Zentrale Aspekte der Alten Kirchengeschichte

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2.5.5 Die Diakonissinnen – Inhaberinnen eines kirchlichen Amts?

Erste Ansätze eines weiblichen Diakonats werden Mitte des 1. Jahrhunderts bei Phöbe, dem διάκονος der Gemeinde von Kenchreä, deutlich.46 Nach dieser Zeitgenossin des Apostels Paulus und den um 112 im kleinasiatischen Bithynien auftauchenden ministrae schweigen die Quellen für geraume Zeit. Erst Mitte des 3. Jahrhunderts tauchen in der syrischen Didascalía erneut weibliche Diakone auf. Didascalía 3,16 rät dem Bischof, sich Helfer für seine pastorale Arbeit auszuwählen und sie zu männlichen und weiblichen Diakonen zu bestellen. Letztere sollen vor allem Frauen betreuen, die in heidnischen Häusern leben, da der Bischof aus Schicklichkeitsgründen keinen Mann zu ihnen schicken kann. Auch bei der Taufsalbung weiblicher Täuflinge, bei der die Kandidatinnen am ganzen Körper gesalbt werden, sind Diakonissinnen als Helferinnen des Bischofs vorgesehen. Ebenso wird ihnen die Aufgabe zugeteilt, neu getaufte Frauen in den christlichen Glauben einzuführen. Abgesehen von diesen geschlechtsspezifischen Restriktionen fordert die Didascalía aber, dass die männlichen und weiblichen Diakone einig im Rat und eines Sinns im gemeinsamen Dienst sein sollen, auch wenn derselbe Geist der Diakonie in zwei Körpern wohne. In merkwürdiger Inkonsequenz bleibt der liturgische Dienst der Diakonissinnen freilich auf die Assistenz bei der Frauentaufe beschränkt. Denn von einem Dienst am Altar ist nirgends die Rede.

Selbst das in der Didascalía aufscheinende bescheidene Mitwirken der Diakonissinnen am kirchlichen Leben wird in der Folgezeit wieder zurückgedrängt. Zwar bezeugen die Apostolischen Konstitutionen des ausgehenden 4. Jahrhunderts für den syrisch-antiochenischen Raum eine mit Handauflegung verbundene Diakonissinnenweihe und ein dafür bestimmtes Weihegebet, doch schiebt Kanon 19 des Konzils von Nizäa dieser Entwicklung bereits 325 einen Riegel vor, indem er feststellt, dass die Diakonissinnen den Laien zuzurechnen sind, weil sie nicht, wie die höheren Amtsträger, eine Weihe empfangen. Besonderen Wert legt man in der nachfolgenden Gesetzgebung darauf, dass die Diakonissinnen – im Unterschied zu den Diakonen – stets unverheiratet sein oder dem Witwenstand angehören müssen. In diesem Rahmen sind die Diakonissinnen zwar in Ost und West im ganzen ersten christlichen Jahrtausend bezeugt,47 doch in den ersten Jahrhunderten des zweiten Jahrtausends verschwinden sie aus der Geschichte. Immerhin hat die Liturgie in Gestalt der Witwengelübde und der Äbtissinnenweihe Elemente der mit bischöflicher Handauflegung und Gebet verbundenen Frauen-Ordination aufbewahrt. Vielleicht bilden diese Formulare und die Phänomenologie der kleinasiatischen Christinnen des 1. und 2. Jahrhunderts eine positive Basis, die es der Kirche ermöglicht, in Treue zu Schrift und Tradition, aber auch in Offenheit für die Anforderungen der Gegenwart Konzepte für die Rolle der Frau in der Kirche zu finden.

DASSMANN (wie S. 12) 173-175 (restriktive Tendenzen in den Pastoralbriefen, Witwen und Gemeinde-Jungfrauen, Diakonissinnen).

2.6 Die kirchlichen Ämter und Dienste in der Traditio Apostolica

Die so genannte Traditio Apostolica (künftig: TA) bietet einen klassischen Überblick über alle bisher behandelten und nunmehr voll ausgebildeten kirchlichen Ämter und Dienste. Bis vor einem Jahrzehnt identifizierten zahlreiche Vertreter der neueren Forschung den Verfasser der TA mit dem römischen Presbyter Hippolyt, der um 217 gegen den römischen Bischof Kallist opponiert, sich von dessen Gemeinde trennt und als Gegenbischof eine nach sehr strengen Maßstäben ausgerichtete Schismatikergemeinde leitet. Heute lehnt die Forschung diese Identifikation nicht selten ab und betont den kompilatorischen Charakter der TA.48 Aufgrund ihrer Bestimmungen über die noch zu behandelnden Bekenner (TA 9)49 dürften aber zumindest die Kapitel der TA, die sich mit den kirchlichen Ämtern und Diensten befassen, „vor den großen Verfolgungen in der Mitte des dritten Jahrhunderts“50 entstanden sein. In diesem Rahmen fällt zunächst auf, dass die TA deutlich zwischen den klerikalen Ämtern und den Diensten unterscheidet (vgl. zum Folgenden auch Abb. 13).

2.6.1 Der Klerus in der Traditio Apostolica

Zum Klerus gehören in der Gemeinde der TA Bischof, Presbyter und Diakone. Sie heben sich von den nichtklerikalen Diensten vor allem dadurch ab, dass der Bischof ihnen bei ihrer Amtseinsetzung die Hände auflegt und in einem Gebet den Heiligen Geist auf sie herabruft, damit dieser ihnen die Amtsgnade verleihe.

2.6.1.1 Der Bischof

Die TA beginnt beim Bischof mit seiner Wahl, da der neue Bischof zunächst vom gesamten Volk gewählt werden muss (TA 2). An der Wahl sind laut TA drei Personenkreise beteiligt:

1. Die Gläubigen der betroffenen Gemeinde,

2. die Bischöfe der benachbarten Ortskirchen oder zumindest einige von ihnen sowie

3. das lokale Presbyterkollegium.

Schwieriger ist die Frage nach dem Wahlablauf zu beantworten. Laut TA 2 muss der Bischof zunächst vom gesamten Volk gewählt werden, wobei über den Wahlmodus nichts verlautet. Immerhin geht aber aus TA 2 hervor, dass die Gemeinde den Gewählten auch benennt bzw. nominiert. Daraufhin ist der als untadelig qualifizierte und zum neuen Bischof nominierte Weihekandidat den Nachbarbischöfen zu präsentieren. Stimmen diese seiner Wahl und Nominierung zu, dann steht seiner Weihe nichts entgegen.51

Den eigentlichen Weiheakt beschreibt die TA verhältnismäßig knapp. Laut derselben sollen die am Weihesonntag anwesenden Bischöfe dem Weihekandidaten – unter Zustimmung aller – die Hände auflegen. Eine für die Gültigkeit der Weihe vorgeschriebene Anzahl der Bischöfe fehlt in der TA. Doch wird wohl schon damals der Mitte des 3. Jahrhunderts bei Cyprian von Karthago († 258) bezeugte Brauch üblich gewesen sein, dass möglichst alle Bischöfe der entsprechenden Provinz bei der Weihe eines neuen Bischofs anwesend sein sollen.

Die Handauflegung wird nur von den Bischöfen vollzogen, während die Presbyter schweigend dabeistehen und mit der Gemeinde in ihren Herzen um die Herabkunft des Heiligen Geistes beten. Dieses epikletische Schweigen unterstreicht die für den wirksamen Weihevollzug unverzichtbare Bitte der gesamten Gemeinde um den Heiligen Geist.

Nach dem Zeugnis der TA ist die Handauflegung im 3. Jahrhundert also fest in der liturgischen Praxis der Kirche verankert. Damals erfolgen allerdings nicht nur Bischofs-, Presbyter- und Diakonenweihe unter Handauflegung. Auch während der Taufvorbereitung, unmittelbar vor der Taufe sowie bei der Taufe selbst werden Handauflegungen vollzogen. Der Sinn dieses Ritus ist eindeutig. Er beinhaltet die Herabrufung des Heiligen Geistes auf den Sakramentenempfänger. Bei der Amtseinsetzung soll den Weihekandidaten dadurch also ebenfalls nonverbal eine geistgewirkte Gnadengabe erbetet werden, die sie bleibend für ihre Aufgaben befähigt. Folglich ist die Handauflegung primär ein epikletischer Gestus.

Nach der Handauflegung spricht einer der Bischöfe unter erneuter Handauflegung das in zwei Teile gegliederte Weihegebet (TA 3). Der erste Teil besteht aus einem Lobpreis Gottes, der seine Heilstaten in einem kurzen geschichtlichen Rückblick erinnernd (anamnetisch) in die Gegenwart hereinholt und so von Abraham über die alttestamentlichen Herrscher und Priester bis zu Jesus und den Aposteln eine zusammenhängende Linie zieht. Gott selbst habe sich in diesem Sinn in der Geschichte immer wieder Priester erwählt. Ein Bruch zwischen dem levitisch-aristokratischen Erbpriestertum des Alten Testaments und den zur Diakonia verpflichteten Amtsträgern des Neuen Bunds kommt dem Verfasser der TA also nicht mehr in den Sinn. Der zweite Teil des Gebets besteht aus einer Bitte, die dem Erwählten die Kraft des leitenden Geistes erfleht. Hier liegt also eine Epiklese vor, die Gott um die Ausgießung geistgewirkter Leitungsgaben auf den Weihekandidaten bittet, damit er die Aufgaben und Vollmachten eines Hirten und Priesters ohne Tadel ausüben kann.

2.6.1.2 Der Presbyter

Den in der TA als Gemeindeleiter charakterisierten Bischof umgibt ein Kollegium von Presbytern. Wichtig ist, dass die TA nur selten von einzelnen Presbytern spricht. Mit der Kollektivbezeichnung Presbyterium weist sie auf den kollegialen Charakter des Presbyterats hin: Die Presbyter sind kollegial zusammenwirkende Helfer und Berater des Bischofs. Im Gebet zur Presbyterweihe wird daher um den Geist des Rates des Presbyteriums gebetet (TA 7), wobei der Geist des Rates sowohl die Eingliederung des Presbyters in das Kollegium als auch seine Beraterfunktion fördern soll.

Als Helfer assistieren die Presbyter dem Bischof bei der Spendung der Taufe.52 Obwohl sie im Weihegebet der TA nirgends mit der Eucharistie in Verbindung gebracht werden, kann der Dienst der Presbyter bei der Eucharistiefeier doch sicher benannt werden: Sie sprechen zusammen mit dem Bischof das Eucharistische Hochgebet, sind also seine „fast ebenbürtigen“ Konzelebranten, helfen ihm beim Austeilen der eucharistischen Gaben und vertreten ihn daher wahrscheinlich auch in seiner Abwesenheit in der Gemeinde-Eucharistie. In diesem Fall dürften sie wohl die für den Bischof vorgesehenen Gebete sprechen, da ihnen laut der TA kraft ihrer Weihe – wie dem Bischof – das Priestertum (sacerdotium) zukommt. Außerdem übernimmt in Abwesenheit des Bischofs ein Presbyter den Vorsitz beim Liebesmahl (Agape) der Gemeinde und segnet und verteilt dabei Brotstücke (eulogiae) (TA 28).

 

Darüber hinaus fordert TA 39, dass sich die Presbyter und Diakone täglich an einem vom Bischof bestimmten Ort versammeln sollen, um die Gläubigen zu unterrichten. Demnach gehört das Lehren zu den ordentlichen Verpflichtungen der Presbyter und Diakone. In der Regel halten die Presbyter – neben Diakonen und Laien – auch den Katechumenenunterricht. Vielleicht umfasst ihre Lehrfunktion in Abwesenheit des Bischofs sogar die Predigt des Gemeinde-Gottesdienstes.

Auf die Frage, wie man Presbyter wird, gibt die TA nur die halbe Antwort. Eine dem Presbyter-Weihegebet vorausgehende Rubrik (TA 7) beschreibt den Weihevollzug, der in Handauflegung und Gebet des Bischofs sowie in einer die kollegiale Gemeinschaft ausdrückenden Handauflegung der Presbyter (TA 8) besteht. Von einer Beteiligung der Gemeinde bei der Bestellung der Presbyter ist nicht die Rede. Doch sollte dieses Schweigen nicht zu falschen Schlüssen verleiten. Denn andere Quellen bezeugen z.B. für das Rom des 3. Jahrhunderts, dass sich die Gläubigen dort an der Wahl der Presbyter beteiligt haben.

Das Gebet zur Presbyterweihe bittet Gott für den Weihekandidaten um den Geist der Gnade und des Rates des Presbyteriums. Dieser soll ihn befähigen, dem Volk beizustehen und es zu leiten. Unter Anspielung auf Num 11,16-25, wo von Mose und den siebzig Ältesten die Rede ist, wird auch ein anamnetisches Element in das Gebet eingeführt. Dadurch kommt zum Ausdruck, dass der Presbyter an demselben Geist wie der Bischof und auch an seinem Leitungsamt Anteil erhält, dass er Letzteres aber kollegial im Rat der Presbyter ausübt.

2.6.1.3 Der Diakon

Der Diakon nimmt in der Ämterhierarchie der TA den dritten Platz ein. Sein Amt unterscheidet sich deutlich vom Bischofs- und Presbyteramt. Denn TA 8 stellt ausdrücklich fest, dass er nicht den dem Presbyterium eigenen Geist empfängt und auch nicht am Rat des Klerus teilnimmt. Er ist also nicht zur Ausübung des Priestertums (sacerdotium) bestellt. Vielmehr untersteht er dem Bischof, ist dessen Diener und Helfer und hat ihn auf das Anstehende aufmerksam zu machen (TA 8). In der Eucharistiefeier bringt er ihm die eucharistischen Gaben (TA 4), während er beim abendlichen Lichtsegen die Lampe herbeiträgt (TA 25).

Wie der Presbyter – und insbesondere als sein Vertreter – kann der Diakon noch weitere Funktionen wahrnehmen. So teilen beide die Eucharistie aus (TA 22), vertreten den Bischof bei der Agape (TA 28), unterrichten die Gläubigen und Katechumenen, beten mit ihnen (TA 39) und segnen die Kranken (TA 24).

Wie die Rubrik zur Diakonenweihe ausführt, wird der Diakon in einem der Bischofswahl analogen Wahlverfahren, bei dem auch die Gläubigen mitwirken, in sein Amt bestellt (TA 8). Geweiht wird er durch Handauflegung und Gebet des Bischofs.

Das Weihegebet erbittet für den Diakon den Geist der Gnade, der Aufmerksamkeit und des Eifers und bezeichnet sein Amt als einen Dienst in der Kirche (TA 8), während die dem Weihegebet vorangehende Rubrik dieses als einen Dienst für den Bischof genauer charakterisiert.

Obwohl das Weihegebet die Rolle des Diakons bei der Eucharistiefeier besonders hervorhebt, berührt es damit nur einen Aspekt seines Amts und verfolgt nicht die Absicht, die Assistenz des Diakons bei der Eucharistiefeier als seine Hauptaufgabe zu charakterisieren. In der pastoralen Praxis sorgt der Diakon der TA vielmehr vor allem für die sozial Bedürftigen und Kranken (TA 24 u. 34), wenn davon im Weihegebet auch nicht die Rede ist.

2.6.1.4 Der Bekenner

Der Bekenner (confessor, ὁμολογητής) nimmt in der Gemeinde der TA eine Sonderstellung ein. Denn die TA bestimmt, dass einem Christen, der um seines Glaubens willen verhaftet oder vor Gericht gestellt worden ist, zum Diakonat oder Presbyterat nicht die Hand aufgelegt werden soll, da ihm aufgrund seines Bekenntnisses die Würde eines Presbyters zukomme (TA 9). Eine Handauflegung müsse bei ihm erst erfolgen, wenn er zum Bischof eingesetzt würde.

Diese Vorschrift beruht auf der in der Kirche vom ausgehenden 2. bis zur Mitte des 3. Jahrhunderts weit verbreiteten Überzeugung, dass der Heilige Geist die Bewährung in der Verfolgung garantiere, und dass derselbe Geist auch die Amtsgnade verleihe. Wer also die Stärkung durch den Geist erhalten und sich daher in der Verfolgung bewährt hat, der hat damit ein deutliches Zeichen seiner Geistbegnadung geliefert. Als Geistträger ausgewiesen kann er ohne Weihe ins Presbyterium eingegliedert werden.

Die Sonderstellung des Bekenners stellt in dieser Ära nichts Ungewöhnliches dar. Sie spiegelt vielmehr das in den ersten drei christlichen Jahrhunderten rechtlich noch nicht geklärte Verhältnis zwischen Amt und Charisma wider. Die durch Weihe geistlich zugerüsteten Amtsträger und die vom Heiligen Geist selbst beschenkten Charismatiker stehen gewissermaßen noch auf einer Stufe. Folglich stimmt das in der TA dokumentierte Ansehen der Bekenner noch „mit Theorie und Praxis der Kirche vor den großen Verfolgungen überein“53 und liefert so ein wichtiges Kriterium für die Datierung der TA.

Denn die Möglichkeit, einen Bekenner ohne Handauflegung ins Presbyterium aufzunehmen, erlischt seit den großen Verfolgungen in der Mitte des 3. Jahrhunderts, da seither ein sprunghafter Anstieg der Bekenner zu verzeichnen ist.54 Die Eingliederung der Bekenner in den höheren Klerus und die damit verbundene volle oder partielle Besoldung hätte die betroffenen Gemeinden zu sehr belastet. Hinzu kommt, dass in der nunmehr voll ausgebauten Kirchenorganisation für charismatische Bekenner kein Platz mehr ist.

2.6.2 Die Dienste in der Traditio Apostolica

Neben den in der Regel durch eine Weihe verliehenen Ämtern, die bisher im Blick waren, gibt es in der Gemeinde der TA auch eine Reihe von Diensten, mit denen Frauen und Männer durch Ernennung beauftragt werden.

2.6.2.1 Die Witwe

Als Witwe (vidua, χήϱα) wird in der TA einerseits die für kirchliche Aufgaben eingesetzte verwitwete Frau, die so genannte Gemeindewitwe, bezeichnet (TA 10). Es kann damit aber auch die der Unterstützung bedürftige, arme Witwe gemeint sein. Denn auch sie ist der Sorge der Gemeinde anvertraut, weshalb z.B. vor der Zulassung der Taufbewerber ihr Einsatz zugunsten der Witwen überprüft wird (TA 20)55.

Voraussetzung für die Zulassung zur Gemeindewitwe ist ein höheres Alter sowie eine längere Zeit der Witwenschaft. Außerdem wird sie dazu nicht geweiht (non ordinatur), sondern namentlich erwählt (eligitur ex nomine). Mit letzterer Formulierung ist wohl gemeint, dass sie aufgrund ihres Rufs zur Gemeindewitwe ernannt wird. In ihren Stand möge sie durch ein Wort eingeführt werden (instituatur per verbum) und sich dann den übrigen Gemeindewitwen, gewissermaßen einem Witwenkollegium, anschließen. Doch „darf ihr nicht die Hand aufgelegt werden (non imponetur manus super eam), weil sie nicht die Gaben darbringt (non offert oblationem) und kein priesterliches Amt (liturgia) innehat“ (TA 10). Vielmehr sei sie vor allem für das Gebet bestellt. Die ausdrückliche Anweisung, die Gemeindewitwe nicht zu weihen und ihr nicht die Hand aufzulegen, da sie die Gaben nicht darbringe und kein priesterliches Amt innehabe, lässt die Vermutung aufkommen, dass das vor dieser Bestimmung gelegentlich der Fall war.56

2.6.2.2 Der Lektor

Zu Beginn des 3. Jahrhunderts taucht in TA 11, aber auch bei Tertullian († nach 220) und Origenes († um 253) der Leser (lector, ἀναγνώστης) auf. Verschiedene Faktoren haben zur Entstehung dieses Dienstes geführt. An erster Stelle ist hier die jüdische Tradition des Vorlesens biblischer Texte im Synagogen-Gottesdienst zu nennen.57 Die Kirche ist also schon aufgrund ihrer jüdischen Wurzeln mit der Aufgabe des Vorlesers vertraut. Darüber hinaus fördert die kontinuierliche Ausgestaltung des christlichen Gottesdienstes eine Differenzierung zwischen den einzelnen gottesdienstlichen Funktionen. So werden die Heiligen Schriften, die der Bischof auslegt, nunmehr von einem eigenen Lektor vorgetragen. Die TA stuft seinen Dienst verhältnismäßig niedrig ein, da ihm der Bischof bei seiner Einführung ein Buch überreichen, ihm jedoch keine Handauflegung erteilen soll.

2.6.2.3 Die Jungfrau

Die Bestimmung von TA 12 über die Jungfrau (virgo, παρθένος) ist sehr knapp, da die Einweisung in ihren Stand wohl ähnlich verläuft wie bei der Gemeindewitwe. Wie der Letzteren und dem Lektor soll ihr bei ihrer Einführung nicht die Hand aufgelegt werden, da allein ihr Entschluss (propositum tantum) sie zur Gemeindejungfrau mache. Ihre persönliche Entscheidung und noch nicht das kirchenrechtlich bindende Gelübde charakterisieren also ihren Status, wenn sie auch schon den Nonnenstand erahnen lässt. Gemeinsame Aufgaben der Gemeindewitwe und -jungfrau sind Fasten und Gebet für die Kirche (TA 23), wobei die Jungfrau auch zum Psalmengesang beim abendlichen Gemeindemahl (TA 25) verpflichtet wird.

Abb. 13 Die spätestens Mitte des dritten Jahrhunderts voll ausgebildeten kirchlichen Ämter und. Dienste nach dem Zeugnis der Traditio Apostolica.

2.6.2.4 Der Subdiakon

Der Subdiakon (subdiaconus) der TA ist direkt dem Diakon untergeordnet, auf dass er dem Diakon folge (ut sequatur diaconum) (TA 13). Sein Dienst entsteht – wie der des Lektors – aufgrund zunehmender kirchlicher Aufgaben, was zu einer wachsenden Differenzierung der kirchlichen Ämter und Dienste führt. Terminologisch werden Diakon und Subdiakon in der Folgezeit oft nicht voneinander unterschieden, freilich zu Unrecht, da der Subdiakon der TA ausdrücklich keine Handauflegung empfängt.

2.6.2.5 Das mit der Gabe der Heilung beschenkte Gemeindemitglied

In Anlehnung an 1 Kor 12,9, wo von der Gnadengabe des Krankenheilens die Rede ist, formuliert TA 14 eine Vorschrift für Gemeindemitglieder, die für sich in Anspruch nehmen, „in einer Offenbarung die Gabe der Heilung empfangen“ zu haben. Die nach eigenen Angaben auf diese Weise Ausgezeichneten sollen zunächst keine Handauflegung erhalten, da erst die Praxis ihren Anspruch erweisen müsse. Ob ihnen nach Erweis ihres Charismas die Hände aufgelegt werden, ist nicht bekannt. Wie spätere Kirchenordnungen nahe legen, wird man ihre Aufgabe aber wohl als eine Vorform des späteren Exorzistendienstes ansehen dürfen.

 

Mit dieser Vorschrift schließen die Ausführungen der TA über die zeitgenössische Kirchenverfassung. Anhand ihrer umfangreichen Bestimmungen dürfte deutlich geworden sein, dass die kirchlichen Ämter und Dienste spätestens Mitte des 3. Jahrhunderts ihre wesentliche Ausformung gefunden haben.

GEERLINGS, Wilhelm (Übers./Einleitung), Traditio Apostolica (= Fontes Christiani 1) Freiburg Basel Wien 1991, 143-313; hier 160-177 (Einleitung zu den Ämtern und Diensten), 214-221 u. 230-243 (Text und Übersetzung von TA 2f. u. 7-14).

19 Vgl. hier und im Folgenden KERTELGE, Karl, Apostel. I. Im Neuen Testament, in: Lexikon für Theologie und Kirche3 1 (1993) 851f.; hier 852.

20 Zur Datierung der beiden Paulusbriefe vgl. SCHNELLE (wie S. 32) 74 (1 Kor), 113 (Gal).

21 Zur Datierung der Apostelgeschichte vgl. SCHNELLE (wie S. 32) 305.

22 HÜBNER (wie S. 32) 48.

23 Zur sprachlich-kulturell in griechischsprachige Hellenisten und aramäischsprachige Hebräer aufgeteilten Jerusalemer Urgemeinde vgl. Kapitel 1.2.2.

24 DASSMANN (wie S. 12) 60.

25 Nach BALZ (wie S. 34) 859 wird die Wortgruppe λειτουϱγία, λειτουϱγέω usw. in der Septuaginta „in ausgeprägtem kultischen Sinn verwendet und zwar […] als t[erminus] t[echnicus] für den Tempeldienst der Priester und Leviten“.

26 Vgl. ebenda, 861.

27 Zur Datierung vgl. SCHNELLE (wie S. 32) 129.

28 So – neben vielen anderen Kommentaren – z.B. JERVELL, Jacob (Übers./Erklärer), Die Apostelgeschichte (= Kritisch-exegetischer Kommentar über das Neue Testament 317) Göttingen 1998, 342.

29 Es handelt sich um Röm, 1 Kor, 2 Kor und Gal. – Zur Datierung dieser authentischen Paulusbriefe vgl. SCHNELLE (wie S. 32) 129 (Röm), 74 (1 Kor), 94 (2 Kor) und 113 (Gal).

30 Etwas weniger aussagekräftig versteht er sich in den anderen Proto-Paulinen als „berufen zum Apostel, auserwählt, das Evangelium Gottes zu verkünden“ (Röm 1,1), als einer, der durch Jesus Christus „Gnade und Apostelamt empfangen“ habe (Röm 1,3), als ein „durch Gottes Willen berufener Apostel Christi Jesu“ (1 Kor 1,1) und als „durch Gottes Willen Apostel Christi Jesu“ (2 Kor 1,1).

31 Zur Datierung des Philipperbriefs vgl. SCHNELLE (wie S. 32) 155.

32 KLAUCK, Hans-Josef, Hausgemeinde und Hauskirche im frühen Christentum (= Stuttgarter Bibelstudien 103) Stuttgart 1981, 30f., zitiert nach HÜBNER (wie S. 32) 58.

33 So GNILKA (wie oben) 39 und H ÜBNER (wie S. 32) 59. Das „dienstliche Zusammenspiel“ zwischen dem Apostel Paulus und den Episkopen und Diakonen kommt bei B ÖHM (wie oben) 120 nicht in den Blick.

34 Zum entsprechenden Argumentationsgang des Clemens vgl. im Folgenden auch KNOCH, Otto, Die »Testamente« des Petrus und Paulus. Die Sicherung der apostolischen Überlieferung in spätneutestamentlicher Zeit (= Stuttgarter Bibelstudien 62) Stuttgart 1973, 93f.

35 VOGT, Hermann Josef, Zum Bischofsamt in der frühen Kirche, in: Theologische Quartalschrift 162 (1982) 221-236; hier 221.

36 Zur Datierung vgl. SCHNELLE (wie S. 32) 374.

37 Vgl. GNILKA (wie S. 36) 35.

38 Zur Spätdatierung des Ignatius von Antiochien vgl. den Forschungsüberblick von PROSTMEIER, Ferdinand R., Ignatius von Antiochien, in: DÖPP, Siegmar / GEERLINGS, Wilhelm (Hg.), Lexikon der antiken christlichen Literatur, Freiburg Basel Wien 20023, 346-348; hier 347 sowie BÖHM (wie S. 36) 123 Anm. 43 (jeweils mit Literatur).

39 Ähnlich äußert sich Ps.-Ignatius gegenüber den Christen von Tralles: „Desgleichen sollen alle die Diakone achten wie Jesus Christus, ebenso den Bischof als Abbild des Vaters, die Presbyter aber wie eine Vereinigung von Aposteln. Ohne diese ist von Kirche nicht die Rede“ (Trall. 3,1).

40 Zu den Diakonen bei Ignatius vgl. hier und im Folgenden FISCHER (wie oben) 128f.

41 NOLLÉ (wie S. 49) 258.

42 Zur Rolle der Propheten als ur- und frühchristliche Gemeindeautoritäten vgl. die Kapitel 2.2.2.1 und 2.2.2.3.

43 Zum weiblichen Diakon Phöbe vgl. Kapitel 2.2.2.2.

44 Zur Beheimatung der ur- und frühchristlichen Gemeinden im oikos oder domus vgl. auch die Kapitel 1.6, 7.4.2 und 7.4.5.

45 Zum Aufkommen des einheitsstiftenden Synodalwesens vgl. Kapitel 3.3, zur Thematik und zu den synodalen Prozessen während des Osterfeststreits vgl. Kapitel 5.3.1.

46 Zum weiblichen Diakon Phöbe vgl. Kapitel 2.2.2.2.

47 Die östlichen und westlichen Zeugnisse des ersten christlichen Jahrtausends für den weiblichen Diakonat vgl. bei REININGER, Dorothea, Diakonat der Frau in der Einen Kirche: Diskussionen, Entscheidungen und pastoral-praktische Erfahrungen in der christlichen Ökumene und ihr Beitrag zur römisch-katholischen Diskussion, Ostfildern 1999, 82-113.

48 So vor allem seit der bahnbrechenden Studie von MARKSCHIES, Christoph, Wer schrieb die sogenannte Traditio Apostolica? Neue Beobachtungen und Hypothesen zu einer kaum lösbaren Frage aus der altkirchlichen Literaturgeschichte, in: KINZIG, Wolfram / MARKSCHIES, Christoph / VINZENT, Markus (Hg.), Tauffragen und Bekenntnis. Studien zur sogenannten „Traditio Apostolica“ und zu den „Interrogationes de fide“ und zum „Römischen Glaubensbekenntnis“ (= Arbeiten zur Kirchengeschichte 74) Berlin New York 1999, 1-74.

49 Zu den Bekennern vgl. unten Kapitel 2.6.1.4.

50 MARKSCHIES (wie Anm. 48) 50.

51 In diesem Licht wird es verständlich, warum die Nachbarbischöfe im weiteren Verlauf der Entwicklung das gesamte Wahlverfahren an sich ziehen werden.

52 Zur Mitwirkung der Presbyter bei der Taufe der TA vgl. die Kapitel 7.2.4.2, 7.2.4.3 und 7.2.4.5.

53 GEERLINGS, Traditio Apostolica (wie S. 59) 171.

54 Mitte des 3. Jahrhunderts erlischt auch die Sündenvergebungsvollmacht der Bekenner, wie aus Kapitel 7.3.2 hervorgeht.

55 Zu den Zulassungsvoraussetzungen der Taufbewerber in der TA vgl. die Kapitel 7.2.3.2 und 7.2.3.3.

56 Zu vergleichbaren weiblichen Autoritäten in kleinasiatischen Christengemeinden des 1. und 2. Jh.s vgl. Kapitel 2.5.2.

57 Zu den aus dem Synagogengottesdienst übernommenen Elementen der kirchlichen Liturgie vgl. Kapitel 7.1.