Das Wunder vom Little Bighorn

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Die Vision des Medizinmanns

An einem frühen Morgen ist einst ein junger, kaum 19jähriger Medizinmann in Richtung der Black Hills geritten. Er war auf der Jagd. Sämtliche Vögel sangen der aufgehenden Sonne ihr Lied. Ihr Zwitschern und Tirilieren erfüllte den Himmel und die Berge. Plötzlich wurde alles still, auf sehr seltsame Weise still. Dann erscholl die Stimme eines Adlers, abgehackte Schreie, die wie eine Trompete schrill durch die Berge hallten. Mit einem Mal klang seine Stimme wie die eines Menschen. Sie rief:

Wehe, wehe, wehe!

Dort kommt er, aus dem Osten kommt er!

Dort kommt der Mächtige des Himmels!

Er kommt, und sein Bild wird auf die Erde herabregnen!

Sein Bild wird die Erde in Flammen setzen

und sie zerstören!

Viele Jahre später erst sollte der Medizinmann die Bedeutung dieses prophetischen Gesangs des Adlers erfassen. Vom Geld der Vereinigten Staaten hatte er gesungen, auf dem das Bild eines Adlers zu sehen ist.

Möglicherweise wußte die Frau, die die Pfeife brachte, bereits von dem Leid, das über die Nation der Sioux in ihrem verheißenen Land kommen würde, aber sie hat davon nicht gesprochen. Sie war gekommen, um sie aus unmittelbarer Not zu befreien und aus ihrer spirituellen Not, und dies war genug.

Es ist recht wahrscheinlich, daß die Frau aus Wood Mountain, die die Pfeife des Weißen Büffelkalbs von ihrem Vater anvertraut bekam, niemals erzählen wird, wo sie sie verborgen hat. Auch nachdem sie zum Christentum übergetreten ist, hat sie Gott geschworen, daß sie das Geheimnis nie preisgeben würde. – Im Jahre 1932 lebte diese Frau noch. Sie ist Mutter von zwei Söhnen. Wird sie das Geheimnis einem von ihnen weitergeben?


Der Grasgürteltanz

Einst, vor langer, langer Zeit, lag ein wunderschönes Mädchen aus dem Stamm der Omaha-Indianer im Sterben. Die Kunst der Medizinmänner hatte versagt. Es gab keine Hoffnung mehr, und in großer Betrübnis wartete man auf ihr Ende.

Eines Tages trug man den bekümmerten Eltern zu, daß ein junger Mann sich damit gebrüstet habe, er könne das Mädchen retten. Schnell fanden sie heraus, wer der junge Mann war. Gemäß dem Brauch bot man ihm die Pfeife an. Zur großen Freude der Verwandten des Mädchens akzeptierte er, sie mit ihnen zu rauchen. Doch zum Verdruß aller zeigte der Mann keinerlei Eile, seine Patientin aufzusuchen. Die Leute begannen zu glauben, der junge Medizinmann sei nichts als ein Schwätzer und Angeber. Aber als er schließlich begann, die Heilung vorzubereiten, schwanden schnell alle Zweifel an seinen Fähigkeiten.

Ein großes neues Tipi wurde unweit des Zeltes des kranken Mädchens errichtet, und es wurde durch eine überdachte Einfriedung erweitert. Am Tag darauf wurden Wächter damit beauftragt, die Neugierigen fernzuhalten. Zwei volle Tage und Nächte lang mußten sie diese Medizinstätte bewachen.

Jeden Abend drangen der Klang von Trommeln und sonderbare Gesänge, wie man sie nie zuvor vernommen hatte, aus dem Zelt. Der Rhythmus war derart mitreißend, die Melodien so zauberhaft, daß viele, die dies hörten, unwillkürlich begannen, sich zu bewegen. Die Füße klopften den Takt mit und der ganze Körper begann sich im Einklang mit dem Trommelrhythmus zu wiegen. Etliche Männer scharten sich um den bewachten Ort und versuchten, die Worte der Lieder zu erfassen.

Alle waren unverzüglich davon überzeugt, daß dieses sonderbare Geschehen sich in einen Quell der Freude, des Glücks und der Lebenskraft für die Menschen auf der Erde verwandeln würde. Niemand wußte, was sich während dieser zwei Tage in dem Medizinzelt zutrug. Alle, die an den Vorbereitungen beteiligt waren, schwiegen beharrlich, aber an ihren Gesichtern konnte man erkennen, daß etwas sehr Erfreuliches und Gutes schon bald dem ganzen Volk offenbart werden würde.

Am frühen Morgen des dritten Tages ritt ein Stammesausrufer durch das große Lager und verkündete den Leuten das folgende: »Ihr werdet heute Zeuge einer Heilungszeremonie sein, die durch einen jungen Mann offenbart wird, der euch bisher unbekannt war. Alle sind eingeladen, dabeizusein! Alle, außer den Unreinen, und ihr wißt, wer die Unreinen sind! Um euer Mitgefühl und eure Ehrlichkeit wird gebeten, damit ein geliebter Mensch, der hoffnungslos krank ist und im Sterben liegt, am Leben bleiben möge. Sollte einer von euch, die ihr unrein seid, das Medizinzelt durch seine Anwesenheit besudeln, so wird er schuld am Tod des Mädchens sein. – Es ist jedoch möglich, daß nach der Heilungszeremonie auch ihr den Tanz sehen und vielleicht sogar daran teilnehmen dürft!«

Die strahlende Morgensonne weckte alle, selbst die Faulsten und Trägsten. Nachdem die nötigsten Hausarbeiten verrichtet waren, begaben sich die Leute in aller Gemächlichkeit zum Medizinzelt. Die Natur bot an diesem wundervollen Morgen ein besonderes Schauspiel. Mitten in der weiten Prärie erschien ein See, gesäumt von riesigen Pappeln. Büffelherden strebten in dieser zauberhaften Fata Morgana in langen Reihen dem Gewässer zu. Die Herzen aller waren von Glück und Frieden erfüllt. Stumm beteten die Leute zu Ihm, der ihnen die Erde geschenkt hatte, damit sie auf ihr leben konnten.

Der Eingang zur Medizinstätte stand offen. Die Wächter gaben ein Zeichen, und die Menschenmenge strömte herein wie Wasser, das einen Damm durchbricht. Bald war die Einfriedung gefüllt, und draußen drängten sich Hunderte, um einen Blick ins Innere zu erhaschen. Glücklicherweise waren die Wände der Einfriedung niedrig.

Das kranke Mädchen lag am äußersten Ende des Tipis. Sie war mit einer Decke aus weißem gegerbten Antilopenleder bedeckt, die mit farblich aufeinander abgestimmten Stachelschweinstacheln bestickt war. Alle Gegenstände, die die Kranke umgaben, waren kunstvoll verziert. Jedermann wußte, daß das Mädchen aus einer hervorragenden Familie stammte, in der man sie liebte und wertschätzte.

Am Kopfende des Lagers des Mädchens saß ein junger Mann mit kindlichem Gesicht, dessen Alter schwer zu schätzen war. Er war so scheu, daß er noch kein einziges Mal den Blick auf die Menschenmenge zu richten gewagt hatte. Zu seiner Rechten saß der Vater der Kranken und zu deren Füßen die Mutter. Vor dem jungen Medizinmann befand sich ein runder Altar aus Erde. Darauf lag ein kleiner Haufen glühender Kohlen und ein Stück geflochtenes Süßgras, das als Weihrauch verwendet wurde. Ebenfalls auf dem Altar lag die zeremonielle Pfeife, die mit Tabak gefüllt war. Alles war für die Heilungszeremonie vorbereitet.

Am Rand des Tipis hockten Männer mit nackten Oberkörpern, allesamt in ihren mittleren Jahren. Ihre Gesichter und Körper waren mit verschiedenen Farben und Mustern bemalt. Jeder von ihnen trug einen sonderbaren Gürtel, der aus langen, festen Grashalmen gefertigt war. Das Gras der Gürtel hing den Männern bis zu den Fersen. Hinten auf Höhe der Taille war der Gürtel geteilt, und zwei lange Stacheln standen dort gerade heraus, die geschickt mit Fransen aus leichten, feinen Gräsern unterschiedlicher Farben besetzt worden waren. Auf diese Weise glich der Gürtel einem Schwalbenschwanz. Die Sänger trugen normale Festtagskleidung. Ihre Gesichter waren ebenfalls bemalt, so, wie der Medizinmann es angeordnet hatte. Kein Ton war zu hören. Alle waren wie gebannt, denn sie wußten, daß sie sich auf heiligem Boden befanden und daß eine übernatürliche Macht sich offenbaren würde. Die Luft im Zelt war vom Duft des verbrannten Süßgrases erfüllt, das der Medizinmann beständig nachlegte.

Der Medizinmann gab ein Signal, und die Trommeln wurden geschlagen. Eine einzelne Stimme begann ein Lied, dann übernahm eine zweite die Führung und schließlich fiel eine dritte ein. Nun schlossen sich alle anderen Sänger an, und ein kraftvoller Gesang erschütterte die Luft. Beim ersten Trommelschlag hatten die Tänzer mit den Grasgürteln sich erhoben und zu tanzen begonnen. Sie neigten die Oberkörper weit nach vorn und winkelten die Arme an. Der ganze Körper wiegte sich vor und zurück und von Seite zu Seite. Jeder der Tänzer setzte die Füße auf unterschiedliche Art, aber alle folgten in ihren Bewegungen in vollendeter Weise dem Rhythmus der Trommeln. Die Tänzer tanzten gleich Möwen, die über einem See in großer Zahl auf der abendlichen Jagd nach Fischen durcheinander fliegen, ohne sich gegenseitig zu behindern. Die leichten Grasgürtel schwebten wie Papierdrachen, während die Tanzenden sich voll Eleganz ihren Weg durch das Getümmel bahnten.

Plötzlich rief jemand von außerhalb des Zeltes: »Schwalben! Schwalben kommen!« Der Ruf pflanzte sich fort. Zur Verblüffung aller kam ein großer Schwarm langschwänziger Schwalben ins Zelt geflogen. Nachdem die Vögel über das Mädchen gesegelt waren, mischten sie sich in die Menge der Tänzer, schossen hinein und hinaus. Nie zuvor war jemand Zeuge solch eines überirdischen Geschehnisses geworden. Doch in der Welt der Indianer spielte das Mystische zu allen Zeiten eine große Rolle. Viele unglaubliche Dinge sind geschehen, und ihr Zeugnis wird von Generation zu Generation weitergegeben, bis der letzte Vollblutindianer stirbt.

Allein für den Medizinmann war es keine Überraschung gewesen, daß die Schwalben beim Tanz der Heilungszeremonie aufgetaucht waren. Er wußte bereits alles, was geschehen würde. Er vertrat eine Macht, die ihn berufen hatte, damit er eine Aufgabe in dieser Welt erfülle.

Die Trommeln verstummten. Die Schwalben flogen davon. Es war totenstill. Alle Blicke waren auf den jungen Mann gerichtet, der vor dem Altar hockte und in der Hand eine Rassel hielt, die er schon während des Heilungstanzes geschüttelt hatte.

Plötzlich befreite das kranke Mädchen ihren Kopf aus der Decke und gab ihrer Mutter ein Zeichen. Man half ihr, sich aufzurichten und gab ihr Wasser zu trinken, um das sie gebeten hatte. Daraufhin blieb sie, an die Schulter der Mutter gelehnt, sitzen. Zum ersten Mal nahm sie ihre Umgebung bewußt wahr. Auf ein Signal des jungen Medizinmanns wurden erneut die Trommeln geschlagen, und der Tanz wurde wieder aufgenommen. Diesmal tanzten die Tänzer noch beseelter als zuvor, denn sie wußten, daß das genesene Mädchen ihnen zusah und daß sie zu ihrem Vergnügen tanzten. Um ihr noch mehr Freude zu bereiten, wurden zwei Mädchen gebeten zu singen. Sie waren erst zwölf, aber sie waren die besten Sängerinnen weit und breit. Ihre Stimmen fügten sich wunderbar in den Zauber ein, der über allem herrschte.

 

Die Pfeife wurde vom Altar genommen und der Altar selbst dem Erdboden gleich gemacht. Das Medizinzelt war nun wieder ein gewöhnlicher Ort. Jene, die unrein waren und zu Hause hatten bleiben müssen, durften jetzt kommen und am Tanz teilnehmen. Erfrischungen aller Art wurden gereicht, und ein denkwürdiges Fest wurde gefeiert.

Das Mädchen erholte sich sehr schnell und lebte noch viele Sommer. Was aus dem jungen Medizinmann wurde, ist eine andere Geschichte. Aber um die Neugierde, die in der Natur des Menschen liegt, zu befriedigen, sei gesagt, daß die beiden ihr Leben lang Freunde blieben und vielleicht sogar Mann und Frau wurden.

Anmerkung

Diese Geschichte soll erklären, wie der Grasgürteltanz – so lautet sein ursprünglicher Name – zur Nation der Sioux gelangte, und warum er sich so schnell in allen Stämmen der nordamerikanischen Indianer verbreitete und der beliebteste von allen indianischen Tänzen wurde. Der ursprüngliche Tanz hat sich im Laufe der Zeit stark verändert. Jene, die ihn in seiner einstigen Form erlebt haben, wären entsetzt, wenn sie sehen müßten, was daraus geworden ist. Seine religiöse Bedeutung hat sich heute verloren. Es dürfen Frauen an ihm teilnehmen. Die Pfeife, der Altar und der Grasgürtel sind nicht mehr Bestandteil der Zeremonie. Es kommen keine Schwalben mehr zum Tanz. Selbst der Name hat sich verändert. 15

Heute gibt es nur noch eine Handvoll alter Leute, die die Legende, die hier erzählt wurde, noch kennen. Tatsächlich glaubt man bereits seit längerem, daß der Grasgürteltanz zuerst bei den Sioux entstanden ist. Doch der Name Omaha-Tanz, wie er manchmal genannt wird, sollte hinreichender Beleg für seine tatsächliche Herkunft sein.

Wir Alten sind nun die letzten, die diese schöne Tanzzeremonie in ihrer echten Form bewahren können. Die Wissenschaft hat uns die technischen Möglichkeiten dazu gegeben. Wenn wir es nicht tun, dann wird dieser rituelle Tanz schon bald verlorengegangen sein.

Im übrigen ist meines Erachtens »Grasgürteltanz« nicht die richtige Bezeichnung. Besser wäre es, den Namen »Schwalbentanz« zu verwenden, da die Schwalbe der herausragende Teilnehmer an dem Ereignis ist und nur dann erscheint, wenn der Medizinmann, ihr Vertreter, sie bei der Heilzeremonie herbeiruft. Den Medizinmann würde man in diesem Fall als Upížata Ihánbla, Schwalbenträumer, bezeichnen.

Maiden Chief
Der fremde Besucher

Der Eingang zum Tipi von Loves War öffnete sich, und eine ungewöhnlich schöne Siouxfrau namens Maiden Chief erschien. Ihr kurzärmeliges Kleid aus weißem gegerbten Hirschleder schmiegte sich eng an ihren Leib, so daß die Anmut und die Kraft ihres Körpers sich offenbarten. Ihr Kopf hätte etwas zu klein im Verhältnis zu ihrer gesamten Gestalt wirken können, wäre nicht das üppige schwarze Haar gewesen, das sie nach hinten gekämmt hatte, so daß es wie ein Mantel bis zu den Waden hinabfiel. Die Füße waren nicht zu sehen, da sie im Dunkel des Zelteingangs verborgen blieben. Ihre Augen, zu Schlitzen verengt, blickten in Richtung der grellen Strahlen der Morgensonne und musterten das große Lager der Oglala-Sioux. Sie hatte die wohlgeformten Arme gehoben, um mit ihren kleinen, molligen Händen die Augen vor dem Licht zu schützen.

Die junge Frau wirkte ernst. Sie versuchte, in dem weiten Kreis, den das Lager bildete, irgend etwas Ungewöhnliches zu erspähen. Seit sie im Alter von acht Jahren Zeuge eines heftigen Gefechts zwischen ihrem Stamm und einer Gruppe von Pferdedieben aus einem feindlichen Stamm geworden war, hatte sie es sich zur Gewohnheit gemacht, früh an jedem Morgen mit großer Aufmerksamkeit die Umgebung zu betrachten. Bereits zwei Mal hatte sie deshalb als Erste Feinde in der Nähe des Lagers entdecken und Alarm schlagen können. Sie ließ die Hände herabsinken, raffte ihr Kleid und stieg über die hohe Schwelle des Tipieingangs. Ihre Beine, die nun sichtbar wurden, hätten als vollendet gelten können, wären sie – im Gegensatz zu ihren schlanken Fesseln und kleinen Füßen – nicht allzu rundlich gewesen.

Maiden Chief, Wi-Itánčan-win, war von mittlerer Körpergröße, und ihre Haltung war aufrecht wie ein Pfeil. Sie wandte sich zur Seite und lief um das Zelt herum. Ihre Bewegungen waren zu schnell, als daß sie anziehend gewirkt hätten. Sie schienen nicht zu ihrer Schönheit zu passen. Hinter dem Zelt stand War Cry, ihr Pony. Sie spitzte ihre Lippen, als ob sie dem Tier einen Kuß geben wollte, doch anstelle dessen schenkte sie ihm ein breites Lächeln, das freundlich wie der helle Tag war und ihre gleichmäßigen, schneeweißen Zähne offenbarte. Es war ein Lächeln, das man nicht wieder vergaß, eines, wie jeder Mann es sich erträumte.

War Cry, Waáša, ein prächtiger rabenschwarzer Mustang, wieherte freudig, als er seine Herrin erblickte. Er stand in einer kleinen Umzäunung aus drei Stangen und war mit einer Leine aus Rohhautleder angebunden. Seit acht Jahren lebte er hier, seit Maiden Chiefs Vater ihn, der damals noch ein wildlebendes Fohlen war, eingefangen hatte. War Cry war zu einem Hengst von natürlicher Wildheit herangewachsen, der keinen Menschen in seiner Nähe duldete als Maiden Chief, die ihn zärtlich zu liebkosen pflegte, seit er einst gefesselt und auf einen Travois16 gebunden ins Lager gebracht worden war, und ihren Vater, der ihn zum Kampf- und Büffelpferd ausbildete. Schon bald gab es kaum einen Mustang, der es mit ihm auf Kriegszügen aufnehmen konnte, und er erwies sich auch als sehr begabt bei der Büffeljagd und bei der Verfolgung von Spuren. Doch selbst Loves War mußte stets auf der Hut sein, wenn er mit ihm umging. Nur Maiden Chief gegenüber war das Tier nahezu vollkommen zutraulich.

War Cry war das einzige Büffelpferd, das man hinter dem Zelt seines Herren anpflocken konnte, ohne daß die geringste Gefahr bestand, daß ein nächtlicher Pferdedieb es stehlen könnte. Kein fremdes Tier, ob Hund oder Pferd, konnte sich dem wilden Mustang nähern, ohne daß es getötet würde. Keinem Fremden, wie auch immer er getarnt sein mochte, würde es gelingen, den ungezähmten Freund Maiden Chiefs von seinem Ort fortzulocken. In der Vergangenheit hatten Pferdediebe solches bereits dreimal versucht. Zwei der Diebe hatten entkommen können, doch der dritte war von War Cry zu Tode getrampelt worden.

War Crys Aufmerksamkeit erlahmte nie. Beim leisesten Anzeichen eines unbekannten Anblicks, Geräuschs oder Geruchs gab er ein furchteinflößendes Schnauben von sich, laut genug, jeden Schläfer in der näheren Umgebung zu wecken. Es war Maiden Chief gewesen, die hartnäckig darauf bestanden hatte, daß der Hengst für den Kampf und für die Jagd ausgebildet wurde. Mit ihrer Hilfe gelang es ihrem Vater, diese gefährliche Aufgabe mit erstaunlicher Leichtigkeit zu meistern, sehr zum Erstaunen aller, die um War Crys Wildheit wußten.

Kaum, daß War Cry an diesem Morgen Maiden Chief erblickt hatte, begrüßte er sie auf seine übliche Art, indem er wieherte, den edlen Hals herabbeugte und mit den Hufen Staubwolken aufwirbelte. »Du böses Pferd, ich liebe dich, ich liebe dich! Und du weißt das und liebst mich auch, nicht wahr? Nicht wahr?« flüsterte seine stolze Herrin, während sie War Crys Hals tätschelte. Der Hengst, der für jeden anderen gefährlich wie eine Schlange war, stellte seine Ohren zurück und schnappte spielerisch nach den Ärmeln der Frau, als wollte er sagen: »Sei bloß still! Du Zweiflerin weißt doch genau, daß ich dich lieb habe!« Maiden Chief führte den Hengst auf einen Weidegrund mit frischem Gras. Danach begab sie sich zum Zelt zurück, um das Büffelpferd ihres Vaters zu versorgen, das direkt beim Eingang des Tipis angepflockt war. Wie alle Büffelpferde wurde das ihres Vaters vor dem Zelt seines Herren angepflockt, damit es vor nächtlichen Dieben geschützt war, die das ganze Jahr über häufig das Lager heimsuchten, und denen es fast immer gelang, Ponys zu erbeuten. Dies war der Grund, weshalb die wertvollen Büffelpferde der Sioux direkt vor den Eingängen der Tipis ihrer Meister standen.

Maiden Chief war das einzige Kind von Loves War und seiner Frau First Woman. Loves War gehörte einer Gruppe von Brulé-Sioux an, die sich einer Stammesgruppe der Oglala-Sioux angeschlossen hatten. Er war ein ehrgeiziger, selbständiger Mann, der sich durch seine Taten viel Ruhm erworben hatte. Er war wohlhabend und besaß ein großes Zelt. Ärmere und schwächere Stammesmitglieder pflegte er zu unterstützen und zu bewirten. Aufgrund seiner Weisheit und seiner Charakterfestigkeit war er Ratsmitglied und darüber hinaus einer der »vier Denker«17 der Stammesgruppe. Seine Tochter erzog er im Einklang mit den Einsichten, die ihm der Große Geist über die Gesetze der Natur, das Gute und das Böse gewährt hatte. Seine Frau Tokáhe-win, First Woman, sah er als Musterbild dessen an, wie der Große Geist sich die Töchter der Wildnis wünschte nach seinem geheimnisvollen, göttlichen Plan. Diese gute Mutter lehrte ihre Tochter alles, was eine Frau wissen mußte. Diesen Umständen war es zu verdanken, daß Maiden Chief sich nicht nur durch die große Schönheit ihres Antlitzes auszeichnete, sondern auch durch einen äußerst liebenswerten Charakter.

Nur wenige der mehreren tausend Mitglieder ihrer Stammesgruppe hätten Maiden Chiefs Antlitz je unverhüllt zu Gesicht bekommen, hätte es nicht eine Gesellschaft, die als Hunká bezeichnet wurde, gegeben. Davon soll später noch die Rede sein. Normalerweise ist es für junge Frauen üblich, daß sie in der Öffentlichkeit mit verhülltem Körper und Gesicht auftreten, da Indianer von Natur aus zurückhaltend und scheu sind. Man raunte jedoch überall von der Schönheit von Loves Wars Tochter, und so hatten sich bereits in ihrem 13. Lebensjahr sieben Freier um sie bemüht. Nun war sie 23. Damit hatte sie ein Alter erreicht, in dem es sehr schwierig geworden war, sich noch immer einer Heirat zu entziehen. In den vergangenen zehn Jahren hatten Männer verschiedensten Charakters und jedes Ranges versucht, sie für sich zu gewinnen. Sie hatte den Bitten und Versprechungen Hunderter Stammesmitglieder gelauscht, und sie war vielen begegnet, von denen sie wußte, daß sie sie von ganzem Herzen liebten. Sie mußte gar um ihr Leben fürchten, denn manche ihrer Verehrer hatten vor Verzweiflung über die Abweisungen geradezu den Verstand verloren. Einst mußte sie mit ansehen, wie sich zwei aufeinander eifersüchtige Freier gegenseitig im Zweikampf töteten. Schamlose Liebende jedes Alters und jedes Ranges boten ihren Eltern Pferde und Besitz, wenn sie nur die Hand ihrer Tochter erhielten. Zweimal wollte ihr Vater sie einem Mann zur Frau geben, jedoch nicht wegen dessen Angeboten, sondern weil er die Männer schätzte. Doch Maiden Chief drohte damit, ihrem Leben ein Ende zu setzen, sollte er sie zur Heirat zwingen. Daraufhin gab Loves War klein bei. Ihre Mutter war die einzige, die sie in ihrem Verhalten rückhaltlos unterstützte. »Tochter, du hast das Recht, selbst auszuwählen«, sagte sie. Auch verheiratete Freundinnen versuchten, ihr eine Heirat schmackhaft zu machen und sie mit jungen Männern zu verkuppeln. Doch sie sagte bei solchen Gelegenheiten bloß: »Wie könnte ich heiraten, ohne Liebe zu empfinden?« Manche versuchten, sie davon zu überzeugen, daß Liebe etwas sei, das erst zum Leben erweckt werden müsse und nicht etwas, das von vornherein als ein Ganzes existiere. Hierauf entgegnete sie: »Ich fürchte, ich kann die Liebe, wie ich sie mir erträume, auf diese Weise nicht finden.«

Hätte Maiden Chief geahnt, wie grausam die Liebe ihr mitspielen würde, wenn sie sie schließlich finden würde, hätte sie vielleicht nie davon geträumt und darum gebetet. Vielleicht hätte sie gar eine Liebe, die sie nicht erwidern konnte, akzeptiert, um den schrecklichen Erlebnissen zu entgehen, die sie erwarteten.

Maiden Chiefs Hauptbeschäftigung bestand darin, ihrer Mutter bei der Hausarbeit zu helfen. Sie trocknete Fleisch, Früchte und wildes Gemüse, und sie gerbte Tierhäute und verarbeitete sie zu Zeltwänden und Kleidung. Selten nur nahm sie an öffentlichen Veranstaltungen und Feiern teil, wie sie häufig stattfanden. Sie suchte nicht nach Gesellschaft und nahm nicht an den Spielen und Vergnügungen teil, die die jungen Frauen und Männer liebten, welche zu solchen Anlässen gern mit allem Prunk, den die Modewelt der Sioux zu bieten hatte, auftraten.

 

Maiden Chief besaß ihren eigenen Hofstaat, auch wenn sie nicht darum gebeten hatte. Jeden Abend versammelten sich ihre zahlreichen Verehrer, die selten eine Gelegenheit verpaßten, sie zu Gesicht zu bekommen. So sehr sie es sich auch wünschte, es gelang Maiden Chief keinen einzigen Tag, ihnen zu entkommen. Ihre Alltagspflichten verlangten von ihr, daß sie auch nach Sonnenuntergang Arbeiten im Freien erledigte. Es war Brauch bei den Sioux, ein Mädchen oder eine Frau, die man begehrte, zu bedrängen, so sehr sie sich auch dagegen sträubte. Kluge Mädchen kannten verschiedene Wege, auf denen sie sich eines ungeliebten Freiers entledigen konnten. Auch Maiden Chief wußte, wie man einen Verehrer zurückwies, ungeachtet des großen Respekts, den sie für alle Männer jeglichen Ranges empfand. Manch ein Freier verließ sie voll Verzweiflung und kehrte nie zurück. Bei einigen Männern mit besonders empfindlichem Stolz langte mitunter ein einziges Wort aus dem Munde der Frau, damit sie sich tief verletzt zurückzogen.

Die Verehrer von Maiden Chief kamen vollständig in ihre Kleidung eingehüllt zu ihr. Nur von wenigen bekam sie das Gesicht deutlich zu sehen. Von den meisten wußte sie nicht, wie sie aussahen und kümmerte sich auch nicht darum. Sie hörte sich einfach an, was jeder von ihnen ihr mitzuteilen hatte. Keine Siouxfrau hat je solch eine harte Schule durchlaufen müssen wie Maiden Chief. Sie lernte buchstäblich alles, was es über Männer zu wissen gab. Dieses Wissen über die menschliche Natur bestärkte sie in ihren Vorstellungen von der Liebe. Nachts, wenn alles still und ruhig war, dachte sie über das, was sie am Tag erlebt hatte, nach und grübelte über die Liebestränen von Verehrern, die sie besonders beeindruckt hatten. Auf diese Weise pflegte sie auf ihrem Lager zu liegen, bis sie endlich ins Reich der Träume glitt.

Eines Tages fragte First Woman ihre Tochter, ob sie vielleicht ein Parfüm haben wolle. Maiden Chief erwiderte lachend: »Mutter, ich habe mich schon fast selbst in Parfüm verwandelt! Jeder junge Mann, der mich besuchen kommt, ist mit starkem Parfüm durchtränkt. Ich muß meine Kleider häufiger waschen, als eigentlich nötig wäre, nur um die Gerüche loszuwerden, die sie von diesen Männern aufgenommen haben.«

Es war natürlich üblich, daß jeder Freier, der die schöne Maiden Chief aufsuchte, seine beste Kleidung trug. Um so erstaunter war sie, als sich eines Abends ein unordentlich gekleideter Mann in der Reihe der wartenden Verehrer befand. Der Fremde wirkte um so deplacierter, da er inmitten lauter gepflegt aussehender Personen stand. Sein Anblick erheiterte sie, ebenso wie auch die anderen Männer. Etwas an ihm fesselte ihre Aufmerksamkeit in besonderem Maße, doch sie glaubte, daß dies nur an seiner Kleidung läge. Der Vollmond an diesem Spätjuniabend stieg rasch am Himmel auf, bis er schließlich an seinem Zenit stand. Er schien so hell, daß man in seinem Licht meilenweit alles klar erkennen konnte. Aus diesem Grunde konnte Maiden Chief den so seltsam gekleideten Fremden deutlich wahrnehmen. Vielleicht war er ja nur hier, um auf einen Kameraden zu warten und nicht, um um ihre Hand anzuhalten, dachte sie. Aus reiner Neugierde schickte sie die nächsten zwei Freier rasch fort. Kaum, daß der letzte gegangen war, hatte sich der Fremde mit überraschender Schnelligkeit an ihre Seite begeben.

Er ergriff ihre Hand, und sie fühlte sich plötzlich wie von Kopf bis Fuß elektrisiert. Große Furcht erfüllte ihr Herz, das so heftig zu schlagen begann, daß sie es laut hörte. Nur ein einziges Mal in ihrem Leben hatte etwas eine Empfindung ausgelöst, die dieser zumindest entfernt ähnelte – die Berührung durch ihren ersten Verehrer zehn Jahre zuvor. Eine Zeitlang war sie nicht in der Lage, irgendeinen Muskel zu bewegen. Sie fragte sich, was dieser zerlumpte Mann wohl für ein Mensch sein mochte. Sie hatte die flüchtige Vision von einem Waisenjungen, der bei seiner Großmutter aufgewachsen war, die zu schwach war, Leder für seine Kleidung zu gerben, einem Faulenzer und Taugenichts, der von der Barmherzigkeit der alten Frau lebte. Sie mußte über ihre eigene Vorstellung lächeln. Sie blickte zu ihm auf und versuchte sein Gesicht zu erkennen. Doch nur seine Nase war sichtbar, und sie gefiel Maiden Chief. Ansonsten waren zwischen den Falten seiner Kleidung, die den Kopf des Mannes und sein Gesicht bedeckte, nur zwei funkelnde Augen zu sehen. Seine Körperhaltung war ungewöhnlich aufrecht, so daß man den Eindruck hatte, er könnte jeden Augenblick nach hinten umfallen.

Sie bemerkte auch, daß seine Kleidung nicht parfümiert war. Statt dessen roch der Mann stark nach Ruß, wie er sich an den oberen Öffnungen der Tipis anzulagern pflegte, und auch nach modriger Erde. Sie dachte, daß er wohl nicht genug Bettzeug besaß, so daß er seine Kleidung dazu verwenden mußte, um die feuchte Erde, auf der er ruhte, damit zu bedecken und sie als Lager zu benutzen. Maiden Chief betrachtete nun die zerschlissenen Mokassins des Mannes und fühlte tiefes Mitleid mit ihm. Was für ein elendes Dasein mochte er führen!

Wie alle Männer, die um sie warben, war er bewaffnet. Sie war gerade in die Betrachtung seines Gewehrs versunken, als der seltsame Mann plötzlich zu ihr sprach: »Mädchen, an diesem Abend habe ich erfahren, daß es für einen Sterblichen möglich ist, von der Schönheit einer Unsterblichen in ihrer eigenen Welt zu kosten. Ich danke dir, Mädchen, daß du so freundlich warst, mir diesen Besuch zu gestatten.«

Bevor Maiden Chief antworten konnte, wandte der Mann sich um und verließ sie mit raschen Schritten. Reglos starrte sie ihm hinterher. Ihr fiel auf, daß seine Kleidung zu kurz und zu eng war, sie reichte kaum aus, seinen Körper vollständig zu bedecken. Auch seine Leggings saßen viel zu knapp. All die sonderbaren Eigenschaften dieses seltsamen Mannes konnten nicht darüber hinwegtäuschen, daß er einen kraftvollen, durchtrainierten Körper besaß. Zu ihrer eigenen Überraschung ertappte sie sich dabei, wie sie seine Bewegungen bewunderte, die leichter und geschmeidiger als die jedes anderen Mannes waren, den sie kennengelernt hatte. Sie hörte sich unwillkürlich sagen: »Dort geht ein Mann.«

Mit einem Mal begriff sie das ganze Geheimnis des ungewöhnlichen Besuchers, und ihr Antlitz wurde von ihrem breiten und schönen Lächeln erhellt, das all ihre anderen Reize überstrahlte. Maiden Chief flüsterte: »Dieser Mann kam verkleidet, um mir den Hof zu machen. – Wer kann das sein? Warum ist er nicht schon früher gekommen, und warum hat er sich verkleidet? Ich werde es herausfinden. Kommt er das nächste Mal zu mir, werde ich es wissen, bevor er den nächsten Sonnenaufgang sieht.« Mit diesem Schwur begab sich Maiden Chief zum großen Tipi ihres Vaters, um sich schlafen zu legen.

Sie fand lange keinen Schlaf, da sie über das seltsame Verhalten ihres geheimnisvollen Freiers grübelte. Nachdem sie verschiedene Pläne durchdacht hatte, wie sie in Erfahrung bringen könnte, wer ihr Besucher war und sich schließlich für einen Plan entschieden hatte, schlief sie endlich ein.

Wie üblich schlummerte sie tief und fest und erwachte sehr früh am Morgen. Seit Jahren schon erwachte sie stets zur gleichen Stunde. Sie lag auf ihrer Bettstatt und genoß die süße Musik der Vögel. Sie versuchte, den Gesang ihres Lieblingsvogels, der Ohrenlerche, aus den Stimmen der, wie ihr schien, Tausenden Vögel herauszuhören. Doch an diesem Morgen wollte es ihr nicht gelingen. Sie liebte die Lerche wegen ihres Gesangs, vor allem aber, weil sie in den einsamen Höhen zu Hause war, über allen anderen Vögeln außer dem Adler. Plötzlich ließ ein ungestümes Schnauben War Crys sie aufspringen und aus dem Zelt eilen. Ihr Vater rief: »Was gibt es, Kind?«