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Achtundvierzig Briefe von Johann Gottlieb Fichte und seinen Verwandten

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6

Theuerste Eltern;

Ich habe Ihnen schon verwichnen Herbst von Königsberg aus geschrieben, ich ersehe aber aus der erst vor zwei Tagen eingelaufenen Antwort meines Correspondenten in Sachsen, daß Sie diesen Brief erst im Februar dieses Jahres können erhalten haben. Meine Lage hat sich seitdem sehr geändert, und ich ergreife die erste Gelegenheit, da ich nach Sachsen schreibe, um Sie davon zu benachrichtigen. Ich habe nemlich meinen Ekel gegen das Hofmeister Leben noch einmal überwunden, und lebe seit October vorigen Jahrs in Krockow, bei Neustadt, in West Preußen hart an der Ost See, 6. Meilen westwärts Danzig als Führer des Sohns des Königl. Preußischen Obrist Grafen von Krockow. Diesmal hat mich meine Entschließung nicht gereut, und wird mich warscheinlich nie reuen. Ich bin in einem Hause, das in seiner Art einzig ist, weil es in unsrer Gräfinn durch eine wohlthätige Göttin beseelt wird, geehrt, und geliebt; habe Aussichten, wenn ich je daran denken sollte, mich fest zu sezen, so gut sie einer haben kann; und beschäftige mich neben zu mit Schriftsteller Arbeiten. Macht Ihnen also das Glük Ihres Sohns Freude, so erhalten Sie hierdurch die Versicherung, daß ich jetzt so glüklich lebe als … [ist abgerissen] …

Ich hoffe, daß Sie alle sich wohl befinden, und sich meiner freundschaftlich erinnern. Wollen Sie mich davon benachrichtigen, so geben Sie Ihre Briefe unter der Addreße Krockow, bei Neustadt in West-Preußen etwa in Frankfurt an der Oder auf die Post – aber postmäßig gepakt, und gut gesiegelt und überschrieben. – Ich werde nicht unterlaßen Ihnen von Zeit zu Zeit mit so wenig Kosten als möglich, Nachricht von mir zu geben.

Mein ganzes Geschwister, besonders Gotthelfen, versichre ich meines brüderlichen freundschaftlichen Andenkens. Dies einzige thut mir leid, daß ich keine Aussicht habe, eines von Ihnen so bald wieder zu sehen. Ich werde meine vielen Wanderschaften warscheinlich in West-Preußen auf eine geraume Zeit beschließen. – Auch den Herrn Pastor Wagner bitte ich freundschaftlich von mir zu grüßen. Es ist jezt meine angelegenste Sorge, und vielleicht begünstigt sie das Schicksal, meine wirthschaftlichen Umstände auf so eine Fuß zu setzen, daß ich vorerst meine Schulden ([Zusatz am Rande: ] die sich in manchen Ländern der Erde höher belaufen, als man glauben sollte) bezahlen, und dann die heilige Pflicht meiner geliebten Eltern Schiksal wenigstens in etwas zu versüßen, beobachten kann.

Leben Sie recht wohl, und versichern Sie sich der kindlichen Liebe Dankbarkeit und Ergebenheit … [abgerissen]

Der folgende Brief mit der Aufschrift: »Meinen theuersten Eltern«, also ebenfalls durch Einschluß befördert, ist geschrieben aus dem Hause seines spätern Schwiegervaters, der Klopstock's Schwester zur Frau hatte, des Waagmeisters Rahn in Zürich, dessen Tochter Johanna Maria er schon vier Jahre früher, als er in Zürich als Erzieher lebte, kennen gelernt und lieb gewonnen hatte (I, 38 ff. 148; vgl. Fichte's eigene Aeußerungen über sie II, 154. 220. 256. 432. 503 ff., und ihre Briefe an Charlotte von Schiller II, 402 ff.). Er hoffte schon im April 1791 sie wiederzusehen und sich ehelich mit ihr zu verbinden; aber Verluste, die Rahn an seinem Vermögen erlitt, zerstörten diesen Plan. Der Biograph scheint mit den Worten: »Jetzt nach manchen vereitelten Planen eilte er mit Sehnsucht dahin« (I, 116) die Vermuthung aussprechen zu wollen, Fichte habe die Reise nach der Schweiz wirklich gemacht oder begonnen; mir ist dies aber ganz unwahrscheinlich, da Fichte nach obigem Briefe am 5. März noch in Leipzig war und am 28. April bereits von da nach Osten und Norden abreiste (I, 118).

7

Theuerste Eltern,

Ich bin nach einer langen Reise glüklich und gesund in Zürich angekommen, und habe meine Geliebte, ihren Vater, ihre Familie voll Liebe, Freundschaft und Achtung für mich getroffen. Ein Umstand hat unsre wirkliche Verbindung aufgehalten, und hält sie leider! noch auf. Der Herr Pastor Wagner wird Ihnen den erklären, und Sie vielleicht um eine schriftliche Einwilligung in unsre Ehe bitten, die Sie mir mündlich schon gegeben haben.

Meine Geliebte grüßt Sie mit dem kindlichsten Herzen, und wünscht nichts inniger, als daß auch sie einst dazu beitragen könne, Ihnen den Abend des Lebens zu versüßen – Ich überzeuge mich immer mehr, welch' eine vortrefliche Person sie ist, und erfahre zugleich in welch' eine ausgebreitete und große Verbindung mit allem was in Teutschland angesehen, und gros ist, ich durch diese Heyrath komme – ich, der ich schon auf meinen Reisen nicht unwichtige Freundschaften geschlossen habe.

Ich und meine Geliebte grüßen herzlich alle meine Geschwister, die ich bitte sich unsrer freundschaftlich zu erinnern.

Nächstens schreibe ich Ihnen mehr. Jezt geht die Post ab.

Zürich, im Waaghause
d. 26. Jun. 1793
Ihr
gehorsamer Sohn
J. Gottlieb Fichte.

Was Fichte's Verehelichung aufhielt, waren die Schwierigkeiten der damaligen Züricher Gesetze bei der Verheirathung und Niederlassung eines Ausländers (I, 155. II, 154), weswegen Fichte auch unter dem 16. Juli an den Oberhofprediger Reinhard in Dresden schrieb mit der Bitte um Ausfertigung eines Erlaubnißscheines vom sächsischen Kirchenrathe zu seiner Trauung (II, 418).

Nicht lange aber dauerte es, bis Fichte den Ruf als Professor nach Jena erhielt, wo er Sonntag, den 18. Mai 1794 ankam und schon am 23. seine öffentlichen Vorlesungen, sowie Montag, den 26. Morgens von 6–7 Uhr seine Privatvorlesungen eröffnete. So sehr ihn nun auch dieses neue Amt in Anspruch nahm, so fand er dennoch Zeit, an seinen schon oben erwähnten Bruder Gotthelf zu denken und mit einer Art von väterlicher Fürsorge ihm die Wege zu höherer geistiger Ausbildung zu zeigen. An diesen ist denn nun eine ganze Reihe von Briefen gerichtet, welche im höchsten Grade anziehend wie belehrend sind durch die psychologische Einsicht und die pädagogische Weisheit, womit der ältere Bruder den jüngeren nach der Eigenthümlichkeit seines Wesens, seiner Anlagen und seiner Fehler beurtheilt und auf die Mittel zur Verbesserung seiner schlechten Angewöhnungen und seiner Mängel aufmerksam macht. Die Klarheit und Richtigkeit dieser Beobachtungen und Bemerkungen ist so einleuchtend, daß darüber nichts weiter zu sagen ist. Hervorzuheben aber ist namentlich noch erstens die von trügerischen Einbildungen und unbesonnenen Hoffnungen reine Nüchternheit, womit Fichte seinem Bruder gleich von vorn herein ankündigt, daß der ganze Bildungs- und Studienplan unter den obwaltenden Verhältnissen, bei dem vorgerückten Alter (genau findet sich dasselbe nicht angegeben) u. s. w. nicht mehr als eben nur ein Versuch sein könne. Hervorzuheben ist ferner auch die unerbittliche Entschiedenheit, womit er ihm immer und immer wieder das nothwendig Abzulegende wie das unumgänglich zu Erstrebende vorhält, – eine Entschiedenheit, die freilich auch heutzutage in manchen Kreisen der Erziehung um so weniger gern gesehen wird, mit je größerer Ueberzeugungstreue und Festigkeit sie auftritt, – eine Entschiedenheit, deren Berechtigung auch damals dem Bruder, gegen den sie geltend gemacht wurde, nicht immer so ganz einleuchten mochte, so wie sie ja selbst der Gattin Fichte's, deren höchst liebenswürdige Briefe ich mit beifüge, zuweilen zu hart erschien (vgl. besonders den Brief Nr. 14). So anziehend aber diese echt weibliche Milde ist, so achtungswerth ist des Mannes Strenge, der als Erzieher auch gegen den Bruder von den ernsten Anforderungen nichts nachließ, wo er nichts nachlassen durfte.

8

Meinem Bruder Gotthelf.

Jena, d. 24. Jun. 1794.

Mein lieber Bruder,

Du hast in den Punkten, die ich Dir bei deiner Prüfung vorgelegt, manches nicht aus dem richtigen Gesichtspunkte angesehen. – Dahin gehören die gelehrten Sprachen. In Erlernung derselben hat ein schon gebildeter Kopf allerdings Vortheile, die das Kind nicht hat; er faßt besser die allgemeinen Begriffe, die dazu nöthig sind; aber er hat auch Nachtheile. Das mechanische Lernen bloßer Schalle, wie die Wörter sind, ist ihm etwas troknes. Einen Nachtheil hat er, an dessen Ueberwindbarkeit ich ganz zweifle: die Verhärtung der Sprachorgane zur Hervorbringung der richtigen Töne, besonders in der Französischen Sprache; wobei Du noch einen Nachtheil mehr hast, als andere, da Dein mütterlicher Dialekt das verdorbene Sächsisch, und noch dazu das höchstverdorbene Ober Lausitzer Sächsische ist. Ich selbst, der ich doch von meiner ersten Kindheit an aus der Gegend gekommen, habe Mühe gehabt, selbst meine teutsche Mundart so zu reinigen, daß man mir mein Geburtsland nicht mehr anhöre; Du wirst das nie können. Französisch gut sprechen habe ich nie lernen können; eben um dieser Muttersprache Willen; und Du wirst nie auch soweit kommen, um einem Franzosen Dich verständlich zu machen, aus Gründen, die ich Dir mündlich entwikeln will: (nicht bloß der Gaum, und die Zunge, auch das Ohr wird verhärtet; man hört den rechten Ton gar nicht.) – Ferner ist ein Hauptpunkt das feinere Betragen der großen Welt, das einem Gelehrten, der zur höhern Klasse gehören, und nicht unter den gemeinen gelehrten Handwerkern verbleiben will, schon jezt nöthig ist, und immer nöthiger wird. Denn der Gelehrten Stand fängt an sich auf eine immer höhere Stuffe empor zu arbeiten; und ehe Du auftrittst, wird die Sache wieder weit höher getrieben seyn. Wem es in diesem Punkte fehlt, den macht man lächerlich, eben darum, weil man die Uebermacht des Gelehrten unwillig mit ansieht; und nun ist er um alle seine Brauchbarkeit. Du kannst Dir das gar nicht so ganz denken, weil es gänzlich außer Deiner Sphäre liegt. – Ein solches feines Betragen nun lernt in spätern Jahren sich nie; denn die Eindrüke der ersten Erziehung sind unaustilgbar. (Mir sieht man die meinige jezt vielleicht nicht mehr an; aber das macht mein sehr frühes Leben im Miltizschen Hause, mein Leben in Schulpforta, unter meist besser erzognen Kindern, mein frühes Tanzenlernen u. s. w. Und dennoch hatte ich noch nach meinem Abgange von der Universität einige bäurische Manieren; die bloß das sehr viele Reisen, das viele Hofmeisterieren, in verschiedenen Ländern, und Häusern, und besonders die größte Aufmerksamkeit auf mich selbst vertilgt haben. Und weiß ich denn, ob sie ganz vertilgt sind? –) Das also ist der Hauptpunkt, über den wir nie kommen werden; und das – gesteh ich – thut mir weh, weil ich die Wichtigkeit davon einsehe, die Du nicht siehst.

 

Dennoch glaub ich muß die Probe gemacht werden. Gesezt, es geht nicht, so kann es nicht schaden, daß Du wenigstens mit einigen Seiten der höhern Stände bekannt werdest, und eine solche Bekanntschaft kann Dir in mancher Art nüzlich werden. Hierbei also kommt es auf die Frage an: ob Du Dir Seelenstärke genug zutraust, um, wie es seyn muß, ohne Beklemmung in Deinen jetzigen Stand wieder zurük zu treten? Ich stelle mir, bei gehöriger Seelen Größe, einen solchen Zustand, als sehr angenehm vor. Man kennt dann die Unannehmlichkeiten der höhern Stände aus Erfahrung, und ist in dem seinigen desto zufriedener.

Komm also zu mir; denn ob ich gleich dadurch, daß ich Dich spreche, kaum in irgend etwas näher von Deinem Zustande werde belehrt werden, als ich es schon jezt bin, so freue ich mich doch theils darauf, Dich zu sehen; theils erwarte ich von Dir einige Winke, wohin ich Dich zuerst thun müße. Das allererste muß seyn, Deinen Körper, und Deine Sitten zu bilden ([Zusatz am Rande: ] ehe dieses geschehen ist, kann ich Dich auch nicht einmal bei mir haben, weil dadurch auf einer Universität, bei Studenten, auf mich selbst ein übles Licht fallen würde): und nebenbei zu versuchen, ob das Gedächtniß, und die Zunge die Sprachen faßt. Dies kann ein paar Jahre dauren. Und Du brauchst vor der Hand weniger einen Lehrer, als eine Erzieherin. Um einem jungen Menschen Sitten beizubringen, ist das weibliche Geschlecht schlechthin unentbehrlich. Ferner muß das in einer Stadt, und zwar in einer schon etwas großen Stadt geschehen, und da kenne ich denn weder Stadt, noch Haus, in die ich Dich thun könnte. Hier in der Nähe wünschte ich es nicht: sonst wäre allenfals Weimar der Ort. Tanzen lernen müstest Du vor allen Dingen. Wenn Du dann so gebildet wärest, daß Du ohne Anstoß in Gesellschaft erscheinen könntest, so nähme ich Dich in mein Haus: und dann wollten wir wohl sehen. – Aber ob es dahin je kommen werde, das ist eben die Frage.

Was Du mir über den Aufwand schreibst, den mir dieses verursachen könnte, das muß ich Dir beantworten. – Du irrst, wenn Du glaubst, daß er gering seyn werde; weil Du die Sache nur einseitig; nur von der Seite des Lernens ansiehst; und auch über diesen Punkt nicht weißt, wie viel zu lernen ist, wovon Du noch gar keinen Begriff hast. Aber es ist überhaupt am Wenigsten vom Lernen; es ist von ganzer sittlicher Bildung die Rede; und diese kostet um so mehr Zeit, und Geld, wenn man schon so lange her verbildet ist. Du wirst aus dem, was ich oben über diese erste Vorbereitung gesagt habe, ohngefähr einen Schluß machen können. Aber das thut nichts zur Sache. Was ich mir vornehme, das muß seyn; und dazu muß das Geld mir werden; das wißt ihr ja aus vielfältiger Erfahrung. Ueberhaupt erheitern sich meine Aussichten über diesen Punkt: ich werde eine gute Einnahme, aber freilich auch eine starke Ausgabe haben; denn das geht hier zu Jena stets mit einander, und ist nicht zu trennen. – Aber arbeiten muß ich schon jezt, und werde ich müßen, wie noch nicht leicht ein Mensch gearbeitet hat.

Vom wiedergeben an mich, wovon Du auch redest, kann nie die Frage seyn: und ich will Dir im Fall der Möglichkeit sogleich jetzo feierlich eine Anweisung geben. Ich würde auf jeden Fall für unsere Eltern etwas gethan, gesorgt haben, ihnen ein bequemeres, freudenvolleres Alter zu verschaffen – besonders unserm guten Vater, der in seinem mühevollen Leben ein frohes Alter gar wohl verdient hätte. An diesen gieb zurük, wenn Dir Dein Plan gelingt; ich will unsern Eltern in Dir noch einen Sohn geben, der für sie thue, was ich vor der Hand nicht thun kann.

Ich erwarte Dich. Tritt nicht im Gasthofe ab, sondern komm gerade zu mir: auf der Bachgaße, in der Spachmeisterin [so steht, ziemlich deutlich, geschrieben; es soll wohl Sprachmeisterin heißen] Dyrr Hause wohne ich. Ich weiß nicht, ob ich Dich die Nacht werde logiren können, da ich jezt mir ein eigenes Hauswesen einrichte, ein paar Profeßoren den Tisch bei mir haben, und ich vor jetzt nur zwei Stuben inne habe. Aber wir werden ja sehen! – Ich bin von 7. Uhr früh Morgens Vormittags immer zu Hause, und ich werde sorgen, daß ich gegen den 7. Jul. nicht … [dringende?] Arbeit habe. Ich habe diese zwar immer; aber ich muß voraus arbeiten wenn ich kann. – Ferner wünschte ich nicht, daß Du weder auf dem Wege hierher, noch in der Stadt, noch in meinem Hause verbreitest, in welcher Beziehung Du mit mir stehst. Ich habe dazu meine Ursachen. Wenn Du bei mir bist, so wird sich dann alles finden. Wenn Du aber als mein Bruder erscheinst, so verlangen die Häuser, mit denen ich näher bekannt bin, und es sind deren viele, daß ich Dich mit ihnen bekannt mache: und das könnte weder Dir, noch ihnen, noch mir angenehm seyn. –

Der Brief hat keine Unterschrift, vielleicht ist noch ein Blatt angefügt gewesen.

In Bezug auf Fichte's Hauswesen, welches in dem Briefe berührt wird, mag daran erinnert werden, daß seine Gattin nebst seinem Schwiegervater erst im Laufe des Sommers (nicht vor Ende Juli) ihm nach Jena nachfolgte, und daß er unterdeß sich eine Köchin hielt, mit der er ziemlich zufrieden war (I, 217). Daher kommt es auch, daß, wie die späteren Briefe zeigen, Fichte's Frau seinen Bruder noch nicht kannte, obschon dieser jedenfalls im Juli bei ihm in Jena gewesen ist.

Die Schlußbemerkungen, wie auch die Randnotiz in der Mitte des Schreibens, zeigen, wie überaus sorgfältig, fast ängstlich, Fichte auf seinen gesellschaftlichen Ruf bedacht war. Bei ihm, der nicht blos Vorlesungen halten, sondern auf das ganze Wesen und Leben der Studirenden einwirken und sie aus der damals herrschenden studentischen Rohheit und Zügellosigkeit auch sittlich heben wollte, bei ihm versteht sich von selbst, daß er nicht in leerer Eitelkeit sich seines ungebildeten Bruders schämte, sondern höhere Rücksichten nahm.

9

Meinem Bruder Gotthelf.

Jena, d. 4. August. 94.

Ich hätte Dir, und Deinetwegen nach Meisen schon lange geschrieben, wenn ich Zeit gehabt hätte. Aber Du kannst mir's glauben, daß ich oft auch zu einem Briefe die nöthige Zeit nicht habe.

Mit Anfange des Septembers dieses Jahres bist Du Kostgänger bei dem ConRektor auf der Stadtschule zu Meisen, Herr M. Thieme, der in allen Stüken für Dich sorgen wird. Du hast bei ihm alle Bedürfniße des Lebens, und Unterricht in der Lateinischen, und Französischen Sprache, und in der Geschichte. – M. Kenzelmann wird immer Dein Freund seyn, und Dir rathen. – Richte Dich also ein, daß Du mit Anfange des Septembers in Meisen bist. Was an den ConRektor zu bezahlen ist, ist schon bezahlt. – Für Kleider, – wobei Dir ohne Zweifel M. Kenzelmann mit seinem Rathe an die Hand gehen wird; meinen Wunsch weißt Du; ja nicht kostbar, und theuer, aber modisch – und Büchern, wozu Dir nemlich der Herr C. R. Thieme rathen wird, versorge Dich selbst aus dem Dir abgetretnen Gelde ([Zusatz am Rand: ] auch bezahlst Du davon den Tanzmeister, den Dir Hrr. Thieme zuweisen wird.). Ich denke, das soll langen. Wegen der Herrschaft, denke ich, halten wir es so. – Du bist verreis't, – wer weiß es denn, wo Du hin verreist bist; Du bist ja bisher immer auf dem Handel gewesen; die andern Brüder sind auch auswärts, – wer weiß denn, wo Du bist? Nur hättest Du dann immer schweigen müßen. Habt ihr nicht schweigen können, so ist die Sache freilich übel; und in diesem Falle bitte ich Dich, mir sogleich zu schreiben, damit ich meine Maasregeln zu nehmen wiße.

Gelingt dann Dein Vornehmen, so werde ich die Sache schon selbst abzumachen wißen ([Zusatz am Rande: ] bis dahin giebst Du Dein Schuzgeld, wie vorher). Gelingt es nicht, so kannst Du ohne Nachtheil, und Nachrede in Deinen vorigen Stand zurüktreten. Gelingt es nicht, sagte ich – denn ich muß frei mit Dir reden, mein liebster Bruder. So ein Gedanke scheint Dir gar nicht einzufallen; ich muß demnach selbst Dich darauf aufmerksam machen. Du hältst den Sieg schon für errungen: aber er ist es noch gar nicht. Wir wollen es erst versuchen; und ich habe nie Dir mehr versprochen, und kann Dir, wenn ich vernünftig bin, nicht mehr versprechen, als daß ich den Versuch machen will

1.) Wenn Du nicht wenigstens hinlängliche Feinheit der Sitten Dir erwirbst, so kann, und will, und werde ich nichts für Dich thun; aus Gründen, die ich Dir mündlich, und schriftlich mitgetheilt habe. Ob Du das wirst, wißen wir beide noch nicht, weder ich, noch Du; Du kannst höchstens … [behaupten?], daß Du es willst, Du weißt aber noch nicht, ob Du es können wirst; und ich eben so wenig.

2.) Steht Dir noch ein HauptUmstand, sowohl zur Verfeinerung Deiner Sitten, als zur Erwerbung gründlicher Kenntniße im Wege, über den ich endlich, nachdem ich mündlich Dir schon Winke genug gegeben, und ich an Deinem Briefe doch noch nicht die geringste Aenderung spüre, freimüthig mit Dir reden muß. – Du traust Dir viel zu viel zu; hast eine viel zu hohe Meinung von Dir: und Du wirst daher diejenigen Männer, denen ich Dich jezt übergeben muß, nicht achten; – deswegen ihnen nicht folgen, weil Du Dich für klüger hältst; und so wirst Du natürlich weder Deine Sitten bilden, noch etwas lernen. Ich weiß sehr wohl, lieber Bruder, daß Du gegenwärtig auf keinen Menschen etwas giebst, als auf mich; giebst Du nun nur wirklich etwas auf mich, und glaubst Du, daß ich es redlich mit Dir meine, so lies aufmerksam, was ich Dir sagen will, und – richte Dich darnach.

Du hast Kopf, d. h. Fähigkeit etwas zu lernen, aber darum weißt Du noch nichts: und, – glaube es mir, – der Schüler der untersten Klaße weiß weit mehr als Du. Daß es so ist, ist Dir keine Schande; aber, wenn Du das vergißest, so ist es Dir eine Schande. – Du hast die, mit welchen Du bisher gelebt hast, übersehen, weil sie auch nicht studiert. – Einige Studierte, z. B. den Herrn Pfarrer, seinen Bruder, u. s. f. glaubst Du auch übersehen zu haben; aber da kann ich Dir aus dem Traume helfen. 1.) Du glaubtest z. B. nicht, was die Kirche, und der Pfarrer mit ihr glaubt; und darum hieltest Du Dich für aufgeklärter, als sie; theils weil ich z. B. es auch nicht glaube. Aber das ist sehr zweierlei; Du hast keine Einsicht in die Gründe, die ich habe, es nicht zu glauben; noch Einsicht in die Gründe, die der Pfarrer hat, es zu glauben. 2.) Du verstehst keinen Gelehrten, noch kannst Du ihn verstehen, weil es Dir an den nöthigen Vorerkenntnißen fehlt. Was Du also nicht verstehst, hältst Du, wenn es nicht Jemand sagt, der bei Dir in Autorität steht, für dummes Zeug: das mag es denn auch wohl seyn: aber Du wenigstens kannst es nicht dafür erklären, denn Du verstehst es nicht. – Um Dir ein recht auffallendes Beispiel darüber anzuführen. Kenzelmann hat etwas über den Ausdruck Denkfreiheit auf dem Titel einer gewißen Schrift gesagt: ich weiß nicht, was es ist, denn begreiflicher Weise (hier siehst Du wieder Deine Unwißenheit – Du hältst es für möglich, daß er mir darüber geschrieben haben könne, weil Du mit den Sitten der feinern Welt unbekannt bist; aber nach ihnen ist es unmöglich, daß er mir darüber geschrieben haben könne, weil ich mich nicht als Verfaßer genannt habe.) hat er mir nicht darüber geschrieben; aber ich errathe es sogleich, weil ein Studierter den andern auf einen Wink versteht. Da glaubst Du nun, ihm aus dem Traume helfen zu können; und verstehst nicht, was er tadelt. Es betrift den Ausdruck Denkfreiheit. Das Denken ist doch wohl etwas innerliches, unsichtbares. Wie kann mir denn jemand die Freiheit nehmen, in meinem Herzen zu denken, was ich will? und wer hat denn jemals diese Freiheit unterdrücken wollen, oder können? Das ohngefähr hat K. sagen wollen. Es sollte demnach heißen, Freiheit seine Gedanken mündlich oder schriftlich oder durch den Druck mitzutheilen. – Nun hat er zwar nicht ganz Recht: denn in der Schrift selbst ist der Ausdruck Denkfreiheit so erklärt worden; und es ist nicht nöthig viel Worte zu machen, wo man mit einem einzigen auslangt. – Aber was Du sagst, paßt gar nicht auf seine Frage, und Du hast ihn daher gar nicht verstanden.

 

So lange Du nun nicht bescheiden wirst, und erkennst, daß Du schlechthin nichts weißt, aber etwas lernen sollst: und daß jeder Gelehrte Dich lehren könne, so ist Dir nicht zu helfen. Beurtheilen, ob etwas nöthig sey zu lernen oder nicht kannst Du gleichfalls nicht; denn Du weißt nicht, wozu das unscheinbare, und geringfügige in der Zukunft dienen könne, da Du die Wißenschaft nicht übersiehst. – Denke, daß Du, als Du die Buchstaben kennen lerntest, hättest sagen wollen: wozu das, zu lernen was A. und B. ist, u. s. f. so könntest Du heute noch nicht lesen. – Dergleichen Dinge werden Dir gar viele vorkommen, die zuletzt doch so nöthig sind, als das A. B. C. ob sie gleich unscheinbar aussehen.

Ferner habe ich bemerkt, daß Du die Wißenschaft für viel zu leicht hältst, und daß Du glaubst, daß das alles auf den ersten Anlauf gelernt sey. Das ist nun der Fall gar nicht; und wenn Du Dich nicht mit Geduld ausrüstest, so kann nichts werden.

Also lege ab die große Meinung von Dir, und folge Deinen Führern auf der Bahn der Wißenschaften blindlings. Zu seiner Zeit wollen wir zusammen selbst prüfen, jezt bist Du dazu noch gar nicht reif.

Ich habe diejenigen, welche die Aufsicht über Dich führen, gebeten, mir freimüthig zu melden, wie es mit Dir geht. Ich habe ihnen ferner Winke über diesen Deinen Fehler gegeben. Ich werde also sehr bestimmt erfahren, wie Du Dich hältst. Von Dir selbst erwarte ich, daß Du mir alle 8. Tage unfrankirt schreibst, sobald Du in Meisen seyn wirst, und mir meldest, was Du studirst, wie es Dir von Statten geht, Deine Gesinnungen, Gedanken, Zweifel dabei u. s. f. Dabei sey – darum beschwöre ich Dich um Deines eigenen Besten Willen, – offen und freimüthig gegen mich. Wenn Du dann auch etwas ungeschicktes schreibst und ich es Dir widerlege, – was ist denn das weiter? Das bleibt unter uns. Es ist beßer, daß ich Dir es verweise, denn daß es bei Dir bleibe. Ich will nie ein anderes Verhältniß zu Dir haben, als das eines ältern, weisern Freundes.

Ich bestimme Dir, – wenn alles gut geht – ein Jahr in Meisen. Könntest Du in einem halben Jahre leisten, was zu leisten ist; so ersparst Du mir freilich keine kleine Summe. – Doch ist eigentlich hiervon nicht die Rede. Werde nur, was Du werden sollst.

Das von der Probst-Stelle zu W. ist nicht klug ausgesonnen. Ich bin zuförderst kein Theolog. Ich kann Profeßor der Philosophie mit Ehren seyn: wäre es nicht thörigt von mir, wenn ich etwas nehmen wollte, dem ich nur nothdürftig vorstehen könnte. – Dann glaubt man denn, daß ich mich in Wittenberg verbessern würde? Man hat doch drollige Begriffe, scheint es, von einem Jenaischen Profeßor. – So auch dem, was die Fr. v. Kleist, der ich übrigens für ihr Andenken sehr verbunden bin, gesagt hat. – »Ich würde nicht lange in Jena seyn, sondern bald weiter gerufen werden.« Ich möchte wohl wißen, wer mir etwas anbieten könnte, wodurch ich mich verbeßerte. Wer in Jena arbeiten will, der kann es so hoch bringen, als auf irgend einer teutschen Universität. Arbeitlosere Stellen giebt es freilich; aber ich habe noch nicht Zeit, mich zur Ruhe zu sezen. – Doch wünschte ich wohl, daß ich gerufen würde; um es ausschlagen zu können. Das unter uns wie sich versteht. – Ueberhaupt sey in Meisen vorsichtig in deinen Aeußerungen über mich. Du weißt nichts; damit ist es zu Ende.

Grüße herzlich meine Eltern, und Geschwister.

Der Deinige
F.

Daß die »Probst-Stelle zu Wittenberg« für Fichte geeignet sein könnte, war wohl nur ein Gedanke der Seinigen; von einem wirklichen Anerbieten ist nichts bekannt. – Zu dem Namen v. Kleist vgl. den 45. Brief.