Mein Leben - Meine Musik

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Die Vorstellung, dass sich meine Eltern zuerst trennten und sich dann scheiden ließen, regte mich sehr auf und war traumatisch für mich. Es ging mir echt an die Nieren. Das war ein Thema, über das ich nicht einmal sprechen konnte, dieses Wort mit „Sch“. Und auch sonst wurde dieses Thema nirgendwo besprochen. Es gab keine Pointen über Scheidungen in Sitcoms. Obwohl ich mir sicher bin, dass auch damals Scheidungen allgegenwärtig waren, kannte ich keine anderen Kinder, deren Eltern geschieden waren. Wenn ich nun in der Schule ein Formular ausfüllen musste, in dem gefragt wurde, bei wem ich lebte, schämte ich mich, da ich angeben musste, dass ich bei meiner Mom – und niemandem sonst – lebte. Dies führte nämlich unausweichlich zu weiteren Fragen: „Wo wohnt denn dein Vater? Hat er sich etwa der Fremdenlegion angeschlossen?“ Das wurde ich mehr als einmal gefragt. Es war demütigend, nur ein Elternteil zu haben, und es traf mich hart. Als wäre es meine Schuld.

Wann sich meine Eltern tatsächlich scheiden ließen, weiß ich nicht mehr genau. Gegen Ende meines dritten oder vierten Schuljahrs wollten wir alle gemeinsam nach, so glaube ich, Santa Rosa umziehen. Da war ich ungefähr acht. Also informierte ich alle meine Kumpels, die ich praktisch seit dem Kindergarten kannte, dass wir bald woanders hinziehen würden. Ich weiß noch, dass mich das gar nicht so sehr aufregte. Es war nicht so, als hätte ich mich dadurch sonderlich entwurzelt gefühlt. Ich erinnere mich nur noch daran, wie ich es eben allen mitteilte. Als dann im Herbst die Schule wieder anfing, war ich aber immer noch da ‒ obwohl ich mich bereits von allen meinen Freunden verabschiedet hatte!

„John, was ist denn passiert?“

„Nun, bloß mein Dad ist umgezogen.“

Ich erinnere mich an ein Gefühl der Wertlosigkeit. Mir gingen Dinge durch den Kopf wie: „Ich muss mich nach Hause schleichen und darf nie mehr über persönliche Angelegenheiten sprechen.“ Ich wusste einfach nicht, wie ich mich der Sache nähern sollte, weil ich es vermutlich nicht wirklich verstand.

Das Hauptproblem meiner Eltern lag wahrscheinlich darin, dass sie beide Alkoholiker waren. Glaubt es mir oder auch nicht: Als junger Mensch empfand ich eine starke Abneigung gegen Alkohol. Meine Eltern betrunken zu sehen und sie unzusammenhängendes Zeug faseln zu hören, fand ich einfach abstoßend.

Ich war ein typisches Kind, das von seinen Eltern enttäuscht war, und ließ dies an meiner Mutter aus. Meine Mutter benahm sich manchmal merkwürdig, irgendwie komisch – und wir Jungs hatten keine Ahnung, warum das so war, schließlich sahen wir sie nie trinken. Ich glaube, dass sie ihren Stoff in einem Kasten oder so versteckt haben musste. Das gehörte wohl mehr zu unserem Alltag, als mir lieb ist. Ich sagte früher gerne mal, dass sie mir ein negatives Beispiel war, nämlich welche Dinge man nicht tut. Inzwischen bin ich aber viel nachsichtiger geworden, vor allem was meine Mom betrifft. Und das liegt nicht nur daran, dass ich begriffen habe, welche guten Dinge sie mir schon beibrachte, als ich noch klein war. Es liegt vielmehr daran, dass Menschen eben sehr zerbrechlich sind, verdammt noch mal! Wir gehen ganz leicht zu Bruch, wenn mal was schiefläuft und, vor allem, wenn man sich hoffnungslos fühlt. Das ist für jeden von uns echt das Schlimmste. Frustration ist eine sehr mächtige Sache und kaum zu überwinden. Ich bin mir sicher, dass meine Mom mit sehr viel Kummer zurechtkommen musste. Sie musste fünf Jungs erziehen, aus denen sehr schnell fünf Männer wurden. Ganz allein. Ich denke, dass sie sich wacker schlug. Gott weiß, dass sie es versuchte.

Ich hoffe, dass ich meiner Mom gerecht werde. Auch bereitet es mir Sorgen, so tiefe Einblicke zu gewähren – das war schon immer so. In der Welt, in der ich aufwuchs, gab man nichts preis, von dem man meinte, es gehe niemanden etwas an. Da sie mittlerweile verstorben ist, möchte ich nur ihre und meine Erfahrung wahrheitsgetreu wiedergeben.

Meine Mom war in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Sie unterrichtete mich in vielen Dingen, spielte mir viel Musik vor und versuchte, für mich da zu sein. Dafür bin ich ihr sehr dankbar. Auch sehe ich die ganze Situation mittlerweile ein wenig differenzierter ‒ nicht mehr nur aus meiner Perspektive, da ich ja vieles nicht mitbekam oder verstand. Ein Grund dafür mag sein, dass ich heute so viel habe. Und wegen Julie. Ich sehe meine Eltern beinahe als tragische Figuren. Es ist schrecklich, dass sich meine Mutter einen großen Teil ihres Lebens wahrscheinlich ungeliebt fühlte. Als ob sich niemand um sie kümmerte. Mein Dad fand nach der Trennung von Mom mit Sicherheit keine Liebe mehr in seinem Leben. Die wahre Tragödie lag aber darin, dass meine Eltern sich meiner Meinung nach, bevor die Geld- und Alkoholprobleme alles zerstörten, wirklich geliebt hatten.

Wir hatten eine Schallplatte zu Hause mit einem Song von den Mills Brothers, „When You Were Sweet Sixteen“. Es war eine alte 78er-Scheibe. Mein Dad und meine Mom sangen das Stück gerne gemeinsam. Gott, was war das nur für ein Song. Wunderschön. Es bricht mir das Herz, wenn ich ihn heute höre. Ich war damals einfach nur ein Junge, der die Scheidung seiner Eltern miterleben musste, und das war ihr Song!

Ich erinnere mich noch gut daran, wie wir Jungs gemeinsam im Gerichtssaal saßen. Wir wurden alle fünf, ohne unsere Eltern, in einen Raum gerufen, und ein Beamter, vermutlich ein Richter, stellte jedem Einzelnen von uns dieselbe Frage, nämlich, bei welchem unserer Elternteile wir von nun an wohnen wollten.

Ich glaube, wir hatten uns darauf geeinigt, dass wir alle bei unserer Mom bleiben wollten. Zwar weiß ich nicht, ob wir unsere Geschichten aufeinander abgestimmt hatten, aber ich erinnere mich daran, dass wir in unserem Herzen wussten, es würde die beste Lösung sein. Aber es war schon echt beängstigend, dass es wirklich so weit gekommen war, dass uns diese Frage tatsächlich – von einem Fremden noch dazu – gestellt wurde. Es war nicht einfach, sich darüber Gedanken zu machen. In erster Linie wollte ich einfach mit meinen Brüdern zusammenbleiben. Wir alle wollten das.

Meine Eltern stritten ununterbrochen über die Begleitumstände und Konsequenzen ihrer Scheidung. An einem Samstagmorgen, nachdem wir Jungs im Garten gecampt hatten, fuhr plötzlich die Polizei vor. Da lagen wir nun, Kinder in ihren Schlafsäcken, die von den Cops aufgeweckt wurden. Anscheinend hätten wir an diesem Wochenende bei unserem Dad sein sollen. Es war schon aufdringlich von meinem Dad, gleich die Polizei zu rufen. Schließlich zahlte er ja auch keine Alimente, obwohl er das hätte tun müssen. Ich weiß gar nicht, ob er einen Job hatte oder nicht. Jedenfalls war dies der Grund dafür, dass Mom uns ihm vorenthielt. Ich bin mir aber sicher, dass Mom sich innerhalb ihrer rechtlichen Möglichkeiten bewegte. Sie sagte später Sachen wie: „Weißt du, ich hätte ihn auch einbuchten lassen können, aber was hätte das schon gebracht?“

Ich weiß nur, dass ich an einem Samstagmorgen um 8 Uhr von der Polizei geweckt wurde, die mir mitteilte, ich müsse zu meinem Vater. Vielleicht wollte ich das ja gar nicht.

Danach sah ich meinen Dad nicht mehr oft. Eine Zeit lang vielleicht einmal im Monat. Wir gingen dann ins Kino. Solche Dinge verlaufen einfach so seltsam, zumindest in unserem Fall. Irgendwann war schließlich ein Punkt erreicht, an dem ich meinem Dad überhaupt nicht mehr traf. Jahrelang.

Ein paar Jahre später, ich besuchte nun die achte Klasse, machten wir im Rahmen des Fachs Bürgerschaftskunde einen Ausflug nach Richmond, dem Verwaltungssitz des Countys. Wir – also vielleicht 20 Kids – wurden in Kombis dorthin gebracht.

Wir besuchten einen Gerichtssaal und verfolgten eine Verhandlung. Ironischerweise handelte es sich bei dem Fall um eine Scheidungsangelegenheit. Nachher hörte ich, wie eine der Lehrerinnen meinte: „Na ja, ich bin mir nicht sicher, ob die Kinder das hätten mitansehen sollen.“

Es waren beide Parteien anwesend, Ehefrau und Ehemann. Es war die Ehefrau, die ihren Mann verlassen wollte. Sie war es auch, die zuerst ihre Aussage machte, wobei sie sehr sachlich wirkte. Nicht etwa kalt oder so. Einfach nur direkt.

Als Nächstes sprach der arme Ehemann über seine Familie und seine Frau. Dann wurde er vom Anwalt seiner Noch-Gattin in die Mangel genommen. Dieser beknackte Winkeladvokat gab ihm alle Schuld. Er war wie eine Bulldogge und zerfleischte den Typen förmlich.

Wir verfolgten das Ganze ungläubig. Es war wie Fernsehen, aber sicher keine Familienunterhaltung, wenn ihr versteht, was ich meine. Schließlich sagte der Mann, der inzwischen sehr emotional war: „Vielleicht möchte meine Frau ja eine Versöhnung in Betracht ziehen. Womöglich bekommen wir doch noch alles geregelt.“ Er gab sich vor allen Anwesenden wie ein verletzlicher Junge. Das war unerwartet. Ich war schließlich noch ein Junge und hätte mir so etwas nie ausmalen können. Abgesehen von der Scheidung meiner Eltern hatte ich ja noch von nichts eine Ahnung. Damals hatte ich auch noch nicht einmal eine richtige Freundin gehabt. Ich fand das einfach alles sehr traurig. Auch heute noch ist es nicht leicht, daran zu denken. Damals war ich jedenfalls schockiert und gekränkt und noch vieles mehr.

Aber die Verhandlung wurde nun erst einmal unterbrochen, da der Mann nicht mehr weitermachen konnte. Der Anwalt der Ehefrau sah sie an. Sie hatte die Arme verschränkt. Sie war eine zähe Lady. Der Ehemann flennte vor sich hin. Der Richter erhob seinen Hammer – bumm, bumm – und vertagte den Fall um zwei Wochen.

Wir saßen alle da, und der Gerichtsdiener kündigte den nächsten Fall an. Ich schwöre es bei Gott, er las: „Dies ist der Fall Galen Robert gegen Edith Lucile Fogerty. Sind beide Parteien anwesend?“ Nun, das waren meine Eltern. Es waren inzwischen vier oder fünf Jahre vergangen, und die Scheidung war immer noch nicht endgültig. Der Name Fogerty wurde noch zwei Mal ausgerufen, und der Richter fragte: „Sind die Parteien anwesend?“ Und irgendjemand antwortete: „Nein, Euer Ehren.“ Der Richter erklärte daraufhin: „Gut, dann werden wir zu einem späteren Zeitpunkt fortfahren müssen.“

 

Aber der Schaden war bereits angerichtet. Ich dachte nur: Wie um alles in der Welt hat das denn passieren können? Ich bin im Gerichtssaal und muss mir das anhören? Mit allen meinen Mitschülern?

Als wir wieder in die Autos stiegen, um nach Hause zu fahren, sagte eines der Mädchen – sie hieß Sandy – zu mir: „Diese Fogertys, von denen da gesprochen wurde – sind das deine Eltern?“

Ich verneinte und gab mir Mühe, cool zu bleiben. Ich war echt angespannt. Nicht ich selbst. Meine Klassenkameraden hatten aber keine Ahnung, dass es sich um meine Familie handelte. Oder etwa doch?

Die anderen Kids sprangen auf und ab im Kombi, und ich benahm mich irgendwie sonderlich. Nicht wie ein Kind. Ich stand offenbar unter Schock. Die anderen hielten mich für arrogant, weil ich nicht mitmachte und mit ihnen lachte. Irgendjemand sagte etwas wie: „Ach, der denkt wohl, er ist zu erwachsen für uns.“ Kindern ist oft gar nicht bewusst, wie wenig und wie viel sie doch wissen.

Mein Dad blieb den Rest seines Lebens verbittert. Irgendwann wurde ihm wegen Diabetes ein Bein abgenommen. Er musste ständig ins Krankenhaus, und meine Brüder und ich halfen ihm, als er schließlich aus seiner Wohnung auszog. Er hatte einen alten Fernseher mit einer Metallverschalung, die wie Holzmaserung aussehen sollte. Das Metall war mit Dellen übersät und an manchen Stellen sogar löchrig. Ich erkannte das Ding gleich wieder. Als ich noch ein Junge war, wurde mein Dad immer so sauer wegen des schlechten Empfangs, dass er dem Kasten ein paar Schläge verpasste.

Damals unternahmen wir auch einen Ausflug nach Montana. Wir mieteten dafür einen kleinen Wohnanhänger, den wir hinten an unserem ’56er Buick befestigten. Über jedem Rad befand sich jeweils ein kleines Fach mit einer Klappe, die sich versperren ließ. Dort waren unter anderem ein Schlauch verstaut, mit dem der Wassertank gefüllt werden konnte. Uns fiel auf, dass die Klappe mehrere Dellen aufwies, fast so, als wäre sie mit einem scharfen Gegenstand bearbeitet worden.

Nun, nach ein oder zwei Wochen befanden wir uns vermutlich gerade irgendwo im Yellowstone-Nationalpark. Der Motor überhitzte sich, weshalb Dad Wasser aus dem Anhänger in den Kühler umleiten musste. Er parkte, und wir alle stiegen aus, um zu helfen. Die entsprechende Klappe stand offen, und der Schlauch war verschwunden. Wir waren angeschmiert! Offenbar funktionierte das Schloss nicht richtig, und die Klappe war aufgesprungen. Mein Dad wurde ordentlich sauer und fing an, mit einem Beil auf die Klappe einzuschlagen. Uns dämmerte schließlich: Diese Stellen, die uns aufgefallen waren, waren exakt die gleichen wie jene, die nun unser Dad mit dem Beil hinterließ. Anscheinend war dem Vormieter des Anhängers genau dasselbe widerfahren wie uns.

Nun fing Dad an, gegen den Anhänger zu treten. Aus seinem Mund kamen etliche unschöne Ausdrücke. Da ich meinen Dad in erster Linie als bedachten und friedvollen Zeitgenossen kannte, war ich einigermaßen schockiert. Er war plötzlich ein komplett anderer Typ. Um ehrlich zu sein: Wir ähnelten uns sehr in diesem Punkt. Bereits seit meiner frühesten Kindheit war auch ich ein Hitzkopf. Ich erinnere mich da etwa an einen Jungen, der während des Ballspielens zu mir sagte: „Weißt du, du musst lernen, dein Temperament zu zügeln.“ Auch den Lehrern in der Grundschule fiel es auf.

Jahre später also, als wir meinem Vater beim Umzug halfen, stand da dieser alte, verbeulte Fernseher. Creedence waren bereits eine Zeit lang Geschichte, und es war nicht unbedingt so, als wäre ich gerade auf der Sonnenseite des Lebens beheimatet. Aber ich warf einen Blick auf diesen Apparat und begriff, dass mein Vater nun 70 Lenze auf dem Buckel hatte und immer noch so drauf war. Ich dachte mir bloß: Auf keinen Fall will ich als mürrischer alter Mann sterben.

Zum Glück gelang es meiner Mom nach all dem Durcheinander, sich noch einmal zu verlieben. Sie traf einen wunderbaren Mann, Charles Loosli. Sie heirateten am 11. Juni 1977. In späteren Jahren verbrachte ich mehr Zeit mit den beiden. Wir alle mochten Charles.

Die Teenagerzeit ist wohl für fast jeden die schwerste im Leben. Vor allem, wenn man sich als Opfer einer großen Ungerechtigkeit empfindet. Ich fühlte mich unfair behandelt und wertlos. Die Scheidung kam mir wie ein großer, sogar extrem großer Fehlschlag vor. In guten Familien gab es so etwas nicht. Ich baute einfach einen hohen Zaun um mich herum auf. Der Umstand, dass unsere finanzielle Situation nach der Scheidung immer prekärer wurde, machte alles nur noch schlimmer. Ich hatte das Gefühl, mich ganz unten in der gesellschaftlichen Hierarchie zu befinden. Ich war sicher nicht so schlimm dran wie irgendwelche Typen, die in Mississippi in einer Hütte ohne Strom und Wasser hausten, aber irgendwie fühlte ich mich arm. In Verbindung mit der Scheidung meiner Eltern war das kaum auszuhalten.

Nachdem ich die neunte und die halbe zehnte Klasse erneut in einer katholischen Schule, St. Mary’s, besucht hatte, sagte einer der Lehrer zu meiner Mom: „John wirkt so traurig und reserviert. Er ist einfach so ruhig. Ist denn alles in Ordnung? Geht es John gut?“ Meine Mom versuchte, zu erklären: „Ach, nein, er ist nur sehr nachdenklich.“ Ich griff sogar selbst auf diese Begründung zurück. Fast alle Fotos aus meiner Kindheit zeigen mich von meiner grüblerischen Seite. Meine Augenbrauen scheinen auf diesen Bildern ineinander verknotet zu sein. „Traurigkeit“ mag vielleicht nicht das beste Wort für meinen Zustand gewesen sein, aber ein anderes fällt mir selbst heute noch nicht ein.

Ich schämte mich für das Haus, in dem wir wohnten. Der Ofen funktionierte nie richtig. Die Nachbarschaft war zwar Mittelklasse, aber unser Haus war das schlimmste weit und breit. Als ich die siebte oder achte Klasse besuchte, zog ich schließlich in jenes Untergeschoss, das im Winter ständig überschwemmt war. Der Boden stand dann fünf Zentimeter unter Wasser, und ich musste Holzlatten auslegen, um ins Bett zu klettern, ohne dabei nass zu werden.

Mein erstes Radio war einer dieser Art-Deco-Apparate aus Plastik. Es war blaugrau und von Philips oder Emerson. Mit dem Geld, das ich als Zeitungsjunge verdiente, leistete ich mir schließlich einen Radiowecker. Irgendwann fielen die Regler ab. Ich nahm gern Dinge auseinander, also werde ich sie wohl selbst entfernt haben. Jedoch waren da jetzt nur mehr metallene Stümpfe. Eines Morgens stand ich nun im Wasser und wollte das Radio aufdrehen. Als ich hinlangte, erhielt ich einen ordentlichen Stromschlag. Ein Glück, dass er mich nicht umbrachte.

Ich hörte gerne vor der Schule Radio. Wenn der Wecker also anging, stieg ich auf die hölzerne Konstruktion auf dem Boden meines Zimmers, stellte den Alarm ab, warf mich wieder auf die Matratze und hörte noch eine Runde Musik. Dies war mein allmorgendlicher kleiner Tanz.

Direkt über meinem Bett befand sich eine Metallluke für den Ofen. Jeden Morgen, wenn meine Mutter sich auf den Weg zur Arbeit machte, stampfte sie darauf und rief: „John! John! Wach auf!“ Bumm, bumm, bumm.

Kennt ihr den Song „In My Room“ von Brian Wilson? Er sagt die Wahrheit. Dein Zimmer ist dein Allerheiligstes. Dort konnte ich einfach ich selbst sein. Oben, bei meiner Familie, war alles ein wenig chaotisch und anstrengend, aber dort unten war ich allein mit Duane Eddy, Elvis, Bill Haley und den Coasters. Für den Keller hatten wir keine Vorhänge oder Rollos, und die Leute aus dem Nachbarhaus konnten von ihrer Garage aus in mein Zimmer blicken. Deshalb lehnte ich die Cover meiner Platten gegen die Fenster, um die Sicht zu versperren.

Musik war mein Freund. Ich liebte es einfach, Musik zu hören, umgab mich mit ihr und dachte den ganzen Tag an nichts anderes. Ich glaube, dass mein Interesse nach der Scheidung meiner Eltern nur noch stärker wurde. Musik vermittelte Freude. Und aus irgendeinem Grund – keine Ahnung, wie oder warum – bestätigte mir dieses Hochgefühl, was ich bereits seit meiner frühesten Kindheit zu wissen schien: Musik war genau mein Ding.


ALS ICH DIE FÜNFTE KLASSE besuchte, kam ich zu dem Schluss, dass ich etwas Geld dazuverdienen sollte. Damals gab mir meine Mom einen Vierteldollar Taschengeld. Das ließ auf keinen Fall große Sprünge zu.

Die Oakland Tribune musste am Sonntagmorgen bereits um 4 Uhr ausgeliefert werden, und man brauchte zum Ausliefern einen Erwachsenen, der einen im Auto durch die Gegend fuhr. Meine Mom war dazu nicht bereit. Also übernahm ich stattdessen einen Job als Zeitungsausträger bei der Berkeley Gazette, jener kleinen Zeitung, bei der mein Dad angestellt war. Sie wurde am Sonntag nicht ausgeliefert. Außerdem befand sich die Ausgabestelle der Zeitung nur zwei Straßen von unserem Zuhause entfernt, neben dem Friedhof ganz oben in der Fairmont Avenue. Auf meiner Route musste ich auch nur ungefähr 35 Haushalte in den Straßen diesseits der Harding Grammar School beliefern. Wenn alles glattlief, verdiente ich so zwischen 20 und 25 Dollar im Monat. Allerdings stellte sich heraus, dass ein paar Leute bei der Zeitungsausgabe gewissenlos agierten. Obwohl ich nur 35 Kunden belieferte, erhielt ich nämlich manchmal 40 Exemplare der Zeitung. Für diesen Überschuss musste allerdings ich geradestehen. Deshalb musste man das bei der Berkeley Gazette melden. Auf jeden Fall passierte mir das öfter. Das zog sich über Monate hin. Manchmal hörte es auf, nur um dann wieder vor vorne loszugehen. Als ich einmal nur 31 Zeitungen für 35 Haushalte erhalten hatte, reichte es mir, und ich drehte den Spieß um. Ich ging also zu einer dieser Zeitungsboxen, aus denen man sich für zehn Cent auf Vertrauensbasis eine Ausgabe holen konnte, nahm mir die vier Zeitungen, die mir fehlten, und lieferte sie aus. Ich war echt stinksauer. Jedoch erlaubte mir diese Art der Arbeit, Dinge zu kaufen – und diese Dinge waren üblicherweise Schallplatten.

45er-Singles waren der letzte Schrei. Wenn es einen Hit-Song gab, der einem gefiel, dann kaufte man sich die Single. Die ersten solchen Schallplatten, die ich erstand, waren „The Great Pretender“ von den Platters und „At My Front Door“ von den El Dorados. Ich kaufte sie als Weihnachtsgeschenke für meine Brüder Jim und Tom. Tom und mich verband das Thema Musik schon, da gab es Rock ’n’ Roll noch gar nicht. Da war etwa dieser Song „Billy’s Blues“ von Billy Stewart. Tom fuhr echt ab auf diese Nummer. Klarerweise gab es noch kein Internet, und diese Scheibe ließ sich nirgendwo auftreiben. Also marschierte ich in einen kleinen Laden im Einkaufszentrum und überredete die Inhaber, mir die Platte zu bestellen – obwohl sie schon vor eineinhalb Jahren herausgekommen war –, damit ich sie Tom zum Geburtstag schenken konnte. Ich wusste, dass das ein kostbares Geschenk war, wertvoller als eine Million Dollar, weil man die Platte nirgendwo kaufen konnte.

Ich erinnere mich an meinen Plattenspieler, als hätte ich ihn erst gestern mit meinem Geld vom Zeitungsaustragen gekauft. Er war rot und weiß und konnte Platten in drei Geschwindigkeiten abspielen. Das war ein willkommener Bonus für Gitarristen, da man so die 45er auf 33 Umdrehungen in der Minute herunterbremsen konnte, um die Soli zu lernen. Der Lautsprecher war einigermaßen unkonventionell. Gewisse Scheiben – etwa „Susie Q“ von Dale Hawkins – „sprangen“, weshalb man den Tonarm mit einer Münze oder einer Batterie beschweren musste. Und wenn ich duschte, legte ich mir am liebsten das erste Elvis-Album auf. Elvis sah ich zum ersten Mal in der Fernsehsendung der Dorsey Brothers im Januar 1956. Die Kids liebten seine Masche – die des jugendlichen Tunichtguts. Und auch ich fühlte mich von der Gefahr angezogen, die von ihm auszugehen schien. Ich glaube nicht, dass ich damals schon selbst Gitarre spielte. Nach diesem ersten Mal, vielleicht aber auch erst nach dem zweiten Mal, dass ich ihn gesehen hatte, posierte ich mit einem Besen vor dem Spiegel und imitierte seine verächtliche Mimik. Ich war hypnotisiert von ihm, obwohl ich nicht einmal wusste, warum eigentlich.

Es war die B-Seite von „I Want You, I Need You, I Love You“, die es mir so richtig angetan hatte. Ich war gerade zu Besuch bei meinem Dad, als beim Einkaufen im Lebensmittelgeschäft aus der Jukebox der Song „My Baby Left Me“ ertönte. Was war das denn? Ich rannte hinüber zur Jukebox, um nachzusehen. Elvis! „My Baby Left Me“ ist einer der besten Rock ’n’ Roll-Songs, der je auf Vinyl gepresst wurde. Die Gitarre war einfach so unbeschreiblich gut. Mensch, das hatte einfach Attitüde und Biss. Das machte auch einen großen Teil dessen aus, was die Scheibe so besonders machte.

 

Es war Scotty Moore, der die Rock ’n’ Roll-Gitarre erfand. Zwar kannte ich damals seinen Namen noch nicht und war auch noch kein Musiker, doch ich wusste auf der Stelle: Was auch immer das war, ich wollte genau das machen.

Als ich bei meinem Dad in Santa Rosa war, wollte ich mir eigentlich das erste Elvis-Album kaufen. Ich besaß vier Dollar und 14 Cent. Als ich im Einkaufszentrum damit aufkreuzte, war es allerdings vergriffen. So kaufte ich schließlich Bill Haleys Album Rock Around the Clock. Das Gitarrenspiel auf dem gleichnamigen Song war allen anderen weit voraus. Haleys Gitarrist Donny Cedrone, der ein wenig älter und fortgeschrittener als der typische Rock ’n’ Roller war, interpretierte seinen Part irgendwie jazzig. Sein Solo habe ich erst vor zwölf Jahren oder so richtig gelernt! Na ja, in der folgenden Woche besorgte ich mir dann noch die Elvis-Scheibe, und von da an hörte ich die beiden LPs so lange, bis ich sie auswendig kannte.

Ich sah Elvis schließlich 1970 im Oakland Coliseum. Da spulte er sein Programm ohne Punkt und Komma ab – die ganze Vegas-Masche mitsamt Karate-Moves und so. Elvis hatte eine Version von „Proud Mary“ aufgenommen, was natürlich eine große Ehre war, aber er schien sich nicht viel Zeit dafür genommen zu haben. Wenn ich etwas mehr Taktgefühl besäße, würde ich das vermutlich anders formulieren. Ja, es war schon etwas Besonderes, dass mein Idol einen meiner Songs sang, aber trotzdem hätte ich mir gewünscht, er hätte eine Hammer-Version abgeliefert.

Ich habe Elvis leider nie persönlich kennengelernt, obwohl das echt cool gewesen wäre. Er wurde verrückt und verlor einfach den Boden unter den Füßen. So ist es uns allen schon mal gegangen – dem einen mehr, dem anderen weniger.

Ich befasste mich auf einer sehr persönlichen Ebene mit Elvis. Sogar als ich noch ein Kind war und mit meinem Geld vom Zeitungsaustragen im Plattenladen stand, brachte er mich dazu, über Wertvorstellungen nachzudenken. Ich überlegte, mir eine Elvis-Single zu kaufen, doch er befand sich gerade in seiner „Big Hunk O’ Love“- und „Doncha’ Think It’s Time“-Phase. Und ich dachte: Yeah, Elvis ist ja gar nicht mehr richtig Rock ’n’ Roll. Das war 1959, also noch relativ am Anfang seiner Karriere! Mir war aufgefallen, dass sich eine gewisse Sanftheit und ein poppiger Ansatz in seine Musik eingeschlichen hatten, und wenn ich nun auf eine einsame Insel abkommandiert worden wäre, wollte ich zumindest genug Rock ’n’ Roll-Platten in meinem Besitz wissen. Also kaufte ich mir damals „Red River Rock“ von Johnny and the Hurricanes.

Doch Elvis war immer noch Elvis, und in den Fünfzigerjahren hatte man die Wahl zwischen ihm und Pat Boone. Elvis war einfach cool – und Pat leider nicht. Versteht mich bitte nicht falsch: Pat Boone hat einige Nummern aufgenommen, die mir gut gefallen, etwa „Bernadine“, „Love Letters in the Sand“ oder „Moody River“. Das sind großartige Songs. Dann hatte er noch ein paar echt rührselige Sachen im Repertoire, zum Beispiel „April Love“. Diesen Song hörte ich zu den seltsamsten Anlässen in meinem Kopf. Viele Jahre später war ich in Oregon auf der Jagd und kletterte einen langen, langen Grat empor. Ich war außer Atem, schwitzte, und als ich endlich oben angelangt war, ertönte diese Melodie in meinem Schädel – dumdumdum DUM, „Aaaaaapril love!“ Ich dachte mir nur: Wo kommt denn das jetzt bitte her? Als wäre es mein höchstpersönlicher Soundtrack. Pat schien ein echt anständiger Bursche zu sein, aber, na ja, eben vielleicht ein bisschen zu nett. Dasselbe ließ sich von seiner Musik behaupten. Auf keinen Fall hatte ich vor, rührselig zu wirken, doch ein Bösewicht wollte ich auch nicht sein. Damals lautete die große Frage: „Zu welcher Gang gehörst du? Zappelst du wie Elvis oder schmachtest du wie Pat?“ Eine schwere Entscheidung. Oder eigentlich nicht.

Durch Elvis entdeckte ich noch andere Schallplatten, die auf Sun Records erschienen. Etwa „Ooby Dooby“ von Roy Orbison und „Blue Suede Shoes“ von Carl Perkins. Als Elfjähriger verspürte ich dieselbe Verbindung zu Carl, wie sie auch die Beatles empfanden. Es gab sogar Zeiten, in denen mir Carl viel mehr als Elvis bedeutete, weil Carl Gitarre spielen und singen und Songs schreiben konnte. Diese Kombination beeindruckte mich sehr.

Im Baseball nannte man Willie Mays einen „five-tool player“, einen Alleskönner. Carl Perkins war in meinem Augen sein musikalisches Pendant. Zieht euch nur seine Singles „Boppin’ the Blues“ / „All Mama’s Children“ oder „Blue Suede Shoes“ / „Honey Don’t“ rein und konzentriert euch auf den scharfen Klang in seiner Stimme. Sein Gesang ist echt der Hammer! Diese beiden Singles sind immer noch, ja, perfekt. Ich musste mir „Blue Suede Shoes“ sogar drei oder vier Mal kaufen, weil sich meine Exemplare abnutzten – so oft spielte ich sie! Nach all den Jahren bin ich immer noch verblüfft, wie gut „Blue Suede Shoes“ einfach klingt. Carl verströmt ein unbeschreibliches Flair. Und der Groove der Band, dieses Country-Boogie-Ding – einfach unglaublich.

Ich traf Carl während meiner 1986er Tour in Memphis. Es war wie die Begegnung mit einem Gott. Er sagte die tollsten Sachen. Der Produzent Chips Moman begleitete ihn, und Carl sagte zu ihm: „Die Art, wie dieser Typ hier schreibt, stell dir nur mal vor, was Sam mit ihm angestellt hätte, wäre er damals bei Sun aufgekreuzt.“

Jemand, den ich verehrte, Carl Perkins, zollte mir Anerkennung? Er brachte mich in Zusammenhang mit Sam Phillips und Sun Records? Das konnte doch bloß ein Traum sein, oder? Es ging jedenfalls runter wie Öl.

Jahre später spielte ich auf einer Benefizveranstaltung für Bill Clinton, und überraschend erschien Carl Perkins. Er sagte, er arbeite gerade an einem Album mit Tom Petty. Diese Möglichkeit wollte ich nicht verstreichen lassen. Ich sah ihn mit fragendem Gesichtsausdruck an und sagte: „Und?“ Carl sah mich an und sagte: „John, ich würde mich sehr darüber freuen, wenn du mich bei ‚All Mama’s Children‘ unterstützen würdest.“ Er wusste, dass dies einer meiner Lieblingssongs war.

Unsere Version wurde nicht so gut wie das Original – ja, wie denn auch? –, aber ich bin dennoch froh, dass wir zusammen im Studio waren. In erster Linie wegen folgender Anekdote: Ich kam gerade von der Toilette, und Carl saß da mit einer Stratocaster. Er spielte darauf echt so richtig fieses Zeug. Ich hatte ihn für einen älteren, etwas gebrechlichen Mann gehalten, schließlich war er bereits 64 Jahre alt und hatte einige Operationen und einen Herzinfarkt hinter sich. Und da war er nun, rockte mit allem drum und dran so richtig drauflos. Einen Augenblick lang war ich völlig perplex.

Dann ging mir allerdings doch noch ein Licht auf: Natürlich kann Carl so spielen, immerhin ist er einer der zwei, drei Typen, die diesen Sound begründet haben. Warum sollte ich also davon überrascht sein? Carl verstarb 1998. Und bis heute habe ich seine Nummer in meinem Telefon eingespeichert.

Ich habe bereits erwähnt, dass ich mit acht via KWBR in Kontakt mit dem Blues kam: Muddy Waters, Howlin’ Wolf, B. B. King, Elmore James, John Lee Hooker. Howlin’ Wolfs Einfluss auf meinen Gesang war unermesslich. Hört mal genau hin: „Big wheel keep on toinin’.“ Damals fiel mir das aber nicht weiter auf. Es kam mir ganz natürlich vor.