europa 40 Jahre lang getrennt hat.“84

Die Gespräche der deutschen und polnischen Katholiken gerieten in den 1980er Jahren dennoch ins Stocken, in eine „Phase der Bewährung“, wie es der Sekretär der Deutschen Bischofkonferenz und spätere Bischof von Hildesheim, Josef Homeyer, ausdrückte. Verständlicherweise konzentrierten sich die polnischen Katholiken in ihrem Überlebenskampf zunächst einmal verstärkt auf sich selbst. Der Kontakt der deutschen Bischöfe zu dem neuen Primas Glemp musste sich erst entwickeln. In der Grenzfrage, die zu einer Art Lackmustest der Verständigung geworden war, gab es keine Fortschritte. Die deutschen Bischöfe sahen sich nicht legitimiert, einen förmlichen Verzicht auf die ehemaligen deutschen Ostgebiete zu erklären. Die polnischen Bischöfe waren sehr zurückhaltend, das Selbstbestimmungsrecht der Deutschen in Bezug auf die deutsche Einheit zu unterstützen. Die bilateralen Beziehungen erwiesen sich in diesen Jahren aber als belastbar. Man unterstützte sich, wo man sich unterstützen konnte, und musste an den wunden Punkten den eigenen Standpunkt nicht verschweigen.

Noch im Oktober 1985 war ein Versuch der Bischöfe gescheitert, eine gemeinsame Erklärung zur Grenzfrage zu verabschieden. Die Verlegenheit auf beiden Seiten, zwanzig Jahre nach dem Briefwechsel eine angemessene Form der Erinnerung zu finden, war kein gutes Omen für die Qualität der damaligen Beziehungen.

Die Bischöfe, die sich zu einer außerordentlichen Synode in Rom aufhielten, trafen sich aber anlässlich des 20. Jahrestags des Austauschs der Vergebungsbotschaften im Dezember 1985 in der Titelkirche von Primas Glemp Santa Maria in Trastevere. Kardinal Höffner erinnerte dabei an seinen Vorgänger Kardinal Döpfner (1970):

„Die Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland wünscht entschieden, dass alle, die in jenen Gebieten östlich der Oder und Neiße wohnen, dort in Frieden und Sicherheit leben können und dass niemand jetzt und in Zukunft ihnen einen Zwang auferlegt.“85

Höffner stellte aber auch noch einmal klar:

„Weil das Verständnis für dieses Grundbedürfnis des polnischen Volkes bei uns allgemein verbreitet ist, hoffen wir auch, dass die polnischen Mitbrüder uns verstehen, wenn wir eine solche Erklärung nicht vermischen wollen und können mit einer Stellungnahme zur Frage einer noch ausstehenden abschließenden Friedensordnung für unser Land als Ganzes und für den ganzen gespaltenen europäischen Kontinent. Eine solche herbeizuführen oder für überflüssig zu erklären, steht nicht in der Macht der Kirche.“86

10. Maximilian Kolbe und Edith Stein

In dieser Phase sind die beiden Selig- und Heiligsprechungsprozesse für Edith Stein (1891-1942) und Maximilian Kolbe (1894-1942) Beispiele einer gelungenen Kooperation deutscher und polnischer Katholiken. Am 10. Oktober 1982 reiste Kardinal Höffner mit neun weiteren Bischöfen zur Heiligsprechung Maximilian Kolbes nach Rom und predigte bei einem gemeinsamen Dankgottesdienst im Petersdom. Die Seligsprechungen von Edith Stein und des Jesuitenpaters Rupert Mayer waren der Anlass für den zweiten Papstbesuch von Johannes Paul II. in der Bundesrepublik Deutschland vom 30. April bis 4. Mai 1987. Im Rahmen dieser Pastoralreise wurde dadurch eine Art Zwischenbilanz zum Thema „Katholischer Kirche und Nationalsozialismus“ gezogen. Bei der Begrüßung des Hl. Vaters vor der Seligsprechung der Karmelitin Edith Stein am 1. Mai 1987 erwähnte Kardinal Höffner aus gutem Grund den polnischen Franziskanerpater Maximilian Kolbe87, der 1971 selig- und 1982 von Papst Johannes Paul II. heiliggesprochen worden war.

„Wie der Märtyrer von Auschwitz, Maximilian Kolbe, Fürsprecher bei Gott ist für die Versöhnung von Polen und Deutschen, so möge die Märtyrerin von Auschwitz, Edith Stein, Fürsprecherin sein für die Versöhnung zwischen Juden und Deutschen.“88

Die Selig- und Heiligsprechung des Franziskanerpaters Kolbe war der erfolgreiche Abschluss jahrzehntelanger deutsch-polnischer Bemühungen. Bereits im Frühjahr 1960 hatte Franz Wosnitza (1902-1979), ehemaliger Generalvikar von Kattowitz, einen Gesprächskontakt zu dem ehemaligen Mitarbeiter im Kattowitzer Ordinariat, Bolesław Kominek (1903-1974), geknüpft, um mit ihm über P. Kolbe und Edith Stein zu sprechen. „Meinen Vorschlag, gegenseitig die Heiligsprechung der KZ-Martyrer Pater Kolbe und Edith Stein zu fördern, nahm er [i.e. Kominek] sehr bereitwillig auf.“89 In einem Vortrag über „die geschichtliche Belastung der deutsch-polnischen Beziehungen“ am 28. Juli 1960 berücksichtigte Kominek P. Kolbe und Edith Stein bereits öffentlich gemeinsam:

„Als ich heuer in Rom, in Paris und Wien mit deutschen Menschen sprach, die eines guten Willens waren, wurde unter anderem auch ein Vorschlag zur Rede gebracht, dem ich innerlich nur beipflichten kann: die Deutschen machen mit uns Propaganda für die Seligsprechung unseres P. Maximilian Kolbe, einem der zahlreichen Opfer aus dem KZ Auschwitz, und wir in Polen werden eine der schönsten deutschen Menschengestalten zu verstehen suchen – Schwester Edith Stein, Karmelitin, deutscher und jüdischer Abstammung, ebenfalls ein Opfer des KZ Auschwitz, aber geboren in Lublinitz auf polnischem Boden, groß geworden in Breslau – im heutigen Wrocław – Märtyrerin wieder auf polnischem Boden, in Auschwitz.“90

Im gleichen Jahr predigte der Berliner Bischof Döpfner auf dem Eucharistischen Weltkongress in München 1960 über den Glaubenszeugen P. Kolbe.

Am 24. August 1963 informierte der Würzburger Franziskanerpater Franz Xaver Lesch – im Auftrag seines Generalministers und nach Rücksprache mit Kominek – seinen Ortsbischof Dr. Josef Stangl: Mit Rücksicht auf den Kardinal Wyszyński vorbehaltenen „besonderen Spielraum“ sei noch keine konkrete Vereinbarung getroffen worden; der Orden plane aber arbeitsteilig eine breit angelegte Medienkampagne. Die Bischöfe sollten die Möglichkeit prüfen, Kolbe zur „Gestalt der Versöhnung“ zu proklamieren. So könnte für die zweite Konzilsperiode eine Begegnung der deutschen und polnischen Bischöfe in Rom entsprechend vorbereitet werden. Bereits am 19. November 1963 übersandte Kardinal Döpfner in Rom einen polnischen Entwurf für diese gemeinsame Erklärung in lateinischer Sprache an die Weihbischöfe Joseph Ferche und Friedrich Rintelen mit der Bitte um Korrektur. Das endgültige gemeinsame Bittgesuch91 trug schließlich das Datum vom 21. November 1963, dem Fest Mariä Opferung. In ihrer gemeinsamen Erklärung aus der Konzilsaula hofften die Bischöfe beider Länder,

„dass durch sein Vorbild und seine Fürbitte der Gott des Friedens beiden Völkern die Gnade einer Versöhnung aus innerstem Herzen gewähre.“92 „Die polnischen und deutschen Kardinäle und Bischöfe sind voll Bewunderung für diesen Diener Gottes Maximilian Kolbe und sein Verdienst, und sie flehen durch die Fürsprache der unbefleckt empfangenen Jungfrau Maria in Demut zu Gott, dass zur größeren Ehre der Kirche und zum Segen der ganzen Menschheit Eintracht und Liebe, Brüderlichkeit und Friede unter den Völkern herrschen mögen“, „nicht achtend gegenwärtige Streitigkeiten, Kriege und Rivalitäten, die die beiden Nationen so lange entzweit haben.“93

In dieses Jahr 1963 fallen auch die Pilgerfahrt nach Auschwitz, die am Beginn des Maximilian-Kolbe-Werks94 steht, und die ersten Arbeitseinsätze in ehemaligen Konzentrationslagern. Am 30. Januar 1969 verkündete Papst Paul VI. den „heroischen Tugendgrad“ für P. Kolbe und sprach ihn am 17. Oktober 1971 selig. Kardinal Wojtyła äußerte sich damals in Radio Vatikan zu der Frage: „Warum wird Pater Maximilian Kolbe seliggesprochen?“95 1978 wählte Kardinal Wojtyła für seine Predigt im Dom von München das Thema: „Unser gemeinsamer Weg“:

„Wenn die Kirche einmal die Schwester Benedikta vom Kreuze auf die Altäre erheben wird, worum der deutsche Episkopat, von polnischen Bischöfen unterstützt, sich bemüht, so werden sie beide: Maximilian Kolbe und Edith Stein, uns allen, Polen und Deutschen, zurufen, von demselben Ort des Märtyrertodes, den sie erlitten haben, ohne von einander zu wissen: ‚Wollet doch des Evangeliums Christi würdig leben!‘ Die bewegende Kraft dieses Rufes wird dann noch viel mächtiger sein.“96

 

Bei seinem ersten Papstbesuch überreichte Johannes Paul II. dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz eine Reliquie von P. Kolbe als Geschenk der Weltkirche an die deutschen Katholiken. Kardinal Höffner betete bei seiner ersten Polenreise 1977 in der Todeszelle des Seligen Maximilian Kolbe, „dessen baldige Heiligsprechung als Märtyrer wir erhoffen“97, bei seinem Besuch in Polen im Juni 1982 unterzeichnete er mit dem polnischen Vorsitzenden ein gemeinsames Gesuch, Maximilian Kolbe als Märtyrer heilig zu sprechen. „Wir wollen uns gemeinsam für die Erneuerung Europas im Geist Jesu Christi des Gekreuzigten einsetzen. Möge Europa mithelfen, die Botschaft der Liebe und der Gerechtigkeit in der Welt zu verwirklichen.“98 Höffner stand auch an der Spitze der deutschen Delegation, die am 10. Oktober 1982 zur Heiligsprechung Maximilian Kolbes nach Rom fuhr.

Die Kölner Karmelitin Edith Stein, geboren in Breslau und ermordet in Auschwitz, steht im Übrigen nicht nur unter den Anforderungen ihrer jüdischen und katholischen Identität, sondern auch mitten in den Verwicklungen der deutsch-polnischen Geschichte. Ihr Lebensweg hat an verschiedenen Stationen eine erstaunliche Nähe zu dem des polnischen Papstes, der sie selig- und heiliggesprochen hat. Beide haben ein wissenschaftliches Buch über den heiligen Johannes vom Kreuz veröffentlicht, beide haben sich mit der Philosophie Max Schelers beschäftigt. Das Konzentrationslager Auschwitz, in dem Edith Stein und ihre Schwester Rosa ermordet wurden, liegt im Erzbistum Krakau. 1995 konnten die polnischen und deutschen Bischöfe in einem gemeinsamen Wort „Das Geschenk der Versöhnung weitergeben“ fast selbstverständlich Maximilian Kolbe und Edith Stein als „mutige Zeugen des christlichen Glaubens in unserem Jahrhundert“ in einem Satz nennen.

11. Gefahren des Rückschritts

Mit der Unterzeichnung des deutsch-polnischen Grenzvertrags am 14. November 1990 unmittelbar nach der deutschen Wiedervereinigung endete die deutsch-polnische Nachkriegszeit, der Nachbarschaftsvertrag vom 17. Juni 1991 sollte die Gründungsakte einer politischen Zukunftsallianz werden. Vor dem Beitritt Polens zur Nato und EU entstand aber erneut eine Situation des Ungleichgewichts, der eine sollte helfen, dem anderen musste geholfen werden. Am Ende der 1990er Jahre ging nach dem allmählichen Abtreten der Erlebnisgenerationen in beiden Ländern manches bereits Erreichte teilweise wieder verloren. Es war deshalb an der Zeit, noch nicht beantwortete alte Fragen neu zu stellen, sich wieder verstärkt für einander zu interessieren. Welches waren die sog. „heißen Eisen“, die unbewältigten Probleme der gemeinsamen Geschichte, Gegenwart und Zukunft, wo fühlten die Polen sich von den Deutschen missverstanden, wo war es umgekehrt? Wo sind die nachwachsenden „Menschen der Versöhnung“, die eine so wichtige Rolle gespielt haben? Der vorübergehende Optimismus bezüglich der Stabilität der Verständigung betraf in den 1980er und 1990er Jahren offenbar primär die aktuelle Situation, er galt noch nicht im Blick auf die Vergangenheit. Die gemeinsame Erklärung von katholischen Laien beider Länder zum 50. Jahrestag des Kriegsbeginns – 1. September 1989 – hatte dann wieder Hoffnung aufkommen lassen, dass die beiden schwierigsten Problemkreise der Vergangenheit – die Frage der Dauerhaftigkeit der polnischen Westgrenze und die Kennzeichnung der Vertreibung als Unrecht – inzwischen vielleicht doch nicht mehr völlig ausgespart werden mussten. In der Erklärung heißt es: „Deshalb treten wir dafür ein, dass die Westgrenze Polens dauerhaften Bestand hat.“99 Und: „Gemeinsam erinnern wir daran, dass die Feindschaft zurückschlug, als die Waffen schwiegen. Jetzt wurden Menschen oft verfolgt, nur weil sie Deutsche waren.“100 Nur wenige Monate später tauchten diese Positionen in einer Erklärung der Bischöfe nach einem Treffen in Gnesen (20.-22. November 1990) aber nur noch in der sehr abgeschwächten Formulierung wieder auf, man wolle Überlegungen anstellen, ob „nicht eine gemeinsame Arbeitsgruppe von Fachleuten die völkerrechtlichen Fragen im Zusammenhang mit der Vertreibung, über die noch unterschiedliche Meinungen bestehen, aufarbeiten könnte.“101 In der zweiten gemeinsamen Erklärung richteten die Bischöfe 2005 den Blick dann wieder nach vorne und formulierten die beiderseitige Entschlossenheit, „im engen Miteinander entschiedener das künftige Europa mit zu gestalten“102.

„Mit diesem Einsatz für die Gestaltung Europas wollen wir auch zum Aufbau einer friedlichen Welt beitragen. Dazu gehört auch, dass Europa sich glaubwürdig um ein zukunftsfähiges Verhältnis zu den Ländern des Südens und Ostens einsetzt.“103

Die Bischöfe sahen aber auch mit Sorge, dass die Erinnerung an die finsteren Stunden der Vergangenheit nicht nur den Geist der Versöhnung gebiert, sondern auch alte Wunden wieder aufreißt. „Dem Ungeist des Aufrechnens, der die Menschen gegeneinander aufbringt, erteilen wir eine eindeutige Absage.“104 Kardinal Lehmann erinnerte immer wieder neu daran, dass wir nicht nur hören, welches Erbe wir übernehmen, sondern auch, welche Formen es heute für die Fortführung gibt:

„Wir müssen uns noch mehr als bisher im neuen Europa miteinander für ein gemeinsames europäisches Haus in einem vom christlichen Glauben inspirierten Geist einsetzen, ja dafür kämpfen.“105

1 K. Lehmann, Unrecht der Geschichte – Perspektiven der Versöhnung. Rede beim Tageskongress „Gegen Unrecht und Gewalt – Erfahrungen und Perspektiven kirchlicher Versöhnungsarbeit“ am 30.1.2001 in Mainz, in: Kl. Barwig/D. R. Bauer/K.-J. Hummel (Hgg.), Zwangsarbeit in der Kirche. Entschädigung, Versöhnung und historische Aufarbeitung, Stuttgart 2001, 67-77, hier 70.

2 H. Lübbe, Der Nationalsozialismus im deutschen Nachkriegsbewusstsein, in: Historische Zeitschrift Bd. 236, 1983, 579-599.

3 Nach dem Zweiten Weltkrieg bezeichneten sich fast 90 % der Franzosen als katholisch. Siehe M. Albert, Die Katholische Kirche in Frankreich in der vierten und fünften Republik, Rom u. a. 1999, 24; ders., Frankreich, in: E. Gatz (Hg.), Kirche und Katholizismus seit 1945, Bd. 1: Mittel-, West- und Nordeuropa, Paderborn u. a. 1998, 163-222, hier 164.

4 Ende 1946 waren rund 95 % der polnischen Bevölkerung katholisch. Siehe J. Kopiec, Polen, in: E. Gatz (Hg.), Kirche und Katholizismus seit 1945, Bd. 2: Ostmittel-, Ost- und Südosteuropa, Paderborn u. a. 1999, 95-131, hier 102.

5 Zitiert nach K. v. Beyme (Hg.), Die großen Regierungserklärungen der deutschen Bundeskanzler von Adenauer bis Schmidt, München 1979, 43-73, hier 71.

6 Ebd., 69.

7 Das Manuskript dieses Beitrags geht auf den öffentlichen Abendvortrag des Verfassers im Rahmen der Erfurter Tagung „50 Jahre polnisch-deutscher Briefwechsel. Aussöhnung im Konflikt“ 30.-31. Oktober 2015 zurück und wurde für den Druck lediglich mit den notwendigen Nachweisen ergänzt.

8 Abgedruckt in: Publik 48, 27.11.1970, 23.

9 W. Brandt, Begegnungen und Einsichten. Die Jahre 1960-1975, Hamburg 1976, 240f.

10 Manfred Plate in einer Besprechung der Erinnerungen von Bartoszewski, in: Christ in der Gegenwart 28 (10.7.2005).

11 T. Mechtenberg, Deutschland - Polen: Die Öffentlichkeitswirksamkeit der EKD-Denkschrift im Vergleich zum Briefwechsel der katholischen Bischöfe 1965, in: Ost-West-Informationsdienst Nr. 189 (1996), 41-50, hier 41.

12 B. Kerski, Die Rolle nichtstaatlicher Akteure in den deutsch-polnischen Beziehungen vor 1990, in: W.-D. Eberwein/B. Kerski (Hgg.), Die deutsch-polnischen Beziehungen 1949-2000. Eine Werte- und Interessengemeinschaft, Opladen 2001, 75-111, hier 108. Kerski nennt in diesem Zusammenhang das „Kooperationsnetz zwischen Eliten, über das Informationen und Meinungen ausgetauscht oder persönliche Kontakte geknüpft werden konnten“ und das auch bei sich verändernden außenpolitischen Prioritäten wirksam blieb, weil es Personengruppen mit ähnlichen Zielsetzungen verband, die sie gemeinsam in ihren Gesellschaften durchzusetzen versuchten.