Czytaj książkę: «Das große Geschäft»
Johann-Günther König
Das große Geschäft
Eine kleine Geschichte
der menschlichen Notdurft
In Erinnerung an Berit Grindberg Mai (1944 – 2014)
und Titus Wilhelm Mai (1941 – 2014).
Abbildungsnachweis:
S. 6: Sitzabtritt 1635 aus Süddt. Dorflandschaft, Kupferstich von Matthäus Merian, mit freundlicher Genehmigung von Bodo Stratmann.
S. 69: Bildausschnitt aus der Faksimileausgabe der Ars memorativa des Filser Verlags, Augsburg 1925.
© 2015 zu Klampen Verlag • Röse 21 • 31832 Springe
Umschlaggestaltung: www.hildendesign.de
Umschlagabbildung: © HildenDesign
unter Verwendung eines Motivs von Shutterstock.com
Satz: Melanie Beckmann
1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2016
ISBN 978-3-86674-460-8
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.dnb.de› abrufbar.
Bäuerlicher Sitzabtritt in Süddeutschland um 1625,
Kupferstich von Matthäus Merian dem älteren
Inhalt
Cover
Titel
Impressum
Zu den Aborten
00 1 Tabu-Spülung
00 2 Tierisch menschlich
00 3 Vom Winde verweht
00 4 Kleine EnzyKLOpädie
00 5 Zivilisation im Seuchenherd
00 6 Gute Verrichtung?
00 7 Teutsch Unverblümtes vom französischen Hof
00 8 Stiller Ort ganz aufgeklärt
00 9 Wir beleidigen doch nicht Gott
WC 1 Die Erleichterung der Erleichterung
WC 2 Im Zeitalter des Welttoilettentags
Literatur
Nachweise
Danksagung
Fußnoten
Zu den Aborten
Ich falle gleich mit der Tür ins Häusl: »Was natürlich ist, dessen hat man sich nicht zu schämen, sagte der Kerl und setzte einen Haufen auf den Markt.«I Um überleben zu können, muss Mensch essen und trinken. Was der Körper an Nahrung nicht verwerten kann, muss er allerdings auch wieder in die Umwelt abgeben, sonst wäre er nicht überlebensfähig, würde gleichsam platzen. Die Notdurft gehört wie die Ernährung zu den natürlichen Bedürfnissen, die ausschließlich aus unseren physischen Eigenschaften resultieren. Wie viele Säugetiere scheiden wir Menschen unsere Exkremente getrennt über das Harnorgan und den Darmausgang aus. Mittels der Miktion die flüssigen, mittels der Defäkation die festeren Bestandteile sowie ein gewisses Gasvolumen. Anders als beim Kerl im obigen Beispielsprichwort dient der Marktplatz allerdings üblicherweise nicht als Stätte der natürlichen Erleichterung; sitzt bei der konkreten Praktik wohl nicht nur mir die Scham im Nacken.
Für die Erleichterung muss das Gesellschaftstier Homo sapiens seit seinem ersten Weltendasein zwangsläufig täglich eine gewisse Zeit aufwenden. Immerhin verbringen Frauen heute durchschnittlich täglich achtzehn und Männer sechzehn Minuten auf dem Klo. Ab dem Kleinkindalter muss ein jeder Mensch eine eigenständige Verrichtungspraktik entwickeln, die unter den jeweils historisch und örtlich gegebenen Bedingungen von den Mitmenschen toleriert bzw. akzeptiert wird. Möglicher Ekel vor den eigenen Ausscheidungen und/oder denen von anderen resultiert auch aus Sozialisierungspraktiken. Und Gesellschaft entsteht nicht zuletzt dadurch, dass passable Lösungen für den Umgang mit den Körperausscheidungen gefunden werden.1
Einer der vielen in den mit WC, D, H oder 00 gekennzeichneten Räumlichkeiten hinterlassenen Sprüche verheißt: »Der wichtigste und schönste Ort auf Erden ist stets der Abort.« Allerdings gibt es auch an Wände gekritzelte Bekenntnisse, die das wieder in Frage stellen: »Gegen den Gestank hier ist meine Scheiße das reinste 4711.« Das ziemlich digital anmutende Hinweisschild 00 kam übrigens im späten 19. Jahrhundert auf, als in größeren Hotels auf jeder Etage zusätzlich ein separates heimliches Gemach eingerichtet wurde. Die Klosetts erhielten die Doppelnullnummer, damit sie nicht mit den Gästezimmern verwechselt werden konnten.
Der menschliche Umgang mit der Notdurft hat eine Geschichte. Er spiegelt die kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungsschritte von Gesellschaften. Um sie nachvollziehen zu können, reicht es meines Erachtens nicht, nur die Entwicklung des Ortes der Notwendigkeit an sich, den locus necessitatis, sowie die damit verbundenen festen und mobilen Erzeugnisse wie etwa Latrinen, Nachttöpfe, Bettpfannen, Leibstühle und Klosetts oder auch die Sickergruben, Abtransport- und schließlich Abwassersysteme unter die Lupe zu nehmen. Wesentlich aufschlussreicher sind, jedenfalls im Prinzip, die schriftlich überlieferten Schilderungen und Augenzeugenberichte, die über menschliche Gewohnheiten und Rituale mehr oder weniger ehrlich Auskunft geben. Wie heißt es nicht in einem Reim: »Meine Herren und Damen / machen Sie nicht auf den Rahmen / machen Sie in die Mitte / das ist deutsche Sitte.« Mir geht es weder um eine bereits vielfältig – sogar »gelehrt« – dargelegte europäische Geschichte der Scheiße, noch um eine – bislang allerdings nur rudimentär ausgelotete – Geschichte der Pisse. Auch geht es mir nicht um eine bloße Neufassung bereits vorliegender Kulturgeschichten des Aborts oder auch WCs.IIKennzeichnend für viele dieser Publikationen – und ihrer vielfältigen Kurzfassungen im Internet – ist das Schlagen eines Bogens vom Altertum bis heute. Geschildert wird ein Ablauf, der mit einem vermeintlichen sanitären Fortschritt in der Antike anhebt, dann einen langwährenden Rückschritt und elenden Stillstand bis in das 19. Jahrhundert hinein schildert, um ab dem 20. Jahrhundert endlich wieder einen, diesmal hygienischen und sanitären, Fortschritt zu konstatieren. Die Menschen selbst geraten dabei freilich mehr oder weniger aus dem Blick.
In diesem Buch versuche ich zu erhellen, wie sich der menschliche Umgang mit der Notdurft im zentraleuropäischen (insbesondere deutschsprachigen) Raum seit der Ansiedelung von ersten Abkömmlingen der Gattung Homo sapiens bis in dieses frühe 21. Jahrhundert entfaltete. So etwas wie historische Wahrheit kann es für einen Großteil der von mir abgedeckten Zeitspanne allerdings nicht geben. Die Skizzierung der Alltagsgeschichte der Notdurftbefriedigung ist schon deshalb keine leichte Verrichtung, weil es für einen langen Zeitraum keine oder nur spärliche Spuren gibt. Von dem Problem nicht überlieferter Mündlichkeit bzw. nonverbaler Erfahrungen gar nicht zu reden, das eine erdrückende Mehrheit unserer Vorfahren quasi für immer stumm hält. Viele der von Mitgliedern der Höfe, Handelshäuser, Intelligenz, Kunst und der Kirche erhalten gebliebenen Zeugnisse sind zudem parteiisch und nicht selten satirisch überzogen (teils auch erstunken und erlogen). Im Zweifelsfall gilt insbesondere für die Praktiken der Defäkation und/oder Miktion die Erkenntnis: De normalibus non in actis. Das Selbstverständliche ist nicht überlieferungsfähig.
Im 16. Jahrhundert entwickelte Michel de Montaigne die Form des persönlichen Essays. Der Essay (französisch: essayer = versuchen) kann im weitesten Sinne als eine Darstellungsform genutzt werden, um einer Fragestellung frei, assoziativ und den eigenen Denkbewegungen folgend nachzugehen. Ich nutze diese Form in diesem Buch, um anhand von authentischen Zeugnissen aus überlieferten Briefen, Memoiren, Reiseberichten, literarischen und fachlichen Werken aus vielen Jahrhunderten – gleichsam meinem Riecher folgend – die so selbstverständliche menschliche Bedürfnisbefriedigung der Ausscheidung facettenreich zu erkunden. Dabei gewähre ich einigen Persönlichkeiten der Geschichte quasi notgedrungen vergleichsweise viel Raum, weil die gemeine Frau und der gemeine Mann bis weit ins 19. Jahrhundert hinein im überlieferten Schriftgut extrem unterrepräsentiert sind. Das Bildungssystem für die Unterschichten hinderte die vielen davon betroffenen Frauen noch bis an die Schwelle des 20. Jahrhunderts, lesen und schreiben zu lernen.
Menschen haben seit jeher natürliche und unaufschiebbare Bedürfnisse. Mein Versuch einer Geschichtsschreibung der Erleichterung kann bestenfalls nur andeuten, wie wir Mitteleuropäer zu genau den Damen und Herren bzw. Unisex-Vertretern geworden sind, die wir heute ausweislich einschlägiger Türschilder in öffentlich zugänglichen – häufig gar nicht stillen – Orten sind. Nicht mehr und nicht weniger. Wickeltische in mit H ausgeschilderten Aborten sind übrigens eine ziemlich junge historische Errungenschaft.
P.S. Der amerikanische Komödiant Charles Sale (1885 – 1936) legte 1929 das Bändchen The Specialist vor. Vom ehrwürdigen Times Literary Supplement als »zu genial, als dass es anstößig sein könnte« gepriesen, wurde es ein angloamerikanischer Bestseller. Ich habe die Häusl-Geschichte mit dem literarischen Übersetzer Jürgen Dierking neu ins Deutsche übertragen. Sie steht auf meiner Website www.johann-guenther-koenig.de unter der Rubrik Kultur zur vergnüglichen Einsicht parat.
00 1 Tabu-Spülung
Was den menschlichen Körper als Produkt der Verdauung verlässt, ist mehr oder weniger geruchsintensiv. Eben deshalb liegt der Versuch nahe, Urin und Kot möglichst hygienisch und effektiv aus Augen und Sinn zu bekommen. In den meisten europäischen Haushalten ist das heute schon deshalb kein Problem, weil Sitztoiletten bereitstehen, die das Sicherleichtern problemlos erleichtern. Eigentlich erinnert nur noch die Klobürste daran, dass große Geschäfte mehr Umsicht und Einsatz erfordern als kleine. Psychoanalytiker würden hinzufügen, Toiletten seien auch Orte der Entlastung und Befreiung von Bedrängendem und Belastendem.
Wir essen und trinken, wir tafeln und nippen, wir fressen und saufen. Täten wir es nicht, würden wir verhungern und verdursten. Wie heißt noch gleich das geflügelte Wort von Bert Brecht? – »Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral. – Denn wovon lebt der Mensch?«2 Und wie sieht es nach der Verdauung aus, wenn die vom Körper nicht benötigten Stoffe und Flüssigkeiten alternativlos wieder an die Umwelt abgegeben werden müssen? Erst kommt die Verrichtung der Notdurft, aber was kommt dann? Was passiert, wenn eine Toilette oder bei Großveranstaltungen eine mobile Sanitäranlage nicht in Reichweite sind? Kommt spätestens dann die Moral? Und wie steht es um die von vielen Wissenschaftlern und Journalisten artikulierte Auffassung, menschliche Exkremente und deren Erzeugung seien »noch immer ein Tabu-Thema«?3
Einer der Leitsätze der Outdoor-Bewegung lautet, für die Verrichtung der Notdurft seien ein Loch zu graben und die Hinterlassenschaften anschließend mit Erde abzudecken. Auf diese Weise soll die Abschwemmung der Exkremente in Gewässer unterbunden und eine »Besetzung« durch Insekten verhindert werden. Und warum dieser Aufwand? Kathleen Meyer, die mit ihrem Buch How to shit in the Woods viel Aufmerksamkeit erzielte, verdeutlicht in einem Interview: »Wir jetsetten rund um die Welt, wir können in Südost-Asien etwas essen, was wir dann in das Hinterland von Colorado ausscheiden. Wir verbreiten also Krankheiten wesentlich schneller als Tiere, es ist extrem wichtig, unsere Exkremente gut zu vergraben. Außerdem empfehle ich, auch das Klopapier wegzuräumen. Nehmen Sie einfach eine Plastiktüte mit und packen Sie das Papier hinein.«4
Ob mit Klosett oder ohne – wenn wir müssen, geraten wir unter Druck. Das liegt in der Natur der Sache. Wie heißt es nicht in Erich Kästners Gedicht Helden in Pantoffeln:
Auch der tapferste Mann, den es gibt,
schaut mal unters Bett.
Auch die nobelste Frau, die man liebt,
muß mal aufs Klosett.
Wer anläßlich dieser Erklärung
behauptet, das sei Infamie,
der verwechselt Heldenverehrung
mit Mangel an Phantasie.5
Alles nur Erdenkliche rund um die Themen Essen und Trinken wird täglich medial extensiv aufbereitet und als Gesprächsstoff dankbar aufgenommen. Die damit mehr oder weniger verbundenen Probleme wie etwa Erbrechen, Verstopfung, Völlegefühl, Diarrhöe und Harndrang werden dabei nicht ausgeblendet, sind laut Werbung kurierbare Kalamitäten. Auch der Ort des körperlichen Erleichterungsgeschehens ist keinesfalls ins verbale Schattendasein verbannt – die Frage, wo sich wohl die Toilette befindet, wird dafür viel zu häufig gestellt. Auch kommen viele Leute etwa in Hörergesprächen des Funks unmissverständlich auf den Punkt, wenn eine öffentliche Anlage nicht funktioniert oder ekelhaft heruntergekommen ist.
Ich muss in Gesprächen nur das Wort Gesundheit in den Ring werfen, und schon entspinnt sich nicht selten ein längerer Erfahrungs- und Gedankenaustausch, der zuweilen selbst Toilettengewohnheiten und die Analhygiene nicht ausspart. Die Spanne reicht von neumodischen Dusch-WCs und Taschen-Toiletten, den Vor- und Nachteilen der Hockstellung und der Gesundheitsschädlichkeit bestimmter Klopapiere bis hin zu Blähungen, Inkontinenz, Hämorrhoiden und dergleichen Leiden mehr. Die Werbung lässt jedenfalls nichts unversucht, alle nur denkbaren Lebenssituationen, Leiden und Unwohlgefühle im »Intimbereich« ins Gespräch und Blickfeld zu bringen, um einschlägige Mittelchen zu Verkaufserfolgen oder Therapiemaßnahmen zum Mittel der Wahl zu machen.
In der viel gelesenen und kostenlosen Apotheken Umschau mangelt es nicht an Aufklärung. Ein Beispiel: »Das Problem gibt es schon lange. Doch erst seit wenigen Jahren hat es auch einen Namen: Paruresis, auf Englisch ›Shy bladder Syndrome‹ (übersetzt in etwa: schüchterne Blase). Das bedeutet, dass ein Mensch Schwierigkeiten hat, außerhalb seiner privaten Umgebung Wasser zu lassen. Anders als man im ersten Moment vermutet, stehen nicht Ekel vor den hygienischen Zuständen auf bestimmten öffentlichen Toiletten im Vordergrund. Entscheidend ist die Anwesenheit oder auch nur die befürchtete Anwesenheit anderer Menschen.«6
Die in der Bundesrepublik noch vor einigen Jahrzehnten gesellschaftlich gepflegten Tabus in sexuellen und hygienischen Belangen lösen sich tendenziell in Luft auf. Ein Rückblick: 1956 erschien das Hausbuch für die deutsche Familie, in dem sich ein längeres Kapitel dem »Heim und Haushalt« widmet – einschließlich der »kleinen und gründlichen Reinigung«. Die ellenlangen Ausführungen von Irmgard Schütz-Glück über die Reinigungsschritte »einer guten Hausfrau« im Schlaf- und Wohnzimmer – »zuletzt wird noch Staub gewischt« – belehren nachdrücklich über alle nur denkbaren Reinigungsmaßnahmen.7 Ein Bad oder gar ein Klosett, die ja auch einer Reinigung bedürfen, sind in ihrem Text schlicht nicht existent, sind tabu.
Immerhin, als elf Jahre später die neunte, völlig neu bearbeitete Auflage des Ratgeberbuchs Etikette neu von Karlheinz Graudenz und Erica Pappritz die Gabentische junger Bundesbürgerinnen und -bürger bereicherte, konnte das Stichwort »Toilette« offenbar nicht mehr umgangen werden. Da heißt es: »Halten wir es mit dem liebenswürdigen Spötter Heinrich Spoerl und ›sprechen wir ruhig darüber‹! Heikle Themen erledigen sich nicht von selbst, indem man sie totschweigt. Und dieser kleine Raum bleibt nun einmal trotz seines nicht gern diskutierten Zwecks eine Visitenkarte auch der bescheidensten Wohnung. Dabei genügen anderthalb Quadratmeter völlig für diesen Raum. Waschbecken, Spiegel und Handtuchhalter, oder, noch praktischer, ein Behälter für die kleinen Gästehandtücher sollten nicht fehlen. Da an diesem Ort ein jeder für Reinlichkeit verantwortlich ist, darf eine Reihe bekannter Utensilien nicht fehlen, denn es wäre zu viel verlangt, wollte man die Beseitigung irgendwelcher Benutzungsspuren Dritten zumuten. Und, aller Kritik zum Trotz, sei ein Hinweis erlaubt: Wer findig ist und die moderne Installationstechnik geschickt zu nutzen versteht, wird sich ihrer besonders in kleinen, hellhörigen Wohnungen rechtzeitig bedienen. Am Fenster wird zweckmäßigerweise eine Lüftungsklappe angebracht sein, die ständig Frischluft zuführt. Im übrigen gibt es ja den desodorierenden Raumspray, der nicht nur in keiner Toilette fehlen, sondern auch so placiert sein sollte, daß ihn niemand übersehen kann.«8
Inzwischen haben sich die Sitten – und die Zahl und Verfügbarkeit toilettentauglicher Utensilien – entschieden geändert. So ließ 2014 in einer Folge der RTL-Kuppelshow Bauer sucht Frau der finanziell gut gestellte Günther die ihm zugesellte Claudia zum Nachweis ihrer Beziehungstauglichkeit quasi öffentlich seine Ferienwohnungen putzen. O-Ton: »Da werden wir mal schauen, ob sie dann eher sagt, ich mache das Staubwischen, oder ob sie auch richtig anpacken kann, ans Eingemachte geht und das Klo putzt.« Sie tat es, versenkte die Hände in der Schüssel und schrubbte nach Leibeskräften … Müßig zu erwähnen, dass spätestens seit der Messung von Sender-Einschaltquoten zahlreiche einst unumstößlich scheinende Tabus durch das gezielte Dauerfeuer von Tabubrüchen – sowohl in diversen Ekelshows wie auch Talkrunden, in denen der Intimität gleichsam der Garaus gemacht wird – ihren Geist aufgeben. Apropos Tabu:
Das wohl bekannteste Sinnbild sind die drei Affen (aus dem Schrein von Nikko), sprich: nichts hören, nichts sehen, nichts sagen. Tabus fallen nicht vom Himmel. Sie unterliegen ebenso dem historischen Wandel wie die Gesellschaften, die sie in ihren jeweiligen Kulturräumen hervorbringen und statuieren. Anders als gesetzlich verfügte Verbote und Erlasse beruhen sie auf einem stillschweigenden Übereinkommen der Mehrheitsgesellschaft, über ganz bestimmte Dinge weder nachzudenken, noch darüber zu sprechen oder sie gar zu praktizieren. Verstöße werden umgehend geahndet, im Härtefall durch den Ausschluss aus der Gemeinschaft. Individuen, die wissentlich oder unwissentlich gegen ein Tabu verstoßen, dürfen seit jeher nicht auf Toleranz hoffen.9 Wenn sich aber durchsetzungsmächtige Gruppen finden, die aus welchen politischen, kulturellen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Gründen auch immer ein Tabu zur Erosion bringen wollen – einfach und über Nacht abschaffen lässt es sich ja nicht –, dann sind dessen Tage schneller, als manchem lieb ist, gezählt.
2003 erschien die vortreffliche Doktorarbeit Toiletten und Urinale für Frauen und Männer von Bettina Möllring. In der Einleitung heißt es: »Die Gestaltung und Verwendung von Toiletten wird immer durch den gesellschaftlich geprägten Umgang mit dem individuellen Körper bestimmt. In den westlichen Kulturen gehören die Ausscheidungsprozesse noch zu den tabuisiertesten Handlungen – während das Tabu der Sexualität, die in vergleichbarer Weise intimisiert war, schon weitgehend aufgehoben ist. Mit der Tabuisierung der körperlichen Verrichtungen und der daraus resultierenden Intimität der Handlungen ist verbunden, dass bei Sanitärgegenständen ein vergleichsweise hohes Niveau an Gewohnheit und Vertrautheit während ihrer Benutzung besonders wichtige Faktoren sind.«10
Möllrings Befund einer »Tabuisierung der körperlichen Verrichtungen« liegt bereits mehr als ein Jahrzehnt zurück. Zwar kann ich mir gut vorstellen, dass es – mich inbegriffen – durchaus noch viele Zeitgenössinnen und Zeitgenossen gibt, die nicht ungeschützt über ihre individuellen Toilettengewohnheiten sprechen wollen. In den Medien aber kann von einer Tabuisierung längst keine Rede mehr sein. Was heute etwa in als Bestseller beworbenen Büchern demonstriert wird, lässt kaum einen Intimitätswinkel ausgespart. Ich öffne das Taschenbuch Mondscheintarif der 1968 geborenen Autorin Ildiko von Kürthy. Darin erzählt eine Fotografin, die 33-jährige Cora, ihre Geschichte – und bekennt nach einer Liebesenttäuschung: »Die Geburtstagsfeier habe ich heulend auf dem Klo verbracht.« Bei einem Filmempfang überkommt die Protagonistin ein Bedürfnis, und sie fragt ihren Begleiter: »Darf ich mal auf die Toilette gehen, oder komm ich dann ins Fernsehen?« Sie darf natürlich …
»Mir lief das Wasser im Mund zusammen, während ich mich an der überladenen Tafel vorbei in Richtung Damenklo vorarbeitete. Ich stieß die Schwingtür auf und fand mich in einem unglaublichen Pinkel-Palast wieder. Überall Spiegel, überall Marmor. Neben den Porzellanwaschbecken hing nicht etwa so ein gefährlicher Heißluftgebläseautomat, unter dem man sich die Haut verbrennt, trotzdem nicht trocknet, und der Nächste, dem man die Hand schüttelt, denkt, man hätte ihn mit Exkrementen besudelt. Hier lagen, ordentlich gestapelt, frische, kleine, weiße Frottee-Handtücher bereit. Und neben den weißen Handtuchstapeln saß eine hutzelige Klofrau auf einem Höckerchen und schaute mich erwartungsvoll an. So was hab ich ja nicht gerne. Ich kriege Probleme beim Wasserlassen, wenn ich den Eindruck habe, dass mir dabei jemand zuhört. Es wird mir ewig ein Rätsel bleiben, wie Männer es schaffen, nebeneinanderzustehen und zu pinkeln. Wie tun sie das? Reden sie dabei? Worüber? Was ist, wenn sich der Chef neben einem erleichtert? Urinstau? Gehaltsverhandlungen?«11
Und was passiert, wenn der Blick durch die sprichwörtliche Brille in die Weiten des historisch noch sehr jungen Internets geht – in den immer dominanteren virtuellen öffentlichen Raum? Das World Wide Web hat zu jeder erdenklichen Problematik entweder nur wenig oder unfasslich viel zu bieten. Als ich damit begann, die mit unseren natürlichen Körperausscheidungen verbundenen Begriffe in eine Suchmaschine einzugeben, stieß ich zum Beispiel unter dem Suchwort »Kacke« umgehend auf das Forum gofeminin und einen Beitrag vom Januar 2013: »Dass auch Mädchen/Frauen kacken gehen müssen, ist ja klar. Aber mir ist es trotzdem jedes Mal peinlich, wenn ich zu Hause kacken gehe und nach mir geht jemand ins Badezimmer. Ich wohne mit Mama, ihrem Freund und meinen beiden kleinen Schwestern in einer 4-Raum-Wohnung, und da wir ein sehr, sehr kleines Badezimmer haben ohne Fenster, habe ich natürlich keine Möglichkeit, den Geruch irgendwie wegzubekommen. Raumspray hilft nichts, man riecht’s ja trotzdem.«12
An Problemschilderungen, derben Sprüchen, Ratschlägen und Tipps fehlt es in Internetforen, Blogs und Websites gewiss nicht – und schon gar nicht zu den vermeintlich scham- und ekelbehafteten, zumindest intim aufgefassten Angelegenheiten rund um unsere natürlichen Bedürfnisse. Insbesondere in den Foren, in denen die Teilnehmer mit Tarnnamen operieren, wird wahrlich kein Blatt vor den Mund genommen. Zwar schieben viele User den Hinweis ein, ihre Notdurftbedürfnisse und die damit verbundenen Probleme und Fragen seien ihnen peinlich, und spielen damit auf ein Gefühl der Verlegenheit und des Unbehagens an; aber was sie dann und wie sie es berichten – Schwamm drüber. In den einschlägigen und frei zugänglichen Angeboten des weltweiten Webs wie auch in Talkshows ist der Begriff Tabu längst sprach-, ton- und bildgewaltig ausgehebelt, ja ad absurdum geführt. Was eine vielgenutzte Suchmaschine etwa nach der Eingabe des Stichworts Pisse gleich auf der ersten Seite zugänglich macht, spricht Tabuisierungswünschen nachgerade Hohn: Videofilmchen, die die Handlung als solche aus jeder Perspektive und in allen nur denkbaren Varianten darstellen und kommentieren sowie anklickbereite Piss-Pornos, die keine – zumal menschlich entwürdigende – Praktik auslassen.
Und wie steht es um die Aufrechterhaltung des Tabus in Fernsehserien und im Film? Bleibt die Toilette als Rückzugsort zur Verrichtung so privater wie intimer Angelegenheiten mehr oder weniger unangetastet oder zumindest frei von Menschen, die sich erleichtern müssen? Nun, in den Fernsehserien der Gegenwart sind Kloszenen nichts Ungewöhnliches mehr. In der 1993 gestarteten Serie Motzki rauscht gleich in der ersten Folge eine Wasserspülung, geht die Tür auf und tritt ein älterer Herr ins Treppenhaus, dem die Jogginghose noch in den Kniekehlen hängt und der eine Rolle Klopapier unterm Arm trägt. Motzki kommt gerade aus dem früher in den Mietskasernen üblichen Abort auf halber Treppe … In der hierzulande ab 1998 präsenten Anwaltsserie Ally McBeal werden die wichtigsten Belange stets in der Unisex-Toilette der Kanzlei diskutiert. Dass Tatort-Kommissare Urinale aufsuchen, dort ihre Penisse abschütteln und dabei Worte wechseln, nicht zu vergessen. Wie selbstverständlich der Besuch und die Thematisierung des Klosetts inzwischen in der Welt der Unterhaltungssendungen bzw. Sitcoms ist, ergibt sich etwa aus der Folge »Der König der Klos« der Serie Eine schrecklich nette Familie. Nachgerade offenherzig, wie folgender Auszug vermittelt:
AL: »Kann einer nicht versuchen Kelly aus dem Klo rauszukriegen in mir rumorts. Und ich versuch’ immer noch zu verdauen.«
(Kelly kommt die Treppe herunter.)
KELLY: »Nächste.«
AL: »Ach, endlich. […] Als junger Mann hatte ich zwei Träume. Einer war Astronaut zu werden und auf dem Planeten Jane Mansfield zu landen. Der andere war ein Klo zu haben für mich ganz allein. Naja, Janey ist von der Bahn abgekommen und musste auf einem dunkleren Planet notlanden. Aber Familie, ich verwirkliche jetzt meinen zweiten Traum. Ich habe beschlossen, ein Klo zu bauen. Das tollste Klo auf der ganzen Welt und ich möchte, dass ihr euch gleich etwas merkt. Niemand wird dieses Klo benutzen außer mir.« […]
(Al entfernt die Holzverkleidung der Kiste und zum Vorschein kommt eine weiße Toilette mit Spülkasten.)
KELLY: »Ist das ’ne Fata Morgana oder ’ne Toilette?«
AL: »Nicht nur eine Toilette. Eine Ferguson. Die Königin der Schüsseln. Bud, setz dich. Ich will dir die Geschichte der Ferguson erzählen. Also … diese Babys werden in Maine fabriziert, in der kleinen Ferguson Fabrik. Sie ist die Stradivari der Toiletten und mein Dad konnte darauf spielen wie auf ’ner Geige. Ja, ich werde nie vergessen, wie mein Dad mich mitgenommen hat nach Maine, um die Fabrik zu besichtigen. Ich musste dringend pinkeln. Ich habe ihn gebeten, mal rechts ran zu fahren. Aber er hat gesagt: Nein, warte bis wir dort sind, es lohnt sich. Und er hatte recht.«
BUD: »Entschuldige bitte, Dad. Aber eine Toilette ist eine Toilette.«
AL: »Toiletten von heute verdienen nicht mal den Namen. Sie kommen in Designerfarben daher und sind zu niedrig. Und wenn du spülst machen sie einen kleinen, schwachen, fast um Verzeihung bittenden Ton. Nicht die Ferguson. Die gibt es nur in Weiß. Und wenn du spülst … bah … wuusch … Das ist ’ne männliche Spülung. Eine Ferguson sagt: Ich bin ’ne Toilette. Setz dich und gib mir deinen besten Schuss.«13
In der Serie South Park gibt es in der dritten Episode der siebten Staffel sozusagen die Ergänzung – sprich: »Das Schweigen des Klopapiers«. Kinder die im Kunstunterricht zum Nachsitzen verdonnert wurden, kaufen sich anschließend Unmengen von Klopapier und bewerfen damit das Haus ihrer Lehrerin. Das WC samt sämtlicher Utensilien und damit verbundener Gänge dient in Fernsehserien spätestens seit den 1990er Jahren ganz selbstverständlich dazu, möglichst alle Tiefen der menschlichen Existenz auszuloten. Und im Film? Georgi Gospodinovs Ich-Erzähler spielt in dem das 00 in jeder Hinsicht auslotenden Werk Natürlicher Roman (2007) in einem Gespräch auf die noch häufig vertretene Auffassung an, auf der Leinwand wäre das stille Örtchen nicht nur still, sondern einfach weg gewesen:
»– Und als ich klein war, konnte ich mir, wenn ich ins Dorfkino ging, überhaupt nicht erklären, warum in den Filmen niemand aufs Klo ging. Du siehst Indianer, Cowboys, ganze römische Legionen, und keinen zeigen sie dabei, wie er scheißt oder pinkelt. Ich rannte nach den zwei Stunden im Kino wie verrückt aufs Klo, und jene Typen aus den Filmen nicht ein einziges Mal in einem ganzen Leben. Bitteschön, sagte ich mir, echte Männer hocken sich nicht mit warmen Hintern hin, und ich nahm mir vor auszuprobieren, wie lange ich es aushalten würde, ohne zumindest das große Geschäft zu verrichten. Ich verkniff es mir drei Tage lang. Ich krümmte mich vor Bauchschmerzen, ging leicht vornübergebeugt, meine Eltern erschraken und wollten mich schon zum Arzt bringen. Am Abend des dritten Tages hielt ich es nicht mehr aus. Ich schloss mich im Klo ein und lief aus. Ich fühlte mich wie ein losgebundener Ballon, der zusammenschrumpelt, es zischt, und am Ende bleibt nichts von ihm übrig. Damals zweifelte ich zum ersten Mal am Kino. Es lag etwas Falsches in ihm, etwas … wie soll ich sagen … etwas Unehrliches.
– Nur, weil du dir die falschen Filme angeschaut hast. Eines werde ich dir sagen, du kannst nur dadurch herausfinden, ob ein Film etwas taugt, wenn seine Kamera auch ins Klo geht. Nehmen wir zum Beispiel ›Pulp Fiction‹, als Bruce Willis zurückkommt, um seine Uhr zu holen, und beschließt, sich zwei Scheiben Brot in den Toaster zu hauen, während Travolta auf dem Klo hockt. Die Toastbrote springen heraus. Bruce erschrickt und erschießt den anderen. Der Toaster drückt also den Abzug, und die Küche reißt dem Klo den Arsch auf. Siehst du, wie das zusammenhängt?
– Und der Bulle in ›Reservoir Dogs‹, hieß er nicht Mister Orange, der die Geschichte mit den Drogen im Klo mit allen Details erzählt, um sie glaubhafter zu machen. Während er die Geschichte auswendig lernt, ruft sein Chef: Du musst dich nur an die Details erinnern. Das wird sie dazu bringen, dir zu glauben. Die Handlung, sagt er, spielt sich im Männerklo ab. Du musst alles über dieses Klo wissen. Ob es Papiertücher gibt oder einen Föhn für die Hände, was für eine Art von Seife es ist. Ob es stinkt. Ob nicht irgendein Bastard eine der Kabinen mit dünnflüssiger Scheiße vollgeschissen hat … Alles.
– Oh, ich glaube, ich muss mich übergeben … […]
– Das Größte in den 90er Jahren bleibt die Tauchszene in der schmutzigsten Toilette Schottlands in ›Trainspotting‹.
– Oder nimm die Filme von Fassbinder und Antonioni, überall wirst du mindestens eine Szene in einem Klo sehen. Und Kusturica mit diesem komischen Selbstmordversuch im Klo.«14