Zentrale Aspekte der Alten Kirchengeschichte

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

4. Kirche und Staat zwischen Konfrontation und Kooperation bis zum Tod Theodosius’ I. († 395)

Die Christen bilden in den ersten Jahrzehnten ihrer Geschichte eine religiöse Gemeinschaft, die das Ende der Welt erwartet und mit der baldigen Wiederkunft Jesu Christi rechnet. Sie befassen sich daher wenig mit irdischen Dingen, ja, sie ziehen sich vor ihnen zurück, um sich so besser auf das kommende Gottesreich vorbereiten zu können. Trotzdem stellt sich ihnen die Frage, wie man es als Christ oder christliche Gemeinde mit dem Staat und seinen Behörden halten solle. Jesus bietet hier erste Orientierung. Er gibt zwar allein Gott die Ehre und unterstellt sich ganz seinem Willen, bringt aber auch der Obrigkeit Respekt entgegen:

„So gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört und Gott, was Gott gehört“ (Mk 12,17).

In diesem Sinn begegnet man dem Staat auch in der Alten Kirche mit Achtung und Loyalität.

4.1 Die altkirchliche Loyalität gegenüber dem römischen Staat und ihre Grenzen

Loyal steht schon der Apostel Paulus dem römischen Staat und seiner Ordnung gegenüber. Da laut Röm 13,1-7 alle Obrigkeit von Gott stammt, hat sie auch der Christ in dieser Weltzeit zu respektieren. Deshalb weiß Paulus die zum Wohl des Bürgers eingesetzte Ordnung des Staats zu schätzen: die Aufrechterhaltung des äußeren Friedens, die Ordnung des Gemeinwesens, den Schutz des Individuums und die dazu notwendige Besteuerung der Bürger. Eine Verabsolutierung des Staats und eine zu enge Bindung an diese Welt sind ihm freilich fremd.

Diese verhalten positive Einstellung gegenüber Staat und Obrigkeit wird für die ersten Christengenerationen charakteristisch. Der erste Petrusbrief artikuliert sie ebenso (1 Petr 2,13f.17) wie der Brief des Clemens von Rom an die Gemeinde von Korinth, dessen loyales Gebet um „Gesundheit, Friede, Eintracht und Stärke“ der Herrscher (1 Clem. 61,1) eine sehr positive Einstellung zu staatlichen Stellen erkennen lässt. Diesen Ton behalten auch die meisten christlichen Theologen des 2. Jahrhunderts bei. Wann immer ein Kaiser die Christen toleriert oder ihnen wohlgesonnen ist, wird das dankbar vermerkt. Sogar in Zeiten der Verfolgung wahrt man diese Haltung, da man die Verfolgung als Leiden in der Nachfolge des Herrn versteht und daher für Verfolger und Verfolgte gleichermaßen betet. So schreibt Polykarp von Smyrna († 167) den Philippern:

„Betet auch für die Könige, Machthaber und Fürsten und für die, die euch verfolgen und hassen und für die Feinde des Kreuzes“ (Phil. 12,3).

Selbst die Offenbarung des Johannes ruft zur Duldsamkeit auf (Offb 13,10), obwohl sie aufgrund von Verfolgungen eine negative Haltung zum römischen Staat einnimmt (Offb 18,4). Erst Hippolyt von Rom († 235) verbindet – unter dem Druck harter Verfolgung – mit antikaiserlichen Äußerungen eine Aufforderung zum Widerstand gegen ungerechte Herrschaft. Doch bestimmt nicht er die Generallinie christlichen Verhaltens gegenüber dem Staat. Denn die Christen schätzen in der Regel das einheitsstiftende, weitgehend befriedete und geordnete Römerreich als hauptsächliches Verbreitungsgebiet ihres Glaubens, weshalb ihnen an seiner Wohlfahrt gelegen ist.

So betonen die Apologeten des 2. Jahrhunderts die Loyalität der Christen gegenüber dem Staat, charakterisieren sie als fromme Menschen mit hoher Moral und vorbildliche Staatsbürger und weisen den Atheismusvorwurf zurück. Gleichzeitig erinnern sie die Herrscher an ihre Verantwortung vor Gott. In diesem Sinn wendet sich Justin der Märtyrer († 165) an Kaiser Antoninus Pius (138-161):

„Vor allen Menschen habt ihr keine besseren Verbündeten und Helfer zum Frieden als uns. […] Wir beten zwar Gott allein an, in allen übrigen Stücken aber leisten wir euch freudigen Gehorsam, weil wir euch als Kaiser und Herrscher aller Menschen anerkennen. Und wir beten, dass ihr stets nicht nur im Besitz der Kaiserherrschaft, sondern auch [im Besitz] vernunftgemäßer Einsicht erfunden werdet [… und] wir sind davon fest überzeugt, dass jeder Mensch nach dem Maß seines sittlichen Tuns im ewigen Feuer seine Strafe erhalten wird, wie er nach dem Ausmaß der ihm von Gott verliehenen Gabe zur Rechenschaft gezogen wird“ (1 apol. 12;17).

Bei aller Loyalität sind das deutliche Worte an den Kaiser; denn Justin greift hier erstmals das oben zitierte Herrenwort von Mk 12,17 auf und unterscheidet so deutlich zwischen Gott und Kaiser. Die gleiche Tendenz verfolgen Ende des 2. Jahrhunderts Bischof Theophilus von Antiochien, der Athener Philosoph Athenagoras und Bischof Melito von Sardes. So betont Theophilus zur Zeit des Kaisers Commodus (180-192), der sich eine Reihe von Götternamen zugelegt hatte, er ehre den Kaiser nicht durch Anbetung, da diese allein Gott zukomme, doch ehre er den Kaiser dadurch, dass er für ihn bete. Sei der Kaiser doch „nicht ein Gott, sondern ein Mensch“, dem Gott allerdings die Statthalterschaft anvertraut habe (Autol. 1,11).

Um diese Zeit tritt die Naherwartung der ersten Christengenerationen immer mehr zurück, sodass die „Welt“ als Ort der Hinwendung zu Jesus Christus attraktiver wird. Sehr optimistisch äußert sich um 177/78 Bischof Irenäus von Lyon, obwohl die Gemeinden von Lyon und Vienne gerade von grausamen Christenverfolgungen heimgesucht werden. Er ist zwar keineswegs prokaiserlich gesinnt, vertritt jedoch gegenüber Staat und Obrigkeit eine loyale Haltung, ohne ihnen allerdings göttlichen Rang oder absolute Vollmacht zuzugestehen. Diese Überzeugung teilt er mit seinem Zeitgenossen Tertullian († nach 220), der bis zu seinem um 207 erfolgten Übertritt zum Montanismus dem römischen Staat weltoffene Loyalität entgegenbringt:

„Für das Wohl der Kaiser rufen wir [Christen] den ewigen, den wahren und lebendigen Gott an. […] Wir beten immer für alle, die herrschen, um langes Leben, um gesicherte Herrschaft, um Sicherheit ihres Hauses, um ein tapferes Heer, um einen zuverlässigen Senat, um ein tüchtiges Volk, um Frieden in aller Welt, um alles, was die Menschen und der Kaiser wünschen“ (apol. 30).

Zur Begründung dieses Verhaltens verweist er auf die Bergpredigt:

„Wisset, dass uns […] die Vorschrift gegeben ist, auch für unsere Feinde Gott zu bitten und für unsere Verfolger Gutes zu erflehen“ (vgl. Mt 5,44).

So erklärt er den paradoxen Tatbestand, dass die Christen für den Kaiser und seine Behörden beten, obwohl sie von ihnen gelegentlich verfolgt werden. Daneben spielt Tertullian auf 2 Thess 2,7 an, wo von einer Macht die Rede ist, die das Kommen des Antichrist sowie das Weltende aufhalte:

„Es gibt für uns auch eine andere, noch größere Nötigung, für die Kaiser und für den Bestand des Reichs und den römischen Staat zu beten. Wir wissen nämlich, dass die dem ganzen Erdkreis bevorstehende gewaltsame Erschütterung und das mit schrecklichen Trübsalen drohende Ende der Zeiten nur durch die dem Römischen Reich eingeräumte Frist aufgehalten wird. Daher wünschen wir es nicht zu erleben, und indem wir um den Aufschub dieser Dinge beten, befördern wir die Fortdauer Roms“ (apol. 32).

Es ist nicht geklärt, ob der zweite Thessalonicherbrief an der besagten Stelle tatsächlich den römischen Staat mit jener Macht meint, die das Kommen des Antichrist aufhält. Von großer Bedeutung ist jedoch die Nachwirkung von Tertullians Auslegung. Denn das Römische Reich wird damit in Gottes Heilsplan einbezogen, indem es bis zum Ende der Welt fortbestehen soll. Hinzu kommt, dass auch Melito von Sardes um 170 einen Zusammenhang zwischen dem Gedeihen der „Größe und des Glanzes“ des Imperiums und der Ausbreitung der Kirche konstruiert. Schließlich lässt sich von Melito über Origenes († 253/54) bis zu Eusebius von Cäsarea († 339) der Gedanke einer Übereinstimmung zwischen Kirche und Kaisertum verfolgen. So reichen die Wurzeln der späteren „christlichen Romtheologie“ bis ins 2. Jahrhundert zurück. Diese und ähnliche Vorstellungen übten über viele Jahrhunderte hinweg ihren Einfluss auf die Ideologie des Römischen Reichs sowie des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation aus und trugen wohl mit dazu bei, dass sich letzteres formell bis ins 19. Jahrhundert halten konnte.

Außerdem charakterisiert Tertullian die Christen als normale Bürger, die einer Arbeit nachgehen und

„nicht ohne Gericht, ohne Markt, ohne Bäder, ohne Geschäfte, ohne Arbeitsplätze, ohne Wirtshäuser, ohne eure Markttage und die übrigen Handelsgeschäfte [leben]. Mit euch zusammen fahren wir zur See, dienen im Heer; wir arbeiten auf dem Lande und sind am Handel beteiligt. Unsere Kunsterzeugnisse, unsere Arbeiten kommen in die Öffentlichkeit und werden von euch benutzt. Ich weiß nicht, warum wir als unbrauchbar für eure Geschäfte gelten. Wir leben doch mit euch und von euch“ (apol. 42).

Im Unterschied zu den übrigen römischen Bürgern unterstützen die Christen laut Tertullian allerdings nicht die heidnischen Tempel. Das liege an der Nichtigkeit der Götter, da die Christen meinen,

„diejenigen unterstützen zu sollen, die darum bitten. Da soll Jupiter [nur] seine Hand ausstrecken, dann soll auch er etwas bekommen“ (apol. 42).

Ebenso entlarvt Tertullian den Kaiserkult als übersteigerten Personenkult, da der Kaiser nur ein sterblicher Mensch sei, der wie alle Menschen unter der Herrschaft Gottes stehe. Folglich hält er den Heiden vor:

„Ihr dient dem Kaiser mit größerer Ehrfurcht und erfinderischerer Ängstlichkeit als dem olympischen Jupiter“ (apol. 28).

Nicht ohne Ironie fügt er hinzu, er halte dies auch für klug; denn ein lebender Kaiser sei zweifellos mächtiger als ein nicht existierender Götze. Es ist also vor allem der Götzendienst, der im Kaiserkult kulminiert, an dem die Loyalität der Christen an ihre Grenzen stößt. Denn die Verehrung der Götter und die göttliche Verehrung der verstorbenen und später auch der lebenden Kaiser sowie das damit verbundene Opfer können die Christen nicht vollziehen. Dafür gibt es für einfache Christen zunächst keine Veranlassung, sondern nur für höhergestellte Personen wie Beamte, Offiziere und Soldaten, unter denen Christen anfangs nur vereinzelt vorkommen.

 

Ansonsten stehen die meisten Christen der Obrigkeit loyal gegenüber und bemühen sich auch in Zeiten der Verfolgung, die staatliche Ordnung und die geltenden Gesetze einzuhalten und gute Staatsbürger zu sein. Viele bekennen sich zu ihrem Glauben, drängen sich aber nicht zum Martyrium und entwickeln sich auch in der Bedrängnis nicht zu Staatsgegnern. Aufgrund des heidnischen Verständnisses des römischen Staats ist den Christen eine volle Identifikation mit ihm dennoch nicht möglich, da er sie im Rahmen des Kaiser- und Götterkults zum Opfer nötigt und so in Gewissenskonflikte stürzt.

Es gibt freilich auch Christen, vor allem montanistische und gnostische Gruppierungen, die diese relative Weltoffenheit nicht teilen. Für sie ist eine weltverneinende und weltflüchtige Haltung charakteristisch. Denn sie leben entweder – wie die Montanisten – in der Erwartung des nahen Weltendes oder rechnen – wie manche Gnostiker – alles Irdische und Materielle zur Welt der Finsternis. Die Mehrheit der Christen betrachtet die Welt aber immer weniger als abstoßende „Fremde“ und geht mit wachsender Offenheit auf sie zu.

Aus praktischen Gründen folgt die Kirche in ihrer großräumigen Organisation sogar den Strukturen des römischen Staats und je stärker dieser Zug seit dem ausgehenden 2. Jahrhundert hervortritt, desto mehr entwickelt sie sich zum „Staat im Staat“. Die Ausbildung einer einflussreichen Hierarchie, die innerkirchliche Gerichtsbarkeit unter bischöflicher Leitung und das allmähliche Zusammenwachsen der Ortskirchen zur einheitsbewussten katholischen Kirche weckt daher das Misstrauen der Obrigkeit. Ebenso erregen die Christen aufgrund spezifischer Verhaltensformen das Missfallen und den Widerstand ihrer Umwelt.

HAENDLER, Gert, Von Tertullian bis Ambrosius. Die Kirche im Abendland vom Ende des 2. bis zum Ende des 4. Jahrhunderts (= Kirchengeschichte in Einzeldarstellungen I/3) Berlin 19924, 26-28.

TRÖGER, Karl-Wolfgang, Das Christentum im zweiten Jahrhundert (= Kirchengeschichte in Einzeldarstellungen I/2) Berlin 1988, 108-111.

4.2 Die heidnischen Vorwürfe gegen die Christen als Ursachen der Christenverfolgungen

Zwar lassen sich auf örtlicher Ebene Einzelaktionen römischer Behörden gegen die Christen nachweisen. Die Kaiser konzipieren jedoch in den ersten zweieinhalb Jahrhunderten keine überlokalen Normen zur Lösung der Christenfrage. Das junge Christentum ist zu unbedeutend, um den Gesetzgeber zu aktivieren. Doch stoßen die Christen bei der Bevölkerung schon früh auf Vorbehalte. Ihre Botschaft wird nicht selten als fundamentaler Angriff auf alle bisherigen geistigen und kulturellen Werte, Traditionen und gesellschaftlichen Verhältnisse empfunden. Man bedenke: Das Christentum erklärt die heidnischen Götter für nichtig, fordert den Bruch mit gewohnten Lebensformen und hält die sozialen und geschlechtlichen Unterschiede für bedeutungslos. Im Unterschied zu fast allen antiken Religionen, die sich gegenseitig tolerieren und gleichzeitige Mitgliedschaft in mehreren Kulten zulassen, grenzen sich die Christen außerdem von anderen Religionen ab. Sie distanzieren sich von Mahlzeiten in Tempeln, vom Essen von Götzenopferfleisch und von häuslichen Festritualen, die nicht nur kultische Feiern, sondern auch gesellschaftliche und familiäre Ereignisse sind. Extreme Geister erklären diese Bräuche gar für sündigen Götzendienst. Das alles weckt Emotionen und erregt in breiten Bevölkerungsschichten eine christenfeindliche Stimmung. Schließlich wird das Christenbild in der Öffentlichkeit wohl nicht so sehr von den Stillen und den tiefen Denkern geprägt, sondern von auffallenden Schwärmern und Gnostikern, die bis zur Ehe alle menschlichen Werte verneinen. In diesem Licht lassen sich die spontanen Gewalttätigkeiten der heidnischen Bevölkerung gegen die Christen erklären, die schon im 1. und 2. Jahrhundert mit Duldung und bisweilen sogar mit Unterstützung der örtlichen Behörden erfolgen. Die dabei zutage tretenden Vorwürfe gegen die Christen sind vor allem folgende:

Jüdische Herkunft

Die ersten Christen partizipieren als Juden am Ruf eines vor allem bei den Griechen sehr unbeliebten Volks. Beschuldigt man dieses doch der Absonderung, fremdartiger Bräuche und Riten, der Anstiftung zum Aufruhr und weiterer unpopulärer Umtriebe. Außerdem verschlechtern sich nach dem jüdischen Aufstand um 70 die römisch-jüdischen Beziehungen. Im 2. Jahrhundert scheint man die Christen aber nicht mehr mit den Juden identifiziert zu haben.

Neue Bewegung aus dem Osten

Das Christentum stößt auf das Misstrauen der römischen Behörden, da ihnen alles Neue missfällt, insbesondere alles, was aus dem Osten stammt und nicht durch ethnische Traditionen geheiligt ist. Das beruht nach Tertullian auf der Neigung der Römer, allem, was alt ist, einen besonderen Wert beizumessen. Daher dulden die Römer wegen des hohen Alters der jüdischen Religion sogar die auf sie herausfordernd wirkenden Eigenheiten der Juden. Vor diesem Hintergrund betonen christliche Autoren seit Justin († 165) die jüdischen Wurzeln des Christentums, nehmen also das hohe Alter des Judentums für sich in Anspruch, können pagane Philosophen davon aber nicht überzeugen. Vielmehr betrachtet der in der 2. Hälfte des 2. Jahrhunderts schreibende Philosoph Celsus die Christen als vom Judentum Abgefallene, denen die den Juden zugestandene Toleranz nicht zukommt. Ferner erkennen die Nichtchristen, dass die Christen einer Bewegung und nicht einem Volk angehören, was für die führende Schicht Roms ebenfalls verdächtig ist. Schließlich ist das Christentum ein östlicher Kult, den hochgestellte und gebildete Römer verachten, weil östliche Einflüsse ihres Erachtens die traditionellen römischen Tugenden verderben. Wie die Besitzer einer wahrsagenden Sklavin in Philippi ihre Anklagen gegen Paulus auf diese Vorurteile hin „zurecht geschneidert haben“ (Apg 16,16-24), so dürften auch andere Ankläger ähnlich vor den römischen Beamten argumentiert haben, da letztere für solche Anschuldigungen empfänglich sind.

Nichtbeteiligung am öffentlichen Leben

Die Christen bilden in der römischen Gesellschaft eine exklusive, nur für Mitglieder offene Gruppierung mit eigenen Umgangs- und Verhaltensformen. Sie nehmen nur sehr zurückhaltend am sozialen Leben teil und lehnen die heidnische Religion ab, die das öffentliche Leben maßgeblich prägt. Diese Abstinenz wird als eine sehr unsoziale, gegen die Gesellschaft und ihre Normen gerichtete Haltung beurteilt, während man die Ablehnung der traditionellen Götter und ihres Kults als beleidigend empfindet. Vor diesem Hintergrund unterstellt Tacitus († nach 118) den Christen Menschenhass (odium humani generis), d.h. eine feindselige Gesinnung gegenüber der Menschheit. Schließlich verstimmt viele römische Bürger die Weigerung zahlreicher Christen, den Heeresdienst oder öffentliche Ämter zu übernehmen, zumal Eide, Opfer und Tempeldienst selbst anpassungswillige Christen in Heer und Verwaltung in Verlegenheit bringen.

Halsstarrigkeit

Die frühen Christen ahmen im Umgang mit den römischen Behörden das mutige Auftreten Jesu vor Hoheitsträgern nach. Die Amtsträger empfinden das als halsstarrig und eigensinnig. Denn die Christen erkennen die Staatsgötter nicht an, antworten frech oder gar nicht, weisen vernünftig scheinende Fragen zurück und verweigern den lokalen und staatlichen Beamten den Respekt. Die Märtyrer betrachten ihre Auseinandersetzung mit den Behörden sogar als eine Art Wettstreit, indem der bis zum Tode durchhaltende Christ der Sieger ist, der Verfolger aber der Verlierer. Vor diesem Hintergrund entwickelt sich bei den Behörden eine christenfeindliche Einstellung, die bei Märtyrerprozessen aufgrund der Beharrlichkeit (obstinatio) und Respektlosigkeit der Angeklagten manchmal auch auf die zuschauende Menge überspringt.

Auffällige sittliche Lebensführung und Anspruch auf bessere Moral

Die frühen Christen haben umfangreiche sittliche Forderungen zu erfüllen und unterscheiden sich so von ihrer paganen Umwelt, in der es keine vergleichbare Verbindung zwischen Religion und Ethik gibt.66 Die christliche Lehre nimmt dagegen Einfluss auf das Leben des einzelnen. Sie verlangt, dass er sich von dieser Welt unterscheidet, indem er ein an den zehn Geboten orientiertes, asketisches und gottgefälliges Leben führt, das sich insbesondere in Gottesfurcht, besonderer Beherrschtheit im Sexualverhalten, einem bescheidenen und zurückhaltenden Lebensstil, Feindesliebe, Sorge für Arme, Bedrängte und Witwen sowie in der Vermeidung von Lastern und Verbrechen manifestieren soll. Obwohl diese Normen nicht immer konsequent befolgt werden, führen sie eine Revolution des Lebensstils, des Verhaltens und Denkens herbei, da sie – im Unterschied zu den ethisch ausgerichteten Philosophenschulen – nicht nur den höheren Gesellschaftsschichten, sondern jedermann gelten und so auf Höhergestellte anmaßend und auf sozial Gleichgestellte wichtigtuerisch wirken. Hinzu kommt das Bewusstsein der Christen, dass ihre sittlichen Standards denen der Heiden und Juden überlegen sind, was deren Missgunst verstärkt. Da die Christen ihre strengen Sitten unterschiedlich genau einhalten, hält man die strikten Befolger für aufgeblasen, laue Christen dagegen für Heuchler. So nähren die Unterschiede im Lebensstil und das überzogen wirkende Selbstwertgefühl der Christen unter den Nichtchristen ein feindseliges Klima.

Störung des familiären Friedens

Schon die Beziehungen Jesu zu seiner Familie sind nicht spannungsfrei. Auch seine Jünger verlassen bisweilen ihre Familien und Jesus ermahnt sie, ihrem Hausstand zu entsagen, notfalls ihre Familien aufzugeben und sich auf Familienzwistigkeiten einzustellen. Tatsächlich kommt es in Ehen zwischen Christen und Heiden zu unheilbaren Zerwürfnissen. So verlässt nach Justin z.B. eine zum Christentum übergetretene Frau ihren heidnischen Mann, da er sein sexuelles Verlangen nicht der christlichen Moral anpasst, woraufhin er sie als Christin anklagt. Ebenso scheinen die bei Frauen besonders erfolgreichen christlichen Missionare das Misstrauen der paganen Ehemänner erregt zu haben. Aber auch christliche Kinder verursachen Familienkonflikte. Folglich können sich aufgebrachte Ehepartner, Eltern und Familienmitglieder zu gefährlichen Gegnern des Christentums entwickeln und im Extremfall bereit sein, ihre Angehörigen den Behörden auszuliefern.

To koniec darmowego fragmentu. Czy chcesz czytać dalej?