Green New Deal als Zukunftspakt

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Gemeinsame Ursachen

Welche Konsequenzen sind aus einem epochalen Ereignis wie der Coronakrise zu ziehen? Die Deutungskämpfe haben begonnen. Zu den irrlichternden Versuchen gehörte die gleich im ersten Lockdown gestreute Behauptung, die Klimafrage müsse man nun hintanstellen, immerhin gäbe es jetzt wirklich wichtigere Probleme. Offensichtlich hofften einige darauf, dass sie das ihnen lästige Thema Klimaschutz loswerden könnten, das ihnen nicht nur in Talkshows, sondern auch zu Hause am Frühstückstisch von den eigenen Kindern immer wieder aufs Butterbrot geschmiert wird. Die Gefahren von Covid-19 mögen zumindest derzeit in Deutschland deutlich näher wirken als die Folgen des Klimawandels, doch das Schmelzen der Pole und Gletscher hört ja nicht auf, weil ein neues Virus wütet. Vielmehr gibt es einen direkten Zusammenhang zwischen unserem Umgang mit der Natur, unserer Art zu wirtschaften und dem Auftreten neuer [27] sogenannter zoogenetischer Erreger und den Krankheiten, die sie auslösen: „Mehr als zwei Drittel der Erreger, die Epidemien wie Ebola, Zika oder die Vogelgrippe auslösten, stammen ursprünglich von Wildtieren, die in tropischen Regionen heimisch sind. Werden diese Lebensräume zerstört, ‚führt das zu einem Verlust der Artenvielfalt und verändert die Zusammensetzung der Säugetierpopulationen‘, erklärt die Virologin Sandra Junglen[.] […] ‚Wenn mehr Tiere einer Art im selben Lebensraum vorkommen, können sich Infektionskrankheiten zwischen den Tieren einer Art besser verbreiten.‘ Die verbliebenen Tiere verlagern außerdem ihre Lebensräume und nähern sich denen der Menschen an.“13 Je enger der Lebensraum für Wildtiere wird, je geringer die Biodiversität ist, umso eher kann ein Erreger auf den Menschen übergehen. Die Vernichtung von Ökosystemen macht unsere Welt krisenanfälliger. Und so gesehen können auch Pandemien, nicht nur Finanzkrisen, in die Kategorie der Krisen fallen, die durch das Wirtschaftssystem befeuert werden, auch wenn für die aktuelle Pandemie keine Bad Bank oder toxische Kreditgeschäfte direkt verantwortlich sind. Es ist also kein Zufall, wenn von heute aus betrachtet die Nachrichten der letzten 15 Jahre wie der Vorspann eines dystopischen Films wirken: Erst Finanzkrise, dann die zunehmenden weltweiten Fluchtbewegungen, die Gefährdung der [28] Demokratie von rechts, schließlich die in das öffentliche Bewusstsein brechende Klimakatastrophe, dazwischen immer wieder militärische Eskalationen und Aufrüstung – und nun solch eine massive Gesundheitskrise. Diese Ereignisse hängen auf komplexe Art zusammen und verstärken sich gegenseitig. Ohne die chronische Unterfinanzierung der Gesundheitssysteme wäre das Virus nicht so eine Gefahr. Ohne weltweiten Handel und Tourismus hätte es sich nicht so schnell verbreitet.

Die Corona- und die Klimaleugner haben also in einem recht: Wer nachhaltig den Klimakollaps vermeiden und Corona bekämpfen will, kommt an einer Jahrhundertaufgabe nicht vorbei – die Überwindung der herrschenden Wirtschaftsweise,14 die auf der doppelten Ausbeutung von Mensch und Natur basiert. Wenn die Gesellschaft krisenfester ausgestaltet werden soll, muss das an den Wurzeln der Probleme geschehen. Das ruft naturgemäß Gegenwehr und Gegenwind hervor. Rechtspopulisten, Klimawandelleugner und Verschwörungstheoretiker zeugen davon, ebenso die Beharrungskräfte der Kapitalseite und des politischen Establishments, die es sich in ihrem Schatten bequem machen können. Das erfordert Mut zum [29] Konflikt.15 Die gute Nachricht ist, dass wir uns dabei von einem historischen Beispiel inspirieren lassen können.

1Seminar an der London School of Economics am 2. Februar 2021 mit Prof. Schellnhuber, Katja Kipping und Vertretern von Vonovia zu „Balancing Environmental and Social Sustainability: Real Estate and Housing Markets in Transition“. [Fremdsprachige Zitate sind, wenn nicht anders angegeben, von den Verf. übersetzt.]

2Jan Fleischhauer, „Das Covid-Kommando“, https://www.focus.de/politik/deutschland/schwarzer-kanal/die-focus-kolumne-von-jan-fleischhauer-das-covid-kommando-corona-bringt-ans-licht-wie-autoritaer-deutschlands-linke-ist_id_12900536.html [Letzter Zugriff: 20.5.2021].

3Ebd.

4Zit. nach Klein, Warum nur ein Green New Deal unseren Planeten retten kann, S. 85ff.

5Im Fall dieser beiden Begriffe verzichten wir auf das Gendern, schließlich sind diese Szenen männlich dominiert. Natürlich sind dort auch viele Frauen aktiv. Doch da diese Szene der gendergerechten Sprache feindlich gegenübersteht, bedeutet das Engagement dort auch die Entscheidung dagegen, als Frau grammatikalisch in Erscheinung zu treten.

6Dieser Begriff wurde wesentlich von Stephan Lessenich in seinem Buch Neben uns die Sintflut (Berlin: Hanser 2016) geprägt, dessen zentrale These lautet: „Kapitalistische Gesellschaften sind Externalisierungsgesellschaften, allerdings in historisch wechselnder Gestalt und in immer wieder sich wandelnden Mechanismen.“ (S. 26). Und dies hat seinen Preis.

7Zitiert nach Klein, Warum nur ein Green New Deal unseren Planeten retten kann, S. 93.

8Katja Kipping, Bernd Riexinger, Dietmar Bartsch u.a., „Für einen solidarischen Lockdown“, https://www.die-linke.de/start/nachrichten/detail/fuer-einen-solidarischen-lockdown/ [Letzter Zugriff: 20.5.2021].

9Lebenslagen in Deutschland – der Sechste Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, 2021, S. 348. https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/Soziale-Sicherung/6-arb-langfassung.pdf;jsessionid=DF08C5292F5CE516E4DD31AC3B7C7A7B.delivery1-replication?__blob=publicationFile&v=3, [Letzter Zugriff: 23.5.2021].

10Anja Krüger, „Klima- und Arbeitskampf vereint“, https://taz.de/Verdi-und-Fridays-for-Future-fuer-OePNV/!5667797/ [Letzter Zugriff: 20.5.2021].

11Union for Future, „Sozial-ökologische Wende für alle“, Aufruf der sozialen Plattform Klimaschutz vom 26.11.2019. https://tk-it-nrw.verdi.de/themen-und-kampagnen/nachrichten/++co++9e8da6e0-10f0-11ea-abbc-525400f67940 [Letzter Zugriff: 23.5.2021].

12Samuel Beckett, Warten auf Godot, in: Dramatische Werke 1, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1995, S. 9–99.

13Kathrin Hartmann, „Das kommt nicht von außen. Was Epidemien mit der Zerstörung intakter Ökosysteme durch den Menschen zu tun haben“, Der Freitag 12/2020, https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/das-kommt-nicht-von-aussen [Letzter Zugriff: 20.5.2021].

14In ihrer Komplexität beschreiben Ulrich Brandt und Markus Wissen die aktuellen Nord-Süd-Beziehungen und ihre Auswirkungen auf das Produktions- und Konsumverhalten der Menschen. Sie entwickeln damit ein einleuchtendes Bild einer doppelten Unterdrückungsstruktur für Menschen mit niedrigeren Einkommen einerseits und zwischen den Industrienationen und den Rohstoffe liefernden Ländern des Südens andererseits. Vgl. Ulrich Brandt, Markus Wissen, Imperiale Lebensweise. Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalismus, München: oekom 2017.

15Diesen Ansatz verdanken wir dem lesenswerten Buch von Steffen Lehndorff, New Deal heißt Mut zum Konflikt. Was wir aus Roosevelts Reformpolitik der 1930er Jahre heute lernen können, Hamburg: VSA 2020.

[30] 3. MUT ZUM KONFLIKT: DER HISTORISCHE NEW DEAL
Am Anfang war ein Paukenschlag

Die Amtszeit von Franklin D. Roosevelt begann mit einem Paukenschlag oder, besser gesagt, mit einem Aufschlag, der musikalisch an die aufbrausenden ersten Takte von Beethovens 5. Symphonie, auch bekannt als „Schicksalssymphonie“, erinnert. Direkt nach seinem Amtsantritt ließ der neue Präsident alle Banken für vier Tage schließen. Diese Tage nutzte die Regierung, um die Stabilität der Banken zu prüfen und um der Bevölkerung zu erklären, wie sie die Ursachen der Bankenkrise beheben wolle. Roosevelt antwortete 1933 auf die Wirtschaftskrise in den USA mit einem New Deal, der die US-amerikanische Gesellschaft revolutionierte. Zur Erinnerung: New Deal hat im Englischen mehrere Bedeutungen: Es heißt nicht allein „neues Geschäft“, ein sprichwörtlicher „Deal“, sondern es meint umgangssprachlich auch ein „neues Geben“ im Kartenspiel, also ein neues Spiel.

Dieser New Deal, diese Reihe an Programmen, ist eng mit dem Präsidenten Franklin D. Roosevelt verbunden, und sein Verdienst daran ist groß. Doch natürlich waren an diesem Prozess viele beteiligt. Stellvertretend für die vielen Beteiligten sei hier Frances Perkins erwähnt, die erste Ministerin in der Geschichte der USA. Als Arbeitsministerin kämpfte sie für besseren Schutz der Beschäftigten und für soziale Sicherheiten. [31] Der schreckliche Brand in einer Textilfabrik im Jahr 1911 in New York, bei dem 146 Menschen, darunter vorrangig Mädchen aus Familien mit Migrationsgeschichte, starben, prägte sie nachhaltig. Ihr ganzes Leben lang setzte sie sich für bessere Arbeitsbedingungen und kürzere Arbeitszeiten ein. Auf Widerstände reagierte sie unerschrocken. Damit steht sie für einen wesentlichen Aspekt des historischen New Deal, so dass im Folgenden vom New Deal unter Roosevelt und Perkins die Rede sein wird.1

 

DAMNATION – Einblicke in eine streikreiche Zeit

Um das Ausmaß und die Bedeutung ihres Vorhabens wirklich erfassen zu können, gilt es, sich in die US-amerikanische soziale Realität der 1930er Jahre zurückzuversetzen. Faktisch gab es zu jener Zeit keine sozialen Sicherungsnetze. Rabiate und kaum begrenzte Ausbeutung herrschte vor. Farmer:innen drohte beständig der Verlust ihres Landes und damit ihrer Lebensgrundlage. Überall kam es zu Streiks, während die Konzerne und Unternehmen gezielte Methoden zur Niederschlagung dieser Streiks entwickelten. Nicht nur, dass sie verdeckt Streikbrechende einsetzten, sie heuerten auch Spione, Provokateure und kriminelle Schlägerbanden an, die [32] mit Intrigen und gezielter Gewalt die Kämpfe um soziale Verbesserungen sabotierten. Die 2017 produzierte Fernsehserie DAMNATION fängt diese kriminellen Sabotagemethoden und Auseinandersetzungen gut ein.2

Im Zentrum der Serie stehen Seth und Amalia Davenport, die sich als ein Prediger und seine Ehefrau ausgeben, um, mit der Autorität der Kirche ausgestattet, die gebeutelten Farmersfamilien zum Widerstand gegen die Industriellen zu ermutigen. Filmisch bietet dieser Plot amüsante Episoden, wenn beim gemeinsamen Speisen in der Kirche die Worte der Bibel plötzlich eine aufrührerische Interpretation bekommen, die aber salbungsvoll von der Frau des Pastors in weißen Handschuhen vorgetragen werden. Ihre Gegenspieler:innen sind der auf sie angesetzte Streikbrecher Creeley Turner und die auf die Sabotage von Streiks spezialisierte Spionin Connie Nunn. Natürlich ist die Serie mehr als ein Sittengemälde der 1930er Jahre, dafür sorgen Szenen in Westernmanier und Handlungsverwicklungen im Stil eines Familiendramas; etwa wenn der alte Sheriff, der sein ganzes Leben lang Bessie, seine uneheliche Tochter mit einer Schwarzen Frau, verleugnete, zu ihrem Schutz als letzte Amtshandlung nach seiner Abwahl die Köpfe der örtlichen Ku-Klux-Klan-Variante (die schwarze Kapuzen tragende Schwarze Liga) erledigt. Zugleich vermittelt die Serie einen guten Eindruck von der sozialen Lage auf dem Land in den 1930er Jahren. Und tatsächlich orientiert sie sich am realen Streikgeschehen der US-amerikanischen [33] Farmers’ Holiday Association-Bewegung aus den frühen 1930er Jahren.

Erfolge des New Deal

In diesem gesellschaftlichen Setting, angesichts einer massiven Wirtschaftskrise, die unzählige Menschen arbeitslos machte, wagten die New Dealer:innen einen Aufbruch. „Give me your help not to win votes alone, but to win in this crusade to restore America to its own people.“3 Es geht nicht nur darum, Wählerstimmen, sondern einen Kreuzzug zu gewinnen – so lautete Roosevelts Ansage direkt nach der Nominierung 1932. Er wiederholte dies vier Jahre später bei seiner berühmten Rede im Madison Square Garden.

Zu den ersten Beschlüssen seiner Regierung gehörten Maßnahmen zur Regulierung des Bankensektors, wie die Einführung eines Trennbankensystems. Dabei handelt es sich um ein wichtiges Mittel, um Finanzmärkte gegen Krisen abzusichern. Die Abschaffung dieses Systems im Jahr 1999, ausgerechnet unter dem demokratischen Präsidenten Bill Clinton, hat wahrscheinlich die Entstehung der Finanzkrise 2007 mit befördert. Kurz darauf folgten Maßnahmen zur Regulierung des Marktes für Agrarprodukte wie die Sicherung eines Mindestpreisniveaus. Die Bedeutung dieses Instrumentes wird auch in der Fernsehserie DAMNATION [34] gut nachvollziehbar, da auf einprägsame Weise anschaulich wird, welche fatalen sozialen Auswirkungen das Fehlen eines Mindestpreisniveaus für die Farmerfamilien hatte.

Rund zehn Millionen Arbeitslose fanden im Zuge des New Deal eine Beschäftigung, unzählige Straßen und Häuser wurden gebaut. Zu den Erfolgen der Regierungsprogramme gehörte, dass ein Großteil der ländlichen Gebiete erstmals einen Anschluss ans Stromnetz erhielt. Von dem heute so notwendigen klimaneutralen Bauen war damals noch keine Rede. Allerdings würde man dem New Deal unrecht tun, wenn man ihn als reines Beton- und Zement-Projekt charakterisierte. Immerhin wurden 2,3 Millionen Bäume gepflanzt und achthundert neue staatliche Parks geschaffen.4 Der Rückgang der Arbeitslosigkeit geht vor allem zurück auf die Civil Works Administration, also auf öffentliche Beschäftigungsgesellschaften, die neue Jobs im Zuge der vielen öffentlichen Baumaßnahmen schufen.

Heute müsste eine solche Arbeitsmarktpolitik natürlich viel weitergehenden Anforderungen an Sozialpflichtigkeit, Freiwilligkeit und guten Arbeitsbedingungen Rechnung tragen. Entscheidend für den Charakter des New Deal war aber der enorme Umfang der öffentlichen Investitionen. Innerhalb von sieben Jahren wurden 42 Milliarden US-Dollar eingesetzt.5 [35] Das entsprach damals pro Jahr ca. 7,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Übertragen auf Deutschland wären das heute rund 250 Milliarden Euro pro Jahr.6 Zum Vergleich: Der gesamte Bundeshaushaltsplan für 2021 umfasst insgesamt 498,6 Milliarden Euro, also ungefähr das Doppelte. In einem Dreiklang aus sozialen Hilfen, staatlichen Investitionen und der Regulierung der Finanzmärkte holte das Team der New Dealer:innen um Roosevelt und Perkins nicht nur Millionen Menschen aus Armut und ökonomischer Unsicherheit, sondern stärkte zugleich auf Jahrzehnte das demokratische Gemeinwesen in den USA durch eine offensive Sozialpolitik. Damit immunisierte es die Gesellschaft auch gegen die Sirenengesänge faschistischer Demagog:innen.

Was (womöglich) abgewendet wurde

Auch in den USA gab es in den 1920er und 1930er Jahren starke extrem rechte Strömungen. Ein gutes Bild davon zeichnet der Schriftsteller Philip Roth in seinem 2004 erschienenen Roman Verschwörung gegen Amerika.7 Roth entwirft eine erschreckend anders verlaufende Geschichte der USA. In dieser Fiktion gewinnt statt Roosevelt der Fliegerheld, Hitlerfreund und Antisemit Charles Lindbergh 1940 die Präsidentschaftswahlen. Welche Auswirkungen das auf die in den USA [36] lebenden Juden und Jüdinnen hat, wird im Roman aus der Perspektive des neun Jahre alten Sohns der jüdischen Familie Roth erzählt. Im Buch bleibt die Wahl von Lindbergh nicht ohne Auswirkungen auf den Verlauf des Zweiten Weltkrieges, da sich die USA in Richtung einer Achsenmacht entwickeln. Die antisemitische Stimmung im Land wird angeheizt.

Nicht nur heutige Schriftsteller entwerfen rückblickend solche politischen Horrorszenarien. Bereits in den 1930er Jahren schrieb der Literaturnobelpreisträger Sinclair Lewis seinen Roman Das ist bei uns nicht möglich (It can’t happen here, im Original).8 In Lewis’ Roman übernimmt der frisch gewählte Präsident Berzelius „Buzz“ Windrip nicht nur nach seiner Wahl das Weiße Haus, sondern mithilfe einer paramilitärischen Truppe, der Minute Men, die umfassende Kontrolle über das gesamte Land. Der Unmut über soziale Verwerfungen, der sich in der Liga der vergessenen Männer manifestiert, aber auch die Unfähigkeit der Demokrat:innen im Umgang mit diesen – all das spielt im Roman dem Kandidaten Windrip bei den Wahlen in die Hände. Insofern handelt dieses Werk auch von der „Krise des Liberalismus“ in den 1930er Jahren.9 Teile der Liberalen wiegten sich damals in Sicherheit, ignorierten die soziale Not und suchten noch nicht einmal nach einem erfolgversprechenden Umgang mit dem aufkommenden Faschismus. Auch wenn ein neues Jahrhundert angebrochen ist: Sich in falscher [37] Sicherheit zu wiegen, kann immer noch zu einem bösen Erwachen führen.

Statt der versprochenen Mittel für Arme kommen unter Windrip Arbeitslager sowie Repressionen und Hinrichtungen für alle, die sich nicht einordnen wollen. Während Philipp Roth den sich schleichend ausbreitenden Antisemitismus in seiner Dystopie durch die Augen eines jüdischen Jungen beschreibt, steht im Mittelpunkt von Lewis’ Roman der liberale Journalist Doremus Jessup. Er, der sich an guten Artikeln und kulinarischen Genüssen erfreut und so gar nicht zum tapferen Helden eignet, wird durch die Ereignisse in den Untergrund getrieben. Zwischendurch landet er im Gefängnis und muss nach seiner Befreiung ins Exil nach Kanada fliehen. Ob dieser Kampf im Untergrund erfolgreich ist, bleibt bei Lewis offen.

Wie Verschwörung gegen Amerika basiert auch Lewis’ Roman auf intensiven Studien von realen politischen Akteuren. So gibt es Ähnlichkeiten zwischen dem fiktiven Windrip und dem demokratischen Senator und Präsidentschaftskandidaten Huey Long, der als radikaler Populist galt und sich den Ruf eines Hillbilly-Helden erwarb. Zudem wurde das literarische Schreiben von Lewis inspiriert durch die Beobachtungen und Analysen seiner damaligen Frau Dorothy Thompson, einer politischen Journalistin, die auch Adolf Hitler interviewte und die über die Fügsamkeit der Liberalen angesichts dieser Bedrohung zutiefst besorgt war.

Zum Glück handelt es sich sowohl bei der Wahl des Antisemiten Lindbergh wie bei der Machtübernahme durch Windrip nicht um Kapitel im Geschichtsbuch, [38] sondern um literarische Fiktionen. Aber es sind Fiktionen, die zeigen, dass die Geschichte auch anders hätte laufen können – und es deshalb darauf ankommt zu handeln. Ob sich ohne den New Deal der tatsächliche Geschichtsverlauf den literarischen Dystopien angenähert hätte, ist eine rein spekulative Frage. Doch die Verantwortung dafür, dass die extreme Rechte niemals wieder die Chance bekommt, die Staatsmacht an sich zu reißen, tragen wir auch heute. Mit der Präsidentschaft Trumps war diese Gefahr in den USA bereits nahe gekommen.

Keine ungebrochene Held:innengeschichte

Der New Deal unter Roosevelt und Perkins war ein Produkt seiner Zeit. Das erklärt einige seiner Leer- und Schwachstellen.10 Klimaschutz und Bewusstsein für die Endlichkeit von Ressourcen waren im politischen Diskurs wenig präsent. Insofern wurde mit den verschiedenen Programmen nicht vorrangig die Natur geschützt, als vielmehr der Ressourcenverbrauch angekurbelt. Hierin wie auch in anderen Aspekten entsprach der historische New Deal sehr deutlich einem traditionellen Produktivitätsparadigma. Entsprechend bestehen die Parallelen zwischen dem historischen New Deal und den aktuell diskutierten Green New Deals vor allem im Hinblick auf den Umfang des [39] Umbaus sowie in dem Bestreben, Krisen zu entschärfen. Wenig überzeugend ist hingegen die Kritik, der New Deal habe nur der Beruhigung der Arbeiter:innen gedient und damit eine antikapitalistische Revolution, die angesichts der vielen Streiks in der Luft gelegen habe, verhindert. Diese These ist schon angesichts der damals sehr realen Gefahr, dass die Stimmung in Richtung Faschismus kippt, höchst fragwürdig. Doch auch grundsätzlich ist es keineswegs ausgemacht, dass Verelendung zu Widerstand oder fortschrittlichen Positionen führt. Wenn man die Logik dieser Argumentationslinie konsequent zu Ende denkt, wäre jede Sozialkürzung ein Instrument gegen den Kapitalismus. Daraus kann keine produktive Strategie für fortschrittliche Kräfte entstehen. Lernen lässt sich aus einer solchen Kritik aber, dass sozialpolitische Maßnahmen nicht allein im Hinblick auf eine materielle Verbesserung zu diskutieren sind, sondern auch im Hinblick darauf, ob sie Menschen in die Lage versetzen, über ihr Leben weitergehend selbst zu bestimmen und ob sie Selbstorganisation und Solidarität befördern – oder eben nicht.

Verschiedene Green-New-Deal-Konzepte des 21. Jahrhunderts nehmen außerdem die Situation der Indigenen Bevölkerung in den Blick. Sie zielen auf die Anerkennung von Indigenen Landrechten und die Beendigung von rassistischen Diskriminierungen. Im New Deal vor 90 Jahren spielten die Wiedergutmachung des an den Native Americans begangenen Unrechts sowie die Überwindung des Rassismus noch keine Rolle. Vielmehr führten Staudammbauten wie das [40] Tennessee Valley Projekt zur Vertreibung von vielen Indigenen Familien. Die negativen Auswirkungen, die große Bauprojekte wie Autobahnen naturgemäß mit sich bringen, trafen weniger die Wohngegenden der Weißen, sondern zerschnitten vorrangig die Lebensorte der migrantischen Bevölkerung. Soziale Verbesserungen aus den New-Deal-Programmen waren wiederum so angelegt, dass Schwarze, Natives und People of Color oft ausgeschlossen waren. Das lag nicht daran, dass diese Programme offen rassistisch angelegt waren – damit würde man Roosevelt und Perkins unrecht tun –, sondern daran, dass sie den Lebensumständen dieser Gruppen nicht Rechnung trugen. Beispielsweise waren die neuen Sozialsysteme nicht zugänglich für Menschen in Haushaltsjobs. Just in diesem Sektor arbeiteten jedoch vorrangig Afroamerikaner:innen, die somit kaum von den sozialen Verbesserungen profitierten.

 

Den New Deal als lupenreine Held:innengeschichte zu erzählen wäre also historisch falsch. Und es würde uns den Blick auf wichtige Erkenntnisse verstellen, die sich – quasi ex negativo – aus ihm gewinnen lassen. Auf den Merkzettel für alle anstehenden sozialökologischen Umbaukonzepte gehört deshalb, dass die Rechte von Minderheiten, von Flüchtenden und Migrant:innen kein blinder Fleck sein dürfen. Die wichtigen Perspektiven, die diese Menschen in einen Green New Deal einbringen können, dürfen nicht ignoriert werden.

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