Moritz von Sachsen (1521-1553)

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Der humanistische Landesfürst lebt in schwierigen Partnerschaften

Mit der Trennung von der Mutter beginnt Moritz sich selbst zu regieren. Er will nach dem Tode des Vaters den Weg des albertinischen Landes anders fortsetzen, als er unter seinen Eltern gestaltet worden war. Vor jeder Stufe, die Moritz in seinem kurzen Leben emporstieg, hat er sich eine Vision der kommenden Aufgaben gemacht. Seit seiner überstürzt erzwungenen Heirat im Januar 1541 wusste Moritz, was sein nächster Schritt sein sollte. Er war selbst vom Vorangehenden soweit vorbereitet, dass er das Neue ohne Mühe sicher beginnen konnte. Moritz wollte nach der „Großväterlichen Ordnung“ ohne Landesteilung regierender Fürst in einem modernen albertinischen Staat sein.

Der junge Herr wird Nachfolger seines Vaters

Moritz blieb nach der Hochzeit einige Wochen in Marburg. Er musste sich als junger Ehemann im Klaren sein, dass er mit der Befreiung aus mütterlicher Lenkung auch den direkten Kontakt zum Dresdner Hof und zum Vater verloren hatte. Er suchte schon am 12. Januar 1541 von Marburg aus über die herzoglichen Räte zu Leipzig den Kontakt wieder zu knüpfen.62 Er bat seinen Vater um Verzeihung für seine Abreise ohne ausdrückliche Erlaubnis. Er habe aber als ehrlicher sächsischer Fürst sein Eheversprechen erfüllen müssen.63

Die Schwester Sibylle schrieb ihm danach, ihm müsse bewusst sein, dass er mit seinem Ungehorsam das Vaterland verscherzt habe, denn er habe sich gegen Gott, die Obrigkeit und die Eltern vergangen. Hinter diesem Brief stand in klarer Härte Katharina.64 Sie wollte die Ehe als heimliche Ehe ohne Genehmigung der Eltern werten, die auch von den evangelischen Theologen abgelehnt wurde.

Die Räte Dr. Georg Komerstadt und Anton von Schönberg suchten zwischen beiden Seiten zu vermitteln. Moritz schrieb dann der Mutter und dem Vater getrennt, er habe lieber freien als brennen wollen, weil er allein dadurch ein „unzüchtiges Wesen“ habe vermeiden können. Der Vater möge ihn auch bei der Mutter vertreten.65

Im März reiste Moritz nach Sachsen. In Naumburg verhandelte er zunächst mit albertinischen Räten. Anschließend suchte er den Rat von Kurfürst Johann Friedrich in Torgau und zog dann sofort Richtung Marienberg, um den Vater zu treffen. Unterwegs in Altzelle hörte Moritz aber, dass der Vater in Dresden wäre. Heinrich war gerade von einer Hasenjagd zurückgekommen und weigerte sich, seinen Sohn zu hören. Er wagte nicht, gegen seine Gemahlin zu handeln. Dagegen konnte die Schwester Sibylle Moritz an der Hand ins Zimmer der Mutter führen. Diese empfing ihn, doch ihre Worte waren hart und mit vielen Vorwürfen gefüllt. Ihre norddeutsche, für sächsische Ohren fremde Aussprache hatte sich in den langen Jahren in Sachsen nicht verloren.66

Was stattfand, wurde weniger Gespräch zwischen Mutter, Vater und Sohn als vielmehr diplomatische Verhandlung. Moritz war als Schwiegersohn Landgraf Philipps mit zwei hessischen Räten nach Dresden geritten, die ihn berieten. Er wollte nicht nur nachträglich eine elterliche Zustimmung zu seiner Ehe, sondern auch den Wohnsitz als Verheirateter und den Unterhalt für sich und seine junge Frau klären. Außerdem stand auf der Dresdner Seite immer noch die Auszahlung des Erbanteils der Landgräfin Christine am Barvermögen Herzog Georgs des Bärtigen offen, die ja Katharina mit der Ausstattung der jungen Frau zu verrechnen hoffte. Damit wäre die Ehe anerkannt.

Als beide Eltern dann aber, ohne nachzugeben, Wohnsitz und Unterhalt nur durch die Landstände regeln lassen wollten, reiste Moritz ab. Die Versöhnung mit den Eltern war ja notdürftig vollzogen. Georg von Karlowitz und der Hofmeister Graf Kaspar von Mansfeld suchten sich dann in Dresden für Moritz einzusetzen. Um ihm die nötige Autorität zu geben, hatte Moritz den Grafen Kaspar zu seinem Oberhofmeister ernannt.67

Bei seiner ersten Rückreise nach Marburg wusste sich Moritz als Ehemann in seiner ganz persönlichen Selbstständigkeit bestätigt. Der Vater hatte wohl schneller als die Mutter diese Ehe völlig anerkannt. Nach der Abreise war Heinrich in Dresden seinem Sohne nicht ungeneigt, wie Landgraf Philipp es sagte.68 Die Rückreise Moritz’ nach Dresden verzögerte sich dann aber durch eine Krankheit. Man schrieb Moritz, dass Heinrich täglich frage, wo sein Sohn bleibe.

Heinrich war bereit, Wohnung und Unterhalt für das junge Paar angemessen zu ordnen.69 Katharina dagegen wollte Hans Löser und Graf Kaspar, die sein Ausbleiben bei den Eltern wegen Krankheit entschuldigen wollten, als von Moritz Beauftragte nicht vorlassen. Heinrich dagegen hatte es akzeptiert.

Als Heinrich – wohl durch eine Grippe – krank und schwach lag, sah Katharina ihre Chance und erreichte von Heinrich ein Testament, das die beiden Söhne im Erbe des Besitzes gleichstellte und sich eventuell als Mitregierung des jüngeren Sohnes August interpretieren ließ.70 Würde nun die Mutter Moritz als Erbprinzen gemäß der albertinischen Ordnung Albrechts des Beherzten, der „Großväterlichen Ordnung“, beim Tode des Vaters auch die Eigenständigkeit des regierenden Fürsten zugestehen? Als Heinrich sich Ende Mai erholt hatte, wollte Katharina ihren Leibarzt Dr. Blasius Sattler zu Moritz schicken. Sattler werde Moritz mit Gottes Hilfe helfen, wenn er ihm nur gehorche. Sie gab dem ihr ungebärdigen Sohn wohl Schuld an seiner Krankheit. Meinte sie, Moritz verzögere seine Reise, um das neue Testament seines Vaters nicht unterschreiben zu müssen?71Aber erst Mitte Juli fühlte sich Moritz wieder völlig gesund.72

Die Ratgeber, die für Moritz in Dresden handelten, rieten ihm, er solle in Hessen bleiben, damit man keinen Einfluss auf ihn nehmen könne, besonders nachdem Heinrich am 5. Mai das Testament unterzeichnet hatte, das Herzog August zum gleichberechtigten Erben einsetzte. Man unterschätzte die Denk- und Verhandlungsfähigkeit des jungen Fürsten. Moritz ließ sich auch von Landgraf Philipp beraten.

Anton von Schönberg, der wichtigste Ratgeber Katharinas und auch Heinrichs, versuchte für sich bei Moritz nach dessen zweitem Eintreffen in Dresden im Juni 1541 gut Wetter zu erreichen. Deshalb erwähnte Schönberg in seinen ausführlichen Darstellungen Herzogin Katharina nie. Er wollte als unabhängiger Rat dastehen und versuchte, die Bedeutung des neuen Testamentes zu beschönigen, das doch die von Albrecht dem Beherzten erlassene Ordnung für das Erbrecht des Erstgeborenen außer Kraft setzen sollte. Schönberg meinte, Moritz wäre zu überlisten.

Durch Heinrich sollte es jedoch ab 5. August, kurz vor seinem Tode, anders geschehen. Er hatte am Ende seiner Tage auf eine Lösung ohne Katharina gedrängt. Er war sich Ende Juli 1541 über seine nur noch kurze Lebenszeit wohl im Klaren und wollte der Misswirtschaft unter Katharina ein Ende setzen, indem er Moritz zu seinem Vertreter in den laufenden Geschäften machte. Zuerst beauftragte er Ständevertreter, einen Vorschlag zu weiterem Handeln zu unterbreiten.

Nach diesem Papier ließ Heinrich einen Text ausarbeiten, der einerseits die Ausführung der laufenden Geschäfte Moritz ab 5. August 1541 übertrug und nur alle grundlegend neuen Entscheidungen noch von Heinrich abhängig machte, denn es wäre die Bestellung an unserm Hofe so zu dieser Zeit etwas unrichtig.73 Heinrich und die Räte, die ihn zur Übergabe an Moritz bewegten, missbilligten die Verwaltung des Staates durch Katharina, den führenden Rat Anton von Schönberg und andere bestimmende Männer. Zugleich regelte diese Abmachung die Unterbringung und Ausstattung für Moritz und seine Gattin. Es wurde ihm gestattet, auch außerhalb Dresdens, etwa in Meißen, seine Hofhaltung einzurichten, wenn es in Dresden schwierig würde. Damit konnte sich Moritz notfalls der direkten Einwirkung seiner Mutter entziehen. Am 5. August wurde auch dieses Übereinkommen geschlossen. Es bestand aber noch das Testament, das eine Landesteilung im Besitz, wenn auch nicht für die Regierung, vorsah.

Als Heinrich gestorben war (18. August 1541) und Moritz seine Frau aus Hessen heimholte, wollten dann die bisherigen Räte den Vertretern des Herzogs Moritz das Siegeln nur gestatten, wenn Herzog August mit ihnen siegelte. Sie versuchten damit das Modell einer Geschäftsführung im Staate durch Moritz unter der Aufsicht Katharinas durchzusetzen. August war mit gerade 15 Jahren noch nicht selbstständig geschäftsfähig. Dadurch wollte Katharina tätig sein. Sie wollte gewissermaßen eine Übergabe der Geschäfte unter ihrer Aufsicht erreichen. Herzog Albrechts Erbordnung des Erstgeborenen, die „väterliche“ und nunmehr „großväterliche“ Ordnung, die vom Kaiser ratifiziert war, sollte so unterlaufen werden.74

Landgraf Philipp kannte die Absicht Katharinas und Schönbergs, mit dem Testament Heinrichs die sächsische Erbordnung Herzog Albrechts ungültig zu machen. Er hatte seinen Schwiegersohn entsprechend aufgeklärt. Moritz ging deshalb vor dem Tod des Vaters besonders höflich und sachlich mit Schönberg um und hatte wohl auch dadurch seine Beauftragung mit den Regierungsgeschäften am 5. August erreicht. Seine Anhänger in Sachsen meinten im Juli sogar, nun werde Schönberg auch bei Moritz der oberste Rat werden.75

Am 6. August 1541 suchte Moritz sich noch von der Bindung an das von Katharina vorbereitete Testament Heinrichs freizumachen. Er protestierte im Georgentor zu Dresden – Herzog Georg war für Moritz das Vorbild einer rechtlich geordneten Staatsleitung – in rechtlich bindender Form mit einer notariellen Urkunde vor acht Zeugen aus den Landständen gegen das Testament und alle letzten Verfügungen Heinrichs, die der „väterlichen Ordnung“ Herzog Albrechts widersprechen würden.76 Vor seiner Abreise am 10. August befahl Moritz seine Vertrauten Graf Kaspar von Mansfeld, Ernst von Miltitz und Dr. Simon Pistoris nach Dresden. Er ordnete die Räte seines Vaters dem Grafen unter, ohne dessen Wissen nichts geschehen dürfe. Alle Schriften seien als Kopien in Büchern zu verzeichnen. Außerdem sollten die Räte die übermäßigen Kosten verringern und das Personal reduzieren. Zu allem, was sich nicht sofort sparsam ordnen lasse, sollten sie bis zur Rückkehr des Herzogs schriftliche Vorschläge ausarbeiten. So wurde bald von der Pleißenburg aus Leipzig das Personal zurückgerufen.

 

Moritz tritt die Herrschaft an

Die Gruppe der Räte unter Katharina hatte nach dem Tod Heinrichs die Meinung ausgegeben, dass sich die Stellvertretung in den Staatsgeschäften durch Moritz mit Heinrichs Tode erledigt habe. Diese Gruppe um Schönberg nahm den jungen Moritz nicht sehr ernst. Der Bruder Anton von Schönbergs meinte, er wollte den Herzog Maurizischen in bart scheissen.77 Anton Schönberg nahm das Staatssiegel unter eigenen Verschluss. Ohne Zustimmung von Herzog August, in dem Schönberg den Mitregenten sehen wollte, sollte nichts geschehen.

Am 28. August 1541 kam Moritz aus Marburg nach Dresden zurück und übernahm am Folgetag die Herrschaft als regierender Fürst. Landgraf Philipp hatte ihm sinnvolle und kenntnisreiche Ratschläge für sein Verhalten mitgegeben. Moritz solle sich zunächst von den großen Städten und danach vom thüringischen und vom meißnischen Adel getrennt huldigen lassen. Er solle seine Räte aus der Zeit seines Vaters und seines Onkels Herzog Georg wählen, Anton von Schönberg aber nach Hause schicken und künftig nur für Sonderaufträge „von Haus aus“ verwenden.

Erst wenn Moritz fest im Sattel säße, solle er auf Grund genauer Abrechnung die einzelnen Räte befragen. Man wisse, was sie aus der Regentschaft Herzog Georgs an Bargeld und anderem übernommen hätten. Je nach der Ehrlichkeit solle er dann mit Heinrichs Räten verfahren. In seinen bösen Absichten sollte damit besonders Anton von Schönberg gebremst werden. Notfalls sollte Moritz die Meuterei durch Haft für Schönberg brechen. Wenn nötig, wollte der Landgraf sogar mit zunächst 500 bis 600 Reitern und schließlich mit 8000 Knechten militärisch helfen, wenn die Praktiken Schönbergs zur echten Meuterei auswüchsen.78

Seinem Bruder sollte Moritz nach den Erbverträgen und Rechten alles, wie er verpflichtet wäre, und lieber mehr geben. Außerdem möchte er einen anderen Hofmeister für August einsetzen. Philipp bemühte sich ehrlich, aus dem immer vergleichsbereiten jungen Mann einen Landesherrn mit eigener Entscheidungskraft zu machen. Ich bitt E. L. aufs freundlichst, E. L. sei selbst herr und lass sich nit in allem regiren; thut es E. L. in der erst, so musst irs Euer leben lang von den leuten und iren nachkommen haben, dass sie Euch setzen, wie sie wollen.79

Moritz und seine Eltern hatten jeder eine andere Sicht der Aufgaben eines Fürsten in seinem Lande. Heinrich fühlte sich wie die meisten Fürsten seiner Zeit als Verwalter des Fürstentums und als Landesvater. Katharina sah in der Repräsentation des Herrschers mit dem nötigen Glanz ihre Aufgabe. Sie wollte an sich selbst, in der eigenen Person, die Herrschaft sichtbar machen. Dazu mussten die Mittel des Landes beschafft und verwendet werden. Für diese Aufgaben, die das Handeln seiner Eltern bestimmten, hat Moritz auch gelebt. Er ging aber weit darüber hinaus. Er wollte das Land modern und seine Verwaltung sinnvoll und tragfähig gestalten. Ob er das als Selbstzweck ansah oder seine Lande als Basis für seine außenpolitischen Aktivitäten ausbauen wollte, ist zunächst schwer zu entscheiden. Er sah sein Land in der Gemeinschaft der Territorien des Reiches, für die er sich einsetzte. Um Konflikte zu lösen, hat er später kriegerische Aktionen gezielt eingesetzt. Er wollte politische Veränderungen herbeiführen, die dem Ausgleich dienten, vor Magdeburg 1550, vor Passau 1552, vor einem Frieden gegen Markgraf Albrecht Alkibiades 1553.

Moritz ist dem Rat Philipps gegenüber seiner machtsuchenden Mutter und auch gegenüber Anton von Schönberg gefolgt. Schon in Leipzig am 26. August sicherten ihm die Bürgermeister die Huldigung nach der Ordnung zu, wie sie bei Herzog Georg geschehen sei. Diese war nach Albrechts Erbordnung gelaufen. Die Dresdner Beauftragten von Moritz teilten mit, dass sie sofort nach dem Tode Heinrichs die Torschlüssel Dresdens an sich genommen hätten. Am 29. August vereidigte Moritz in Dresden seine neuen Räte auf sich, unter denen Räte beider Vorgänger waren. Als einer dieser Räte stand nun auch Anton von Schönberg unter Eid bei Moritz. Der Leipziger Professor Dr. Simon Pistoris wurde zum Kanzler ernannt. Sein Vorgänger Dr. Wenzeslaus Naumann aber wurde mit einer Pension von 200 Gulden entlassen. Herzog August erhielt Ernst von Miltitz als neuen Hofmeister und durfte die Schule beenden. Damit gewann Moritz den Bruder August für sich.

Die Leitung des Staates war geklärt, doch Katharina war unzufrieden.80 Entsprechend vertrat Schönberg am nächsten Tag die Haltung, dass durch das Testament Heinrichs aus dem Mai die Erbordnung Herzog Albrechts ungültig wäre. Keiner der anderen Räte folgte ihm darin.81 Der zu großzügige Umgang mit der Silberkammer, die nun leer war, und dieser Versuch, Moritz in der Herrschaft stark zu begrenzen, stürzten den Vertrauensmann Katharinas. Vor dem 7. September kam er in Haft. Moritz war in wenigen Tagen Herr des albertinischen Staates geworden.


Herzog Moritz mit Herrschaftsinsignien auf einer zeitgenössischen Ofenkachel aus Grimma

Moritz lässt sich beraten

Moritz hatte seit 1539 einen Kreis vertrauter Berater um sich gesammelt, den er nun erweiterte. Zunächst blieb Hans Löser, sein Hofmeister aus Torgauer Tagen, in seinem Dienst. Erstarb aber im Sommer 1541. Graf Kaspar von Mansfeld als Oberhofmeister ist wohl als sein Nachfolger anzusehen. Von Georg von Karlowitz übernahm Moritz schon 1540 dessen Schreiber Joachim Faust. Landgraf Philipp empfahl Georg von Karlowitz, der von Katharina und Anton von Schönberg 1539 beiseite geschoben worden war, Moritz sehr. Herzog Heinrich hatte Karlowitz nur als Rat „von Haus aus“ weiter verwendet. Er wurde für die ersten Regierungsjahre führender Rat bei Herzog Moritz. Doch in dessen Dienst behielt er immer seine reformkatholische Gesinnung. Moritz wollte darüber hinwegsehen, dass er auf Burg Kriebstein weiter Messe lesen ließ, wollte es aber am Hof nicht dulden.82


Burg Kriebstein über der Zschopau, wohin sich Georg von Karlowitz zurückzog

Georg von Karlowitz hatte seit 1522 Herzog Georg als Hofrat in Dresden gedient, nachdem er vorher Amtmann in Pirna und Sagan gewesen war. Als Enkel des Böhmenkönigs Georg von Podiebrad besaß Herzog Georg Bindungen an Böhmen. Weil Herzog Georg seine bewusst katholische Haltung in Gerechtigkeit lebte, die aus einem humanistisch gebildeten Geist wuchs, konnte sie auf seinen ganzen Hof Einfluss gewinnen. In den letzten Jahrzehnten seiner Regierung waren die Beziehungen zum katholischen Herrscherhaus der Habsburger die Grundlinie seiner Politik. Diese politische Linie verfolgte Karlowitz weiter. Er wollte wirklich dem albertinischen Sachsen dienen, im Unterschied zu vielen seiner Standesgenossen, denen die Standesinteressen zuerst am Herzen lagen.

Hatte der alte Karlowitz sich in der Verwaltung empor gedient, so absolvierte sein Neffe Christoph von Karlowitz nach Leipzig ein Studium bei Erasmus von Rotterdam in Freiburg und in Frankreich, das ihn prägte. Damit waren beide Karlowitze von einem Reformdenken im Sinne des Erasmus geprägt, das die spätmittelalterliche Kirche nicht grundsätzlich ändern wollte. Zu dieser Gruppe von Beratern gehörten zunächst auch Dr. Simon Pistoris und Dr. Ludwig Fachs. Die aber auch als Leipziger Juristen mit Georg von Komerstadt gut bekannt waren. Die beiden Leipziger Fachs und Pistoris standen seit 1541 auf der Seite von Moritz. Ihr Denken wandelte sich seit der Einführung der Reformation im albertinischen Sachsen. Sie hielten an den reformkatholischen Gedanken nicht fest.

Georg von Karlowitz bemühte sich um einen Ausgleich der Religionsparteien im Reich, der in den Jahren nach dem Augsburgischen Bekenntnis vielen noch möglich schien. Zweimal, 1535 und nochmals Anfang 1539, hatte Karlowitz führende Theologen in Leipzig zusammengebracht, um sie über einen Ausgleich zwischen beiden Konfessionen verhandeln zu lassen. Ein Ergebnis war dabei allerdings nicht erreicht worden. Nur mit dem Kaiser war der Ausgleich möglich, der ihn in den Religionsgesprächen, die besonders Anfang der vierziger Jahre bestimmend waren, und später durch direkten Zwang herbeiführen wollte. Christoph von Karlowitz war Moritz seit seinem Jahr in Halle vertraut. Er hatte sein Studium in Leipzig begonnen. Die Karlowitze wollten eine nötige Reform der bestehenden Kirche und waren auch mit Priesterehe und Abendmahl mit Wein und Hostie, Neuordnung der Klöster und der Verwaltung der Kirche einverstanden, aber sie wollten möglichst keine grundlegende Änderung der Lehre. Auch dadurch traten sie immer mehr im Chor der Räte zurück und verloren ihre führenden Stimmen unter den albertinischen Räten. Der jüngere Karlowitz war nach einem Jahrzehnt an den geheimsten Entschlüssen wie der Erhebung gegen Kaiser Karl V. nicht mehr beteiligt.

Der bewusst evangelische Dr. Georg Komerstadt war ein Gegengewicht zu den beiden Karlowitzen. Komerstadt gewann aber erst ab 1544 nach dem Ausscheiden Georgs von Karlowitz bestimmende Bedeutung. Er hatte seine Arbeit in Dresden nach 1526 schon unter Herzog Georg begonnen. Gegenüber den Offensivplänen der Ernestiner war er misstrauisch und wollte eine evangelische Neutralität, die zwischen den Mächten, zwischen dem Kaiser und den Schmalkaldenern, ein Gleichgewicht der Beziehungen suchte. Seine geistigen Wurzeln hatte von Komerstadt in der Leipziger juristischen Fakultät. Er hatte dort studiert und promoviert, ehe er Stadtsyndikus in der evangelischen Stadt Zwickau wurde und schließlich in den Dienst Herzog Georgs trat. Komerstadt setzte noch unter Herzog Georg 1536 mit Jakob Klappe einen evangelischen Pfarrer in seinem Patronatsdorf Niederebersbach ein, indes auf Burg Kriebstein bei Karlowitz weiter die Messe gelesen wurde. Auf seinem Renaissancegrabmal aus Sandstein in der Kirche zu Reinersdorf (siehe Abb. S. 47), das wohl auf seinen Wunsch zurückgeht, liegt Georg Komerstadt betend, wobei sein Kopf von Büchern gestützt ist. Er blickt auf eine Darstellung der Kreuzigung, die von den Figuren der Liebe und des Glaubens flankiert ist.83 Damit stellte er sich als glaubender und gelehrter Rat dar.

Um Komerstadt haben sich offenbar Absolventen der Universität Leipzig versammelt. Damian von Sibottendorf war Geheimschreiber von Moritz und ab 1549 der Schwiegersohn Komerstadts. Er löste wohl Joachim Faust als Schreiber bei Moritz ab. Später war Wolf Koller ähnlich wie der ältere Karlowitz vom Amtmann zum fürstlichen Rat und zum Oberhauptmann des Thüringischen Kreises avanciert. Franz Kram stieg vom Rat und Gesandten am kaiserlichen Hof zum Professor in Leipzig auf.

Der gelehrte Dr. Melchior von Ossa arbeitete gern für Moritz als Rat von Haus aus gegen gute Dotationen, solange nicht die mühevollen Reisen nötig waren. Er war von galliger Gemütsart und hatte vielleicht gehofft, vor Mordeisen in Dresden Kanzler zu werden, was sein Urteil beeinflusste. Körperliche, aber auch psychisch begründete Krankheiten machten ihm manche Gesandtschaft im Dienste von Moritz schwer.

1549 vertraute der kluge Jurist Melchior von Ossa seinem Tagebuch an, dass am albertinischen Hofe in Dresden zwei Rätegruppen in den Anhängern der Karlowitze und in denen Komerstadts bestünden, die sich heftig bekämpften. Wer einer der beiden Gruppen etwas zu Gefallen tue, lüde sofort die andere auf sich. Er sei froh, dort nicht im Dienst sein zu müssen. Wahrscheinlich hatte Ossa eine Stellung als anwesender Rat in Dresden erhofft, die ihm Georg von Karlowitz vorgemalt hatte, nun schilderte er die Trauben, die ihm zu hoch gehangen hatten, als sauer.84 Ossa überzeichnet die Verhältnisse, denn Georg Komerstadt verfasste vor 1545 die meisten Entwürfe für wichtige Briefe von Karlowitz. Das lässt nicht auf eine totale Feindschaft schließen. Komerstadt hat sie anscheinend verfasst und Karlowitz dann zur Unterschrift vorgelegt, dieser hat nicht diktiert. Aus diesem Brauch und den daraus wachsenden Kenntnissen konnte Komerstadt nach 1544 ohne Mühe den Platz von Karlowitz einnehmen.

 

Es bestand eher der Unterschied zweier Generationen der Politik als der bewusste harte Gegensatz von Bekenntnissen. Georg Komerstadt war 18 Jahre jünger als Georg Karlowitz. Die Gruppe hinter den beiden Karlowitzen trat allmählich von der wichtigen Politik zurück, während die um Georg von Komerstadt an Einfluss gewann. Schon 1542 konnte Kurfürst Johann Friedrich die Einsetzung des Julius Pflug, des Schwagers von Georg von Karlowitz, zum Bischof in Naumburg verhindern. Georg von Karlowitz zog sich Anfang 1545 wegen seines Alters von weit über 60 Jahren auf seine Burg Kriebstein im Zschopautal zurück und diente als Rat „von Haus aus“. Diese Räte lebten auf ihren Besitzungen und waren jeweils für besondere Gesandtschaften oder andere Aufträge bei einer jährlichen Besoldung bereit.

Zu seinem harten Urteil war Ossa sehr persönlich motiviert. In seinem Tagebuch 1549 schildert er in einem Traum, was ihn innerlich umtrieb. Ihm erscheint der große Dr. Georg Komerstadt, der ihn überwältigt und würgt. In dem Kampf gerät der gewürgte Ossa in höchste Todesangst. Es hilft dem bösen Komerstadt noch ein kleinerer Mann. Dieser muss, so deutet es sich Ossa, Dr. Fachs gewesen sein. Aber Ossa wehrt sich heftig. Er kann – träumend – dem Kleinen schließlich den Hals umdrehen.85 Dahinter stand Ossas Erfahrung der Jahre seit 1547. Er hatte sich Hoffnung gemacht, albertinischer Rat in Dresden zu werden. Georg von Karlowitz scheint ihm dieses in einem Gespräch während des Landtages nach Weihnachten 1548 nochmals eingepflanzt zu haben. Aber Komerstadt und Fachs als die seit 1545 bestimmenden Räte in Dresden haben den Aufstieg Ossas verhindert. Ludwig Fachs verwaltet in der Interimszeit 1548 die Kanzlerschaft. Weil er sie aber schon im März 1549 wieder verliert,86 kann Ossa träumen, ihn besiegt zu haben. Nach allem, was wir wissen, hat Herzog Moritz den Unterschied der beiden Rätegruppen beherrscht und genutzt. 1553 bilden Komerstadt und Fachs wieder eine Meinungsgruppe, die den Krieg mit Markgraf Albrecht Alkibiades nach dem Tode des Kurfürsten beenden will. Dagegen wollten Mordeisen, Heideck und Christoph von Karlowitz zusammen mit König Ferdinand den Krieg wohl bis zu einer Unterwerfung des Markgrafen fortsetzen.87


Grabmal des Georg von Komerstadt in der Kirche Reinersdorf bei Großenhain

Anfang 1546 kam der aus Leipzig stammende hochgebildete Dr. Ulrich Mordeisen zu Moritz.88 Er war bis dahin Juraprofessor in Wittenberg und zuletzt auch Rektor der wichtigsten evangelischen und größten Universität im Reich. Hatte er als friedfertiger Mann den ernestinischen Kurs der aktiven Verteidigung des evangelischen Glaubens durch die Fürsten des Schmalkaldischen Bundes nicht gebilligt? Er wurde zuerst Rat und im März 1549 Kanzler in Dresden. Er suchte immer den Ausgleich.89 Ebenso wechselte Sebastian von Wallwitz 1545 aus dem ernestinischen in den albertinischen Dienst.

Auch Franz Kram ist im Jahr 1545 zum Dienst bei Herzog Moritz angeworben worden. Kram hatte in Leipzig studiert und wurde dort schließlich Juraprofessor. Seine erste Aufgabe war eine Erkundungsreise für Moritz nach Süddeutschland, Venedig und weiter nach Rom. Er gewann ab 1548 besonders als Gesandter Kursachsens am kaiserlichen Hof Bedeutung, wo er durch direkte Beziehungen zum kaiserlichen Schreiber Paul Pfintzing, der aus Leipzig stammte, manches vor der Veröffentlichung erfuhr. Er nannte Pfintzing einige Mal „mein Kind“. War er Pate von Pfintzing? Auch bei Anton Fugger hatte Kram Schulgenossen, die ihn von Augsburg nach Venedig empfahlen.90 Georg Komerstadt wird ab 1545, sicher in der Kirchen- und Bildungspolitik, für eine Verstärkung des Wittenberger Einflusses gesorgt haben.

Ernst von Miltitz, blieb im Hintergrund. Er war seit 1524 im Dienst Herzog Georgs aufgestiegen. Von 1538 bis 1540 war er Amtmann in Meißen. Die Familie Miltitz besaß mit Scharfenberg eine Burg mit einem kleinen, einträglichen Silberbergbau. Dadurch konnte Ernst von Miltitz aus dem Besitz der aufgelösten Klöster 1543 einen größeren Teil seines eigenen Besitzes erwerben.91 In der Zeit von Moritz befand sich der Miltitzsche Familiensitz in Batzdorf bei Scharfenberg, später in Siebeneichen, am Rande des Elbtals bei Meißen. Er konnte 1544 einen großen Festsaal in Batzdorf bauen. Durch den Bergbau in seiner Familie war er wirtschaftlichen Umgang mit Geld gewohnt. Er gewann als Kämmerer durch die Verwaltung der Staatsfinanzen, die sich unter Moritz sehr ausweiteten, große Bedeutung.

Miltitz war gewissermaßen der Finanzminister, denn er verwaltete die Silberkammer, d. h. Silberschätze und Barvermögen. Er hatte die Abrechnung der Amtleute zu überwachen.92 Auch bei den Fürstenschulen wird seine Arbeit den Finanzen gegolten haben. Auf den Leipziger Messen sorgte Miltitz in guter Zusammenarbeit mit Leipziger Kaufleuten für die Beschaffung der Kredite und den Schuldendienst.

In den ersten Regierungsjahren war Miltitz für Moritz wichtig als Hofmeister vom Bruder Herzog August. Bei der Gründung der Fürstenschulen stand er neben Komerstadt. Miltitz wurde schon 1543 nach Prag geschickt, um für Sachsen mit dem König über die Münzeinheit, d. h. den einheitlichen Münzwert, zu verhandeln.93


Wappen und Bauinschrift des Ernst von Miltitz am großen Festsaal seines Schlosses Batzdorf, 1544

Mit August war Miltitz ab Frühling 1542 in Prag am Hof König Ferdinands. Dieser nahm August 1543 auch mit zum Reichstag in Nürnberg. Dort musste Miltitz ihn suchen, weil er einen längeren Abstecher zur Schwester Emilia nach Ansbach machte. Als August das Amt des weltlichen Verwalters des Bischofsamtes in Merseburg antrat, wurde Miltitz von seiner Aufgabe als Erzieher frei. Seit 1547 war Miltitz Oberhauptmann des Meißnischen Kreises.

In den letzten Tagen des Schmalkaldischen Krieges war es Miltitz wohl lieb, dass er krank war und deshalb sein Haus nicht verlassen konnte.94 Ein Jahr später ging er auf eine Badereise nach Teplitz, wozu ihm Moritz seine Anteilnahme sagte.95

Der Schwiegersohn von Ernst von Miltitz, Heinrich von Gleisenthal, war zwar nur Amtmann in Gräfenhainichen, aber er wurde zur ungemein schwierigen, hochgeheimen Gesandtschaft verwendet, mit welcher Moritz engen Kontakt zum französischen König Heinrich II. aufnahm. Aus diesen Beziehungen wuchs 1552 der wichtige Vertrag von Chambord. Miltitz hat demnach von Anfang an Kenntnis von den Plänen zum Fürstenkrieg gehabt.

Das Studium in Leipzig hat die Mehrzahl der Räte um Moritz verbunden. Auch der geheime Schreiber Johann Jenitz kam aus dieser Stadt. Der offene Geist der Handelsstadt, deren juristische Fakultät sich früh dem Humanismus zugewandt hatte, hat die meisten Räte um Moritz geprägt. Die Denkweise eines christlichen Humanismus, bei Mordeisen des Wittenberger Bibelhumanismus Melanchthons, verband die Räte zu einheitlichem Denken. Auch Moritz war in Kindheit und Jugend in Halle, Dresden und Torgau davon geprägt worden. Georg von Karlowitz war eine Ausnahme unter den in Leipzig ausgebildeten Räten. Vielleicht auch weil er sich, der ältere Mann von Adel, unter den jüngeren auf der Universität gebildeten, zum Teil bürgerlichen Räten nicht ganz wohl fühlte, ist er aus dem direkten Hofdienst ausgeschieden.

Moritz wusste sich fähig, Umstände und Möglichkeiten zu begreifen und Lösungswege zu erkennen. Er selbst hatte wie bisher üblich tiefere Kenntnisse weithin nur durch Zusehen und Mitarbeiten bei bestimmten Abläufen etwa der Dresdner Verwaltung erworben. Er wollte aber in seinem Staate bei den jungen Menschen eine direkte, weitgreifende humanistische Ausbildung dem praktischen Erwerb von Kenntnissen vorangehen lassen. 1543 begann deshalb sein intensives Bemühen um die neue Gestaltung der Bildung in seinem Lande. In seinen Stab nahm er als Nachwuchs daher ihm gleichaltrige junge Männer auf, die eine wissenschaftliche Ausbildung besaßen wie Ulrich Mordeisen, Franz Kram, Johann Jenitz.