Johann Wolfgang von Goethe: Gesammelte Dramen

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BEAUMARCHAIS. Es ist zu spät! Meine Schwester liebt Sie nicht mehr, und ich verabscheue Sie. Schreiben Sie die so verlangte Erklärung, das ist alles, was ich von Ihnen fordere, und überlassen Sie mir die Sorgfalt einer ausgesuchten Rache!

CLAVIGO. Ihre Hartnäckigkeit ist weder gerecht noch klug. Ich gebe Ihnen zu, daß es hier nicht auf mich ankommt, ob ich eine so sehr verschlimmerte Sache wieder gutmachen will. – Ob ich sie gutmachen kann, das hängt von dem Herzen Ihrer vortrefflichen Schwester ab, ob sie einen Elenden wieder ansehn mag, der nicht verdient, das Tageslicht zu sehen. Allein Ihre Pflicht ist's, mein Herr, das zu prüfen und darnach sich zu betragen, wenn Ihr Schritt nicht einer jugendlichen unbesonnenen Hitze ähnlich sehen soll. Wenn Donna Maria unbeweglich ist – o ich kenne das Herz! o ihre Güte, ihre himmlische Seele schwebt mir ganz lebhaft vor! Wenn sie unerbittlich ist dann ist es Zeit, mein Herr.

BEAUMARCHAIS. Ich bestehe auf der Erklärung.

CLAVIGO nach dem Tisch zu gehend. Und wenn ich nach dem Degen greife?

BEAUMARCHAIS gehend. Gut, mein Herr! Schön, mein Herr!

CLAVIGO ihn zurückhaltend. Noch ein Wort. Sie haben die gute Sache; lassen Sie mich die Klugheit für Sie haben. Bedenken Sie, was Sie tun! Auf beide Fälle sind wir alle unwiederbringlich verloren. Müßt' ich nicht für Schmerz, für Beängstigung untergehn, wenn Ihr Blut meinen Degen färben sollte, wenn ich Marien noch über all ihr Unglück auch ihren Bruder raubte, und dann – der Mörder des Clavigo würde die Pyrenäen nicht zurückmessen.

BEAUMARCHAIS. Die Erklärung, mein Herr, die Erklärung!

CLAVIGO. So sei's denn. Ich will alles tun, um Sie von der aufrichtigen Gesinnung zu überzeugen, die mir Ihre Gegenwart einflößt. Ich will die Erklärung schreiben, ich will sie schreiben aus Ihrem Munde. Nur versprechen Sie mir, nicht eher Gebrauch davon zu machen, bis ich imstande gewesen bin, Donna Maria von meinem geänderten, reuvollen Herzen zu überzeugen; bis ich mit Ihrer Ältesten ein Wort gesprochen, bis diese ihr gütiges Vorwort bei meiner Geliebten eingelegt hat. So lange, mein Herr!

BEAUMARCHAIS. Ich gehe nach Aranjuez.

CLAVIGO. Gut denn, bis Sie wiederkommen, so lange bleibt die Erklärung in Ihrem Portefeuille; hab ich meine Vergebung nicht, so lassen Sie Ihrer Rache vollen Lauf. Dieser Vorschlag ist gerecht, anständig, klug, und wenn Sie nicht wollen, so sei's denn unter uns beiden um Leben und Tod gespielt. Und der das Opfer seiner Übereilung wird, sind immer Sie und Ihre arme Schwester.

BEAUMARCHAIS. Es steht Ihnen an, die zu bedauern, die Sie unglücklich gemacht haben.

CLAVIGO sich setzend. Sind Sie das zufrieden?

BEAUMARCHAIS. Gut denn, ich gebe nach! Aber keinen Augenblick länger. Ich komme von Aranjuez, ich frage, ich höre! Und hat man Ihnen nicht vergeben, wie ich denn hoffe, wie ich's wünsche! – gleich auf, und mit dem Zettel in die Druckerei.

CLAVIGO nimmt Papier. Wie verlangen Sie's?

BEAUMARCHAIS. Mein Herr! in Gegenwart Ihrer Bedienten.

CLAVIGO. Wozu das?

BEAUMARCHAIS. Befehlen Sie nur, daß sie in der anstoßenden Galerie gegenwärtig sind. Man soll nicht sagen, daß ich Sie gezwungen habe.

CLAVIGO. Welche Bedenklichkeiten!

BEAUMARCHAIS. Ich bin in Spanien, und habe mit Ihnen zu tun.

CLAVIGO. Nun denn! Er klingelt. Ein Bedienter. Ruft meine Leute zusammen, und begebt euch auf die Galerie herbei! Der Bediente geht, die übrigen kommen und besetzen die Galerie.

CLAVIGO. Sie überlassen mir, die Erklärung zu schreiben.

BEAUMARCHAIS. Nein, mein Herr! Schreiben Sie, ich bitte, schreiben Sie, wie ich's Ihnen sage.

CLAVIGO schreibt.

BEAUMARCHAIS. Ich Unterzeichneter, Joseph Clavigo, Archivarius des Königs –

CLAVIGO. Des Königs.

BEAUMARCHAIS. – bekenne, daß, nachdem ich in dem Hause der Madame Guilbert freundschaftlich aufgenommen worden –

CLAVIGO. Worden.

BEAUMARCHAIS. – ich Mademoiselle von Beaumarchais, ihre Schwester, durch hundertfältig wiederholte Heiratsversprechungen betrogen habe. – Haben Sie's? –

CLAVIGO. Mein Herr!

BEAUMARCHAIS. Haben Sie ein ander Wort dafür?

CLAVIGO. Ich dächte –

BEAUMARCHAIS. Betrogen habe. Was Sie getan haben, können Sie ja noch eher schreiben. – Ich habe sie verlassen, ohne daß irgend ein Fehler oder Schwachheit von ihrer Seite einen Vorwand oder Entschuldigung dieses Meineids veranlaßt hätte.

CLAVIGO. Nun!

BEAUMARCHAIS. Im Gegenteil ist die Aufführung des Frauenzimmers immer rein, untadelig und aller Ehrfurcht würdig gewesen.

CLAVIGO. Würdig gewesen.

BEAUMARCHAIS. Ich bekenne, daß ich durch mein Betragen, den Leichtsinn meiner Reden, durch die Auslegung, der sie unterworfen waren, öffentlich dieses tugendhafte Frauenzimmer erniedrigt habe; weswegen ich sie um Vergebung bitte, ob ich mich gleich nicht wert achte, sie zu erhalten.

CLAVIGO hält inne.

BEAUMARCHAIS. Schreiben Sie! Schreiben Sie! – Welches Zeugnis ich mit freiem Willen und ungezwungen von mir gegeben habe, mit dem besondern Versprechen, daß, wenn diese Satisfaktion der Beleidigten nicht hinreichend sein sollte, ich bereit bin, sie auf alle andere erforderliche Weise zu geben. Madrid.

CLAVIGO steht auf, winkt den Bedienten, sich wegzubegeben, und reicht ihm das Papier. Ich habe mit einem beleidigten, aber mit einem edeln Menschen zu tun. Sie halten Ihr Wort und schieben Ihre Rache auf. In dieser einzigen Rücksicht, in dieser Hoffnung hab ich das schimpfliche Papier von mir gestellt, wozu mich sonst nichts gebracht hätte. Aber ehe ich es wage, vor Donna Maria zu treten, hab ich beschlossen, jemanden den Auftrag zu geben, mir bei ihr das Wort zu reden, für mich zu sprechen – und der Mann sind Sie.

BEAUMARCHAIS. Bilden Sie sich das nicht ein!

CLAVIGO. Wenigstens sagen Sie ihr die bittere herzliche Reue, die Sie an mir gesehn haben. Das ist alles, alles, warum ich Sie bitte; schlagen Sie mir's nicht ab; ich müßte einen andern, weniger kräftigen Vorsprecher wählen, und Sie sind ihr ja eine treue Erzählung schuldig. Erzählen Sie ihr, wie Sie mich gefunden haben!

BEAUMARCHAIS. Gut, das kann ich, das will ich. Und so adieu.

CLAVIGO. Leben Sie wohl. Er will seine Hand nehmen, Beaumarchais hält sie zurück.

CLAVIGO allein. So unerwartet aus einem Zustand in den andern. Man taumelt, man träumt! – Diese Erklärung, ich hätte sie nicht geben sollen. – Es kam so schnell, so unerwartet als ein Donnerwetter!

Carlos kommt.

CARLOS. Was hast du für Besuch gehabt? Das ganze Haus ist in Bewegung; was gibt's?

CLAVIGO. Mariens Bruder.

CARLOS. Ich vermutet's. Der Hund von einem alten Bedienten, der sonst bei Guilberts war und der mir nun trätscht, weiß es schon seit gestern, daß man ihn erwartet habe, und trifft mich erst diesen Augenblick. Er war da?

CLAVIGO. Ein vortrefflicher Junge.

CARLOS. Den wollen wir bald los sein. Ich habe den Weg über schon gesponnen! – Was hat's denn gegeben? Eine Ausforderung? eine Ehrenerklärung? War er fein hitzig, der Bursch?

CLAVIGO. Er verlangte eine Erklärung, daß seine Schwester mir keine Gelegenheit zur Veränderung gegeben.

CARLOS. Und du hast sie ausgestellt?

CLAVIGO. Ich hielt es fürs Beste.

CARLOS. Gut, sehr gut! Ist sonst nichts vorgefallen?

CLAVIGO. Er drang auf einen Zweikampf oder die Erklärung.

CARLOS. Das letzte war das Gescheitste. Wer wird sein Leben gegen einen so romantischen Fratzen wagen. Und forderte er das Papier ungestüm?

CLAVIGO. Er diktierte mir's, und ich mußte die Bedienten in die Galerie rufen.

CARLOS. Ich versteh! Ah! nun hab ich dich, Herrchen! das bricht ihm den Hals. Heiß mich einen Schreiber, wenn ich den Buben nicht in zwei Tagen im Gefängnis habe, und mit dem nächsten Transport nach Indien.

CLAVIGO. Nein, Carlos. Die Sache steht anders, als du denkst.

CARLOS. Wie?

CLAVIGO. Ich hoffe, durch seine Vermittlung, durch mein eifriges Bestreben, Verzeihung von der Unglücklichen zu erhalten.

CARLOS. Clavigo!

CLAVIGO. Ich hoffe, all das Vergangene zu tilgen, das Zerrüttete wieder herzustellen und so in meinen Augen und in den Augen der Welt wieder zum ehrlichen Mann werden.

CARLOS. Zum Teufel, bist du kindisch geworden? Man spürt dir doch immer an, daß du ein Gelehrter bist. – Dich so betören zu lassen! Siehst du nicht, daß das ein einfältig angelegter Plan ist, um dich ins Garn zu sprengen?

CLAVIGO. Nein, Carlos, er will die Heirat nicht; sie sind dagegen, sie will nichts von mir hören.

CARLOS. Das ist die rechte Höhe. Nein, guter Freund, nimm mir's nicht übel, ich hab wohl in Komödien gesehen, daß man einen Landjunker so geprellt hat.

CLAVIGO. Du beleidigst mich. Ich bitte, spare deinen Humor auf meine Hochzeit! Ich bin entschlossen, Marien zu heiraten. Freiwillig, aus innerm Trieb. Meine ganze Hoffnung, meine ganze Glückseligkeit ruht auf dem Gedanken, ihre Vergebung zu erhalten. Und dann fahr hin, Stolz! An der Brust dieser Lieben liegt noch der Himmel wie vormals; aller Ruhm, den ich erwerbe, alle Größe, zu der ich mich erhebe, wird mich mit doppeltem Gefühl ausfüllen: denn das Mädchen teilt's mit mir, die mich zum doppelten Menschen macht. Leb wohl! ich muß hin! ich muß die Guilbert wenigstens sprechen.

CARLOS. Warte nur bis nach Tisch!

CLAVIGO. Keinen Augenblick.

CARLOS ihm nachsehend und eine Weile schweigend. Da macht wieder jemand einmal einen dummen Streich. Ab.

Dritter Akt

Guilberts Wohnung.

 

Sophie Guilbert. Marie Beaumarchais.

MARIE. Du hast ihn gesehen? Mir zittern alle Glieder! Du hast ihn gesehen? Ich war nah an einer Ohnmacht, als ich hörte, er käme, und du hast ihn gesehen? Nein, ich kann, ich werde, nein, ich kann ihn nie wieder sehn.

SOPHIE. Ich war außer mir, als er hereintrat; denn ach! liebt ich ihn nicht, wie du, mit der vollsten, reinsten, schwesterlichsten Liebe? Hat mich nicht seine Entfernung gekränkt, gemartert? – Und nun, den Rückkehrenden, den Reuigen zu meinen Füßen! – Schwester! es ist so was Bezauberndes in seinem Anblick, in dem Ton seiner Stimme. Er –

MARIE. Nimmer, nimmermehr!

SOPHIE. Er ist noch der alte, noch ebendas gute, sanfte, fühlbare Herz, noch ebendie Heftigkeit der Leidenschaft. Es ist noch ebendie Begier, geliebt zu werden, und das ängstliche, marternde Gefühl, wenn ihm Neigung versagt wird. Alles! alles! Und von dir spricht er, Marie! wie in jenen glücklichen Tagen der feurigsten Leidenschaft; es ist, als wenn dein guter Geist diesen Zwischenraum von Untreu und Entfernung selbst veranlaßt habe, um das Einförmige, Schleppende einer langen Bekanntschaft zu unterbrechen und dem Gefühl eine neue Lebhaftigkeit zu geben.

MARIE. Du redst ihm das Wort?

SOPHIE. Nein, Schwester, auch versprach ich's ihm nicht. Nur, meine Beste, seh ich die Sachen, wie sie sind. Du und der Bruder, ihr seht sie in einem allzu romantischen Lichte. Du hast das mit gar manchem guten Kinde gemein, daß dein Liebhaber treulos ward und dich verließ! Und daß er wiederkommt, reuig seinen Fehler verbessern, alle alte Hoffnungen erneuern will – das ist ein Glück, das eine andere nicht leicht von sich stoßen würde.

MARIE. Mein Herz würde reißen!

SOPHIE. Ich glaube dir. Der erste Anblick muß auf dich eine empfindliche Wirkung machen – und dann, meine Beste, ich bitte dich, halt diese Bangigkeit, diese Verlegenheit, die dir alle Sinne zu übermeistern scheint, nicht für eine Wirkung des Hasses, für keinen Widerwillen. Dein Herz spricht mehr für ihn, als du es glaubst, und eben darum traust du dich nicht, ihn wiederzusehen, weil du seine Rückkehr so sehnlich wünschest.

MARIE. Sei barmherzig!

SOPHIE. Du sollst glücklich werden. Fühlt ich, daß du ihn verachtetest, daß er dir gleichgültig wäre, so wollt ich kein Wort weiter reden, so sollt er mein Angesicht nicht mehr sehen. Doch so, meine Liebe – Du wirst mir danken, daß ich dir geholfen habe, diese ängstliche Unbestimmtheit zu überwinden, die ein Zeichen der innigsten Liebe ist.

Die Vorigen. Guilbert. Buenco.

SOPHIE. Kommen Sie, Buenco! Guilbert, kommen Sie! Helft mir dieser Kleinen Mut einsprechen, Entschlossenheit, jetzt, da es gilt.

BUENCO. Ich wollte, daß ich sagen dürfte: Nehmt ihn nicht wieder an!

SOPHIE. Buenco!

BUENCO. Mein Herz wirft sich mir im Leib herum bei dem Gedanken: Er soll diesen Engel noch besitzen, den er so schändlich beleidigt, den er an das Grab geschleppt hat. Und besitzen? – warum? – wodurch macht er das alles wieder gut, was er verbrochen hat? – Daß er wiederkehrt, daß ihm auf einmal beliebt, wiederzukehren und zu sagen: »Jetzt mag ich sie, jetzt will ich sie!« – Just als wäre diese treffliche Seele eine verdächtige Ware, die man am Ende dem Käufer doch noch nachwirft, wenn er euch schon durch die niedrigsten Gebote und jüdisches Ab- und Zulaufen bis aufs Mark gequält hat. Nein, meine Stimme kriegt er nicht, und wenn Mariens Herz selbst für ihn spräche. – Wiederzukommen, und warum denn jetzt? – jetzt? – Mußte er warten, bis ein tapferer Bruder käme, dessen Rache er fürchten muß, um wie ein Schulknabe zu kommen und Abbitte zu tun? – Ha! er ist so feig, als er nichtswürdig ist!

GUILBERT. Ihr redet wie ein Spanier, und als wenn Ihr die Spanier nicht kenntet. Wir schweben diesen Augenblick in einer größern Gefahr, als ihr alle nicht seht.

MARIE. Bester Guilbert!

GUILBERT. Ich ehre die unternehmende Seele unsers Bruders, ich habe im stillen seinem Heldengange zugesehen und wünsche, daß alles gut ausschlagen möge, wünsche, daß Marie sich entschließen könnte, Clavigo ihre Hand zu geben, denn – lächelnd ihr Herz hat er doch. –

MARIE. Ihr seid grausam.

SOPHIE. Hör ihn, ich bitte dich, hör ihn!

GUILBERT. Dein Bruder hat ihm eine Erklärung abgedrungen, die dich vor den Augen aller Welt rechtfertigen soll, und die wird uns verderben.

BUENCO. Wie?

MARIE. O Gott!

GUILBERT. Er stellte sie aus in der Hoffnung, dich zu bewegen. Bewegt er dich nicht, so muß er alles anwenden, um das Papier zu vernichten; er kann's, er wird's. Dein Bruder will es gleich nach seiner Rückkehr von Aranjuez drucken und ausstreuen. Ich fürchte, wenn du beharrest, er wird nicht zurückkehren.

SOPHIE. Lieber Guilbert!

MARIE. Ich vergehe!

GUILBERT. Clavigo kann das Papier nicht auskommen lassen. Verwirfst du seinen Antrag und er ist ein Mann von Ehre, so geht er deinem Bruder entgegen, und einer von beiden bleibt; und dein Bruder sterbe oder siege, er ist verloren. Ein Fremder in Spanien! Mörder dieses geliebten Höflings! – Schwester, es ist ganz gut, daß man edel denkt und fühlt; nur, sich und die Seinigen zugrunde zu richten –

MARIE. Rate mir, Sophie, hilf mir!

GUILBERT. Und, Buenco, widerlegen Sie mich!

BUENCO. Er wagt's nicht, er fürchtet für sein Leben; sonst hätt er gar nicht geschrieben, sonst böt er Marien seine Hand nicht an.

GUILBERT. Desto schlimmer; so findet er hundert, die ihm ihren Arm leihen, hundert, die unserm Bruder tückisch auf dem Wege das Leben rauben. Ha! Buenco, bist du so jung? Ein Hofmann sollte keine Meuchelmörder im Solde haben?

BUENCO. Der König ist groß und gut.

GUILBERT. Auf denn! Durch alle die Mauern, die ihn umschließen, die Wachen, das Zeremoniell und alle das, womit die Hofschranzen ihn von seinem Volke geschieden haben, dringen Sie durch und retten Sie uns! – Wer kommt?

Clavigo kommt.

CLAVIGO. Ich muß! Ich muß!

MARIE tut einen Schrei und fällt Sophien in die Arme.

SOPHIE. Grausamer! in welchen Zustand versetzen Sie uns!

Guilbert und Buenco treten zu ihr.

CLAVIGO. Ja, sie ist's! Sie ist's! Und ich bin Clavigo. – Hören Sie mich, Beste, wenn Sie mich nicht ansehen wollen! Zu der Zeit, da mich Guilbert mit Freundlichkeit in sein Haus aufnahm, da ich ein armer unbedeutender Junge war, da ich in meinem Herzen eine unüberwindliche Leidenschaft für Sie fühlte, war's da Verdienst an mir? Oder war's nicht vielmehr innere Übereinstimmung der Charaktere, geheime Zuneigung des Herzens, daß auch Sie für mich nicht unempfindlich blieben, daß ich nach einer Zeit mir schmeicheln konnte, dies Herz ganz zu besitzen? Und nun – bin ich nicht ebenderselbe? Warum sollt ich nicht hoffen dürfen? warum nicht bitten? Wollten Sie einen Freund, einen Geliebten, den Sie nach einer gefährlichen, unglücklichen Seereise lange für verloren geachtet, nicht wieder an Ihren Busen nehmen, wenn er unvermutet wiederkäme und sein gerettetes Leben zu Ihren Füßen legte? Und habe ich weniger auf einem stürmischen Meere diese Zeit geschwebet? Sind unsere Leidenschaften, mit denen wir in ewigem Streit leben, nicht schrecklicher, unbezwinglicher als jene Wellen, die den Unglücklichen fern von seinem Vaterlande verschlagen! Marie! Marie! Wie können Sie mich hassen, da ich nie aufgehört habe, Sie zu lieben? Mitten in allem Taumel, durch allen verführerischen Gesang der Eitelkeit und des Stolzes hab ich mich immer jener seligen unbefangenen Tage erinnert, die ich in glücklicher Einschränkung zu Ihren Füßen zubrachte, da wir eine Reihe von blühenden Aussichten vor uns liegen sahen. – Und nun, warum wollten Sie nicht mit mir alles erfüllen, was wir hofften? Wollen Sie das Glück des Lebens nun nicht ausgenießen, weil ein düsterer Zwischenraum sich unsern Hoffnungen eingeschoben hatte? Nein, meine Liebe, glauben Sie, die besten Freuden der Welt sind nicht ganz rein; die höchste Wonne wird auch durch unsere Leidenschaften, durch das Schicksal unterbrochen. Wollen wir uns beklagen, daß es uns gegangen ist wie allen andern, und wollen wir uns strafbar machen, indem wir diese Gelegenheit von uns stoßen, das Vergangene herzustellen, eine zerrüttete Familie wieder aufzurichten, die heldenmütige Tat eines edeln Bruders zu belohnen und unser eigen Glück auf ewig zu befestigen? – Meine Freunde um die ich's nicht verdient habe, meine Freunde, die es sein müssen, weil Sie Freunde der Tugend sind, zu der ich rückkehre, verbinden Sie Ihr Flehen mit dem meinigen! Marie! Er wirft sich nieder. Marie! Kennst du meine Stimme nicht mehr? Vernimmst du nicht mehr den Ton meines Herzens? Marie! Marie!

MARIE. O Clavigo!

CLAVIGO springt auf und faßt ihre Hand mit entzückten Küssen. Sie vergibt mir, sie liebt mich! Er umarmt den Guilbert, den Buenco. Sie liebt mich noch! O Marie, mein Herz sagte mir's! Ich hätte mich zu deinen Füßen werfen, stumm meinen Schmerz, meine Reue ausweinen wollen; du hättest mich ohne Worte verstanden, wie ich ohne Worte meine Vergebung erhalte. Nein, diese innige Verwandtschaft unserer Seelen ist nicht aufgehoben; nein, sie vernehmen einander noch wie ehemals, wo kein Laut, kein Wink nötig war, um die innersten Bewegungen sich mitzuteilen. Marie – Marie – Marie! –

Beaumarchais tritt auf.

BEAUMARCHAIS. Ha!

CLAVIGO ihm entgegen fliegend. Mein Bruder!

BEAUMARCHAIS. Du vergibst ihm?

MARIE. Laßt, laßt mich! Meine Sinne vergehn. Man führt sie weg.

BEAUMARCHAIS. Sie hat ihm vergeben?

BUENCO. Es sieht so aus.

BEAUMARCHAIS. Du verdienst dein Glück nicht.

CLAVIGO. Glaube, daß ich's fühle!

SOPHIE kommt zurück. Sie vergibt ihm. Ein Strom von Tränen brach aus ihren Augen. »Er soll sich entfernen«, rief sie schluchzend, »daß ich mich erhole! Ich vergeb ihm. Ach Schwester!« rief sie und fiel mir um den Hals, »woher weiß er, daß ich ihn so liebe?«

CLAVIGO ihr die Hand küssend. Ich bin der glücklichste Mensch unter der Sonne. Mein Bruder!

BEAUMARCHAIS umarmt ihn. Von Herzen denn. Ob ich Euch schon sagen muß: noch kann ich Euch nicht lieben. Und somit seid Ihr der Unsrige, und vergessen sei alles! Das Papier, das Ihr mir gabt, hier ist's. Er nimmt's aus der Brieftasche, zerreißt es und gibt's ihm hin.

CLAVIGO. Ich bin der Eurige, ewig der Eurige.

SOPHIE. Ich bitte, entfernt Euch, daß sie Eure Stimme nicht hört, daß sie sich beruhigt.

CLAVIGO sie rings umarmend. Lebt wohl! Lebt wohl! – Tausend Küsse dem Engel! Ab.

BEAUMARCHAIS. Es mag denn gut sein, ob ich gleich wünschte, es wäre anders. Lächelnd. Es ist doch ein gutherziges Geschöpf, so ein Mädchen – Und, meine Freunde, auch muß ich's sagen: es war ganz der Gedanke, der Wunsch unsers Gesandten, daß ihm Marie vergeben und daß eine glückliche Heirat diese verdrießliche Geschichte endigen möge.

GUILBERT. Mir ist auch wieder ganz wohl.

BUENCO. Er ist euer Schwager, und so adieu! Ihr seht mich in eurem Hause nicht wieder.

BEAUMARCHAIS. Mein Herr!

GUILBERT. Buenco!

BUENCO. Ich haß ihn nun einmal bis ans Jüngste Gericht. Und gebt acht, mit was für einem Menschen ihr zu tun habt! Ab.

GUILBERT. Er ist ein melancholischer Unglücksvogel. Und mit der Zeit läßt er sich doch wieder bereden, wenn er sieht, es geht alles gut.

BEAUMARCHAIS. Doch war's übereilt, daß ich ihm das Papier zurückgab.

GUILBERT. Laßt! Laßt! Keine Grillen! Ab.

Vierter Akt

Clavigos Wohnung.

CARLOS allein. Es ist löblich, daß man dem Menschen, der durch Verschwendung oder andere Torheiten zeigt, daß sein Verstand sich verschoben hat, von Amts wegen Vormünder setzt. Tut das die Obrigkeit, die sich doch sonst nicht viel um uns bekümmert, wie sollten wir's nicht an einem Freunde tun? Clavigo, du bist in übeln Umständen! Noch hoff' ich! Und wenn du nur noch halbweg lenksam bist wie sonst, so ist's eben noch Zeit, dich vor einer Torheit zu bewahren, die bei deinem lebhaften, empfindlichen Charakter das Elend deines Lebens machen und dich vor der Zeit ins Grab bringen muß. Er kommt.

Clavigo nachdenkend.

CLAVIGO. Guten Tag, Carlos.

CARLOS. Ein schwermütiges, gepreßtes: Guten Tag! Kommst du in dem Humor von deiner Braut?

CLAVIGO. Es ist ein Engel! Es sind vortreffliche Menschen!

CARLOS. Ihr werdet doch mit der Hochzeit nicht so sehr eilen, daß man sich noch ein Kleid dazu kann sticken lassen?

 

CLAVIGO. Scherz oder Ernst, bei unserer Hochzeit werden keine gestickten Kleider paradieren.

CARLOS. Ich glaub's wohl.

CLAVIGO. Das Vergnügen an uns selbst, die freundschaftliche Harmonie sollen der Prunk dieser Feierlichkeit sein.

CARLOS. Ihr werdet eine stille, kleine Hochzeit machen?

CLAVIGO. Wie Menschen, die fühlen, daß ihr Glück ganz in ihnen selbst beruht.

CARLOS. In den Umständen ist es recht gut.

CLAVIGO. Umständen! Was meinst du mit den Umständen?

CARLOS. Wie die Sache nun steht und liegt und sich verhält.

CLAVIGO. Höre, Carlos, ich kann den Ton des Rückhalts an Freunden nicht ausstehen. Ich weiß, du bist nicht für diese Heirat; demungeachtet, wenn du etwas dagegen zu sagen hast, sagen willst: so sag's geradezu! Wie steht denn die Sache? wie verhält sie sich?

CARLOS. Es kommen einem im Leben mehr unerwartete, wunderbare Dinge vor, und es wäre schlimm, wenn alles im Gleise ginge. Man hätte nichts, sich zu verwundern, nichts, die Köpfe zusammenzustoßen, nichts in Gesellschaft zu verschneiden.

CLAVIGO. Aufsehn wird's machen.

CARLOS. Des Clavigo Hochzeit! das versteht sich. Wie manches Mädchen in Madrid harrt auf dich, hofft auf dich, und wenn du ihnen nun diesen Streich spielst?

CLAVIGO. Das ist nun nicht anders.

CARLOS. Sonderbar ist's. Ich habe wenig Männer gekannt, die so großen und allgemeinen Eindruck auf die Weiber machten als du. Unter allen Ständen gibt's gute Kinder, die sich mit Planen und Aussichten beschäftigen, dich habhaft zu werden. Die eine bringt ihre Schönheit in Anschlag, die ihren Reichtum, ihren Stand, ihren Witz, ihre Verwandte. Was macht man mir nicht um deinetwillen für Komplimente! Denn wahrlich, weder meine Stumpfnase, noch mein Krauskopf, noch meine bekannte Verachtung der Weiber kann mir so was zuziehen.

CLAVIGO. Du spottest.

CARLOS. Wenn ich nicht schon Vorschläge, Anträge in Händen gehabt hätte, geschrieben von eignen zärtlichen, kritzlichen Pfötchen, so unorthographisch, als ein originaler Liebesbrief eines Mädchens nur sein kann. Wie manche hübsche Duenna ist mir bei der Gelegenheit unter die Finger gekommen!

CLAVIGO. Und du sagtest mir von allem dem nichts?

CARLOS. Weil ich dich mit leeren Grillen nicht beschäftigen wollte, und niemals raten konnte, daß du mit einer einzigen Ernst gemacht hättest. O Clavigo, ich habe dein Schicksal im Herzen getragen wie mein eigenes! Ich habe keinen Freund als dich; die Menschen sind mir alle unerträglich, und du fängst auch an, mir unerträglich zu werden.

CLAVIGO. Ich bitte dich, sei ruhig!

CARLOS. Brenn einem das Haus ab, daran er zehen Jahre gebauet hat, und schick ihm einen Beichtvater, der ihm die christliche Geduld empfiehlt! – Man soll sich für niemand interessieren als für sich selbst; die Menschen sind nicht so wert – –

CLAVIGO. Kommen deine feindseligen Grillen wieder?

CARLOS. Wenn ich aufs neue ganz drein versinke, wer ist schuld dran als du? Ich sagte zu mir: Was soll ihm jetzt die vorteilhafteste Heirat? ihm, der es für einen gewöhnlichen Menschen weit genug gebracht hätte; aber mit seinem Geist, mit seinen Gaben ist es unverantwortlich – ist es unmöglich, daß er bleibt, was er ist. – Ich machte meine Projekte. Es gibt so wenig Menschen, die so unternehmend und biegsam, so geistvoll und fleißig zugleich sind. Er ist in alle Fächer gerecht; als Archivarius kann er sich schnell die wichtigsten Kennt nisse erwerben, er wird sich notwendig machen, und laßt eine Veränderung vorgehn, so ist er Minister.

CLAVIGO. Ich gesteh dir, das waren oft auch meine Träume!

CARLOS. Träume! So gewiß ich den Turm erreiche und erklettere, wenn ich darauf losgehe, mit dem festen Vorsatze, nicht abzulassen, bis ich ihn erstiegen habe, so gewiß hättest du auch alle Schwierigkeiten überwunden. Und hernach wäre mir für das übrige nicht bang gewesen. Du hast kein Vermögen von Hause, desto besser; das hätte dich auf die Erwerbung eifriger, auf die Erhaltung aufmerksamer gemacht. Und wer am Zoll sitzt, ohne reich zu werden, ist ein Pinsel. Und dann seh ich nicht, warum das Land dem Minister nicht so gut Abgaben schuldig ist als dem Könige. Dieser gibt seinen Namen her und jener die Kräfte. Wenn ich denn mit allem dem fertig war, dann sah ich mich erst nach einer Partie für dich um. Ich sah manch stolzes Haus, das die Augen über deine Abkunft zugeblinkt hätte, manches der reichsten, das dir gern den Aufwand deines Standes verschafft haben würde, nur um an der Herrlichkeit des zweiten Königs teilnehmen zu dürfen – und nun –

CLAVIGO. Du bist ungerecht, du setzest meinen gegenwärtigen Zustand zu tief herab. Und glaubst du denn, daß ich mich nicht weiter treiben, nicht auch noch mächtigere Schritte tun kann?

CARLOS. Lieber Freund, brich du einer Pflanze das Herz aus, sie mag hernach treiben und treiben, unzählige Nebenschößlinge – es gibt vielleicht einen starken Busch, aber der stolze königliche Wuchs des ersten Schusses ist dahin. Und denke nur nicht, daß man diese Heirat bei Hofe gleichgültig ansehen wird. Hast du vergessen, was für Männer dir den Umgang, die Verbindung mit Marien mißrieten? Hast du vergessen, wer dir den klugen Gedanken eingab, sie zu verlassen? Soll ich dir sie an den Fingern herzählen?

CLAVIGO. Der Gedanke hat mich auch schon gepeinigt, daß so wenige diesen Schritt billigen werden.

CARLOS. Keiner! Und deine hohen Freunde sollten nicht aufgebracht sein, daß du, ohne sie zu fragen, ohne ihren Rat, dich so geradezu hingegeben hast, wie ein unbesonnener Knabe auf dem Markte sein Geld gegen wurmstichige Nüsse wegwirft?

CLAVIGO. Das ist unartig, Carlos, und übertrieben.

CARLOS. Nicht um einen Zug. Denn daß einer aus Leidenschaft einen seltsamen Streich macht, das laß ich gelten. Ein Kammermädchen zu heiraten, weil sie schön ist wie ein Engel! gut, der Mensch wird getadelt, und doch beneiden ihn die Leute.

CLAVIGO. Die Leute, immer die Leute.

CARLOS. Du weißt, ich frage nicht ängstlich nach andrer Beifall, doch das ist ewig wahr: wer nichts für andere tut, tut nichts für sich; und wenn die Menschen dich nicht bewundern oder beneiden, bist du auch nicht glücklich.

CLAVIGO. Die Welt urteilt nach dem Scheine. O! wer Mariens Herz besitzt, ist zu beneiden!

CARLOS. Was die Sache ist, scheint sie auch. Aber freilich dacht ich, daß das verborgene Qualitäten sein müssen, die dein Glück beneidenswert machen; denn was man mit seinen Augen sieht, mit seinem Menschenverstande begreifen kann –

CLAVIGO. Du willst mich zugrunde richten.

CARLOS. Wie ist das zugegangen? wird man in der Stadt fragen. Wie ist das zugegangen? fragt man bei Hofe. Um Gottes willen, wie ist das zugegangen? Sie ist arm, ohne Stand; hätte Clavigo nicht einmal ein Abenteuer mit ihr gehabt, man wüßte gar nicht, daß sie in der Welt ist. Sie soll artig sein, angenehm, witzig! – Wer wird darum eine Frau nehmen? Das vergeht so in den ersten Zeiten des Ehestands. Ach! sagt einer, sie soll schön sein, reizend, ausnehmend schön. – Da ist's zu begreifen, sagt ein anderer –

CLAVIGO wird verwirrt, ihm entfahrt ein tiefer Seufzer. Ach!

CARLOS. Schön? O! sagt die eine, es geht an! Ich hab sie in sechs Jahren nicht gesehn, da kann sich schon was verändern, sagt eine andere. Man muß doch achtgeben, er wird sie bald produzieren, sagt die dritte. Man fragt, man guckt, man geht zu Gefallen, man wartet, man ist ungeduldig, erinnert sich immer des stolzen Clavigo, der sich nie öffentlich sehen ließ, ohne eine stattliche, herrliche, hochäugige Spanierin im Triumph aufzuführen, deren volle Brust, ihre glühenden Wangen, ihre heißen Augen die Welt ringsumher zu fragen schienen: bin ich nicht meines Begleiters wert? und die in ihrem Übermut den seidnen Schlepprock so weit hinten aus im Winde segeln ließ als möglich, um ihre Erscheinung ansehnlicher und würdiger zu machen. – Und nun erscheint der Herr – und allen Leuten versagt das Wort im Munde – kommt angezogen mit seiner trippelnden, kleinen, hohläugigen Französin, der die Auszehrung aus allen Gliedern spricht, wenn sie gleich ihre Totenfarbe mit Weiß und Rot überpinselt hat. O Bruder, ich werde rasend, ich laufe davon, wenn mich nun die Leute zu packen kriegen und fragen und quästionieren und nicht begreifen können –