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Achtundvierzig Briefe von Johann Gottlieb Fichte und seinen Verwandten

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3a

Leipzig. d. 20. Jun. 90.

Liebste Eltern,

Ich bin seit 6. Wochen, und drüber, in Leipzig. Wenn ich es Ihnen nicht eher meldete, so kam es blos daher, weil ich keine Gelegenheit; und wenn Gelegenheit, keine Zeit hatte.

Ich bin 7. Wochen auf der Reise gewesen: bin sehr gesund und angenehm gereißt: habe viel schönes gesehen und viel große Männer kennen gelernt. Jetzt habe ich keine bestimmten Aussichten: Hofnungen und Versprechungen genug, aber noch nichts sicher. Sobald sich welche finden werden; sobald ich meinen Aufenthalt verändern werde, werde ich nicht ermangeln, es Ihnen zu melden. Lieber wäre es mir fast, wenn ich etwa ein Jahr in Leipzig bleiben könnte. Könnte ich dies möglich machen, so würde ich die vortheilhaftesten Anträge ausschlagen.

Mein Plan ist noch der ehemalige. Nur will ich nicht mehr zu Kindern; sonst könnte ich längst eine Stelle haben. Ich will reisen, oder an einen Hof. – Sollte dies etwa Jemand nicht begreifen können: so – wundert mich das nicht. Wenn ich es nur begreife.

Ich bin mit höchster Ehre von Zürich abgegangen. Weise ist mehr als je, mein Freund. Der Hr. von Miltitz ist gut auf mich zu sprechen. Ich wechsele Briefe von Zürich bis Coppenhagen – und mit großen Personen.

Ich gehe einen Weg es entweder sehr hoch zu bringen, oder ganz zu verlieren, sagt ein hiesiger Professor, der mein Freund ist. – Er hat recht; aber ich hoffe das erstere; und würde das letztere ertragen.

Den gewöhnlichen Weg schleichen – mich auf eine Dorfpfarre setzen, kann ich einmal nicht, und Gott, der mir diesen Sinn gab, weiß, daß ich es nicht kann.

Ich bitte Sie, mich in Ihrem gütigen Andenken zu behalten, und zu glauben, daß ich unverändert bin

Ihr
gehorsamer Sohn
Gottlieb.

P. S. Es thut mir leid, daß ich diesen Brief nicht frankiren kann. Ich schike ihn durch Einschluß bis Dreßden, gebe ihn also nicht hier auf die Post. – Aber über 1 Gr. 3 Pf. darf er nicht kosten, denn er kömmt von Dreßden.

3b

Meinem Bruder Gotthelf

Lieber Bruder,

Daß ich wieder in meinem Vaterlande bin, wirst du nun wißen. – Ich bin gesund, – gesünder, als ich vielleicht je war; das thut das Reisen – muthig, voll Lust und Hofnung. Aussichten, wie ich sie wünsche, habe ich genug, aber ich erwarte sie mit Geduld, und Ergebung. Was mir am meisten fehlt, sind Freunde. Mit gewöhnlichen Studenten mag ich keinen Umgang haben; meine alten Freunde sind alle weg: ich wünsche also oft Dich zu mir, um so ein Gespräch zu führen, wie wir es im Jahr 88 oft hatten. Mit den wenigsten Menschen komme ich im vertrauten Umgange zu rechte. In Dir hatte mir die Natur einen Freund gegeben, wie ich ihn bedarf. Warum musten so verschiedene Lebensarten, und solche Entfernungen uns trennen?

Erseze, was dem mündlichen Umgange fehlt, durch Briefe. Schreib mir oft, und so viel Du willst und kannst. Ich werde Deine Briefe gern lesen, und beantworten. – Da Du aber nicht postmäßig schreiben kannst, und da ich wünsche, daß Du mir große Briefe schriebest, so gieb sie den Fuhrleuten. Ich wohne auf der Fleischer Gaße, in Weinholds Hause, 1. Treppe hoch, vorn heraus.

Ich muß mich jezt mit Bücherschreiben ernähren; wenn ich leben will. Das ist mir denn nun keine angenehme Arbeit. Will ich was gutes, nüzliches, schönes schreiben, wie ich wohl möchte, und könnte, so erfordert es viel Zeit, und – der Buchhändler will nichts nüzliches. Schreibe ich, wie der Buchhändler es gern hat, leichte Waare, Mode Zeug, so macht mir das weder Ehre, noch Vergnügen.

Zur Zeit ist noch nichts erschienen, aber auf die Michaelis-Meße wird einiges von mir die Preße verlassen.

Sehen möchte ich Dich, und die übrigen aus dem Hause, die mich lieben, wohl gern einmal. Aber – ich hänge in Ansehung des Reisens von meinem Beutel ab, und der verträgt jetzt keine Reise. Auf Michaelis vielleicht komme ich – nicht nach Rammenau; dahin in meinem Leben schwerlich wieder – sondern in eure Nähe, wo mich sehen können, die mich sehen wollen.

Leb recht wohl. Ich bin Dein

Dich herzlich liebender Bruder
Gottlieb.

»Weise« ist ohne Zweifel der Kreissteuerrath Weiße, sein treuer Beschützer, der ihm auch die Stelle in der Schweiz verschafft hatte. Der Freiherr von Miltitz war der Edelmann, der so väterlich für Fichte's Ausbildung sorgte. Derselbe nahm den Knaben Fichte zuerst mit nach seinem Schlosse Siebeneichen bei Meißen an der Elbe, welches in der Biographie (I, 9) auch ganz richtig beschrieben ist, obwohl daselbst »Oberau« genannt ist, was aber östlich abseits der Elbe liegt. Herr Pastor Carl Gottfried Beer in Niederau schreibt mir darüber: »Auf Park und Schloß zu Oberau paßt die Beschreibung gar nicht. – Oberau und Niederau gehörten früher mit zu dem manchmal so genannten Miltitzer Ländchen, und die letzten Besitzer dieses Namens haben auch in Oberau gewohnt.« Sodann wurde Fichte dem Prediger in Niederau anvertraut, bei dem er seine schönsten Jugendjahre verlebte. Der Biograph sagt: »Leider wissen wir den Namen des trefflichen Mannes nicht, wol aber erinnern wir uns, daß Fichte noch in seinen spätern Jahren mit Rührung und herzlichem Danke des frommen Predigerpaars gedachte.« Herr Pfarrer Beer, den ich um Auskunft ersuchte, macht mir die dankenswerthe Mittheilung: »Der Pfarrer hieß Gotthold Leberecht Krebel, starb 1795, nachdem er 31 Jahr, von 1764 an, Pastor der Gemeinde zu Niederau gewesen. – In meinem Garten stehen zwei Linden und hinter demselben dicht an der Mauer noch zwei. Von diesen sagte mir mein alter ehrwürdiger Schulmeister, den ich 1823 bei Antritt meines Amts in Niederau fand: Diese Linden hat ein Knabe gepflanzt, der bei dem seligen Krebel in Kost und Lehre gewesen ist; der Knabe hat Fichte geheißen. So erzählte mein alter Hase, der übrigens weiter nichts von Fichte und dessen Schicksalen gehört oder gelesen hatte.« Nach »Sachsens Kirchen-Galerie« 1. Band (Dresden, Schmidt 1837), S. 125 – wo übrigens, wie ich nachträglich finde, auch schon Pastor Krebel als derjenige genannt ist, bei dem Fichte einen Theil seiner Knabenjahre verlebte – war dieser Johann Georg Haase, geb. 1764 in Würschnitz bei Radeberg, seit 1787 Lehrer in Niederau: also erst nachdem Fichte längst weg war, wie auch die Perfect-Form der Zeitwörter in seinem angeführten Berichte bestätigt. In Bezug endlich auf den Freiherrn von Miltitz, dessen Name in der Biographie auch nicht genauer bezeichnet ist, bemerkt Herr Pastor Beer: »Im Jahre 1774 hat der P. Krebel aufgezeichnet: Am 5. März verstarb zu Pisa Herr Ernst Haubold von Miltitz &c. und ist zu Livorno christlich beerdigt worden. Ein Vierteljahr darauf starb des gedachten Herrn von M. einzige Tochter im fünften Lebensjahre, und ist auf dem Kirchhofe zu Oberau beerdigt worden. – Der genannte Herr von M. war nur 34½ Jahr alt geworden; zur Pflege seiner Gesundheit nach Italien gegangen, hatte er daselbst einer langwierigen Krankheit unterliegen müssen. Dieser ist wahrscheinlich der Gönner, der sich um Fichte so verdient gemacht hat.« – Nach dem Kirchenbuche zu Rammenau war ein Pathe des 1766 in der katholischen Hofkirche zu Dresden getauften Johann Centurius von Hoffmannesegg: »der hochwohlgeborene Herr Ernst Haubold von Miltitz, Erb-, Lehn- und Gerichtsherr zu Oberau, Niederau, Siebeneichen und Bazdorf, Churfürstl. Sächß. Obrist-Lieutenant und Amts-Hauptmann des Meißnischen Creyßes«. Dieser kann aber wohl kaum ein und derselbe mit dem obigen sein, sondern vielleicht der gleichnamige Vater desselben. – Wie sehr ihm Freunde fehlten, spricht Fichte auch in einem Briefe nach der Schweiz vom 8. Juni aus (I, 71); in demselben Briefe (I, 74) macht er den Buchhändlern ähnliche Vorwürfe wie hier. Das Werk, was er zum Drucke vorbereitete, war eine Schrift über Kants Kritik der Urtheilskraft, die aber nie gedruckt ward (I, 96 f. 99 f. 105 f. 108 f. 111 ff.), deren Ausarbeitung seinen durch das Studium der Kant'schen Philosophie bewirkten Uebergang von Spinoza'schem Determinismus zur Anerkennung persönlicher Freiheit bezeichnet.

Gotthelf ist sein Liebling unter seinen Brüdern, neben dem nur noch Gottlob öfters erwähnt wird; seiner – nächst seinem stets am höchsten verehrten Vater – gedenkt er auch in dem Tagebuche über seine Reise nach Warschau besonders herzlich (I, 119); ihn macht er schon hier sanft auf einen Fehler aufmerksam; ihn sucht er, wie wir später sehen werden, ganz zu sich heran zu bilden. An ihn ist auch der folgende Brief gerichtet, in welchem er mit größter Offenheit über die – an sich wohl ganz erklärlichen, ja von einem beschränkten Standpunkte aus sogar natürlichen – Erwartungen und Zumuthungen von Seiten seiner Familie (an denen namentlich seine Mutter wesentlichen Antheil hatte; vgl. unten den 12. Brief) seinem Herzen Luft macht, welches hier, erfreulicher Weise nur vorübergehend, einen ziemlich hohen Grad von bitterer Gereiztheit zeigt, da er wie Faust »in seinem dunkeln Drange sich seines rechten Weges wohl bewußt« war. Diesem Bruder hatte er auch, wie der Anfang dieses Briefes anzudeuten scheint, seine Vertheidigung gegen jene Anforderungen aufgetragen, welche freilich nicht gelang.

4

Leipzig, d. 3. Jenner. 1791.

Erst gestern, mein lieber Bruder, habe ich Deinen Brief erhalten, und heute antworte ich Dir, weil morgen Posttag ist. Schon fing ich an zu glauben, mein lezter Brief sei zu hart gewesen; er reute mich, und ich war im Begrif in einem gelindern Tone mich zu beklagen.

 

Dank Dir, Bruder, daß Du Deine Aufträge so richtig ausgerichtet hast, daß er mich eben nicht mehr reuen darf. – Doch reut er mich auch noch. Ich habe Worte verlohren.

Ich fragte nicht etwan an, ob man meine Maasregeln billigte? Es scheint, man hat meinen Brief falsch verstanden. Das weiß ich allemal schon vorher, daß nie etwas wird gebilligt werden, was ich thue; und dies ist nun eben auch mein geringster Kummer. Aber wie wäre auch das zu billigen, daß ich schon wieder nicht in meinem Dienste geblieben bin; daß ich wieder keinen Herrn habe? Die Leute haben in ihrer Art ganz Recht. – Ich fragte nur, ob man mir etwan deswegen nicht schriebe, weil man meine Maasregeln nicht billigte? Daß es mich verdroß, daß man that, als ob ich gar nicht mehr in der Welt war, läugne ich nicht. Daß Du selbst, Bruder, so in ganzem Ernste die Nachlässigkeit im Briefschreiben auf mich zurükschieben; daß Du das ohne Erröthen niederschreiben; daß Du Deine Feder dazu leihen konntest, wundert mich doch. »Ich würde nicht geschrieben haben, wenn man mich nicht aufgesucht hätte« – Ei! wer ist denn so klug, daß er weiß, was ich gethan haben würde? Ich kann im Gegentheil versichern, daß ich darum keinen Tag eher, und keinen später geschrieben hatte. Ich schrieb, sobald ich konnte (im eigentlichen Sinne des Wortes konnte) Hätte ich eher gekonnt, so hätte ich es eher gethan: hätte ich auch dann noch nicht gekonnt, so hätte es auch dann bleiben müßen. Wer hat denn aber seitdem auf 3. bis 4. Briefe aus der Schweiz – auf den, den ich sogleich nach meiner Ankunft in Leipzig schrieb, nicht geantwortet? mir nicht einmal einen Empfangsschein zugeschikt? Wüste ich nicht sicher, daß sie richtig abgegeben wären, so müste ich fest glauben, sie seien untergeschlagen.

Denen es so sehr leid thut, daß ich nicht mehr in der Schweiz bin, will ich den Gefallen auch thun. Ich reise Anfangs Aprills wieder in die Schweiz zurük, um nie wieder nach Sachsen zu kommen. – Was will man denn wohl mit diesem Bedauern? mit diesem Verheimlichen? Du hättest mich Dir sehr verbindlich gemacht, wenn Du mir die Ursachen davon geschrieben hättest. Nimmt man vielleicht die Maske, als ob es einem um meine Wohlfahrt sei? O, wer kann denn über meine Wohlfahrt aus seinem engen Gesichtspuncte so dreist urtheilen? Wer weiß denn die Gründe meines Abgehens in der Schweiz? wer weiß denn das, was mich bewogen hat, wieder nach Leipzig zu gehn? wer weiß denn, wie es mir in Leipzig geht? Man muß scharfsinniger sein, als ich bis jetzt gewust habe. – Oder ist es ihnen nur darum zu thun, mich recht weit von sich zu wißen? O! ich mag weit oder nahe sein, so sind sie immer sehr sicher, daß ich mich ihnen nicht nahe. Laß sie glauben, ich bin gar tod; das ist noch weiter als die Schweiz. – Oder ist ihnen nur das zuwider, daß sie nicht mit mir, nach ihrer Art, Staat machen können? Mögen sie doch immer sagen, ich sei irgendwo ein Dorf Pfarrer. Ich werde nicht kommen, und ihnen widersprechen. – Beßer konnte man nicht sagen, daß man sich meiner schäme. Aber laß sie es immer sagen. Ich will mich ihrer nicht schämen.

Daß man mein Glück wünscht, würde mich noch mehr freuen, wenn man mir zugleich, – mir, der ich schon längst mündig bin, der ich wohl etwas von der Welt kennen sollte, der ich wenigstens eben so viel weiß, als sie – erlauben wollte, es nach meiner Art zu suchen.

Dies in Antwort auf Deine Aufträge. Richte es so pünctlich aus, als Du Dich derjenigen an mich erledigt zu haben scheinst. Jezt blos an Dich.

Ich habe in meinem lezten Briefe auf niemand weniger gezielt, als auf Dich. Du bist jung und Dir war eine solche Nachläßigkeit im Briefschreiben eher zu verzeihen. Daß ein Brief an mich entworfen gewesen ist, glaube ich. Aber warum nicht fortgeschickt? Daß ich in Dreßden sei, war ein sehr albernes Gerücht, und es war übereilt ihm zu glauben. Da ich mich nicht scheue, irgend jemand unter die Augen zu gehen, so würde ich von Dreßden aus nicht ermangelt haben, meinen Aufenthalt zu wißen zu thun. Eben so sicher war darauf zu rechnen, daß, wenn ich meinen Aufenthalt auf eine andere Art verändert hätte, ich es eben so richtig würde gemeldet haben, als ich meine Ankunft in Leipzig meldete. Sind also alles dies nicht leere Entschuldigungen, wie ich nicht glauben will, so gründen sich doch alle diese Muthmaaßungen auf eine sehr verkehrte Meinung von meinem Character, und diese freut micht nicht. In Dreßden bin ich vorigen August 2. Tage gewesen. Ich habe nicht geglaubt Ursache zu haben, mich vor irgend jemand zu versteken.

Daß ich Dich, mein Bruder, noch liebe wie sonst, versichere ich Dich mit eben der Offenheit, mit der ich Dir es frei heraussagen würde, wenn Du bei mir verloren hättest. Ich denke der Tage, da ich in Dir die einzige gute Seele fand, die mich liebte, und mit der ich ein Wort reden konnte, wie ichs reden mochte. Gott erhalte Dein Herz unverdorben! und dann erhalte mir Deine Freundschaft auch in der Entfernung; ob es gleich nicht scheint, daß wir einander in diesem Leben wiedersehen werden.

In Absicht des Briefwechsels werde ich es immer halten, wie jezt. So oft Du mir schreibst, erhältst Du den nächsten Posttag Antwort. Schreibst Du mir nicht, so hast Du freilich auch auf keine Zeile von mir zu rechnen. Worum Du mich fragst, werde ich Dir stets, so viel es sicher, und gut ist, beantworten. Worüber Du mich nicht fragst, darüber sage ich nichts. So hast Du z. B. jezt auf keine Nachricht über meine Lage, Pläne, Aussichten zu rechnen, weil Du mich nicht darum gefragt hast. Verändert sich mein Aufenthalt, so schike ich Dir meine Adresse, wenn du es verlangst. So wollte ich Dir z. B. wohl rathen, wenn Dir oder irgend jemand in unserer Familie an fortdauernder Verbindung mit mir gelegen ist, mir noch vor Ende des Merzes zu schreiben. Sonst gehe ich aus Sachsen, ohne daß irgend jemand von euch erfährt, wo ich bin.

Mein guter Vater – Du weißt es, wie sehr ich ihn immer geliebt habe – dauert mich, daß ich ihm, deßen Leben so leidenvoll war, nicht einst den Rest seiner Tage versüßen, und seinen vortreflichen Umgang genießen soll: Du dauerst mich, daß ich nicht etwas beitragen sollte, Deinen Geist bilden zu helfen und wo möglich, Deine Schiksale etwas zu verbeßern. Aber es ist nicht zu ändern. Du bist jung; Dich seh' ich vielleicht noch hienieden wieder. Meinen geliebten Vater höchst wahrscheinlich nur in beßern Welten, in denen seine Thränen abtroknen und sein Leiden enden wird. Die Augen gehn mir über. Grüße diesen theuern Vater herzlich, und sage ihm, aber allein, wie ich gegen ihn denke: aber er solle mir verzeihen, daß ich nicht anders handeln könne.

Ueber Deine Zunahme freue ich mich; ich sehe zum Theil aus Deinem Briefe, daß sie nicht bloße leere Einbildung ist. Aber, erlaube einem ältern Dich herzlich liebenden Bruder Dir zu sagen, daß wahre Weißheit immer bescheiden ist; und daß jede List das Herz verderbt. Ich habe mein ganzes Moralsystem geändert. Doch davon ein andermal; wenn du auf obige Bedingungen den Briefwechßel fortsezen willst. – Grüße meine Eltern und Geschwister herzlich. Ich bin Dein Dich liebender Bruder.

J. G. Fichte.

Meine Adreße ist bis Ende Merzes Leipzig, auf der Schloßgaße neben dem Petrino in Brauns Hause 3. Treppen.

Demselben Bruder gilt der nächste Brief, welcher besonders darum interessant ist, weil er außer verschiedenen schon angeregten Beziehungen auch Fichte's Studium der Philosophie und seine Herzensverhältnisse bespricht.

Ueber die hier berührte frühere Neigung zu Charlotte Schlieben (so scheint der Name gelesen werden zu müssen) ist sonst Nichts bekannt. Seine Gönnerin, die »Dame aus Weimar« schwieg, nach einem Briefe vom 1. August, worin ihr Name auch nicht genannt wird (I, 77), »seit ein paar Monaten« über ihr »Project«, ihn »an einen gewissen sehr guten Hof zu bringen«. Wie sehr aber sein Gemüth noch immer durch den Mangel eines bestimmten, festen Wirkungskreises beunruhigt in unstetem Schwanken gehalten wurde zu einer Zeit, wo seine Verheirathung bereits beschlossen war, wie schon im vorigen Briefe angedeutet und in diesem deutlich ausgesagt ist, wie er auch am 7. Febr. und noch am 1. März an seine zukünftige Gattin schreibt (I, 98 f.), das beweist der Schluß dieses Schreibens. Sicherlich bedarf es, zumal bei einem so auf sich selbst gestellten Charakter, wie ihn Fichte besaß, keiner Entschuldigung, sondern fordert vielmehr achtungsvolle Anerkennung, daß sein Mannesstolz es nicht ertragen mochte, eine andere Seele an sein unbestimmtes Schicksal zu fesseln oder in gemächlicher Ruhe sich vom Vermögen seiner Frau zu nähren. Wohl aber ist dabei zu beachten, daß nicht jugendlich blinde Leidenschaft ihn zu der vier Jahre älteren Braut zog, sondern die mit näherer Bekanntschaft sich steigernde und mit verständiger Besonnenheit verbundene Werthschätzung (I, 39 ff.). Die »gewisse Begebenheit«, die er hier als nächste Veranlassung der erneuerten Kämpfe nennt, dürfte wohl die in dem Briefe an seine Braut vom 1. März 1791 (I, 99 f.) allerdings etwas dunkel beschriebene Anklage wegen Entlarvung eines Betrügers sein.

5

Leipzig d. 5. Merz. 1791.

Mein lieber Bruder,

Erst vor zwei Stunden habe ich Deinen Brief erhalten (denn entweder Du datirst Deine Briefe falsch, oder giebst sie erst spät auf die Post). Jezt habe ich die erste freie Stunde, und sogleich seze ich mich her, Dir zu antworten, und wenn die paar Stunden die von jezt bis zum Abgange der Post mein sind, zulangen, so geht noch heute mein Brief ab. Endlich habe ich einen Brief von Dir gelesen, wie ich sie von Dir zu lesen wünsche… [Lücke] .. Freund. Ich weiß, Bruder, daß Du mich liebst, und ich fühle immer mehr den Vortheil, einen Freund zu haben, den die Natur selbst für uns bildete, und den sie uns so wunderbar ähnlich schuf. Ich werde Dich immer lieben; nichts hat mein Herz gegen Dich erkältet, denn die letztern Vorfälle habe ich nicht auf Rechnung Deines Herzens, sondern auf Rechnung Deiner Jugend, und Deines Mangels an Welt- und Menschen-Kenntnis geschrieben. Und wenn ich solche Fehler nicht verzeihen könnte?

Habt Ihr nicht einen Brief von mir erhalten, der ohngefähr im Februar vorigen Jahres aus Zürich geschrieben war, und worinn ich meinen Entschluß wieder nach Sachsen zu kommen, ankündigte? Ich hoffe nicht, daß Fritsche aus seiner sehr knauserigen Oekonomie auch diesen zurükbehalten hat. Hat er das, so habe ich freilich bisher Unrecht zu haben geschienen; aber es nicht gehabt. Aber da niemand allwißend ist, so bitte ich, aber nur in diesem Falle, um Verzeihung. – Ich werde inzwischen die Sache mit den Briefen untersuchen. Ich verlies Zürich, weil es mir, wie ich mehrmals nach Hause geschrieben habe, in dem Hause, in welchem ich war, nicht ganz gefiel. Ich hatte von Anfange an eine Menge Vorurtheile zu bekämpfen; ich hatte mit starrköpfigten Leuten zu thun. Endlich, da ich durchgedrungen, und sie gewaltiger Weise gezwungen hatte, mich zu verehren, hatte ich meinen Abschied schon angekündigt; welchen zu widerrufen ich zu stolz, und sie zu furchtsam waren, da sie nicht wißen konnten, ob ich ihre Vorschläge anhören würde. Ich hätte sie aber angehört. Uebrigens bin ich mit großer Ehre von ihnen weggegangen: man hat mich dringend empfohlen; und noch jezt stehe ich mit dem Hause im Briefwechsel.

Ich ging mit den weitaussehendsten Aussichten und Plänen von Zürich: nicht um in Sachsen zu bleiben, sondern um in Leipzig den Erfolg meiner großen Pläne abzuwarten. Ich hatte … [Lücke] … und war daselbst höher … [Lücke] … Auf meiner Reise lernte ich große Personen kennen, die alle mich zu ehren schienen. Bewegungsgründe genug, um mir viel zuzutrauen. Ich war von Zürich aus dringend an den Premier Ministre in Dänemark, Graf von Bernstorf, an den großen Klopstok, u. s. w. empfohlen. Ich erwartete nichts weniger, als eine Minister Stelle in Coppenhagen. – Zu gleicher Zeit schrieb mir eine vornehme Dame aus Weimar: sie arbeite, und habe Hofnung, mich an einen Hof zu bringen. – Im kurzen scheiterten alle diese Aussichten, und ich war der Verzweiflung nahe. Aus Verdruß warf ich mich in die Kantische Philosophie (vielleicht ist Dir der Name einmal in einem der Bücher, die Du liesest, vorgekommen) die eben so herzerhebend, als kopfbrechend ist. Ich fand darin eine Beschäftigung, die Herz und Kopf füllte; mein ungestümer Ausbeitungs Geist schwieg: das waren die glücklichsten Tage, die ich je verlebt habe. Von einem Tage zum andern verlegen um Brod war ich dennoch damals vielleicht einer der glüklichsten Menschen auf dem weiten Runde der Erden. – Ich fing eine Schrift an, über diese Philosophie, die zwar warscheinlich nicht herauskommen wird, weil ich sie nicht vollendet habe; der ich aber doch glükliche Tage, und eine sehr vortheilhafte Revolution in meinem Kopfe, und Herzen verdanke.

 

Eine neue Periode! Unter den Häusern, mit denen ich in Zürich sehr genau bekannt war, war das, eines Mannes von ohngefähr 70. Jahren, der mit dem besten Herzen viel Kenntniße und eine ungeheure Welt- und Menschenkenntniß vereinigte. Dieser Mann wurde durch einen vertrauten Umgang mit mir in die schönen Zeiten seiner Jugend zurükversezt. Er liebte mich, als ein Vater; und verehrte mich höher, als es meine Verdienste, oder seine Jahre eigentlich erlaubten. Dieser Mann hatte eine einzige Tochter, die unter seinen Augen aufgewachsen war; die noch nichts gefühlt hatte, als innige Verehrung dieses Vaters, und die von Jugend auf gewohnt war, alles mit den Augen ihres Vaters anzusehen. War es ein Wunder, daß, ganz ohne mein Zuthun, der Liebling des Vaters auch der der Tochter wurde? Welche Mansperson ist nicht scharfsinnig genug, Empfindungen von der Art bald zu entdeken, die noch dazu mir eben nicht verholen wurden? Mein Herz war leer, Charlotte Schlieben war schon längst daraus vertilgt. Ich ließ mich lieben, ohne es eben zu sehr zu begehren. – Ich reis'te von Zürich ab, nachdem wir einander unbestimmte Versprechungen gemacht, und einen beständigen Briefwechsel verabredet hatten. Dieser Briefwechsel wurde von Ihrer Seite immer dringender, und zärtlicher. Endlich – und das fiel in jene Periode meiner Philosophie, meiner hohen Seelenruhe und meiner gänzlichen Gleichgültigkeit gegen allen Glanz der Welt – schrieb sie mir, ich solle, da meine Aussichten scheiterten, zu ihr nach Zürich kommen; das Haus ihres Vaters, und ihre Arme stünden mir offen. Ich besann mich in meiner damaligen Stimmung keinen Augenblick Ja zu sagen. Noch erwartet sie mich in der Mitte des Aprills, und will sich sogleich bei meiner Ankunft mit mir verheirathen. Ihr Vater hat mich in dem zärtlichsten Briefe eingeladen. Sie selbst ist die edelste, treflichste Seele; hat Verstand, mehr als ich, und ist dabei sehr liebenswürdig; liebt mich, wie wohl wenig Mannspersonen geliebt worden sind. Sie ist nicht ohne Vermögen, und ich hätte die Aussicht einige Jahre in Ruhe mein Studiren abzuwarten, bis ich entweder als Schriftsteller, oder in einem öffentlichen Amte, welches ich durch die Empfehlung einer Menge großer Männer in der Schweiz, die sehr viel von mir halten, und die Correspondenz in alle Länder Europas haben, wohl erhalten könnte, selbst ein Hauswesen unterhalten könnte. – Ich bin seit Michaelis fest entschloßen gewesen, diesen Antrag zu ergreifen; und noch da ich meinen leztern Brief schrieb, war ich der Meynung, und schrieb daher, daß ich zu Ostern nach der Schweiz gehen würde. Aber von einer andern Seite hat eine gewiße Begebenheit wieder meinen ganzen Durst in die Welt hinaus aufgewekt; ich liebe die Sitten der Schweizer nicht, und würde ungern unter ihnen leben, es ist immer eine gewagte Sache, sich zu verheirathen, ohne ein Amt zu haben; und endlich fühle ich zu viel Kraft und Trieb in mir, um mir durch eine Verheirathung gleichsam die Flügel abzuschneiden, mich in ein Joch zu feßeln, von dem ich nie wieder loskommen kann, und mich nun so gutwillig zu entschließen, mein Leben, als ein Alltags Mensch vollends zu verleben. – Ich bin also seit einiger Zeit sehr unentschloßen, ob ich gehen werde.

Gehe ich aber nicht, so weiß ich nicht, was ich anfangen werde. Ich habe mehreren Männern hier in Leipzig, die sich für mich intereßiren, gesagt: daß ich ihnen für ihre Güte danke; weil ich auf Ostern anderweitige Aussichten habe. Ich darf ferner dann nicht in Leipzig bleiben, weil meine Geliebte mich hier zu gut zu finden weiß; weil ich mich der Fortdauer eines Briefwechsels ausseze, der mir sehr beschwerlich werden würde; weil ich ihr die in meiner Seele vorgegangene Veränderung nicht plözlich sagen, sondern sie allmählich darauf vorbereiten will. – Muß ich aber Leipzig verlaßen, so bleibt mir nichts übrig, als Dreßden. Davon unten ein mehreres.

Der Schluß des Schreibens fehlt.

Der nächste, ebenfalls nicht ganz vollständig erhaltene Brief führt die Aufschrift:

Dem
Herrn Fichte
Krämer
in
Rammenau
p. Bischofswerda

d. Einschluß bis Querfurt.

und stammt aus dem Jahre 1792, da Fichte am 1. Juli 1791 nach Königsberg und im Herbste (September?) dieses Jahres in das gräflich Krockowsche Haus in der Nähe von Danzig gekommen war.