Der reiche Mann

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Z serii: Die Forsyte Saga #1
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Soames stand hinter seiner Frau, die Augen auf ihren Hals geheftet. Die Zeiger auf Swithins Uhr, die er noch immer geöffnet in der Hand hielt, waren, über die Acht hinausgerückt; es war eine halbe Stunde über seine Tischzeit – er hatte nicht gefrühstückt – und eine seltsame, unverhüllte Ungeduld wallte in ihm auf.



»Es ist nicht Jolyons Art, zu spät zu kommen!« sagte er zu Irene, ohne seinen Ärger verbergen zu können. »Wahrscheinlich hält June ihn auf.«



»Verliebte kommen immer zu spät,« erwiderte sie.  Swithin starrte sie an; ein dunkles Orangegelb färbte seine Wangen.



»Sie haben kein Recht dazu! Das ist so ein moderner Unsinn!«



Und hinter diesem Ausbruch schien die unartikulierte Gewaltsamkeit früherer Generationen zu murren und grollen.



»Wie findest du meinen neuen Stern, Onkel Swithin,« sagte Irene sanft.



Zwischen den Spitzen am Busen leuchtete ein fünfzackiger Stern aus elf Diamanten.



Swithin betrachtete den Stern. Er verstand sich auf Steine; keine Frage hätte wirksamer gewählt sein können, seine Aufmerksamkeit abzulenken.



»Wer hat ihn dir geschenkt?« fragte er.



»Soames.«



Nichts veränderte sich in ihrem Gesicht, aber Swithins Augen traten hervor, als wäre plötzlich eine Erleuchtung über ihn gekommen.



»Du langweilst dich wohl zu Haus,« sagte er. »Wann immer du Lust hast zu Tisch zu mir zu kommen, will ich dir eine Flasche so guten Wein vorsetzen, wie er in London irgend zu haben ist.«



»Miß June Forsyte – Mr. Jolyon Forsyte! ... Mr. Bo–swainey! ...«



Swithin machte eine Bewegung mit dem Arm und sagte mit knurriger Stimme:



»Zu Tisch, jetzt – zu Tisch!«



Er führte Irene unter dem Vorwand, daß er sie seit ihrer Brautzeit nicht bewirtet habe. June erhielt Bosinney zum Tischnachbarn, der zwischen Irene und seine Braut gesetzt wurde. An der andern Seite neben June saß James mit Nicholas' Frau, dann der alte Jolyon mit James' Frau, Nicholas mit Hatty Cheßmann, und  Soames mit Mrs. Small, die den Kreis schloß, wieder neben Swithin.



Bei Familientafeln der Forsytes wurden gewisse Traditionen beobachtet. Es gab zum Beispiel keine

Hors d'oeuvre

. Der Grund hierfür ist unbekannt.



Nach Anschauung der jüngeren Generation war es auf den unerhörten Preis der Austern zurückzuführen; wahrscheinlicher ist der Wunsch schuld daran, zur Hauptsache zu kommen und mit gutem praktischen Sinn zu erklären, daß

Hors d'oeuvre

 nichts als Notbehelf sind. Nur bei James, wo man einem in Park Lane fast allgemeinen Brauch nicht widerstehen konnte, wich man zuweilen davon ab.



Eine schweigende, fast verdrießliche Unaufmerksamkeit gegen einander folgte dem Einnehmen der Plätze und währte beinah über den ersten Gang hinaus, wenn auch einzelne Bemerkungen fielen, wie: »Tommy geht's wieder schlecht, ich weiß nicht, was ihm fehlt!« – »Ann kommt morgens wohl gar nicht mehr herunter?« – »Wie heißt euer Arzt, Fanny? Stubbs? Er ist ein Quacksalber!« – »Winifred? Sie hat zu viele Kinder. Vier, nicht wahr? Sie ist dünn wie eine Latte!« – »Was zahlst du für diesen Sherry, Swithin? Mir zu trocken!«



Beim zweiten Glas Champagner vernahm man ein Gemurmel, das von gelegentlichen Nebengeräuschen befreit und in seine ursprünglichen Bestandteile zerlegt, als James' Erzählung einer Geschichte zu erkennen war, und da diese längere Zeit in Anspruch nahm, beeinträchtigte es zeitweise sogar den Genuß des allgemein als Höhepunkt eines Forsyteschen Gastmahls angesehenen ›Hammelrückens‹. Kein Forsyte gab je ein Mittagessen ohne für einen Hammelrücken zu sorgen. In seiner saftigen Solidität liegt etwas, das Leuten von einer gewissen Position zusagt. Er ist  nahrhaft und – schmackhaft, darauf wird von jedermann Wert gelegt. Er hat eine Vergangenheit und eine Zukunft, wie ein bei der Bank eingezahltes Depot; und es läßt sich darüber disputieren.



Jeder Zweig der Familie hielt hartnäckig an einer bestimmten Bezugsquelle fest – der alte Jolyon schwor auf Dartmoor, James auf Wales, Swithin auf Southdown und Nicholas behauptete, wenn die Leute auch die Nase rümpften, daß nichts mit Neuseeland zu vergleichen sei. Aber Roger, das ›Original‹ unter den Brüdern, sah sich genötigt, eine Quelle für sich allein zu finden, und mit einem Scharfsinn, wie er eines Mannes würdig war, dem es gelungen, einen neuen Beruf für seine Söhne zu ersinnen, hatte er einen Laden entdeckt, wo deutsche Hammel zu haben waren. Als Einwendungen gemacht wurden, hatte er seine Behauptung durch Vorzeigen einer Metzgerrechnung bestätigt, aus der zu ersehen war, daß er mehr bezahlte als einer der andern. Bei dieser Gelegenheit hatte der alte Jolyon in einer seiner philosophischen Anwandlungen zu June gesagt:



»Die Forsytes sind eine verschrobene Gesellschaft, darauf kannst du dich verlassen – du wirst schon noch dahinter kommen, wenn du älter wirst!«



Nur Timothy machte eine Ausnahme, denn obwohl er Hammelrücken sehr gern aß, fürchtete er sich doch davor, wie er sagte.



Für jeden, der ein psychologisches Interesse für die Forsytes hat, ist dieser Hammelrückenzug von größter Bedeutung. Er illustriert nicht nur ihre Hartnäckigkeit im allgemeinen und als Individuen, sondern ist ein Zeichen dafür, daß sie mit Leib und Seele jener großen Klasse von Menschen angehören, die an Nahrhaftigkeit und Geschmack glauben, und keinem sentimentalen Verlangen nach Schönheit nachgeben.



 Die jüngeren Familienmitglieder hätten wohl gern ganz auf einen Braten verzichtet und Geflügel oder eine Hummermayonnaise vorgezogen – etwas das auf die Phantasie wirkte und weniger nahrhaft war – aber die waren weibisch, oder wenn nicht das, doch von ihren Frauen oder Müttern verdorben, die ihr ganzes Eheleben hindurch gezwungen waren, Hammelrücken zu essen und ihren Söhnen eine gewisse Feindseligkeit dagegen eingeimpft hatten.



Nach Erledigung der großen Hammelrückenfrage kam ein Tewkesbury-Schinken mit einem Tropfen des Westindischen an die Reihe – Swithin hielt sich bei diesem Gang so lange auf, daß er eine Stockung im Fortgang des Diners verursachte. Um sich ihm von ganzem Herzen widmen zu können, unterbrach er seine Unterhaltung.



Von seinem Platz neben Mrs. Small machte Soames seine Wahrnehmungen. Er hatte seine eigenen, mit einem Lieblingsplan in Verbindung stehenden Gründe, Bosinney zu beobachten. Der Architekt konnte seinen Zwecken dienlich sein, er sah klug aus, wie er da zurückgelehnt in seinem Stuhl saß und nachdenklich kleine Wälle von Brotkrumen machte. Soames bemerkte, daß seine Sachen einen guten Schnitt hatten, aber zu eng waren, als wären sie vor Jahren angefertigt.



Er sah, wie er sich Irene zuwandte und etwas sagte und sah ihr Gesicht strahlen, wie er es andern Leuten gegenüber oft strahlen sah – aber niemals ihm gegenüber. Er versuchte aufzufangen, was sie sagten, aber Tante Juley unterhielt sich gerade mit ihm.



Ob es ihm nicht auch immer ganz merkwürdig vorgekommen sei, fragte sie. Erst am letzten Sonntag wieder war der liebe Pastor Scoles so geistreich in seiner Predigt, so sarkastisch. »Denn,« hatte er gesagt, »was nützt es, sein Seelenheil zu gewinnen, wenn man all  sein Gut dabei verliert?« Das sei der Leitspruch des Mittelstandes; aber was hatte er nur damit gemeint? Es könnte ja natürlich sein, daß der Mittelstand so dachte – sie wisse es nicht; was war seine Ansicht darüber?



Er antwortete zerstreut: »Wie kann ich das wissen? Scoles ist ein Schwätzer, nicht?« Denn Bosinney sah sich am Tisch um, als mache er auf die Eigenheiten der Gäste aufmerksam, und Soames hätte gern gewußt, was er sagte. Ihrem Lächeln nach stimmte Irene seinen Bemerkungen offenbar zu. Sie schien mit andern Leuten immer übereinzustimmen.



Ihre Augen waren auf ihn selbst gerichtet; Soames senkte sofort seinen Blick. Das Lächeln auf ihren Lippen war erloschen.



Ein Schwätzer? Was wollte er damit sagen? Wenn Mr. Scoles ein Schwätzer war, er, ein Pastor – dann konnte ja jeder – es war schrecklich!



»Jawohl – das sind sie auch!« sagte Soames.



Während Tante Juleys momentanem entsetzten Schweigen fing er einige Worte Irenens auf, die klangen wie: »Laßt die Hoffnung draußen, alle, die ihr hier eintretet!«



Aber Swithin war nun mit seinem Schinken fertig.



»Wo kaufst du deine Champignons?« fragte er Irene mit der Stimme eines Liebhabers; »du solltest zu Snileybob gehen – da bekommst du sie frisch. Diese

kleinen

 Leute geben sich nicht die Mühe!«



Irene wandte sich um, ihm zu antworten, und Soames sah, wie Bosinney sie lächelnd beobachtete. Ein sonderbares Lächeln hatte der Mensch; halb einfältig wie ein Kind, das lächelt, wenn es sich freut. An Georges Spitznamen – der Bukanier – dachte er gar nicht mehr. Und als er sah, wie Bosinney sich zu June wandte, lächelte Soames ebenfalls, aber spöttisch  – er mochte June nicht, die nicht allzu froh aussah.



Kein Wunder übrigens, denn sie hatte eben folgende Unterhaltung mit James gehabt:



»Auf meinem Rückweg sah ich vom Fluß aus eine schöne Baustelle für ein Haus, Onkel James.«



James, ein langsamer und gründlicher Esser, hielt im Kauen inne.



»Wie?« sagte er. »Wo war es denn?«



»Dicht bei Pangbourne.«



James nahm einen Bissen Schinken in den Mund, und June wartete.



»

Du

 weißt doch wohl nicht, ob das Land dort herum verkäuflich ist?« fragte er schließlich. »

Du

 wirst doch nichts über den Preis der Grundstücke da draußen wissen?«



»Doch,« sagte June. »Ich habe mich erkundigt.« Ihr resolutes Gesichtchen unter der Kupferkrone glühte in verdächtigem Eifer.



James musterte sie mit der Miene eines Inquisitors.



»Was? Du denkst doch nicht etwa daran Land zu kaufen?« rief er und ließ die Gabel sinken.

 



June ermutigte sein Interesse sehr. Es war lange ihr Lieblingsplan gewesen, daß ihre Oheime sich und Bosinney zum Nutzen, von diesem Landhäuser bauen lassen sollten.



»Natürlich nicht,« sagte sie. »Ich dachte nur, es wäre ein so prächtiger Platz für – dich oder – sonst jemand, um dort ein Landhaus zu bauen!«



James sah sie von der Seite an und nahm einen zweiten Bissen von dem Schinken.



»Land muß dort herum sehr teuer sein,« sagte er.



Was June für persönliches Interesse gehalten hatte, war nur die unpersönliche Erregung jedes Forsyte, der  hörte, daß etwas Vorteilhaftes in andere Hände überzugehen droht. Aber sie wollte das Schwinden ihrer Aussichten nicht sehen und verfolgte ihren Zweck weiter.



»Du solltest aufs Land ziehen, Onkel James. Ich wollt, ich hätte einen Haufen Geld, dann bliebe ich keinen Tag länger in London.«



James war bis ins Innerste seiner langen, dürren Gestalt empört. Er hatte keine Ahnung davon, daß seine Nichte so verwegene Ansichten hegte.



»Warum ziehst du nicht aufs Land?« wiederholte June, »es wäre ein wahres Glück für dich!«



»Warum?« begann James erregt. »Land kaufen – was glaubst du, hätte ich vom Landkaufen, und Häuserbauen? – Ich bekäme nicht vier Prozent für mein Geld!«



»Was schadet das? Du hättest frische Luft.«



»Frische Luft!« rief James aus; »was soll mir frische Luft –«



»Ich dächte, jeder liebt es, frische Luft zu haben,« sagte June verächtlich.



James wischte sich mit der Serviette über den Mund.



»Du kennst den Wert des Geldes nicht,« sagte er und wich ihrem Blicke aus.



»Nein! Und das werde ich hoffentlich nie!«



Die arme June biß sich in unsagbarer Entrüstung auf die Lippen und schwieg.



Warum waren ihre eigenen Verwandten so reich, und Phil wußte nie, wo er am nächsten Tag das Geld für den Tabak hernehmen sollte. Warum konnten sie nicht etwas für ihn tun? Aber sie waren so selbstsüchtig. Warum konnten sie nicht Landhäuser bauen? Sie hatte noch jenen festen naiven Glauben, der so rührend ist und zuweilen so Großes vollbringt. Bosinney,  dem sie sich in ihrer Niedergeschlagenheit zuwandte, unterhielt sich mit Irene, und ein Frösteln erfaßte Junes Seele. Ihre Augen wurden starr vor Zorn, wie die des alten Jolyon, wenn man sich ihm widersetzte.



Auch James war ganz verstört. Ihm war, als habe jemand ihm das Recht bestritten, sein Geld mit fünf Prozent anzulegen. Jolyon hatte sie verzogen. Von

seinen

 Töchtern hätte keine so etwas gesagt. James war gegen seine Kinder immer sehr freigebig gewesen, und das Bewußtsein davon ließ es ihn noch tiefer fühlen. Er stocherte verdrießlich in seinen Erdbeeren, dann überschwemmte er sie mit Sahne und verzehrte sie rasch; sie wenigstens sollten ihm nicht entgehen.



Kein Wunder, daß er außer sich war. Seit vierundfünfzig Jahren (er war so früh das Gesetz es erlaubte als Anwalt zugelassen worden) hatte er Hypotheken zu ordnen, Geld zu hohen und dabei sicheren Zinsen anzulegen, Geschäfte nach dem Grundsatz zu leiten, aus andern Leuten so viel wie möglich herauszuholen, sofern es mit der Sicherheit für seine Klienten und ihn selbst zu vereinigen war, und bei den Berechnungen der genauen pekuniären Möglichkeiten in allen Lebenslagen war er schließlich dazu gekommen, nur noch in Geldbegriffen zu denken. Geld war jetzt sein Licht, sein Mittel zu sehen, ohne das er tatsächlich unfähig war zu sehen, wirklich nichts zu erkennen vermochte; und daß man ihm ins Gesicht sagen konnte: »Hoffentlich werde ich nie den Wert des Geldes kennen lernen!« betrübte und empörte ihn. Er wußte, daß es Unsinn war, sonst hätte es ihn erschreckt. Wohin sollte es noch kommen in der Welt! Aber plötzlich fiel ihm die Geschichte des jungen Jolyon ein, und das tröstete ihn ein wenig, was konnte man schließlich erwarten mit einem  solchen Vater! Seine Gedanken wurden dadurch auf eine noch unerfreulichere Bahn geleitet. Was bedeutete denn all dies Gerede über Soames und Irene?



Wie in allen Familien, die etwas auf sich halten, hatte sich ein Stapelplatz gebildet, an dem die Familiengeheimnisse ausgetauscht und der Familienschatz bewertet wurde. Es war an der Forsytebörse bekannt, daß Irene ihre Heirat bereute. Aber ihre Reue wurde gemißbilligt. Sie hätte es sich vorher überlegen sollen; keine zuverlässige Frau täuscht sich in solchen Dingen.



James sagte sich verstimmt, daß sie doch ein hübsches, wenn auch ziemlich kleines Haus in ausgezeichneter Lage hatten, keine Kinder und keine Geldsorgen. Soames war in bezug auf seine Angelegenheiten sehr zurückhaltend, aber er mußte doch allmählich ein sehr wohlhabender Mann werden. Er hatte ein vorzügliches Einkommen aus dem Geschäft – denn Soames war wie sein Vater Teilhaber der wohlbekannten Anwaltfirma Forsyte, Bustard und Forsyte – und war immer sehr vorsichtig gewesen. Es war ihm ganz ungewöhnlich gut mit einigen Hypotheken geglückt, die er aufgenommen hatte – dazu eine kleine rechtzeitige Pfändung – höchst glückliche Treffer!



Es gab keinen Grund für Irene, nicht glücklich zu sein, und doch hieß es, sie habe getrennte Zimmer verlangt. Er wußte, worauf das hinauslief. Wenn Soames noch ein Trinker gewesen wäre!



James sah zu seiner Schwiegertochter hinüber. Sein unbemerkter Blick war kalt und unsicher. Es lag Furcht und Anklage darin und ein Gefühl persönlichen Kummers. Warum blieb ihm dieser Ärger nicht erspart? Wahrscheinlich war alles Unsinn. Frauen sind eben komische Geschöpfe! Sie übertreiben so, man weiß nie, was man ihnen glauben soll; und dann,  ihm sagte keiner was, er mußte alles allein herausfinden. Wieder blickte er verstohlen zu Irene hin, und von ihr hinüber zu Soames. Dieser hörte Tante Juley zu und warf dabei unter seinen Brauen einen Blick auf Bosinney.



»Er liebt sie, das weiß ich,« dachte James. »Man sieht es an der Art, wie er sie immer beschenkt.«



Und das außerordentlich Unbillige ihrer Abneigung traf ihn mit erhöhter Gewalt. Wirklich schade, sie war ein liebes kleines Ding, und er, James, hätte sie wirklich lieb gehabt, wenn sie es nur erlaubt hätte. Seit kurzem war sie sehr vertraut mit June;

das

 war nichts für sie, das war ganz gewiß nichts für sie. Sie fing an, eigene Ansichten zu haben. Was wollte sie denn eigentlich damit. Sie hatte ein schönes Heim und alles, was sie nur wünschen konnte. Man müßte ihre Freunde für sie wählen. Es weiter gehen zu lassen wie bisher, wäre gefährlich.



Gewohnt, Unglückliche unter ihren Schutz zu nehmen, hatte June Irene tatsächlich ein Geständnis abgelockt und ihrerseits dann die Notwendigkeit gepredigt, dem Übel, selbst durch eine Trennung, wenn es sein mußte, Trotz zu bieten. Aber Irene hatte diesen Ratschlägen gegenüber nachdenklich geschwiegen, als fände sie den Gedanken fürchterlich, mit kaltem Blut einen solchen Kampf durchzuführen. Er würde sie nie freigeben, hatte sie zu June gesagt.



»Was macht das?« rief June, »laß ihn tun was er mag – wenn du nur daran festhältst!« Und sie hatte kein Bedenken gehabt, bei Timothy einige Andeutungen darüber zu machen. Als James davon hörte, war er natürlich entrüstet und erschrocken.



Wenn Irene es sich nun wirklich in den Kopf setzte, Soames – er konnte den Gedanken kaum zu Ende denken – zu verlassen? Aber dieser Gedanke schien  ihm so unerträglich, daß er ihn schnell von sich schob. Was für dunkle Visionen er heraufbeschwor, dies Familiengetuschel, das ihm im Ohre summte, dies Entsetzen, daß so etwas in seiner Nähe, bei einem seiner Kinder geschehen konnte! Glücklicherweise hatte sie kein Geld – elende fünfzig Pfund im Jahre! Und er dachte mit Verachtung an den verstorbenen Heron, der ihr nichts hatte hinterlassen können. Über seinem Glase brütend, hatte er die langen Beine unterm Tisch übereinander geschlagen und versäumte aufzustehen, als die Damen das Zimmer verließen. Er mußte mit Soames sprechen – mußte ihn warnen; so konnte es nicht weitergehen, nachdem eine solche Möglichkeit vor ihm aufgetaucht war. Und er bemerkte verstimmt und unwillig, daß June ihr gefülltes Weinglas hatte stehen lassen.



»Das kleine Ding ist an allem schuld,« dachte er. »Irene wäre von selbst nie darauf gekommen.« James hatte Phantasie.



Swithins Stimme erweckte ihn aus seiner Träumerei.



»Ich gab vierhundert Pfund dafür,« sagte er. »Es ist aber auch ein wirkliches Kunstwerk.«



»Vierhundert! Hm! Ein Haufen Geld!« stimmte Nicholas ein.



Der Gegenstand, um den es sich handelte, war eine sorgfältig gearbeitete Gruppe aus italienischem Marmor, die auf einem hohen Sockel (ebenfalls von Marmor) stand und eine Atmosphäre von Kultur im ganzen Zimmer verbreitete. Die Nebenfiguren, es waren deren sechs, weiblich und nackt, von höchst zierlicher Arbeit, wiesen alle auf die Mittelfigur hin, die ebenfalls weiblich und nackt war und auf sich selbst wies; und alles dies gab dem Beschauer eine lebhafte Empfindung ihres hohen Wertes. Tante Juley, die ihr  gerade gegenüber gesessen, hatte es den ganzen Abend die größte Schwierigkeit bereitet, sie nicht anzusehen.



»Vierhundert Goldfüchse! Du wirst mir doch nicht weißmachen, daß du

dafür

 vierhundert Pfund gegeben hast?« sagte der alt