Rückkehr zu Gott

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I. Albertus Magnus (ca. 1193 – 1280) 114

Albertus ist der einzige Gelehrte, dem der Beiname „der Große“ gegeben wurde.115 Geboren in Lauingen (bei Dillingen) an der Donau, studierte er in Padua ein studium litterarum, ein Artes-Studium. 1223 trat er in den Predigerorden ein. 1245 erhielt er das Magisterium und ging als Professor für drei Jahre nach Paris. 1248 bekam er den Auftrag, das neue Haus für die Generalstudien in Köln zu gründen und zu leiten. Unter Albert wurde Köln zu einem der bedeutendsten wissenschaftlichen Bildungszentren des Abendlandes. Zu seinen ersten Schülern gehörte Thomas von Aquin. Von 1254 – 1257 war Albertus der Provinzial der deutschen Ordensprovinz. 1260 ließ er sich – trotz Warnungen des Ordensgenerals – zum Bischof von Regensburg ernennen. Zwei Jahre blieb er im Amt, dann trat er – obwohl er sein Amt sehr erfolgreich ausübte – zurück. Er wirkte sodann als Bibellektor in Würzburg und Straßburg und kehrte 1270 nach Köln zurück. Dort starb er am 15. November 1280.116

Wir beschränken uns in dieser Arbeit auf die Seelenlehre Alberts. In Alberts Gesamtwerk nimmt diese einen großen Raum ein:

„Zwischen 1250 und etwa 1263 verfasste Albert zum einen die breit angelegte Paraphrase zur Seelenschrift des Aristoteles, im weiteren die Libri de intellctu et intelligibili, die viele Anspielungen auf das dritte Buch von De Anima enthalten, eine eigenständige Schrift De natura et origine animae (die Albert selbst auch Liber de immortalitate animae zitiert), den Kommentar zur aristotelischen Metaphysik, der in vielen Kapiteln auf Probleme der Seelen- und Intellektlehre eingeht; und schließlich eine Streitschrift De unitate intellectus; diese wendet sich gegen arabisch-averroistische Fehldeutungen der aristotelischen Intellekt-Theorie. In den Kommentaren zu den zoologischen Schriften des Aristoteles, insonderheit zu den Abhandlungen über die Sinnenwesen und deren spezifische Fähigkeiten, erörtert Albert eine Reihe von wichtigen anthropologischen Fragen, die mit der Seelenlehre zusammenhängen. Die letztgenannten Schriften sind mutmaßlich zwischen 1254 und 1257 verfasst worden; die bereits erwähnte Abhandlung De natura et origine animae war zunächst als Teil des Liber de animalibus konzipiert worden.“117

Alberts Absicht war, „das großartige enzyklopädische System aller Wissenschaften, als welches sich die Philosophie des Aristoteles darbot“118, zu kommentieren.

1. Der Einfluss des Averroes auf Albertus Magnus´ Intellekt-Lehre

Der wichtigste Vermittler der aristotelischen Philosophie war für Albert der arabische Denker Averroes (1126 – 1198), da dessen Kompendium aristotelischen Denkens ins Lateinische übersetzt war. Averroes hatte die gesamte griechische und arabische Aristoteles-Deutung fast vollständig bearbeitet und war mit den interpretatorischen Problemen seiner Vorgänger bestens vertraut.119

Averroes setzt sich in seinem De-Anima-Kommentar120 ausführlich mit den Problemen auseinander, die sich aus der Intellektlehre des Aristoteles ergeben haben.121 Bei Aristoteles stehen sich zwei Seelenauffassungen gegenüber, die Seele als Lebensprinzip aller pflanzlichen, tierischen und menschlichen Körper einerseits, die Seele als Ort der möglichen Teilhabe am Ewigen und an der Erkenntnis aller Dinge andererseits – der menschliche Intellekt.122

Aristoteles bestimmt in seinem Buch De anima die Seele als „die erste Wirklichkeit eines natürlichen Körpers, der dem Vermögen nach Leben hat.“123 Die Seele ist demnach „Ursache und Ursprung des lebenden Körpers.“124 Darüber hinaus bestimmt Aristoteles den „nous“ (Geist, Intellekt) des Menschen als Teil bzw. als Vermögen der Seele. Der Intellekt ist „animae intellectus“125 bzw. die Seele ist „anima intellectiva“126. Dieser Intellekt ist laut Aristoteles „wesensgemäß unkörperlich“127, woraus er auf dessen Unsterblichkeit schließt. Beim Intellekt in der Seele gibt es nun zwei Weisen128:

„Die eine Weise ist ein intellectus, der alles wird, die andere ein intellectus, der alles bewirkt. Der intellectus, der alles bewirkt, macht die Dinge, die in dem alles werdenden intellectus der Möglichkeit nach sind, wirklich sichtbar, so wie das Licht die Farben, die ohne es nur der Möglichkeit nach sichtbar sind, zur Erscheinung bringt. Der intellectus, der alle Dinge werden kann und von sich selbst her leer ist, heißt im Mittelalter intellectus possibilis. Der Intellekt aber, der die Formen der Dinge in der Seele aufleuchten lässt, heißt im Mittelalter intellectus agens.“129

Der intellectus agens ist deshalb „edler“ und „vornehmer“ als der rezeptive intellectus possibilis.130 Wichtig ist nun, „dass der intellectus das einzige Seelenvermögen ist, das essentiell abgetrennt vom Körper ist: ‚Das Sinnesorgan existiert nämlich ohne Körper, der intellectus aber ist abgetrennt‘ (429 b 5).“131 Der Intellectus wird also erst das, was er seinem Wesen nach ist,

„in der Trennung … von der Seele; daher ist er nicht an der Vergänglichkeit des Körpers gebunden: … ‚Aber erst abgetrennt … ist er das, was er wirklich ist, und nur dieses ist unsterblich und immerwährend‘ (430 a 25).“ 132

Dagegen ist der rezeptive, erleidende Intellekt sterblich und geht mit dem Körper unter.

Die Konsequenz dieser Seelen- und Intellektlehre war, dass die christliche Lehre von der Unsterblichkeit der individuellen Seele in Frage gestellt werden konnte: Wenn nämlich der tätige Intellekt, wie Aristoteles lehrt, als abgetrennte Wesenheit und nicht als Teil der menschlichen Seele gedeutet wird, wie lässt sich dann überhaupt noch von der Unsterblichkeit der individuellen Seele sprechen?133

Dieses Problem erkannte Albert der Große. Eine große Hilfe war ihm dabei der Lösungsansatz des Averroes, der die Ungenauigkeiten des Aristoteles bei der genauen Bestimmung des menschlichen Verstandes zu überwinden suchte, indem er der Erkenntnisfähigkeit des Menschen, dem Verstand, vier geistige Tätigkeiten zuordnet134: Averroes bezeichnet den Verstand als „aktives, erleuchtendes Prinzip aller geistlichen Operationen“135 – den intellectus agens (den wirkenden, tätigen Verstand). Gemeint ist „ein aktives geistiges Prinzip, das aus den Höhen eines übergeordneten Geistes heraus in den menschlichen Seelen wirksam wird.“136 Diesem aktiven Prinzip ist der rezeptive Verstand zugeordnet: Der intellectus possibilis (mögliche Verstand) oder intellctus materialis (materiale Verstand) ist der „Ort des Erkennens“137. Der intellectus possibilis nimmt die vom intellectus agens erzeugten Formen auf. Das im intellectus possibilis nur mögliche Erkennbare kann erst durch die Tätigkeit des intellectus agens Wirklichkeit werden. Intellectus agens und intellectus possibilis, aktives und passives Prinzip des menschlichen Verstandes, gehören somit zusammen und sind für Averroes gleich ursprünglich. Deshalb sind beide „unvergänglich und … überindividuell.“138 Als drittes Prinzip des menschlichen Verstandes bezeichnet Averroes die Einbildungskraft (intellectus passivus). Der passive Verstand ist abhängig von den durch die Sinnesorgane vermittelten sinnlichen Daten. Die Einbildungskraft ist an den menschlichen Organismus gebunden und somit sterblich.139 Die im Laufe eines Lebens erworbenen Denkinhalte des passiven Verstandes sind bei den Menschen verschieden; sie konstituieren das Wissen und den Bildungsstand des einzelnen Menschen. Den in einem Leben erarbeiteten Wissensstand nennt Averroes den theoretischen bzw. habituellen Verstand – intellectus speculativus oder habitualis.140

Den intellectus agens stattet Averoes nach Aristoteles De anima III, 5 mit folgenden Prädikaten aus141: (1) Der Intellekt ist als intellectus agens in actu. Er erkennt aufgrund seiner Aktualität alles. (2) Der intellectus agens ist seinem Wesen nach Tätigkeit. „Als Wissen, das in actu ist, ist er seine Inhalte.“142 (3) Der intellectus agens schafft (creare) die Erkenntnisinhalte für den veränderlichen Intellekt. (4) Der Mensch ist aufgrund des intellectus agens Gott ähnlich. „Die Dinge seien nichts anderes als das Wissen Gottes.“143

Die Intellektlehre des Averroes betont die Nicht-Individualität des tätigen und möglichen Intellekts. „Geistige Erkenntnis war gedacht als das Eintreten des individuellen Denkens in die Sphäre der Allgemeinheit, Verbindlichkeit, Über-Individualität.“144 Die aktiven Verstandesteile der Intellekte aller Menschen leben nach dem Tod des Einzelmenschen zwar weiter, doch sind sie einheitlich, d.h. zu einer Einheit in einer überirdischen geistigen Instanz verschmolzen.145 Das hat zur Folge, dass „eine persönliche und individuelle Unsterblichkeit der menschliche Seele … damit ausgeschlossen“146 ist. Averroes beseitigt mit seiner Lehre des Verstandes somit

„zwar die Ungereimtheiten der aristotelischen Intellektlehre, die Frage jedoch, wie ein anonymer Geist konstitutiv sein könnte für eine besondere Art von Seele, die Form ist für ausschließlich den menschlichen Leib, wird vernachlässigt. Averroes bemüht sich bloß um den … Nachweis, dass der ´intellectus materialis´, der rezeptive Geist, keinesfalls ein Epiphänomen der körperlich-materiellen Konstitution des menschlichen Leibes sein kann.“147

2. Alberts Intellekt-Spekulation – substantiale Einheit der Seele

In der Schrift „De unitate intellectus contra Averroistas“ setzt sich Albertus Magnus mit der averroistischen These von der „Einheit des Verstandes“ auseinander.148 Darin stimmt er Averroes zu, dass der intellectus agens und der intellectus possibilis als gleich ursprünglich zusammengehören und dass deswegen beide „getrennt“ und „einig“ sein müssen. Das gelte dann auch für den gesamten Verstand. Daraus folgt weiter, dass sich diese vom Körperlichen „getrennte“ geistige Wesenheit nicht in materieller Vielheit vervielfältige, sondern eins bleibe.149

 

Im Einzelnen sagt Albert gemäß Averroes, die menschliche Seele sei eine einheitliche Substanz mit mehreren Vermögen. Ein Teil dieser Vermögen komme der Seele zu, sofern sie der Verwirklichung des menschlichen Körpers diene; der Verstandesteil der Seele jedoch – der Intellekt – wirke getrennt vom menschlichen Organismus. Dieses „getrennte“ Vermögen sei deshalb ein Teil der Seele, weil sie Ähnlichkeit mit der ersten Ursache habe, welcher sie ihr Sein verdanke.

„Wir wollen sagen, dass in unserer Seele ein Verstandesteil ist, und wir behaupten, dass, was man Verstandesseele nennt, eine Substanz ist, welcher Vermögen entspringen, die teilweise getrennt sind, so dass sie weder körperliche Formen noch Kräfte innerhalb des Körpers sind; andere aber entspringen ihr, die Kräfte sind, welche im Körper wirksam werden. Und jene, die nicht Kräfte innerhalb des Körpers sind, sind ihr (=der Seele) aufgrund ihrer Ähnlichkeit mit der ersten Ursache, durch welche (die Seele) ist und Bestand hat. Jene aber, die Kräfte innerhalb des Körpers sind, befinden sich in ihr, sofern sie eine Seele ist, deren Eigentümlichkeit es ist, Verwirklichung eines Körpers zu sein und innerhalb des Körpers und in die Natur hinein zu wirken, denn so sind die Natur und die naturhaften Vermögen ihre (=der Seele) Instrumente.“150

Albert erklärt weiter: Der Intellekt, der aufgrund seiner Teilhabe an der ersten Ursache ein „Abglanz des ersten Lichtes“ ist, ist der tätige Verstand (intellectus agens). Er erleuchtet und beleuchtet die sich abwechselnden Gegenstände menschlichen Denkens. Den intellectus agens versteht Albert dabei als ein „reines Erleuchten“, das jedoch mit der Verstandhaftigkeit der Gesamtseele korrespondiert, sofern sie den menschlichen Organismus mit Leben erfüllt. Die Gesamtseele verschafft also dem Intellekt seine Denkobjekte. Der Intellekt, welcher in Verbindung mit dem Leib solche Denkobjekte bekommt, ist der mögliche Intellekt (intellectus possibilis).151

„Und auch der Verstand, der aus ihr (der Seele) fließt, sofern sie selbst der ersten Ursache entspringt und durch sie im Sein Bestand hat, … ist in ihr wie das Licht und ist der tätige Verstand, der deswegen veränderlich ist und sich auf veränderliche Weise im Betrachten auswirkt, weil er selbst Abglanz einer ersten geistigen Natur ist, die zur ersten Ursache hingewendet ist durch Teilhabe an deren Licht; was aber aus ihr fließt, sofern sie selbst eine Substanz ist, durch welche die Natur des Körpers beständig, fest und sich beschränkend ist, ist der mögliche Verstand.“152

Albert kommt zu dem Ergebnis:

„Die Verstandesseele des Menschen ist eine substantiale Einheit; zu unterscheiden sind ihre Vermögen, und diese haben unterschiedliche Funktionen und Wirkweisen; so ist auch der Verstand eines von mehreren Vermögen, welche der Seele als Form des menschlichen Körpers zukommen.“153

Averroes hat nun dem menschliche Geist – der Verstandesseele – eine höhere Seinsweise zugeschrieben und von der menschlichen Seele, sofern sie den Organismus leben lässt, getrennt. Damit aber habe – laut Albert – Averroes die aristotelische Rede von der „Getrenntheit“ und „Ewigkeit“ des menschlichen Geistes missverstanden.154 „Getrennt“ sei der Verstand im Sinne einer unabhängigen Existenz keineswegs, sondern sofern er eine Seelenkraft sei, die unabhängig vom menschlichen Organismus funktioniere.155 „Ewig“ sei der Verstand auch nur in einem ganz bestimmten Sinne. Seine Veränderungen seien nicht mit denen der Natur vergleichbar, die in der Zeit ablaufen. Er entstehe nicht wie ein Naturding, sondern auf überzeitliche Weise. Der Verstand verändere sich „in der Weise der ‚Selbstverwirklichung‘, z.B. im Vollzug des betrachtenden Denkens, der Theorie.“156

„Wenn man aber [wie Averroes]) das ‚ewig‘ nennt, was auf keine Weise durch Möglichkeit und Verwirklichung ins Sein gekommen ist, weder in der Zeit noch außer der Zeit, dann ist in diesem Sinne ausschließlich die erste Ursache ‚ewig‘. Und die geistige Natur und überhaupt jede zweitrangige Substanz ist nicht ewig, denn eine solche ist von sich her Möglichkeit, und in Verwirklichung und Notwendigkeit ist sie durch das, was sie von der ersten Ursache hat.“157

Für Albertus Magnus ist also die Seele

„eine solche Substanz, aus der Vermögen fließen, die (teils) von der Materie getrennt sind und (teils) nicht getrennt sind, und gemäß ihrer selbst ist sie unvergänglich und dauerhaft, wenn sie auch hinsichtlich des Seins bestimmter Vermögen vergänglich ist. Und dies sagen wir über die menschliche Seele und über keine andere.“158

Die gesamte menschliche Verstandesseele überdauert den Tod, „weil sie eine substantiale Einheit ihrer Vermögen ist.“159

Im Einzelnen nimmt Albert in seinem Kommentar zu Aristoteles´ De anima Korrekturen an der averroistischen Deutung des Aristoteles vor.160 Zunächst stellt Albert fest, dass in allen Bereichen des Seienden ein tätiges, aktives Prinzip mit einem aufnehmenden, materieartigen passiven Prinzip korrespondiert. Das gelte auch für den Verstand. Der tätige Verstand (der intellectus agens) sei das produktive Prinzip, welches die erkennbaren Formen bilde. Der mögliche Verstand (der intellectus possibilis) nehme diese Formen auf.161

„Der tätige Verstand ist wie das Licht, das Farbiges sichtbar macht; er trennt das, was der Möglichkeit nach erkennbar ist, von den Bedingungen und Einschränkungen der Materialität und lässt somit das wirklich Erkennbare vom möglichen Verstand aufnehmen.“162

In beiden Hinsichten, so Albert, arbeite der Verstand in einer Weise, die über das Körperlich-Organische und Stoffliche hinausreiche.163 Daraus folgt: Der intellectus possibilis ist – im Sinne des Aristoteles – ebenso „getrennt“ und „unvermischt“ mit der Beschaffenheit der erkannten Dinge wie der intellectus agens.164 Der mögliche Verstand (intellectus possibilis) ist im Unterschied zum tätigen Verstand (intellectus agens) jedoch „leidensfähig“, d.h. er ist rezeptiv; er nimmt die erkennbaren Formen des tätigen Verstandes in sich auf.165 Darüber hinaus ist der intellectus agens das „Licht des Erkennens“. Das bedeutet: Sein Erkennen ist ein „Bei-sich-selbst sein“166; er ist in sich, von seinem ganzen Wesen seine Tätigkeit, sein Denken. Der intellectus possibilis dagegen erfasst die von ihm unterschiedenen Erkenntnisinhalte. Dennoch darf man den tätigen Verstand wegen seines selbstständigen und vom körperlich-organischen getrennten Intellekts nicht aus der menschlichen Seele aussondern: „Der mögliche Verstand gehört … notwendig zum tätigen Verstand, und beide wiederum gehören wesenhaft zur menschlichen Seele.“167 Albert begründet dies folgendermaßen:

„Da nämlich die Seele, ‚ein gewisser Widerschein des Lichtes einer getrennten Intelligenz‘ ist, sind in ihr beide notwendig. … Und von diesem Sein der Seele fließen zwei Kräfte, deren eine der tätige Verstand ist, der von dem aufgenommenen Licht selbst verursacht wird, in welchem das Licht aufgenommen wird. Und als eine in diesen beiden (Kräften) vollendete und getrennte Substanz existierend, ist die Seele eine Substanz, die immer dauert und durch den Tod des Körpers nicht zerstört wird.“168

Im Weiteren beschreibt Albert die Dynamik der verschiedenen Verstandeskräfte in der menschlichen Seele. Der tätige Verstand erzeugt die Denkinhalte nicht aus sich selbst. Das, was der Möglichkeit nach erkennbar ist, macht er im intellectus possibilis zu einem aktuellen Denkinhalt. Das aber geschieht, indem der tätige Intellekt auf die Einbildungskraft (intellctus passivus) einwirkt und deren Inhalte in Denkgehalte umwandelt. Die Einbildungskraft wiederum erhält ihre Inhalte ausschließlich aus der durch den menschlichen Organismus erfolgten Wahrnehmung. Das aber, was wahrgenommen wird, ist nun unabhängig von der Präsenz der wahrnehmbaren Dinge.169 „Was dem möglichen Verstand zugeführt wird, sind also die aus der Einbildungskraft herausgeholten Formen.“170 Sofern der mögliche Verstand von diesen Erkenntnisinhalten geprägt wird, heißt er „theoretischer Verstand“ (intellectus habitualis bzw. speculativus).171 Zu diesem „theoretischen Verstand“ bemerkt Albert:

„Aber auch der theoretische Verstand hat ein zweifaches Sein, das eine im Lichte des (tätigen Verstandes), wodurch er (überhaupt) betrachtend wird, das andere aber im Verhältnis zu den Dingen, deren Bild (species) er (jeweils) ist, und in dieser Hinsicht wird er gemäß Möglichkeit und Verwirklichung (also nach Art eines Naturprozesses) vervielfältigt und verändert. Aus dem ersten Sein heraus jedoch erfährt er keine Veränderung.“172

Der mögliche Verstand ist also, sofern er von den ständig wechselnden Denkinhalten der Einbildungskraft geprägt wird, als theoretischer Verstand, „leidensfähig“ und auch vergänglich. Für sich genommen aber, einzig und allein von seinem Sein als möglicher Verstand her, ist er jedoch unvergänglich.173

„Wenn es also einmal geschieht, dass er von den Tätigkeiten der Kräfte der Wahrnehmungsseele getrennt wird, dann wird (die Seele) sich weder erinnern noch Vorstellungsbilder haben; obgleich nämlich jene vernunfthafte Substanz als ganze vom Körper getrennt wird, so arbeitet sie doch hinsichtlich bestimmter Kräfte nur innerhalb eines Körpers; folglich hat sie, wenn sie nicht in einem Körper ist, keine Tätigkeit des Verstandes gemäß jener naturhaften Hinwendung auf diese (Kräfte).“174

Für die nach dem Tode vom Körper getrennte Seele bedeutet dies aber keine Verarmung:

„Wenn nämlich der mögliche Verstand aus der Möglichkeit in die Verwirklichung übergeht, dann macht er Gebrauch von Erinnerung, Wahrnehmungsfähigkeit, Vorstellung und Phantasie, denn aus der Wahrnehmung holt er die Erfahrung, aus der Erfahrung das Gedächtnis und aus dem Gedächtnis das (Wissen um das) Allgemeine. Wenn er aber das Wissen schon hat, heißt er ‚erworbener Verstand‘, und dann bedarf er nicht länger der Kräfte der sinnenhaften Seele, als er, wie Avicenna sagt, ein Fahrzeug suchte, um in die Heimat zu fahren, und wenn er in der Heimat angekommen ist, dieses Fahrzeug nicht länger braucht.“175

In Alberts Deutung kommen somit alle vier averroistischen Bedeutungen des Verstandes wieder vor. Er hat sie jedoch in der Weise modifiziert, dass er auf die Unsterblichkeit der gesamten Verstandesseele schließen kann:

„Im Unterschied zu Averroes versteht Albert die menschliche Seele nicht als ein System von verschiedenen ‚Schichten‘, über deren Seinsmodi jeweils gesondert verhandelt werden könnte, sondern als funktionale Ganzheit, als eine Substanz, die ‚mehrere Vermögen aus sich entlässt‘ und diese auf unterschiedliche Weise wirken lässt.“176

Alberts Deutung hat, wie Craemer-Ruegenberg betont, im Kontext der gesamten Seelenlehre des Aristoteles einen höchst beachtlichen Vorsprung vor der Auffassung des Averroes:

„Sie macht nämlich plausibel, wieso die Verstandesseele im Sinne der Aristotelischen Definition ‚Form des menschlichen Körpers‘ und Ermöglichungsgrund für dessen Lebenstätigkeiten ist und zugleich ‚getrenntes‘ und ‚trennbares‘ Geistwesen.“177

Für Albert ist die menschliche Verstandesseele eine substantiale Einheit, aus welcher

„Vermögen fließen, die (teils) von der Materie getrennt sind, und gemäß ihrer selbst ist sie unvergänglich und dauerhaft, wenn sie auch hinsichtlich des Seins bestimmter Vermögen vergänglich ist. Und dies sagen wir über die menschliche Seele und über keine andere.“178

Generell aber – und das ist wichtig im Vergleich zu Dietrich von Freiberg – versteht Albert den Intellekt als ein Seelenvermögen, als Gestaltungsprinzip des Körpers.

 

Für die Theologie und Philosophie des Mittelalters brachte Alberts „Begründung des mit der Unsterblichkeitsthese verknüpften ‚anima-forma-corporis‘-Theorems aus den Prämissen der arabisch-islamisch umgestalteten ‚peripatetischen‘ Metaphysik … unverhoffte und … neue anthropologische Einsichten: auch die materielle Seite des Menschen, der menschliche Organismus mit seinen spezifischen und individuellen Besonderheiten“179, konnte nun als etwas Bedeutendes angesehen werden. Die „Albert-Schule“ hat zwei intellektheoretische Konzepte hervorgebracht: die Auffassung des Thomas von Aquin einerseits180, die Lehre des Dietrich von Freiberg andererseits. Im deutschen Sprachraum war vor allem der Einfluss Dietrichs von Freiberg groß.