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Achtundvierzig Briefe von Johann Gottlieb Fichte und seinen Verwandten

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10

Jena, d. 13. Fbr. 94.

Mein lieber Bruder,

Dein Lehrer hatte mir schon vor einigen Wochen Deinethalben geschrieben. Ich bin so überhäuft mit Arbeiten gewesen, daß ich ihm nicht eher, als bis jetzt antworten konnte; ich hoffe aber, daß dadurch für Dich kein Nachtheil entstanden seyn soll.

Die Methode, die der Herr Konrektor mit dem Decliniren, und Conjugiren einschlägt ist die einzige für Dich zweckmäßige. Mag es immer Kopfbrechens kosten. Decliniren, und Konjugiren ist das wenigste: die Uebung der angestrengten Aufmerksamkeit, des geschwinden Besinnens u. s. w. – diese ist wichtig.

Dich an Arbeiten gewöhnen, ist gleichfalls eine Hauptsache. Fahre so fort, wie Du mir schreibst, daß Du handelst. Ich wünschte auch zu wißen, was Du in Geschichte, und Geographie gelernt hast.

Ich sehe, daß Du noch immer so sehr unorthographisch schreibst. Suche Dich darüber zu belehren; und gib acht auf Dich, bei jeder Zeile die Du schreibst; sonst wirst Du Zeitlebens nicht orthographisch schreiben lernen; und das paßirt gar nicht. – Ferner schreibst Du doch auch gar zu schlecht. Ich wünschte, daß Du Deine Hand übtest. Berufe darin Dich nicht etwa auf mich. Es ist etwas anderes eine flüchtige aber ausgeschriebene Hand zu schreiben. Die Deinige ist nicht ausgearbeitet. Ich sehe ein, daß Dir das etwas schwer werden wird, weil Deine Hände durch Handarbeit steif geworden sind; aber Du mußt nur desto mehr schreiben.

Des P. Wagners Vortrag habe ich selbst einmal genoßen. Er ist allerdings sehr faßlich. Aber sey darum dennoch versichert, daß der jezige Unterricht dennoch der zwekmäßigste für Dich ist, eben darum, weil er Dir die Sache schwer macht. Es ist nicht um die Sache; es ist um die Kraftübung. Leb recht wohl, und schreibe mir bald wieder.

Fichte.

Aufschrift:

Herrn Fichte
in
Meissen

11

Jena d. 25. Nov. 1794.

Theurer Bruder!

Mein theurer Mann, welcher Sie herzlich grüßt, hat mir aufgetragen Ihnen zu schreiben; dies Geschäft hab ich gern übernommen, nicht daß ich gerne Briefe schreibe, (denn seitdem ich nicht mehr an meinem Fichte zu schreiben habe, ist mir das Schreiben höchst unangenehm.) sondern weil Sie der Bruder meines Lieben Mannes sind; und weil ich glaube daß Sie auch ein Edler, rechtschaffener Mann sind; da habe ich sie nun schon recht lieb, ohne Sie eigentlich zu kennen; auch freue ich mich auf die Zeit, wo Sie zu uns kommen, und bey uns wohnen, recht innig; da ist mein guter rechtschaffener Vatter, seine Kinder, und Sie unser Bruder; da werden wir oft, so stille, geräuschlose Freuden, welche dem Herzen wohlthun, in unserm Hause mit einander genießen; wie wir lezten Sonnabend eine hatten; es war nämlich meines guten Vatters 75. Geburtstag. Der Himmel war uns so günstig, daß wir spazieren fuhren, in der lieben Natur herum schwärmten; und am Abend, unter herzlichen vertraulichen Gesprächen bey einander saßen, wo uns denn innig wohl war; auch ist mein theurer Fichte, so ganz zu diesen herzlichen Vertraulichkeiten gemacht; daß man sich in Ihn verlieben muß; nun stellen Sie Sich vor, wie's mir armen Geschöpfe dann geht? da ich Ihn schon sonst herzlich Liebe; meine Liebe geht dann in Anbetung über.

Ich merke nun wohl, daß ich Ihnen beständig von meinem Lieben Mann vorgeschwazt habe; Sie lieben ihn ja auch, drum kann Ihnen das nicht unangenehm seyn; und ich wünsche Ihnen theurer Bruder, zu seiner Zeit, auch eine weibliche Seele, die Sie so einzig liebt; und wenn Sie wollen, so wollen wir Diese zu seiner Zeit, ja zu seiner Zeit, vergeßen Sie dieses nicht, gemeinschaftlich suchen. Nun will, und muß ich Ihnen Behüte Gott sagen; denn ich habe mehrere Briefe zu schreiben, Dieser muß mich für die unangenehmen welche ich noch zu schreiben habe schadlos halten; Leben Sie wohl! mein guter Vatter grüßt Sie herzlich; das gleiche thut Ihre Schwester

Johanna Fichte.

Wir haben Ihren 2. Brief auch erhalten. Mein Mann wird Ihnen nächstens schreiben.

Aufschrift:

Herrn Fichte:
in
Meissen

bei Herrn ConRektor Thieme.

frey

(Nur »Herrn Fichte:« und »frey« von Johanna's Hand, das Andere von J. G. F.)

Der folgende Brief, die Perle unter denen von Johanna's Hand ist mit der Offenheit, mit der hier ein weibliches Gemüth über sich selbst spricht, und mit dem leichten Anklang von Humor, so wie mit der überströmenden Fülle kindlich einfachen Sinnes und reinster Liebe, ein köstliches Cabinetsstück, ein wahres Meisterwerk.

12

Jena d. 27. Decemb: 1794.

Lieber theurer Bruder!

Ich habe eine Menge Briefe vor mir, die ich beantworten soll, und Ihrer sey der erste, den ich beantworte, weil Sie mir die liebste Persohn sind. Hören Sie Lieber, ich bin gar nicht Ihrer Meinung, daß ein schön geschriebenner Brief, eine schöne Seele verathe; (nicht, daß nicht beydes neben einander bestehen könne,) aber die Erfahrung hat mir schon zur Genüge gelehrt, daß es oft nicht bei einander ist; und wenn ich Ihnen allso, welches ich nicht weiß, einen schönen Brief geschrieben habe, Sie daraus gar nicht so gütig schließen müßen, daß ich eine schöne Seele habe; überhaupt sehe ich aus Ihr. Lieben Brief, daß Sie mich viel beßer glauben als ich nicht bin; und das sezt mich in große Verlegenheit, wenn Sie mit solch guter Meinung zu uns kommen, und dann durch die Erfahrung belehrt sehen, daß ich das bey weitem nicht bin, was Sie glaubten, daß ich sein würde, und auch sein könnte, so muß ich in Ihren Augen gewaltig verliehren; und das würde mir dann weh thun; auch müßen Sie nicht glauben eine schöne Schwester bekommen zu haben; denn ich weiß wohl, die Lieben Männer sehn auch das gern, drum laßen Sie Sich nun erzehlen wie ich aussehe: vors erste bin ich klein, und war im 16. Jahre sehr fett, da ich seit der Zeit nun um ein merkliches gemagert bin, so hat die einmahl zu stark ausgedehnte Haut, viele Runzeln bekommen, dazu gab mir die Natur ein wiedrig langes Kinn; und was nun das ärgste von allem ist, so hab ich wegen heftigen Zahnschmerzen, (welches fast alle Leute in der Schweiz haben,) mir meine obern Zähne ausziehen laßen; nun überlaße ich Ihrer eignen Einbildungskraft, mich so comisch darzustellen, als ich wirklich bin.

Nachdem, was Sie mein Lieber, was mein Mann, mir von unsern Vatter gesagt hat, fühl ich viele Achtung für Ihn, und ich bitte Sie, ihn herzlich in meinem Namen zu grüßen; ich hätte schon an Ihn geschrieben, hielte mich nicht der Gedanke, der guten Mutter davon ab, denn ich muß Ihnen gestehen, daß, nachdem, was ich von ihr gehört, ich Sie wirklich fürchte; Wir wollen Sie [soll natürlich heißen: sie] Lieber Bruder, als gute Kinder ehren, und nicht vergeßen was sie während ihrem mühsamen Leben, an ihren Kindern gethan hat; auch kennen wir ihre Erziehung nicht, wißen nicht, wie das alles so kam; und vielleicht nach ihrer Lage kommen mußte.

Ja Lieber, es wird einst auch ein gutes Geschöpf für Sie dasein, daß Sie aufrichtig Lieben wird; und ich will es denn zu seiner Zeit mit Ihnen suchen; ich biete mich darum zu Ihrer Rathgeberin, über diesen wichtigen Schritt, an, weil wir Weiber tiefer in die Seele unsers Geschlechts hineinbliken, als oft die klügsten Männer nicht thun; und denn, weil ich Sie gerne glüklich sehn möchte … [diese Punkte stehen im Originale] Sie sind mein Lieber Bruder, und wollen, und werden gewis ein brafer Mann werden, und darum lieb ich Sie sehr.

Sagen Sie mir nichts guter Lieber, von unsern gegenseitigen Verhältnißen, von Wohlthaten, wie Sie es nennen wir wollen wie gute Kinder sein, welche mit einander theilen, und durch dieses theilen, ihrem eignen Herzen eine Wohlthat erzeigen.

Mein theurer Vatter, welcher, ich darf es sagen, an Güte des Herzens uns alle übertrift, grüßt Sie von ganzer Seele, und freut sich recht darauf Sie kennen zu lernen; Er wird Sie, wie seinen Sohn lieben. Er hat ein Herz daß lieben kann, und dem nicht wohl ist, wenns nicht lieben kann.

Wenn Sie ein Freund der Natur sind so werden Sie auch an mir eine Freundin der Natur finden, denn kann ich orndlich schwärmen, aber doch nicht mehr in dem Grade, wie ichs konnte; dieses Gefühl hat sich ein wenig bey mir verlohren, und es ärgert mich sehr.

Leben Sie wohl Lieber theurer Bruder! Schreiben Sie bald, und vergeßen Sie nicht, wie Sie aufrichtig Liebt Ihre Schwester

Johanna Fichte

Aufschrift:

Herrn Fichte:
abzugeben beym Herrn Conrector Thieme
in Meisen

Frey:

Einerseits zur Bestätigung, anderseits zur Erklärung und Milderung des Urtheils über die Mutter vergleiche man, was oben zum 4. Briefe bemerkt wurde, so wie die folgenden Briefe Nr. 19. 21. 42. 45. 47. Nach reiflicher Ueberlegung habe ich geglaubt, auch diese Stellen nicht zurückhalten zu müssen, weder aus übertrieben vorsichtiger und zaghafter Pietät gegen Fichte, noch selbst gegen seine Mutter, die trotz der vielleicht scharfen und grellen Beleuchtung, welche auf sie fallen mag, doch nicht in einem schlechten Lichte erscheint. Für das Verständniß von Fichte's eigenem Wesen aber scheint mir die Kenntniß seiner Stellung in seiner Familie und der Beziehungen zu seinen Angehörigen nicht unwichtig, weil die rücksichtslose Entschiedenheit und die zuweilen bis an Schroffheit grenzende Strenge seines Charakters, das oft stolz sich Abschließende und kalt Zurückweisende seines Wesens gegen heterogene, anders geartete Persönlichkeiten, zum Theil wohl – ich sage nicht ihre Entschuldigung, deren scheint mir es nicht zu bedürfen, wohl aber ihren Erklärungsgrund mit in dem Gegensatze haben kann, in dem er schon frühzeitig zu einem Theile seiner Umgebung sich befand. Nicht minder als die positiven müssen auch die negativen Einflüsse bei dem Entwicklungsgange eines Charakters in Anschlag gebracht werden.

 

Dürfen wir aus den spärlichen Andeutungen ein bescheidenes Urtheil wagen, so war Fichte's Mutter wohl, zum Unterschiede – vielleicht auch zu einer nothwendigen Ergänzung – von ihrem weichherzigen und wohl bis an's Unpraktische gutmüthigen Gatten, eine wesentlich energische, positive, thatkräftig auftretende Frau von etwas zusammen geraffter, gedrungener, kantiger Natur, die ihre gut gemeinten, verständigen Ansichten in eigensinniger, rechthaberischer Weise geltend machte, vielleicht um so heftiger und, daß ich so sage, verbissener, je weniger sie alle Mal sogleich einen Erfolg davon sah: so daß sie schließlich eine von jenen Frauen wurde, als deren hervorstechendste Seite die Zanksucht sich zeigt, während sie doch im innersten Grunde ihres Wesens wohlmeinend und herzensgut sind. Etwas davon, obwohl in vollkommen gereinigter und idealisirter Weise, war auch in ihrem großen Sohne, der auch leiblich ihr Abbild war. Herr Professor I. H. Fichte schreibt mir, daß ihm seine Großmutter noch aus seiner »eignen Kinderzeit als stattliche, untersetzte Frau von mäßiger Größe, bei auffallender Aehnlichkeit mit den Gesichtszügen ihres Sohnes, Johann Gottl. Fichte, gar wohl in der Erinnerung« lebe. Daß gerade zwei solche harte, feste Charaktere, innerlich und ursprünglich verwandt, doch leicht dazu kommen konnten, sich gegenseitig abzustoßen, liegt auf der Hand und ist psychologisch vollständig erklärbar, namentlich wenn, wie hier, der Vater, passiv sich verhaltend, den Sohn nachsichtig gewähren ließ, wo die praktische, resolute Mutter meinte, den Sohn nach einer langen, mühsamen Vorbereitung zur Erfassung einer geordneten, den nöthigen Lebensunterhalt sicher eintragenden Berufsthätigkeit drängen zu müssen. Ihr Verhältniß zu den übrigen Kindern ist aus den vorliegenden Quellen natürlich nicht so deutlich erkennbar, und jedenfalls überhaupt minder klar durchgebildet gewesen.

Wir haben hier ganze, volle, markige Menschen vor uns, die in einen, wir können wohl sagen echt tragischen, Conflict kommen, weil sie nicht blos jeder nach seiner Meinung, sondern auch jeder in seiner Weise Recht haben, so aber, daß nach allgemeineren, freieren Gesichtspunkten wiederum jedem auch ein gewisses, mehr oder minder großes Unrecht anhaftet, weil er seinen eigenen, individuellen Standpunkt zum absoluten, allein berechtigten machen und dem des Andern nicht auch eine theilweise Berechtigung zugestehen will. Tragisch ist dieser Conflict, weil er der Idee nach, welche die Harmonie und den Frieden fordert, nicht bestehen sollte, und weil er, wie die Dinge nun einmal liegen, doch eben unvermeidlich ist, und weil schließlich auf der einen oder der andern Seite eine Niederlage erfolgen muß, welche, in ihrer Gesammtwirkung das genaue Maß der Schuld überschreitend, das Mitleid und den Antheil des Herzens rege macht und einige wehmüthige Klänge selbst in den Siegesjubel auf der andern Seite mischt. Es braucht wohl kaum ausdrücklich hinzugefügt zu werden, daß jene Differenz im vorliegenden Falle nicht wirklich zu einer äußerlichen Katastrophe kam (war doch Fichte, dem geistig doch der Sieg bleiben mußte, wie er ihm auch von der Geschichte zugesprochen ist, für seine Mutter bis an das Ende ihres und seines Lebens in treuer Sorge thätig): es ist dieses nur eine innerliche Auseinandersetzung gewesen.

Wem das Ganze als eine ungehörige Abschweifung in das ästhetische Gebiet erscheint, der möge Nachsicht üben. Ich glaubte nicht anders jenen beiden wackern Menschen gerecht werden zu können, wenn ich einmal wagte, von ihnen zu reden; und was mich dazu bestimmte, habe ich oben ausgesprochen. – Indessen will ich auch nicht unterlassen hinzuzufügen, daß mir Herr Pastor Werner in Rammenau sagte, im Dorfe gelte Fichte's Mutter mehr für eine stille Frau, von der man nicht Viel wisse, wogegen sein Vater als »der alte Bandmacher« noch vielfach genannt werde. Dies ist allerdings keine Bestätigung der psychologischen Hypothese, wie ich sie auf Grund des vorliegenden Materials aufgestellt habe; es ist aber auch – scheint mir – keine unbedingte Widerlegung, sondern läßt sich, zumal wenn man den verwischenden Einfluß der Zeit in Anschlag bringt, sehr wohl damit vereinigen. –

Es gereicht mir zu hoher Befriedigung, daß die hier dargelegte Ansicht nachträglich noch von competentester Seite her authentische Bestätigung findet. Herr Prof. Fichte in Tübingen schreibt mir am 7. Juli d. J. über diese ihm mitgetheilte Stelle: … »Damit komme ich auf meine Großmutter und auf dasjenige, was Sie mit gewiß sehr richtiger psychologischer Conjecturalkritik über dieselbe schreiben. Was ich selbst über sie und über ihr Verhältniß zu Mann und Kindern aus eigener Erinnerung und aus den Mittheilungen meiner seligen Mutter weiß, ist folgendes. Sie war noch im Alter (im Jahre 1805 und 1811 besuchte mein Vater mit uns seine Eltern und so schwebt mir das Bild der Großmutter noch in lebhafter Erinnerung vor) eine gerade, stämmig untersetzte Frau, mittlerer Größe, mit Gesichtszügen, die ganz auffallend denen ihres Erstgebornen glichen. Sie galt in der Familie wegen ihres Verstandes und der Energie ihres Willens als die eigentliche Herrscherinn, und ohne Zweifel hat mein Vater ihr das Feste, Unerschütterliche seines Charakters als Erbstück zu danken. Deshalb wurde sie aber auch gefürchtet in der Familie, und meiner Mutter Aeußerung, sowie die meines Vaters erklären sich daraus vollständig. Sie war dabei eine Frau von strenger Religiosität, und mein Vater, der wenigstens in den spätern Jahren, wie ich es selbst erlebt habe, seine Mutter mit kindlicher Ehrfurcht als ein ihm ehrwürdiges Wesen behandelte, hat gegen meine Mutter ausdrücklich erwähnt, wie viel er den ersten religiösen Eindrücken verdanke, welche die Mutter ihm eingeflößt. Doch war das Verhältniß zwischen Mutter und Sohn in seinen Studienjahren allerdings, wie ich aus vielen einzelnen Andeutungen in übriggebliebenen Tagebuchresten und Briefconcepten schließen konnte, ein getrübtes. Der Grund lag aber gerade in ihrer Vorliebe für diesen ältesten Sohn, den sie sich nicht anders denken konnte, denn als Prediger, und in dessen ganz abweichender und excentrischer Laufbahn sie nur die bedenklichste Abweichung vom Pfade des Frommen und Guten erblicken konnte; kurz, sie verstanden einander nicht, es kam zu heftigen Scenen, weshalb er einige Jahre hindurch sogar den Besuch zu Hause gemieden zu haben scheint, und so erklärt sich mir z. B., daß er bei seiner allerdings abenteuerlich erscheinenden Wanderung nach Warschau (Bd. I. S. 119 Aufl. II.) in Bischofswerda blieb und brieflich seinen Vater und seine Brüder zu sich beschied. Späterhin hat sich dies Verhältniß, wie ich selbst gesehen habe, völlig wieder hergestellt… Aber leider waren auch in der Familie innere Mißhelligkeiten, unter denen der Großvater sehr viel litt« …

Die beiden folgenden Briefe tragen kein Datum, scheinen aber im März 1795 geschrieben zu sein, sie zeigen, wie Gotthelf's Reise nach Jena, worauf die gutmüthige und weichere Johanna schon im November 1794 hindeutet und worauf sie ihn immer wieder vertröstet, nach Fichte's klarer und kälterer Einsicht seinen Zwecken gemäß noch weit hinausgeschoben werden mußte.

13

Mein lieber Bruder,

Es ist mir nicht möglich gewesen, Dir eher auf Deinen letzten Brief zu antworten. Ich habe Dir schon mehrmals gesagt, daß selbst ein kleines Briefchen nicht allemal so gar leicht von mir geschrieben werden kann, weil oft selbst die wenigen dazu erforderlichen Minuten mir fehlen.

Was du mir über Deine Lage schreibst, kann ich zum Theil wohl glauben. Ich habe manches der Art vorhergesehen, weil ich unsere Schulleute gar wohl kenne, und nicht erwarten konnte, daß Dein Lehrer von der beinah' allgemeinen Regel eine Ausnahme machen würde. – Erkenne aus diesem Ausdruke, daß der Sache nicht wohl zu helfen war, wenn der Zwek erreicht werden sollte.

Das Hauptübel, mein lieber Bruder, liegt in dem Misverhältnisse Deines Alters zu Deiner Lage; ich habe das alles vorhergesehen, und größtentheils es Dir vorhergesagt. Du mustest diesen Uebeln Dich freiwillig unterwerfen. – Dazu kommt Deine bis jetzt gewohnte Lebens Art. Es ist kein geringes aus dem beständigen Leben in einer Familie, aus fortdauernder Gesellschaft, sich in die Einsamkeit eines Studierzimmers, und ohne Welt- und Menschenkenntniß, ein Jüngling an Jahren, und ein Kind an Einsicht sich unter fremde Leute eines ganz andern Standes wagen. – Die unangenehmste Nachricht in Deinem Briefe war mir dein Hang zur Hypochondrie. Ich weiß aber besser, daß es nicht dies, sondern Sehnsucht nach Deiner vorigen Art zu seyn, Sehnsucht nach Hause, u. s. f. ist. Darin wirst Du mir widersprechen; aber Du kannst das nicht beurtheilen; es ist Sehnsucht, die nicht zum Bewußtseyn kommt.

Du irrst Dich gänzlich, wenn Du glaubst, daß Du schon jezt mit Nutzen nach Jena kommen könntest; und das ist ein Beweiß, daß Dir noch bis jezt über diejenigen Dinge, die ich Dir gleich anfangs sagte, und schrieb, noch kein Licht aufgegangen ist; daß nemlich zu einem Gelehrten positive Kenntniße gehören. Mein Umgang kann Dir hierin nicht viel nützen. Denn theils habe ich des Tages gar sehr wenig Zeit übrig, theils verstehst Du mich nur halb; theils kommen die Dinge, die Dir jetzt zu lernen nöthig sind, in meinen Gesprächen nicht vor: ich habe nicht Zeit Dich darin zu unterrichten, und bin auch selbst kein großer Held darin. Endlich aber verhindert es besonders meine jezige Lage ganz und gar Dich, ehe Deine Sitten mehr Feinheit haben, in mein Haus zu nehmen. Ich habe meine sehr triftigen Gründe, zu wollen, daß nichts was mir angehört, auf irgend eine Art dem Tadel des Publicums ausgesezt sey. – Du kannst für Deine Sitten höchstens Schüchternheit, und das Complimentirbuch der kleinstädtischen Welt angenommen haben: das ist für den Anfang nicht übel. Aber darauf muß eine anständige Freimüthigkeit, und eine gewisse Leichtigkeit gesezt werden, und diese kannst Du in Deiner gegenwärtigen Lage nicht annehmen, und ich weiß gar wohl warum. – Ferner weiß ich sehr sicher, daß Du die schöne Rammenauische Sprache noch immer nicht abgelegt hast, und daß diese erst weg wäre, wünsche ich gar sehr.

Dies sind meine Gedanken wegen Deines Anherkommens. Dies ist vor der Hand unmöglich, und bleibt unmöglich, bis ich Dich selbst geprüft habe, und Dich dazu fähig finde. Deinen Wunsch aber von Meissen wegzuseyn, überhaupt misbillige ich nicht: wenn ich nur wüste, wo ich Dich hinthun sollte. Es sind mir zwei Gedanken eingefallen; entweder als Externus nach Schul-Pforte. Hierbei würdest Du den Vortheil haben, mit jungen Leuten Deines gleichen bekannt zu werden, welches ein großer Vortheil für das ganze Leben ist; aber leider – würde Dir dabei Deine Unwissenheit in demjenigen, wovon dort alles Ansehen abhängt, im Wege stehen, und es würde eine sehr große Klugheit von Deiner Seite erfordern, Dich zu behaupten, theils wäre auch dort für die Bildung feiner Sitten nicht viel besser gesorgt, als in Meissen. Jedoch, Du wärst mir in der Nähe, und ich könnte vielleicht durch meinen Einfluß und Namen bei den umliegenden Familien etwas vermögen. ([Zusatz am Rande: ] Dieser ganze Plan stößt sich besonders daran, ob Du auch genug gelernt haben magst, um in Pforte recipirt zu werden.) Oder, es ist mir eingefallen Dich zum Pastor Bischoff zu thun, der seine schlechte Stelle mit einer sehr guten, auch nicht allzu weit von hier, vertauscht hat. Ich werde in einigen Wochen selbst zu ihm reisen, und die Lage selbst vollkommen prüfen, ehe ich ihm einen Gedanken davon äußere. In der Mitte künftigen Monats sollst Du etwas bestimmtes von mir erfahren.

Wie stehts mit dem Tanzen? Ferner, wie steht es mit Deiner Kleidung, Deinen Büchern, Deiner Börse? – Schreib mir das recht ausführlich, damit ich meine Maasregeln darnach nehmen könne. Deinen Lehrer grüße von mir, und sage ihm: ich bedauere, daß ich ihm Dein Viertel-Jahr-Geld nicht habe schiken können. Es sey mir nicht möglich gewesen, und ich müste ihn bitten zu warten, bis Monat May, wo ich es ihm richtig, und mit Dank übersenden werde.

Bruder Christian hat von Finsterwalde aus an mich geschrieben und mir seine Verheirathung gemeldet. Wenn Du ihm etwa schreibst, so versichre ihn meines herzlichen Antheils. Ich werde ihm schreiben, sobald ich Zeit haben werde. Eben so an Bruder Gottlob, und meine Eltern.

 

Dein treuer Bruder

Fichte.