Johann Wolfgang von Goethe: Gesammelte Dramen

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

SCHNAPS. Das ist mir lieb zu hören.

MÄRTEN. Nehmt doch einen kleinen Topf, wenn's ja sein soll.

SCHNAPS. Nein, ich brauche den größten zu meinem Exempel.

MÄRTEN. Nun, so sag ich Euch kurz und gut, daß ich von allem dem Zeuge nichts wissen will.

SCHNAPS. So!

MÄRTEN. Und daß Ihr Euch aus dem Hause packen könnt.

SCHNAPS. Ei!

MÄRTEN. Und daß ich ganz und gar nichts hören will.

SCHNAPS. Ihr wollt nichts hören?

MÄRTEN. Nein.

SCHNAPS. Ihr wollt nichts wissen?

MÄRTEN. Nein.

SCHNAPS. Nichts annehmen?

MÄRTEN. Nein.

SCHNAPS zieht den Säbel. So wißt, daß ich Euch das Verständnis eröffnen werde.

MÄRTEN. Mit dem Säbel? Das ist eine schöne Manier.

SCHNAPS ihm zu Leib gehend. So wißt, daß Ihr schuldig seid, Euch zu unterrichten, neue Gedanken, zu erfahren; daß Ihr gescheit werden müßt, daß Ihr frei werden müßt, daß Ihr gleich werden müßt, Ihr mögt wollen oder nicht.

MÄRTEN beiseite. Görge! Görge! Kämst du nur! ich wollt ihn nicht verstecken.

SCHNAPS. Ihr hört also gern?

MÄRTEN. Gewiß.

SCHNAPS. Und habt keine Abneigung, Euch zu unterrichten?

MÄRTEN. Keinesweges.

SCHNAPS. So ist's recht.

MÄRTEN. Ich find es auch.

SCHNAPS. Nun gebt acht!

MÄRTEN. Recht gern.

SCHNAPS. Dieser Topf stellt ein Dorf vor.

MÄRTEN. Ein Dorf?

SCHNAPS. Oder eine Stadt.

MÄRTEN. Kurios!

SCHNAPS. Oder eine Festung.

MÄRTEN. Wunderlich!

SCHNAPS. Ja! Zum Exempel eine Festung.

MÄRTEN beiseite. Wenn ich nur die Exempel los wäre!

SCHNAPS. Ich ziehe davor.

MÄRTEN. Was gibt das?

SCHNAPS. Ich fordre sie auf! Treteng! Treteng! Die Trompete nachahmend.

MÄRTEN. Er ist ganz und gar verrückt.

SCHNAPS. Sie macht Mäuse und will sich nicht ergeben.

MÄRTEN. Daran tut sie wohl. Beiseite. Wenn nur Röse käme, die Festung zu entsetzen.

SCHNAPS. Ich beschieße sie! Pu! Pu!

MÄRTEN. Das wird arg!

SCHNAPS. Ich mache ihr die Hölle heiß. Ich setze ihr Tag und Nacht zu. Pu! Pu! Pu! Sie ergibt sich.

MÄRTEN. Da tut sie übel.

SCHNAPS nähert sich dem Topfe. Ich ziehe hinein.

MÄRTEN. Es wird ihr schlimm gehen.

SCHNAPS nimmt den Löffel. Ich versammle die Bürgerschaft.

MÄRTEN. Nun ist's aus.

SCHNAPS. Die Wohlgesinnten kommen eilig. Da laß ich mich nieder – Er setzt sich. – und rede sie an.

MÄRTEN. Du armer Topf!

SCHNAPS. Brüder Bürger! sag ich.

MÄRTEN. Das klingt freundlich genug.

SCHNAPS. Leider seh ich euch uneins.

MÄRTEN. Im Topfe ist es ja ganz stille.

SCHNAPS. Es ist eine heimliche Gärung.

MÄRTEN horchend. Ich spüre nichts davon.

SCHNAPS. Ihr habt den ursprünglichen Zustand der Gleichheit verlassen.

MÄRTEN. Wieso?

SCHNAPS pathetisch. Da ihr zusammen noch reine Milch wart, fand sich ein Tropfen wie der andere.

MÄRTEN. Das läßt sich nicht leugnen.

SCHNAPS. Nun aber seid ihr sauer geworden.

MÄRTEN. Die Bürger?

SCHNAPS. Ihr habt euch geschieden.

MÄRTEN. Sieh doch!

SCHNAPS. Und ich finde, die Reichen, die unter dem sauren Rahm vorgestellt werden –

MÄRTEN. Das ist schnakisch!

SCHNAPS. Die Reichen schwimmen oben.

MÄRTEN. Die Reichen sind der saure Rahm? Ha! ha!

SCHNAPS. Sie schwimmen oben! Das ist nicht zu dulden.

MÄRTEN. Es ist unleidlich!

SCHNAPS. Ich schöpfe sie also ab. Er schöpft auf einen Teller.

MÄRTEN. O weh! Nun geht's drüber her.

SCHNAPS. Und wie ich den Rahm abgehoben habe, find ich die Schlippermilch.

MÄRTEN. Natürlich.

SCHNAPS. Die ist auch nicht zu verachten.

MÄRTEN. Mich deucht.

SCHNAPS. Das ist so der hübsche, wohlhabende Mittelstand.

MÄRTEN. Die Schlippermilch der Mittelstand? Was das für Einfälle sind!

SCHNAPS. Davon nehme ich nach Gutdünken. Er schöpft.

MÄRTEN. Der versteht's.

SCHNAPS. Nun rühre ich sie untereinander – Er rührt. – und lehre sie, wie man sich verträgt.

MÄRTEN. Was soll's nun?

SCHNAPS steht auf und geht nach dem Schranke. Nun sehe ich mich in der Gegend um und finde – Er bringt ein großes Brot hervor. – einen Edelhof.

MÄRTEN. Das ist ja ein Brot.

SCHNAPS. Die Edelleute haben immer die besten Äcker in der Flur; drum werden sie billig unter dem Brote vorgestellt.

MÄRTEN. Das soll auch dran?

SCHNAPS. Natürlich! Es muß alles gleich werden.

MÄRTEN beiseite. Hätte er nur den Säbel nicht anhängen! Das macht unser Spiel verwünscht ungleich.

SCHNAPS. Da wird nun auch das Nötige abgeschnitten und –

MÄRTEN. Käme nur Görge!

SCHNAPS. Auf dem Reibeisen gerieben.

MÄRTEN. Gerieben?

SCHNAPS. Ja, um den Stolz, den Übermut zu demütigen.

MÄRTEN. Ja! Ja!

SCHNAPS. Und wird sodann unter das übrige gemischt und umgerührt.

MÄRTEN. Seid Ihr bald fertig?

SCHNAPS bedächtig. Nun fehlen noch die geistlichen Güter.

MÄRTEN. Wo sollen die herkommen?

SCHNAPS. Hier find ich eine Zuckerschachtel. Er greift nach der, welche bei dem Kaffeezeuge steht.

MÄRTEN fällt ihm in den Arm. Laßt stehen! Rührt sie nicht an! Röse wiegt mir immer für die ganze Woche Zucker ab; damit muß ich reichen.

SCHNAPS an den Säbel greifend. Bürger!

MÄRTEN. Geduld!

SCHNAPS. Die geistlichen Herren haben immer die schmackhaftesten, die süßesten Besitztümer –

MÄRTEN. Es muß sie ja jemand haben.

SCHNAPS. Und werden deshalb billig durch den Zucker repräsentiert. Der wird nun auch gerieben –

MÄRTEN. Was fang ich an?

SCHNAPS. Und drüber gestreut.

MÄRTEN beiseite. Ich hoffe, du sollst mir das bezahlen. Ans Fenster. Horch! Kommt Görge wohl?

SCHNAPS. Und so ist die sauersüße Milch der Freiheit und Gleichheit fertig.

MÄRTEN am Fenster, leise. Es war nichts.

SCHNAPS. Kommt her! Was macht Ihr am Fenster?

MÄRTEN. Ich dachte, es käme jemand.

SCHNAPS. Görge kömmt doch nicht? Er steht auf.

MÄRTEN. Es ist alles stille.

SCHNAPS. Laßt einmal sehen. Er tritt an das Fenster und legt sich auf Märten.

Zehnter Auftritt

Die Vorigen. Görge, der zur Hintertür hereinschleicht.

GÖRGE leise. Wer zum Henker ist beim Vater? Sollte das Schnaps sein?

MÄRTEN am Fenster. Drückt mich nicht so!

SCHNAPS. Ich muß ja sehen. Lehnt sich hinaus.

MÄRTEN. Was denn?

SCHNAPS. Wie sich meine Soldaten betragen.

GÖRGE wie oben. Es ist seine Stimme! Wie sieht der Kerl aus?

SCHNAPS. Brav! meine wackern Freunde!

MÄRTEN. Mit wem redet Ihr?

SCHNAPS. Seht Ihr nicht, wie meine Leute um den Freiheitsbaum tanzen?

MÄRTEN. Seid Ihr toll? Es regt sich keine Seele.

GÖRGE. Er ist's fürwahr! Was heißt das? Der Vater schließt sich mit ihm ein! Wie er vermummt ist! Glücklich, daß ich die Hintertür offen fand!

SCHNAPS. So seht doch, wie man euern Weibern und Töchtern Begriffe von der Freiheit und Gleichheit beibringt!

MÄRTEN der sich losmachen will, aber von Schnaps gehalten wird. Das ist zu arg!

GÖRGE. Was sie nur zusammen reden! Ich verstehe nichts. Sich umsehend. Was soll das heißen? Der Schrank offen! Saure Milch zurechtegemacht! Das soll wohl ein Frühstück werden?

SCHNAPS wie oben. So freut Euch doch, wie alles einig und vergnügt ist.

MÄRTEN. In Eurem Kopfe muß es wunderlich spuken. Ich sehe nichts.

GÖRGE sich zurückziehend. Ich muß nur horchen.

SCHNAPS Märten loslassend. Ich sehe alles im Geiste; Ihr werdet es bald vor Eurem Hause mit Augen sehen.

MÄRTEN. In meinem Hause seh ich schon im voraus nichts Gutes.

SCHNAPS noch einmal zum Fenster hinaussehend, für sich. Alles ist ruhig und sicher. Nun geschwind an die Mahlzeit! Er tritt an den Tisch.

MÄRTEN. Säh ich dich woanders!

SCHNAPS. O du liebliche Suppe der Freiheit und Gleichheit, sei mir gesegnet! – Seht her!

MÄRTEN. Was gibt's?

SCHNAPS. Nun setzt sich der Bürgergeneral drüber.

MÄRTEN. Das dacht ich.

SCHNAPS. Und verzehrt sie.

MÄRTEN. Allein?

SCHNAPS essend. Nicht doch! – Mit den Seinigen.

MÄRTEN. Das ist honett.

SCHNAPS. Setzt Euch, Bürger Martin.

MÄRTEN. Danke schön!

SCHNAPS. Laßt's Euch schmecken.

MÄRTEN. Ich bin nicht hungrig.

SCHNAPS. Scheut Euch nicht vor mir, wir sind alle gleich.

MÄRTEN. Das merk ich.

SCHNAPS. Ihr seid ein braver Bürger.

MÄRTEN. Davon weiß ich kein Wort.

SCHNAPS. Ihr sollt mein Korporal werden.

MÄRTEN. Viel Ehre!

SCHNAPS. Setzt Euch, mein Korporal!

MÄRTEN. Ihr scherzt, mein General.

SCHNAPS aufstehend und komplimentierend. Mein Korporal!

MÄRTEN. Mein General!

Görge, der sich indessen hervorgeschlichen, trifft Schnapsen mit dem Stocke, indem er sich bückt.

SCHNAPS. Was ist das?

GÖRGE. Mein General!

MÄRTEN. Bravo, Görge!

GÖRGE auf Schnapsen schlagend. Mein Korporal!

SCHNAPS. Heilige Freiheit, stehe mir bei!

GÖRGE. Find ich dich so?

MÄRTEN. Nur zu!

 

SCHNAPS. Heilige Gleichheit, nimm dich meiner an!

GÖRGE. Singe nur! ich schlage den Takt.

SCHNAPS den Säbel ziehend und sich zur Wehre setzend. Heilige Revolutionsgewalt, befreie mich!

GÖRGE. Was? Du willst dich wehren?

MÄRTEN. Nimm dich in acht, der Kerl ist desperat.

GÖRGE. Der Nichtswürdige! er soll mir kommen! Dringt auf Schnaps ein.

SCHNAPS. O weh mir!

GÖRGE. Du sollst empfinden!

MÄRTEN. Den Säbel her!

GÖRGE ihn entwaffnend. Ich habe ihn schon.

SCHNAPS hinter Tisch und Stühle sich verschanzend. Nun gilt Kapitulieren.

GÖRGE. Hervor!

SCHNAPS. Bester Görge, ich spaße nur!

GÖRGE. Ich auch. Er schlägt nach ihm, trifft aber nur den Tisch.

MÄRTEN. Triff ihn!

SCHNAPS macht sich hervor und läuft herum. Oder sonst –

GÖRGE ihm nach. Das soll dir nichts helfen.

SCHNAPS da er gegen das Fenster kommt. Hülfe! Hülfe!

GÖRGE treibt ihn weg. Willst du schweigen!

SCHNAPS wie oben. Feuer! Feuer!

MÄRTEN verrennt ihm von der andern Seite den Weg. Stopf ihm das Maul!

SCHNAPS hinter zwei Stühlen verschanzt. Verschont mich! Es ist genug.

GÖRGE. Willst du heraus!

SCHNAPS wirft ihnen die Stühle nach den Beinen, sie springen zurück. Da habt ihr's!

GÖRGE. Warte nur!

SCHNAPS. Wer ein Narr wäre! Springt zur Hintertür hinaus.

GÖRGE. Ich hasche dich doch. Ihm nach.

MÄRTEN steht und reibt das Bein, das der Stuhl getroffen hat, und hinkt den übrigen Teil des Stücks. Der Bösewicht! Mein Bein! Hat er's doch auch brav abgekriegt!

Elfter Auftritt

Märten. Röse. Hernach Görge.

RÖSE von außen. Vater! Vater!

MÄRTEN. O weh! Röse! Was wird die zu der Geschichte sagen?

RÖSE. Macht auf, Vater! Was ist das für ein Lärm?

MÄRTEN am Fenster. Ich komme! Warte nur!

GÖRGE zur Hintertür herein. Der verwünschte Kerl! Er hat sich in die Kammer eingesperrt; ich hab aber gleich das Vorlegeschloß vorgelegt, er soll uns nicht entwischen.

RÖSE. Vater! wo bleibt Ihr? Macht auf!

GÖRGE. Das ist ja Röse.

MÄRTEN. Geh! Ich hinke. Mach ihr die Tür auf.

Görge ab.

MÄRTEN. Nun geht das Unglück an. Die arme Röse! Der schöne Topf! Setzt sich.

GÖRGE der mit Rösen hereinkommt. Sieh nur, Röse.

RÖSE. Was ist das? Was gibt das?

GÖRGE. Denk nur –

RÖSE. Mein Topf! Vater, was heißt das?

MÄRTEN. Schnaps –

GÖRGE. Stell dir nur vor –

RÖSE. Mein Schrank! Der Zucker! Hin und her laufend. O weh! o weh! Schnaps? Wo ist er?

GÖRGE. Sei ruhig, er ist eingesperrt.

RÖSE. Das ist recht. Wir wollen ihn gleich den Gerichtsleuten überliefern. Sie kommen schon.

MÄRTEN aufspringend und hinkend. Wer?

RÖSE. Die Nachbarn sind zum Richter gelaufen, da es hier im Hause Lärm gab.

MÄRTEN. Zum Richter? O weh, wir sind verloren!

RÖSE. Mein schöner Topf!

GÖRGE. Er soll's bezahlen.

MÄRTEN. Hört mich, Kinder, hört mich! Vergeßt Topf und alles!

RÖSE. Warum nicht gar.

MÄRTEN. Schweig und höre! Wir dürfen Schnapsen nicht verraten; wir müssen ihn verleugnen.

GÖRGE. Das wäre schön!

MÄRTEN. So höre doch! Wir sind alle verloren, wenn sie ihn finden. Er ist ein Abgesandter vom Jakobinerklub.

RÖSE. Unmöglich! Der Schuft?

MÄRTEN. Warum nicht? Sie finden ihn in der Uniform. Er kann's nicht leugnen.

GÖRGE. Ja, die hat er an.

MÄRTEN. Und wir werden verdächtig, wir werden eingezogen, wir müssen vors Amt! Gott weiß!

GÖRGE. Wir könnten ja aber sagen –

MÄRTEN. Eile nur und sag, es sei nichts gewesen.

GÖRGE. Wenn sie's nur glauben! Eilig ab.

RÖSE. Ich gebe mich nicht zufrieden. Mein schöner Topf!

MÄRTEN. Narrenspossen! Besinne dich auf was, unsre Köpfe zu retten.

RÖSE. Die verliert man nicht gleich. Ihr dürft ja nur sagen: wie Euch der Kerl hätte anwerben wollen, hätte ihn Görge brav durchgeprügelt.

MÄRTEN. Das wäre vortrefflich! Warum ist dir's nicht gleich eingefallen? Nun ist Görge hinunter und verleugnet ihn; nun sind wir verdächtig. Es ist ein Unglück! Ein Unglück!

RÖSE. O verwünscht!

Zwölfter Auftritt

Die Vorigen. Der Richter. Görge. Bauern.

RICHTER hereindringend. Nein, nein, ich muß die Sache untersuchen.

GÖRGE ihn abhaltend. Es ist nichts.

MÄRTEN. Muß ich den Richter in meinem Hause sehen? Ich unglücklicher Mann!

RÖSE vortretend. Bemüh Er sich nicht, Herr Richter.

RICHTER. Kein Bemühen! Es ist Schuldigkeit. Wer hat Feuer geschrien?

RÖSE. Es war Spaß.

RICHTER. Man spaßt nicht so. Wer hat Hülfe gerufen?

RÖSE. Ich – Ich – neckte mich mit Görgen.

RICHTER. Necktet Euch?

RÖSE führt den Richter herum und erzählt, indem sie sich besinnt. Da hatt ich im Milchschranke einen schönen Topf saure Milch – und schloß den Schrank zu und ging weg – Da kam Görge – Warte nur, Görge! – Da kam Görge, und hatte Appetit – und brach den Schrank auf.

RICHTER. Ei! ei!

RÖSE. Und rahmte mir den Topf ab – und machte sich ein Frühstück zurecht – hier steht es noch – da kam ich nach Hause – und war böse – und – gab ihm eine Ohrfeige – da hascht er mich – und kitzelte mich, und da schrie ich – und da balgten wir uns, und da warfen wir die Stühle um – und da fiel einer dem Vater auf die Füße – Nicht wahr, Vater?

MÄRTEN. Ihr seht, wie ich hinke.

RÖSE. Und da schrie ich noch ärger – und –

RICHTER. Und da log ich dem Richter was vor.

RÖSE. Ich lüge nicht.

RICHTER. Ich glaube, Ihr wißt es selbst nicht, so glatt geht's Euch vom Maule. Glaubt Ihr, daß unsereiner nicht besser aufpaßte?

GÖRGE. Wieso?

RICHTER zu Rösen. Gingt Ihr nicht eben vor meinem Hause vorbei?

RÖSE. Ja.

RICHTER. Begegnetet Ihr nicht diesen Leuten?

RÖSE. Ich erinnere mich's nicht.

RICHTER zu den Bauern. Ist sie euch nicht begegnet?

EIN BAUER. Ja! und sie hat mit uns gesprochen, und wir haben ihr gesagt, daß bei ihrem Vater großer Lärm wäre.

MÄRTEN. Nun ist's aus!

RÖSE. O verwünscht!

GÖRGE. So geht's mit dem Ausreden!

RICHTER. Da steht Ihr nun! Was sagt Ihr dazu?

Sie sehen einander an; der Richter geht auf und nieder und findet die Mütze.

Oho! Was ist das?

GÖRGE. Ich weiß nicht.

RICHTER sieht sich um und findet den Hut mit der Kokarde. Und das?

RÖSE. Ich versteh's nicht.

RICHTER hält sie Märten hin. Nun? Vielleicht wißt Ihr? Vielleicht versteht Ihr?

MÄRTEN für sich. Was soll ich sagen?

RICHTER. So werd ich's euch wohl erklären müssen. Das ist eine Freiheitsmütze. Das ist eine Nationalkokarde. Eine schöne Entdeckung! Nun steht ihr da und verstummt, weil es zu deutlich ist. – In diesem Hause ist also der Klub der Verschwornen, die Zusammenkunft der Verräter, der Sitz der Rebellen? – Das ist ein Fund! das ist ein Glück! – Ihr habt euch gewiß untereinander veruneinigt, wie die Franzosen auch – und seid euch einander in die Haare gefallen – habt euch selbst verraten. So ist's schon recht! – Wir wollen weiter hören.

RÖSE. Lieber Herr Richter!

RICHTER. Sonst seid Ihr so schnippisch. Jetzt könnt Ihr bitten.

GÖRGE. Ihr müßt wissen –

RICHTER. Ich muß? – Ihr werdet bald anders reden.

MÄRTEN. Herr Gevatter!

RICHTER. Bin ich einmal wieder Gevatter?

RÖSE. Seid Ihr nicht mein Pate?

RICHTER. Seit der Zeit hat sich vieles geändert.

MÄRTEN. Laßt Euch sagen –

RICHTER. Schweigt! Ihr dürft mir gar nicht kommen! Habt ihr nicht etwa schon Anstalt zum Freiheitsbaum gemacht? Habt ihr nicht schon abgeredet, mich an den ersten besten Pfahl zu hängen? Man weiß, wie jetzt das unruhige Volk von seiner Obrigkeit spricht, wie es denkt! Es soll ihm übel bekommen. Es soll euch übel bekommen! Zu den Bauern. Fort mit ihnen! Und gleich zum Gerichtshalter! Es muß versiegelt werden, es muß inventiert werden. Es finden sich Waffen, Pulver, Kokarden! Das gibt eine Untersuchung. Fort! Fort!

MÄRTEN. Ich unglücklicher Mann!

RÖSE. So laßt Euch bedeuten, Herr Richter.

RICHTER. Etwa belügen, Mamsell Röschen? Fort! fort!

GÖRGE. Wenn's nicht anders ist, so soll Schnaps auch mit. Da muß sich die Sache aufklären.

RICHTER. Was sagt Ihr von Schnaps?

GÖRGE. Ich sage –

RÖSE am Fenster. Da kommt zum Glück der gnädige Herr.

RICHTER. Der wird's zeitig genug erfahren.

GÖRGE. Ruf ihn!

RÖSE. Gnäd'ger Herr! Gnäd'ger Herr! Zu Hülfe! Zu Hülfe!

RICHTER. Schweigt nur! Er wird euch nicht helfen; er wird froh sein, daß solche Bösewichter entdeckt sind. Und dann ist es eine Polizeisache, eine Kriminalsache; die gehört für mich, für den Gerichtshalter, für die Regierung, für den Fürsten! Es muß ein Exempel statuiert werden!

MÄRTEN. Da haben wir das Exempel!

Dreizehnter Auftritt

Die Vorigen. Der Edelmann.

EDELMANN. Kinder, was gibt's?

RÖSE. Helfen Sie uns, gnädiger Herr!

RICHTER. Hier sehen Euer Gnaden, was sich im Hause findet.

EDELMANN. Was denn?

RICHTER. Eine Freiheitsmütze.

EDELMANN. Sonderbar!

RICHTER. Eine Nationalkokarde.

EDELMANN. Was soll das heißen?

RICHTER. Verschwörung! Aufruhr! Hochverrat! Er behält die Mütze und Kokarde in der Hand und nimmt sie hernach mit hinaus.

EDELMANN. Laßt mich fragen!

RICHTER. Lassen Sie uns nachsuchen! Wer weiß, was noch im Hause steckt.

EDELMANN. Stille!

RÖSE. Gnädiger Herr!

EDELMANN. Diese Sachen?

MÄRTEN. Brachte Schnaps ins Haus.

GÖRGE. In meiner Abwesenheit.

MÄRTEN. Brach die Schränke auf –

RÖSE. Machte sich über die Milchtöpfe –

MÄRTEN. Und wollte mich in der Gleichheit und Freiheit unterrichten.

EDELMANN. Wo ist er?

GÖRGE. In der Hinterkammer. Er hat sich eingesperrt, als ich ihn verfolgte.

EDELMANN. Schafft ihn herbei!

Görge mit dem Richter und den Bauern ab.

EDELMANN. Das ist also wieder ein Streich von Herrn Schnaps, wie ich merke.

MÄRTEN. Nichts anders.

EDELMANN. Wie kam er ins Haus?

MÄRTEN. In meiner Kinder Abwesenheit.

RÖSE. Er fürchtet sich vor Görgen.

MÄRTEN. Er machte mich neugierig.

EDELMANN. Man sagt, Ihr seid's manchmal.

MÄRTEN. Verzeihen Sie!

EDELMANN. Und ein bißchen leichtgläubig dazu.

MÄRTEN. Er machte es gar zu wahrscheinlich, daß er die wichtigsten Sachen wisse.

EDELMANN. Und hatte Euch zum besten.

MÄRTEN. Wie es scheint.

RÖSE. Es war ihm nur um ein Frühstück zu tun. Da sehen Sie nur, gnädiger Herr, welche schöne saure Milch er sich zurechtgemacht hat, mit geriebenem Brot und Zucker und allem. Das liebe Gut! man muß es nun wegwerfen; es kann's kein ehrlicher Mensch genießen, da der Unflat die Schnauze drüber gehabt hat.

EDELMANN. Er wollte also ein Frühstück gewinnen?

MÄRTEN. Nach seiner Art. Er sagte, er sei von den Jakobinern abgeschickt.

EDELMANN. Und weiter?

MÄRTEN. Zog er eine Uniform an und bewaffnete sich.

EDELMANN. Toll genug!

MÄRTEN. Und sagte, er wäre Bürgergeneral, und ward mit jedem Augenblick gröber.

EDELMANN. Das ist so die Art.

MÄRTEN. Erst tat er freundlich und vertraut, dann ward er brutal und brach mir den Schrank auf und nahm, was ihm gefiel.

EDELMANN. Gerade wie seine Kollegen!

MÄRTEN. Ich bin recht übel dran.

EDELMANN. Noch nicht so übel wie die Provinzen, wo seinesgleichen gehaust haben; wo gutmütige Toren ihnen auch anfangs zufielen, wo sie mit Schmeicheln und Versprechungen anfingen, mit Gewalt, Raub, Verbannung ehrlicher Leute und allen Arten böser Begegnung endigten. Dankt Gott, daß ihr so wohlfeil davonkommt!

RÖSE. Sie schützen uns also, gnädiger Herr?

EDELMANN. Es scheint, daß ihr nichts verschuldet habt.

MÄRTEN. Da kommen sie.

 

Vierzehnter Auftritt

Die Vorigen. Görge. Der Richter. Schnaps, von den Bauern geführt, in der Uniform, mit Säbel und Schnurrbart.

EDELMANN. Hervor, Herr General!

RICHTER. Hier ist der Rädelsführer! Sehen Sie ihn nur an. Alles, wie die Zeitungen schreiben. Uniform! Säbel! Er setzt ihm Mütze und Hut auf. Mütze! Hut! So soll er am Pranger stehen! Geschwind zum Gerichtshalter! Verhört! In Ketten und Banden nach der Residenz geschleppt!

EDELMANN. Sachte! sachte!

RICHTER. Boten fort! Der Kerl ist nicht allein! Man muß ihn torquieren! Man muß die Mitverschwornen entdecken! Man muß Regimenter marschieren lassen! Man muß Haussuchung tun!

EDELMANN. Nur gemach! – Schnaps, was sind das für Possen?

SCHNAPS. Jawohl, eitel Possen!

EDELMANN. Wo sind die Kleider her? Geschwind! Ich weiß schon.

SCHNAPS. Sie können unmöglich wissen, gnädiger Herr, daß ich diese Kleider mit dem ganzen militärischen Apparat von einem armen Teufel geerbt habe.

EDELMANN. Geerbt? Er pflegt sonst zu stehlen.

SCHNAPS. Hören Sie mich an.

MÄRTEN. Was wird er sagen?

SCHNAPS. Als der letzte Transport französischer Kriegsgefangenen durch die Stadt gebracht wurde –

EDELMANN. Nun?

SCHNAPS. Schlich ich aus Neugierde hinein.

EDELMANN. Weiter!

SCHNAPS. Da blieb im Wirtshause in der Vorstadt ein armer Teufel liegen, der sehr krank war.

RICHTER. Das ist gewiß nicht wahr.

SCHNAPS. Ich nahm mich seiner an, und er – verschied.

EDELMANN. Das ist sehr wahrscheinlich.

SCHNAPS. Er vermachte mir seine Sachen, für die Mühe, die ich mir genommen –

EDELMANN. Ihn umzubringen.

SCHNAPS. Bestehend aus diesem Rocke und Säbel.

EDELMANN. Und die Mütze? Die Kokarde?

SCHNAPS. Fand ich in seinem Mantelsack unter alten Lumpen.

EDELMANN. Da fand Er sein Generalspatent.

SCHNAPS. Ich kam hierher und fand den einfältigen Märten.

MÄRTEN. Den einfältigen Märten? Der Unverschämte!

SCHNAPS. Leider gelang es mir nur zur Hälfte; ich konnte die schöne Milch nicht aufessen, die ich eingebrockt hatte. Ich kriegte darüber eine kleine Differenz mit Görgen –

EDELMANN. Ohne Umstände! Ist alles die reine Wahrheit, was Er sagt?

SCHNAPS. Erkundigen Sie sich in der Stadt. Ich will angeben, wo ich den Mantelsack verkauft habe. Diese Garderobe trug ich im Barbierbeutel herüber.

EDELMANN. Es wird sich alles finden.

RICHTER. Glauben Sie ihm nicht!

EDELMANN. Ich weiß, was ich zu tun habe. Findet sich alles wahr, so muß eine solche Kleinigkeit nicht gerügt werden; sie erregt nur Schrecken und Mißtrauen in einem ruhigen Lande. Wir haben nichts zu befürchten. Kinder, liebt euch, bestellt euren Acker wohl und haltet gut Haus.

RÖSE. Das ist unsre Sache.

GÖRGE. Dabei bleibt's.

EDELMANN. Und Euch, Alter, soll es zum Lobe gereichen, wenn Ihr Euch auf die hiesige Landsart und auf die Witterung versteht und Euer Säen und Ernten darnach einrichtet. Fremde Länder laßt für sich sorgen, und den politischen Himmel betrachtet allenfalls einmal Sonn- und Festtags.

MÄRTEN. Es wird wohl das beste sein.

EDELMANN. Bei sich fange jeder an, und er wird viel zu tun finden. Er benutze die friedliche Zeit, die uns gegönnt ist; er schaffe sich und den Seinigen einen rechtmäßigen Vorteil: so wird er dem Ganzen Vorteil bringen.

RICHTER der indessen seine Ungeduld gezeigt hat, gleichsam einfallend. Aber dabei kann's doch unmöglich bleiben! Bedenken Sie die Folgen! Ginge so was ungestraft hin –

EDELMANN. Nur gelassen! Unzeitige Gebote, unzeitige Strafen bringen erst das Übel hervor. In einem Lande, wo der Fürst sich vor niemand verschließt; wo alle Stände billig gegeneinander denken; wo niemand gehindert ist, in seiner Art tätig zu sein; wo nützliche Einsichten und Kenntnisse allgemein verbreitet sind: da werden keine Parteien entstehen. Was in der Welt geschieht, wird Aufmerksamkeit erregen; aber aufrührische Gesinnungen ganzer Nationen werden keinen Einfluß haben. Wir werden in der Stille dankbar sein, daß wir einen heitern Himmel über uns sehen, indes unglückliche Gewitter unermeßliche Fluren verhageln.

RÖSE. Es hört sich Ihnen so gut zu!

GÖRGE. Wahrhaftig, Röse! – Reden Sie weiter, gnädiger Herr.

EDELMANN. Ich habe schon alles gesagt. Er zieht Schnapsen hervor. Und wieviel will das schon heißen, daß wir über diese Kokarde, diese Mütze, diesen Rock, die so viel Übel in der Welt gestiftet haben, einen Augenblick lachen konnten!

RÖSE. Ja, recht lächerlich sieht Er aus, Herr Schnaps.

GÖRGE. Ja, recht albern!

SCHNAPS. Das muß ich mir wohl gefallen lassen. Nach der Milch schielend. Wenn ich nur vor meinem Abzug die andere Hälfte der patriotischen Kontribution zu mir nehmen dürfte!

RÖSE. So gut soll's Ihm nicht werden!