Rückkehr zu Gott

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II. Dietrich von Freiberg (1250 – um 1318/20) 181

Über Dietrichs Leben ist nur sehr wenig bekannt182: 1271 ist er im Dominikanerkonvent in Freiberg als Lektor tätig. Sein Provinzial, Ulrich von Straßburg, ermöglicht ihm ein Stipendium des Ordens für ein Zusatzstudium an der Universität in Paris – eine besondere Auszeichnung für Hochbegabte (seit 1273/74). 1280/81 finden wir ihn als Lektor in Trier. Von 1293 – 1296 trägt er als Provinzial die Verantwortung für die gesamte deutsche Ordensprovinz „Teutonia“. Die „Teutonia“ erstreckte sich von den Alpen bis zur Nordsee und von den Niederlanden bis in die Mark Brandenburg, bestand aus 80 Männer- und 65 Frauenklöstern. Außerdem wurden während seines Provinzialates elf neue Niederlassungen gegründet. Auf dem Generalkapitel in Straßburg (1296/97) wird er als Magister actu regens an die Universität Paris berufen. Ab 1303 ist Dietrich wieder in Deutschland und wird dort mit verschiedenen Ämtern in der Provinzleitung betraut (1303 Provinzdefinitor, 1310 Provinzialvikar). Dietrich stirbt vermutlich im zweiten Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts.

In Dietrichs „De visione beatifica“ geht es um das „Höchste im Menschen“, den Intellekt.183 Durch den Intellekt wird der Mensch ganz mit Gott eins und vermag Gott zu „erkennen“. Dietrich hat den Intellekt in der Seele des Menschen immer als eine Einheit gesehen, auch wenn er ihn in den intellectus agens und intellectus possibilis unterteilt hat. Diese beiden Intellekte waren für ihn nicht zwei verschiedene Intellekte, sondern bildeten eine Einheit, die aus einem aktiven und einem rezeptiven Prinzip besteht. Erst in „De intellectu et intelligibili“ geht Dietrich genauer auf die Unterschiede zwischen intellectus agens und intellectus possibilis ein. Doch hebt Dietrich von Anfang an die Herausgehobenheit des intellectus agens hervor.

1. Der tätige Intellekt (intellectus agens) – das Göttliche im Menschen

Die Intellekttheorie Dietrichs von Freiberg184 stellt „einen originellen Ansatz“ dar, „der die Rolle der geistigen Tätigkeit des Menschen in den Vordergrund rücken sollte“185: Dietrich hebt die Ursächlichkeit des tätigen Intellekts hervor, indem er ihn als „begründenden Ursprung der Substanz der Seele“186 bestimmt.187

„Seit der Antike ist das Problem der Erkenntnis Gegenstand der philosophischen Reflexion gewesen. Erwähnt seien hier nur Platon und Aristoteles. Dietrich berücksichtigte die traditionellen Leistungen auf dem Gebiet der Philosophie des Geistes, aber er ging über sie hinaus. Die alten Theorien über das Wesen der Erkenntnis konnten nach seiner Auffassung die Übereinstimmung zwischen Welt und Denken nicht ausreichend begründen. Auch in der Albertschule galt das Prinzip der adaequatio intellectus et rei. Dietrich lehnte dieses Prinzip nicht ab, doch kritisierte er seine Begründung.“188

Die philosophische Tradition vor Dietrich ging bei der Begründung der menschlichen Erkenntnis immer vom Vorrang der äußeren Entitäten aus; die menschliche Erkenntnis war demzufolge ein Abbild der äußeren Welt.189 Darüber hinaus wurde der menschliche Intellekt – die Einheit von intellectus agens und intellectus possibilis – als ein Seelenvermögen angesehen.

Dietrich dagegen hob die „besondere Aktivität des Geistes im Erkenntnisprozess“190 hervor191: „Sein philosophischer Ansatz stellte den Intellekt als tätiges Prinzip des menschlichen Seins in den Mittelpunkt der Weltbetrachtung.“192 Dietrich entzog damit den Intellekt allen dinghaftigen Kategorien der Natur. Er sah vielmehr den Intellekt „als das Prinzip seiner selbst und alles Seienden einschließlich der Kategorien.“193 Dietrich wollte zeigen, dass der (tätige) Intellekt – vor allem gegen Thomas von Aquin – kein Seelenvermögen ist, „sondern Substanz, dem Wesen nach seine Tätigkeit, eigenschaftslos und in keiner Weise eine passive Potenz.“194

Um die Tätigkeit des Intellekts von allem Naturhaften und Kategorialem zu trennen, unterscheidet Dietrich, der sich dabei ausdrücklich auf Averroes beruft195, zwischen dem Realsein (dem ens reale) und dem Erkenntnissein (dem ens conceptionale).196

„Ihm zufolge treten die Grundbestimmungen des Seienden als Seiendes, also die Stammbegriffe der Metaphysik, zweimal auf: einmal in der Reihe der Naturdinge, die beschrieben werden als Wesen, Substanz und als Reihe der neun Akzidentien, und zweitens in der Reihe des Erkanntseins, also in den Seienden, sofern es in den verschiedenen Erkenntnisweisen vorkommt.“197

Beim Intellekt als „ens conceptionale“ findet die Unterscheidung zwischen „Substanz und Akzidenz, wie sie in der Dingssphäre heimisch ist, … keine Anwendung: Seine operatio ist seine essentia.“198 Wesen und Akt sind in ihm identisch199, denn in ihm sind „alle Weisen des Auffassens und Erkennens“200, alle „Formen des Inseins der Sache im Erkennenden“201 vereinigt. Der tätige Intellekt (intellectus agens) ist Dietrich zufolge geistige Substanz: „Alles, was im Intellekt ist, ist da auf intellektuelle Weise, d.h. im Modus geistiger Tätigkeit.“202

Die Substanzialität des Intellekts unterscheidet sich vom Substanzsein der Naturdinge. „Man darf nicht an einen Baum oder sonst ein Ding … denken, wenn man den Intellekt ‚Substanz‘ nennt.“203 Denn

„Intellekte sind reine Wesen. Ihr Wesen bestimmt vollständig und allein ihr Dasein. … Das Wesen eines Intellekts ist reine Aktivität. ‚Rein‘ heißt hier: in begrifflicher Hinsicht nur durch sich selbst bestimmt.“204

Der Intellekt ist sein Wesen durch seine Tätigkeit, durch sich selbst:

„In tali igitur intellectu, qui est intellectus per essentiam, ut ex dictis colligitur, non est distinguere inter substantiam et operationem, qua in se ipsum recipit suam intellectionem. Omnia enim haec sunt idem, videlicet substantai intellectus et intellctualis operatio eius et ipsum obiectum intellectualis operationis intraneum.“205

„In einem solchen Intellekt, der, wie aus den Ausführungen zu schließen ist, ein durch sein Wesen seiender Intellekt ist, ist also zwischen seiner Substanz und seinem Wirken, wodurch er in sich selbst seine Erkenntnis empfängt, nicht zu unterscheiden. Denn all dies ist identisch, nämlich die Substanz (substantia) des Intellekts, sein intellektuelles Wirken (operatio) und eben der innere Gegenstand (obiectum) seines intellektuellen Wirkens.“

Die Identität von Akt und Wesen des Intellekts hat Dietrich der Philosophie des Neuplatonikers Proklos (410 – 485 n. Chr.)206 entnommen:

„Et hoc est, quod dicit Proclus propositione 171 sic: ‘Omnis intellectus in intelligendo instituit, quae sunt post ipsum, et factio intelligere et intelligentia facere.’ Commentum: ‘Etenim intellectus et ens, quod in ipso idem. Si igitur facit per esse, esse autem intelligere est, facit per intelligere’.” 207

“Eben dies bringt Proklus im 171. Satz so zum Ausdruck: ‚Jeder Intellekt setzt im Erkennen das ein, was nach ihm ist, und sein Tun ist sein Erkennen, und sein Erkennen ist sein Tun.‘ Dazu der Kommentar: ‚Denn es gibt den Intellekt und das Seiende, das in ihm mit ihm identisch ist. Wenn er also durch das Sein sein Tun verrichtet, das Sein aber Erkennen ist, verrichtet er sein Tun durch Erkennen‘.“

Dietrich versteht den Intellekt als Substanz, sofern er das Prinzip und der Ursprung alles Seienden ist. Das bedeutet: „Der Intellekt erkennt sich selbst und andere Seiende durch sein Wesen.“208

„Hinc est, quod eius operatio intellectualis, quae non est quid extraneium ab essentia sua, ut dictum est, primo et per se intra suam essentiam terminatur et intellectualiter afficit, ut ita dicam, suam essentiam, quod non est nisi intelligere suam essentiam. Hoc enim intellectualiter afficere aliquid, id est intelligere illud, et intellectualiter affici ab aliquo, id est intelligi ab eo.“ 209

„Von daher kommt es, dass sich sein intellektuelles Wirken, das wie bemerkt seinem Wesen gegenüber nichts Äußerliches ist, erstlich und an sich innerhalb seines Weges begrenzt und sein Wesen auf intellektuelle Weise affiziert, wenn ich so sagen darf, was allein dies bedeutet, dass er sein Wesen erkennt. Auf intellektuelle Weise etwas affizieren meint nämlich: jenes erkennen, und auf intellektuelle Weise von etwas affiziert werden: von ihm erkannt werden.“

Dietrich zufolge ist der Intellekt als Substanz innerhalb der Welt eine dynamische Wirkmacht, welcher mit seinem Wesen in einem Universum agiert, das als fluxus (als Fließen) beschrieben wird; er begründet das Sein nicht durch zufällig beschlossene Aktivitäten, sondern seinem Wesen nach – er ist causa essentialis.210 Es gehört zu seiner Natur „andere Wesen zum Sein zu führen, die göttliche Erstverursachung voraussetzend.“211 Solch eine substantielle Aktivität im Menschen ist der tätige Intellekt. Dieser macht im möglichen Intellekt die Erkenntnisinhalte erst wirklich; er ist der „Ursprung und wesentliche Grund der Erkenntnisinhalte.“212

Der intellectus agens ist laut Dietrich auch „principium causale ipsius substantiae animae“213 („begründender Ursprung eben der Substanz der Seele“).214 Das ist so zu verstehen, dass der Intellekt nicht der Zeit nach „früher“ als die Substanz der Seele ist, sondern der Seinsordnung nach.215 Der intellectus agens ist nicht als ein Vermögen oder wie eine Eigenschaft der Seele „früher“ da, sondern als „immanent-tätiger Grund der gesamten Seele. Unser Intellekt ist substantielle Tätigkeit, ist eigenschaftslose Energie.“216

 

„Intellectus autem agens noster non est quiditas rei est aliquid secundum actum formaliter nec ab ipso accipitur definitio significans quiditatem, quae est forma rei compositae.“ 217

„Unser tätiger Intellekt aber ist nicht die Washeit eines Dings, und nicht ist durch ihn ein Ding ein etwas der Wirklichkeit nach im Sinne der Formbestimmtheit, und nicht lässt sich von ihm die Definition gewinnen, die die Washeit, welche die Form des zusammengesetzten Dinges ist, anzeigt.“

Der Intellekt ist, bevor er überhaupt Erkenntnisinhalte erzeugt, bereits eine Wesenseinheit mit der Seele, die er selbst begründet hat.218 Man kann ihn als Daseinsantrieb der Seele bezeichnen219, ein „auf bestimmte Weise innerlicher Ursprung, vergleichbar mit dem Herzen im Lebewesen“ (“principium, inquam, secundum substantiam aliquo modo intrinsecum sicut cor animali”).220 Dietrich argumentiert mit Augustinus221:

„Ex his advertere debemus, quod secundum Augustinum in anima invenimus quandam intraneitatem substantiae suae, secundum quam non coniungitur corpori, in qua intraneitate exercet istas operationes sensitivas sive exteriores seu interiores sine corpore tamquam subiecto istarum passionum, sed non sine corpore sicut instrumento. Eius autem ratio est, quia istae passiones, de quibus dictum est, sunt spirituales et per se conveniunt spiritui. Unde possunt secundum univocationem communicari corpori.” 222

“Infolgedessen müssen wir dem Beachtung schenken, dass wir gemäß Augustin in der Seele eine gewisse Innerlichkeit ihrer Substanz antreffen, gemäß der sie sich nicht mit dem Körper verbindet, eine Innerlichkeit, in der sie diese sinnlichen Handlungen, sei es die äußeren, sei es die inneren, zwar ohne Körper als Werkzeug ausübt. Der Grund dafür liegt darin, dass diese Erleidensakte, von denen die Rede gewesen ist, geistige sind und an sich dem Geist zukommen. Von daher können sie dem Körper nicht gemäß univoker Bestimmtheit zuteil werden.“

Die Seele ohne Körper ist also das Zugrundeliegende der menschlichen Akte, doch bedient sich die Seele des Körpers als Instrument. Aufgrund dieser Innerlichkeit ihrer Substanz aber ist die menschliche Seele eine Einheit und hat ein einfaches Wesen. Sie bleibt ungeteilt und ist unzerstörbar. Der tätige Intellekt aber ist der Ursprung des Wesens der menschlichen Seele, „begründender Ursprung der Substanz der Verstandesseele, er bestimmt deren intellektuales Leben, so dass er wesentlich identisch mit dem Wesen der Seele ist.“223 Doch deswegen ist er noch lange nicht mir ihr identisch:

„Ergo intellectus agens est idem cum essentia animae nec per univocam essentiam, ut dictum est, nec est idem per participationem.“224

„Also ist der tätige Intellekt weder durch univok bestimmtes Wesen mit dem Wesen der Seele identisch, wie ausgeführt worden ist, noch ist er mit ihm durch Teilhabe identisch.“

Der intellectus agens existiert vielmehr als „begründender Ursprung nach der Weise eines Bewirkenden. Also ist der intellectus agens die Ursache der Seele, aber weder materiale noch formale noch finale, sondern wirkende Ursache (causa efficiens).“225

Der tätige Intellekt begründet also durch sein Wirken sein eigenes Sein und das der menschlichen Seele. Dieses Tätigsein aber ist „zugleich seine Gottesbeziehung“226:

„Sein Ins-Sein-Treten ist seine Religion; sie ist als seine Tätigkeit. Der tätige Intellekt ist zeitüberlegen das Sich-Fixieren in die Ewigkeit. Er ist Bild der drei-einen Gottheit, nicht nur – wie der mögliche Intellekt – ihre Ähnlichkeit. Er ist seinem Wesen nach – nicht durch zufällige Eingriffe – gottfähig, essentialiter capax die sua intellectione.“227

Denn Gott ist seinem Wesen nach ebenfalls Intellekt.228 Auf intellektuelle Weise ist der intellectus agens aus dem göttlichen Ursprung hervorgegangen.229 Der tätige Intellekt erkennt sein göttliches Prinzip, sich selbst und alles Seiende in der Erkenntnisweise Gottes230:

„Er stellt seinem Wesen nach die ausdrücklichste Gottförmigkeit in der Welt dar; er braucht nicht durch weitere Zusätze erst gottförmig zu werden. … Die Gottförmigkeit ist sein Wesen und seine substantielle Tätigkeit. Sie ist seine Natur, sie wird ihm nicht nachträglich verliehen.“231

Der tätige Intellekt ist von daher „illud deiforme, quo Deus insignificavit creaturam rationalem, ut ipsa sit ad imaginem suam“232 („jenes gottförmige, welches Gott in das rationale Geschöpf eingeprägt hat, damit dieser nach seinem Bild sei“). Gemäß Gen 1,26 ist dieser Intellekt Gottes Bild und repräsentiert „unmittelbar die ganze Seinsfülle Gottes, während alle anderen Geschöpfe nur ein spezifisch determiniertes Wesen darstellen.“233 Das Bild geht aus Gott anders hervor als die übrigen Geschöpfe:

„Es wird nicht passiv erschaffen. Das Empfangen seines Wesens ist seine Aktivität. Es ist nur, weil es sich aktiv entgegennimmt. Es tritt ins Dasein, indem es seinen Grund, sein göttliches Urbild, geistig erkennt.“234

Dietrich identifiziert den intellectus agens mit dem augustinischen „abditum mentis“ („dem Verborgenen des Geistes“)235, dem verborgenen Ort Gottes im Grund der Seele, wogegen er den intellectus possibilis das „exterius cogitativum“ (das „Äußere-Denkfähige“) nennt.236 An diesem Punkt hat Dietrich nach Flasch den „Extrempunkt“237 in seinem philosophischen Denken erreicht: „Der Intellekt als Urbild aller Seienden, erkennend wie Gott erkennt, bewirkender Grund der Menschenseele und also des Menschen.“238

Auch wenn der intellectus agens aufgrund der Ebenbildlichkeit mit Gott dessen Bild im Grund der Seele ist, er die Erkenntnisweise Gottes ist, so bedeutet das nicht, dass es eine völlige Identität zwischen dem göttlichen Intellekt und dem geschaffenen menschlichen Intellekt gibt. Denn:

„Das göttliche Wesen als solches ist wesentlich in Wirklichkeit seiender Intellekt; da dieses Wesen kein es verursachendes Prinzip voraussetzt, ist es von der Art, dass es als Natur in drei voneinander unterschiedenen Hypostasen oder Supposita subsistiert; der geschaffene wesentlich erkennende Intellekt besitzt hingegegen ein Prinzip, nämlich Gott, der die Einheit seines Wesens und seiner Hypostasen ist, ist darüber hinaus nicht von der Art, dass sein Wesen als Intellekt in drei Hypostasen subsistiert, sondern ist wesentlich eine Hypostase, ist die eine Substanz, die ihre Relationen, Erkenntnis und Liebe ist; selbst dann wenn im geschaffenen Intellekt eine Differenz zwischen seinem Wesen, seiner Form, und seiner Substanz angenommen wird, so ist diese Differenz die eine einfache Substanz des Intellekts.“239

Die Verbundenheit von geschaffenem und ungeschaffenem Intellekt denkt Dietrich dynamisch, indem er, neuplatonisches Denken aufgreifend240, von der Emanation und Konversion des Intellekts spricht241: Dietrich versteht Emanation und Konversion nicht als eine zeitliche Abfolge, dergestalt, dass sich die Substanz des Intellekts zuerst eines Urprinzips verdankt und dann, zeitlich später, wieder zu ihm – als Ziel – zurückkehrt. Emanation und Konversion sind für Dietrich vielmehr ein Erkenntnisvollzug des auf einfache Weise erkennenden Intellekts.242 Die Dynamik dieses einen Vollzugs stellt sich wie folgt dar: Der Intellekt tritt aus seinem Ursprung, seinem ersten Gegenstand, heraus,

„indem er ihn erkennt, zugleich sein Wesen, seinen der Wesensordnung gemäß zweiten Gegenstand, erkennt, somit sein Heraustreten erkennt, sich als dieses Heraustreten erkennt, überhaupt sich als das, was sich erkennt, erkennt, schließlich die Gesamtheit der Seienden, seinen dritten Gegenstand, erkennt, da sein Heraustreten und sein Sich-Erkennen diese Gesamtheit der Seienden ist, die zugleich sein Prinzip ist.“243

Der Intellekt erkennt also nicht nacheinander in drei Erkenntnisvollzügen, sondern in einem einzigen einfachen Erkenntnisakt, der eben der Intellekt in seinem Wesen ist. Und weiter:

„Wenn der Intellekt ... seinen Ursprung erkennt, erkennt er diesen seinen Ursprung, sein eigenes Wesen und die Gesamtheit der Seienden nicht mehr nur gemäß seinem eigenen intellektuellen Wesen, sondern auch im Ursprung selbst gemäß der Weise des Ursprungs.“244

Das bedeutet, der Mensch kann sich darin selbst als in Gott, als im Intellekt mit Gott gleich erkennen:

„Der Intellekt, dessen intellektuelle Anschauung darin besteht, in einer einzigen Anschauung seinen Ursprung ... zu erkennen, verdankt somit sein Sein ... nicht einem Ursprung, der auch ohne den Intellekt Ursprung wäre, erkennt auch nicht nur aus der Perspektive begrenzter Erkenntnis den unbegrenzten Ursprung, sondern ist die Dynamik seiner Erkenntnisvollzüge, die auch seine Gegenstände sind, als der eine Erkenntnisvollzug, der auch und gerade seinen Ursprung, Gott, als Gegenstand und diesen Gegenstand als sich selbst erkennt.“245

Die Kennzeichen des tätigen Intellekts können wir wie folgt zusammenfassen246: Der intellectus agens denkt als geistige Substanz immer: „Semper intelligit.“247

„Denn erkennte er nicht immer, wäre er zeitlicher Variabilität ausgesetzt, damit aber nicht wesentlich erkennender Intellekt.“248

Der tätige Intellekt ist wesentliche Selbsterkenntnis: Er konstituiert sich selbst, indem er in geistiger Weise ins Dasein tritt und sich selbst erkennt.249 Von dorther gilt:

„Die Substanz des Intellekts, sein intellektuelles Wirken, d.h. sein Wesen, und der innere Gegenstand seines intellektuellen Wirkens sind identisch.“250

Er ist das Urbild, exemplar, alles Seienden: „Est exemplar totius entis.“251 Der intellectus erkennt nicht nur Partikuläres, sondern Universelles, das Allgemeine. Da das Allgemeine erst durch die intellektuelle Tätigkeit Gegenstand der Erkenntnis wird, ist der tätige Intellekt selbst „Urbild, erkennendes Urbild, für das Seiende als Seiendes, das somit durch das Erkennen überhaupt erst es selbst ist.“252 Die Selbsterkenntnis des intellectus agens ist zugleich seine „Fremderkenntnis“253:

„Dieses Fremde, das Dietrich zunächst als das Seiende als solches gedacht hat, wird in komplettierender Präzisierung seiner Inhaltlichkeit auch als Ursprung des Intellekts gefasst, als Gott, der ebenfalls wesentlich Intellekt ist.“254

2. Der mögliche Intellekt (intellectus possibilis) – Akzidenz und Substanz zugleich

Wie unterscheidet sich nun konkret der intellectus possibilis vom intellectus agens? Ist der mögliche Intellekt eher ein Seelenvermögen, das eine völlig andere Seinsweise als der tätige Intellekt hat? Oder kann man ihn – wie den tätigen Intellekt – als eine geistige Substanz bezeichnen? Wenn ja, auf welche Weise geschieht das?255

Wie wir schon gezeigt haben, zeichnet sich für Dietrich der intellectus agens durch reine intellektuelle Erkenntnis aus. Alles, was zum intellectus agens gehört, ist reine Substanz.256 Er ist der Ursprung und wesentliche Grund der Erkenntnisinhalte; er macht Denkinhalte erst wirklich. Der intellectus agens ist für Dietrich ein permanent denkendes bzw. erkennendes Prinzip257:

„Primum istorum, videlicet quod abditum mentis semper stat in lumine suae actualis intelligentiae, patet, quoniam, cum ipsum in sua substantia sit intellectus per essentiam, quem philosophi intellectum agentem vocant, ... necesse est ipsum semper fixum esse in eodem modo suae substantiae. Igitur si intelligit, semper intelligit.“ 258

„Das erste, dass nämlich das Versteck des Geistes (abditum mentis) immer im Licht seiner wirklichen Erkenntnis steht, ist offenkundig, denn da es in seiner Substanz ein durch sein Wesen seiender Intellekt (intellectus per essentiam), den die Philosophen tätigen Intellekt (intellectus agens) nennen, ist ... hat es notwendig immer in derselben Weise seiner Substanz festen Bestand. Wenn es also erkennt, erkennt es immer (semper intelligit).“

 

Der tätige Intellekt benötigt, um erkennen zu können, kein Sein von außerhalb. Sein Wesen ist eine reine intellektuale Weise. Er ist der Ursprung (principium) und der wesentliche Grund (causa essentialis) der menschlichen Erkenntnisinhalte.259 Als das Aktive und alle Erkenntnisinhalte begründende Prinzip ist er für Dietrich, in Anlehnung an Aristoteles, vortrefflicher und hervorragender als der mögliche Intellekt.260 Während nun der intellectus agens von seinem Wesen her reine, d.h. nicht von äußeren Akzidenzien abhängige Intellektualität ist, wird der intellectus possibilis erst durch die Aktivität des tätigen Intellekts, seines begründeten Ursprungs, Wirklichkeit.261

„Der intellectus possibilis, der sich zuerst in reiner Möglichkeit befindet und keine positive Natur hat, wird vom tätigen Intellekt als seinem Prinzip geschaffen und ins Sein begründet.“262

Der mögliche Intellekt ist zuallererst die reine Möglichkeit, possibilitas, geistiger Erkenntnis.263 Er ist das passive, aufnehmende bzw. erleidende Prinzip des menschlichen Intellekts:

„Est aliud genus intellectum, quo sunt in potentia passiva, immo, quando sunt in acto, sunt ipsae passiones, secundum quod intelligere pati quoddam est sucundum Philosophum. Sed ante intelligere sunt purae possibilitates sub privatione non habentes aliquam naturam positivam.“ 264

„Es gibt eine andere Art von Intellekten, der sie in erleidender Möglichkeit zugehören, vielmehr sind sie, wenn sie in Wirklichkeit sind, die Erleidensakte selbst, da gemäß dem Philosophen [Aristoteles] das Erkennen eine Art Erleiden ist. Vor dem Erkennen aber sind sie reine Möglichkeiten, im Zustand der Beraubung, ohne eine positive Natur.“

Seinem Wesen nach bezieht sich der mögliche Intellekt auf sinnliche Vorstellungsbilder. Er ist nichts, bevor er durch den tätigen Intellekt zum Denken und Erkennen aktuiert wird.265

„Nur durch den tätigen Intellekt tritt der mögliche ins Sein; er geht durch ihn aus dem göttlichen Grund hervor und kehrt durch ihn dahin zurück.“266

Der intellectus possibilis ist keine Substanz wie der intellectus agens:

„Er ist die Form, in der der Mensch an der Intellektualität teilhat, denn nicht der mögliche Intellekt erkennt, sondern der Mensch durch ihn.“267

Der mögliche Intellekt wird also erst zum Intellekt durch species intelligibilis, durch geistige Erkenntnisbilder; „er wird dabei diese Erkenntnisbilder.“268

Dietrich weist mit seiner Konzeption die thomistische These zurück, der intellectus possibilis wäre – wie der intellectus agens – ein Seelenvermögen269; er wendet sich des weiteren gegen Averroes, für den tätige und mögliche Vernunft separate Geistwesen bzw. Substanzen seien.270 Für Dietrich ist der mögliche Intellekt „entweder nichts oder er wird erst in actu, wenn der tätige Intellekt ihn aktuiert.“271 Wenn er dann aber erkennt,

„hat er den ontologischen Status eines Akzidenz. Aber um das nicht misszuverstehen, brauchen wir, sagt Dietrich, die Unterscheidung von Natur-Sein und Erkenntnis-Sein, ens conceptionale. Als Erkenntnis-Sein ist der mögliche Intellekt Substanz. Denn konzeptionell konstituiert er die Sachen selbst ... . Die mögliche Vernunft als konzeptionale ist Substanz und ist allgemein; als psychischer Vorgang ist (die mögliche Vernunft) kein ‚Seelenvermögen‘, sondern ontologisch ein Akzidens.“272

Der intellectus possibilis ist somit sowohl Substanz als auch Akzidenz, aber kein Seelenvermögen. Von dorther kann Dietrich auch behaupten, der intellectus possibilis sei, obwohl mit einem rezeptiv-empfangenden Prinzip ausgestattet, gar keine „passive Potenz“273:

„Wenn er sich rezeptiv verhält, dann nicht gegenüber Körperdingen, sondern gegenüber dem tätigen Intellekt. Hat die wirkende Vernunft ihn aktuiert, dann wird er selbst das Prinzip intellektueller Operation; er prägt aus Eigenem die Wesenheiten der von ihm erkannten Dinge; er quidifiziert die Welt, sagt Dietrich.“274

Die gemeinsame Erkenntnisweise von tätigem und möglichem Intellekt in der Seele des Menschen wollen wir mit Flasch folgendermaßen zusammenfassen:

„Die rationes rerum, die Seins- und Erkenntnisgründe der Dinge, sind im Denken Gottes. Der tätige Intellekt, der sein Sein empfängt, indem er seinen Grund erkennt, erkennt in diesem sich selbst und die Wesensgründe der Dinge. Er strahlt sie in den möglichen Intellekt, der keine Seelenpotenz ist, bevor er erkennt, sondern erst im Erkennen sein Sein erhält, das als Naturbestand ein Akzidenz der Seele, aber als Bestimmender und Konstitutiver selbst Substanz ist in der Reihe des Erkenntnisseienden, des ens conceptionale. Als solcher ist auch er Urbild, exemplar, der Außendinge. Aber die unbestimmte Fülle der Einstrahlungen muss determiniert und appliziert werden. Deswegen braucht der mögliche Intellekt die phantasmata. Diese sind nicht zu verwechseln mit Phantasiebildern, sondern sind das Ergebnis eines Ablösungsprozesses, der die ratio particularis ist. Aus der Vereinigung der determinierenden Vorstellungsform mit dem noch offenen, aber bestimmbaren, konkretisierbaren Allgemeinen des möglichen Intellekts entsteht der Erkenntnisakt. Nur das Zusammen von intelligibler Erkenntnisform und Vorstellungsinhalt löst Einsicht aus.275 Die intelligible Erkenntnisform braucht die Vorstellungsform als ihren realen, determinierenden Anhalt, subiectum.276 Aber wenn der mögliche Intellekt erkennt, dann entsteht er als Akzidenz der Seele, zugleich konstituiert er die erkannte Sache von sich her aus deren Prinzipien, die ihre Gründe nicht nur des Erkennens, sondern des Seins sind277.“278

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