Gottes Herz für dein Dorf

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3.2.Erwartungen an die Dorfgemeinde

Gemeinde ist Gottes Pflanzung, aber sie ist in menschlicher Gestalt in der Welt. In ihr sehen Menschen Gottes Herrschaft im Vollzug. Hier können sie das Evangelium sehen, erfahren und hören. Durchaus können die Menschen Gottes Absichten am Leben der Gemeinde auch missverstehen. Was also können Menschen von der Gemeinde Jesu auf dem Dorf erwarten?

In einer Untersuchung im Unterallgäu, die erforschte, was Dorfbewohner von der Kirche im Dorf erwarten, sind unter anderem folgende Ergebnisse zutage getreten47.

Die Kirche soll …

(1)Glauben vermitteln,

(2)das Dorf zusammenbringen,

(3)soziales Leben schaffen und unterhalten,

(4)unterschiedliche Bevölkerungsgruppen in die Gemeinschaft integrieren,

(5)seelsorgerliche Betreuung leisten,

(6)für Menschen in Notlagen sorgen,

(7)Menschen zum Ehrenamt motivieren,

(8)Heimatgefühle stiften sowie

(9)Ruhe und Kontemplation bieten.

Damit beschreiben die Unterallgäuer ziemlich genau die Bedürfnisse in ihrem Lebensraum. Die Kirche soll Verantwortung für ihren Lebensraum übernehmen, diesen gestalten und zum Besseren transformieren. Unmissverständlich schließen ihre Wünsche geistliche und soziale Aspekte ein. Glauben, Seelsorge und Gebet stehen hier neben sozialem Miteinander, Fürsorge, Integration und Heimat. Kann das eine Dorfgemeinde leisten? Muss sie es gar? Sind die Erwartungen nicht zu hoch geschraubt? Und wenn sie es nicht schaffen kann, wie soll der Gemeindeaufbau all das leisten? Welche Art von Aufbau braucht die Gemeinde, und wer kann ihn leisten?

3.3.Wir hatten einen Traum

„Ein Traum von der Gemeinde: Mut zum Missionarischen Gemeindeaufbau“, so betitelt Bernd Schlottoff sein überaus lesenswertes Buch zum missionarischen Gemeindebau.48 Offenbar muss man ein Träumer sein, wenn man heute noch missionarische Gemeinden bauen will. Das gilt vor allem für den Gemeindeaufbau auf dem Land.

Ich bin ein solcher Träumer. Aber der Traum, den ich da träume, ist weniger das Ergebnis eines überreizten Gehirns, sondern einer von Gott geschenkten Vision. Mir wurde sie, zusammen mit einigen anderen, zum ersten Mal 1999 geschenkt. Gerade nach einem längeren Auslandsaufenthalt nach Deutschland zurückgekehrt, standen meine Frau und ich vor der Frage, welcher Gemeinde wir uns in der neuen Heimat im Bergischen Land anschließen würden. Doch dazu kam es nicht. Denn ein befreundetes Ehepaar sprach uns an, eine neue Gemeinde zu gründen, und zwar auf dem Dorf. Zugegeben, ich hätte mir einen solchen Auftrag niemals selbst gegeben. Ich bin eigentlich ein Stadtmensch. Obwohl auf dem Land geboren, habe ich den allergrößten Teil meines Lebens in der Stadt gelebt. Das Dorfleben war mir fremd. Die Einladung unserer Freunde traf uns also überraschend und stieß erst mal auf Ablehnung. Aber der Gedanke, gegen alle Vernunft den Gemeindeaufbau auf dem Land zu wagen, reizte uns.

Nach viel Gebet und dem Drängen unserer Freunde gaben wir schließlich nach. So entstand das Gemeindegründungsprojekt in Brüchermühle im Bergischen Land. Es sollte ein ausgesprochen gesellschaftstransformatives Projekt werden und die Gemeinde, die wir bauten, eine missionale Gemeinde. Martin Schulten hat in seiner wissenschaftlichen Arbeit das Projekt und die Ergebnisse beschrieben.49

Die EfG Brüchermühle wurde im Jahr 1999 als eingetragener Verein von zwei Ehepaaren und fünf weiteren Freunden gegründet. Im Dorf gab es keine eigene Kirche, und Gottesdienste wurden lediglich unregelmäßig im Rahmen einer landeskirchlichen Gemeinschaft gehalten. Der Ort selbst – ein Ortsteil der Sammelgemeinde Reichshof – wurde in den 1970er-Jahren in die Gemeinde Reichshof (mit dem Rathaussitz in Denklingen) eingemeindet, die im Rahmen der Gebietsreform aus über einhundert einzelnen Ortschaften entstanden ist.50 Schulten schreibt:

„Das Dorf selbst mit seinen angrenzenden Nebendorfteilen hat 1891 Einwohner und besaß für diese Größe eine erstaunlich gute Infrastruktur. Mit zwei Tankstellen, einer Postfiliale, einem Lebensmittelmarkt, zwei Gaststätten, zwei Bankfilialen, einem Friseur, zwei Autowerkstätten, einer Fahrschule, einem Sportplatz, einem Bäcker, einem Drogeriemarkt und diversen anderen Geschäften, Handwerks- und Handelsbetrieben waren die Einkaufsmöglichkeiten für ein solches Dorf gut ausgeprägt, obwohl seit Anfang der 90er-Jahre ein Abbau der Infrastruktur begann. Das Hallenbad wurde aus Kostengründen Anfang der 90er-Jahre geschlossen, und die Bausubstanz zerfiel zusehends. Die Arbeitsmarktsituation der Bürger in diesem Dorf stellte sich so dar, dass sich zwei größere, produzierende Gewerbe nachhaltig in Brüchermühle angesiedelt hatten und viele Arbeitsplätze, die multikulturell besetzt waren, zur Verfügung standen.“51

Trotz dieser bemerkenswerten Lage sah man in Brüchermühle überall Spuren des beginnenden Zerfalls. Langfristig schien die Aushöhlung der Infrastruktur unabwendbar.

In diesem Dorf wollten wir nun eine missionale und dorfadäquate Gemeinde bauen. In unserem Gemeindehandbuch hieß es: „Das Ziel ist nicht, Gemeinde zu erhalten und ein attraktives Gemeindezentrum mit frommen Programmen aufzubauen, sondern Verbreitung des Evangeliums und Transformieren der Gesellschaft vor Ort. Dies soll in erster Linie in und um Brüchermühle geschehen (Kirche fürs Dorf). Der Blickwinkel der Gemeinde ist extern fokussiert.“52

Die Konzentration auf die Menschen vor Ort war somit in der DNA der Gemeinde angelegt. Im Handbuch heißt es weiter: „Die Menschen, die Jesus Christus noch nicht kennen, sollen durch die erfahrbare Liebe und Annahme von Christen auf die gute Nachricht hingewiesen werden und selbst Jünger Jesu werden.“53

Ein weiteres klares Bekenntnis zur Gesellschaftsrelevanz findet sich im Handbuch: „Gemeindewachstum geschieht dort, wo Christen entsprechend ihrer Begabung den Auftrag Gottes ernst nehmen und auf die Bedürfnisse und Not der Welt eingehen. Die Menschen im Dorf sollen ihre Bedürfnisse ausdrücken können, und die Gnade Gottes soll dort hineinkommen. In dieser Schnittmenge liegen der Auftrag und Dienst. Das Streben der Gemeinde ist, Gottes Gegenwart in die Welt zu bringen durch missionarische Arbeit als Dienst und Gemeinschaft mit den Menschen im Lernen voneinander.“54 Schulten schreibt:

„Dies wird sowohl bei der Auswahl der Räumlichkeiten, die EfG Brüchermühle ist im Frühjahr 2000 bewusst aus dem privaten Wohnzimmer in öffentliche Räume gezogen, als auch in den allerersten Anfängen bei der Arbeit mit Drogenabhängigen sichtbar, denn die EfG Brüchermühle hatte von Beginn an sowohl Kontakte zu Drogenabhängigen als auch zu den Bewährungshelfern und Ämtern aufgenommen, um mit ihnen gemeinsam zusammenzuarbeiten. Schon nach wenigen Monaten hat die EfG Brüchermühle dem Bürgermeister der politischen Gemeinde einen Entwurf einer gesellschaftsrelevanten Gemeinde „Kirche fürs Dorf“ vorgelegt. Darin wurde vorgeschlagen, das seit sechs Jahren zerfallende alte Schwimmbad in ein Gemeindezentrum zu verwandeln, das sowohl dem Dorf als auch der EfG Brüchermühle dienen sollte, ein Ort, an dem das gesellschaftliche Leben des Dorfes stattfindet. Im Hof sah der Entwurf Outdoor-Aktivitäten mit einer Grillstelle, Spielplatz, Volleyballplatz usw. vor. Es sollte ein Dorfzentrum entstehen, das als säkularer Treffpunkt in der Woche auf die Bedürfnisse der Dorfbewohner eingestellt ist und am Sonntag einen Gottesdienst anbietet.“55

Die Gemeinde verstand ihre Vision „Gemeinsam die Zukunft gestalten“ so, dass sie diese gemeinsam mit anderen Sozialakteuren vor Ort umsetzen wollte. Der lokale Fußballverein erhielt Räume im neu entstandenen Gemeindezentrum, genauso wie der Gesangsverein die Möglichkeit erhielt, im Saal Konzerte aufzuführen. Schon bald entstanden eine Musik-, Ballett- und Malschule für Kinder, Kurse für Jugendliche ohne Schulabschluss, eine Beschäftigungsgesellschaft für Arbeitslose, Gymnastikkurse für Frauen u.v.m.

Wie deutlich die Vision des gemeinsam gestalteten Lebens auch mit Menschen verstanden wird, die noch keine Christen sind, wird im Gemeindehandbuch sichtbar, wenn im Punkt 4.1. die 5 Glaubensziele der Gemeinde Brüchermühle beschrieben werden. Unter dem Aspekt der Gemeinschaft wird ausgesagt: „Gemeinschaft – ich will mit anderen Christen und mit meinen Mitmenschen echte Gemeinschaft in gegenseitiger Anteilnahme leben.“56

Diese gesellschaftstransformative Vision der EfG Brüchermühle drückte sich vor allem in den folgenden 4 Aspekten aus:

•Wir wollen eine Gemeinde im Dorf sein.

•Wir wollen eine Gemeinde für andere sein.

•Wir wollen Gemeindebau als Bau des Reiches Gottes leben.

•Soziale Arbeit ist ein integraler Teil unseres Gesamtauftrags.

Die EfG Brüchermühle hat sich von Anfang an lokal positioniert und sowohl in ihrem Auftrag als auch in ihrer Vision dem Dorf Brüchermühle verpflichtet. Sie wollte eine Gemeinde für die Menschen vor Ort sein, eine „Gemeinde für andere“57.

Dass Gemeinde nicht für sich, sondern für andere da ist, ist gerade in den Anfangsjahren der Gemeinde Brüchermühle an der Entwicklung der Mitglieder und Taufzahlen sichtbar geworden. Die weit überwiegende Zahl der neuen Mitglieder sind Menschen, die als Nichtchristen in Kontakt zur Gemeinde gekommen und dort getauft worden sind. Von 2000 bis 2005 schlossen sich der Gemeinde 251 Menschen an, wovon 214 in der Gemeinde zum Glauben kamen und getauft wurden.58 Es gab nur vereinzelt Übertritte bzw. Überweisungen aus anderen Gemeinden, da dies konzeptionell nicht gewollt war.

 

Das Geheimnis des Wachstums der Gemeinde lag vor allem in der Mitarbeit aller Gemeindeglieder, die sich bewusst in ihrem Alltag für die Belange des Reiches Gottes in der Gesellschaft einsetzten. Im Gemeindehandbuch der EfG Brüchermühle heißt es:

„Gemeindewachstum geschieht dort, wo Christen entsprechend ihrer Begabung den Auftrag Gottes ernst nehmen und auf die Bedürfnisse und die Not der Welt eingehen. Die Menschen im Dorf sollen ihre Bedürfnisse ausdrücken können, und die Gnade Gottes soll dort hineinkommen. In dieser Schnittmenge liegen Auftrag und Dienst. Das Streben der Gemeinde ist, Gottes Gegenwart in die Welt zu bringen, durch missionarische Arbeit als Dienst und Gemeinschaft mit den Menschen im Lernen aneinander.“59

Mitglieder der Gemeinde schlossen sich dem Bürgerverein des Dorfes an, spielten im lokalen Fußballklub, und die Gesamtgemeinde trat als Sponsor für den Sportverein des Ortes auf. Die Vorgabe war klar: „Kontakte werden geknüpft und dadurch Interesse und Offenheit gegenüber dem Glauben geschaffen. Auch Berührungsängste gegenüber der Gemeinde werden abgebaut.“60

Mehr noch: Die Gemeinde nahm bald unterschiedliche soziale Aufgaben am Ort wahr. Zu ihr kamen immer mehr Menschen, die ohne Arbeit waren und sozial absackten. Eine Analyse unter den neuen Mitgliedern der Gemeinde ergab, dass über 100 Personen aus ihrem Umfeld keine Arbeit hatten. Viele von ihnen hatten keinen Schulabschluss.61 Diese Arbeitslosen hatten auf dem primären Arbeitsmarkt kaum eine Chance. So entstand die Christliche Beschäftigungsgesellschaft Brüchermühle (CBB) – heute Christliche Beschäftigungsgesellschaft im Bergischen.62 Die CBB organisierte Schuldnerberatung für hoch verschuldete Bürger des Ortes, nahm sich der Situation der Arbeitslosen an und bot ihnen Resozialisierungsprogramme an – Hausarbeiten und einfache Bauarbeiten, Reparatur von Rollstühlen, Pflasterarbeiten. Sogar die Unterhaltung einer eigenen Tankstelle mit dem dazugehörigen Autoservice kam dazu.63

Um diese Menschen auch schulisch besser zu stellen, wurde die Ausbildungsinitiative für Beschäftigungssuchende Brüchermühle (ABB) ins Leben gerufen. Vor allem Jugendliche erhielten hier die Möglichkeit zur Weiterbildung, sodass sie ihren Schulabschluss nachmachen konnten. Das Lehrpersonal wurde aus den Reihen arbeitsloser Lehrer rekrutiert. An der lokalen Grundschule bot die CBB Nachmittagsbetreuung für Kinder an, deren Eltern beide arbeiteten.

Aus einem denkbar kleinen Anfang wurde bald eine ansehnliche kirchliche Arbeit. Mitten auf dem Land. Der Einsatz hatte sich gelohnt, und der Beweis war erbracht – auch auf dem Land kann man Gemeinden bauen und entwickeln. Meine eigenen Erfahrungen machen mir Mut, dass auch in anderen Teilen des Landes Gemeinden aufblühen.

W. Frost ordnet der Beziehung zwischen Christen und Noch-nicht-Christen eine ganz hohe Stellung zu, wenn er schreibt: „Das Ziel jeder Mission ist, dass Noch-nicht-Christen verstehen, dass Jesus für sie ist, das heißt, dass er das Beste der Gruppe will; dass er auf ihrer Seite ist. In einer Welt, in der viele Noch-nicht-Christen inzwischen annehmen, dass Gott sie ablehnt (vielleicht, weil sie den Eindruck gewonnen haben, dass Gottes Leute sie ablehnen), ist es wichtig, diese Botschaft zu einem Hauptziel der inkarnierenden Gemeinde zu machen: Wir wollen Menschen helfen, den Kontakt zu einem Gott zu suchen, der sie sucht und ihre Freundschaft begehrt.“64

Im Verlauf seiner Strategiebeschreibung kommt der Autor zu dem Punkt, dass es Orte geben muss, an denen man Christus entdecken kann. Er sagt: „Die Gesellschaft braucht Gelegenheiten, bei denen Christen und Noch-nicht-Christen, die mehr über das Evangelium erfahren wollen, sich in einer nicht-bedrohlichen Umgebung treffen können, in der sie respektiert werden.“65

Fragen zum Nachdenken:

1.Was verstehen Sie unter Gemeinde?

2.Was sagt die Bibel über Kirche und Gemeinde?

3.Wie verhält sich Ihrer Meinung nach die Gemeinde als Gottes Idee zur Kirche als Organisation, wie wir sie heute kennen?

4.Welche Rolle kommt dem Kontext, in dem die Gemeinde existiert, für die Gestaltung des Gemeindelebens zu?

5.Wie müsste Ihrer Meinung nach Gemeinde im Dorf sein?

Kapitel 4
Gemeindeaufbau im ländlichen Raum


4.1.Gemeindeaufbau verstehen

In diesem Buch geht es um kirchlichen Gemeindeaufbau auf dem Land. Unsere Frage lautet daher: Wie kann man heute effektiv Kirchengemeinden auf dem Land gründen, pflanzen und entwickeln, sprich zum Wachstum bringen? Wachstum meint dabei nicht bloß numerisches Wachstum. Es geht um weit mehr als nur um einen besser besuchten Gottesdienst oder wachsende Mitgliederzahlen. Michael Herbst konstatiert richtig: „Selbsterbauung der Kirche als Leib Christi bedeutet extensives und intensives Wachstum.“66

Uns geht es um Wachstum nach innen und außen. Gemeindeglieder sollen sowohl in ihrem Glauben, in ihrer Beziehung zu Gott und zueinander als auch in ihrer missionarischen Ausrichtung gestärkt und aufgebaut werden. Gemeindeaufbau ist, wie Christian Möller es richtig sagt, „ein geduldiges und behutsames Knüpfen an jenem offenen Gewebe von Gemeinde, das mal an dieser und dann an jener Stelle reißt und ständig neu wieder geknüpft sein will, damit möglichst niemand verlorengehe, sondern in seiner Nachbarschaft, einem Verein, einem Hauskreis, einer Gruppe der Frauenhilfe oder einem Freundeskreis aufgefangen werde“.67 Gründen und pflanzen, begießen und entwickeln, gewinnen und aufbauen, und wieder gründen, pflanzen – das sind die Kategorien, die den Gemeindeaufbau beschreiben.

Natürlich drücken diese Begriffe nicht nur eine gemeinsame Perspektive, sondern auch immer Aspekte des Ganzen aus. Gemeinde zu gründen meint etwas anderes, als diese zu pflanzen und diese zu entwickeln, und akzentuiert wiederum einen anderen Aspekt als Gemeindeaufbau. Wir gehen auf diese einzelnen Punkte ein und werden uns sowohl mit der Gründung neuer Gemeinden (Gemeindegründung) als auch mit deren Entwicklung (Gemeindewachstum) auseinandersetzen. Dabei bleibt das Dorf jedoch immer unser Zielort. Nicht der Aufbau eines zufällig am Ort angesiedelten christlichen Zentrums ist im Blick, sondern eine Gemeinde, die die Menschen im sozialen Raum erreicht. In der Literatur unterscheiden wir an dieser Stelle zwischen kategorialem und territorialem Gemeindebau. Während im ersten Fall Menschen einer gewissen sozialen Gruppe aus allen Windrichtungen zum Gottesdienst, der meist als Event gefeiert wird, geladen werden, konzentriert sich der territoriale Ansatz auf die Menschen vor Ort. Nicht die Kirche und ihr Leitungsteam bestimmen hier Stil, Struktur und Gestalt, sondern der Kontext, der Ort. Während eine kategoriale Gemeinde ihr Gemeindehaus vor Ort hat, ist die territoriale per definitionem Ortsgemeinde. Die meisten Landeskirchen sind territorial in Parochien, die meisten Freikirchen kategorial als zielgruppenorientierte Gemeinden organisiert.

Das freikirchliche Modell galt lange Zeit als zukunftsweisend. Im Gegensatz zur Parochie wendet sich dieses Modell an bekennende und aktive Christen. Das Ergebnis sind in der Regel Sammelgemeinden, die stark nach innen gerichtet sind. Entsprechend gering ist dann ihre Wirkung nach außen. Uns erscheint eine Kombination der beiden Modelle sinnvoll – eine Bekenntnisgemeinde mit ausgesprochener Konzentration auf das lokale Gemeinwesen. So können im besten Sinne des Wortes Ortsgemeinden entstehen.

Wie baut man Ortsgemeinden auf dem Land? Wie sollten sie gegründet und strukturiert werden, um nicht der um sich greifenden Landflucht zum Opfer zu fallen? Und wie können sie sich entwickeln, wachsen und gedeihen? Gehen wir den Begriffen einmal einzeln nach.

4.2.Gemeindegründung und Gemeindepflanzung

Gemeinden wachsen nicht natürlich aus dem Boden. Sie entstehen da, wo Missionare das Evangelium hinbringen. Gemeindeaufbau ist möglich, weil Mission geschieht. Und wo Gemeinden aufgebaut werden, sollte Mission folgen. Michael Herbst bringt es auf den Punkt, wenn er schreibt: „Gemeindeaufbau ist entweder missionarisch – oder gar nicht!“68

Die Entstehung einer Gemeinde vor Ort ist mit der Gemeindegründung verbunden. Der Begriff ist eher typisch für den deutschen und hier freikirchlichen Raum. Das Gemeindeverständnis dieser Kirchen geht in der Regel von der absoluten Priorität der lokalen Kirchengemeinde aus. Man hat deshalb auch keine Mühe mit der Gründung, weil sich darin eine Neukonstituierung der Gemeinde vor Ort äußert.

Kirchen, die viel stärker von der Einheit des Leibes Christi ausgehen, weigern sich dagegen, von der Gründung der Gemeinde zu reden, da die Kirche nicht immer wieder neu gegründet werden kann. Hier benutzt man eher den Begriff Gemeindepflanzung und versteht darunter einen „Prozess, durch den die Saat des Lebens und der Botschaft Jesu Christi, verkörpert durch eine Gemeinschaft von Christen, aus missionarischen Gründen in einen bestimmten kulturellen oder geographischen Kontext eingepflanzt wird. Diese Gemeinschaft soll dort Wurzeln schlagen, damit eine ganz neue, eigenständige und aus dem kulturellen Kontext erwachsene Gestalt des Leibes Christi entsteht. Diese Nachfolger Christi sollen ihrerseits in der Lage sein, den Staffelstab zu übernehmen und sich den missionarischen Auftrag zu eigen zu machen.“69

Beide Begriffe betonen die Entwicklung einer neuen Gestalt der Kirche im Kontext. Es geht also nicht um bloßes Kopieren einer bestehenden Gemeinschaft in den neuen Ort. Es geht nicht um Klonen. Der britische Gemeindebauexperte Stuart Murray weist auf den grundsätzlichen Unterschied zwischen dem Pflanzen und Klonen einer Gemeinde hin.70 Er schreibt: „Im Zusammenhang mit Gemeindepflanzung […] beschreibt das Klonen den Prozess der Replikation von Struktur, Stil, Ethos, Aktivitäten mit dem Ziel der Verwirklichung einer Gemeinde des gleichen Typos. Der Ort, an dem sich die Gemeinde trifft, mag sich verändert haben, aber die Gestalt bleibt die gleiche.“71 Murray bedauert die Tatsache, dass Klonen eher zur Regel als zur Ausnahme im Gemeinde-Neuaufbau gehört.72

Gemeindegründung und -pflanzung sind immer der Beginn einer neuen Gemeindewirklichkeit. Michael Herbst schreibt richtig: „Mit dem Vorgang des Pflanzens untrennbar verbunden sind Bewegung und Veränderung. Die Samen müssen aus der Verpackung genommen und in den Boden des missionarischen Kontextes eingegraben werden, wo die Saat (in diesem Fall das Pflanzungsteam) für das alte Leben und Umfeld ‚stirbt‘. Der Same verliert seine ursprüngliche Identität, nämlich die als Teil der aussendenden Gemeinde mit ihrer ganz bestimmten Prägung und Kultur.“73 Das Ziel der Gründung/Pflanzung einer neuen Gemeinde muss daher immer sein, „so natürlich wie möglich die Gemeinde in den neuen Kontext einzubinden“74.