Aussöhnung im Konflikt

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„Wenn wir diese Gotteshäuser […] ansehen, […] dann wissen wir, es ist kein von den Deutschen hinterlassenes Erbe. Sie haben eine polnische Seele! Niemals waren sie deutsches Erbe, und sind es auch heute nicht. Das sind die Spuren des königlichen Stammes der Piasten. […] Wir verstehen ihre Sprache!“28

Der deutsche Botschafter beim Heiligen Stuhl, Josef Jansen, machte nach dieser erneuten Bekräftigung Ende Oktober 1965 „die chauvinistische Haltung hoher polnischer Kirchenkreise“29 zum alleinigen Thema einer Unterredung im Staatssekretariat. Kardinal Döpfner verlangte eine zufriedenstellende öffentliche Interpretation.

Auf der Pressekonferenz nach der Herbstvollversammlung der deutschen Bischöfe zeigte Döpfner am 3. September 1965 zwar mit Nachdruck Verständnis für die schwierige Lage der Polen, die von ihrer Regierung bedrängt würden, eine endgültige Ordnung der kirchlichen Verwaltung in den deutschen Ostgebieten zu erreichen, und für die schwierige Lage des Vatikans, der ohne gültige internationale Verträge nicht bereit sei, Bistumsgrenzen zu verändern. Die Feststellung Kardinal Döpfners, es bestehe leider die Gefahr, dass der polnische Episkopat kirchliche und nationale Gesichtspunkte zu stark identifiziere, bewirkte aber ihrerseits eine erneute Verstimmung bei der Polnischen Bischofskonferenz.30 Die Bischöfe beider Länder standen in diesen August-Tagen 1965 kurz vor der Abreise zu den Abschlusssitzungen des Zweiten Vatikanischen Konzils. Wie angespannt die bilateralen Beziehungen zwischen deutschen und polnischen Katholiken damals waren, lässt sich an folgender Meldung ablesen:

„Die Grußbotschaft des polnischen Episkopats, die in der Jubiläumssitzung am 1. September in Breslau von Kardinal Wyszyński und den anwesenden 60 polnischen Bischöfen gebilligt worden ist, soll erst nach Kenntnisnahme des Inhalts durch den Hl. Vater veröffentlicht werden. Die Botschaft, die nach übereinstimmenden Informationen die Bitte an den Hl. Vater enthält, die Möglichkeiten einer baldigen Eingliederung der in den deutschen Ostgebieten gelegenen Diözesen in die polnische Kirchenverwaltung zu überprüfen, war kurz nach Beendigung der Jubiläumssitzung nach Rom abgesandt worden.“31

Ein Sprecher der Erzdiözese Breslau erklärte, dass der polnische Episkopat durch eine vorläufige Nichtveröffentlichung dieser Botschaft an den Hl. Vater unter Umständen mögliche missverständliche Deutungen vermieden sehen wolle.

Kardinal Döpfner suchte in Rom unverzüglich das persönliche Gespräch mit dem polnischen Primas. Nach dem ersten Vier-Augen-Gespräch in der zweiten Oktoberhälfte 1965 – ein zweites Gespräch fand am 1. Dezember 1965 statt – meldete Die ZEIT: „Die Meinungsverschiedenheiten sind dabei, wie zuverlässig verlautet, nicht beigelegt worden.“32 Kardinal Döpfner habe sein grundsätzliches Verständnis für den polnischen Standpunkt zum Oder-Neiße-Problem bekundet, dabei jedoch unterstrichen, dass seiner Meinung nach die polnische katholische Kirche der Gefahr des Nationalismus zu erliegen drohe, wenn sie den polnischen Anspruch auf die ehemals deutschen Ostgebiete historisch begründe. Wyszyński entgegnete, es sei Sache der polnischen Kirche, zu beurteilen, was dem nationalen Selbstverständnis entspreche.

5. Die Einladung

Im November 1965 luden die polnischen Bischöfe Amtsbrüder aus 57 Ländern ein, im Mai 1966 zur Millenniumsfeier der Christianisierung nach Polen zu kommen. An die deutschen Bischöfe erging am 18. November 1965 eine besondere Einladung, die den unerwarteten Satz enthielt, der nicht nur die deutschen Bischöfe, sondern aus unterschiedlichen Gründen auch die Gläubigen auf beiden Seiten und die politische Öffentlichkeit in Bonn, sowie in Ost-Berlin und Warschau aufhorchen ließ:

„In diesem allerchristlichsten und zugleich sehr menschlichen Geist strecken wir unsere Hände zu Ihnen hin in den Bänken des zu Ende gehenden Konzils, gewähren Vergebung und bitten um Vergebung. Und wenn Sie, deutsche Bischöfe und Konzilsväter, unsere ausgestreckten Hände brüderlich erfassen, dann erst können wir wohl mit ruhigem Gewissen in Polen auf ganz christliche Art unser Millennium feiern.“33

Die Initiative und der Entwurf für den polnischen Versöhnungsbrief, den der Primas erst nach einigem Zögern unterschrieben hatte, stammten vom Breslauer Erzbischof Bolesław Kominek. Am 4. Oktober 1965 hatte Kominek im Rahmen eines Abendessens in Rom die drei deutschen Bischöfe, mit denen er in einer Caritas-Gruppe zusammenarbeitete, Franz Hengsbach (Essen), Joseph Schröffer (Eichstätt) und Otto Spülbeck (Meißen), über den beabsichtigten Brief vorinformiert, ohne dass diese Bischöfe die Bedeutung dieser Information richtig eingeschätzt hätten. Am Namenstag der Hl. Hedwig, dem 16. Oktober, versuchte er mit einer versöhnlichen Predigt den Schaden zu begrenzen, den die August-Predigt des Primas angerichtet hatte. Noch am gleichen Tag übersandte er Kardinal Döpfner zusammen mit dem Text seiner Predigt eine Reliquie der Heiligen und ließ wissen, er habe „das heilige Messopfer in der Intention einer guten Nachbarschaft und Zusammenarbeit beider Völker“34 gefeiert.

Zu den kommunikativen Schwierigkeiten dieser Tage auf der deutschen Seite gehört, dass der für die Heimatvertriebenen und Flüchtlinge zuständige Hildesheimer Bischof Heinrich Maria Janssen aus taktischer Vorsicht erst am Vortag der Abstimmung in der Bischofskonferenz von der polnischen Einladung Kenntnis erhielt.

„Es hat mich etwas befremdet“, beschwerte sich Janssen bei Döpfner, „dass ich in keiner Weise über die Gespräche informiert wurde, die mit polnischen Bischöfen geführt wurden. Von Laien habe ich zum ersten Mal davon gehört am Tage vor unserer Konferenz im Campo Santo. Ich wäre doch sehr dankbar, wenn ich wenigstens erfahren würde, zu welcher Haltung und Diktion man sich denn einigt. Es ist doch unmöglich, dass mit Journalisten solche Dinge eher besprochen werden, als sie uns mitgeteilt sind.“35

Zu den organisatorischen Pannen gehörte schließlich auch, dass der Brief an den noch amtierenden Vorsitzenden Kardinal Frings in dessen römischem Postfach abgelegt wurde, obwohl der Kardinal zu dieser Zeit nach Köln zurückgereist war. Severin Gawlitta hat kürzlich in einer akribischen Untersuchung der Vorgänge zwischen dem 18. November 1965 und dem 5. Dezember 1965 versucht, unter Berufung auf Aufzeichnungen des Meißener Bischofs Otto Spülbeck die „Legende“ von der verspäteten Zustellung der polnischen Einladung zu widerlegen, sowie der Behauptung die Schlagkraft zu nehmen, die deutsche Antwort sei nicht auf dem gleichen hohen Niveau erfolgt, weil den deutschen Bischöfen nur wenig Zeit zur Formulierung ihres Briefes verblieb. Gawlitta nimmt an, die Bischöfe Spülbeck, Hengsbach und Schröffer seien in den Besprechungen der polnisch-deutschen Bischofskommission, die sich mit caritativen Fragen beschäftigte, „direkt an (den) vorausgegangenen Besprechungen über den Briefwechsel beteiligt gewesen“36 und hätten den Entwurf des polnischen Schreibens bereits am 27. Oktober untereinander besprochen. Erzbischof Kominek habe dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz Kardinal Frings dann vermutlich nicht vor dem bzw. am 23. November 1965 eine auf den 1. November datierte Vorabversion an dessen Kölner Adresse zukommen lassen, die im Erzbischöflichen Archiv in Köln aber nicht nachweisbar ist. Am 25. November habe Spülbeck Döpfner informiert, der polnische Brief sei bereits verschiedenen Pressevertretern zugänglich gemacht worden, ohne dass Döpfner selbst bis zu diesem Tag ein Exemplar in den Händen gehabt hätte. Kominek ließ Döpfner nach dessen telefonischer Rückfrage „bei den Polen“ dann aber noch am 25. November eine Kopie des auf den 1. November datierten Frings-Schreibens zukommen und wies ihn am 27. November gesondert darauf hin, dass der Vorsitzende Frings diese Version „schon vor etlichen Tagen“37 zugestellt bekommen habe.

Kardinal Frings hatte aus Krankheitsgründen Rom am 20. November verlassen und war erst am 29. November wieder zurückgekehrt. Am späten Nachmittag des 29. November erläuterte Frings in einer extra zu diesem Tagesordnungspunkt anberaumten Sitzung der deutschen Bischöfe die polnische Einladung. Am 30. November 1965 veröffentlichte der Episkopat die polnische Botschaft. Gesichert ist, dass der Berliner Erzbischof Bengsch dann am Abend des 30. November in mehrstündiger Arbeit einen Entwurf für das Antwortschreiben verfasste, den der Görlitzer Weihbischof Schaffran am nächsten Tag durch ein 8-Punkte Programm ergänzte.

Die deutschen Bischöfe waren sehr bestrebt, „Vergebung“ und „Verzeihung“ möglichst von der „Politik“ zu lösen: Die Bereitschaft zu gemeinsamem Gebet, zu caritativer Unterstützung und gegenseitigen Besuchen war 20 Jahre nach Kriegsende ohne Zweifel gewachsen.

„Wir sind Kinder des gemeinsamen himmlischen Vaters“, schrieben die deutschen Bischöfe. „Alles menschliche Unrecht ist zunächst eine Schuld vor Gott, eine Verzeihung muß zunächst von Ihm erbeten werden. An Ihn richtet sich zuerst die Vaterunserbitte ‚Vergib uns unsere Schuld!‘ Dann dürfen wir auch ehrlichen Herzens um Verzeihung bei unseren Nachbarn bitten. So bitten wir zu vergessen, ja, wir bitten, zu verzeihen […] und einen neuen Anfang zuzulassen.“38

Für die Zustimmung zu einer kirchlichen Neuordnung in den Oder-Neiße-Gebieten, die Anerkennung eines Heimatrechts der Polen dort oder eine klare Festlegung in der Grenzfrage fühlten die Bischöfe sich weder zuständig noch kompetent. Genau diese politischen Zugeständnisse, zumindest eine verlässliche Aussage in der Grenzfrage, hatten die polnischen Amtsbrüder allerdings erwartet – unausgesprochen, fast selbstverständlich. Die polnischen Bischöfe konnten davon aber weder in Rom noch nach ihrer Rückkehr aus Rom öffentlich reden.

 

Die Vollversammlung der deutschen Bischöfe, die letzte gesamtdeutsche Versammlung für lange Zeit, beriet und verabschiedete die deutsche Antwort am 2./3. Dezember 1965 im Campo Santo Teutonico in Rom mit der Maßgabe, dass die drei Mitglieder der erwähnten Caritas-Kommission und der Görlitzer Weihbischof Schaffran als Mit-Autor des in der Konferenz verabschiedeten deutschen Antwort-Entwurfs den endgültigen Text mit Vertretern der polnischen Bischöfe abstimmen sollten. Dass Döpfner in seinem zweiten bilateralen Gespräch mit dem Primas, das für den 1. Dezember anberaumt war, den Briefwechsel nicht zum beherrschenden Thema gemacht haben sollte, ist nicht anzunehmen. Die Veröffentlichung der deutschen Antwort erfolgte dann am 5. Dezember 1965 in beiden Sprachen und führte zunächst auf verschiedensten Seiten zu Enttäuschung und Empörung, auf der politischen Ebene bei den staatlichen Stellen in Ost-Berlin und Warschau und den beiden Bischofskonferenzen, bei den völlig unvorbereitet überraschten Katholiken in Polen, in der Bundesrepublik Deutschland und in der DDR.

Neben Kominek gehörte 1965 vor allem Karol Wojtyła zu den polnischen Bischöfen, die intern dafür geworben hatten, dass dieser Brief überhaupt zustande kam. Zurück in Polen hatte Wojtyła sich wie alle Unterzeichner dafür bei den staatlichen Stellen zu rechtfertigen, die eine Erklärung von ausländischem Boden aus, in der Polen Deutsche um Vergebung baten, wo es nichts zu vergeben gab, für Kompetenzanmaßung, Landesverrat und Beeinträchtigung polnischer Interessen hielten. Wojtyła wies bei seiner Vorladung am 1. Februar 1966 zunächst die Einschätzung zurück, es handle sich um ein politisches Dokument. Wojtyła bezeichnete die Botschaft aber als

„großes, erfolgbringendes Werk. […] Die deutschen Bischöfe wurden gezwungen, sich zur Schuld zu bekennen. Dies ist ein Ausdruck dessen, dass sich die Deutschen überhaupt zu den an der polnischen Nation begangenen Verbrechen bekannten. Dies hat niemand im Laufe der ganzen 20 Jahre geschafft. Wir spielten die Rolle eines Beichtvaters, so wie wir das im Beichtstuhl mit dem Sünder tun.“39

Die polnische Propaganda hatte sich damals als ein Element ihrer Kampagne einen „Offenen Brief“ der Arbeiter der Sodafabrik in Krakau ausgedacht, der am 22. Dezember 1965 in der Tageszeitung Krakowska Gazeta erschien. Die Arbeiter äußerten in diesem Schreiben ihre tiefe Enttäuschung darüber, dass die Bischöfe im Namen des polnischen Volkes Erklärungen abgegeben hätten, zu denen sie nicht befugt gewesen seien. Besonders enttäuscht seien sie über die Unterschrift von Wojtyła, der „während der Nazi-Okkupation ein Arbeiter unserer Fabrik“40 gewesen sei. In seinem Antwortschreiben, das damals nur in der Untergrundpresse zirkulierte, erklärte Wojtyła:

„Als wir während der Okkupation zusammen arbeiteten, hat uns vieles verbunden, vor allem die Achtung vor den Menschen, vor dem Gewissen, der Individualität und der sozialen Würde. Das habe ich überreichlich von den Arbeitern bei Solvay gelernt; diese grundlegenden Prinzipien aber kann ich in dem offenen Brief nicht entdecken.“ Und außerdem sei es in einer so langen und verwickelten Geschichte, wie sie Deutschland und Polen verbinde, undenkbar, dass die „Menschen nicht Grund haben, sich gegenseitig um Verzeihung zu bitten.“41

Der protestantische deutsche Außenminister Gerhard Schröder (CDU) gab 1966 dem neuen deutschen Botschafter beim Hl. Stuhl die Weisung mit:

„Ich bitte Sie, bei Ihren Gesprächen das besondere Interesse Deutschlands an einem gerechten Ausgleich mit den Völkern Osteuropas, vor allem mit dem polnischen Volk, zum Ausdruck zu bringen. Für jede Hilfe in dieser Richtung sind wir dem Hl. Stuhl dankbar.“42

Im Zentrum heftiger innenpolitischer und ökumenischer Auseinandersetzungen in Deutschland standen ab 1965/1966 die Ost-Denkschrift der EKD (1. Oktober 1965) über die „Lage der Vertriebenen und das Verhältnis des deutschen Volkes zu seinen Nachbarn“, die Bamberger Erklärung des 81. Deutschen Katholikentages (13.-17. Juli 1966) und das Bensberger „Memorandum deutscher Katholiken zu den polnisch-deutschen Fragen “ (März 1968).

Im Zusammenhang mit den Vorbereitungen zum Bamberger Katholikentag kam auf Initiative von Walter Dirks, „nach dem Schneeballsystem aus einander Altbekannten zusammengerufen“, eine sehr diverse Gruppe von Katholiken im Mai 1966 in der Katholischen Akademie Bensberg zusammen. Sie trafen sich, um „Fragen, die katholischerseits vernachlässigt schienen wie der Staat Israel, die Wehrdienstverweigerung und eben das Nachbarschaftsverhältnis zum katholischen Polen – unter den Friedensinitiativen des Konzils gründlich [zu] diskutieren.“43 Nach zweijähriger Diskussion veröffentlichte dieser Kreis im März 1968 das Bensberger „Memorandum deutscher Katholiken zu den polnisch-deutschen Fragen“, das wie die Ost-Denkschrift der EKD zu der Frage der polnischen Westgrenze klar Position bezog:

„Daher wird es für uns Deutsche unausweichlich, uns mit dem Gedanken vertraut zu machen, dass wir die Rückkehr dieser Gebiete in den deutschen Staatsverband nicht mehr fordern können.“44

Das Bensberger Positionspapier trug ca. 140 Unterschriften – auch von Nicht-Mitgliedern des Kreises. Prominente Mitglieder des Bensberger Kreises wie Paul Mikat oder Otto B. Roegele distanzierten sich von dieser Erklärung, während andere Prominente wie Karl Rahner, Joseph Ratzinger oder Robert Spaemann die deutsch-polnische Annäherung damals mit ihrer Unterschrift unterstützten. Die Arbeitsgemeinschaft der katholischen Vertriebenenorganisationen konnte sich diese Überraschung nur mit der Überlegung erklären, einige, „vornehmlich Hochschullehrer, Ordensleute und Theologen rankten sich bis heute an den Idealen der Jugend hoch ohne diese in der rechten Weise an der Wirklichkeit zu messen.“45 Die Hoffnungen, die das Memorandum bei vielen Unterzeichnern weckte, kleidete der damalige Tübinger Theologieprofessor Joseph Ratzinger in seiner Antwort an den Bensberger Kreis in den Satz: „Im Übrigen bin ich dankbar und glücklich, dass endlich eine solche Initiative ergriffen wird, auf die ich seit langem gewartet habe.“46 Die Zustimmung Ratzingers stand freilich unter dem Vorbehalt einer Korrektur des Entwurfs, den der Münsteraner Theologe Johann Baptist Metz verfasst hatte.

Das mit über 1300 Zeitungsmeldungen im Frühjahr 1968 außerordentlich stark diskutierte Memorandum wurde zu einem herausragenden politischen Ereignis. Nun wurden die ausgestreckte Hand der polnischen Bischöfe und die jedenfalls für die polnische Seite enttäuschende Antwort der deutschen Bischöfe erneut diskutiert. Die Deutsche Bischofskonferenz gab eine kritische Stellungnahme zum Bensberger Memorandum ab, für den Primas aus Polen war es – „nicht so sehr vom politischen als vielmehr vom sozial-religiösen Standpunkt“ – eine Freude, „Ihnen danken zu dürfen für Ihren christlichen Mut, ehrlichsten guten Willen und Ihren internationalen Weitblick.“47

Die Clubs katholischer Intelligenz und die politische Gruppe des ZNAK mit Stomma und Mazowiecki begrüßten das lange erwartete Signal. Mazowiecki stellte das Memorandum im Mai 1968 ausführlich in der Monatszeitschrift Więź vor, auch wenn er es „hauptsächlich für den innerdeutschen Gebrauch bestimmt“ hielt. Drei Gründe waren für ihn dabei ausschlaggebend: Der Text sei von einer hohen moralischen Sensibilität gegenüber den Fragen geprägt, die das deutsch-polnische Verhältnis so schwierig machten, das Memorandum versuche, den Deutschen manche polnische Reaktionen verständlich zu machen, und ziehe schließlich aus der richtigen Analyse klare politische Konsequenzen. Stomma würdigte die Prominenz der vielen Unterzeichner und war sich sicher: „Die Tatsache, dass sich eine solche Gruppe von Laien abzeichnete, änderte die Lage. Wir hatten jetzt unseren eigentlichen Partner gefunden. Der leere Platz war nun ausgefüllt.“48

6. Ostpolitisches Störfeuer 1965-1976

Als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz hatte Döpfner nicht nur mit der Aufarbeitung der historischen Belastungen zu kämpfen, sondern auch mit den aktuellen Irritationen, die von der neuen vatikanischen Ostpolitik ausgingen, wie sie Papst Paul VI. und sein Außenminister Agostino Casaroli für richtig hielten.

Zwischen der Deutschen Frage und den deutsch-polnischen Konfliktfeldern bestand dabei selbst dann ein unmittelbarer Zusammenhang, wenn man versuchte, die politischen Angelegenheiten und die Fragen der Seelsorge voneinander zu trennen. Der Vatikan stand in diesem Zusammenhang bei den meisten Problemen vor der dreidimensionalen Schwierigkeit, die ihm von Polen und Deutschland vorgetragenen gegensätzlichen Wünsche, die möglichen Auswirkungen vatikanischer Entscheidungen auf deren gegenseitige Beziehungen und die Folgen für deren jeweiliges bilaterales Verhältnis zum Vatikan zu berücksichtigen. Nur manchmal konnten beide Seiten gleichzeitig berücksichtigt werden. Im Oktober 1966 erfuhr z. B. der deutsche Botschafter beim Heiligen Stuhl, Erzbischof Bengsch von Berlin könne beim nächsten Konsistorium zum Kardinal ernannt werden, wenn „gleichzeitig ein Pole den Roten Hut erhält. […] Erzbischof Kominek steht wohl nicht mehr auf der Kandidatenliste, wohl der Erzbischof von Krakau.“49 Tatsächlich wurden Karol Wojtyła und Alfred Bengsch am 26. Juni 1967 dann gemeinsam in das Kardinalskollegium aufgenommen. Alfred Bengsch hatte bereits im Frühjahr 1967 auf ein politisches Junktim aufmerksam gemacht, das sich wenige Jahre später tatsächlich – wenn auch in umgekehrter Richtung – in einem Dominoeffekt auswirken sollte:

„Sollten in der DDR Schritte erforderlich sein, so wäre mit zu überprüfen, ob nicht auch in den polnisch besetzten Gebieten zugleich eine wenigstens vorläufige Lösung gefunden werden kann. Es erscheint mir notwendig, dass bei allen Überlegungen beide Gebiete im Blick behalten werden, dies schon deshalb, weil ja die Bundesrepublik für beide Gebiete auf die Geltendmachung ihrer konkordatär festgelegten Rechte verzichten müsste.“50

Nach einer Unterredung im vatikanischen Staatssekretariat hatte Bengsch diesen Gedanken sogar als offiziellen Vorschlag unterbreitet:

Sollte sich die Möglichkeit ergeben, in den polnischen Westgebieten Apostolische Administratoren einzusetzen, „halte ich es für notwendig, dasselbe gleichzeitig in den ostdeutschen Jurisdiktionsgebieten zu tun. […] Auch ich würde eine Änderung für die ‚DDR’ allein nicht befürworten. […] Wenn aber in den westpolnischen Gebieten Administratoren eingesetzt werden, ergibt sich eine andere Lage.“51

Als daraufhin „offenbar in den Bonner Ministerien unnötige Unruhe hervorgerufen“ wurde, schrieb Bengsch im April 1967 an Nuntius Bafile, er sei auch mit einer anderen Regelung einverstanden.

„Wichtig ist nur, wie mir scheint, dass alles, was nicht mehr von den westdeutschen Ordinarien veranlasst oder getragen werden kann, von der Autorität des Heiligen Stuhles veranlasst oder getragen wird.“52

Die Vertragspolitik der sozial-liberalen Bundesregierung Brandt/Scheel spielte dem Vatikan nach 1969 das damals entscheidende Argument zu, zunächst in Bezug auf die Gebiete östlich der Oder und Neiße einen wichtigen Schritt weiterzugehen. Nach der Unterzeichnung und Ratifizierung des Warschauer Vertrags am 3. Juni 197253 reagierte Rom binnen drei Wochen – und errichtete vier neue polnische Diözesen.54 In der vatikanischen Erklärung55 wurde zur Begründung auf pastorale Notwendigkeiten hingewiesen. Die vor dieser Entscheidung nicht konsultierte Deutsche Bischofskonferenz tat sich freilich schwer, gerade diese Begründung als ausschlaggebend zu akzeptieren.56 In Rom hieß es damals, man beabsichtige weiterhin keine endgültigen Regelungen vor einem noch zu schließenden Friedensvertrag, aber eine vatikanische Reaktion auf die Ratifizierung des Warschauer Vertrages sei unausweichlich notwendig, schließlich könne man in Rom nicht deutscher sein als die Deutschen selbst.

Kritiker dieser Entscheidung wiesen darauf hin, dass die vatikanische Neuregelung nur die Anpassung im Westen Polens vorgenommen, die „übrigen Grenzen“ Polens aber nicht berücksichtigt habe. Corrado Bafile, seit 1960 Apostolischer Nuntius in Deutschland, versicherte den zahlreichen Kritikern der vatikanischen Entscheidung in einem allgemeinen Antwortschreiben am 31. Juli 197257, er stehe den vorgebrachten Argumentationen keineswegs fremd gegenüber, die Kritiker fänden bei ihm Respekt und Anteilnahme. Gleichzeitig warb er um Verständnis für den Heiligen Stuhl, der verpflichtet sei, zunächst und vor allem die Seelsorge optimal zu gewährleisten. Von polnischer Seite seien in den vergangenen Jahren immer wieder schwere Vorwürfe erhoben worden, Rom lasse sich zu sehr von politischen Erwägungen leiten und ablenken.

 

„In der Tat“, schrieb der Nuntius, „wäre es für die polnischen Katholiken unverständlich gewesen, wenn der Heilige Stuhl sich in der neuen Situation länger geweigert hätte, den polnischen Bischöfen in ihrem Willen zur inneren Festigung der Kirche beizustehen. Das jetzt entstandene Missverständnis bezüglich der päpstlichen Anordnung bestehe hauptsächlich darin, dass die Errichtung der neuen Diözesen und die Ernennung der Bischöfe als ein Akt nicht so sehr kirchlicher oder pastoraler als vielmehr politischer Natur aufgefasst wird, d.h. als politische Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze. Eine solche Auffassung sei jedoch nicht gerechtfertigt. Der Heilige Stuhl habe mit seiner Anordnung keine Anerkennung politischer Art ausgesprochen: das wäre auch gar nicht seine Aufgabe gewesen. Der Heilige Stuhl hat vielmehr eine Maßnahme kirchlicher Natur in einer Angelegenheit seiner Zuständigkeit getroffen und sich dazu erst entschieden, nachdem die Grenzlinie an der Oder-Neiße zwischen den beteiligten Staaten als unverletzlich erklärt worden war.“58

Auf den Vorwurf, der Heilige Stuhl habe zwar die Bistumsgrenzen an die Oder-Neiße-Grenze angepasst, in Bezug auf die „Diözesen, die an den übrigen Grenzen Polens liegen“, aber nichts dergleichen getan, antwortete Bafile:

„Demgegenüber ist geltend zu machen, dass derartige Probleme sich nicht mittels schematischen Vorgehens lösen lassen, unabhängig von den realen Bedürfnissen der Seelsorge. Es ist doch so: während für die Gebiete jenseits der Oder - Neiße seit Jahren eine Neuordnung der Diözesen nachdrücklich verlangt wurde, liegt ein ähnliches Anliegen betreffs der Gebiete entlang der übrigen polnischen Grenzen im allgemeinen nicht vor. Außerdem sind in den Gebieten jenseits dieser letztgenannten Grenzen die gegenwärtigen Verhältnisse nicht gerade günstig für eine neue Organisierung der Seelsorge.“59

Die Neuregelung in Polen hatte eine wichtige Signalwirkung für die Politik der vielen kleinen Schritte der 1970er Jahre in der DDR. Mit der in der Verlautbarung vom 28. Juni 1972 errichteten Apostolischen Administratur Görlitz, die aus dem Gebiet der Erzdiözese Breslau ausschied, hatte der Vatikan erstmals in einem kirchenrechtlichen Akt von der Deutschen Demokratischen Republik Kenntnis genommen.

Am 21. Dezember 1972 unterzeichneten Egon Bahr und Michael Kohl in Ost-Berlin den Grundlagenvertrag. Nach dem Inkrafttreten dieser Vereinbarung – der Bundestag ratifizierte am 11. Mai 1973, die Volkskammer am 13. Juni 1973 – verstärkte die DDR den Druck auf den Vatikan und die katholischen Bischöfe. Jetzt wollte die DDR auch kirchenpolitisch wie ein souveräner Staat behandelt werden. Dabei ging es erstens um die Forderung der völligen kirchenrechtlichen Trennung der Kirche in den beiden Teilen Deutschlands, zweitens um die Errichtung einer Diözese auf dem Gebiet der DDR, drittens um die Einrichtung einer eigenen Bischofskonferenz und schließlich um die Aufnahme diplomatischer Beziehungen der DDR zum Vatikan.

Am 14. Juli 1973 ernannte Papst Paul VI. die Bischöflichen Kommissare von Erfurt, Schwerin und Magdeburg, Hugo Aufderbeck, Heinrich Theissing und Johannes Braun, zu Apostolischen Administratoren und den Bischöflichen Kommissar von Meiningen, Karl Ebert, zum Weihbischof von Erfurt.60 Dadurch wurde „die Jurisdiktion der Ordinarien von Fulda, Würzburg, Paderborn, Hildesheim und Osnabrück für ihre in der Deutschen Demokratischen Republik gelegenen Diözesananteile suspendiert.“61

Am 22. September 1976 wählte die Deutsche Bischofskonferenz Joseph Kardinal Höffner als Nachfolger des am 24. Juli 1976 überraschend verstorbenen Julius Kardinal Döpfner zu ihrem Vorsitzenden. Döpfner hatte noch alles versucht, den nächsten Schritt in Richtung einer kirchenrechtlichen Anerkennung der DDR – die Errichtung der Berliner Bischofskonferenz – zu verhindern, blieb aber erfolglos. Der Heilige Stuhl hatte gerade noch Rücksicht auf den Termin der Bundestagswahl am 3. Oktober 1976 genommen, ließ sich aber am 26. Oktober 1976 von der Umwandlung der Berliner Ordinarienkonferenz in die „Berliner Bischofskonferenz“ nicht abhalten:

„Die neue Bischofskonferenz tritt an die Stelle der früheren Berliner Ordinarienkonferenz, welche als Regionalkonferenz im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz galt, und hat die Funktionen und Befugnisse, welche die geltenden kirchenrechtlichen Bestimmungen den unabhängigen Bischofskonferenzen für ihre betreffenden Territorien zuerkennen. […] Die Errichtung der Berliner Bischofskonferenz entspricht Bedürfnissen, die kirchlicher Natur sind.“62

In der offiziellen Stellungnahme der deutschen Bischöfe hieß es:

„Die Deutsche Bischofskonferenz versteht diese kirchenrechtliche Verselbständigung der Berliner Ordinarienkonferenz nicht als Trennung, sondern sie weiß sich mit ihren bischöflichen Mitbrüdern in der DDR auch fernerhin eng verbunden. […] Die seelsorglichen Erwägungen, die den Heiligen Stuhl veranlasst haben, die genannte Maßnahme zu treffen, sind in der heute vom Presseamt des Heiligen Stuhls veröffentlichen Erklärung dargelegt. Die Deutsche Bischofskonferenz verweist auf diese Erklärung.“63

Polen stand von jetzt an und für die nächsten 15 Jahre mit hoher Priorität auf der politischen Tagesordnung in Deutschland. Karol Wojtyła wurde jetzt auch von der politischen Seite ein gefragter Gesprächspartner. Als Erzbischof von Krakau hatte Wojtyła zu Kardinal König in Wien und zu einigen deutschen Bischöfen freundschaftliche Beziehungen gepflegt und sich in ganz verschiedenen Angelegenheiten als Vermittler betätigt. In diesen Zusammenhang gehört auch die Anregung Wojtyłas, ein Stipendienprogramm aufzulegen, das polnischen Stipendiaten ein Studium in Paris ermöglichen sollte. Das daraufhin von Johannes Schauff und vielen anderen – Heinrich von Brentano, Herbert Czaja, Baron Theodor zu Guttenberg, Reinhold Lehmann, Herbert Wehner – 1969 gegründete „Werk für europäische Partnerschaft“ wurde bis 1990 vom Auswärtigen Amt mit insgesamt 2 Millionen DM unterstützt.

7. Besuch aus Polen 1978

Nach den beiden Polen-Reisen der Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz – 1973 reiste Julius Kardinal Döpfner erstmals nach Polen, im April 1977 der Kölner Kardinal Höffner – kam es vom 20. bis 25. September 1978 unter Leitung des 77-jährigen Primas Wyszyński, der Polen nach 1945 bis zu diesem Tag nur verlassen hatte, um den Vatikan und Italien zu besuchen, zum ersten Gegenbesuch einer zehnköpfigen polnischen Delegation in der Bundesrepublik Deutschland. Bei der Reisedramaturgie wurde von beiden Seiten peinlich genau darauf geachtet, dass dieser Besuch vor allem zum Besuch des Primas wurde. Dies bedeutete u. a., dass der Erzbischof von Krakau sich in diesen Tagen bewusst im Hintergrund hielt. Kardinal Wojtyła versäumte aber nicht, verschiedentlich an den im Juli 1976 verstorbenen Kardinal Döpfner zu erinnern, der „Gott auf dem Wege der Annäherung an die Kirche in Polen und an unser Volk suchte, nach den Schreckenserfahrungen des Zweiten Weltkrieges.“64 Ohne das Vorbild Kardinal Döpfners wäre damals wahrscheinlich keine neue Qualitätsstufe der deutsch-polnischen (Kirchen-)Beziehungen erreicht worden. Döpfner hatte bereits in seiner berühmt gewordenen Hedwigs-Predigt vom 16. Oktober 1960 dringend empfohlen, den Blick von den gegenseitigen Aufrechnungen zu den gemeinsamen Aufgaben der Zukunft zu wenden. Für die Annahme dieser Anregung in breiteren Kreisen war es damals aber offensichtlich noch zu früh. Auch der Besuch 1978 verlief zunächst noch in den alten Bahnen. Die vertrauten Themen der Vergangenheit wirkten immer noch wie eine nicht abgelöste Hypothek. Die Gespräche drehten sich um die Pflege deutscher Kriegsgräber und allgemein der deutschen Gräber in Polen, um die Möglichkeit zu deutschsprachiger Seelsorge, um gemeinsame Wallfahrten. Um das Problem der Kirchenglocken oder die Zusammenarbeit katholischer Wissenschaftler und Theologen aus beiden Ländern, sowie um die „facultates specialissimae“, die Sonderbefugnisse für Kardinal Hlond, die angeblich von den Päpsten Johannes XXIII. und Paul VI. gegenüber Primas Wyszyński erneuert worden waren.