Dolomitenladinisch - Sprachgeschichte und hochschuldidaktische Aspekte

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1.1.2 Die vorlateinischen Sprachen im heutigen Südtirol

Das Dolomitenladinische oder kurz das Ladinische ist ein romanisches Idiom, das heißt eine Sprachform, die auf das gesprochene Latein der zentralalpinen Region zurückgeht. Prinzipiell bedeutet das eigentlich, dass die Sprachgeschichte frühestens zu dem Zeitpunkt beginnt, in dem das Lateinische dieser Region Fuß gefasst hat. Aus praktischen Gründen hält man sich in der Romanistik aber nicht an diese Grundvoraussetzung: Über die Sprachen, die vor dem Siegeszug des Lateinischen gesprochen wurden, wissen wir kaum etwas, und das Wenige, das wir wissen, ist aus vereinzelten direkten Zeugnissen, aus sporadischen Schriftdokumentationen in lateinischen Quellen, und vor allem aus dem Romanischen erschlossen, wobei durchaus oft einzelne Ergebnisse Anlass zu einer langen wissenschaftlichen Diskussion, die manchmal leidenschaftlich geführt wurde, waren. Dieser ganze Bereich wird unter der Bezeichnung „vorlateinische“ (oder „vorrömische“) Sprachen zusammengefasst. Forschungen in diesem Bereich waren in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts à la mode, wobei man sich immer der Tatsache bewusst sein muss, dass man sich weitgehend in einem Bereich bewegt, der sehr spekulativ ist, weil die Rückschlüsse aus modernen Sprachen auf Sprachen, die weit vor unserer Zeitrechnung gesprochen wurden und über die es keine oder mit äußerster Vorsicht zu behandelnde direkte Zeugnisse gibt, immer nur Schlaglichter auf eine weitgehend unbekannte Epoche sein können.

Die archäologische Forschung hat die Zeit vor der römischen Eroberung, also die Ur- und Frühgeschichte, in Abschnitte unterteilt, die der groben Orientierung dienen. Die sogenannte Altsteinzeit (Paläolithikum) endete ganz grob im Jahre 8000 v. Chr., als eine Klimaerwärmung der letzten greifbaren Eiszeit den Garaus machte: Der Laubwald bedeckte niedere Lagen, der Nadelwald höhere Lagen. Die mittlere Steinzeit (Mesolithikum), zu datieren zwischen 8000 und 5000 v. Chr., erlebte vor allem das Ansteigen der Jagdaktivitäten und der vorübergehenden Jagdlager, die im Sommer genutzt wurden. Ob einige dieser Ansiedlungen eine Siedlungskontinuität bis in die Römerzeit aufwiesen, ist umstritten; besonders für die tiefen Tallagen ist das zumindest nicht auszuschließen. Die Jungsteinzeit (Neolithikum), die in die Zeit zwischen 5000 und 3500 v. Chr. zu datieren ist, sah eine Sesshaftwerdung der Menschen und damit verbunden eine Entwicklung der Landwirtschaft. Die Dekorationen der Gebrauchsgegenstände kamen vor allem aus Norditalien.

Die Fähigkeit, Metall zu verarbeiten, läutet die Kupferzeit ein, die auf die Jahre 3500 bis 2300 v. Chr. zu datieren ist; Fahrzeuge und Waffen aus Kupfer veränderten die Lebenswelt der Menschen. Die Haustierhaltung löste weitgehend die Jagd ab. Der 1991 im hinteren Schnalstal erfolgte Fund einer mumifizierten Leiche eines Mannes („Gletschermumie“, „Mann aus dem Eis“), die zwischen 3300 und 3000 v. Chr. zu datieren ist, macht sensationelle Angaben über die zeitgenössische Kleidung und Ausrüstung sowie über den (nicht hervorragenden) Gesundheitszustand des Mannes möglich. Die Entdeckung der Bronze, einer Legierung aus Kupfer und Zinn, steht am Anfang der Bronzezeit (2300 bis 950 v. Chr.), was bedeutete, dass die Metalle auch von weither importiert werden mussten.

Die Eisenzeit (950–15 v. Chr.) bedeutete eine Ausdehnung der Metallproduktion, weil die Bestandteile der Eisenproduktion verbreiteter waren als die Bestandteile der Bronzeerzeugung; allerdings sind die Vorgänge bei der Eisenerzeugung komplizierter. Erstmals sind jetzt kulturelle Einheiten greifbar: Die Fritzens-Sanzeno-Gruppe verband Relikte von Siedlungen nördlich des Brenner-Passes mit vergleichbaren südlich dieses Übergangs; aller Wahrscheinlichkeit nach ist diese Gruppe mit den Rätern gleichzusetzen, die bei den antiken Historikern auftauchen.

Die Ῥαιτοί tauchen zum ersten Male bei Polybios auf (34, 10, 18), die lateinische Form Raeti (ohne Aspiration!) kommt bei Horaz (carm. 4, 4, 17) vor. Ob eine etymologische Beziehung zu einer weiblichen Gottheit namens Reitia besteht, die in Este bei Padua in venetischer Form bezeugt ist, ist möglich, aber nicht bewiesen (Ickler 2013). Die Schrift, in der die etwa hundert sehr kurzen Inschriften notiert sind, ist zu vergleichen mit den Zeugnissen der etruskischen Sprache aus Mittelitalien; freilich kann man diese nicht wirklich deuten, und noch viel weniger kann man die rätischen Inschriften verstehen. Immerhin scheint die Schriftähnlichkeit die Ansicht römischer Historiker, dass die Räter Abkömmlinge der Etrusker seien, zu bestätigen. Livius (5, 33, 7–11) schreibt:

„Tuscorum ante Romanum imperium late terra marique opes patuere. [...] Et in utrumque mare vergentes incoluere urbibus duodenis terras, prius cis Appenninum ad inferum mare, postea trans Appenninum totidem, quot capita originis erant, coloniis missis, quae trans Padum omnia loca excepto Venetorum angulo, qui sinum circumcolunt maris, usque ad Alpes tenuere. Alpinis quoque ea gentibus haud dubie origo est, maxime Raetis, quos loca ipsa efferarunt, ne quid ex antiquo praeter sonum linguae, nec eum incorruptum, retinerent.“

Bei den Angaben römischer Geschichtsschreiber zu Verwandtschaftsverhältnissen und gar Spracheigenheiten nichtrömischer Völker muss man immer vorsichtig sein, aber auch andere Autoren bestätigen die Ansicht von Livius. So lesen wir bei Pompeius Trogus (ap. Iustin. 20, 5):

„Tusci quoque, duce Raeto, avitis sedibus amissis Alpes occupavere et ex nomine ducis gentes Raetorum condiderunt.“

und Plinius (3, 133) berichtet:

„Raetos Tuscorum prolem arbitrantur a Gallis pulsos duce Raeto.“

Der Name Raetus ist hier natürlich nur eine Erfindung, um den Volksnamen zu erklären.

Augustus wurde im sogenannten tropaeum Alpium, das sich in La Turbie nördlich von Monaco findet, für die Unterwerfung der Alpenvölker geehrt; der Text findet sich bei Plinius 3, 136, und auf Grundlage dieser Überlieferung gelang die Rekonstruktion der Inschrift (CIL 5, 7817).

In der Forschungsgeschichte haben Theorien, die die Räter als Vorfahren der romanisierten Völker des Zentralalpenraums ins Zentrum stellten, eine lange Vorgeschichte, und es gab in der vorwissenschaftlichen Zeit des 18. und frühen 19. Jahrhunderts sowie in der Zwischenkriegszeit eine wahre Welle der Begeisterung für die Räter, die zur Erklärung von Ortsnamen und auch von Appellativen herangezogen wurden. Eine Darstellung des aktuellen Standes über die Räterproblematik liefert die allgemein „Räterbuch“ genannte Veröffentlichung des Rätischen Museums Chur, die eine Übersicht aus quellenkundlicher, sprachlicher, urgeschichtlicher und regionaler Sicht in einer aktuellen Perspektive anbietet.

Nach den Angaben antiker griechischer und lateinischer Autoren weist Regula Frei-Stolba drei vermutliche Siedlungsgebiete der Räter im ersten Jahrhundert nach (Frei-Stolba 1984, 8–11): Der berühmte rätische Wein wuchs im Tal der Etsch von Verona bis Trient und Meran, und die Stammesnamen, die in diesen Zusammenhang gehören, sind die Arusnates, die Tridentini, die Anauni. Das zweite Gebiet sind die Südalpentäler im Hinterland der Städte Brixia (Brescia), Bergamum und Como. Ein drittes Rätergebiet sind die rätischen Stämme der Vennonenses und der Sarunetes an den Quellen des Rheins. Gegenüber den oft schattenhaften und nicht selten widersprüchlichen Angaben der antiken Autoren ist aber immer Misstrauen angesagt (Frei-Stolba 1984, 16):

„Das Ergebnis der Interpretation der schriftlichen Überlieferung ist also in mancherlei Hinsicht unbefriedigend: Die Räter traten nur am Rande Oberitaliens, noch am ehesten um Verona und Trient, dann auch Comum, ins Bewusstsein der antiken Schriftsteller, dies aber nur ganz schattenhaft. Man wusste sehr wenig über diese Alpenvölker, interessierte sich offenbar auch nicht besonders für sie, und da man den Quellen nicht mehr abgewinnen kann, als in ihnen steht, ist auch unser Wissen über die Räter sehr beschränkt.“

Ernst Risch behandelt die rund 300 sprachlichen Hinterlassenschaften im sogenannten nordetruskischen oder subalpinen Alphabet. Von ihnen gehört etwas weniger als die Hälfte zum indogermanischen, mit dem Keltischen verwandten Lepontischen, von dem hier nicht die Rede sein soll, aber ein zweiter Inschriftenkomplex zählt etwa 200 Nummern (Risch 1984, 29).

„Man unterscheidet eine nördliche Gruppe im Alphabet von Bozen und eine südliche im Alphabet von Magrè. Bei beiden lassen sich weitere Untergruppen feststellen. Die nördliche Gruppe umfasst im wesentlichen Tirol im alten Sinn: vereinzelte Funde bietet das Nordtirol (nördlicher Punkt Steinberg östlich des Achenseses), wesentlich mehr das Südtirol und einige Seitentäler des Trentino (Val di Non und Val die Cembra). Im Westen reichen die Funde bis ins Unterengadin: auf einem Keramikbruchstück aus Ardez sind zwei Buchstaben sichtbar. [...] Die südliche Untergruppe wird nach dem Hauptfundort Magrè (im Nordwesten der Provinz Vicenza) benannt, wo etwa 20 Weihinschriften auf Hirschhorn gefunden worden sind. Weitere Funde stammen aus Verona, vereinzelte aus Feltre (am Piave) und Padua, das aber sonst ganz zum venetischen Gebiet gehört. Man hat den Eindruck, dass diese Zeugnisse, sowohl die nördlichen im Alphabet von Bozen wie die südlichen im Alphabet von Magrè, derselben Sprache angehören, was freilich dialektische Unterschiede nicht ausschliesst. Man bezeichnet sie als rätisch (im eigentlichen Sinn) und stützt sich dabei darauf, dass die antiken Autoren ausdrücklich und vor allem für jene Gegenden Räter bezeugen. [...] Auch hier sind die meisten Inschriften kurz, ausserdem oft nur schwer lesbar. In manchen Fällen weiss man nicht einmal, ob ein bestimmtes Zeichen nur eine Variante eines sonst bekannten oder ein besonderer Buchstabe ist. Die lokalen Unterschiede sind da zum Teil beträchtlich.“

 

Es ist nicht erstaunlich, dass das Gesamturteil von Ernst Risch (1984, 30) zurückhaltend ist:

„Zwischen den Venetern und den Lepontiern liegt das eigentliche rätische Gebiet, das sich am besten im Bereich der Brenner-Route fassen lässt und bis ins Unterengadin reichte. Im Gegensatz zum Venetischen und zum Lepontischen ist das Rätische offenbar nicht indogermanisch. Ob es mit dem Etruskischen verwandt ist, ist fraglich.“

Carlo Battisti (1936, 591) hat immer davor gewarnt, Erkenntnisse aus den Inschriften von Bozen und Magrè auf die ganze Zone zu übertragen.

„La lingua delle iscrizioni redatte nell’alfabeto di Bolzano e di Magrè è etrusca. Mi preme di mettere in tutta evidenza – cosa su cui insisto da anni – che è scientificamente sbagliato generalizzare le condizioni che possiamo rinvenire e studiare in una zona terminale del dominio retico a tutto il territorio attribuibile alla Rezia ed è perciò un errore contro il quale occorre premunire il non linguista il definire «retiche» le iscrizioni etrusco-settentrionali e «retica» la loro lingua. [...] Gli storiografi antichi considerano il termini Raeti come l’indicazione di popoli di lingue, razze e civiltà diverse abitanti nelle Alpi centrali (e nella Vindelicia), divisi, come del resto comportavano i diversi sistemi vallivi, in unità etniche e linguistiche ben differenziate.“

Die Räter sind aber nicht die Vertreter der ersten Sprache, die in den Zentralalpen und in ihrem Vorland gesprochen wurden. Giacomo Devoto (1968, 42) bemerkt mit Recht, dass „die Geschichte der Menschheit eine halbe Million [...] Jahre überschreitet“ und dass es „unmöglich ist, dass der Mensch während einer so großen Zeit seiner irdischen Existenz stumm gewesen ist“.

Die Sprachwissenschaftler vor allem der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben viel Energie darauf verwandt, aus Relikten in den späteren Sprachen einige Wörter dieser Sprache zu rekonstruieren. Man kam so auf eine „mittelmeerische Ursprache“ oder auf ein „strato mediterraneo preindoeuropeo“ (Battisti 1936, 574), wie die italienischen Linguisten gerne sagten. Diese Sprache hatte möglicherweise Beziehungen zum Baskischen, zu iberischen Sprachen oder zu kaukasischen Dialekten („hispano-kaukasische Substratsprache“), aber all das ist in den Einzelheiten sehr umstritten. Carlo Battisti hat sogar eine Liste des „lessico preindoeuropeo“ zusammengestellt, in der die in Südtirol und im Trentino auftauchenden mediterranen Grundwörter zu finden sind und sogar eine Skizze der lautlichen Entsprechungen geboten wird (1936, 566–575). Natürlich gibt es von dieser höchst spekulativen Sprache keine direkten Zeugnisse. Die sogenannte hispano-kaukasische Sprache ist die älteste Sprachschicht, zu der wir vordringen können; sie dürfte vor der Ankunft der Sprecher der etruskischen oder etruskoiden und natürlich der indogermanischen Sprachen den ganzen Zentralalpenraum umfasst haben. Ein halbes Dutzend Beispiele können das Vorhandensein mittelmeerischer Wörter im Ladinischen bezeugen.

àgra f. ‘Hebel’. Dieses vorrömische Wort (LEI 11, 1386–1387) kennt abgesehen vom Gadertalischen und vom Grödnerischen Fortsetzungen in Graubünden, im Trentino und in West- und Südfrankreich.

artigö m. ‘zweite Mahd’. Das Gadertalische und das Buchensteinische wiesen einen Typ mit –t– auf, der seine Fortsetzung im Cadorinischen und im Friaulischen findet, während Gröden und Fassa eine Variante mit –d– zeigen, die im Trentinischen, in Bormio und im Engadinischen ihre Parallele findet. Die vorlateinische Variante weist das Suffix -orium auf (LEI 2, 25), also *altigorium bzw. *aldigorium.

bèrcia ‘Hütte, altes baufälliges Haus’. Das Etymon ist in einer Form bàrica oder barrica zu sehen, die nach C. Battisti 1937, 366, vielleicht mit etrusk. paraχ ‘Burg’ zu verbinden ist; im LEI 4, 1637, wird eine Verbindung „con la radice preie. *barra ‘sbarra trasversale’“ vermutet. Die ladinischen Mundarten weisen überall bèrcia auf (EWD 1, 274–275), und der Typ bárco ist im Veneto und in Belluno verbreitet; friaulisch bèrge heißt ‘Berghütte, surs. bargia ‘Heuschober’ (LEI 4, 1632).

bòa f. ‘schlammige Mure’. Das Wort ist von Gaubünden bis Friaul über das Ladinische mit Einbeziehung angrenzender Mundarten verbreitet, vgl. Vito Pallabazzer 1972, 34.

brója f. ‘Rauhreif’. Eine wirkliche Etymologie ist für dieses Element, das auch in der Variante calabrosia auftritt, noch nicht gefunden worden.

cióscia f. ‘Grasbüschel’. Dieses Wort ist in den ladinischen Mundarten zu finden, außerdem im Friaulischen (zòssa ‘unterirdisches Wurzelwerk von Pflanzen’). Vgl. EWD 2, 198–199.

crëp m. ‘Fels’. Dieses Wort ist – mit unterschiedlicher Vokalisierung und mit kr–/gr-Variation – vom Piemont bis nach Mittelitalien verbreitet, vgl. EWD 2, 308–309.

tàna f. ‘Höhle’. Das Wort ist in ganz Norditalien, in Graubünden, im Mittelitalien, und in Südfrankreich verbreitet. Vgl. ausführlich Johannes Hubschmid 1991, 144–148.

Eine antike, uns nur rudimentär bekannte Sprache, deren westliche Ausläufer in das uns interessierende Gebiet ausliefen, ist das Venetische, das inzwischen durch die Forschungen von Jürgen Untermann (1961), Michel Lejeune (1974), A. L. Prosdocimi und G. B. Pellegrini Darstellungen erfahren hat, wie man sie bei einer nur in Trümmerstücken bekannten Sprache nicht erwarten würde; immerhin steht man hier auf vergleichsweise sicherem Boden, weil es, wenn auch kurze, Texte gibt. Die Veneter sind nach den antiken Traditionen nach der Zerstörung Troias unter Führung Antenors in den Venetorum angulus (Livius 5, 33, 10) gelangt, wo sich vom 8. Jh. v. Chr. an eine stabile Kultur herausbildete. Es gibt ungefähr 270 kurze Inschriften („su laminette di bronzo, su spilloni o chiodi di bronzo usati come offerte votive, su urne cinerarie, pietre tombali, vasi di terracotta e secchi di bronzo, ecc.“, Pisani 1964, 251) aus Este, Padua, Vicenza, aus dem Piavetal (besonders aus Belluno und Umgebung), aus Triest und sogar aus Kärnten. Das Alphabet ist normalerweise eine aus dem nordetruskischen Alphabet entwickelte Schreibweise, einige jüngere Inschriften verwenden auch die lateinische Schrift.

Das Venetische ist eine indogermanische Sprache, die dem Lateinischen sehr nahe steht, ohne natürlich mit ihm identisch zu sein. Giambattista Pellegrini, einer der besten modernen Kenner des Venetischen, hat eine Skizze der historischen Grammatik dieser Sprache, soweit sie uns greifbar sind, geliefert, die hier mit einigen Kürzungen wiederholt sei (1976, 45–47):

„Quanto alla f o n e t i c a ed in particolare al v o c a l i s m o, il venetico concorda quasi sempre col latino nella fase arcaica; si noterà pertanto la conservazione die dittonghi ai, ei, oi, ou ed au, ed in questo particolare il venetico si oppone ad es. all’umbro che ha monottongato tutti i dittonghi. Le vocali indoeuropee conservano per lo più il timbro originario (nulla possiamo sapere circa la lunghezza delle vocali); all’ie. ŏ corrisponde venet. o per cui i frequenti nomi di persona in –ŏs (in lat. –os passa poi ad –us), ad es. Voltiomnos, Kellos (cfr. lat. arc. Manios); all’ie. *–bhos di dat. pl. corrisponde in venet. –bos, cfr. louderobos, iorobos, venet. op cfr. lat. ŏb; anche ie. ō si continua con o, venet. ego lat. egō, gr. ἐγώ. [...] Per i dittonghi basterà ricordare le desinenze dei dat. sg. in –ai, porai, in –oi, Graikoi; –ei, Puponei; il dittongo –eu– normalmente è reso con –ou–, ad es. louderobos cfr. gr. ἐλεύθερος (ma non mancano tracce di eu, ad es. teuta in Cadore, qualora non sia un elemento gallico); anche au risulta intatto, cfr. forse augar se in rapporto con lat. augeo, –ēre. [...] Anche w– è mantenuto, si noti vebelei dalla radice *webh- ‘tessere’. È verosimile una alternanza i : u in vicinanze di labiale negli epiteti divini di Làgole: Trumusiatei / Tribusiatei, e ritengo sempre probabile che Eskaiva presenti una prostesi di e– comune a tante lingue davanti ad s + cons. (ben nota nel lat. tardo e in alcune lingue romanze). [...]

Per il c o n s o n a n t i s m o appare subito ben chiaro il carattere di lingua kentum del venetico, attestato, ad es., da ego, cfr. lat. egō da ie. eĝom, eĝhom, cfr. ai. ahám, avest, azǝm, e accus. venet. mego. In posizione iniziale ie. bh– e dh– sono resi con f– come in latino, cfr. Frema, Fougont– da radici che comportano *bhre– e bheug– e fagsto da dh– (dhǝ1–k–s–to); probabilmente ie. gh– ha dato h–, cfr. Hostihavos qualora nella prima parte del nome, come par probabile, si debba ravvisare un equivalente del lat. hostis da *ghost– ‘straniero’. Le sonore aspirate all’interno di parola danno rispettivamente –bh– > b, cfr. louderobos da –bhos (lat. –bus) come fosse *liberibus, ANDETICOBOS e parallelamente anche –dh– > d, come conferma la forma dianzi citata che proviene da *leudh- (gr. ἐλεύθερος, lat. liberi, –ōrum), e cfr. anche Louderai ‘Liberae’, probabile nome di divinità dalla medesima radice. [...] La nasale finale ie. compare per lo più nella forma di –n, ad es. reition, vzan, volterkon, ekvon, magetlon (tutte forme di accus. sg. o di neutro, ma non mancano ampie tracce di –m, specie nel venet. cador. ad es. donom, vetsom e a Gurina aisum (può venire in discussione l’influsso gallico o, con maggiore pobabilità, già latino). Da notare una caratteristica dissimilazione di –mn– in –nm–, ad es. Karanmnioi, Voltionmnos, Frenmo (in cui forse il primo n avrà indicato una nasalizzazione vocalica e attraverso tale fenomeno (con ulteriore indebolimento articolatorio) si potrebbe spiegare la coppia quale Fougot– contro Fougont. Ora è pienamente dimostrata la persistenza in venetico, come in latino, della labiovelare kw della quale si aveva una spia soltanto indiretta (kw) in ekvon = lat. equum da ie. ekuos –m; vengono in sostegno di tale tesi, oltre che nomi di luogo od etnici quali Liquentia e Quarqueni (Plin. n. h. III 130), soprattutto le attestazioni epigrafiche quali Kvito da *kwen(k)to– (non è strettamente necessario ammettere che l’antroponimo sia un prestito dal latino), kvidor forma verbale dalla radice *kwei-, gr. τίνω, τίω, ed ora importante l’apparizione, in una iscrizione di Altino (finora un unicum), di –kve coordinante identico al lat. –que e olialt-kve ‘quandōque’ (di Cartura).“

Es war vielleicht nötig, diesen sicher nicht leicht lesbaren und für Nicht-Spezialisten auch vielleicht unzugänglichen Beitrag einzufügen, um zu zeigen, was man trotz allem aus den doch ungemein bescheidenen Resten einer Sprache wie dem Venetischen gewinnen kann. Es ist immerhin klar, dass die Nähe zum Lateinischen doch sehr groß war, so dass für die Sprecher eine Zweisprachigkeit einfacher erreichbar war als beispielsweise eine Zweisprachigkeit zwischen dem Rätischen, das ja ganz andere Strukturen aufwies, und dem indogermanischen Latein.

In weiteren Abschnitten behandelt Giambattista Pellegrini die Deklination der Nomina (1976, 47-48), der Pronomina (1976, 48), die Formen der Verben (1976, 48); trotz der schmalen Textbasis wird sogar eine Skizze der Syntax versucht (1976, 48-49).

Aus romanistischer Perspektive gibt es für das Venetische jedenfalls nur dasselbe zu bemerken wie für das Rätische: Es gibt keinerlei greifbare Anhaltspunkte, die – abgesehen von Einzelwörtern und Toponymen – ein Weiterwirken von Phänomenen aus der vorlateinischen Sprache in die späteren romanischen Idiome belegen könnten. Rätische und venetische sprachstrukturelle Spracheigenschaften, sofern wir sie überhaupt benennen können, leben auf keinen Fall in den heutigen romanischen Idiomen weiter.

Die wichtigste Sprache, die vor dem Lateinischen die Sprachlandschaft des zentralalpinen Raumes beeinflusst hat, ist das Keltische. Der Name der Kelten, in griechischer Gewandung Κελτοί, taucht zum ersten Male bei Herodot (485–425 v. Chr.) auf, wo es darum geht, dass der Istros, also die Donau, im Lande der Kelten bei der Stadt Pyrene (wohl in den Pyrenäen) entspringe und mitten durch Europa fließe (2, 33, 3: Ἴστρος τε γὰρ ποταμὸς ἀρξάμενος ἐκ Κελτῶν καὶ Πυρήνης πόλιος ῥέει μέσην σχίζων τὴν Εὐρώπην). Von den Römern wurden die Kelten Westeuropas im Allgemeinen Galli (nach der Selbstbezeichnung ‘tapfere Kämpfer’) genannt. Die im 3. Jahrhundert v. Chr. in Kleinasien sesshaft gewordenen Keltenstämme werden heute im Rückgriff auf eine antike Bezeichnung Galater genannt. In Norditalien gab es auch keltische Sprachformen, die in einem schlecht deutbaren Alphabet geschrieben sind. Diese „parakeltischen“ Idiome werden meist als lepontisch bezeichnet. Der Gesamteindruck ist, dass der Oberbegriff „keltisch“ ist und dass Abweichungen wie gallisch, galatisch, keltiberisch, lepontisch usw. heute kaum noch zu fassende Eigengesetzlichkeiten ausmachen.

 

Wo die Urheimat der Kelten lag, ist nicht einfach auszumachen. Jedenfalls wird man nicht fehlgehen, wenn man auf das südliche Deutschland und westlich anschließende Gebiete des heutigen Frankreichs deutet. In der ersten Periode der Hallstatt-Kultur (850–600 v. Chr.) haben wir es mit einer lockeren Streusiedlung zu tun. Der keltische Einfluss dehnte sich ins heutige West- und Südfrankreich aus und erfasste auch (mit den Keltiberern) den Westen der iberischen Halbinsel.

„Anfangs des 5. Jh. v. Chr. verfielen die Fürstentümer rapide. Die Residenzstätten verschwanden teils unter gewaltsamen Umständen, die Grabstätten verloren an Pracht, und die importierten Prestigegüter wurden seltener. In bestimmten Regionen (Wetterau/Hessen, Südthüringen, Nordbayern oder Böhmen) blieben jedoch bedeutende politische Zentren bis ins 4. Jh. v. Chr. bestehen, z. B. Ehrenburg bei Forchheim, Steinsburg (Thüringen; Höhepunkt in Frühlatène, stadtähnliches Zentrum) oder Závist (Böhmen), kleinere regionale Mittelpunkte bis zum Beginn der Mittellatène-Zeit (Eierberg, Nord-Unterfanken). Im deutschen Mittelgebirgsraum kam es zur Ausbildung großer Fluchtburgen in der späten Frühlatène-Zeit, die auf eine neue politische Organisation größerer Volksverbände hinweist. Der Glauberg (Hessen) mit großer Höhenbefestigung und monumentaler Grabanlage (dynastischer Totenkult, lebensgroße Statuen) zeigt nunmehr ein überregionales Herrschaftszentrumder Frühlatène-Zeit mit deutlichen Beziehungen zum italischen Raum. Gleichzeitig aber kommen offenbar im Norden, besonders im Bereich Hunsrück/Eifel beiderseits der Mosel und in der Champagne neue mächtige und wohlhabende Zentren auf. Charakteristisch für den Anfang dieser Periode ist der allgemeine Gebrauch von Eisen und kriegerische Bewegungen. Die Gräber um Mosel und Marne sind nicht so prunkvoll wie die der Hallstätter Fürsten, doch enthalten sie recht wertvolle Geräte mit entscheidenden regionalen Unterschieden. Neben aus Griechenland und Etruria importierten Gegenständen findet man lokale Handwerksprodukte, häufig Imitationen der Importware. [...] Das typischste Merkmal der weiteren Umgestaltung der keltischen Gesellschaft ist das Oppidum: eine einfach befestigte Stadt an einer wichtigen Handelsstraße oder in der Nähe von bedeutsamen Vorkommen an Bodenschätzen. Es ist das Wirtschaftszentrum eines bestimmten Gebietes, das verschiedene spezialisierte Handwerkszweige zusammenfasste, den Hauptmarkt enthielt, vermehrtauch politisches Zentrum und manchmal Kultzentrum war (Der Neue Pauly 6, 1999, 390-391).“

Die Kelten überschritten im 6./5. Jahrhundert v. Chr. die Alpen und drängten die etruskoide Bevölkerung zurück. Vorstöße nach Süden brachten die Kelten 390 v. Chr. bis nach Rom, wo die feindliche Einnahme der Stadt mit allerlei aufbauenden Geschichten untermauert wurde (Liv. 5, 47; 48; 49). In der Po-Ebene wurden keltische Siedlungen gegründet, z. B. Mediolanum ‘Ort in der Mitte der Ebene’. Die geschickte Bündnispolitik der Römer führte dazu, dass eine schnelle Romanisierung stattfand, wobei die römischen Militärstraßen eine große Bedeutung hatten.

Die Schriftdenkmäler der Kelten sind meistens im griechischen oder im lateinischen Alphabet gehalten, es gibt aber auch Zeugnisse in iberischer und etruskischer Schrift. Die meisten Texte sind kurz, aber man findet auch längere Texte magischen Inhalts (Lambert 2003, 151-180). Obwohl wir weit davon entfernt sind, alle Texte in den Einzelheiten zu verstehen, können wir mit Sicherheit behaupten, dass wir es mit einer indogermanischen kentum-Sprache (conto ‘hundert’) zu tun haben.

„Deux traitements phonétiques sont communs à tous les dialectes celtiques: la chute du *p– indo-européen, et la labialisation de *gw– en b–. Ainsi dans le nom du ‘père’, ind. eur. *pH-tēr, skr. pitār, lat. pater, gr. πατήρ, etc., les langues celtiques ont toutes l’amuissement du p– initial, gaul. atrebo (dat. pl.), v. irl. athair, dérivé gallois *(p)atriĭom > edrydd ‘lignée’.

*gw– > b– dans l’adj. signifiant ‘vivant’, *gwi(H)-wo-s, lat. uīuus, skr. jīvah, en celtique: irl. beo, gall. byw, bret. beo. Cfr. sur la même racine, le nom. du ‘monde’, *gwi(H)-tu, gaul. Bitu-(rix), v. irl. bith, gall. byd, bret. bed. Même évolution dans le nom de la femme, *gwonā, gr. γύνη, gaul. bnanom (gen. pl.), irl. ben (gen. sg. bnās > mna), nom. propres gall. Banon, gaul. Banona.

Ces deux traits communs nous autorisent à parler d’un «celtique commun». [...] Autre trait celtique commun: les dialectes celtiques fusionnent les séries sonores simples et sonores aspirées (*d et *dh, *g et *gh, *b (rare) et *bh). Là où l’indo-européen avait deux séries, *dh *gh *bh / *d *g *b, le celtique n’en a plus qu’une, *d *g *b. [...]

Une divergence dialectale importante consiste dans le traitement de la labio-vélaire sourde *kw: certains parlers celtiques l’ont conservée (celtibère, goidélique à l’époque des ogams), mais les autres l’ont fait évoluer vers la labiale /p/ (gaulois, lépontique, brittonique). On les a longtemps distingués par les termes «Celtes avec P», «Celtes avec Q» (q étant une graphie de kw). Prenons comme exemple le nom de nombre «quatre»:

gaul. petor-ritum ‘char à quatre roues’, Petru-corii ‘Périgord’ (–corii ‘troupes’), petru-decameton ‘quatorzième’; petuar[ios] ‘quatrième’ à La Graufesenque’;

gallois pedwar (fém. pedair), en comp. pedry-; bret. pevar (fém. peder); corn. pesvar;

v. irl. cethair (fém. cetheoir), irl. mod. ceathair/ceithre.”

Mögliche sprachliche Relikte aus den vorlateinischen Sprachen in den heutigen romanischen Sprachen oder auch speziell im Ladinischen haben für eine lange Zeit einen großen Teil der Forschungsaktivitäten beschäftigt. Heute ist man in dieser Hinsicht sehr viel zurückhaltender, weil die geradlinige Zurückprojektion moderner Formen in eine Vergangenheit, von der wir ja im wahrsten Sinne des Wortes eigentlich gar nichts wissen, eine Gleichung mit viel zu vielen Unbekannten ist. Man ist heute im Allgemeinen damit zufrieden, von vorlateinischen oder vorrömischen Elementen zu sprechen und in der Zuordnung zu konkreten vorgeschichtlichen Sprachen vorsichtig zu sein.

Eine vorsichtige Aufzählung der vorlateinischen Elemente des Fassanischen lieferte W. Th. Elwert (1943, 203–215), geordnet nach Begriffskreisen; das gallische Element ist Gegenstand eines eigenen Kapitels (1943, 215–218).

Eine wichtige Frage ist darin zu sehen, auf welchem Weg vorlateinische Elemente in die heutigen ladinischen Mundarten gelangt sind. Die romanistische Antwort auf diese Frage ist darin zu sehen, dass das Ladinische schon immer an der Stelle gesprochen wurde, wo es heute gesprochen wird, so dass eine Kontinuität von der Vorgeschichte bis heute angenommen werden kann. Damit berührt man einen Bereich, in dem es weniger um historisch nachweisbare Fakten als vielmehr um gefühlte Autochthonie einer Bevölkerung geht, die dann im Gegensatz zu einer wie auch immer gearteten Zuwanderung der Bevölkerung aus anderen Gebieten steht.

In einem nicht leicht zu lesenden Kapitel führt Carlo Battisti aus, dass die ladinischen Täler erst vom 12. Jahrhundert an eine dauerhafte Besiedlung erfahren haben (1946-1947, 36), mit einer „assenza totale di rinvenimenti preromani e romani all’interno della Gardena, di Fassa, di Badia, e del Livinallongo“ (1941, 25–26); „anche la storia medioevale non è in grado di documentare l’esistenza di una popolazione stabile in Gardena prima del secolo XII“ (1941, 26). Giovan Battista Pellegrini blieb dieser Ansicht treu, hat sie allerdings um zwei Jahrhunderte nach vorne verschoben (1991, 30):