Zentrale Aspekte der Alten Kirchengeschichte

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1.4 Anlass und Anfänge der frühchristlichen Mission

Die neu gewonnene Überzeugung der ersten Christen, dass sich im Glauben an Jesus Christus für jeden Menschen das alleinige Heil eröffne, bildet die Basis und den Motor der ersten christlichen Missionswelle. Dabei steht die frühe Kirche aufgrund ihrer Erwartung der baldigen Wiederkunft Christi unter dem Druck, dass ihr für die vollständige Verbreitung des Evangeliums die Zeit zu kurz werden könne (vgl. Mt 10,23), oder dass die Weltmission eben deshalb möglichst schnell abgeschlossen werden müsse, weil erst dann das Ende kommen könne (vgl. Mt 24,14). Von solchen und ähnlichen Naherwartungen her erklärt sich der enorme Ausbreitungsdrang der frühen Kirche. In diesem Licht wird aber auch ihr außerordentliches Sendungsbewusstsein und der erstaunliche Erfolg ihrer Mission verständlich. Denn es steht fest: Die frühchristlichen Schriften bezeugen nicht nur eine theoretisch angezielte weltweite Ausbreitung des Christentums (vgl. z.B. Röm 10,18; Mt 28,19; Offb 7,9); vielmehr verwirklichen die frühchristlichen Missionare diese Zielsetzung in einem religionsgeschichtlich einmaligen Ausmaß. Die Anfänge dieser Ausbreitung lassen sich historisch am stetigen Wachstum der palästinischen Gemeinden festmachen. Freilich sollte man die dazu gemachten hohen Zahlenangaben der Apostelgeschichte (vgl. z.B. Apg 2,41; 4,4) nicht zu wörtlich nehmen, sondern als symbolische Aussagen angemessen interpretieren.

Förderlich für die Verbreitung der christlichen Lehre wirkt sich auch die im Stephanus-Martyrium greifbare Vertreibung der christlichen Hellenisten aus Jerusalem aus.12 Träger dieser die Grenzen Palästinas überschreitenden Mission der ersten Christengeneration sind Persönlichkeiten wie Philippus, Barnabas und Paulus. Doch ist mit vielen weiteren Missionaren der ersten Stunde zu rechnen, deren Namen nicht überliefert sind.

Die schnelle Ausbreitung der Kirche dokumentieren jene Orte, in denen sich erste christliche Gemeinden bilden. Tatsächlich existieren bereits Ende des 1. Jahrhunderts an die sechzig entsprechende Städte oder Landschaften. So bezeugen die neutestamentlichen Schriften christliche Gemeinden in Palästina, Syrien, Zypern, Kleinasien, Mazedonien und Kreta. In Italien kommen Puteoli (Apg 28,13f.) und Rom hinzu. Markus erwähnt Cyrene in der Pentapolis (Mk 15,21) und Paulus plant schließlich eine Spanien-Mission (Röm 15,24.28). Im 2. Jahrhundert gibt es Nachrichten über weitere Gemeinden in Griechenland, Kleinasien, Syrien und weiter östlich in Edessa und Mesopotamien, im Westen ergänzt durch Überlieferungen über Gemeinden in Dalmatien, Illyrien, Süditalien, Germanien, Gallien und Spanien. Schließlich fügen sich in dieser Ära im Süden noch Gemeinden im westlichen Nordafrika und in Ägypten zum Orbis Christianus (vgl. Abb. 5).

Da diese Gemeinden in den meisten Orten allerdings sehr klein gewesen sein dürften, sollte man die damalige Zahl der Christen nicht überschätzen. Sie bleiben bis zum 4. Jahrhundert eine zum Teil verschwindende Minderheit. Tertullian († nach 220) spricht allerdings von vielen Tausenden von christlichen Frauen und Männern, die sich vor dem Tribunal eines heidnischen Prokonsuls hätten versammeln können, und er behauptet gar:

„Wir sind zwar erst von gestern und doch haben wir schon den Erdkreis und all das eurige erfüllt, die Städte, Inseln, Kastelle, Munizipalstädte, Ratsversammlungen, sogar die Heerlager, Zünfte, Dekurien, den Palast, den Senat und das Forum“ (apol. 37,4f.).

Doch dürfte es sich bei dieser Behauptung um eine rhetorische Übertreibung handeln, die lediglich mit Nachdruck klarstellen will, dass inzwischen in allen Städten und an allen Orten Christen anzutreffen sind. Origenes († um 253) gibt sich wenige Jahrzehnte später in seinen diesbezüglichen Äußerungen wesentlich bescheidener. Ein für unsere Fragestellung repräsentatives Beispiel liegt aber vielleicht in der pontischen Provinzhauptstadt Neocäsarea vor. Als Gregor der Wundertäter dort um 240 sein Bischofsamt antrat, sollen in der Stadt und ihrer Umgebung nur siebzehn Christen gelebt haben; nach seinem Tod konnten alle Bewohner dieser Gegend als Christen bezeichnet werden. Natürlich sollte man diese Angaben nicht zu wörtlich nehmen. Aber wahrscheinlich spiegeln sie doch zweierlei überlokale Gegebenheiten wieder: einerseits die Mitte des 3. Jahrhunderts noch recht geringe Zahl der Christen und andererseits ihr Anwachsen im ausgehenden 3. Jahrhundert. Dassmann bleibt freilich vorsichtig. „Statistische Angaben über die Zahl der Christen [… in altkirchlicher Zeit] machen zu wollen, ist nicht nur schwierig, sondern schier unmöglich. [… Selbst] relative Zahlen lassen sich auf das ganze Imperium bezogen nur schwer angeben und schwanken entsprechend für die diokletianische Zeit [, also für das ausgehende 3. Jahrhundert,] zwischen fünf und zwanzig Prozent der Gesamtbevölkerung.“13 Die entscheidende Expansion des Christentums dürfte daher erst nach Kaiser Konstantin (306-337) erfolgt sein. Bis dahin bilden die Christen eine Minderheit, wenn ihr Einfluss in der römischen Gesellschaft auch wesentlich größer ist, als ihre Zahl. Denn ansonsten könnte man sich die feindlichen Maßnahmen des Staats und die im ausgehenden 2. Jahrhundert einsetzende Kritik der heidnischen Philosophen nicht erklären. Nicht nur die Christen, sondern auch ihre Gegner betrachten die Kirche offensichtlich als eine aufstrebende und dynamisch wachsende religiöse Gemeinschaft.


Abb. 5 Die christlichen Gemeinden im zweiten Jahrhundert.

HOFMANN, Johannes, Antike und Christentum – eine fruchtbare Begegnung an der Wiege Europas, in: KRIMM, Stefan / SACHSE, Martin (Hg.), Wenn Kulturen aufeinandertreffen – europäische Begegnungen in Vergangenheit und Gegenwart (= Acta Hohenschwangau 2007) München 2008, 74-95; hier 74-77 (mit Quellen und Literatur).

1.5 Die Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten

Nach dieser allgemeinen Skizze stellt sich die Frage nach der frühchristlichen Expansion in den einzelnen Regionen und Zentren der damaligen Welt. Denn sowohl im Ausmaß als auch im Tempo der Glaubensverbreitung zeichnen sich in den verschiedenen Gebieten des Römischen Reichs jeweils recht unterschiedliche Verhältnisse ab.

1.5.1 Palästina und Syrien (vgl. die Karte von Abb. 5)

Nachdem die christlichen Hellenisten schon zur Zeit des Stephanusmartyriums aus Jerusalem vertrieben wurden, müssen um 66/67 auch die christlichen Hebräer unter jüdischem Druck kurzfristig nach Pella bzw. ins Ostjordanland ausweichen.14 Von dort aus missionieren diese noch stark dem mosaischen Gesetz verpflichteten Christen das syrisch-arabische Gebiet zwischen dem Ostufer des Toten Meers und Beröa, einer Region östlich von Antiochien und Damaskus. Wahrscheinlich ziehen sie sich auch deshalb nach Pella zurück, weil sie neben Jerusalem vor allem in Galiläa verwurzelt sind, in der Heimat der Familie Jesu, die an der nach Nordosten ausgreifenden Mission maßgeblich beteiligt ist. Auch nach dem Tod des Herrenbruders Jakobus leitet mit Simon ben Klopas ein Vetter Jesu die Jerusalemer Gemeinde, wie überhaupt die Verwandten des Herrn, wie sie in den Quellen heißen, von Nazaret und Kochaba aus missionieren. So kann z.B. die noch vor dem Stephanusmord erfolgte Gründung der Gemeinde von Damaskus nur von Galiläa aus erfolgt sein, wie auch die östlich des Jordan gelegene Dekapolis altes judenchristliches Missionsgebiet gewesen sein dürfte.

Im benachbarten Syrien blühen schon sehr bald die Gemeinden von Damaskus, Tyrus und Sidon auf, während sich das syrische Antiochien aufgrund seiner Größe und aufgrund des kurzfristigen Wirkens des Apostels Petrus und des Märtyrerbischofs Ignatius († um 110) schon früh eines höheren Ansehens erfreut. Bereits im Laufe des 2. Jahrhunderts können dort Mitglieder der heidnischen Oberschicht für das Christentum gewonnen werden. Mitte des 3. Jahrhunderts macht sich der hohe kirchliche Rang dieser Metropole deutlich bemerkbar, denn dort versammeln sich um 251/53 unter dem Vorsitz des Bischofs Demetrianus von Antiochien eine Reihe von bedeutenden kleinasiatischen Bischöfen zu einer Synode.

Ein wichtiges Missionszentrum stellt auch das ostsyrische Edessa dar. Die Legende, dass der dortige König Abgar mit Jesus korrespondiert und der Apostel Thomas in der Stadt missionarisch gewirkt haben soll, verweist auf den frühen, erfolgreichen Anfang der dortigen Christengemeinde. Nach der Bekehrung des Königshauses wird der christliche Glaube hier bereits um 200 quasi Staatsreligion.

1.5.2 Ägypten (vgl. die Karte von Abb. 5)

Die ältesten Zeugnisse für ein frühes Christentum am Nil bilden Papyrusfragmente aus dem 1. und 2. Jahrhundert. Unter ihnen ragt der um 130 entstandene, berühmte Papyrus 52 mit Bruchstücken des Johannesevangeliums (Joh 18,31-33) hervor. Aufgrund seines ursprünglich sehr eigenartig gefärbten Christentums, das in späterer Zeit als häretisch empfunden und daher in seinen Textbeständen nicht weiterüberliefert wurde, ist sehr wenig über die christlichen Anfänge Ägyptens bekannt. Doch könnte die Gemeinde von Alexandrien eventuell apostolischen Ursprungs sein, da bereits Clemens von Alexandrien († um 220) eine missionarische Verbindung zwischen dem Petrusschüler Markus und der Kirche von Alexandrien herstellt.15 Außerdem übt der Bischof von Alexandrien schon im frühen 3. Jahrhundert über ganz Ägypten einen gewissen jurisdiktionellen Primat aus, der ihm 325 auf dem Konzil von Nizäa bestätigt wird. Weit überlokale Bedeutung besitzt die berühmte Theologenschule von Alexandrien mit ihren hervorragenden Lehrern Clemens und Origenes († um 253), die vom ausgehenden 2. bis zur Mitte des 3. Jahrhunderts hier wirken und die christliche Theologie auf der Grundlage christlicher und klassisch-antiker Bildung maßgeblich beeinflussen.

 

1.5.3 Griechenland und Kleinasien (vgl. die Karte von Abb. 5)

Die frühen Anfänge von kleinasiatischen und griechischen Gemeinden sind bekannt. Genannt seien die paulinischen Gründungen Ephesus, Philippi und Korinth. Diese und andere Gemeinden der besagten Region entfalten eine intensive missionarische Tätigkeit, die – über die städtischen Gemeindegrenzen hinaus – aufs flache Land vordringt. So bezeugt der römische Statthalter Plinius schon um 111/12 Christen unter der ländlichen Bevölkerung der Provinz Bithynien. Um 170 schreibt Bischof Dionys von Korinth an eine Reihe von neuen Gemeinden dieses Raums, z.B. an die auf Kreta beheimateten Gemeinden von Gortyna und Knossos. Die Gemeinden von Kleinasien sind so zahlreich, dass hier schon Ende des 2. Jahrhunderts Bischofssynoden zusammentreten, um Maßnahmen gegen die Montanisten zu beraten. Letztere breiten sich vor allem auf dem Land aus und bezeugen daher erneut die Christianisierung ländlicher Regionen. Daneben sind in Kappadozien Mitte des 3. Jahrhunderts bereits jährliche Bischofssynoden üblich, was auf eine fortgeschrittene Kirchenorganisation schließen lässt. Über ein phrygisches Städtchen weiß der Kirchenhistoriker Eusebius von Cäsarea († um 339/40) im Rahmen der Diocletianischen Christenverfolgung (um 304) folgendes zu berichten:

„Soldaten umzingelten ein ganzes von Christen bewohntes Städtchen in Phrygien, warfen Feuer hinein und verbrannten die Insassen samt Frauen und Kindern, die da laut zu Gott, der über allem ist, um Hilfe riefen. Denn die gesamte Einwohnerschaft, selbst der Schatzmeister und die Beamten nebst dem Rat und dem ganzen Volk, bekannten sich zu Christus und gehorchten in keiner Weise dem Befehl, den Götzen zu opfern“ (h. e. 8,11,1).

So muss es Anfang des 4. Jahrhunderts im kleinasiatischen Raum schon geschlossen christliche Ortschaften gegeben haben.

1.5.4 Das westliche Nordafrika (vgl. die Karte von Abb. 5)

Im Unterschied zu den griechischen und kleinasiatischen Gemeinden liegen die Anfänge der nordafrikanischen Kirche im Dunkeln. Dabei besitzt gerade sie ein ausgeprägtes frühchristliches Profil. Hier taucht nämlich im ausgehenden 2. Jahrhundert plötzlich ein betont lateinisches Christentum auf; hier entstehen erste Versuche einer lateinischen Bibelübersetzung zu einer Zeit, in der die übrige Kirche noch griechisch betet, spricht und denkt. Historisch greifbar wird das nordafrikanische Christentum erstmals in den um 180 in lateinischer Sprache verfassten Märtyrerakten von Scilli. Um 200 zeichnet der bedeutende nordafrikanische Schriftsteller Tertullian († nach 220) schon ein recht differenziertes Bild von der Gemeinde von Karthago. Schließlich präsidiert Bischof Agrippinus von Karthago um 220 einer Synode von 70 Bischöfen, was auf mindestens ebenso viele nordafrikanische Gemeinden schließen lässt. All diese Phänomene eines blühenden kirchlichen Lebens legen es daher nahe, dass das Christentum in Nordafrika sicher weit vor 180 Fuß gefasst hat.

1.5.5 Die westlichen Provinzen des Römischen Reichs (vgl. die Karte von Abb. 5)

Schon Paulus fasst Spanien als Missionsziel ins Auge (Röm 15,24.28) und Quellen des ausgehenden 1. und 2. Jahrhunderts scheinen sein dortiges Wirken zu bestätigen (so 1 Clem. 5,7 und das Muratorische Fragment). Dass auch im Süden Galliens schon im ausgehenden 1. Jahrhundert Christen leben, ist ebenfalls möglich. Ein Kronzeuge für die gallischen Verhältnisse des späten 2. Jahrhunderts ist Bischof Irenäus von Lyon († um 200), ein gebürtiger Kleinasiate und Schüler des Bischofs Polykarp von Smyrna. Er vermittelt in seinem Werk Adversus Haereses nicht nur wertvolle Nachrichten über seine Gemeinde in Lyon; ihm verdanken die Deutschen auch den Hinweis, dass es zu seiner Zeit in Germanien bereits christliche Gemeinden gibt. Mit den von Irenäus ohne nähere Ortsangabe genannten, „in den [beiden] Germanien gegründeten Gemeinden“ (haer. 1,10,2) könnten vielleicht Köln und Mainz gemeint sein. Aber auch in Trier könnte noch vor Konstantin eine Gemeinde bestanden haben.

Ebenso finden sich in Bayern (vgl. Abb. 6) Spuren des frühen Christentums.16 Das erste, allerdings sehr unsichere Zeugnis dürfte ein Bericht über das so genannte Regenwunder von Carnuntum gewesen sein. Es handelt sich dabei um eine außerordentliche Begebenheit, die sich um 172/74 während des Markomannenkriegs Kaiser Marc Aurels bei Carnuntum, einer ehemals römischen, heute nur noch archäologisch erschlossenen Provinzhauptstadt bei Petronell in Niederösterreich (ca. 40 km südöstlich von Wien) ereignet haben soll. Hier richtet nämlich ein plötzlicher Regenguss das von der glühenden Hitze erschöpfte römische Heer auf, während gleichzeitig ein verheerendes Unwetter dem germanischen Gegner die militärische Auflösung beschert. Dieses Wunder wird in den antiken Quellen auf unterschiedliche Urheber zurückgeführt: auf Kaiser Marc Aurel, auf einen heidnischen ägyptischen Priester oder auf das Gebet christlicher Soldaten. Doch macht letztere Überlieferung deutlich, dass zumindest Tertullian († nach 220) mit früher christlicher Präsenz im bayerisch-österreichischen Kulturraum rechnet. Auf spätantiker Überlieferung basiert die Passio des heiligen Florian (8. Jahrhundert), die vom Märtyrertod des Florian und seiner Gefährten in Lauriacum (Enns-Lorch Oberösterreich) während der Diocletianischen Christenverfolgung des Jahres 304 berichtet. Als gesichert kann auch der im gleichen Jahr in Augsburg erfolgte Märtyrertod der heiligen Afra gelten, wenn auch die phantastische Ausmalung ihrer mittelalterlichen Leidensgeschichte keinen Glauben verdient. Neben Augusta Vindelicorum (Augsburg), Lauriacum (Enns-Lorch) und Cetium (St. Pölten) sind weit über zehn weitere antike Christengemeinden des bayerisch-österreichischen Raums nachweisbar, aber auch frühchristliche Spuren in Passau und Regensburg. Für das 5. Jahrhundert bezeugt schließlich die Vita Severini des Eugippius († nach 533) für den Raum zwischen Salzburg, Passau und Wien eindrucksvolles christliches Leben, das sich durch eine differenzierte Kirchenorganisation auszeichnet.

Abb. 6 Die beiden Provinzen Noricums zur Zeit Severins († 482).

1.5.6 Rom und Italien (vgl. die Karte von Abb. 5)

Wer als Erster die Frohe Botschaft nach Rom brachte, ist nicht bekannt. Sein Name wird durch die glanzvollen Gestalten der Apostel Petrus und Paulus überdeckt. Diese begeben sich zwar erst später nach Rom und sind sicher nicht Gründer der römischen Gemeinde, doch hütet die Kirche von Rom ihre Gräber als kostbaren Schatz. Offensichtlich ist die schon im ausgehenden 1. Jahrhundert beobachtbare Hochschätzung der römischen Gemeinde (vgl. 1 Clem.) untrennbar mit der dortigen Petrus- und Paulustradition verknüpft bzw. mit dem Besitz der beiden Apostelgräber. Denn die Wertschätzung und die erstrangige Bedeutung der beiden Apostelfürsten für die neutestamentliche Überlieferung überträgt sich nach Schatz „in schwer faßbarer Weise auf die römische Gemeinde“17. Auch aus diesem Grund bildet der Glaube der Römer den Maßstab, an dem man sich im Rahmen der seit der Mitte des 2. Jahrhunderts aufkommenden Unterscheidung zwischen Orthodoxie und Häresie orientiert. So gehen wahrscheinlich sowohl das Apostolische Glaubensbekenntnis als auch der Rekurs auf die apostolische Nachfolge der Bischöfe, die Idee der so genannten successio apostolica, auf römischen Brauch zurück. Diesem hohen Ansehen entspricht auf römischer Seite eine besondere geschwisterliche Verantwortung und Mitsorge für andere Kirchen, wie sie schon Bischof Dionys von Korinth um 170 bezeugt. Im Rahmen der römischen Synode des Jahres 251/53 teilt Bischof Cornelius von Rom einem Briefadressaten schließlich mit, dass zu seiner Zeit in Italien mehr als 100 von Bischöfen geleitete Gemeinden existieren. Die italienische Kirchenorganisation befindet sich damals also bereits in einem beachtlichen Ausbaustadium.

HOFMANN, Antike und Christentum (wie S. 15) 78-84 (mit Quellen und Literatur).

1.6 Soziologische, politische, kulturelle und religiöse Gegebenheiten für die Mission: günstige und ungünstige Bedingungen

Natürlich spielen die gesellschaftlichen Verhältnisse auch in den ersten Jahrhunderten der Kirche eine bedeutende Rolle. In der Regel sind die Menschen der hellenistischen Welt in eine stabile Großfamilie eingebunden, die vom Hausvater (pater familias), d.h. vom ranghöchsten männlichen Familienmitglied, geleitet wird. Dieser Familie (familia) gehört allerdings nicht nur die gesamte Verwandtschaft des Hausvaters an, also seine Gattin und seine Kinder, sondern auch die Sklavinnen und Sklaven sowie die Freigelassenen seines Hauses (oikos oder domus). Auf dieser Basis besitzt eine bedeutende Familie nicht selten Hunderte von Mitgliedern. Aufgrund eines starken hierarchischen Gefälles vom Hausvater abwärts werden dem einzelnen Familienmitglied Entscheidungen sozialer und religiöser Art weitgehend von der obersten Instanz, vom pater familias, abgenommen. Individuelle Entscheidungen sind unter diesen Umständen kaum möglich und kommen daher nur äußerst selten vor. Für die christliche Mission bringt diese Sozialstruktur Konsequenzen mit sich. Entweder gelingt es den Missionaren, was im Neuen Testament und auch später wiederholt berichtet wird, dass ein Hausvater „zum Glauben kam mit seinem ganzen Haus“ (Apg 18,8). In diesem Fall trifft das Familienoberhaupt die Glaubensentscheidung nicht nur für sich, sondern auch für seine sämtlichen Angehörigen, Freigelassenen und Sklaven. Die Christianisierung vollzieht sich hier also schlagartig innerhalb einer Generation (vgl. 1 Kor 1,16; Apg 11,14; 16,15.31-33). Freilich gilt diese Missionsphänomenologie besonders für jüdische Häuser.

In heidnischen Häusern kommen dagegen häufiger Einzelkonversionen vor, etwa, dass zuerst einige Frauen und Kinder für den christlichen Glauben gewonnen werden, oder dass die Sklaven Christen werden, oder dass das Haus sukzessive, bisweilen allerdings nur unvollständig, christianisiert wird. Hier erweist sich der antike Familienverband als eine Missionsbarriere, da der Einzelne erhebliche Hindernisse zu überwinden hat, wenn er aus diesem Verband ausscheren möchte. Viele frühchristliche Schriften schildern daher eindringlich, welche Schwierigkeiten christliche Ehefrauen seitens ihrer heidnischen Gatten, gläubige Söhne und Töchter von ihren ungläubigen Vätern und Sklaven von ihren Herren zu erwarten haben. Trotzdem gibt es auch unter den Heiden Familienbekehrungen (vgl. Irenäus von Lyon bei Eusebius von Cäsarea, h. e. 5,21,1; Clemens von Alexandrien, str. 6,167,3). Wie Aristides Mitte des 2. Jahrhunderts bezeugt (apol. 15,6), dürfen Sklaven allerdings nicht zum Übertritt gezwungen werden. Ganz gegen den zeitgenössischen Brauch macht sich hier also ein kostbares Element katholischer Glaubensüberzeugung bemerkbar: die Unantastbarkeit des individuellen Gewissens.

 

Wie schon erwähnt, kommt das Christentum besonders bei heidnischen Frauen sehr gut an. Oft findet es gerade durch Frauen einen ersten Zugang in die oberen Gesellschaftsschichten. Das ist kein Zufall. Denn die Christen bekennen sich, im Unterschied zur paganen Welt, zur Gleichheit von Mann und Frau. Schon in einer urchristlichen Schrift steht außerdem die Weisung, dass ein Ehemann seine Frau mit der gleichen Liebe und Rücksicht behandeln soll, wie Christus seine Kirche (vgl. Eph 5,25). Ebenso bietet die christliche Lehre von der Heiligkeit der Ehe verheirateten Frauen einen wirksamen Schutz. Aber auch die christliche Sexualethik unterscheidet sich von den Normen der heidnischen Gesellschaft, da sie eheliche Untreue beim Mann als einen nicht geringeren Vertrauensbruch betrachtet als bei der Frau. Die Lehre des Apostels Paulus, dass es in Christus nicht Mann noch Frau gibt (Gal 3,28), ist freilich nicht als ein Programm der politischen Emanzipation der Frau zu verstehen. Andererseits durchbricht das Christentum – gerade im Hinblick auf das Verhältnis von Mann und Frau – radikaler als jede andere antike Religion die gängigen sozialen Vorstellungen und Ordnungen und fördert den Gedanken der persönlichen moralischen Entscheidung und Verantwortung in ganz außergewöhnlicher Weise.

Wie aber verhält sich eine Christin oder ein Christ in einer noch nicht völlig christianisierten Familie? Bei der Abgrenzung vom paganen Kult ist man im antiken oikos zu Kompromissen genötigt. Selbst der strenge Tertullian vertritt die Meinung, dass ein Christ bei heidnischen Familienfeierlichkeiten anwesend sein dürfe, wenn er dabei auch heidnische Opferhandlungen zu unterlassen habe. Tatsächlich ist das Leben einer heidnischen Familie so stark von heidnischen Riten geprägt, dass ein Christ – will er ihnen entgehen – alle familiären und verwandtschaftlichen Bande zerreißen müsste. Gerade das hält die Alte Kirche aber nicht für wünschenswert. Vielmehr muss der Christ in seinen alten Lebenszusammenhängen verbleiben, wenn er sie umgestalten und missionieren will. Dieser Haltung dürfte es unter anderem auch zu verdanken sein, dass die heidnische römische Gesellschaft im 2. und 3. Jahrhundert so schnell christianisiert wird. Denn einzelne Christen und christliche Familienverbände sind es vor allem, die durch ihre Attraktivität den Prozess der Christianisierung erfolgreich unterstützen.

Eine sehr intensive missionarische Wirkung scheint auch die praktische Liebestätigkeit der frühen Christen zu erzielen. Die heidnische Äußerung „Seht, wie sie [die Christen] sich untereinander lieben“ (apol. 39,7), die Tertullian für das späte 2. Jahrhundert bezeugt, ist keineswegs ironisch gemeint. Die christliche Nächstenliebe, die auch heidnischen Kreisen nicht verborgen bleibt, äußert sich beispielsweise in der bisweilen recht gut organisierten Fürsorge für Arme, Witwen und Waisen, in Besuchen der Mitchristen im Gefängnis oder bei denen, die zu Zwangsarbeit in den Bergwerken verurteilt sind, ferner in sozialen Hilfsaktionen in Katastrophenzeiten, bei Hungersnot, Erdbeben, Seuche oder Krieg. Ein besonderer Dienst, den die Gemeinden armen Mitgliedern leisten, besteht ferner in der Sorge um ihr Begräbnis. Zu diesem Zweck erwerben etwa die Gemeinden von Rom und Karthago bereits Ende des 2. Jahrhunderts Begräbnisplätze für ihre Mitglieder. Einer der ältesten liegt übrigens südlich von Rom an der Via Appia an einem Platz namens Ad Catacumbas. Nach ihm führen diese in Form von unterirdischen Gängen angelegten Friedhöfe bis auf den heutigen Tag den Namen Katakomben (vgl. Abb. 7). Daneben spielt die Gastfreundschaft eine wichtige Rolle. Ein Christ muss sich lediglich als Bruder ausweisen, dann kann er in der Fremde bei seinen Mitchristen mit einer Unterkunft rechnen. Wie wichtig man diese Form christlicher Nächstenliebe nimmt, zeigt sich darin, dass der Bischof die Hauptverantwortung für die Gastfreundschaft trägt.

Abb. 7 Grabinschrift der Eupraxia in der Kallistus-Katakombe zu Rom.

Den Erfolg, den die frühchristliche Mission erzielt, verdankt sie sicher auch der intensiven und erfolgreichen Missionsarbeit des griechischsprachigen und hellenistisch geprägten Diasporajudentums. Dessen Botschaft kommt in gebildeten paganen Kreisen sehr gut an, weil es seine Religion – im Unterschied zum eher provinziellen, national ausgerichteten Judentum Palästinas – als eine universale Religion präsentiert. Es verkündet einen Gott aller Menschen, der dem gesamten Menschengeschlecht in seinen Geboten das für alle geltende Sittengesetz, d.h. den zielsicheren Weg zum Leben, anbietet. Auf diese Weise fügt es zu Ritus und Kult einen deutlichen ethischen Akzent, der der paganen Religion weitgehend fehlt. Ebenso versteht sich dieses Judentum als eine „Philosophie“, als eine Weisheitslehre, die auf die Fragen des denkenden Menschen durchdachte Antworten bereithält und als Offenbarungsreligion auf die altehrwürdige Weisheit einer Heiligen Schrift rekurrieren kann. Genau in diesen hellenistisch-jüdischen Fußstapfen bewegt sich die frühchristliche Mission und kann dabei – wie schon angedeutet – auf das reiche jüdisch-hellenistische Erbe zurückgreifen. Daneben finden die christlichen Verkündiger in allen größeren Städten der Diaspora kontaktstiftende Synagogengemeinden vor, in denen sie ihre Botschaft erfolgreich verbreiten können. All diese Elemente, die griechische Bibel (die Septuaginta) und vieles andere mehr erweisen sich als Vorarbeit ihrer Mission, als eine von der hellenistischen Synagoge erarbeitete Basis, von der aus sie die jüdische Mission bald überholen können.

Darüber hinaus verdankt das Christentum dem Judentum auch personelle Zugewinne. Denn die so genannten Gottesfürchtigen, ein mit der hellenistischen Synagoge sympathisierender, heidnischer Interessentenkreis, sowie die Proselyten, d.h. die zum Judentum konvertierten Heiden, treten besonders häufig von der Synagoge zur Kirche über.

Diese gehören mit anderen neu gewonnenen Christen sozial zu den mittleren und gehobenen Schichten; unter ihnen finden sich Angehörige der höheren Politik und Verwaltung, aber auch Gebildete und Gelehrte, Philosophen und Historiker. Sie prägen in besonderer Weise die Geistigkeit und Kultur der jungen Missionsgemeinden. Der allgemeinen Struktur der Gesellschaft entsprechend bilden freilich der Mittelstand und die Unterschicht der städtischen Bevölkerung, also Handwerker, Kaufleute und Sklaven, den Hauptanteil des jungen Christentums. Zunächst vermag die Kirche die Angehörigen dieser unterschiedlichen Schichten, zwischen denen in der antiken Gesellschaft oft krasse soziale Unterschiede herrschen, in ihren Gemeinden einigermaßen zu integrieren. Freilich beruhen viele Konflikte, die in der frühen Kirche bisweilen sogar zu Spaltungen führen, auf sozialen Ursachen. Aber das Charakteristikum frühchristlicher Gemeinden ist gerade ihre soziologisch sehr gemischte Zusammensetzung. Gesellschaftliche Unterschiede sollen ja – zumindest theoretisch – keine Rolle spielen. „Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid einer in Christus Jesus“ (Gal 3,28). Dass dieses Apostelwort auch in die Praxis umgesetzt wird, zeigt sich in der für antike Verhältnisse äußerst unkonventionellen Verhaltensweise, Frauen und Sklaven als gleichwertige Gemeindemitglieder zu behandeln, was auf diese sicher anziehend und motivierend wirkt.

Neben den Vorteilen, die das Christentum aus seinen jüdischen Wurzeln zieht, ist es vor allem die Pax Romana, die der Ausbreitung des Christentums einen günstigen äußeren Rahmen bietet. Denn die Römer sind – gestützt auf ihre mächtige politische und militärische Position – in der Lage, die verschiedensten Völker in ihrem Imperium in sicheren Grenzen zu befrieden und die Einheit ihres Reiches mit Hilfe eines großen und verhältnismäßig uniformen Verwaltungssystems aufrecht zu erhalten. Zusammen mit dem ausgezeichneten römischen Straßennetz bringen es diese geordneten Verhältnisse mit sich, dass sich innerhalb des römischen Imperiums – unbehindert von nationalen Grenzen und auf gesicherten Verkehrswegen – ein vielfältiges und über weite Räume bewegungsfähiges Leben entfalten kann. Davon profitiert sicher auch das Christentum und breitet sich nicht zuletzt deshalb zunächst vor allem entlang der großen Verkehrswege aus.

Diese politisch-militärisch geeinte Welt bildet auch kulturell eine Einheit. Die hellenistische Kultur durchformt nämlich in Religion und Philosophie – über nationale, ethnische und religiöse Unterschiede hinweg – das gesamte Imperium im Sinne einer einheitlichen Geistigkeit. Das bedeutet, dass sich die christliche Verkündigung in einer relativ einheitlichen Welt bewegt und ihre Lehre daher überall mit den gleichen Vermittlungsmethoden verbreiten kann. Für die Missionare genügt es, das Christentum sozusagen in die Sprache und Denkform dieser einheitlichen Kultur zu übersetzen und schon werden sie überall verstanden. Ferner gebraucht man zur Zeit des entstehenden Christentums vom Vorderen Orient bis in den Westen das Griechische als Suprasprache, sodass von Palästina bis Spanien in einer einzigen Sprache gepredigt werden kann. Freilich verbleibt das Christentum aufgrund dieser Gegebenheit zunächst im städtischen Milieu, weil die griechische „Weltsprache“ in den meisten Gebieten des römischen Imperiums nur in den Städten, nicht aber auf dem Lande verstanden wird. Denn dort spricht man zwischen Euphrat und Gallien, aber auch zwischen Ägypten und Britannien unzählige Dialekte. Doch obwohl das Griechische im Westen seit dem ausgehenden 2. Jahrhundert allmählich durch das Lateinische abgelöst wird, in Ägypten durch das Koptische, in Armenien durch das Armenische usw., bleibt die Geistigkeit weitgehend einheitlich und beruht hauptsächlich auf den weiterhin verstandenen Kultursprachen Griechisch und Latein. Vor diesem geistigen Hintergrund findet das junge Christentum mühelos Anschluss an die zeitgenössische Kultur und Bildung, besitzt die Möglichkeit einer weiträumigen Korrespondenz und Kommunikation und ist nicht der Zersplitterung durch viele Sprachen ausgesetzt.