STRANGERS IN THE NIGHT

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Musik im Blut

Die Kriegsgefangenschaft war die erste Gelegenheit, bei der Rehbein das Überleben durch seine besondere Fähigkeit praktizierte. Er sprengte seine inneren Grenzen. An Qualen mangelte es nicht. Der Alltag war voll von Demütigungen. Die Männer hatten kahl geschorene Köpfe, sahen zerlumpt aus. Viele mussten beim Bau von Eisenbahnstrecken mitarbeiten und bis zur Erschöpfung Schienen schleppen.

Die Situation im Lazarett, wo Rehbein sich abmühte, hatte sich etwas beruhigt. Es starben nicht mehr so viele Männer. Der Winter jedoch war hart, und die Heimat lag in weiter Ferne, sie war unerreichbar.

Im Lager hatte sich unter kommunistischer Leitung ein antifaschistischer Ausschuss, »Antifa« genannt, gebildet, der sich darum bemühte, die Gefangenen zu Kommunisten umzuschulen. Dieser Ausschuss unterstand einer Zentrale in Belgrad, die von dort aus etwa dreißig Kriegsgefangenenlager und deren Außenstellen im Umkreis von vierzig Kilometern leitete.

Rehbein, für den jede Ideologie ein Gräuel war, unterwarf sich nur mühsam einer solchen Prozedur. Doch schon bald reifte in ihm eine Idee, die er zwei seiner ehemaligen Mitmusiker mitteilte. Rehbein wollte ein Kriegsgefangenen-Orchester gründen.

Das war nicht einfach, aber nicht unmöglich. Einer der Gefangenen hatte in einem Schuppen, mitten in beschlagnahmtem Kriegsgerät, einige Instrumente entdeckt. Darunter auch eine Geige, zwar in schlechtem Zustand, aber mit einigem Willen war sie spielbar.

Die ersten näheren Besprechungen fanden in der Warteschlange vor dem »Zwölfzylinder« statt. Der »Zwölfzylinder« war die einzige sanitäre Anlage im Lager. Er bestand aus zwölf blechernen Trichtern, die nebeneinander in einer schmalen Baracke in den Boden eingelassen waren. Diese primitive Einrichtung musste für mehr als tausend Mann reichen. Demzufolge herrschte dort Dauerbetrieb. Und es stank dementsprechend. Zwei Gefangene hatten im Schichtbetrieb die Aufgabe, im »Zwölfzylinder« für Ordnung zu sorgen. Dazu gehörte auch das Spülen mit einem Wassereimer.

Mitunter konnten die Gefangenen Briefe nach Hause schreiben. Rehbein erhielt von seiner Mutter eine traurige Nachricht: Arno, Rehbeins Bruder, war tot, Opfer eines der vielen Bombenangriffe. Er hatte, noch ein halbes Kind, im Volkssturm dienen müssen. Rehbeins Vater war aus der Wehrmacht zurückgekehrt. Der Mutter ging es gesundheitlich schlecht. Sie litt an Herzbeschwerden. Die vielen Bombennächte in Hamburg hatten bei ihr einen dauerhaften Schock ausgelöst. Rehbein wusste nicht, was er seiner Mutter zurückschreiben sollte.

»Hosenkrank« bedeutete, dass einer der Gefangenen keine Hose mehr besaß. Die ständig getragenen Kleidungsstücke fielen auseinander. Ersatzhosen gab es nicht. Wer keine Hose mehr besaß, konnte nicht zur Arbeit gehen. Er war also eben »hosenkrank«. Außer wenn die Sonne schien. Dann wurde der Mann ohne Hose dem »Sonnenscheinkommando« zugeteilt und musste, eine Wolldecke um den Bauch, im Freien eine speziell zugeteilte Arbeit verrichten.

Rehbein war »hosenkrank«. Er stand in der Baracke, die zerlöcherte Wolldecke um den Bauch. Mit zu kalten Fingern spannte er den Violinbogen. Setzte die Geige zwischen Hals und Schulter, neigte den Kopf zur Kinnstütze. Versuchte das Instrument zu stimmen, drehte an den Wirbeln: g – d – a – e, das schaffte er unter diesen Umständen nie. Seine Finger tasteten das Griffbrett ab. Es fühlte sich an wie eine Eisspur. Die Saiten schnitten ein. Er nahm den Bogen hoch, strich einige zaghafte Züge. Die Bespannung haftete schlecht, da es an Kolophonium fehlte.

In der Baracke erklang Musik, Geigenklänge, gespielt von Herbert Rehbein. Vielleicht hörte es draußen jemand. Das war ihm im Moment gleichgültig.

Es dauerte nicht lange, bis der Kommissar von der Sache mit der Geige erfuhr. Der Kommissar mochte Rehbeins Musik, denn Rehbein hatte die Gabe, wie ein Zigeuner zu spielen. Er entlockte dem Instrument jagende oder klagende Klänge, zart oder teuflisch. »Muzikar gut«, sagte der Kommissar. »Du jetzt spielen und nicht mehr arbeiten.«

Es war klar, dass mehr Musiker her mussten. Der Kommissar, den Musik offensichtlich begeisterte, stimmte zu. Rehbein durfte eine Besetzung zusammenstellen, sein Kriegsgefangenen-Orchester. Insgesamt elf Mann, da sich nicht mehr Instrumente auftreiben ließen. Endlich kam Farbe in den harten Gefangenenalltag. Die Neuigkeit machte überall die Runde. Hoffnung breitete sich aus. Rehbein war bemüht, geeignetes Notenmaterial zu finden. Er arrangierte, schrieb neu, obwohl es auch an leeren Notenblättern fehlte.

Der Kommissar war hilfsbereit. Er veranlasste, dass Notenpapier besorgt wurde. Die Musiker erhielten Sonderrationen. Ab und zu gab es sogar Zigaretten. Die Männer um Rehbein mussten sich nicht mehr die Köpfe kahlscheren lassen, durften die Haare länger tragen. Rehbein besaß auch wieder eine brauchbare Hose.

Das erste Konzert rückte näher. Ein Vertreter des Antifa-Ausschusses war mit der Leitung beauftragt worden. Das Konzert sollte außerhalb des Lagers stattfinden. Ausschließlich für die Gefangenen. In einem richtigen Saal. Das war eine Sensation.

Am Tag der Veranstaltung wurde eine ausgesuchte Anzahl Gefangener unter strenger Bewachung aus dem Lager geführt. Die Musiker waren schon am Nachmittag in den Saal gebracht worden. Unter strenger Bewachung konnten Rehbein und seine Männer dort ihre Notenpulte aufbauen und eine Probe abhalten. Die Vorstellung fand am Abend statt. Wie sich bald herausstellte, waren auch Gefangene aus anderen Lagern anwesend.

Ein einziges Konzert genügte, und das KriegsgefangenenOrchester unter der Leitung von Herbert Rehbein wurde in Belgrad und Umgebung zu einem Begriff. Sehr schnell folgten weitere Auftritte. Bei dem ersten Konzert hatte Rehbein auch einen Kameraden aus seiner Zeit auf Kreta wiedergetroffen, Heinz Schubert aus dem Lager Senjak in Beograd. Und es dauerte nicht lange, da traten Rehbein und seine Musiker in diesem Lager auf. Nicht ohne Folgen, wie sich herausstellte.

Heinz Schubert hat sich einige Tage Zeit für meine Recherchen genommen. Schubert ist ein erfolgreicher Geschäftsmann in Berlin, der in seinem Leben eine renommierte Fachfirma für Medizintechnik aufgebaut hat. Wir reden über den Krieg, über die Jahre, die er als Soldat auf Kreta und später in Jugoslawien hat verbringen müssen. Schubert war Bataillonsschreiber 2a–2b gewesen. Er hatte Rehbein auf Kreta kennen gelernt. Danach trafen die beiden Männer immer wieder zusammen. Sie machten denselben Leidensweg durch. Und sie befreiten sich später gemeinsam aus dem Joch der Kriegsgefangenschaft.

Als Rehbein und sein Kriegsgefangenen-Orchester 1946 im Lager Senjak auftraten, war Heinz Schubert gerade »hosenkrank«. Schubert war an der Sache mit der Musik sofort sehr interessiert und wollte ein eigenes Orchester gründen. Schließlich hatte er Schlagzeug gespielt und auch schon einige Texte verfasst. Doch was ihn noch mehr faszinierte, war die Möglichkeit, auf diese Weise vielleicht dem täglichen Gefangenendasein zu entkommen.

Es dauerte nicht lange, da hatte auch Schubert einige Musiker versammelt, alles Gefangene, die sich diese Chance natürlich nicht entgehen lassen wollten. Ziko, jugoslawischer Sanitätsreferent und Dolmetscher, half mit, vermittelte bei den Vorgesetzten. Dazu kam die Versetzung von einem Mann namens Edmund Koetscher nach Senjak, der in den letzten Jahren Kapellmeister am Sender Belgrad gewesen war. Mit seiner Hilfe wurde es möglich, Instrumente zu besorgen.

Die ersten Konzerte fanden statt, zuerst noch in Senjak, dann begann eine regelrechte Tournee durch andere Lager.

Während sich für Schubert die Situation verbesserte, erlitten Rehbein und seine Musiker einen Rückschlag. In Pancevo hatte ein neuer Kommissar die Auflösung des Kriegsgefangenen-Orchesters veranlasst. Rehbein musste wieder im Lazarett arbeiten.

Monate vergingen. Wie Rehbein erfuhr, war nach kurzer Zeit auch das Orchester von Schubert aufgelöst worden. Die Kommandantur in Belgrad duldete nur noch ein einziges Orchester. Es spielten Musiker aus verschiedenen Lagern mit und nannte sich offiziell »Gefangenen-Unterhaltungsorchester Belgrad«. Mehr wusste Rehbein davon nicht. Doch eines Tages hatte er die Gelegenheit, einem Konzert dieses Orchesters, das von Lager zu Lager reiste, beizuwohnen. Das Konzert fand in dem Saal in Pancevo statt, in dem Rehbein mit seinen Musikern den ersten Auftritt gehabt hatte.

Zu seiner Überraschung sah Rehbein, dass Schubert im »Gefangenen-Unterhaltungsorchester Belgrad« als Schlagzeuger und Conférencier mitwirkte.

Schubert entdeckte Rehbein im Publikum und holte ihn nach dem Konzert hinter die Bühne. Dort stellte er ihn Ziko vor. Rehbein erfuhr, dass Schubert der Mann war, den die Kommandantur in Belgrad mit der Besetzung des nunmehr einzigen Kriegsgefangenen-Orchesters beauftragt hatte. Rehbein wusste, dass dies eine gute Chance für ihr war. Er musste in dieses Orchester aufgenommen werden. Heinz Schubert – von Ziko protegiert – tat sein Bestes.

Der Entscheid der Kommandantur in Belgrad fiel schneller als erwartet. Rehbein, der Posaunist Otto Ludwig und der Fagottist Henschel wurden nach Senjak versetzt, wo sie nun Mitglieder des »Gefangenen-Unterhaltungsorchester Belgrad« wurden.

Das Lager Senjak bestand aus drei großen Baracken und einem als Kommandantur dienenden Steinhaus, in dem sich die Wachmannschaften, aber auch einige Deutsche wie der Lagerarzt, ein Apotheker, die Friseure und das Küchenpersonal einquartiert hatten. In einem zweiten, wesentlich besser gebauten Haus wohnten der Kommandant und der Kommissar. Das ganze Areal war mit Stacheldraht umzäunt und wurde von jugoslawischen Posten bewacht.

 

Geprobt wurde im Steinhaus, in dessen Dachstock die Musiker auch schliefen. Rehbein spielte die Geige. Mit den Arrangements hatte er nichts zu tun. Das war Sache des musikalischen Leiters Alfred Schindler.

Das »Gefangenen-Unterhaltungsorchester Belgrad« gastierte in regelmäßigen Abständen in den verschiedenen Lagern und Außenstellen. Eine solche Tournee dauerte etwa einen Monat. Dann fing alles wieder von vorne an.

Rehbein begegnete Edmund Koetscher das erste Mal im Dachzimmer des Steinhauses. Koetscher saß nackt auf einem der drei Bänke, die um den dortigen Kachelofen gruppiert waren, und zupfte an einer Geige. Koetschers Großvater war Geiger unter Liszt und Wagner gewesen. Koetscher selbst hatte bereits große Erfolge geschrieben, unter anderem Dorfmusikanten und Sensation. Nach dem Krieg sollte er seine Karriere fortsetzen und mit seiner Liechtensteinerpolka einen Welterfolg landen.

Rehbein verstand sich mit Koetscher nicht besonders, schon weil ihm dessen Musik zu platt war. Koetscher gab Rehbein aber den Tipp, sich bei Radio Belgrad zu bewerben. Dort wurde beim großen Unterhaltungsorchester, unter der Leitung von Herrn Gutescha, ein Konzertmeister gesucht.

Rehbein und der Posaunist Otto Ludwig bewarben sich mit Erlaubnis des Lagerkommandanten bei Radio Belgrad. Sie wurden zum Probespielen eingeladen. Heinz Schubert, der die beiden begleiten durfte, erinnert sich: »Ich werde nie vergessen, wie Otto Ludwig mit einer ganz alten Ventilposaune ankam, auf der er erstaunlicherweise ganz toll spielen konnte. Er blies aus der Ouvertüre zur Bagatelle den Solopart eines Cellos, was Herrn Gutescha sehr gut gefiel.«

Rehbein trug Passagen aus dem A-Dur-Konzert von Mozart vor. Gutescha war angesichts seiner musikalischen Fähigkeiten beeindruckt. Damit war Herbert Rehbein als Erster Geiger und Konzertmeister beim großen Unterhaltungsorchester von Radio Belgrad engagiert. Kriegsgefangener blieb er nach wie vor. Doch das war jetzt kaum noch der Rede wert.

Rehbein ging jeden Tag vom Lager Senjak aus zu seiner Arbeit als Konzertmeister in den Radiosender Belgrad. Von den Musikern dort wurde er schnell respektiert. Er hatte das sichere Gespür für Arrangements und verstand es auch, ohne Aufdringlichkeit mit den Mitspielern um zugehen. Es darf nicht vergessen werden, dass er sich inmitten von slawischen Geigern aufhielt, die teilweise eine geradezu teuflische Spielfertigkeit besaßen.

Gutescha von Radio Belgrad bemühte sich bald darum, Rehbein und Otto Ludwig aus dem Lager Senjak zu holen und eine Unterkunft in der Stadt zu organisieren.

Rehbein und Schubert, der inzwischen auch außerhalb des Lagers wohnte, verabredeten sich nun oft. Schubert hatte durch Edmund Koetscher ein Turmzimmer in einem herrschaftlichen Haus gefunden. Über der Tür hing ein Schild, auf dem »Schubertstüberl« stand. Dieses Zimmer wurde in Belgrad unter den deutschen Musikern bekannt. Auch Rehbein war dort als ständiger Gast anzutreffen.

Für Rehbein war die Arbeit als Konzertmeister beim Radiosender wichtig. Das allein genügte ihm aber nicht. Schubert weiß dazu Folgendes: »Auf Grund der guten Beziehungen, die Herbert zu den Musikern und anderen Leuten hatte, kam er eines Tages zu mir und sagte: ›Pass mal auf, wir wollen jetzt eine kleine Besetzung aufmachen, vielleicht mit vier, fünf Mann.‹ Rehbein hatte die Absicht, auf diese Weise in Tanzlokalen oder an sonstigen Veranstaltungen aufzutreten, natürlich um dabei auch zusätzlich etwas zu verdienen. Gesagt und getan. Wir fanden einige Musiker, die mitmachen wollten. Es waren alles Deutsche, darunter Otto Ludwig mit der Posaune, Herbert spielte Geige und ab und zu Klarinette, am Flügel saß ein ehemaliger Kapellmeister, unser Freund Teschendorf, den wir schon vom Lager kannten und der mitunter auch bei Radio Belgrad als Arrangeur tätig war. Ergänzt wurde die Besetzung durch einen Bandoneonspieler, einen Gitarristen und einen Trompeter. Für mich selber wurde ein Schlagzeug besorgt, und somit waren wir komplett.« Mit dieser Besetzung spielten die Musiker um Rehbein nun zu Veranstaltungen beim »Klub deutscher Schaffender«.

Durch eine weitere Verbindung bot sich die Möglichkeit an, im früheren »Ruski Zar«, einer bekannten Bar im Zentrum von Belgrad, die halb in einem Keller lag, aufzutreten. Es war ein vornehmes Lokal. Dort spielte Rehbein und seine Leute jeweils an den Wochenenden, wobei die Gage nach Mitternacht verdoppelt wurde. Diese Auftritte dauerten meistens bis morgens um vier Uhr.

Schubert dazu: »Die flotte Musik, die wir unter der Leitung von Herbert machten, zog viele Menschen an. Schon bevor das Lokal öffnete, standen viele davor. Einmal wurde sogar eine Schaufensterscheibe eingedrückt und die Polizei musste eingreifen.«

Es kam öfter vor, dass die Musiker von Samstagabend bis am Sonntagmorgen um vier Uhr im ehemaligen Ruski Zar auftraten und wenige Stunden später im anderen Stadtteil zum Frühstück spielen mussten. Manchmal gab es auch am Sonntagnachmittag noch ein Engagement, und am Abend war Rehbeins Besetzung wieder im Ruski Zar anzutreffen. Die Instrumente wurden nicht selten zu Fuß transportiert, was für Schubert als Schlagzeuger nicht immer unproblematisch war. Für weitere Strecken mieteten sie eine Pferdekutsche.

Die Zeit der Gefangenschaft in Jugoslawien hatte einige schillernde Figuren hervorgebracht. Im Kampf ums Überleben zeigte sich bei einigen Menschen ein besonders ausgeprägter Charakterzug, der auf viele wie ein Magnet wirkte. Rehbein gehörte sicher nicht zu der Sorte, die sich mit plakativem Glanz umgaben. Er war nicht laut, nicht schrill, kein Händler, keine Krämerseele, nichts dergleichen. Sein Verhältnis zur Musik bestimmte sein Leben. Und alles, was er in den Jahren seiner Kriegsgefangenschaft erreicht hatte, wurde daraus genährt.

Für Rehbein hätten in Jugoslawien viele Wege offen gestanden. Doch er wollte nach Deutschland zurück. Seiner Mutter, mit der er brieflichen Kontakt hatte, ging es schlecht. Sie wäre froh gewesen, ihren einzigen noch lebenden Sohn bei sich zu haben. Rehbein war aber noch immer jugoslawischer Kriegsgefangener. Auch Schubert, in derselben Situation, hatte den Wunsch, endlich wieder in seine Heimat zurückkehren zu können. Er erinnert sich:

»Im Sommer 1949 – ich glaube, es war Ende Juni – erfuhren wir, dass Ende Juli durch das Rote Kreuz ein letzter Transport mit entlassenen Gefangenen nach Deutschland gehen sollte. Herbert und ich beschlossen, da mitzufahren. Wir wollten etwas unternehmen, damit man uns gehen ließ. Herbert sprach mit Herrn Gutescha von Radio Belgrad. Der war sehr zugänglich, hielt große Stücke auf ihn und schrieb eine entsprechende Bescheinigung. Damit ging Herbert zum Roten Kreuz und wurde für diesen Transport gebucht.«

Bei Schubert selbst war es nicht so einfach, denn sein Vertrag lief für zwei Jahre. Er hatte auch nicht die Möglichkeit, mit seinem Vorgesetzten zu reden. Also besorgte er sich – gegen gute Bezahlung mit Geld, das er durch die Aufritte mit der Musik verdient hatte – entsprechende Papiere. Mit dieser falschen Bescheinigung ging auch er zum Roten Kreuz und erhielt ebenfalls einen Platz für den Transport.

Überlebenspraktiken

Herbert Rehbein war 27 Jahre alt, als er aus der Kriegsgefangenschaft in Deutschland ankam. Nach einigen Tagen Aufenthalt im Flüchtlings-Durchgangslager »Friedland-Leine« wurde er nach Hause entlassen. In Hamburg angekommen, suchte er sofort seine Eltern an ihrem neuen Wohnort auf. Das Haus, in dem sie früher gelebt hatten, stand nicht mehr.

Rehbein war in Jugoslawien Kriegsgefangener, aber auch Konzertmeister bei Radio Belgrad gewesen. In Deutschland war er nichts. Das störte ihn aber nicht. Schließlich hätte er einen anderen Weg gehen können. Dass er das nicht tat, hing nicht nur mit der Krankheit seiner Mutter zusammen. Er dachte daran, das Studium der klassischen Musik wieder aufzunehmen. Das setzte er in die Tat um und suchte seinen alten Lehrer, Professor Gerstekamp, auf.

Es fehlte an Geld. Um weiterstudieren zu können, musste Rehbein bei Gerstekamp Privatstunden nehmen. Die konnte er sich aber kaum leisten. Es mangelte dazu an vielem. Rehbein hatte in Belgrad kein schlechtes Leben gehabt. Er kannte aber auch schlimme Zeiten, die ihm fast das Leben gekostet hätten. So schnell warf ihn daher nichts um. Rehbein hatte in Jugoslawien gelernt, wie mit Musik Geld zu verdienen war. In Deutschland sah die Situation allerdings anders aus.

Was sollte er machen? Das Studium bei Gerstekamp war ihm wichtig. Ein Studium, das Geld kostete! Oder eben Geldverdienen? Diese Frage entschied sich schnell. Für Rehbein war klar, dass er seine praktischen Fähigkeiten einsetzen musste. Rasch lernte Rehbein andere Musiker kennen, die wie er auf der Suche nach einer Verdienstmöglichkeit waren. Mit diesen Leuten fing er an, aufs Land zu fahren, um dort aufzutreten. Sie nannten das »Mucke machen«. Meistens waren noch einige Artisten dabei, die ihre Kunststücke vorführten.

Viel Geld brachte das natürlich nicht. Doch Rehbein lernte so weitere Musiker kennen. In Deutschland war er als Musiker ja völlig unbekannt. Täglich übte er Geige. Die Leidenschaft zu diesem Instrument hatte ihn erneut voll im Griff. Wenn es ihm möglich war, besuchte er ein bis zweimal in der Woche Gerstekamp. Zu einem richtigen Studium kam er aber immer weniger. Dabei wünschte er sich so sehr, den Anschluss an die klassische Musik zu finden.

Zum Geld sparen, legte er die Wege, soweit möglich, zu Fuß zurück. Oft war er mit seinem Geigenkasten Stunden unterwegs, um bei irgendeinem Engagement ein paar Mark zu verdienen.

Was Rehbein damals beschäftigte, lässt sich aus einer Unterhaltung ableiten, die er 1950 in Hamburg mit Schubert geführt hat.

»Ihm schwebte wohl vor, mit der Geige eine ähnliche Sache wie Helmut Zacharias aufzuziehen. Vielleicht nicht ganz so wie Zacharias, sondern mehr auf Konzert ausgerichtet. Er studierte noch bei diesem Professor. Und der meinte, Herbert sei für die Ausbildung und spätere Ausübung als klassischer Solist schon ein bisschen alt. Da lagen eben die ganzen Kriegsjahre dazwischen, die das verhindert hatten. Deshalb schwenkte Herbert immer mehr auf Unterhaltungsmusik um. Er sah sich dabei aber schon als Solist. Das mit dem professionellen Arrangieren hat sich erst später durch Kaempfert ergeben.«

Schubert, der zu dieser Zeit öfters von Berlin nach Hamburg reiste und dort auch Rehbein besuchte, staunte über die Beziehungen, die dieser dort so schnell aufgebaut hatte. »Er hatte bereits mit Verlegern zu tun. Wir waren – zusammen mit Koetscher – bei Sikorski. Herbert kannte die wichtigen Leute. In den Fachkreisen im Raum Hamburg wusste man offensichtlich, wer Rehbein war – zumindest vermittelte er mir diesen Eindruck.«

Während dieser ganzen Zeit wohnte Rehbein bei seinen Eltern. Das war sicher einmal aus wirtschaftlichen Gründen vorteilhaft. Aber er hatte auch eine gute Beziehung zu seiner Mutter, der es nach wie vor gesundheitlich schlecht ging. Sie hing sehr an ihrem Sohn.

Wie konkret sich Rehbein damals für eine bestimmte musikalische Laufbahn einsetzte, ist schwer zu beurteilen. Sicher beeinflusste ihn die wirtschaftliche Situation im Nachkriegsdeutschland. Der konnte sich niemand entziehen. Die Präsenz der Amerikaner und Engländer gab aber gerade der Musikbranche so etwas wie Entwicklungshilfe und dadurch manch neue Chance.

Dass Rehbein sein Geld als Musiker zu verdienen hatte, war für ihn eine Selbstverständlichkeit. Er hatte nichts anderes gelernt. Irgendwann in dieser Zeit wird er vermutlich den Wunsch, klassischer Geiger zu werden, ganz aufgegeben haben. Die Ausbildung, die er trotzdem gemacht hat, diente ihm ein ganzes Leben lang. Sie war und blieb der handwerkliche Grundstein seines Könnens. Das Akademische blieb ihm aber immer fremd. Als Praktiker wollte er sich das wohl nicht leisten. Er verstieg sich nie, blieb stets am Boden. Musik musste den Menschen, dem Publikum gefallen. Rehbein hatte das »Geschäft« von der Pike auf gelernt. Jetzt musste er sich daraus eine eigene Existenz aufbauen. Er spielte, wirkte mit, kannte viele, lief stundenlang mit dem Geigenkasten von einem Engagement zum anderen, lebte sparsam, kümmerte sich um seine Mutter, übte und übte ...

Es ist vielleicht interessant, in diesem Zusammenhang kurz zu streifen, was sich – natürlich nebst vielem Unerwähnten – damals in Sachen Musik in Deutschland abgespielt hat. Durch die amerikanischen Besatzer bekam der Swing, von den Nazis als »verniggerte und verjudete, plutokratisch, entartete Jazzmusik« verteufelt, neuen Auftrieb. Es waren vor allem Musiker erwünscht, die mit dem Jazz umgehen konnten, die also die Entwicklung im Ausland zwischen 1933 und 1945 nicht verschlafen hatten.

 

Carola Zinner-Frühbeis zitiert in ihrem Buch »Wir waren ja die Größten« einen Unterhaltungsmusiker, der die Situation im Münchner Raum folgendermaßen schildert:

»Und dann is der Amerikaner kumma mit seine üblichen Haussuchungen, und da hat er bei uns eben aa gschaut und hat gsagt: Was ist da drinnen? Da hab i gsagt: Ja, da werst du staunen, was da drin is, da san nämlich lauter amerikanische Platten drin. – Jaa, wo hastn du die Platten her? Sag i: Ja, mein Gott, die hab ich gerettet, sozusagen. Tommy Dorsey, Glenn Miller, alle möglichen Platten. Und zugleich in der Kiste sind auch die Noten dringlegn, die Heftln, wo mir ghabt ham und auch andere Noten. Naja, sagt er, is ja alles amerikanisch! Na, sag i, sicher – spuist du denn das alles? Sag i: Ja, des hamma gespuit, so langs ganga is und so. Ja, des is fabelhaft, du musst a Kapelle zusammenstelln, du musst sofort bei uns im Club spuin. Und ich sage dir: Der Krieg war, glaub ich, am 8. Mai aus. Und des war Ende April. Hab ich bereits im Club gespuit, da war der Krieg no gar net aus!«

Und Charly Tabor, der später bei Kaempfert gespielt hat, erzählt:

»Sagt der Sergeant zu mir: You need money und a car! An BMW zwoa Liter! An amerikanischen mit Hoheitszeichen! Und: You need money! How much do you need? Hmm, i hab nix gsagt, dann hat er die Hunderter rausgnomma, alliierte Hunderter, da hätt i halb München dafür kaufen können! Hat er zehn, zwanzig, dreissig, vierzig, eins, zwei, drei – bei dreiundvierzig sag ich: Oh, thats enough! Da hat er no hinblättert vier Stück – siebenundvierzig: viertausendsiebenhundert alliierte Mark hab i ghabt. Und i hab am nächsten Tag scho kommen können, wenn ich nur mit vier, fünf Mann spiel, ich soll einfach kommen, egal wie.«

In Hamburg erging es Rehbein nicht so. In seinem Nachlass habe ich ein kleines Büchlein gefunden, in dem er die Termine jeweils mit einem kurzen Vermerk (meistens in Form der Gage) eintrug.

Vor allem die Jazzer hatten während der Besatzungszeit gute Chancen, um etwas zu verdienen. Konservative Unterhaltungsmusik war weniger gefragt. Viele Kaffeehäuser und Unterhaltungslokale waren zerbombt und wurden so nicht wieder aufgebaut. Es blieben die Clubs der Besatzer, oder die Musiker mussten den Stil wechseln, etwa in die Unterhaltungsorchester der Rundfunkanstalten gehen.

Als ehemaliger Konzertmeister von Radio Beograd konnte Rehbein in der Unterhaltungsmusik mithalten. Er war ohnehin kein Jazzer. Aber die Möglichkeiten wurden dadurch schon eingeschränkt. In Berlin gab es zum Beispiel die »Berlin All Stars«, bei denen – nebst Walter Dobschinsky (Posaune), Hans Berry und Mäcki Kaspar (Trompeten), Detlev Lais (Tenorsaxophon), Omar Lamparter (Klarinette), Erwin Lehn (Piano), Coco Schuhmann (Gitarre), Teddy Lenz (Bass), Lester Young (Schlagzeug) – auch Helmut Zacharias mitspielte. Und der spielte damals noch Jazz und hat dann – wie Rehbein aus der Klassik – in den Bereich der leichten Muse gewechselt. Er war sogar »der Jazzgeiger in Europa«, schreibt Joachim Ernst Berendt über ihn, »nicht etwa der ›so genannte‹ Jazzgeiger, wie man ihn später tituliert hat und titulieren musste. Kein Zweifel: Wenn Helmut Zacharias damals ein Publikum für seine Musik gefunden hätte, wenn er auch selbst die Kraft gehabt hätte, durchzuhalten, dann hätte er viele Dinge vorausgenommen, die erst zwanzig Jahre später durch den geigenden Franzosen Jean-Luc Ponty ins Bewusstsein der Jazz-Szene drangen. Wer alte Platten von Helmut Zacharias – etwa Helmys Bebop No. 2 aus den ersten Nachkriegsjahren (auch zunächst noch in Ost-Berlin auf Amiga) oder aus den Kriegsjahren (auf der alten Odeon) hört, der kann daran keinen Zweifel haben«.

Grundsätzlich existierten damals folgende Formationsmöglichkeiten:

Das Salonorchester (Rehbein hatte auf Kreta eine solche Formation bevorzugt), bei dem zwischen 3 bis 15 Musiker mitwirken können, mit Arrangements, die – nebst dem als Basis dienenden Klaviertrio – beliebig viele Instrumente (vor allem Bläser) berücksichtigen können. In dieser Formation wurde Musik aus der Klassik, der Operette und die natürlich übliche Tanzmusik gespielt. Dies wurde nicht selten in zwei Blöcken dargeboten. Die Jazzband mit ihrer Besetzung aus Trompete, Posaune, Saxophon, Klarinette, Gitarre, Banjo, Klavier, Schlagzeug und Kontrabass. Die Big Band, in den Dreißigerjahren in den USA entstanden, mit 3 bis 5 Saxophonen, 2 bis 4 Trompeten, l bis 3 Posaunen, Gitarre, Piano, Kontrabass und Schlagzeug. Es gibt auch die »Band within the Band«, das heißt, die Reduktion innerhalb einer Big Band zur Jazzband für bestimmte Auftritte (z.B. Benny-Goodmann-Quartett). Die Big Band spielt Jazz. Dann gibt es noch das Tanzorchester, das aus einer Big Band plus Streichersatz besteht. In dieser Formation wird eher softe Tanzmusik mit leichtem Jazzrhythmus gespielt. Und zum Schluss bleibt noch das Blasorchester, das Märsche, Lieder, Schlager bis hin zur Bearbeitung von symphonischer Musik zum Besten gibt.

Es gab bereits das »Max Gregor Orchester«, das Titel wie Harlem-Jump oder Night Train spielte, Nummern, die die schwarzen GIs von den Stühlen rissen. Charlie Tabor spielte ebenfalls bei Max Gregor. »Und Kurt Edelhagen erschien uns von Anfang an als die deutsche Antwort auf die amerikanische Herausforderung durch Sten Kenton«

(Berendt)

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